Secrets eterna:
Ove Person SULT Lr ree ures ore tty: tery
KM > Lahn doe. et 4
tirbal etsy
re 1
Ty 99987 10"
vane PRE ett
sth ee
Anne Pr eee EIS
fee pate
Kaeatyty gente af heh eyeeDit oy
Padalaly Oh aies thetnbya sped eed a1) en
rf
oe neers tit ar
He aT Te er alae quaker ete
wens IEUTRIDELEALSEPSTEPRTEST SEN b) tee
we gi ” pedtanten shates
PRO WHE on REDE OG EL EEEG
ww ee exe} one
errr irreerty eran
Sy ates What re hae Ders ES]
: wei,
” \
. 1
pba ity
ielaasesearet +
sep iereperreten “
en
Salut.
enter gine
beret ty te rae
tithes
A Weve) sehen et ate Nave ~
ar wkant rent ersssr ge ly?
boty ake “ yet ght Ne tee meee are FLATO TREE
tke ake IKEEIESKS TEL ate
u. DREH
en
em
Ty VG) RINT FERS ARR tages tee east Te
TS) RAEN Ne Lag ae gt oe ETS TERE AF BRITZ
IRAP EIECR ATER DL eo ot etn 275
Inh BRAN Ae NEN po ey ae de geet aoe! Ogre len AM w am es
rennin tot en tn 18 90 iy
ty kee VENT Mabey we SBE OTR EE RUDE Aah Od at ae oF URW ME ANID KLEE
eet on are gaa A at ade
ees ta [EL TEISPTEIRSETEEERTER SIT Sr etranr te an
Perera tees ERSTER EST EL ET
wonauasnen
PRIEECHRESTERRERTOETZENG Sb eee
DPRELELERERESRER TIEREN
DEREIEEE PORT ER FE toe See een
Aunsinhrnenng RON Mey ben,
v eae he er ERLITT TI
: tate WISE Pee ate OSA DOF gate
Peete stein tae
vr
Seooedey In apa Ani Ion He
Fal abe tet v8a%y* ay
pea theta a
Mus ereumerieneimnntiant
Karakaalat
Hk at
Batagas state
sical vent a
etter tat or airs
a hnett Pel Seam set garter ng suerte e
MMptrimerirnire birth orto labs
Cok Pye ea ak Ne ne
Dash gaa meerter et ate tenses ts
ERIETSSSEDEST ET BET
Nermiatın me ft
vases
mare te
Kern nenleipıgnaned
Sahne
dered aged
f yaedem anes
me 6
reste
senoenee
“rn
vt x preteens
‘ REICH
werd eine:
ihre nes e
OE hash god ante at
enane! puree ee A
is nn N
net ¢
\ ge hrtkeshrie ch In
RA ia saree
Pee ee, SCI ae
DEPRPREFOPEIET TEILE
ie vecegeguetspual wet. 4028
Rtg
om
‚ , ns
‘ pee OF Ne be aM aden
aoe se
erin errs
totewe ®
vr
ans
Deans
aye
ernriria ray
+ pp bbeeEryerT
it
ren
ee
guesbapedeie®
Ce de
miänejet
DIE TUI LE
Hertreratare
FOR THE PEOPLE
FOR EDVCATION
FOR SCIENCE
LIBRARY
OF
THE AMERICAN MUSEUM
OF
NATURAL HISTORY
Ich
MORPHOLOGISCHES JAHRBUCH. —
eS
k 4
EINE ZEITSCHRIFT .
ANATOMIE UND ENTWIGKELUNGSGESCHICHTE,
HERAUSGEGEBEN
voN
CARL GEGENBAUR,
PROFESSOR IN HEIDELBERG.
——— Ears
FUNFZEHNTER BAND.
MIT 26 TAFELN UND 24 FIGUREN IM TEXT,
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN.
1889.
Inhalt des fünfzehnten Bandes.
Ananas
Erstes Heft.
Ausgegeben am 4. Juni 1889.
Seite
Ontogenie und Anatomie in ihren Wechselbeziehungen betrachtet. Von
Bene eine en ul, Le Mody epee utils 1
_ Über Caryophyllia rugosa Moseley. Von G.v. Koch. (Mit 13 Figuren im Text.) 10
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. Von W. Schewiakoff. (Mit
ae 0 a ae ara en cee a sy) wg 21
_ Über den Bau des Saéugethiergehirns. Von G.Jelgersma. (Mit Taf. IV.). 61
Über die Zahl der Richtungskörper bei befruchteten und unbefruchteten
Bieneneiern, Von F. Blochmann.- (Mit Taf. V.) .......... 85
Untersuchungen über die Entwicklung des Beckengiirtels bei einigen Säuge-
Eirierens Von, B.:Mehnert. (Mit Def. VEN. ios BT: 97
Zweites Heft.
Ausgegeben am 4. October 1889.
' Theorie des Mesoderms. Von ©. Rabl. (Mit Taf. VII—X u. 9 Holzschn.) 113 -
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. Von R.Semon. . . 253
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. Von E. Klever. (Mit
I I C0 eM BR ER ER NEN he ale) ah 308
IV
Drittes Heft.
Ausgegeben am 10. December 1889.
Seite
Die Abdominalanhänge der Insekten mit Berücksichtigung der Myriopoden.
Von E. Haase. (Mit Taf. XIV und XV.). . . . | . Sees 331
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. Von C. Röse. (Mit
Wat KVL): 2+... ee 436
“ Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus.
Von F. Roetter. (Mit Taf. XVIL). ... . - 1 Sees 45
A Bemerkungen über den Carpus der Proboscidier und der Ungulaten im All-
gemeinen. Von G. Baur. (Mit 1 Holzschnitt) ...... 7.00. 478
Bemerkungen über den M. flexor brevis pollicis und Veränderungen der |
Handmuskulatur. Von C. Gegenbaur ........ wu 483 |
Viertes Heft.
Ausgegeben am 31. December 1889.
Vorgänge dm Eifollikel der Wirbelthiere. Von G. Ruge. (Mit Taf. XVIII
ARE) .. 0... Ro Ne AOL
Uber den epithelialen Theil der sog. Blutdrüsen in der Schwimmblase des
Hechtes (Esox lucius), Von A. Coggi. (Mit Taf. XXII). ...... 553
Die Entwicklung der Feder und ihre Beziehungen zu anderen Integument-
gebilden. Von H.R. Davies. (Mit Taf. XXIH—-XXVL). ...... 56
Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. No.1. Von G.v.Koch. (Mit
1 Figur im Text): « 2.0. Us Ut" FE “5 SRA Ray 646
?
we i
:
Ontogenie und Anatomie,
| in ihren Wechselbeziehungen betrachtet
| i
j C. Gegenbaur.
Es ist eine bekannte Erscheinung, dass bei jedem bedeutenden
mc der sich in einer Wissenschaft vollzieht, der a auf
eingeschlagene I Forschungsbahnen verdunkelt. Dora das Neue Kant
auch und lässt in seiner Werthschätzung der Einbildungskraft leich-
tes Spiel. Aber wenn auch jene Werthschätzung sich innerhalb ver-
niinftiger Grenzen hält, fällt es ihr doch schwer, auch dem Alten
gerecht zu werden, und dieses stellt sich immer als etwas Über-
‘wundenes dar. Ist doch der Fortschritt oft erst nach hartem
Ringen, nach Überwindung mancher Vorurtheile, nach Beseitigung
vieler Hemmungen zum Ziele gelangt. Darum bedarf es der Be-
‘sonnenheit, um sowohl für das siegreich Errungene als auch für das,
was vorher bestand, das rechte Maß des Urtheils zu finden.
1 Andererseits erscheint jeder neu kultivirte Wissenszweig, so
bald er sich kräftig entfaltet und selbständiges Wachsthum gewonnen
hat, auch bald in einer gewissen Unabhängigkeit, und je mehr er
sich ausbreitet, desto mehr entzieht sich sein Zusammenhang mit
dem Stamme, dem er entsprosste, dem Blick. In soleher Weise wird
das neu Entstandene in seiner Wechselbeziehung leicht verkannt und
pflegt um so mehr in der Sonderung als in der Verbindung be-
trachtet zu werden, je eigenthümlicher sein Gepräge sich gestaltet
a Und doch besteht jener nes und durch ihn wirkt
2 - C. Gegenbaur -
des Umfanges auch auf ihr inneres Wesen wirkt. Alte Vorstellungen
weichen neuen, und in diesem Wechsel bildet sich, wie in der Or-
ganismenwelt, Niederes zu Höherem aus.
Wenn aber auch das Leben der Wissenschaft ein nie rastender
Vorgang ist, und das, was später wirksam und bedeutungsvoll wird,
lange vorher, oftmals in seinen Zielen schwer erkennbar sich vor-
bereitet, so kommt doch zu Zeiten ein rascherer Umschwung zum
Vorschein. Er bleibt nie aus, wenn die Veränderungen, welche die
Peripherie erweiterten, in die Grundlagen der Wissenschaft eindrin-
sen. Dann scheint es, als ob eine neue Wissenschaft an die Stelle
der alten getreten sei, dann ist aber auch das Urtheil nicht immer
einhellig über die Tragweite der beginnenden Umgestaltung.
Ein solcher Zustand waltet im Gebiete der Morphologie. Die
Entwicklungslehre hat, wie sie immer mehr sich breitere Bahn ge-
brochen, auch die anatomischen Disciplinen beeinflusst und es war
nur natürlich, dass diese dadurch der Umgestaltung entgegengingen.
War doch der Entwicklungslehre selbst durch die Anatomie eine
wichtige Stütze geworden, so dass für beide schon dadurch ein
engerer Konnex bestand.
Durch die Entwicklungslehre und die großartige Perspektive, die
sich von ihr aus auf die gesammte Organismenwelt eröffnete, ge-
langte bald auch die Entwicklungsgeschichte der Individuen oder
die Ontogenie zu ihrer vollen Bedeutung. Diese längst schon be-
tretenen Bahnen erfahren allseitig weitere Ausbildung und die
Summe der auf ihnen erworbenen Erfahrungen wächst in rapider
Art. Während hier fast überall Neues, wenn auch nieht immer vom
kritischen Urtheile gesichtet sich darstellt und viele Probleme, die
lange unnahbar waren, ibrer Lösung näher kommen oder wirklich
gelöst werden, zeigt sich diese Forschung in ihrem größten Gewichte,
welches der anatomischen Richtung gegenüber als Übergewicht er-
scheint. Es wird sich daher verlohnen, die Wechselbeziehungen der
Ontogenie zur Anatomie näher ins Auge zu fassen.
Diese Beziehungen sind je nach dem Verhalten der Anatomie
zweifacher Art. Einmal kann die Ontogenie den ausgebildeten Or-
ganismus untersuchen, indem sie ihn und seine Organe im allmäh-
lichen Aufbau zeigt, zweitens aber deckt sie Beziehungen des einen
Organismus zu anderen auf, indem sie die während der Entwick-
lung durchlaufenen Zustände mit jenen anderer Organismen in Ver-
bindung bringt. Dadurch tritt sie in die Bahnen der Vergleichung.
verknüpft sich mit der vergleichenden Anatomie, so wie sie im
_ a eae
Ontogenie und Anatomie. 3
ersteren Falle mit dem, was beschreibende Anatomie genannt |
wird, in Verbindung steht.
Die Beziehung zur beschreibenden Anatomie lässt die Ontogenie
in ihrer ältesten und nächsten Verwerthung erscheinen, denn was
ist inniger mit dem ausgebildeten Organismus verknüpft als die Zu-
stände, aus denen er hervorging? Indem die Ontogenie den Orga-
nismus durch jene Zustände zum Ausgebildeten hinführt. bildet sie
mit der Anatomie ein Ganzes, aus dem allein das morphologische
Verständnis des Organismus erhellt. Der bloßen anatomischen Be-
schreibung der Organismen gegenüber bildet die Ontogenie eine
höhere Erkenntnisinstanz. Denn sie bringt Formerscheinungen in
Zusammenhang, zeigt wie Dieses und Jenes geworden und verhält
sich auch erklärend, indem sie die nächsten Ursachen vieler Orga-
nisationsbefunde aufdeckt.
Diese Superiorität der Ontogenie kann aber zu einer Unter-
schätzung des Werthes der Anatomie führen, oder zu einer gegen-
sätzlichen Auffassung. Dem gegenüber muss behauptet werden, dass
die Ontogenie der Anatomie so wenig entbehren kann, als die letz-
tere ohne die erstere auf einer tieferen Stufe bleibt. Die Ontogenie
entlehnt von der Anatomie einen guten Theil ihrer geistigen Werk-
zeuge. Sie hat es mit Organen, deren Lagerung, Struktur und Textur
zu thun, also mit denselben Objekten, wie sie die Anatomie begriff-
lich definirt. Sie führt diese Theile zum ausgebildeten Zustand.
Ohne die Kenntnis des letzteren, wie die Anatomie ihn darstellt,
würde die Ontogenie sich auf gleichem Wege befinden, wie der Wan-
derer, der sein Ziel nicht kennt. Man sage nicht, dass dieses Ziel
durch die Ontogenie schließlich erreicht wird, denn dann trifft sie ja
doch mit der Anatomie zusammen! Es ist aber zweifellos, dass
mancher Umweg vermieden wird, wenn das Ziel schon am Beginne
des Weges sichtbar ist und stets im Auge behalten wird.
So ist die Anatomie für die Ontogenie Voraussetzung. Sie ist
dabei vielfach unbewusst wirksam. Daher kommt es, dass man
ihrer entbehren zu können glaubt. Indem die Anatomie durch die
Ontogenie sich wissenschaftlich gestaltet, hat sie bei aller Verschie-
denheit der Methode sich von ihr durehdringen lassen und betritt
im genetischen Gewande eine Stufe der Vervollkommnung.
Durch diese Wechselbeziehung wird weder eine Beeinträchtigung
der Existenz der einen noch der anderen Diseiplin bedingt, denn
es handelt sich nicht um ein Aufgehen der einen in die andere’.
1 Dass ich mit der Besprechung dieser Verhältnisse nur die wissenschaft-
1>
4 C. Gegenbaur
Wir kommen nun zu der zweiten Beziehung der Ontogenie, zu
jener, die sie mit der vergleichenden Anatomie besitzt. Diese
Beziehung wird klar aus der Aufgabe der letzteren. Wir erkennen
dieselbe in der Ermittelung des Zusammenhanges der Organisationen
unter einander. Die vergleichende Anatomie sucht die Organe, aus
denen der Thierleib besteht, zu ordnen, indem sie Ähnliches zu
Ähnlichem stellt und dabei Übereinstimmungen sowohl, als auch Ver-
schiedenheiten findet, welche beide ‘sie zu erklären sucht. Dadurch
stellen sich die Organisationen in nähere oder entferntere Beziehun-
gen zu einander. Im Lichte der Descendenztheorie werden diese
Beziehungen zu Verwandtschaften, und es schließt sich damit um
die Organismen ein engeres Band. Dieselbe Vergleichung der Or-
gane lehrt niedere und höhere Zustände kennen, indifferentere und
differenzirte, ausgebildete und andere, die wieder rückgebildet sind.
Indem solcherlei Befunde an einander gereiht werden können und
innerhalb der Reihen in reichen Modifikationen sich darstellen, ist
das Objekt der vergleichenden Anatomie ein veränderliches, beweg-
liches, flüssiges zu nennen, und gleicht darin jenem der Ontogenie.
Indem diese den Organismus, und zwar den individuellen, in
Veränderungen darstellt, welche Zuständen entsprechen, die in nie-
deren Zuständen dauernd realisirt sind, tritt die Ontogenie in nähere
Beziehung zur vergleichenden Anatomie... Die letztere gewinnt da-
durch eine phylogenetische Gestaltung. Sie erhebt sieh zur
Phylogenie, indem ihre Ergebnisse für die Abstammung der Or-
ganismen die Nachweise liefern.
Es ist wohl unbestritten, dass die vergleichende Anatomie durch
Verwerthung der ontogenetischen Thatsachen neuen Aufschwung nahm.
Darüber haben wir hier nicht weiter zu verhandeln. Aber dieser
Aufschwung hat die vergleichende Anatomie unterschätzen lassen.
Es ist nicht selten zu lesen, dass nur die Kenntnis der ontogene-
tischen Vorgänge phylogenetische Einsichten begründe, dass es dazu
gar keiner vergleichenden Anatomie bedürfe, ja dass die letztere der
wahren Erkenntnis der Stammesgeschichte nur hinderlich sei. Mit
der vergleichenden Anatomie wird also auch die Rücksichtnahme
auf den entwickelten Organismen verworfen, denn die vergleichende
Anatomie ist es ja, die diesen als Faktor gelten lässt.
Wie verhält sich nun in Wirklichkeit die Ontogenie zur Phy-
lichen Beziehungen im Auge habe und dabei weder an die Gestaltung noch an
die Kombination der bezüglichen Lehrfächer denke, sei hier ausdrücklich be-
merkt.
Ontogenie und Anatomie. 5
logenie? Diese Frage wird zu beantworten sein, wenn der Werth
der vergleichenden Anatomie für die Phylogenie festgestellt werden
soll, denn Ontogenie und vergleichende Anatomie verhalten sich in
diesem Falle als Konkurrenten.
Wenn das biogenetische Grundgesetz: dass der sich entwickelnde
Organismus seine Stammesgeschichte rekapitulire, ohne alle Beschrän-
kung bestände, so böte die Ontogenie den kürzesten, sicher den be-
sten Weg zur Phylogenie. Aber jene Rekapitulation ist überall eine
sehr unvollkommene und die ontogenetischen Befunde sind demge-
mäß längst schon von HAECKEL treffend in zwei Kategorien, in pa-
jingenetische und cänogenetische geschieden worden. Diese
Unterscheidung hat zwar noch keinen ernsthaften Widerspruch er-
fahren, sie ward aber auch viel zu wenig beachtet, wie aus den
eben erwähnten Behauptungen hervorgeht. Wenn man aber zugeben
muss, dass Palingenie und Cänogenie mit einander durchniischt
vorkommen, so ist es auch gewiss, dass die Ontogenie nicht als
reine Quelle für die Phylogenie gelten kann. Dadurch wird die
Ontogenie zu einem Gebiete, auf dem beim Suchen nach phyloge-
netischen Beziehungen eine rege Phantasie zwar ein gefährliches
Spiel treiben kann, auf dem aber sichere Ergebnisse keineswegs
überall zu Tage liegen. Zu ihrer Ermittelung bedarf es vor Allem
einer Sichtung der palingenetischen und der ontogenetischen Zustände
und dazu des Aufwandes von mehr als einem Körnchen kritischen
Salzes. Wo soll diese Kritik ihren Ausgang nehmen? Doch nicht
in einem Circulus vitiosus, wiederum von der Ontogenie, denn
wenn in einem Falle cänogenetische Befunde obwalten, was giebt
die Gewähr dafür, dass nicht auch der andere Fall, der zur Ver-
gleichung dienen soll, gleichfalls in cänogenetischer Verhiillung sich
befinde. Wenn einmal zugestanden sein muss, dass nicht Alles,
was auf dem Wege der Entwicklung liegt, palingenetischer Natur
ist!, dass nicht jede ontogenetische Thatsache man möchte sagen
als bare Münze gelten kann, so ist zur Leistung jener Kritik auch
kein Stück der Ontogenie unbedingt verwerthbar. Daran wird
nichts zu ändern sein. Jene Kritik muss also einer anderen Quelle
entspringen.
Bevor wir uns dieser zuwenden, ist noch ein Einwand hinweg-
! Ich nehme die Begriffe palingenetisch und cänogenetisch in ihrer ur-
sprünglichen Fassung und betrachte cänogenetische Einrichtungen, weil sie
sich ja durch Vererbung wiederholen, desshalb noch nicht als palingenetische.
Das Kriterium liegt in dem Verhalten zum ausgebildeten Organismus.
6 C. Gegenbaur
zuräumen, der daraus hervorgeht, dass bei der Anerkennung der
Existenz der Cänogenie doch ein Theil der Ontogenese als beweis-
kräftig angenommen wird.
So kann sich das Zugeständnis der Unvollkommenheit der onto-
genetischen Zeugnisse in so fern beschränken, als es die Keimblätter
nicht mit umfasst. Dann kann gesagt werden, die Keimblätter
reichten aus zur phylogenetischen Begründung, indem sie die Homo-
logie der Organe bestimmten: alle Organe sind homolog, die aus
den gleichen Keimblättern hervorgehen. In dieser Allgemeinheit
wäre der Satz schon desshalb nicht haltbar, weil jedes der Keim-
blätter doch eine Mehrzahl von Organen entstehen lässt. Es müssen
also noch andere Kriterien hinzutreten, um jene Homologie wirksam
zu begründen und diese Kriterien sind wieder anatomischer Art.
Der Rückzug hinter die Keimblätter dürfte also auch hier keine
vollständige Deekung finden; und so lange die Fragen bezüglich
des mittleren Keimblattes oder des Mesoblast noch nicht völlig auf-
geklärt sind, fällt auch auf die daraus sich ableitenden Organe kein
sehr helles Licht. Damit sei aber wieder nicht der große Werth
in Abrede gestellt, den die Keimblätter als Primitivorgane für die
vergleichende Anatomie besitzen, es sei nur behauptet, dass sie
nicht ein ausschließliches Fundament für die Vergleichung sind.
Diese Beschränkung tritt recht klar durch die Erwägung zu
Tage, dass es sich in zahllosen Fällen um Organe handelt, die einem
und demselben Keimblatte entsprungen sind. Man darf hier an die
Skelettheile erinnern. Für viele hier bestehende Fragen giebt die
Ontogenese oft überraschende Aufklärung, aber nicht wenige sind
von daher unlösbar. Das paläontologische Material der Vertebraten
ist zum bei Weitem größten Theile ohne ‘alle Beziehungen zur On-
togenese und wird nur durch die vergleichende Anatomie d. h. nur
durch die Vergleichung ausgebildeter Zustände beherrscht. Es stände
aber außer aller phylogenetischen Verwerthung, wenn die Ontogenie
dabei zur Alleinherrschaft gelangte.
Wir glauben gezeigt zu haben, dass die Ontogenie zur phylo-
genetischen Erkenntnis nicht ausreicht, indem ihre Thatsachen erst
auf den palingenetischen Werth geprüft werden müssen. Diese Prü-
fung leistet aber die vergleichende Anatomie, in so fern diese die
ausgebildeten Organismen behandelt. Worauf gründet sich nun diese
Bedeutung der Anatomie? Das wird verständlich aus der Verschie-
denheit der Objekte beider. Die Ontogenie hat es mit Zuständen
des Organismus zu thun, die unter anderen Bedingungen als nachher
Ontogenie und Anatomie. 7
existiren, das Leben des sich entwickelnden Organismus, die Wachs-
thumsvorgiinge, die bei der Differenzirung thätig sind, stehen unter
anderen Einflüssen als später, wie ja in großer Verbreitung auch
die Ernährung durch schon dem Ei gewordene Zuthaten oder durch
andere provisorische Einrichtungen besorgt wird. Bei den meisten
der Organe schlummert noch deren Funktion, die mehr erschlossen
als beobachtet wird. Die Anatomie dagegen trifft die Organe im
ausgebildeten, thätigen Zustande. Der Organismus ist, wenn wir so
sagen dürfen, praktisch geworden, während er vorher mehr theore-
tisch bestand.
Die aus dem physiologischen Werthe der Organe sich ergebende
bessere Erkenntnis derselben macht sie zu Vergleichungsobjekten ge-
eigneter als sie ohne jene Berücksichtigung es sind. Zur vollen
Einsicht in diese Auffassung wird man durch den Versuch gelangen,
bei Prüfung ontogenetischer Zustände von den anatomischen Erfah-
rungen, gleich als ob sie nicht existirten, abzusehen. Man nehme
z. B. die Ontogenese eines Amnioten, dessen Kiemenspalten durch
die Vergleichung mit denen der Anamnien verständlich sind. Nur
dadurch, dass wir bei diesen Kiemen auftreten sehen, die uns fremde
Gebilde blieben, wenn wir sie nicht in ihrer Funktion am ausge-
bildeten Organismus der Fische und Amphibien kennen gelernt
hätten, sind wir zu einer Deutung jener anderen vergänglichen Bil-
dungen gelangt. Oder möchte Jemand glauben, dass jene Kiemen-
spalten ohne die Kenntnis der definitiven Kiemen richtig zu beur-
theilen wären? Wie ganz anders erscheint uns die Chorda dorsalis,
nachdem wir sie im ausgebildeten Zustande niederer Wirbelthiere
als ein Dauerorgan kennen gelernt haben! Wir begreifen, wie die-
ses hier eine so wichtige Rolle spielende Organ zu einem typischen
geworden ist, und wir könten das noch besser verstehen, wenn wir
es schon bei den Tunicaten in der Rolle als Stützorgan finden.
Vom Nervensystem wird uns die ektodermale Entstehung erst durch
die Kenntnis der niedersten Zustände aufgeklärt, jener Zustände
nämlich, in denen es dauernd dem Ektoderm selbst angehört, oder
von demselben sich bereits abzulösen im Begriffe steht, wie in man-
chen Abtheilungen der Cölenteraten. Welches Licht fällt von daher
auf die in den Centralorganen dieses Systemes bestehende Lokali-
sirung in jenen niederen Zuständen zerstreuter Einrichtungen !
Nicht weniger verständlich wird die Genese der höheren Sinnes-
organe, wenn wir sie in niederen Formen noch in ihrer ursprüng-
lichen Lagebeziehung antreffen. So lange, trotz der genauesten onto-
8 C. Gegenbaur
genetischen Erfahrungen, räthselhaft gebliebene Organe, wie die
Schilddrüse und die Hypophysis, haben nur durch die Vergleichung
mit der Organisation der Tunicaten eine richtige Deutung gefunden.
Die vergleichende Anatomie liefert auch die Korrekturen für
die durch die cänogenetischen Wege der Ontogenese entstehenden
Vorstellungen. Ein Beispiel dafür bieten die Lungen der höheren
Wirbelthiere. Wenn uns diese als epitheliale Sprossungen geschil-
dert sind, die in die mesodermale Anlage einwachsen, zuerst wenige
Schläuche oder Stränge, so gewinnt man daraus die Meinung, als
ob der Vorgang nach Art einer Driisenanlage sich abspiele. Wollte
man darauf phylogenetische Folgerungen bauen, so würde man die
Lunge von einer Drüse ableiten! Der phylogenetische Gang der
Lungenbildung ist aber ein ganz anderer. Denn die Vergleichung
mit den Lungen der Dipnoer und der Amphibien zeigt uns einen
ganz anderen Vorgang. Wir sehen von da aus und durch die Rep-
tilien hindurch, dass die Lunge ihre Komplikation keineswegs durch
sprossende Epithelschläuche, sondern von der Peripherie her, durch
Vergrößerung der Innenfläche eines weiteren Raumes empfing. Die
allmähliche Zerlegung des ursprünglich einheitlichen Binnenraumes
in kleinere Räume durch von der Wand her einwachsende Septa
führt endlich zu dem bei den höheren Wirbelthieren waltenden Be-
funde, indem die so entstandenen größeren Abschnitte wiederum von
ihrer Wand her in kleinere zerlegt werden, wofür besonders die
Lungen der Schildkröten lehrreich sind. Durch diesen aus der Ver-
gleichung zu erkennenden Process wird die Lunge mit der Schwimm-
blase der Fische vergleichbar, was durch die bloße ontogenetische
Kenntnis nicht möglich ist. Wir lernen aber dadurch auch jene
Lungenanlagen der Vögel und Säugethiere erst richtig verstehen und
sehen in den Sprossen des Epithelrohres die Aquivalente ganzer
Abschnitte, die im niederen Zustande weite Räume sind. So liegen
unzählige andere Beispiele in derselben Richtung vor. Überall sind
es die Zustände des ausgebildeten Organismus, die uns die onto-
genetischen Befunde erleuchten.
Am ausgebildeten Organismus mit seinen mannigfaltigen Be-
ziehungen zur Außenwelt und durch die Rückwirkung derselben auf
die Organisation, die daraus ihre Anpassungen gewinnt, treffen wir
die Pforten zu Veränderungen geöffnet. Hier ist es, wo der Orga-
nismus die Umgestaltungen empfängt, die uns seine Organe in der
Ausbildung sowohl als auch in der Rückbildung beurtheilen lässt.
Was der Organismus auf dem ontogenetischen Wege zur Entfaltung
Ontogenie und Anatomie. 9
bringt, das haben seine Vorfahren einmal früher oder später sich
erworben, und dieser Erwerb ist ihnen jeweils während
ausgebildeter Zustände zu Theil geworden. Daher werden
wir auf jene niederen, den Durchgangsstadien entsprechenden oder
ihnen doch ähnlichen Zustände verwiesen, sobald wir den höheren
Zustand in seiner Ontogenese verstehen wollen. Sie gehören eben
so zur Geschichte des Organismus wie seine einzelnen ontogene-
tischen Befunde. |
Von diesem Gesichtspunkte aus ist die vergleichende Anatomie
kein bloßer Ersatz für die in der Ontogenie bestehenden Lücken.
Sie ist kein phylogenetischer Nothbehelf, der zu verschwinden hätte,
wenn dereinst das gesammte ontogenetische Erkenntnisgebiet offen
und klar vorliegen wird. Denn jene Fragen nach dem Woher? der
Einrichtungen, nach den Zuständen, in denen sie erworben sind und
in denen sie sich praktisch gestalteten, werden bestehen, so lange
die Forschung dauert, ja sie werden erst recht in den Vordergrund
treten, wenn einmal die Vertiefung der Forschung begonnen haben
wird. Auf jene Fragen antwortet aber nur der ausgebildete Orga-
nismus, wie ihn die Anatomie kennen lehrt.
Wie die phylogenetische Bahnen betretende Ontogenie der Ana-
tomie nicht entbehren kann, so ist auch die letztere ohne die erstere
nur Stückwerk. Bei der innigen Durchdringung beider, wie die
vergleichende Anatomie es postulirt, wäre die Abwägung des Werthes
jeder einzelnen der beiden Forschungsmethoden ein unnützes Be-
ginnen. Die vergleichende Anatomie hat sich durch die Ontogenie
vervollkommnet, sie hat sich bereichert durch zahlreiche auf onto-
genetischem Wege gelöste und auch nur auf diesem zu lösende Pro-
bleme, ihre Fundamente sind tiefer gelegt worden, da sie mit Hilfe
der Ontogenie nicht bloß den Befund, sondern auch die Geschichte
der Organe kennen lehrt. Durch dieses Verhältnis zur vergleichen-
den Anatomie wird die Bedeutung der Ontogenie nicht gemindert
sondern erhöht, denn dadurch erst wird die Erreichung des Endzieles
möglich, wie wir es in der Phylogenie erblicken.
Heidelberg, September 1888.
Uber Caryophyllia rugosa Moseley.
Von
G. v. Koch.
Mit 13 Figuren im Text.
In dem Report on the scientific Results of the Voyage of H.
M. S. Challenger, Zoology vol. II. Report on the Corals. 1881
beschreibt! MosELEY eine Caryophyllia, welche wegen der octame-
ralen Anordnung ihrer Septen besonderes Interesse in Anspruch
nimmt. Es finden sich nämlich bei fünf an zwei verschiedenen Orten?
gefundenen Exemplaren (die 2—4 mm in der Höhe und 2—4 mm
Durchmesser schwankten) an der oralen Fläche 8 Septen erster Ord-
nung, 8 etwas schwächere zweiter Ordnung und 16 noch schwächere
dritter Ordnung und nur an einem kleinen Exemplar 14 oder 15
Septen erster und zweiter Ordnung zusammen. Vier von den ge-
nannten Stücken haben 8 Pali, zwei nur 7 Pali, immer stehen die-
selben vor den Septen zweiter Ordnung. Die Columella besteht aus
3—9 lamellären Fortsätzen.
Ich erhielt durch die Freundlichkeit des Herrn Professor Dr.
v. MARENZELLER in Wien und die Liberalität des k. k. Hofmuseums
ein größeres Exemplar der genannten Art zur Untersuchung und
1 Der Beschreibung sind ein Holzschnitt und auf Pl. I unter 8 drei weitere
Figuren beigegeben. Ersterer stellt eine Vertikalsektion dar, welche nicht mit
der Hauptachse zusammenfällt und desshalb den Schein erweckt, als wären die
Zwischenräume in dem aboralen Theil ausgefüllt. Fig. 8 zeigt ein Exemplar,
auf einem Steinchen sitzend, von der Seite, nat. Gr., Sa die orale Fläche drei-
mal vergrößert, 86 einige Runzeln der Theca bei stärkerer Vergrößerung. Die
Figuren sind nicht sehr scharf.
2 Stat. 192. Ki Islands. 126 fath. Stat. 201. Philippine Islands. 102 fath.
|
|
|
f
|
4
|
h
|
|
Über Caryophyllia rugosa Moseley. 11
kann hier einiges Wenige an der MoseEtry’schen Beschreibung er-
gänzen. Wichtiger war mir die Möglichkeit, das Wachsthum und
die relative Zeitfolge in der Entwicklung der Septen genau darstellen
zu können.
Wenn die folgende Darstellung besonders hinsichtlich der Unter-
suchungsmethode etwas weitläufig ausgefallen ist und Wiederholungen
von früher Gesagtem vorkommen, so bitte ich dies zu entschuldigen.
Ich habe leider öfter die Erfahrung machen müssen, dass mir von
anderen Forschern Weglassungen ganz unwesentlicher und häufig
selbstverständlicher Kleinigkeiten als Ungenauigkeit ausgelegt wor-
den ist.
Das untersuchte Exemplar von Caryophyllia rugosa wurde in
Formosa gesammelt, saß auf einem Steinchen und scheint bei der
Erbeutung, wie sich aus der Beschaffenheit der Oberfläche ergiebt,
noch mit Weichtheilen bedeckt gewesen zu sein, ohne dass sich
aber von letzteren noch Reste erhalten haben. Die Gestalt war
EM oa
Wa MW»
Me? 1, My
Ansicht des Skelets von Caryophyllia rugosa Mos. Exemplar aus Formosa von der oralen Seite.
Kontouren mit der Camera gezeichnet. Durch die Art der Behandlung erscheint das Bild etwas zu
flach, der Kelch ist in der Natur mehr triehterförmig.
konisch, ein wenig seitlich zusammengedriickt und etwas gekriimmt.
Die Höhe betrug etwas über 8 mm, der Durchmesser am oralen
Ende 4,5 zu 5 mm, etwa 2 mm über der Ansatzfläche kaum 3 mm
und nahm nach der Basis hin schnell zu, so dass das basale Ende
‘
12 G. v. Koch
bedeutend breiter war als das orale. Doch zeigte diese Ausbreitung
so wenig regelmäßigen Umriss, war auch stellenweise so dünn, dass
von einer genauen Messung abgesehen wurde. — Die orale Fläche,
der Kelch (vgl. die Abbildung), bildet eine ziemlich unregelmäßige
Ellipse, deren Umriss an den Enden der größeren Septen stärkere, an
denen der kleineren schwächere Ausbuchtungen besitzt. Die Dicke
der Theca ist am äußersten Rand nur minimal, weiter nach unten
variirt sie in den einzelnen Interseptalräumeu von 0,2 bis 0,4 mm.
Die Anzahl der Septen beträgt 32. Von diesen ragen 16 ca. 1,4 mm
weit nach dem Centrum vor und lassen dort einen elliptischen Raum
von ca. 2,2 mm Länge und ca. 1,6 mm Breite frei. Die übrigen
6 Septen sind kürzer, 0,8 bis 1,0 mm lang. Innerhalb der Septen
befindet sich eine Zone von 8 Pali, die abweehselnd den 16 größeren
Septen vorliegen und von diesen eingeschlossen die Columella. Unter
den großen Septen lassen sich leicht 8 kräftigere und 8 weniger
starke erkennen, die mit einander abwechseln und von denen die
letzteren den Pali entsprechen. In ihrer Gestalt stimmen sie ziem-
lich mit einander überein. Sie sind ziemlich dünn, nur am äußeren
Ende etwas verdickt, die innere Hälfte ist stark wellenförmig ge-
bogen!, so dass sie sich theilweise gegenseitig bedecken und man
desshalb nur in der Nähe der Theca etwas tiefer in die Interseptal-
räume hineinsehen kann. Als Eigenthümlichkeit der Septen sind
seitliche eylindrische oder subkonische Fortsätze zu erwähnen, welche
frei in die Interseptalräume hineinragen, in einzelnen Fällen aber
auch gegenseitig mit einander verschmolzen sind und dann den
Synapticula der Autoren (Pseudosynapticula PrATz) bei anderen Ko-
rallen entsprechen. — Die Pali sind dünne gefaltete, theilweise
schraubenförmig gewundene Platten, die, im Ganzen betrachtet, un-
regelmäßig rundliche Massen darstellen von ungefähr 0,3 mm Durch-
messer. Die Columella besteht aus 6 nicht scharf von einander trenn-
baren, ähnlich wie die Pali gefalteten dünnen Platten und erscheint
als eine langgestreckte Ellipse von 1,0 mm Länge bei 0,7 mm Breite.
Die Oberfläche der Columella liegt fast 2 mm tiefer als die höchsten
Kanten der großen Septen, so dass der »Kelch« ziemlich stark aus-
gehöhlt ist, eine Eigenschaft, auf die ich hier desshalb aufmerksam
mache, weil sie auf der beigegebenen Abbildung nicht deutlich genug
! Diesem Verhalten der Septen ist es wohl zuzuschreiben, dass diese in
der MOSELEY’schen Fig. Sa so breit erscheinen und auch in der hier gegebenen
genaueren Abbildung des Kelches nicht so scharf zu erkennen sind wie in den
folgenden Quer- und Längsschliffen.
a
Se ee ee OE OE Eee
Uber Caryopbyllia rugosa Moseley. 13
hervortritt. — Die Außenfläche des Skelets ist ziemlich gleichmäßig
von nahezu wagerecht gestellten, scharf hervortretenden Runzeln
bedeckt, welche sich bis auf die äußeren Kanten der größeren Sep-
ten erstrecken. Sie haben einen regelmäßigen Verlauf, theilen sich
auch zuweilen und variiren nur wenig in ihrer Breite. Ihr Quer-
schnitt ist ungefähr ein gleichseitiges Dreieck, die freie Kante ein
wenig abgerundet. Die zwischen den Runzeln liegenden Furchen
sind flach und etwas breiter als jene. Durchschnittlich fand ich
auf 1 mm Länge 7 Runzeln resp. Furchen. Bemerkenswerth er-
scheint und ist auch schon von MoSELEY angegeben, dass sich auf
Sehliffen die Furchen in Folge ihrer helleren Färbung bis tief hinein
in die Masse der Theca verfolgen lassen. —
Bei der Untersuchung des Inneren musste mit besonderer Vor-
sicht verfahren werden, weil das Exemplar das einzige seiner Art
in dem Wiener Museum ist und es daher wünschenswerth erschien,
wenigstens die am meisten charakteristischen Theile zu erhalten.
Es wurde desshalb das ganze Skelet zuerst in schwarzes Siegellack
eingeschmolzen, dann möglichst senkrecht zur Hauptachse zwei
Schnitte geführt, welche den oralen Theil in Form einer nicht ganz
2 mm dicken Platte und den aboralen, der Unterlage noch aufsitzen-
den und ungefähr eben so hohen Theil abtrennten. Der erstere
blieb intakt und wurde, nachdem seine Unterseite gezeichnet (vgl.
unten die Beschreibung der Querschliffserie und Abb. XI) mit heißem
Alkohol ausgewaschen und
aufbewahrt. Das mittlere
Stück wurde parallel der
Hauptachse, aber etwas au-
ßerhalb derselben der Länge
nach durehschnitten und
ebenfalls gereinigt. An ihm
sind die sofort anzuführen-
den Beobachtungen über Ge-
stalt der Septen ete. gemacht.
Das basale Stück wurde zuge, zwischen Columalla und Theca, Camerazeichnung
nach der schon öfter (Morph. Die Pseudosynapticula, sowie die Knickungen der Septa
Jahrb. Bd. VII. pag. 87) Para
beschriebenen Methode nach und nach abgeschliffen und die Schliff-
flächen mittels der Camera lucida gezeichnet. Diese Zeichnungen
dienten zur Feststellung der später geschilderten Wachsthumsvor-
‚gänge. — Die verhältnismäßig nur wenig verdiekten Septen verlaufen
14 G. v. Koch
zunächst der Theca, von der aus kurze, fingerförmige Fortsätze in
die Interseptalräume hineinragen (die weißen Punkte der Abbildung),
gerade. Etwas weiter nach dem Centrum (vgl. Abbildung) haben
sich die viel diekeren Septen erster und zweiter Ordnung (der schein-
baren) wenig geändert, doch sieht man an ihnen hier sehr deutlich
die oben beschriebenen seitlichen eylindrischen Fortsätze (Synapticula),
welche sich ziemlich regelmäßig wiederholen. Die dünnen Septen
der (scheinbar) dritten Ordnung dagegen zeigen schon eine sehr
deutliche Knickung oder Faltung und die eigenthümlichen Verdickun-
gen an den Knickungsstellen. Weiter nach innen zu beginnen sich
auch die größeren Septen ähnlich zu falten und die Abweichungen
von der Hauptebene werden so stark, dass sich zum Theil die Aus-
biegungen nach der Seite in die entsprechenden Einbiegungen der
benachbarten kleineren Septen hineinlegen (wie oben schon ange-
deutet wurde). Noch mehr nach innen endigen die 16 kleineren
Septen frei mit wellenförmigem Rand (auf der Hälfte der Länge der
großen Septen), der abgerundet, manchmal auch ein wenig verdickt
ist. Die 16 größeren Septen ragen weiter nach dem Centrum zu
vor, berühren sich nahezu und! bedecken sich auch theilweise
gegenseitig. Im oberen Drittel bleiben dabei die 8 (scheinbar) pri-
mären Septen (1*) mit ihren inneren Kanten frei, während die se-
kundären (2* schon hier mit den zugehörigen Pali verschmelzen.
Erst viel weiter nach der Basis zu, wo die Pali längst verschwun-
den sind, verbinden sich auch die Septen 1* mit der Columella und
es lässt sich deutlich erkennen, dass diese ursprünglich durch Ver-
schmelzung der centralen Septenränder zu Stande kommt und erst
später eine mehr selbständige Stellung einnimmt. Hinsichtlich des
Baues der Pali und der Columella habe ich dem Obigen nur noch
zuzufügen, dass beide schon ziemlich nahe am oralen Ende mit ein-
ander in Verbindung treten (man vergleiche die Ansicht von oben
pag. 11).
Die Entwicklung des Septalapparates, specieller die Art der Ver-
mehrung der Septen wurde auf die vorhin schon angedeutete Weise
an dem basalen Abschnitt studirt. Dieser wurde zu diesem Zweck
nach und nach abgeschliffen und die Schlifffläche, sobald sie eine
wesentlichere Veränderung zeigte, mittels der Camera lucida bei
immer gleichbleibender Vergrößerung gezeichnet. In dieser Weise
wurde fortgefahren, bis die Koralle auf der einen Seite (in Folge
einer geringen Neigung der Schliffebene zur Ansatzfläche) zu Ende
war und die Unterlage zum Vorschein kam, während auf der an-
Über Caryophyllia rugosa Moseley. 15
deren sich noch die Reste von 4 Septen und etwas basale und Seiten-
wand erkennen ließ. Die Zahl der bei dieser Operation erhaltenen
Zeichnungen beträgt 58 und schließt dieselbe, da das ganze bear-
beitete Stück kaum 2 mm hoch war und zwischen zwei Zeichnungen
die Schlifffläche immer mehrere Male kontrolirt wurde, Irrthümer
in der Bezeichnung der Septen vollständig aus. Die Zeichnungen
sind von der letzten, untersten, die mit 1 bezeichnet wurde, numerirt
und sollen nachfolgend kurz beschrieben werden. Einige sind hier
kopirt.
Zeiehnung 1. Es ist nur noch eine Hälfte der Basis vor-
handen, auf der noch 4 in der Mitte zusammentreffende und ein
kleiner Rest eines fünften Septum zu erkennen sind. Diese wurden
mit a, b, d, e, f bezeichnet. a und d, 5b und e liegen je einander
gegenüber; nahezu in einer Geraden. Zwischen a und 4, sowie zwi-
schen e und f ist der Rest einer centralen Theca vorhanden, zwischen
a und b, aber weit über die Grenze der Koralle hinausreichend,
liegen Theile einer Wurmröhre.
Zeichnung 2. Die Septen a, b, c, d, e, f sind deutlich zu
erkennen. Die Wurmröhre zeigt sich im Längsschnitt und viel voll-
ständiger als vorher und geht quer durch die Septen a und f.
Zeichnung 3. Die 6 Septen sind noch deutlicher und enden
frei im Centrum, nur 5 ¢ sind durch eine schmale Brücke mit ein-
ander verbunden. Die Wurmröhre nimmt noch dieselbe Lage ein,
erscheint aber nicht mehr im Durchschnitt, sondern in der Aufsicht,
nur an den beiden Enden sind zwei elliptische Löcher (Querschnitte)
zu bemerken.
Zeichnung 4. Diese Zeichnung ist hier in Fig. I kopirt; man
erkennt deutlich die primären, mit a—f bezeichneten Septen, von
denen 5 und ce noch verbunden sind, Anfänge einer inneren Mauer
zwischen « 5 und e f und den letzten Rest der öfter genannten
Wurmröhre w. Der weiß gelassene Theil der Zeichnung stellt die
theilweise verdickte Theca, die kleinen Kreise die Unterlage dar.
Aus dem geringen Umfang der Theca in den ersten Schliffen geht
hervor, dass die Basis in einer flachen Höhlung sitzt.
Zeichnung 5. Septum « und f sind im Centrum mit einander
verschmolzen, eben so 5, ce und d. 5 ist mit seinem peripherischen
Ende von der Theca abgelöst. Eine innere Theca ist vollständig
ausgebildet zwischen a 4, d e und e f, angedeutet zwischen 5 c
und a f. Zwischen den Septen «—b, e—f lassen sich an der Mitte
der inneren Thecastücke kleine Erhöhungen erkennen, die man als
16 G. v. Koch
Anlagen von Septen zweiter Ordnung betrachten muss (vgl. Fig. II).
Von der Wurmröhre ist der letzte Rest verschwunden.
Zeichnung 6. Abgebildet unter Nr. II.
322” ex Die centralen Enden von @ 6 und e d sind
" \ ziemlich unregelmäßig verbunden, 5 und d
sind von der Theca losgelöst, e in der Mitte
unterbrochen. Die innere Theca ist voll-
ständig, bis auf eine Lücke zwischen c
und d. Die in Fig. 5 bemerkten Andeu-
tungen von Septen zweiter Ordnung zwi-
schen a 6 und e f erscheinen jetzt schon
ganz deutlich, Andeutungen weiterer finden
sich zwischen d e und a f.
Zeichnung 7. Septen a, 6, e, e in
der Mitte verbunden. Die innere Theea zwischen « 5 und e f mit
den zunächst liegenden Theilen der äußeren Theca verbunden, die
Verbindungsstücke sind durchscheinend und erscheinen durch den
unterliegenden schwarzen Grund dunkel.
Zeichnung 8. Wie 7, doch ist auch noch zwischen a und f
der Raum, welcher innere und äußere Theca trennte, überbrückt.
Zeichnung 9 (siehe Fig. III). Septen erster Ordnung sämmt-
lich im Centrum mit einander verschmolzen, Septen zweiter Ord-
nung zwischen ab, de, e f, f « gleichmäßig ausgebildet, zwischen
a6 noch eine Hervorragung, die aber schon in 11 wieder ver-
schwindet. Nur zwischen 5 ce und e d noch Lücken in dem Zwischen-
raum der inneren und äußeren Theca, in den anderen Interseptal-
räumen sind die Stellen, wo früher Lücken waren, dunkler. (In
der Figur durch feine Punktirung angedeutet.)
Zeiehnung 10. Septum e frei, die Lücken zwischen d eund ce d
bis auf kleine Reste verschwunden. NB. Von jetzt an ist immer
nur der centrale Theil der Querschnitte gezeichnet, da die Dicke
der Theca durch sekundäre Anlagen ganz bedeutend ist. Sie zeigt
koncentrische Verdiekungslinien, die theilweise sehr deutlich sind.
Zeichnung 11. Septum d und e frei. Zwischen 5 e und ce d
deutliche Septen zweiter Ordnung, so dass jetzt die ersten beiden
Cyklen vollständig sind.
Zeichnung 12. Nur Septum f frei, das Übrige wie bei 11.
Zeichnung 13 (abgebildet Fig. IV). Eben so, aber zwischen a und 4
ist ein Septum dritter Ordnung zu bemerken (auf der Figur sind die Sep-
ten erster Ordnung mit 1, die der zweiten Ordnung mit 2 bezeichnet).
Zeichnungen 4 = J, 6 = II, 9 = III,
13 = IV der beschriebenen Serie.
_ der Figur mit 1* 1* bezeichnet, um anzu-
keit werden.
Über Caryophyllia rugosa Moseley. 17
Zeichnung 14. Septum 2 frei, c, d und eben so a, f, e mit
einander verschmolzen. Zwischen a und 5 2 kleine Septen dritter
Ordnung.
Zeichnung 15. Nur die Septen a, f, e mit ihren centralen
Enden verschmolzen. Zwischen « und f 2 kleine Septen dritter
Ordnung.
Zeichnung 16—19 (Fig. V). Die Septen verschmelzen ähn-
lich wie bisher im Centrum abwechselnd mit einander, in 18 alter-
nirend, so dass a, c, e verschmolzen, 4, d, f frei sind. Die 4 Septen
dritter Ordnung haben sich bedeutend entwickelt.
Zeichnung 20—22. Wenige Veränderungen. Das Septum
zweiter Ordnung zwischen a und 5 ist im Centrum mit 5 und d
verschmolzen.
Zeichnung 23 (Fig. VD. Die
Septen zweiter Ordnung zwischen a 6
und a f stehen in Größe wenig hinter
denen erster Ordnung zurück. Sie sind in
deuten, dass sie, wie sich in der Folge
ergeben wird, zu Septen erster Ord-
nung bei der scheinbaren Achtzählig-
Zeichnung 24—25. Zwischen _
b und c ein neues Septum dritter Ord- Game Tent
nung. -
Zeiehnung 26. Wieder ein neues Septum dritter Ordnung
zwischen 5 und c. Alle Septen erster Ordnung, sowie auch die 1*
im Centrum mit einander verschmolzen.
Zeichnung 27—28. Unwesentliche Veränderungen.
Zeichnung 29. Zwischen e d ein neues Septum dritter Ord-
nung.
Zeichnung 30 (Fig. VII). Zwischen d e zwei Septen dritter
- Ordnung angedeutet, eben so zwischen e f. — Durch die Zahlen
sind die Septen der ersten Ordnung mit 1, die der zweiten mit 2,
die der dritten mit 3 bezeichnet, in allen Sektoren, außer e d und ef,
wo je ein Septum dritter Ordnung fehlt, sind die Septen vollständig.
Zeichnung 30—38. Wenige Veränderungen, doch sind 2 neue
_ Septen dritter Ordnung nach und nach deutlich geworden. Sämmt-
liche 8 großen Septen sind im Centrum verschmolzen.
Zeichnung 39 (Fig. VIII). Die drei ersten Cyklen . sind
Morpholog. Jahrbuch. 15. 2
18 G. v. Koch
vollzählig durch die relative Größe der Septen zweiter Ordnung, in
den Sektoren 5 c und e f macht dieser Schnitt den Eindruck, als
sei die Koralle zehnzählig. Bezeichnung wie Fig. VI.
Zeichnung 40—46. An einzelnen Septen des ersten Cyklus
sind Vorsprünge »Synaptieula« zu sehen, an anderen ergiebt sich
aus der periodischen Verbreiterung und Verschiebung die wellen-
förmige Biegung, die oben beschrieben wurde. In den Sektoren a b
und a f zeigen sich Andeutungen von Septen vierter Ordnung.
Zeichnung 47 (Fig. IX). Die Septen
vierter Ordnung zwischen J a f sind ziemlich
deutlich. Die Koralle macht den Eindruck,
als sei sie regelmäßig achtzählig mit drei
Cyklen. — Auf dem inneren Ring sind die
wahren Bezeichnungen, auf dem äußeren die
scheinbaren, zum Unterschied von ersteren
durch ein * markirt, angegeben.
Zeichnung 48—54. Die Septen vierter
Ordnung in den Sektoren a 5 und a f er-
reichen nach und nach die Länge wie die
der dritten Ordnung in den übrigen Sektoren. Die Faltungen der
Septen erster und zweiter Ordnung werden immer deutlicher. Zu
bemerken ist, dass an den häufigen Verschmelzungen der Septen
im centralen Theil fast ausschließlich die Septen zweiter Ordnung
Theil nehmen, während die der ersten Ordnung in der Regel frei
endigen.
Zeichnung 47 der Serie.
Zeichnung 55 (Fig. X). Diese ist die
letzte von der beschriebenen Serie hier
wiedergegebene Zeichnung. Sie wurde dess-
halb gewählt, weil sie zwar schon ganz
den achtzähligen Typus zeigt, aber doch
noch die ursprünglich sechszählige Anord-
nung durchscheinen lässt. Die Übersicht
wird durch die beigefügten Zahlen er-
leichtert, von denen die ohne Index die
ersten drei wahren Cyklen, die mit einem *
versehenen die ersten beiden scheinbaren
Zeichnung 55 der Serie.
Cyklen bezeichnen.
Zeichnung 56—58. Bieten keine nennenswerthen Abwei-
chungen.
Auf den letzten Schliff der eben geschilderten Serie folgt das
Le EEE ZU ,
— ee ee ee z
Uber Caryophyllia rugosa Moseley. 19
Mittelstück (vergleiche das oben Gesagte), welches auf andere Weise
untersucht wurde, und konnte desshalb die Querschnittserie nicht
weiter geführt werden. Die obere Fläche dieses Mittelstückes (Fig. XI)
schließt sich ziemlich genau an Fig. X an, die Übereinstimmung der
Septen konnte durch in die Interseptalräume eingesteckte Steck-
nadeln mit einiger Wahrscheinlichkeit so festgestellt werden, wie
durch die der Abbildung beigeschriebenen Zahlen angedeutet ist.
Orale Schnittfläche des im Text erwähnten Mittelstückes. p Pali.
Danach ist dieser Schnitt ganz regelmäßig achtzählig, die 8 Septen
erster Ordnung stehen mit den Pali in Verbindung, die 8 Septen
der zweiten Ordnung sind frei, die 16 der dritten sind kürzer und
dünner und endigen ebenfalls frei. — Zieht man die aus den Quer-
schnitten sich ergebenden einzelnen Veränderungen des Skelets von
unserem Exemplar zusammen, so erhält man für die Entwicklung
des Septalapparates von Caryophyllia rugosa folgendes Resultat:
Es sind zuerst 6 Septen erster Ordnung vorhanden,
denen bald 6 zweiter Ordnung folgen. Beide sind voll-
ständig regelmäßig angeordnet. (Zeichnung 1—12.) Mit dem
Auftreten der Septen dritter Ordnung tritt eine Unregel-
mäßigkeit ein, indem dieseinzwei neben einander liegen-
den Sektoren (a 6, a f) eher auftreten als in den übrigen
und zugleich die zwischen ihnen liegenden Septen zweiter
Ordnung rascher wachsen als die gleichnamigen in den
vier anderen Sektoren. Auf diese Weise entstehen nach
2*
20 G. v. Koch, Über Caryophyllia rugosa Moseley.
und nach 8 größere Septen (6 erster und 2 zweiter Ord-
nung) und 8 kleinere (4 zweiter und 4 dritter Ordnung
(vgl. Fig. VI) und die Koralle bekommt den Anschein, als
sei sie achtzählig. Nun wird zwar erst der dritte Cyklus
vollständig und der Zahl der Septen nach die hexamerale
Symmetrie wieder hergestellt, aber bald nachher treten
in den genannten zwei Sektoren 8 Septen vierter Ord-
nung auf. Die Gesammtzahl steigt dadurch auf 32 und,
indem diese nicht weiter überschritten wird, auch die
Septen sich der Größe nach in drei Cyklen zu 8, 8, 16
Septen ordnen und schließlich 8 Pali angelegt werden,
tritt der oetomerale Typus ganz rein zu Tage. Wir haben
also hier vor uns das interessante Beispiel einer im Alter vollständig
regelmäßig achtzähligen Koralle, welche in ihrer Jugend
sechszählig war.
Es ist nun noch anzuführen, dass MoseLry versichert, bei einem
zerschnittenen Exemplar von Caryophyllia rugosa an der Basis be-
stimmt 8, nie 6 Septen gesehen zu haben. Ich würde nicht wagen,
nach einem Bruch oder Schnitt eine solche Behauptung aufzustellen
und glaube, auf die vorhin beschriebene Untersuchung gestüzt:
MosELEY hat sich getäuscht.
Darmstadt, den 10. December 1888.
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges.
Von
Wladimir Schewiakoff
aus St. Petersburg.
(Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg.)
Mit Tafel I—III.
Veranlassung zu vorliegender Arbeit gab die von der philoso-
_phischen Fakultät der Universität Heidelberg für das Jahr 1858 ge-
stellte zoologische Preisfrage.
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf die Randkörper fol-
gender Formen: Charybdea marsupialis Per. et Les., Aurelia
aurita Lam., Cyanea capillata Esch., Rhizostoma pulmo
Agass. und Pelagia noctiluca Per. et Les. Von diesen Formen
habe ich in Folgendem nur den Bau der beiden ersteren beschrieben,
da bei den übrigen keine besonders differenzirten Organe zur Licht-
empfindung, d.h. Pigmentflecke, nachgewiesen werden konnten. Zwar
behauptet Ermer! bei Rhizostoma pulmo Agass. (Cuvieri aut.)
einen Pigmentfleck und bei Cyanea capillata Esch., wenn keinen
besonderen Pigmentfleck, so doch einzelne Pigmentzellen gesehen zu
haben; ich konnte mich aber an den Exemplaren, welche mir zu Ge-
bote standen, davon nicht überzeugen.
Es war mir leider unmöglich, lebende Exemplare zu untersuchen ;
‘ich musste mich mit konservirtem Material begnügen, welches mir
durch die Freundlichkeit der Herren Prof. ©. Bürschuı, Prof. F.
_Biocumann und C. HıLGER, sowie Dr. H. Deus, denen ich hier-
mit meinen aufrichtigsten Dank ausspreche, zur Verfügung gestellt
wurde.
3 ! Tu. Eimer, Die Medusen physiologisch und morphologisch auf ihr Ner-
_ vensystem untersucht. Tübingen 1878. pag. 153 und 171.
22 Wladimir Schewiakoff
Historisches.
Es liegt durchaus nicht in meiner Absicht, auf eine nähere
Schilderung der geschichtlichen Entwicklung unserer Kenntnisse über
den Bau der Randkörper der Acalephen einzugehen; um so mehr,
als dieselbe bereits von O. und R. HErTwıG! eingehend gegeben
wurde, auf welches Werk daher zu verweisen ist. Ich beabsichtige
nur, in aller Kürze die Schriften zu erwähnen, in welchen die von
mir untersuchten Formen in Bezug auf ihren Randkörperbau, nament-
lich während des letzten Decenniums, behandelt wurden. Ich thue
dies hauptsächlich aus dem Grunde, um die Punkte hervorzuheben,
in welchen meine Beobachtungen von den früheren abweichen.
Die Randkörper der Charybdea wurden zuerst von GEGENBAUR*
in seinen schönen und eingehenden Untersuchungen der Randkörper
verschiedener Medusen beschrieben. Er erkannte vollkommen richtig.
ihre allgemeine Gestalt und ihren Bau, sowie die Lage der beiden
mit Linsen versehenen Augen. Ferner beobachtete er noch mehrere
»des lichtbrechenden Körpers entbehrende Pigmentflecke« (pag. 244),
erklärte aber ihre Gestalt und Lagerung für unbeständig.
Der histologische Bau dieser höchst interessanten Charybdea-
Augen wurde erst viel später von CLaus® untersucht. Er beschrieb
im Allgemeinen vollkommen getreu die Anordnung und den feineren
Bau sämmtlicher histologischen Elemente bis auf einige Details, auf
welche ich bei der speciellen Beschreibung der Sinnesorgane einzu-
gehen haben werde. Doch entging diesem genauen Beobachter der
komplicirte und nicht uninteressante Bau des sogenannten Glas-
körpers, sowie der in gewisser Hinsicht sehr wichtige Übergang der
Retinazellen in Linsenzellen, wodurch die Auffassung über den Ur-
sprung der Linse vollkommen geändert wird. Gleichfalls differiren
unsere Auffassungen über die Funktion der im proximalen Endab-
schnitt des Randkörperendes gelegenen Zellen.
Fast zu vollkommen denselben Resultaten wie CLaus kam auch
CARRIERE*, so dass er nur die Angaben des ersteren bestätigte. Der
! 0. und R. Herrwic, Das Nervensystem und die Sinnesorgane der Me-
dusen. Leipzig 1878.
2 C. GEGENBAUR, Bemerkungen über die Randkörper der Medusen. MüÜr-
LER’s Archiv für Anat. und Phys. 1856. pag. 241—244.
3 C. CLAUS, Untersuchungen über Charybdea marsupialis. 1878. (Sep-Abdr.
a. d. Arb. d. zool. Inst. zu Wien. Heft 2.)
4 J. CARRIERE, Die Sehorgane der Thiere. München und Leipzig 1885.
pag. 92—95.
nn a Sei ee As ee
ee
Beitrige zur Kenntnis des Acalephenauges. 93
ganze Unterschied in seiner Beschreibung (pag. 94) besteht darin,
dass er Pigmentkérnchen im vorderen Abschnitt der Sehzellen an-
traf, die »Linsenkapsel« aber vermisste und das Centrum der Linse
hohl fand, »von einem feinen Gerinnsel erfiillt«.
In gewisser Beziehung nicht uninteressant sind Haacke’s! Unter-
suchungen der Sinnesorgane der verwandten Charybdea Rastonii
Haacke, über deren Entwicklung er einige Angaben macht. So
besitzen die jungen Individuen dieser Art sechs Augen, die in Zahl,
Lage und Bau vollkommen mit jenen der Char. marsupialis
übereinstimmen. Bei erwachsenen Exemplaren fand Haacke nur
die beiden mit Linsen versehenen Augen, so dass die vier Pigment-
augen rückgebildet werden. Gleichzeitig soll der Glaskörper der
Linsenaugen verschwinden und »zu Gunsten der wachsenden Linse
resorbirt werden« (pag. 603), was ich jedoch für unwahrscheinlich
halte.
Der Bau der Randkörper von Aurelia aurita wurde nach
EHRENBERG?, welcher den Pigmentfleck entdeckte, am eingehendsten
von O. und R. Herrwic® geschildert. Sie beschrieben vollkommen
richtig nicht nur die äußere Gestalt und Lage des Randkörpers,
sondern auch seinen histologischen Bau. In ihrer schönen Arbeit
wiesen sie nach, dass der auf der Umbrellarseite des Randkörpers
gelegene Pigmentfleck oder Ocellus aus zweierlei Zellen aufgebaut
wird, welche von der darunter liegenden Nervenschicht innervirt
werden. Hierdurch wurde der Beweis geliefert, dass der Pigment-
fleck als ein lichtpereipirender Apparat aufzufassen sei. ’
Craus* entdeckte bei Aurelia noch ein besonderes Sinnes-
organ in der Grube, welche auf der umbrellaren Fläche der Deck-
platte gelegen ist und deutete es als Riechorgan.
Diesen drei Forschern entging aber das eigenthümlich gebaute
Becherauge, welches stets dem Pigmentfleck gegenüber auf der sub-
umbrellaren Fläche des Randkörpers sich befindet.
ı W. Haacxe, Uber die Ontogenie der Cubomedusen. Zool. Anz. IX.
Nr. 232. 1886. pag. 554—555 und Scyphomedusen des St. Vincent Golfes.
Jenaische Zeitschr. f. Naturw. Bd. XX. 1887. pag. 596—597 und pag. 602—604.
2 0. G. EHRENBERG, Die Acalephen des rothen Meeres und die Organisa-
tion der Medusen der Ostsee. Berlin 1836.
3 O0. und R. HERTWwIG, |. c. pag. 109—115.
4 0. CLAus, Studien über die Polypen und Quallen der Adria. Denkschr.
der math.-naturw. Klasse der k. Akad. der Wissensch. Wien. Bd. XXXVIII
1877.
24 Wladimir Schewiakoff
Dieses Auge wurde von Ermer! beobachtet und als »innerer Pig-
mentfleck« beschrieben, jedoch sonderbarerweise von anderen For-
schern später nicht berücksichtigt. Ermer erkannte vollkommen richtig
seine Lage und sein äußeres Aussehen, sowie die nicht uninter-
essante Thatsache, dass seine Pigmentzellen dem Entoderm ange-
hören. Der feinere Bau wurde aber von Emer nicht genauer studirt
und aus diesem Grunde deutete er es als einen Pigmentfleck, wogegen
sein Bau, wie wir weiter sehen werden, bedeutend komplieirter ist
und dem Typus der Becheraugen entspricht.
Die Randkörper der übrigen von mir untersuchten Acalephen
(Cyanea, Pelagia und Rhizostoma) wurden von AGAssız?, GE-
GENBAUR?, CLaus!, O. und R. HErTwıG®, Emer®, HAECKEL? und
Anderen beschrieben. Am eingehendsten die von Pelagia von GE-
GENBAUR und O. und R. Herrwiıg. Alle diese Forscher (mit Aus-
nahme von Ermer, s. pag. 21) fanden bei den erwähnten Formen
gar keine zur Lichtempfindung dienenden Gebilde, was ich nach
eigenen Untersuchungen bestätigen muss.
Methode der Untersuchung.
Das Material, an welchem ich meine Untersuchungen angestellt
habe, war im Allgemeinen gut konservirt und eignete sich vortreff-
lich zum Studium der histologischen Verhältnisse. Nach der bei-
gefügten Angabe wurden folgende Konservirungsflüssigkeiten ange-
wandt: Osmiumsäure, Pikrinsäure, Pikrinschwefelsäure,
Sublimat und Chromessigosmiumsäure.
Von den mannigfachen Färbungsmitteln, die versucht wurden,
erwies sich am besten das DerArızrv’sche Himatoxylin. Ich
gebrauchte stets sehr schwache wässrige Lösungen, in welche die
Randkörper auf 24—48 Stunden eingelegt wurden.
Die in Paraffin eingebetteten Objekte wurden in verschiedenen
Richtungen in feine Schnittserien von 0,008—0,004 mm Dicke zer-
legt. Zum Entfernen des Pigments gebrauchte ich auf Empfehlung
1 TH. Ermer, |. c. pag. 163—164.
2 L. AGassiz, Contributions to the natural history of the United States
of America. Vol. III—IV. 1860—1862.
3 ©. GEGENBAUR, |. c. pag. 237—239.
4 C. Craus, Polypen und Quallen ete. 1. e.
50. und R. Hertwie, 1. c.
6 TH. Ermer, l. c. pag. 152—155 und 169—171.
7 E. HAECKEL, Das System der Medusen. I. Jena 1879.
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 95
des Herrn Prof. ©. BürscHLıi gewöhnliches Chlorwasser, wel-
ches mit etwa %, Wasser verdünnt wurde. Die Objekte wurden da-
mit so lange behandelt, bis das Pigment völlig entfärbt war, was
gewöhnlich bis zu 24 Stunden beanspruchte. Solche Präparate muss-
ten sehr gut ausgewaschen werden, da sonst Färbungen schwer ge-
langen. Zum genaueren Studium der nervösen Elemente wurde auf
gütige Anweisung des Herrn Dr. K. Mays die GoLsT'sche Goldme-
thode angewandt, welche ganz gute Dienste leistete. Das Verfahren
bestand in Folgendem: Die Randkörper wurden auf eine halbe
Stunde in !/;, Gige Arsensäure eingelegt und darauf in !/, Yiges
Goldehloridkali auf 20—30 Minuten übergeführt. Nach ge-
hörigem Auswaschen wurde das Objekt in 1 ige Arsensäure der
Wirkung der Sonnenstrahlen bei einer Temperatur von 45° C. auf
3—4 Stunden ausgesetzt und dann in üblicher Weise zu Schnitt-
„serien weiter bereitet. An solehen Präparaten wurden auch Färbungen
- angestellt, wobei sich GRENACHER’s Alaunkarmin am besten be-
währte, welches nur Kernfärbungen gab.
Zum Studium der einzelnen histologischen Elemente sind auch
Macerationen versucht worden, die bekanntlich an lange konservirten
Objekten schwer gelingen. Ich folgte dabei im Allgemeinen der
Herrwig’schen Methode. Die Randkörper wurden auf '/, Stunde
in ein Gemisch von 0,2% Essigsäure und 0,05% Osmium-
säure in Meerwasser gelegt, in 0,2%iger Essigsäure ausge-
waschen und damit weiter 5—6 Tage behandelt. Darauf wurden
sie mit BEALE’schem Karmin gefärbt, in einzelne Theile zerschnitten
und auf dem Objektträger mit Präparirnadeln in Glycerin zerzupft.
Ein nachheriges Klopfen mit dem Perkussionshammer auf das Deck-
- glas ermöglichte eine bessere Trennung der histologischen Elemente.
Nicht unvortbeilhaft erwies sich auch das Zerzupfen und Zer-
klopfen von dünnen Schnitten in Kanadabalsam.
I. Charybdea marsupialis Péron und Lesueur.
1. Allgemeine Gestalt und Bau des Randkörpers. Lage der Augen.
Die Sinnesorgane der Charybdea finden sich (gleich denen der
übrigen Acalephen) auf den in der Vierzahl vorhandenen Rand-
oder Sinneskörpern (Fig. 1—4 R&A), welche im Grunde der
sogenannten Sinnesnischen (SN) entspringen. Letztere liegen
perradial unweit des Glockenrandes (Fig. 1—4 GR) und bilden
26 Wladimir Schewiakoff
ziemlich tiefe, ovale bis herzförmige Gruben der umbrellaren Seiten-
flächen der Glocke. Diese Gruben oder Sinnesnischen sind apical-
wärts (in Bezug auf die Meduse) stark ausgehöhlt und werden an
dieser Stelle von etwa dreieckigen, stark vorgewölbten Lamellen.
den sogenannten Deckplatten (Fig. 1, 2 und 4 DP), welche die
Fortsetzung der Schirmumbrella bilden, überdacht. Basalwärts fällt
die Wand der Sinnesnischen ziemlich steil zur Glockenfläche ab und
erscheint wulstartig aufgetrieben (Fig. 2 und 4). In der Mitte des
Nischenbodens, also genau perradial, bemerkt man eine Furche,
welche als Längsfurche (Fig. 1—2 Lf) weiter bis zum Glocken-
rande verläuft. Zu beiden Seiten dieser Furche erheben sich zwei
Längswülste der Umbrella (Fig. 1,2 und 4 LW), welche gleich-
falls bis zum Glockenrande reichen und den Sinnesläppchen
(Ephyralappen) anderer Acalephen entsprechen. Der Glocken-
rand setzt sich in ein ziemlich breites Velum (Fig. 3 und 4 J’)
fort, welches senkrecht zur randlichen Glockenfläche steht und an
der Subumbrella (Fig. 4 SU) durch vier etwa dreieckige Septen
(Fig. 3 und 4 Sp) oder Frenula (Cuaus) befestigt wird. Jedes
Septum liegt einer der Längsfurchen direkt gegenüber und erscheint
im Profil (Fig. 4) als eine keilförmige Platte, welche bis zur Sinnes-
nische (SV) hinaufreicht. Längs der ganzen Platte bemerkt man
einen Verwachsungsstreifen (Fig. 4 VS) der beiden Gefäßlamellen
(umbrellare und subumbrellare), welcher sich somit zwischen der
Längsfurche der Umbrella und dem Kiele des Septum der Subum-
brella ausspannt und bis zum vordersten Ende der Sinnesnische reicht.
Genau an dieser Stelle (Fig. 4), also wo die Glockenwand am
dünnsten erscheint und Umbrella und Subumbrella eine innige Ver-
wachsung mit einander bilden, entspringt der Randkörper (RA), wel-
cher frei in der Sinnesnische (SV) hervorragt. An demselben (Fig. 5
und 6) lassen sich bekanntlich zwei Abschnitte unterscheiden: ein 0,6 mm
langer basaler oder Stiel (S) und ein 0,8 mm langer und 0,6 mm
breiter peripherer oder Sinneskolben (SA). Der erstere ent-
springt apicalwärts im Grunde der Sinnesnische, verjüngt sich distal-
wärts etwas kegelförmig und ist in eine seichte Vertiefung des
Sinneskolben eingefügt. Letzterer ist länglich, kopfartig aufgetrieben
und mit seiner Längsachse zum Stiele gewöhnlich schräg gestellt.
Seine Gestalt ist ziemlich unregelmäßig, im Großen und Ganzen ellip-
soidal mit einem hügelartigen Vorsprunge (Fig. 5 DO) an der Fläche
(UF), welche gewöhnlich nach unten (subumbrellar) gewandt ist.
Zur bequemeren Orientirung der einzelnen zu besprechenden Theile
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 97
wollen wir diese Fläche als untere (Fig. 5 UF), die ihr gegen-
überliegende als obere Randkörperfläche (Fig 5 OF) und die
beiden dazwischen liegenden als die entsprechend linke und rechte
Seitenfläche (Fig. 6 ZF und RF) bezeichnen.
Im peripheren Abschnitte des Randkörpers, d. h. im Sinnes-
kolben, liegen die mannigfaltig gebauten Sinnesorgane folgender-
maßen angeordnet. Das Distalende wird von einem mächtigen
0,36 mm langen, 0,24 mm breiten Otolithensacke (Fig. 5 und 6
Ot) eingenommen, welcher kopfartig nach außen vorspringt. Proxi-
malwärts von ihm, genau in der Medianlinie der unteren (subum-
brellaren) Fläche, liegen hinter einander zwei große, mit Linsen
versehene Augen. Das eine derselben, näher zum Otolithen ge-
legene — distale Linsenauge (Fig. 5 und 6 DO) ist bedeutend
größer und über die Oberfläche des Sinneskolben stark vorgewölbt,
wodurch auch die hügelartige Konfiguration der unteren Fläche her-
vorgerufen wird. Das zweite — proximale Linsenauge (Fig. 5
und 6 PO) springt gleichfalls ziemlich stark nach außen vor und
seine Linsenachse steht nahezu senkrecht zu der des ersteren. Bei-
derseits des proximalen Linsenauges, also auf der rechten und linken
Seitenfläche, liegen noch vier Augen. welche paarweise und voll-
kommen symmetrisch angeordnet sind. Ihr Bau ist bedeutend ein-
facher, da sie der Linse entbehren und als becherförmige nach außen
offene Einstülpungen erscheinen. Das distale Paar — distale Be-
cheraugen (Fig. 5 und 6 Do) — liegt in einer Ebene, die in der
mittleren Entfernung zwischen den beiden Linsenaugen senkrecht zur
Medianebene des Randkörpers steht. Diese Augen sind spaltförmig,
langgestreckt und schräg distalwärts gerichtet. Das Paar der proxi-
malen Becheraugen (Fig. 5 und 6 Po) liegt gleichfalls symme-
trisch zu beiden Seiten des proximalen Linsenauges, aber diesem
etwas näher. Diese Augen sind bedeutend kleiner und erscheinen in
der Flächenansicht etwa nierenförmig. Außer den aufgezählten sechs
Augen, welche bereits CLAus nnd CARRIERE beschrieben haben, fand
ich an drei von zwölf untersuchten Randkörpern, die verschiedenen
Exemplaren augehörten, noch ein Auge, dessen Lage aber sehr
wechselnd war. In zwei Fällen lag es auf der rechten Seitenfläche
proximalwärts vom proximalen Becherauge und näher zu ihm; ein
Randkörper dagegen trug es auf seiner unteren Fläche genau in der
Medianebene zwischen den beiden Linsenaugen. Es war stets äuberst
klein, 0,04 mm und erschien als eine ganz seichte Einsenkung des
Körperepithels (Fig. 9).
38 Wladimir Schewiakoff
Nach außen wird der gesammte Randkörper von einem ein-
schichtigen Ektoderm (Fig. 7 Ec) bekleidet. Dasselbe ist nicht
überall gleich, sondern ändert seinen Charakter an verschiedenen
Stellen. So sind sowohl die ganze Oberfläche des Otolithensackes
wie die oberflächlichen Partien der beiden Linsenaugen von einem,
aus äußerst flachen Zellen bestehenden, Plattenepithel überkleidet
(Fig. 7 C und Pe). Von diesen Stellen aus verdiekt sich der Epi-
thelüberzug allmählich ganz bedeutend und erreicht seine größte
Dicke in der Hervorwélbung, welche sich auf der oberen Randkör-
perfläche befindet und den beiden Linsenaugen direkt gegenüber steht
(Fig. 7 Se).
Dieser an gewissen Stellen des Randkörpers (Fig. 7 Se) verdickte
ektodermale Epithelüberzug oder das Sinnesepithel setzt sich aus
zweierlei Arten sehr langer und schmaler Zellen zusammen, welche
als Stütz- und Sinneszellen zu bezeichnen wären.
Die ersteren sind eng mit einander verbunden und bilden, wie
man an Flächenschnitten sehen kann (Fig. 8 Stz), ein reticulires
Netzwerk, in dessen Hohlräumen die Sinneszellen (Sr2) liegen, welche
möglicherweise durch feine protoplasmatische Fortsätze mit den Stütz-
zellen in Verbindung treten. Was die Gestalt dieser Zellen anbe-
trifft, so sind die Stützzellen mehr oder weniger eylinderförmig (Fig. 9
und 22 Sz) und enthalten in ihrem peripheren Abschnitte einen Kern;
centralwärts verschmälern sie sich allmählich und laufen meistens in
einen feinen Fortsatz aus, der an manchen Stellen bis zur Stützla-
melle zu verfolgen ist. Die Sinneszellen (Fig. 9 und 22 Sz) sind
schmal spindelförmig und verjüngen sich nach beiden Enden in sehr
dünne und lange Fortsätze. Der ovale Kern liegt in der spindel-
förmigen Anschwellung, welche in verschiedener Höhe der Zellen
auftritt und somit die ungleiche Länge der peripheren und centralen
Fortsätze bedingt. Diese beiderlei Zellen liegen sehr dieht an ein-
ander und rufen auf den ersten Blick den Anschein einer Mehr-
schichtigkeit des Epithels hervor; jedoch fällt es nicht schwer, durch
Vergleich der Längs- und Flächenschnitte sich vom wirklichen Sach-
verhalt zu überzeugen. Die gegenseitige Zahl dieser zweifachen
Zellen ist eine ziemlich wechselnde: an einigen Stellen überwiegen
an Zahl die cylindrischen, an anderen die spindelförmigen Zellen.
Letzteres ist namentlich an der Hervorwölbung der oberen Rand-
körperfläche der Fall (Fig. 7). Nach Analogie mit den Randkör-
pern anderer Acalephen ist es sehr wahrscheinlich, dass diese
Sinneszellen mit Cilien besetzt sind, eine Vermuthung, welche bereits
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 99
von CLAus! ausgesprochen wurde. Nach dem, was ich von Cilien-
resten gesehen habe, glaube ich vermuthen zu diirfen, dass die
Stiitzzellen mit vielen kleinen und kurzen Cilien besetzt sind, da-
gegen die Sinneszellen ein stärkeres und längeres Sinneshaar tragen.
Im Inneren des Randkörpers befindet sich eine unregelmäßig
viereckige, 0,36 mm lange und 0,22 mm breite ampullenartige Höhle
(Fig. 7), welche durch einen engen im Stiele verlaufenden Kanal
(Gv) mit dem Gastrovascularraume kommunieirt. Ihre Wand
wird von einem einschichtigen Flimmerepithel — Entoderm (En)
ausgekleidet. Die Zellen dieses inneren Epithels sind lang, eylin-
derförmig (0,03 mm lang) und enthalten in ihrer Mitte einen scharf
begrenzten ellipsoidalen Kern mit einem deutlichen, stark tingir-
baren Kernkörperchen.
Das entodermale Flimmerepithel wird nach außen von einer
sehr dünnen, 0,001 mm dicken, gallertartigen Stützlamelle
(Fig. 7 St!) begrenzt. Dieselbe ist nichts weiter als die Fortsetzung
der Schirmgallerte und lässt sich durch den Stiel, wo sie bedeutend
dicker (0,01 mm) ist, verfolgen. Sie umkleidet nicht nur das En-
toderm des ampullenartigen Hohlraumes, sondern umgiebt auch den
Hohlraum des Otolithensackes, woselbst sie als eine äußerst dünne
Lage unterhalb des ektodermalen Plattenepithels (Fig. 7 Pe) ver-
läuft. Die Substanz dieser Lamelle erscheint größtentheils homogen
und entbehrt, wie bereits CLaus? nachgewiesen hat, jeglicher Zellen-
elemente; von Farbstoffen, namentlich von Hämatoxylin, wird sie
stark tingirt. Die Stützlamelle, welche die obere und proximale
Epithelwand des inneren Hohlraumes umkleidet, erscheint unbedeu-
tend dicker (0,003 mm) und ist von zarten Fibrillen durchzogen.
Diese Fibrillen wurden seiner Zeit von Craus? an anderen Stellen
der Gallerte (unterbalb der Längsfurchen, welche zwischen den
_ Kanten- und Seitenflächen des Charybdeakörpers verlaufen) gefunden
und als Gebilde gedeutet, welche die Rigidität der Gallerte erhöhen.
Außer dieser eigenthiimlichen Struktur sieht man noch von der
der oberen Randkörperfläche zugekehrten Partie der Stützlamelle
- mehrere gleichfalls fibrilläre, lamellenartige Fortsätze entspringen
(Fig. 7 Gi, welche sich, mehrfach theilend, in sehr dünne, faden-
förmige Fäserchen auslaufen. Diese Fortsätze stehen meist senkrecht
zur Oberfläche der Stützlamelle, durchziehen die dicke Nervenfaser-
schieht (Nf) und verbinden sich mit den zarten Fortsätzen der
A OUAUS; “1c: pare. 30.0" ~2 EI pag./d8. EEE pag. 40.
30 Wladimir Schewiakoff
Stützzellen des Sinnesepithels (Se). Bedeutend zahlreicher sind diese
Fortsätze im proximalen Endabschnitte des Sinneskolben vorhanden
(Fig. 7 G). In dieser Gegend bemerkt man außerdem noch einen
ziemlich dicken (0,02 mm) gallertigen Stiel (G.S?), welcher bis zur
Linse des proximalen Linsenauges reicht und derselben als Stütze
dient. . Proximalwiirts von diesem Stiele entspringen ganze Bündel
gallertige Fasern (G), welche sich nach verschiedenen Richtun-
gen des Raumes mehrfach theilen und sogar unter einander ana-
stomosiren. Auf diese Weise entsteht ein maschiges Wabengerüst
(Fig. 7, 11 und 22 G) von gallertiger Stützsubstanz, dessen zarte
Ausläufer sich wiederum mit den Fortsätzen der Stützlamellen des
Sinnesepithels verbinden. Ja, man gewahrt sogar in diesen Netz-
fasern einzelne langgestreckte Kerne (Fig. 22 »), welche zweifellos
den Kernen der Stützzellen entsprechen und somit den Ursprung des
Wabengerüstes und der Stützlamelle selbst erläutern.
Dieses gallertige Gerüstwerk dient zweifellos zur Stütze des in
der proximalen Randkörperregion mächtig entwickelten Nervenge- .
webes und besonders der zarten Ganglienzellen (Gz.m), die daselbst
in großer Zahl angehäuft sind. Bei einigen Exemplaren gewahrt
man eine entsprechende gallertige Lamelle auch von der der unteren
Randkörperfläche zugekehrten Stützlamelle entspringen (Fig. 7 G).
Dieselbe liegt in der Medianebene des Randkörpers zwischen den
beiden Linsenaugen und gabelt sich in mehrere dünne Ausläufer,
welche gleichfalls mit den centralen Enden der Stützzellen in Ver-
bindung stehen.
Nach außen von der Stützlamellenschicht (den Otolithensack natür-
lich ausgenommen), also zwischen derselben und dem ektodermalen
Epithelüberzug, befindet sich eine mächtige Schicht von Nervenge-
webe (Fig. 7 Nf), welche ihrem Volumen nach den größten Theil
der Randkörpersubstanz bildet. Diese Nervenmasse umfasst allseitig
die Sehorgane, welche in dieselbe wie in ein Polster eingesenkt er-
scheinen. Auf den feineren Bau der Nervenschicht werde ich weiter
unten eingehen.
2. Bau der einzelnen Augen.
a. Proximale Becheraugen (Fig. 5, 6, 10 und 11 Po).
Die zwei, auf den beiden Seitenflächen gelegenen proximalen
Augen zeigen einen verhältnismäßig ziemlich einfachen Bau. Sie
sind in die Körperoberfläche eingesenkt und besitzen die Gestalt
, ae
>
“
5
4
4
&
:
Beitriige zur Kenntnis des Acalephenauges. 31
eines kleinen, 0,08 mm tiefen Bechers (Fig. 10 Po), der nach außen
offen und nach innen kolbenartig erweitert ist. Derselbe ist in der
Längsrichtung des Randkörpers etwas komprimirt und an seiner
distalen Wand schwach eingebuchtet, so dass sein Querschnitt etwa
nierenförmig (Fig. 11 Po) erscheint. Der innere Hohlraum des
Bechers, welcher nach außen sich halsförmig verengt, wird von einer
Retinaschicht umgeben.
Retina. Die Retina besteht aus radiär angeordneten Zellen,
welche allmählich in die Epithelzellen des Ektoderms (Fig. 10) über-
gehen. Entsprechend den letzteren lassen sich auch zweierlei Art
Retinazellen unterscheiden, welche vollkommen dieselbe Anordnung
und einen ähnlichen Bau wie die beschriebenen Sinnesepithelzellen
besitzen.
Die einen sind länglich, eylindrisch, mit gerade abgestutztem
oder kegelartig erweitertem centralen (in Bezug auf den Augenbecher)
und gewöhnlich ziemlich spitz auslaufendem peripheren Ende (Fig. 10
und 11 Pz). Die vorderen Abschnitte dieser Zellen sind mit gelb-
braunem bis dunkelbraunem feinkörnigen Pigment erfüllt, welches sich
bis über die Hälfte der Zellen erstreckt und öfters sogar den in der
Mitte gelegenen Kern verdeckt. Jedoch sind nicht alle Zellen gleich-
- mäßig pigmentirt, sondern die einen mehr, die anderen weniger;
eine besonders starke Pigmentanhäufung zeigen die Retinazellen der
_ distalen eingebuchteten Becherwandung (Fig. 10 und 11 DW).
Alle diese Zellen wären wegen der beschriebenen Einlagerung als
Pigmentzellen zu bezeichnen. Sie entsprechen den Stützzellen
des Sinnesepithels und stehen gleichfalls unter einander in netzigem
Zusammenhang.
Zwischen den Pigmentzellen, d. h. in den Maschen des Netz-
oder Wabenwerks sind die nach einem anderen Typus gebauten Zel-
len (Fig. 10 und 11 Sz) eingelagert, welche als lichtpereipirende
Elemente erscheinen und demnach als Sehzellen zu bezeichnen
- wären. Sie sind bedeutend länger als die Pigmentzellen und besitzen
eine spindelférmige Gestalt mit zwei schmalen, verschieden langen
Ausläufern.
Die spindelférmigen Anschwellungen der Sehzellen, welche einen
ovalen Kern enthalten, lagern sich zwischen den kegelförmig aus-
laufenden peripheren Fortsätzen der Pigmentzellen und füllen auf
diese Weise die entstandenen Lücken aus. Mit ihren langen cen-
tralen Enden schieben sie sich aber zwischen die Centraltheile der
Pigmentzellen hinein und endigen auf gleicher Höhe mit denselben,
32 ' Wladimir Schewiakoff
wobei sie öfters eine kegel- oder knopfartige Erweiterung zeigen.
Von diesen Erweiterungen entspringen kleine geißelartige Fäden,
welche in den Innenraum des Augenbechers hineinragen und von
denen man an einigen Stellen ziemlich deutliche Reste gewahren
kann. Der ganze periphere Abschnitt der Sehzellen scheint aus
einem etwas dichteren (stärker lichtbrechenden) Protoplasma zu be-
stehen und ist gleichfalls pigmentirt. Die Pigmentkörner liegen aber
hier nicht im Inneren des stäbchenartigen Fortsatzes, sondern an
seiner Peripherie, wie man sich leicht an Querschnitten überzeugen
kann. (Vgl. den entsprechenden Querschnitt der Retina des distalen
Linsenauges Fig. 19.)
Die peripheren Fortsätze der Sehzellen sind bedeutend kürzer
als die centralen und laufen in dünne Fasern aus, welche sich direkt
in die Nervenfasern fortsetzen. Zuweilen sieht man sogar eine direkte
Verbindung derselben mit den darunter liegenden centralen Fasern
der Ganglienzellen (Fig. 10 und 11 Gz).
Glaskörper. Der innere, etwa birnförmige Hohlraum des Au-
genbechers wird von einer fein granulirten Masse, dem Glaskörper,
ausgefüllt (Fig. 10 und 11 Gi), in welcher sehr kleine gelbe Pig-
mentkörnchen anzutreffen sind. Diese Masse erfüllt aber an Präpa-
raten nicht den ganzen Innenraum des Bechers, sondern ist ge-
wöhnlich auf seine Mündungsregion beschränkt und verschließt
pfropfartig die nach außen führende Öffnung (Fig. 10). Ich ver-
muthe jedoch, dass diese einseitige Ansammlung des Glaskörpers kein
. normales Verhältnis bildet, sondern durch die beim Konserviren statt-
findende Gerinnung verursacht wurde. Es ist wohl sehr wahrschein-
lich, dass der Glaskörper, im lebenden Zustande von zähflüssiger
Konsistenz, den ganzen Hohlraum erfüllt, da man an mehreren Stel-
len der Retinawand einzelne Reste desselben gewahrt, welche den
Pigmentzellen fest anliegen. Daraus wäre aber wohl zu schließen,
dass der Glaskörper von den Pigmentzellen abgesondert wird, was
auch desshalb noch wahrscheinlicher wird, weil er an den Stellen,
wo die Pigmentzellen zahlreicher sind (im oberen distalen Abschnitte
des Bechers), sich massenhafter vorfindet.
Demnach würde der beschriebene Glaskörper die Funktion eines
Schutzgebildes der feinen cilienartigen Fortsätze der Sehzellen be-
sitzen, welche in denselben hineinragen. Letztere sind äußerst zart
und sehr schwer zu beobachten; von ihrem Vorhandensein überzeugt
man sich jedoch am besten an Macerationspräparaten.
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 33
b. Distale Becheraugen (Fig. 5, 6, 10 und 11 Do).
Die beiden distalen Augen sind genau nach demselben Typus
wie die proximalen gebaut. Sie erscheinen als 0,23 mm lange,
0,07 mm breite und 0,1 mm tiefe, langgestreckte taschenartige Ein-
stiilpungen des Sinnesepithels mit schräg distalwärts gerichteter
‘ Längsachse (Fig. 5, 6 und 10 Do). Die der oberen Randkörper-
- fläche zugewendete Kante des spaltförmigen Augenbechers (Breite
0,009 mm) ist in proximaler Richtung unbedeutend umgebogen. Die
Umbiegung fehlt im oberflächlichen Theil des Augenbechers noch
und wächst gegen den Bechergrund zu (Fig. 11 Do) allmählich
_ stärker aus. Der ganze innere Hohlraum des Augenbechers wird
- von Retinazellen ausgekleidet, welche vorn unmittelbar in das Sinnes-
_ epithel übergehen (Fig. 10).
Retina. Die Retinaschicht besitzt vollkommen denselben Bau
wie bei den proximalen Augen. Sie wird gleichfalls aus zweierlei
Zellen, nämlich Pigment- und Sehzellen (Fig 10 und 11 Pz
und Sz) aufgebaut. Diese Zellen sind aber nicht über die ganze
Becherwandung gleichmäßig vertheilt, ja es zeigen sogar einige
Pigmentzellen eine Abweichung in der Form, welche Craus (I. ce.)
nicht berücksichtigte. Die Zellenelemente, welche die distale Wand
(Fig. 10 und 11 DW) bilden, entsprechen in Bau und gegen-
seitiger Anordnung vollkommen denen der proximalen Augen. Der
einzige Unterschied, welcher hervorzuheben wäre, ist eine geringere
Pigmentirung der Pigmentzellen und bisweilen ein Fehlen der-
_ selben in den Sehzellen. Um so stärker ist aber die Pigment-
_ ansammlung in den Pigmentzellen der proximalen Wand (PW).
_ Dieselben zeigen auch eine abnorme Gestalt, in so fern ihr centrales
Ende stark kolben- oder birnförmig aufgetrieben erscheint. Peri-
- pherisch verjüngen sich die Zellen unbedeutend, um weiter eine
- spindelförmige Anschwellung zu bilden, die den Kern enthält, und
- in einen spitzen peripheren Faden ausläuft.
| Diese Zellen sind am stärksten in dem der oberen Randkörperfläche
- näher gelegenen Ende des Augenbechers ausgebildet, wo das Lumen
des inneren Hohlraumes am engsten ist, und gehen in der Richtung
zur unteren Randkörperfläche allmählich in die gewöhnlichen Pig-
_ mentzellen über. An dieser Stelle (Fig. 11) sind die Sehzellen am spär-
- liehsten vorhanden, ja scheinen sogar bisweilen vollkommen zu fehlen.
Dafür wird aber die am oberen Ende der Einstülpung proximalwärts
Morpholog. Jahrbuch. 15. 3 :
34 Wladimir Schewiakoff
einspringende Ausbuchtung ausschließlich von Sehzellen erfüllt, die —
des Pigments vollkommen entbehren, so dass diese Stelle pigment-
los erscheint (Fig. 11 bei Sz). Im Umkreise dieser Ausbuchtung finden
wir auch die größte Ansammlung der Ganglienzellen (Fig. 11 Gz).
Glaskörper. Alles, was wir über den Glaskörper bei den
proximalen Becheraugen gesagt haben, bezieht sich auch auf die
distalen. Die größte Menge Glaskörper finden wir ebenfalls in der
Mündungsregion (Fig. 10 G/); in der Tiefe dagegen nur einzelne Par-
tien desselben, welche der gesammten Retinawand fest anhaften und
besonders deutlich an der proximalen Wand zu sehen sind. An
einigen Präparaten erscheint hier (Fig. 11 PW) der Glaskörper so-
gar in Gestalt von kleinen, halbkugeligen, stark pigmentirten Kap-
pen, welche die Pigmentzellen überdecken.
Dagegen findet man keine Spur von Glaskörperresten in der
proximalwärts einspringenden Umbiegung, dagegen einzelne, ziem-
lich deutliche, eilienartige Fortsätze (Fig. 11), welehe von den cen-
tralen Enden der Sehzellen entspringen. Dieses Verhältnis bestätigt
wiederum die weiter oben ausgesprochene Vermuthung, dass der
Glaskörper ein Abscheidungsprodukt der Pigmentzellen ist.
ec. Grubenartiges Auge (Fig. 9).
Diese äußerst kleinen, 0,04 mm im Durchmesser fassenden Augen
kommen, wie oben bemerkt wurde, ziemlich selten vor. Ihr Bau
erläutert gewissermaßen die Entstehungsweise der eingesenkten
Becheraugen. Es handelt sich um grubenartige Vertiefungen des
Sinnesepithels, in welchen man wiederum zweierlei Zellformen ge-
wahrt (Fig. 9 Pz und Sz).
Dieselben unterscheiden sich von den Sinnesepithelzellen des
Randkörpers nur dadurch, dass die eylinderförmigen Stützzellen (Stz)
pigmentirt erscheinen.
d. Distales Linsenauge (Fig. 5—7, 12—14 und 16—20).
Dieses Auge besitzt im großen Ganzen die Gestalt eines abge-
platteten Rotationsellipsoids (Fig. 7) mit einer Längsachse (= Augen-
achse) von 0,03 mm und einer 0,4 mm langer Querachse. Die
äußere (periphere) Region der nach außen vollkommen abgeschlossenen
Augenblase ist konvex über die Randkörperoberfläche vorgewölbt,
wogegen die innere Folregion etwas abgeflacht erscheint. — An
dem Auge lassen sich folgende Theile unterscheiden:
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 35
1) Cornea. Die über die Oberfläche konvex vorspringende Au-
genpartie wird nach außen durch ein flaches Plattenepithel (Fig. 7
und 12 C) begrenzt. Diese sogenannte Cornea bildet die unmittel-
bare Fortsetzung des Körperepithels und besteht aus einer Schicht
äußerst niederer (0,001 mm), aber breiter (0,006 mm) Zellen. Sie
sind glashell, anscheinend strukturlos und enthalten einen mit Hä-
matoxylin stark tingirbaren Kern, welcher fast das ganze Zelllumen
-ausfiillt. Diese Zellenschicht erstreckt sich nur auf die konvexe
Hervorwölbung, welche durch die darunter liegende Linse verur-
sacht wird und besitzt eine gleichmäßige Dicke. Im Umkreise dieser
Region nimmt sie allmählich an Dicke zu und geht in das Körper-
epithel (Sinnesepithel) über, welches aus zweierlei Zellen aufgebaut
wird.
2) Linse. Dicht unterhalb der Cornea, durch keine Zwischen-
schicht getrennt, befindet sich die Augenlinse (Fig. 7 Z). Sie ist
meist kugelig (Durchmesser 0,22 mm) oder ellipsoidal und dann in
der Richtung der Augenachse oder senkrecht zu derselben unbedeu-
tend gestreckt, so dass die Differenz beider Achsen etwa 0,018 mm
beträgt. An ihren beiden Polen ist die Linse ungleichmäßig gewölbt
und zwar am äußeren schwächer als am inneren.
Die Linse ist ein deutlich zelliges Gebilde, an dem man zwei
Schichten von Zellen unterscheiden kann: eine schmale periphere
und eine centrale. Die Zellen der peripheren Schicht sind kolben-
förmig und an einem Ende in spitz auslaufende, sehr stark licht-
brechende Fäden ausgezogen (Fig. 7 und 12 Zz). Die kolbenartig
aufgetriebenen Enden der Zellen, welche stets einen scharf umschrie-
benen rundlichen Kern enthalten, legen sich an die Oberfläche der
Linse an und entsenden ihre dicht an einander verlaufenden Fort-
sätze zum äußeren Pole, wo die sich entgegenkommenden höchst
wahrscheinlich zwischen einander greifen. Die feinen Fortsätze sind
zu dünn und zu dicht an einander gedrängt, als dass man ihr gegen-
seitiges Verhalten ermitteln könnte.
Die Zellen der centralen Schicht (Fig. 7) sind verhältnismäßig
groß, eylindrisch und in der Richtung der Augenachse langgestreckt.
Die in der Mitte der Linse gelegenen sind vollkommen eylindrisch,
die der Peripherie genäherten dagegen mehr oder weniger bogen-
förmig, mit ihren beiden Enden der Achse zugeneigt. Auf diese
Weise erscheint der Centraltheil der Linse bis auf den innersten
Theil aus koncentrisch über einander greifenden Zellen aufgebaut.
Das Protoplasma dieser Zellen ist feinkörnig granulirt und
=
36 Wladimir Schewiakoff
ziemlich stark lichtbrechend. In einigen Zellen gewahrt man auch
einen kleinen, rundlichen, ziemlich schwer tingirbaren Kern.
Der zellige Bau der Linse wurde bereits von CLaus! erkannt,
jedoch die Anordnung der Zellen nicht vollkommen ermittelt. Car-
RIERE? bemerkte nichts von den Zellen der centralen Schicht und
beschrieb das Centrum der Linse als »hohl, von einem feinen Ge-
rinnsel erfüllt.
3) Retina. Die etwa napfförmig gestaltete, innen mehr oder
weniger abgeflachte und nach außen zu sich verengende Augenblase
wird von einer Retinaschicht (Fig. 7 AR) ausgekleidet. Letztere
reicht bis zur Cornea, umfasst also die Linse hinten und seitlich, so
dass dieselbe in der Retina wie eingebettet liegt und nur mit ihrem
äußersten, konvex vorgewölbten Pole aus dem Retinabecher hervor-
schaut. In Wirklichkeit ist aber die Linse in den Retinanapf nicht
nur einfach eingesenkt, wie es CrAus und ÜARRIERE beschrieben
haben, sondern bildet, wie wir noch sehen werden, die äußere um-
gewandelte Wand der ursprünglichen Augenblase.
Die Retina ist einschichtig und wird aus radiär angeordneten
Zellen zusammengesetzt. Dieselben sind im Augengrunde am läng-
sten, nämlich bis 0,025 mm, verkürzen sich allmählich gegen die
Cornea und gehen schließlich in die Linsenzellen über (Fig. 12).
Der größte Theil der Retinaschicht, mit Ausnahme ihres äußersten
cornealen Abschnittes, besteht, wie bei den Becheraugen, aus zweierlei
Zellformen: cylindrischen bis kegelförmigen Pigmentzellen (Fig. 12
und 13 Pz und Fig. 14) und spindelförmigen Sehzellen (Fig. 12
und 13 Sz und Fig. 16 a—c).
Die gegenseitige Anordnung dieser beiden Arten von Retinazellen
entspricht vollkommen jener der Sinnesepithelzellen und lässt sich
am besten an Querschnitten der Retina erkennen. Führt man einen
Schnitt durch die obere (centrale in Bezug auf den Augenmittelpunkt)
Region der Retina (etwa in der Höhe z, y, der Fig. 13), so gewahrt
man ein protoplasmatisches, stark pigmentirtes Maschenwerk (Fig. 19),
in dessen Knotenpunkten die dunklen Pigmentzellen (Pz), in dessen
Maschen aber die Durchschnitte der centralen Enden der Sehzellen
(Sz) liegen. In tiefer geführten (etwa in der Höhe z, y, der Fig. 13)
Schnitten (Fig. 20), wo die spindelförmigen Anschwellungen der Seh-
zellen (Sz) und die peripheren Fortsätze der Pigmentzellen (Pz) ge-
troffen sind, erblickt man das gleiche Verhältnis.
11. '¢.. pag. 37. 2]. ce. pag. 94.
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 37
Die Gestalt der Retinazellen ist ungemein variabel und ‚wäre
durch die Wachsthumsverhältnisse, welche durch ihre gegenseitige
Lage bedingt werden, zu erklären. Namentlich sind es die Pig-
mentzellen, welche in ihrer Gestalt sehr differiren, wie man aus
Fig. 14 a—e ersehen kann. Im Allgemeinen sind sie kegelförmig
mit erweitertem, gerade abgestutztem oder abgerundetem centralen
Ende (c) und spitz auslaufendem peripheren Ende (p). Zuweilen
zeigen sie in ihrer Mitte eine spindelförmige Anschwellung an der
Einlagerungsstelle des Kernes (x) und erscheinen dann flaschenförmig
(Fig. 14 d und c). Sie werden fast in ihrer ganzen Länge von fein-
körnigem Pigment erfüllt, dessen Ansammlung im centralen Drittel
am stärksten ist, wesshalb dieses dunkelbraun erscheint.
Die dazwischen liegenden 0,04 mm langen spindelförmigen Seh-
zellen (Fig. 16 a—c) sind meist an ihrem centralen Ende (c) knopf-
artig erweitert und setzen sich in ein langes, stark lichtbrechen-
des, fadenartiges Gebilde (S¢) fort, welches bis zur Linse reicht
(Fig. 12 und 13). Das centrale dünne Ende der Sehzellen ist, wie
bereits CARRIERE! gefunden hat, pigmentirt. Das Pigment durch-
setzt aber nicht das ganze Protoplasma des centralen Zellenab-
schnittes, sondern ist auf seine Oberfläche beschränkt (Fig. 19 Sz),
so dass der innere, axiale, stark lichtbrechende Theil vollkommen
frei von demselben ist. Auch ist das Pigment in Gestalt von äußerst
kleinen Körnchen in der unterhalb der Retinaschicht gelegenen Ner-
venfaserschicht vorhanden (Fig. 7, 12 und 13 P). Die Sehzellen
sind am längsten im Grunde der Retina; an der Seitenwand des
_ Augenbechers werden sie kürzer (Fig. 7) und in seiner äußeren Re-
gion sogar spärlicher an Zahl, bis sie am äußersten Ende derselben
vollkommen schwinden (Fig. 12). Dieser äußerste Rand des Retina-
bechers besteht ausschließlich aus eigenthümlich gebauten Pigment-
zellen (Fig. 7 Ir, Fig. 12 Irz) und wurde bereits von OLAus? und
' später von CARRIERE? mit einer Iris verglichen. Ihrer Gestalt
nach ähneln diese Zellen sehr den Pigmentzellen, welche im oberen
_ Ende der proximalen Retinawand der proximalen Becheraugen an-
- zutreffen sind. Sie sind spindelförmig (Fig. 12 Irz und Fig. 14 e)
mit spitz auslaufendem oder zuweilen etwas erweiterten peripheren
und sehr mächtigem birnförmig angeschwollenen centralen Ende,
welches sehr stark pigmentirt ist.
Diese Iriszellen, wenn man sie so nennen darf, stoßen auf den
1], ¢. pag. 9. 2 ]..e, pag. 37. 3]. c. pag. 9.
38 ° Wladimir Schewiakoff
Rand des äußersten Abschnittes der Linse (Fig. 12), welche in diesem
Parallelkreis schwach eingeschnürt erscheint, und gehen allmählich in
Linsenzellen über. Der Übergang vollzieht sich, indem das Pigment
vollkommen schwindet und der annähernd in der Mitte der Zelle
gelegene Kern sich allmählich in den centralen Abschnitt der Zelle
verschiebt. Hand in Hand mit dieser Verlagerung des Kerns wird
auch die mittlere, den Kern führende, spindelförmige Anschwellung
ausgeglichen und wir bekommen Zellen mit kolbig angeschwollenem,
den Kern enthaltenden, centralen und faserförmig ausgezogenen, pe-
ripheren Ende, d. h. typische Linsenzellen (Fig. 12 Lz), wie sie die
periphere Schicht der Linse bilden.
Dieser kontinuirliche Übergang der Retinazellen in Linsenzellen
führt uns aber zum Schlusse, dass das distale Linsenauge eine voll-
kommen abgeschlossene Blase ist, deren äußere Wandregion sich
zu einer kugeligen Linse, die übrige aber zu einer napfförmigen
Retina differenzirte. Diese für die Morphologie jenes Auges grund-
legende Thatsache erkannte zuerst Prof. BürschLı bei der Durch-
sicht meiner Präparate.
4) Sogenannter Glaskörper. Zwischen Retina und Linse be-
findet sich eine glashelle, anscheinend strukturlose Substanz, der
sogenannte Glaskörper, welcher den Innenraum der Augenblase voll-
kommen ausfiillt. An demselben lassen sich zwei verschieden stark
tingirbare Schichten unterscheiden, die jedoch nicht bei allen unter-
suchten Randkörpern mit Deutlichkeit wahrzunehmen sind.
Die eine Schicht (Fig. 7, 12 und 13 A.G/) ist ziemlich dünn,
0,007 mm dick, hyalin und umgiebt die ganze in die Augenblase
eingesenkte Oberfläche der Linse. Von CLaus'! wurde sie als »Lin-
senkapsel« beschrieben, von CARRIERE? dagegen vermisst. Sie ist
wohl zweifellos ein Abscheidungsprodukt der Linsenzellen, denen sie
auch fest anliegt.
Weit interessanter und komplieirter ist der Bau der anderen,
bedeutend dickeren Schicht (Fig. 7, 12 und 13 GJ), welche im Längs-
schnitt der Augenblase halbmondförmig oder C-förmig erscheint
(Fig. 7 Gl). Sie liegt der Retina unmittelbar an, reicht aber nicht
bis an das äußerste Ende derselben, sondern erstreckt sich bloß bis
zum Beginn der Iriszellen (Fig. 12 Zr). Von dieser Stelle ab wird
die Lücke zwischen Retina und Linse von der ersterwähnten, hya-
linen Schicht ausgefüllt. Diese zweite, von CLaus? als »mit zahl-
112,6. pag. 97. 2]. ce.‘ pag. 9. 8 |e.) pag. Sie
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 39
reichen Tröpfehen erfüllte Substanz«, von CARRIERE! als »blasige
Gallertmasse« beschriebene Schicht erscheint vollkommen homogen,
- ziemlich stark lichtbrechend und ist zweifellos ein Absonderungs-
{ produkt der darunter gelegenen Pigmentzellen. Ihre ganze Masse
wird von radiär verlaufenden, gegen die Linse zu kegelförmig zu-
gespitzten Röhren (Fig. 7, 12 und 13) durchzogen, in welchen die
sehr stark lichtbrechenden fadenartigen Fortsätze der Sehzellen (S7?),
welche mit Stäbchen zu homologisiren wären, eingelagert sind.
Diese Fortsätze, welche den knopfartig angeschwollenen cen-
tralen Enden der Sehzellen aufsitzen (Fig. 12, 13 und 15 a—e) oder
vielmehr eine direkte Fortsetzung derselben bilden, durchsetzen zum
- Theil in schiefen Zügen die ganze Glaskörperschicht sowohl wie die
hyaline, der Linse anliegende Schicht und reichen bis zur Peripherie
der Linse, wo sie meistens zwischen zwei Linsenzellen endigen (Fig. 12
und 13). Die axialen, d. h. in der Nähe der Augenachse gelege-
nen, fadenartigen Fortsätze scheinen an der Grenze der beiden Glas-
körperschichten sich zu gabeln oder anastomosiren sogar mit den
_ benachbarten Fortsätzen. Im retinalen Abschnitte des Glaskörpers,
zwischen den ihn durchziehenden hohlen Röhren, findet man noch
_ Ansammlungen von Pigmentkörnchen (Fig. 7 und Fig. 12—13 Ph),
welche den centralen Enden der Pigmentzellen kegelförmig aufsitzen
und etwa bis zur halben Höhe der Glaskörperschicht reichen.
Der beschriebene Bau des Glaskörpers lässt sich ganz gut an
medianen Längsschnitten erkennen; jedoch fällt es ziemlich schwer,
das Verhältnis der fadenartigen Fortsätze zu den Pigmentkegeln fest-
zustellen. Am geeignetsten erweist sich aber zu diesem Zwecke
das Studium von Quer- oder vielmehr Flächenschnitten. Auf den-
selben (Fig. 18) erscheint der Glaskörper als eine homogene, an-
- scheinend strukturlose Masse (G/), die von rundlichen oder polygonalen
Öffnungen gitterartig durchbrochen ist. Diese Öffnungen (Querschnitte
‘der hohlen Röhren) sind von größeren oder kleineren Partien von
_ Pigmentkörnehen (Querschnitte der Pigmentkegel PA) umgeben und
_ enthalten in ihrer Mitte ebenfalls rundliche oder polygonale Quer-
schnitte (St) der fadenartigen Fortsätze. Letztere erscheinen bedeu-
tend stärker lichtbrechend als die sie umgebende Glaskörpersubstanz
und werden von Hämatoxylin schwach tingirt.
tl.c. pag. 94.
40 Wladimir Schewiakoff
e. Proximales Linsenauge (Fig. 5, 6 PO, Fig. 7, 15, 16 d—e
und 21).
Sein Bau ist im Allgemeinen der des distalen Linsenauges. Der
hauptsächlichste Unterschied liegt darin, dass nicht die äußere, son-
dern die seitliche und zwar proximale Wand der vollkommen ab-
geschlossenen Augenblase (Fig. 7) sich zur Linse differenzirte. Da-
zu gesellt sich, dass die Augenblase nicht frei in der Nervenmasse
eingebettet liegt, sondern von einem besonderen Stiele (Fig. 7 G.Sé),
welcher einen Fortsatz der Stützlamelle bildet, getragen wird.
Das unbedeutend konvex über die Randkörperfläche vorsprin-
gende Auge besitzt eine mehr oder weniger kugelige oder zuweilen
etwas eckige Gestalt von 0,22 mm im Durchmesser. Es wird aus
denselben Theilen wie das distale Auge zusammengesetzt, so dass
ich die Beschreibung ziemlich kurz fassen kann und nur die Punkte
erwähnen werde, in denen sein Bau von dem des erst beschriebenen
differirt.
1) Cornea. Die äußere Begrenzung der abgeschlossenen Augen-
blase bildet ein durchsichtiges und niederes (0,001 mm) Plattenepi-
thel (Fig. 7 C) — die Cornea, welche allmählich in das Körperepi-
thel übergeht.
2) Linse. Die Linse besitzt die Gestalt eines gestreckten Ro-
tationsellipsoids, dessen große Achse 0,19 mm, die beiden kleinen
dagegen 0,13 mm betragen. Mit ihrer großen Achse steht sie senk-
recht zur Medianebene des Randkörpers (Fig. 6 P.O), so dass die
eine der kleinen Achsen die Augenachse bildet. Ihrem Bau nach
bildet die Linse die proximale Wand der Augenblase und besteht
aus deutlichen, stark lichtbrechenden Zellen (Fig. 7 ZL), welche
ebenfalls in zwei Schichten gesondert sind: in eine oberfläch-
liche, die aus langen, spindelförmigen, meridional verlaufenden
Zellen besteht und eine centrale Schicht, die von bedeutend dicke- °
ren bogenförmigen, ähnlich verlaufenden Zellen zusammengesetzt
wird. In beiderlei Zellen werden Kerne mit Deutlichkeit wahrge-
nommen. Die Linse wird innen von einer knopfartig erweiterten,
cylindrischen, 0,1 mm langen und 0,02 mm dicken Stütze (Fig. 7
G.St) getragen. Dieselbe bildet die Fortsetzung der Stiitzlameile
und ist innerlich von langen Entodermzellen ausgefüllt. An der
Peripherie der Linse angelangt, zerfasert sie sich in mehrere dünne,
lamellenartige oder fadenförmige Fortsätze (Fig. 7 G). Letztere
schieben sich zwischen die spindelförmigen Zellen der peripheren
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 41
Linsenschicht ein und verleihen der Linse wahrscheinlich eine größere
Festigkeit.
3) Retina. Die distale Wand der Augenblase wird von einer
einschichtigen Retina (Fig. 7 2) ausgekleidet, so dass dieselbe auf
medianen Längsschnitten etwa halbmondförmig erscheint. Sie wird
wiederum aus zweierlei Zellen zusammengesetzt: Pigmentzellen
(Fig 15 a—e) und Sehzellen (Fig. 16 d—e). Ihre Gestalt und
gegenseitige Anordnung sind im Allgemeinen so, wie sie beim di-
stalen Linsenauge beschrieben wurden. Da wo die Retina an die
Linse tritt, d. h. wo die Retinazellen in Linsenzellen allmählich über-
gehen, findet eine gewisse Abweichung in der Anordnung ihrer Zel-
len statt, in so fern hier nur eine Zellenart vorkommt.
So besteht der äußere Abschnitt der Augenblase nur aus Pig-
mentzellen (Fig. 15a—), die an ihrem centralen (c) Ende (in Bezug
auf den Augenmittelpunkt) birnförmig angeschwollen und sehr stark
pigmentirt sind und die demnach den sogenannten Iriszellen ent-
sprechen.
Der ‘innerste Abschnitt der Augenblase (Fig. 7) wird dagegen
nur von Sehzellen gebildet, welche in der Nähe der Stelle, wo sie
in Linsenzellen übergehen, vollkommen pigmentlos (Fig. 16 e) er-
scheinen. An dieser Stelle wird die Retina von dem gallertigen
Stiele (Fig. 7 @.St) durchbrochen, welcher in der beschriebenen
Weise an die Linse tritt. _
4) Glaskörper. Zwischen der distalen Partie der Retina und
der Linse befindet sich der sogenannte Glaskörper (Fig. 7 Gd), wel-
cher jedoch nicht den ganzen inneren Hohlraum der Augenblase
ausfiillt. Er findet sich nur in der Strecke, wo die beiderlei Zellen
vorhanden sind, so dass die äußerste und innerste Wand der Au-
genblase keinen Glaskörper tragen. Er bildet eine glashelle, stark
- liehtbreehende homogene Masse und wird von feinen Röhren durch-
zogen (Fig. 21), welche bogenförmig nach dem äußeren Ende der
Augenblase konvergiren. An dieser Stelle treten auch die in den
_ Röhren verlaufenden fadenartigen Fortsätze der Sehzellen an die
Linse heran. Die cilienartigen kurzen Fortsätze der Sehzellen,
welche den innersten Abschnitt der Retina bilden (Fig. 7), werden
nicht vom Glaskörper umgeben, sondern endigen frei im Innenraum
der Augenblase.
Die Pigmentirung des Glaskörpers ist ebenfalls eine etwas an-
dere als beim distalen Auge. So erscheint die centrale, der Retina-
‚schicht anliegende Wand des Glaskörpers vollkommen pigmentlos ;
42 Wladimir Schewiakoff
dafür findet sich aber eine Pigmentansammlung in seiner peripheren
Wand, die in Gestalt von kleinen gelbbraunen Körnchen (Fig. 7 P)
in der ganzen Masse ziemlich gleichmäßig vertheilt sind.
Eine besondere, die Peripherie der Linse unmittelbar umgebende,
hyaline Schieht scheint zu fehlen. Ich vermuthe, dass ihre Funktion
durch die gallertigen mesodermalen Fortsätze, die zwischen den pe-
ripheren Linsenzellen verlaufen, ersetzt wird.
3. Nervengewebe.
Entsprechend den komplieirten Verhältnissen, welche der Bau der
Augen, namentlich der Linsenaugen, zeigt, besitzt auch das Nerven-
system der Charybdea einen hohen Grad der Entwicklung. Das
Nervengewebe bildet eigentlich die Grundsubstanz des Randkörpers
und erfüllt seine innere Partie, welche durch die Stützlamelle und
die ektodermale Epithelschicht begrenzt wird (Fig. 7, 10 und 11 Nf).
In Folge seines histologischen Baues und der damit zusammenhän-
genden Funktion wäre man berechtigt, an ihm sogar zwei Abschnitte
zu unterscheiden, die als peripheres und centrales Nerven-
system zu bezeichnen wären.
Der periphere Abschnitt erstreckt sich auf den ganzen Rand-
körper mit Ausnahme seines distalen und proximalen Endes, von
welchen ersteres vom Otolithensacke und letzteres von dem sogenann-
ten centralen Nervensysteme eingenommen werden.
Das Nervengewebe des ersteren Abschnittes umfasst allseitig
die sämmtlichen 6—7 Augen, so dass letztere in dasselbe wie in
ein Polster eingesenkt erscheinen. Der Hauptmasse nach wird es
von äußerst feinen, sich verästelnden und unter einander anastomo-
sirenden Fibrillen gebildet ‘Fig. 11 Nfb), in welche zahlreiche Gan-
glienzellen (Gz) eingelagert sind. Diese Nervenschicht wird von
dünnen Fädchen durchzogen, welche transversal zwischen dem Körper-
epithel und der Stützlamelle verlaufen (Fig. 7, 10 und 11 Sf). Diese
Fädchen sind lediglich Fortsätze der Stützzellen des Sinnesepithels,
welche bis zur Stützlamelle reichen und mit derselben in Verbin-
dung treten. Besonders deutlich ist dieses Verhältnis am proximalen
Ende des Randkörpers, unweit der Insertionsstelle des Stieles (Fig. 7)
zu sehen, wo die Fädchen bedeutend dicker sind. Auch glaube ich
gesehen zu haben, dass die peripheren Fortsätze der Pigmentzellen
der Retina gleichfalls in solche Fädcehen: auslaufen. Diese Fädchen,
welche mit den Ausläufern der Sehzellen oder Ganglienzellen nicht
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 43
zu verwechseln sind, wären als Stützfasern zu bezeichnen. Sie
_ unterscheiden sich von den nervösen Fädchen erstens durch ihr op-
_ tisches Verhalten, welches an das der Stützlamelle erinnert und
_ zweitens dadurch, dass sie von Gold nicht, dagegen von den ge-
wohnlichen Färbungsmitteln, wie Hämatoxylin, Boraxkarmin, stärker
als die nervösen Elemente tingirt werden.
Die in der Nervenschicht eingelagerten Ganglienzellen sind sehr
zahlreich an der Stelle, wo die Nervenmasse an die Retina heran-
tritt (Fig. 7, 10 und 11 Gz) und stehen radiär zur Oberfläche der
eingestülpten Augenblase. Sie sind spindelförmig, an jedem Ende
in einen feinen Ausläufer ausgezogen (Fig. 17 a). Der centrale
Fortsatz der Ganglienzellen verbindet sich direkt mit dem peri-
pheren Ende der Sehzellen, wogegen ihr peripherer Fortsatz in die
Nervenschicht ausläuft. Zuerst als ein ziemlich stark lichtbrechen-
der Faden sichtbar, mengt er sich im Verlauf den Nervenfibrillen
bei und kann dann nicht weiter verfolgt werden. Diese Ganglien-
zellen wären nach Bau und Lage als bipolare Retinaganglien-
zellen zu bezeichnen, zum Unterschied von den tiefer in der peri-
pheren Nervenschicht gelegenen — multipolaren Retinaganglien-
zellen (Fig. 17 6). Letztere verlaufen stets etwa senkrecht zur
"Richtung der ersteren (Fig. 7, 10 und 11) und sind am schönsten
im Umkreise des distalen Linsenauges ausgebildet. Sie sind in
bedeutend geringerer Zahl vorhanden und liegen meist unweit der
Stützlamelle in der äußeren Nervenfaserschicht eingebettet, in welche
sie zahlreiche feine Fortsätze entsenden. Eine direkte Verbindung
dieser mit den peripheren Fortsätzen der bipolaren Ganglienzellen
konnte jedoch wegen ihrer Feinheit nicht nachgewiesen werden.
Außer den Ganglienzellen finden sich in der Nervenfaserschicht noch
äußerst kleine gelbe Pigmentkörnchen (Fig. 7 P) eingelagert,
die stets in der Nähe der Retina anzutreffen sind.
Das sogenannte centrale Nervensystem beschränkt sich
auf das proximale Randkörperende (Fig. 7), welches gegen die untere
‚Randkörperfläche bauchartig aufgetrieben ist. Es wird aus verschie-
den großen (circa 0,008 mm bis 0,01 mm im Durchmesser) nackten
Ganglienzellen gebildet (Fig. 7, 11 und 22 Gz.m), die in den Ma-
schen des oben beschriebenen, aus Stützlamellensubstanz bestehenden
Wabengerüstes (Fig. 7, 11 und 22 G) liegen. Diese Ganglienzellen
besitzen zahlreiche Fortsätze, welche sich theils an die Wände des
- Wabengerüstes anlegen, theils in Verbindung mit den Fortsätzen be-
nachbarter Ganglienzellen treten.
N
44 Wladimir Schewiakoff
Außerdem bemerkt man an einigen von ihnen 1—2 stärkere
Fortsätze, welche in die Nervenfaserschicht sich begeben und sich
zwischen den zarten Fibrillen verlieren oder in deutliche Verbin-
dungen mit den Ganglienzellen der peripheren Schicht treten. Das
Protoplasma dieser multipolaren Ganglienzellen ist feinkörnig
granulirt (Fig. 22 Gz.m) und enthält in der Mitte einen großen,
rundlichen (0,004—0,07 mm langen), scharf kontourirten Kern (x)
mit 1—2 stark glänzenden Kernkörperchen (rel).
Somit bekommen wir im Wesentlichen dasselbe Verhältnis, wel-
ches wir bei dem Sinnesepithel und der Retina angetroffen haben,
d. h. ein aus Stüzlamellensubstanz bestehendes, zur Stütze dienen-
des Wabengerüst, in dessen Knotenpunkten noch einzelne Kerne (7)
anzutreffen sind, in dessen Maschen aber die Ganglienzellen liegen.
Der Größe nach sind die Ganglienzellen des centralen Nerven-
systems ziemlich verschieden: man unterscheidet größere, mehr gegen
die Seitenflächen des Randkörpers, also in der Nähe und zwar
proximalwärts von den proximalen Becheraugen gelegene (Fig. 11
und 22 Gz.m) und kleinere, welche auf der unteren Randkörper-
fläche direkt hinter dem proximalen Linsenauge liegen (Fig. 7 Gz.m).
Diese letzteren hielt CLaus! nicht für Ganglienzellen und sprach die
Vermuthung aus, dass sie als Stützzellen für die zarten Ganglien-
zellen dienten. Nach meinen Beobachtungen glaube ich aber gerade
das Gegentheil behaupten zu können und zwar aus folgenden Grün-
den: 1) besteht ein allmählicher Übergang zwischen den beiderlei
Zellen (Fig. 11 und 22), welche auch durch ihre Fortsätze mit ein-
ander in Verbindung stehen: 2) zeigen sie dasselbe Verhalten zu
den Goldfärbungen, indem sie violett tingirt werden und 3) kann
eine direkte Verbindung derselben mit Ganglienzellen der peripheren
Schieht, ja sogar mit den Sehzellen des proximalen Becherauges
wahrgenommen werden. Alle diese Umstände sprechen sehr für
ihre nervöse Natur, so dass ich keinen Grund sehe, ihnen dieselbe
abzusprechen. Der ganze Unterschied, abgesehen von der geringe-
ren Größe, besteht darin, dass sie die Maschen des gallertigen Wa-
bengerüstes enger ausfüllen, d. h. näher an einander liegen und
nicht durch lange und spitze, sondern durch kleine und kurze Fort-
sätze mit einander verbunden sind. An einigen Stellen legen sich
diese Ganglienzellen so nah und fest an einander, dass sie eine
1]l.c. pag. 39.
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 45
kontinuirliche Protoplasmamasse bilden, welche vom dünnfädigen
Stützgerüst durchsetzt wird.
Außer den Ganglienzellen bemerkt man im proximalen Endab-
schnitte des Randkörpers noch eine dichte, fein fibrilläre Nerven- |
masse (Fig. 7), welche von der peripheren Nervenfaserschicht sich
unterscheidet und deren Bedeutung mir unerklärlich blieb.
Eine besonders mächtige Lage bildet das Nervengewebe an der
oberen Randkörperfläche (Fig. 7), welche hügelartig angeschwollen
ist und vom dicken Sinnesepithel (Se) überzogen wird. Diese Ner-
venschicht (Nf) besteht aus dünnen, feinen Fibrillen, in welche
zahlreiche Ganglienzellen eingebettet sind. Sie wird in ihrer ganzen
Dicke von dünnen lamellenartigen Fortsätzen (G) der Stützlamelle
(St.2) durchzogen, die sich in dünne Fäden zerfasern, welche in die
Fortsätze der Stützzellen des Sinnesepithels übergehen. Es unter-
liegt keinem Zweifel, dass diesem Abschnitte des Randkörpers eine
Sinnesfunktion zukommt.
II. Aurelia aurita Lamarck sp.
1. Allgemeine Gestalt und Bau des Randkörpers.
Die in der Achtzahl vorhandenen Randkörper liegen bekannt-
lich zwischen je zwei Randlappen (RZ) in den seichten Einker-
bungen des Schirmrandes. An diesen Stellen (Fig. 23 und 24)
erhebt sich über die Schirmoberfläche ein polsterartiges Gebilde —
Triehterplatte (TP) nach Craus! (Deckplatte der Autoren).
welche eine etwa kolben- oder herzförmige Gestalt besitzt. Ihr
Rand ist am Schirmrande stark aufgewulstet und geht weiter cen-
tralwärts allmählich in die Schirmoberfläche über. Die umbrellare
Fläche der Trichterplatte besitzt nach dem Schirmrande zu eine
grubenartige Vertiefung, die sogenannte Riechgrube (RG) oder
Sinnesgrube nach LENDENFELD?, welche von radiär verlaufen-
den Furchen durchzogen wird. Die Trichterplatte setzt sich in zwei
Sinneslippchen (SZ) fort, welche den Ephyralappen ent-
sprechen und zwischen den zwei Randlappen (RZ) herunterhän-
gen. Sie sind an ihrer Ursprungsstelle verwachsen und grubenartig
‚ausgehöhlt. Diese Aushöhlung wird von einer nach außen stark
1 C. Craus, Polypen und Quallen ete. 1. c. pag. 23—24.
_ ? R. LENDENFELD, Uber die Cölenteraten der Südsee. VII. Zeitschr. für
wiss. Zool. Bd. XLVII. pag. 263.
46 Wladimir Schewiakoff
vorgewölbten, an der Subumbrellarfläche tief ausgehöhlten Deck-
platte (DP) überdacht, welche gleichfalls eine Fortsetzung der Trich-
terplatte bildet und die Riechgrube nach dem Schirmrande begrenzt.
Somit entsteht eine kleine Höhle — Sinnesnische (SN), in deren
Tiefe von der subumbrellaren Fläche der Deckplatte der Rand-
körper (RA) entspringt. Derselbe steht in radialer Richtung und
wird fast vollkommen von der Sinnesnische umschlossen, so dass
nur sein äußerstes Ende unterhalb der Deckplatte hervorschaut.
Die Gestalt des Randkörpers (Fig. 25 und 26) ist mehr oder
weniger länglich eylinderförmig mit einem kegelartig verjüngten
Ende, welches nach der subumbrellaren Fläche hakenförmig umge-
bogen ist. Demnach lassen sich am Randkörper zwei Abschnitte
unterscheiden, welche mit einander einen Winkel von etwa 140°
bilden: ein 0,6 mm langer und 0,3 mm breiter proximaler oder
basaler und ein 0,28 mm langer und 0,23 mm breiter distaler
oder apicaler Abschnitt.
Letzterer bildet den Gehörapparat (Fig. 25 und 26 Of), ist
solid und im Inneren von kleinen Krystallen dicht erfüllt, welche
in Entodermzellen liegen. Der erstere dagegen umschließt die Fort-
setzung des Gastralkanals des Randkörpers (Fig. 27 Ge), welcher
vor seinem Eintritt noch zwei Kanäle für die beiden Sinnesläppchen
aussendet.
Die Sehorgane liegen genau auf der Grenze beider Abschnitte,
d. h. an der Stelle, wo der Randkörper winklig umknickt. Das
eine liegt auf der umbrellaren Fläche des Randkörpers (Fig. 26—27 Oc)
und ist auf die hügelartig vorspringende Umbiegungsstelle beschränkt.
Seinem Baue nach wäre es als Pigmentauge oder Ocellus zu
bezeichnen und wurde bereits von EHRENBERG entdeckt und von O.
und R. Herrwie und Ermer! genauer beschrieben.
Diesem Pigmentflecke direkt entgegengesetzt, also auf der unte-
ren oder subumbrellaren Fläche des Randkörpers, und zwar in der
durch die Knickung verursachten Einbuchtung, liegt das andere Seh-
organ (Fig. 25—27 O). Dasselbe wurde von Emer? entdeckt und
als innerer Pigmentfleck beschrieben, jedoch sein Bau nicht näher
berücksichtigt. Dieses Auge hat eine becherförmige Gestalt und
einen eigenthümlichen, von anderen Becheraugen ziemlich abweichen-
den Bau, auf den ich später eingehen werde. Zum Unterschied vom
ersteren wäre es als Becherauge zu bezeichnen.
i Tu. Ermer, Die Medusen etc. |. c. pag. 162—164.
2). ¢. pag. 163—164.
re
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 47
Außer diesen beiden Sehorganen fand ich an einem der zehn
_ untersuchten Randkörper noch ein kleines Becherauge (Fig. 29).
Es lag gleichfalls in der Medianebene der subumbrellaren Rand-
_ körperfläche, unmittelbar distalwärts von dem großen Becherauge.
Sein Bau ist im großen Ganzen derselbe, wie der des großen Be-
cherauges und in so fern interessant, da er die Entstehungsweise
‚desselben gewissermaßen erläutert.
Der gesammte Randkörper wird nach außen von einem ein-
schichtigen Ektoderm (Fig. 27 Ec) bekleidet. Dasselbe ist am
distalen Abschnitte, d. h. im Bereiche des Gehörapparates, ziemlich
‚platt (0,004 mm dick) und zwar auf seiner subumbrellaren Fläche
unbedeutend höher, als auf der umbrellaren. Es besteht aus gleich-
artigen, etwa quadratischen Zellen, die in ihrer Mitte einen mehr oder
weniger kugeligen Kern enthalten. Das Epithel geht auf dem
proximalen Abschnitt des Randkörpers allmählich in ein eylindrisches
über und erreicht die größte Dieke (0,024 mm) an der subumbrel-
laren Randkörperfläche. Dabei wird es eben so wie bei Charybdea
aus zweierlei Zellen zusammengesetzt, die eine gleiche Anordnung
zeigen: aus cylindrischen Stützzellen (Fig. 27, 29 und 30 Sfz)
und spindelförmigen Sinneszellen (Srz), welche sehr dicht an ein-
ander liegen und den Anschein einer Mehrschichtigkeit des Epithels
verursachen. Dieses Sinnesepithel bekleidet den ganzen proxi-
malen Abschnitt des Randkörpers und geht an seiner Befestigungs-
stelle wieder in ein 0,004 mm dickes Plattenepithel über.
Das Sinnesepithel ist jedoch nicht ausschließlich auf den Rand-
körper beschränkt, sondern findet sich auch in der sogenannten Riech-
grube (Fig. 27 RG). In ihrer Tiefe erreicht es eine bedeutende
Dicke (0,03 mm) und geht allseitig in ein einfaches Cylinderepithel
über, welches die ganze Trichterplatte überzieht. Zwischen diesen
Cylinderzellen des Ektoderms erblickt man noch bedeutend größere
Drüsenzellen, welche in radiären Furchen angeordnet sind und
in ihrer Gesammtheit die auf der Fig. 23 und 24 wiedergegebene
Zeichnung der Trichterplatte verursachen.
Das gesammte Cylinder- und Sinnesepithel ist nach O. und
R. Hertwie! und JEimER? mit langen Geißelhaaren bedeckt. An
meinem konservirten Material waren dieselben nicht direkt wahrzu-
nehmen, jedoch konnte ich an vielen Stellen ziemlich deutliche Ci-
lienreste bemerken.
9
er pag: 110. 2]. c. pag. 156.
48 Wladimir Schewiakoff
Unterhalb des Ektoderms, und zwar nur im Bereiche des dar-
aus differenzirten Sinnesepithels, erstreckt sich eine deutliche Ner-
venfaserschicht (Fig. 27, 29—30 Nf). Dieselbe ist ziemlich
dick (0,02 mm) und umzieht den ganzen proximalen Abschnitt des
Randkörpers, wogegen sie im distalen, vom Plattenepithel über-
kleideten Abschnitt (d. h. am Otolithensacke) vollkommen fehlt. Auch
an der Riechgrube (Fig. 27 RG) bemerkt man eine Nervenfaser-
schicht (Nf), welche eine mächtige Dicke (bis 0,05 mm) besitzt und
gleichfalls nur unterhalb des Sinnesepithels sich erstreckt. Dieselbe
steht mit der Nervenfaserschicht des Randkörpers in direkter Ver
bindung, wie man sich an höher geführten Schnitten leicht über-
zeugen kann. Der histologische Bau der gesammten Nervenschicht
wird bei der speciellen Beschreibung der Sehorgane geschildert
werden.
Nach innen von der Nervenschicht befindet sich eine dünne
(0,008 mm dicke), scharf begrenzte Stützlamelle (Fig. 27, 29
und 30 St/), welche die Fortsetzung der Schirmgallerte bilde. An
den Stellen, wo die Nervenschicht fehlt, verläuft sie unmittelbar
unter dem Ektoderm, wie z. B. im Otolithensacke, wo sie sehr dünn
(0,002 mm) wird. In dieser homogenen, zuweilen von faserartigen
Fibrillen durchzogenen Schicht bemerkt man einzelne sternförmige,
stark verästelte Zellen (Fig. 27, 29 und 30 Sfz).
Der Gastralkanal des Randkörpers wird von einem einschich-
tigen Entoderm (Fig. 27 En) ausgekleidet. Die Entodermzellen
sind schmal und lang (0,014 mm), eylinderförmig, mit einem mehr
oder weniger central gelegenen rundlichen Kern (Fig. 29 Er) und
sollen nach O. und R. HerTwıG! von Flimmerhaaren bedeckt sein,
von welchen ich ebenfalls nur einige Reste sehen konnte.
An der Grenze des distalen Abschnittes angelangt (Fig. 27
und 29), geben die hohen Cylinderzellen ihre Gestalt auf und er-
füllen den ganzen Innenraum. Dabei verschwinden ihre Zellwände,
so dass sie eine einheitliche Protoplasmamasse bilden, in welcher
die Kerne eingebettet liegen. Weiter distalwärts treten in derselben
kleine Vakuolen oder Hohlräume auf, die gegen das Distalende an
Größe zunehmen und die Kalkkonkremente oder Otolithen (Fig. 27,
29 und 30 Otl) enthalten. Auf diese Weise erscheint der ganze
distale Abschnitt des Randkörpers von Otolithen erfüllt, welche in
einem ‘dünnen plasmatischen, mit Kernen (x) versehenen Maschen-
werke (En) liegen.
TAG pag al.
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 49
2. Bau der Augen.
a. Pigmentauge oder Ocellus (Fig. 25—27 Oc und Fig. 28).
Der rundliche, etwa 0,21 mm im Durchmesser betragende Pig-
mentfleck zeigt einen sehr primitiven Bau. Er liegt, wie bereits
gesagt wurde, auf der umbrellaren Fläche des Randkörpers und er-
streckt sich auf seine hügelartig vorspringende Knickungsstelle
(Fig. 25—27 Oc).
Dieses Pigmentauge wird aus zweierlei Art Zellen, den Pig-
ment- und Sehzellen (Fig. 28 und 31 Pz und Sz) aufgebaut,
welche wiederum dieselbe Anordnung zeigen, die von der Retina-
und Sinnesepithelschicht der Charybdea beschrieben wurde. Die
Pigmentzellen (Fig. 31 Pz) stehen durch ein protoplasmatisches pig-
mentirtes Netz- oder Maschenwerk mit einander in Verbindung und
umschließen auf diese Weise allseitig die Sehzellen (Fig. 31 Sz),
welche in den Maschen liegen.
Die Gestalt der Pigmentzellen (Fig. 28 Pz) ist länglich, eylinder-
förmig (bis 0,012 mm lang), nach außen gerade abgestutzt, nach
innen unbedeutend verjüngt und abgerundet. Ihr kugeliger bis
ellipsoidaler Kern (Fig. 28 ») liegt mehr in der inneren Hälfte der
Zelle, wogegen die äußere von gelblich braunen Pigmentkörnchen er-
füllt wird. Distalwärts platten sich die Pigmentzellen allmählich ab
und gehen somit in das Plattenepithel über (Fig. 27), welches den
Otolithensack bekleidet. Proximalwärts dagegen gehen sie in die
sogenannten Stützzellen des Sinnesepithels über, von welchen sie sich
nur durch das Vorhandensein der Pigmentkörnchen unterscheiden.
Die Sehzellen (Fig. 28 Sz) sind schmal, spindelförmig und laufen
nach beiden Enden in sehr dünne und verschieden lange Fortsätze
aus. Mit ihren längeren, peripheren Fortsätzen schieben sie sich
zwischen den Pigmentzellen hindurch und endigen auf gleicher Höhe
mit ihnen. Die kürzeren centralen Fortsätze begeben sich in die
_ darunter liegende Nervenschicht und lassen sich daselbst an eini-
gen Stellen (Fig. 27) als sehr dünne, senkrecht zur Randkörper-
fläche stehende Fädchen verfolgen. Der ovale oder ellipsoidale Kern
(Fig. 28 ») liegt in der spindelförmigen Anschwellung der Zelle,
welche sich gewöhnlich hinter der Einlagerungsstelle des Kerns der
- Pigmentzellen findet. Diese Sehzellen unterscheiden sich durch nichts
von den Sinneszellen des Sinnesepithels, nur dass sie im Bereiche des
Pigmentauges anscheinend in etwas geringerer Zahl vorkommen.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 4
50 Wladimir Schewiakoff
b. Großes Becherauge (Fig. 25—27 O, Fig. 29—30).
Das. nach einem eigenthümlichen Typus gebaute Becherauge
liegt in der Medianlinie der subumbrellaren Randkörperfläche und
steht dem hügelartig hervorragenden Pigmentauge direkt gegenüber
(Fig. 25—27 O). Es erscheint aber nicht, wie die Becheraugen der
Charybdea, als eine direkte Einstülpung des Körper- bezw. Sinnes-
epithels, sondern ist tiefer in den Randkörper eingesenkt und wird
durch die darüber gelegene Nervenschicht und das Sinnesepithel
(Fig. 27 und 29) nach außen vollkommen abgeschlossen.
Es besitzt die Gestalt eines länglich ovalen, nach außen etwas
verengten und nach innen erweiterten (0,07 mm langen, 0,045 mm
breiten und 0,07 mm tiefen) Bechers, welcher in der zur Längsachse
des Randkörpers senkrecht stehenden Ebene komprimirt ist, so dass
sein Querschnitt (Fig. 30) elliptisch erscheint. Die Wand dieses
nach außen offenen Bechers wird aus länglichen, mehr oder weniger
in der Längsachse des Auges verlaufenden Zellen gebildet (Fig. 29
und 30 Pz), die in ihrer ganzen Länge von goldgelben bis gelblich-
braunen Pigmentkörnchen erfüllt sind. Diese an ihrem inneren Ab-
schnitt mit Kernen versehenen Pigmentzellen sind aber nicht
umgewandelte Ektoderm- bezw. Stützzellen, sondern zweifellos ento-
dermalen Ursprungs, was bereits Ermer! erkannte. Die hohen cy-
inderförmigen Entodermzellen (Fig. 27 Er), welche den inneren Hohl-
raum des proximalen Randkörperabschnittes (Gr) auskleiden, nehmen,
wie bereits gesagt wurde, an der Umbiegungsstelle des Randkörpers
eine andere Gestalt an und erfüllen den ganzen Innenraum des
distalen Abschnittes. Dabei differenziren sich einige von ihnen in
otolithentragende (O#/) Zellen (En,) wogegen die anderen durch Auf-
treten des Pigments zu Pigmentzellen werden, welche den Augenbecher
umgeben.
Die zwischen dem Entoderm- und Ektodermgewebe gelegene
Stützlamelle (Fig. 27 und 29 St./), an dem äußeren Rand des Augen-
bechers angelangt, verdünnt sich beträchtlich und senkt sich in den-
selben herein, so dass die peripher gelegenen Pigmentzellen deutlich
unterhalb der Stützlamelle liegen. Dieses Verhältnis bestätigt noch
mehr den entodermalen Ursprung der Pigmentzellen. Ob die Stütz-
lamelle sich noch tiefer in den Augenbecher einsenkt und seine ge-
sammte Wandung auskleidet, vermag ich nicht mit Sicherheit zu
t]. e. pag. 163—164.
|
|
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 51
behaupten; jedoch glaube ich an einem Präparate gesehen zu haben,
dass dies der Fall ist.
Der ganze Innenraum des Augenbechers wird von eigenartigen,
zweifellos aus Ektodermzellen hervorgegangenen Sehzellen (Fig. 29
und 30 Sz) erfüllt. Dieselben sind fein fadenförmig und besitzen an
einer Stelle eine spindelförmige Anschwellung, in welcher der Kern
_ eingebettet liegt. Diese Anschwellungen treten in verschiedener Höhe
der Zellen auf und bedingen somit die Ungleichheit der Länge ihrer
_ beiden Ausläufer. Bei einigen Zellen sind sie tief in das innere Ende
hinuntergerückt und liegen daher fast im Grunde des Augenbechers:
bei anderen dagegen liegen sie in der Mitte oder sogar im äußeren
Ende, so dass die stark tingirbaren Kerne in allen Regionen des
Augenbechers anzutreffen sind. Die äußeren Enden dieser Zellen
treten aus der Öffnung des Augenbechers heraus und vertheilen sich
in der darüber gelegenen Nervenfaserschicht (Fig. 27 und 29 Nf).
ec. Kleines Becherauge (Fig. 29).
Dieses, vollkommen nach demselben Typus wie das große gebaute,
kleine (0,04 mm tiefe und 0,015 mm breite) Becherauge fand ich
nur an einem der zehn untersuchten Randkörper. Es liegt gleich-
falls in der Medianlinie der subumbrellaren Randkörperfläche un-
mittelbar distal von dem großen Becherauge (Fig. 29).
Der ganze Unterschied in seinem Baue besteht darin, dass
die Kerne bezw. die spindelförmigen Anschwellungen der Sehzellen
(Sz) nicht im Augenbecher, sondern außerhalb desselben in der
Nervenfaserschicht liegen, so dass der Augenbecher nur von faden-
förmigen Ausläufern der Sehzellen, welche bis an den Grund desselben
reichen, erfüllt wird. Dieses Verhältnis erklärt aber gewissermaßen
die Entstehungsweise des großen Becherauges, indem bei der weiter
fortschreitenden Einstülpung die Kerne tiefer hinunterreichen und in
den Augenbecher zu liegen kommen. Gleichfalls beweist es die
‘ sekundäre Einwanderung der Sehzellen (welche ektodermalen Ur-
sprungs sind) in den bereits angelegten Augenbecher, dessen Wand
zweifellos aus umgewandelten, mit Pigment erfüllten Entodermzellen
(Pz) hervorgegangen ist.
3. Nervengewebe.
Das unterhalb des Sinnesepithels gelegene Nervengewebe (Fig. 27,
29 und 30 Nf) umzieht als eine kontinuirliche Schicht den ganzen
4*
52 Wladimir Schewiakoff
proximalen Abschnitt des Randkörpers und setzt sich in die: unter-
halb der Riechgrube (Fig. 27 RG) gelegene Nervenfaserschicht
!Nf) fort.
Der histologische Bau des Nervengewebes ist im großen Ganzen
ähnlich dem des sogenannten peripheren Nervensystems der Cha-
rybdea. Die ganze Nervenfaserschicht wird von transversal ver-
laufenden, dünnen, ziemlich stark lichtbrechenden Fädchen, den so-
genannten Stützfasern (Fig. 29 und 30 Sf) durchzogen. Dieselben
sind weiter nichts als Fortsätze der inneren Enden ektodermaler
Stützzellen, welche bis zur Stützlamelle reichen und mit ihr in in-
nige Verbindung treten; wenigstens bemerkt man an den Befestigungs-
stellen der Stützfasern äußerst kleine hügelartige Erhebungen der
Stützlamelle, so dass ihr Rand gekerbt erscheint (Fig. 29).
Zwischen diesen Stützfasern, welche nicht mit den zarten Aus-
läufern der Sinneszellen zu verwechseln sind, liegt das eigentliche
Nervengewebe. Dasselbe besteht aus dünnen Fibrillen, welche, sich
mehrfach theilend, mit einander anastomosiren und eine äußerst
feinmaschige fibrilläre Nervenschicht zur Ausbildung bringen. In die-
ser Masse sind einzelne, obgleich in ziemlich spärlicher Zahl vor-
handene, anscheinend multipolare Ganglienzellen (Fig. 27,
29 und 30 Gz) eingebettet. Letztere verlaufen senkrecht zu den
transversal hinziehenden Stützfasern und verlieren sich mit ihren
Ausläufern in der fein fibrillären Nervenschicht.
Unmittelbar über dem Becherauge besitzt die Nervenschicht
einen etwas grobmaschigeren Bau (Fig. 29), wobei ihre Fibrillen
deutliche Verbindungen mit den äußeren Enden der Sehzellen (Sz)
zeigen. In der nächsten Nähe des Becherauges bemerkt man auch
eine größere Anzahl von Ganglienzellen, die jedoch von den peripher
gelegenen Sehzellen nicht zu unterscheiden sind.
Zusammenfassung.
Fassen wir nun die Resultate, welche sich aus den angestellten
Untersuchungen über den Bau des Acalephenauges ergaben, zusam-
men, so seben wir, dass sehr mannigfaltig gebaute Augen vorkommen.
Dieselben stehen in einem genetischen Zusammenhange, in so fern die
einfacheren nur Entwicklungsstadien der höher organisirten darstellen.
Im einfachsten Falle erscheinen die Augen in der Gestalt eines
Pigmentfleckes!. Ein Beispiel hierfür giebt das Pigmentauge
! Bei dieser Gelegenheit möchte ich einer in der jüngst erschienenen Ar-
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges.
3
er
der Aurelia aurita. Diese Pigmentflecke werden bekanntlich aus
zweierlei funktionell verschiedenen Zellen — den Pigment- und Seh-
zellen aufgebaut, welche schon in bestimmten Bezirken des Ekto-
derms, dem sogenannten Sinnesepithel, in Gestalt von Stütz- und
Sinneszellen präformirt sind. Solche Distrikte des Körperepithels
bilden die Grundlage, aus der sich die lichtpereipirenden Stellen oder
Organe hervorbilden. Die ganze Umwandlung, welche dabei von
statten geht, besteht lediglich darin, dass in den Stützzellen Pig-
mentkörnchen auftreten, wodurch sie zu Pigmentzellen werden.
Die Sinneszellen erleiden dabei eine kaum merkliche Veränderung:
ihre Kerne treten etwas mehr nach innen, so dass dadurch ein
längerer und dabei stärker lichtbrechender peripherer Fortsatz der
Zelle zur Ausbildung gebracht wird. Einen Beweis für diese Ent-
stehungsweise des Pigmentauges aus dem Sinnesepithel liefert der
allmähliche Übergang der es zusammensetzenden Zellen in die Sinnes-
epithelzellen.
Der nächste Schritt zur weiteren Komplikation der Sehorgane
besteht darin, dass das zur Lichtwahrnehmung differenzirte Sinnes-
epithel sich in den Körper einsenkt, wodurch die sogenannten Seh-
gruben gebildet werden. Solchen Organen begegnen wir bei Cha-
rybdea marsupialis in den grubenartigen Augen, die jedoch
nicht bei allen Exemplaren anzutreffen sind. Ihrer Zusammensetzung
nach unterscheiden sie sich durch nichts von den oberflächlichen
Pigmentaugen. Die Bedeutung der Einstülpung erblicken wir aber
beit von LENDENFELD (I. c.) ausgesprochenen Behauptung entgegentreten. LEN-
DENFELD (l. c. pag. 275) meint, dass es unrichtig sei, die Pigmentflecke der
Acalephen als Augen zu bezeichnen, weil ihre dorsale Lage am Randkörper
für Sehorgane nicht geeignet wire. Abgesehen davon, dass dieser Grund ein
unzureichender ist, ist die dorsale Lage der Pigmentflecke durchaus keine un-
günstige, da Charybdea Augen besitzt, über deren Funktion kein Zweifel sein
kann und welche eine dorsale Lage besitzen. Obgleich nicht geleugnet werden
kann, dass die nicht von Pigmentzellen umgebenen Sinneszellen des Randkör-
pers lichtempfindlich sind, ja das Hervorgehen der Sehzellen der Augenflecke
aus ihnen wohl für eine solche Funktion spricht, kann man doch nicht mit
LENDENFELD die Funktion des Pigments der Augenflecke als eine »wenig we-
sentliche« oder »accessorische« bezeichnen. Im Gegentheil dürfte den Pigment-
zellen eine recht wesentliche Bedeutung für die Vervollkommnung der licht-
empfindlichen Organe (resp. Partien des Randkörperepithels) zukommen, indem
sie bedingen, dass nur bestimmt gerichtetes Licht pereipirt oder wahrgenommen
wird, so dass durch das Zusammenwirken der radiär geordneten Randkörper
die Meduse eine Orientirungsfähigkeit über die Stellung der Lichtquelle erlangt.
Auf diesen Punkt machte mich Prof. BürscHLı aufmerksam.
54 Wladimir Schewiakoff
außer in der schärfer ausgesprochenen Lokalisation der lichtwahr-
nehmenden Stellen noch in einer gewissen Schutzvorrichtung. Letz-
tere besteht darin, die zarten Endigungen (eilienartige Fortsätze) der
Sehzellen von den schädlichen Einwirkungen des äußeren umgeben-
den Mediums, welchen sie bei ihrer oberflächlichen Lage sehr aus-
gesetzt sind, zu schützen.
Stärkere Einstülpung führt zu den sogenannten Becheraugen,
welche uns zunächst in den proximalen Becheraugen der Cha-
rybdea entgegentreten. Dieselben erscheinen in der Gestalt ziem-
lich tiefer nach außen verengter Einstülpungen des Sinnesepithels,
deren Wandung wiederum aus den beiderlei Zellen zusammengesetzt
wird. Hand in Hand mit dieser Einstülpung wird noch ein neuer
Bestandtheil des Auges ausgebildet, welcher die Endigungen der
Sehzellen gegen sämmtliche schädliche Einflüsse, wie Druck, mecha-
nischen Reiz, Eindringen von Fremdkörpern ete. vollkommen schützt.
Dies ist nämlich der sogenannte Glaskörper, welcher von den Pigment-
zellen abgesondert wird und den Augenbecher nach außen abschließt,
indem er seinen Innenraum erfüllt.
Eine weitere, obgleich ziemlich unbedeutende Komplikation im
Bau der Sehorgane finden wir in den distalen Becheraugen der
Charybdea. Dieselben sind im Wesentlichen genau nach demselben
Typus wie die proximalen gebaut, nur dass bei ihnen die becher-
förmige oder vielmehr taschenförmige Einstülpung des Sinnesepithels
noch eine sekundäre Ausbuchtung bildet. Letztere entsteht in der
Tiefe der Augengrube und zwar an ihrem der oberen Randkörper-
fläche näher gelegenen Ende, wodurch die bereits oben beschriebene,
proximalwärts buchtartig in den Körper einspringende Höhle zur
Ausbildung kommt.
Im Zusammenhang damit begegnet man einer Sonderung der
die Augenwand zusammensetzenden Zellenelemente und zwar an der
Stelle, wo die sekundäre Ausbuchtung stattgefunden hat. So besteht
die Wand der Höhle nur aus Sehzellen, wogegen die daran angren-
zende proximale Wand des Augenbechers von Pigmentzellen aufge-
baut wird, welche von ihrer gewöhnlichen Gestalt etwas abweichen.
Durch diese Vorrichtung wird eine Stelle ausgebildet, welche zur
Lichtempfindung dient, wobei die stark pigmentirte proximale Wand
des Bechers zweifellos den Zweck hat, seitliche Lichtstrahlen abzu-
halten. Diese Wand wäre demnach mit der Iris zu vergleichen,
welche noch besser bei den Linsenaugen ausgebildet ist.
Was die Becheraugen der Aurelia anbetrifft, so sind sie
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 55
nach einem vollkommen anderen Typus als die eben besprochenen
gebaut. Sie entstehen nicht gleich den übrigen Augen der Acalephen
durch Einstülpung des Sinnesepithels, sondern des Entoderms und
möglicherweise der Stützlamelle, wobei die Becherwand von umge-
wandelten, mit Pigment erfüllten Entodermzellen aufgebaut wird.
Dieser Einstülpung des Entoderms folgen die darüber gelegenen, aus
dem Ectoderm hervorgegangenen Sehzellen, welche in den auf die
beschriebene Weise entstandenen Augenbecher zuerst mit ihren peri-
pheren Fortsätzen hineinragen, später dagegen denselben vollkommen
ausfüllen. Als Folge dieser interessanten Entstehungsweise des Au-
genbechers ergiebt sich, dass die Nervenfasern nicht von innen,
sondern von außen zu den Sehzellen herantreten und sich mit ihren
äußeren Enden verbinden. Dadurch erscheinen aber ihre freien En-
den vom eintretenden Lichte abgewendet, so dass dasselbe, bevor
es die Enden der Sehzellen erreicht, die ganze darüber gelegene
Nervenschicht passiren muss.
Dieses Verhältnis erinnert gewissermaßen an den Bau der Au-
gen der Onchidien, Lamellibranehiaten, Arachnoideen
und Vertebraten, bei welchen die das Licht pereipirenden Endi-
gungen der Zellen gleichfalls von demselben abgewendet sind. Je-
doch sind es hier ganz andere Umstände, welche diese Lage der
Sehzellen bedingen. Somit wären ‘die Becheraugen der Aurelia
als eigenartige Bildungen aufzufassen, die mit keinen bis jetzt be-
kannten Augentypen direkt vergleichbar erscheinen, obgleich eine
gewisse Ähnlichkeit mit den Turbellarienaugen! nicht zu ver-
kennen ist.
Nicht minder interessant erscheint der Bau der Linsenaugen
von Charybdea, welche einen sehr hohen Entwicklungsgrad zei-
sen. Was ihre Entstehungsweise anbetrifft, so sind sie von den
Becheraugen abzuleiten, wobei der stattfindende Vorgang (beim di-
stalen Linsenauge) etwa folgendermaßen zu denken wäre. Der
durch Differenzirung des Sinnesepithels und nachherige Einstülpung
entstandene Augenbecher verengt sich an seinem äußeren Ende und
schnürt sich schließlich vom Körperepithel ab. Bei dieser Abschnü-
rung schließt sich die Öffnung und es entsteht eine nach außen
vollkommen abgeschlossene Augenblase, welche von der zutreten-
den Nervenschicht bis auf ihre oberflächliche Partie umgeben wird.
1 J. CARRIERE, Die Augen von Planaria polychroa und Popycelis nigra.
Arch. für mikr. Anat. Bd. XX. 1882. pag. 160 -174, auch die Sehorgane der
Thiere. |. e. pag. 22—24.
56 Wladimir Schewiakoff
AvBerdem wächst an der Stelle, wo die Einstülpung stattgefunden
hat, das Körperepithel zusammen und bildet eine dünne durch-
sichtige Schicht — die sogenannte Cornea.
Hand in Hand mit dem geschilderten Processe tritt eine Diffe-
renzirung der Zellen ein, welche die nach außen gerichtete Wand
der ursprünglichen Augenblase bilden. Dieselben wachsen stark in
die Länge und setzen später in ihrer Gesammtheit die kugelförmige
Linse zusammen, welche in die Augenblase hineinragt und einen
großen Theil derselben einnimmt. Die Zellen der Augenblase aber,
welche im Umkreise der in Linsenzellen umgewandelten liegen,
differenziren sich zur sogenannten Iris, wogegen die übrige Wand
der Augenblase zur Retina wird, welche aus den bekannten zweierlei
Zellen aufgebaut erscheint. Außerdenf sondern die Pigmentzellen
der Retina, sowie wahrscheinlich die Linsenzellen den sogenannten
Glaskörper ab, in welchem die fadenförmigen Fortsätze der Sehzellen
verlaufen und der den Hoblraum der ursprünglichen Augenblase
vollkommen ausfüllt.
Das proximale Linsenauge entsteht zweifellos auf dieselbe
Weise wie das distale, nur dass hier nicht die äußere, sondern die
proximalwärts gerichtete Wand der Augenblase sich zur Linse diffe-
renzirt. Im Anschluss daran wird die distale Wand der Augenblase
von Retinazellen aufgebaut, welche am äußeren Pole des Auges zu
Iriszellen. am inneren dagegen ausschließlich zu Sehzellen sich diffe-
renziren. Dazu gesellt sich noch ein gallertiger Stiel, welcher aus
der Stützlamelle hervorgeht und zum Träger der Linse wird. An
der Peripherie der Linse angelangt, zerfasert sich dieser Stiel in
mehrere Ausläufer, welche sich zwischen den Linsenzellen ein-
schieben.
Die beschriebene Entstehungsweise und der dadurch bedingte
eigenthümliche Bau der Linsenaugen von Charybdea erlaubt sie
in keinen der gegenwärtig bekannten Typen unterzubringen.
Es ließen sich bekanntlich bis jetzt zwei Typen unterscheiden,
nach denen sämmtliche Linsenaugen gebaut sind. Bei dem einen
Typus entsteht die strukturlose Linse innerhalb der Augenblase
und ist ein Absonderungsprodukt der Zellen, welche dieselbe zusam-
mensetzen. Solchen Augen begegnen wir bei einigen Gastropo-
den, Cephalopoden, Anneliden und Peripatus. Beim an-
deren Typus entsteht die Linse aufserhalb der primären Augenblase
und ist entweder strukturlos (Stemma der Anthropoden und
Augen der Arachnoideen, Myriapoden und Insektenlar-
%
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 57
ven) oder aus Zellen zusammengesetzt (Rückenaugen der Onchi-
dien, Augen der Lamellibranchiaten und Vertebraten).
Im ersteren Falle entsteht die Linse durch Umwandlung und Ver-
dickung der äußeren Cuticularschicht, im letzteren dagegen wahr-
scheinlich immer durch eine sekundäre Einstülpung des Ektoderms
und nachherige Trennung von demselben.
Interessant und wichtig ist die von BürscHLı! gegebene Er-
klärung der Entstehungsweise des Pectenauges, durch welche er
wahrscheinlich machte, dass jedes Mal, wenn die Linse außerhalb
der Augenblase entsteht, das Auge invertirt erscheinen muss. Diese
Ansicht wurde durch die neueren Untersuchungen von Locy? über
die Spinnenaugen bestätigt, aus welchen es sich herausstellte, dass
die Spinnenaugen invertirt sind. Durch die BürscaLische Theorie
wurde aber ferner die Behauptung ausgesprochen, dass in anderen
Fällen (d. h. wenn die Linse nicht außerhalb der Augenblase ge-
bildet wird) die freien Enden der Sehzellen dem eintretenden Lichte
zugewendet sein müssen, was sich an den eigenthümlich gebauten
Linsenaugen der Charybdea bestätigte.
Nun zeigen die Linsenaugen der Charybdea in so fern einen
abweichenden Bau, dass ihre, obgleich zellige Linse, weder inner-
halb noch außerhalb der Augenblase entsteht, sondern ein Um-
wandlungsprodukt einer gewissen Partie (der äußeren oder
seitlichen) ihrer Wand bildet.
Nicht uninteressant erscheint der Umstand, dass das rudimentäre,
wahrscheinlich nicht mehr funktionirende Parietalauge einiger Rep -
tilien (Sauria), wie die Untersuchungen SPENCER’s? gezeigt haben,
im Wesentlichen denselben Bau zu besitzen scheint, da seine Linse
gleichfalls aus der äußeren Wand der Augenblase hervorgeht.
Demnach wäre man berechtigt, diese Augen in eine Kategorie
mit den Linsenaugen der Charybdea zu bringen und für sie einen
neuen, dritten Typus zu errichten, welcher den beiden anderen an
die Seite zu stellen wäre.
1 0. BürschLı, Notiz zur Morphologie des Auges der Muscheln. Fest-
schrift des naturh.-med. Vereins zur Feier des 500jährigen Bestehens der Ru-
perto-Carola.. Heidelberg 1886. pag. 175—180.
2 W. Locy, Observations on the development of Agelena nigra. Bull. of
the Mus. of compar. Zool. Vol. XII. No. 3. pag. $5—89.
3 W. SPENCER, On the presence and structure of the pineal eye in Lacer-
tilia. Quart. Journ. of Microsc. Sc. Vol. XXVIII. P. 2. N. S. No. CVI.
1886. pag. 165—238.
58 Wladimir Schewiakoff
Diese Arbeit wurde im zoologischen Institute zu Heidelberg ge-
macht.
Meinem hochverehrten Lehrer,
Herrn Prof. O. BüÜTscHLiı,
sage ich für seine freundlichen Rathschläge und das lebhafte Inter-
esse, welches er der Durchsicht meiner Präparate und dem Zustande-
kommen der Arbeit überhaupt widmete, meinen innigsten Dank.
Heidelberg, im Januar 1889.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel I—III.
Die Abbildungen wurden mit Hilfe des ZEıss’schen Zeichenapparates unter
Anwendung des Beleuchtungsapparates von ABBE gezeichnet.
Dabei wurden verwendet:
Apert. 1,30, Oc. 4,8 und 12.
Oculare 2 und 4 und Objective B, D und die
homogenen Immersionen SEIBERT !/;9” und Zeıss Apochromat Obj.
2,0 mm,
Die am Ende jeder Figurenerklärung angeführte
Zahl bezeichnet annähernd die gebrauchte Vergrößerung.
Bedeutung der Buchstaben.
C Cornea,
e centrales Ende der Ei
DP Deckplatte,
DO distales Linsenauge,
Do distales Becherauge,
DW distale Wand des Becherauges,
Ee Ektoderm,
En Entoderm,
En, Entodermzellen mit eingelagerten
Otolithen,
G Gallertfäden (Ausläufer der Stütz-
lamelle),
Gl Glaskorper,
Gv Gastrovascularraum,
Gz Ganglienzellen,
Gz.m wmultipolare Ganglienzellen,
GR Glockenrand,
G.St gallertige Stütze des proximalen
Linsenauges,
h.Gl hyaline Glaskörperschicht,
Ir Tris,
Irz Triszellen,
L Linse,
IF linkeSeitenfläche des Randkörpers,
Lf Längsfurche,
IW Längswülste,
Lz Linsenzellen,
Nf Nervenfaserschicht,
Nfb Nervenfibrillen,
n .Kern,
nel Kernkörperchen,
O Becherauge,
Oc Pigmentauge oder Ocellus,
OF obere (umbrellare) Randkörper-
fläche,
Ot Otolithensack,
Otl Otolith,
P Pigmentkörnchen,
PO proximales Linsenauge,
Po proximales Becherauge,
PW proximale Wand des Becherauges,
Pe ektodermales Plattenepithel,
Pk Pigmentkegel,
P: Pigmentzellen,
p peripheres Ende der Zellen,
R Retina,
Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 59
RF rechte Seitenfliche des Rand- Stl Stützlamelle,
__ körpers, Sz Sehzellen,
RG Riechgrube, Sfz sternförmige Zellen der Gallert-
RK Randkörper, schicht,
RL Randlappen, Snz Sinneszellen,
RN Ringnerv, Stz Stiitzzellen,
SS Stiel des Randkörpers, TP Trichterplatte,
SK Sinneskolben, U Umbrella,
‘SZ Sinnesläppchen, UF untere (subumbrellare) Fläche des
SN Sinnesnische, Randkörpers,
SU Subumbrella, V Velum,
Se ektodermales Sinnesepithel, VS Verwachsungsstreifen der beiden
Sf Stützfasern, Gefäßlamellen.
‘Sp Septum,
‘St fadenartiger Fortsatz der Sehzellen
I
. 14.
ig. 15.
ig. 16.
oder Stäbchen,
Fig. 1—22. Charybdea marsupialis Per. und Les.
. Ein Theil der Seitenfläche der Glocke mit Sinnesnische (SN)und darin
entspringendem Randkörper (RA) von der Umbrellarseite betrachtet.
6—8.
Dasselbe schief von unten betrachtet. Um die basale, wulstig auf-
getriebene innere Wand der Sinnesnische zu zeigen. 6—S.
Dasselbe von der Subumbrellarseite betrachtet. 6—8.
Dasselbe im optischen Längsschnitt. 6—S.
Rechtsseitige Ansicht des Randkörpers, um die Anordnung der Seh-
organe zu zeigen. 50.
Randkörper von der unteren (subumbrellaren) Fläche betrachtet. 50.
Medianer Längsschnitt durch den Randkörper. 200.
Sinnesepithel (Ektoderm\ aus zweierlei Zellen bestehend im Quer-
bezw. Flächenschnitt. 750.
Längsschnitt durch das grubenartige Auge. 480.
Längsschnitt durch die beiden (distales Do und proximales Po) Becher-
augen. 300.
- Die beiden Becheraugen im Flächenschnitt, etwa durch die Mitte ihrer
Höhe geführt. 300.
Längsschnitt durch die vordere Partie des distalen Linsenauges, um
den Ubergang der Retinazellen in Linsenzellen zu zeigen. 600.
. Längsschnitt durch die innere Wand der Augenblase des distalen
Linsenauges, um den feineren Bau der Retina und des Glaskörpers zu
zeigen. 750.
Verschiedene Formen der Pigmentzellen des distalen Linsenauges;
e die sogenannte Iriszelle vom centralen Abschnitt des Retinabechers. 800.
Pigmentzellen des proximalen Linsenauges; a—b aus dem äußersten
(sog. Iriszellen), c—d aus dem mittleren und e aus dem inneren Ab-
schnitt des Retinabechers. 750.
Sehzellen; a—c des distalen, d—e des proximalen Linsenauges; d aus
der Mitte, e aus dem inneren Abschnitt (wo keine Pigmentzellen vor-
handen sind) des Retinabechers. 750.
60
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig. :
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
>.
Wladimir Schewiakoff, Beitriige zur Kenntnis des Acalephenauges.
iz
18.
19.
20.
21.
22.
31.
|
Ganglienzellen des peripheren Nervensystems; a—) bipolare, e multi- |
polare Ganglienzellen; a&—b 750; ce 1100.
Querschnitt durch die Augenblase des distalen Linsenauges, etwa in
der Höhe zy der Fig. 13 geführt, um den Verlauf der Stäbchen (Sf)
und Pigmentkegel (P%) im Glaskörper (G/) zu zeigen. 1100.
Ein tiefer gelegener Querschnitt etwa in der Höhe x, y, der Fig. 13 —
geführt, die gegenseitige Anordnung der Pigment- (Pz) und Sinnes-
zellen (Sz) zeigend. 1100.
Noch tiefer geführter Querschnitt etwa in der Höhe z,, y,, der Fig. 13.
Man gewahrt die Kerne (r) der Sehzellen (Sz). 1100.
Querschnitt durch die Augenblase des proximalen Linsenauges, um
den Verlauf der Stäbchen im Glaskörper zu zeigen. 1100.
Längsschnitt durch das proximale Ende des Randkörpers unweit der
Becheraugen, um den Bau und Anordnung der multipolaren Ganglien- |
zellen des centralen Nervensystems zu zeigen. 750.
Fig. 23—31. Aurelia aurita Lam.
Ein Theil des Schirmrandes an der Stelle der zwischen den zwei —
Randlappen (RL) gelegenen Einkerbung von der Umbrellarseite be-
trachtet. 6—8.
Dasselbe in seitlicher Ansicht. 6—S.
Linksseitige Ansicht des Randkörpers, die Anordnung der Sinnes-
organe zeigend. 60.
Randkörper von der subumbrellaren Fläche betrachtet. 60. _
Medianer Längsschnitt durch den Randkörper und die Riechgrube
(RG). 150.
Ein Theil des Pigmentauges oder Ocellus, um seine Zusammensetzung
aus zweierlei Zellen zu zeigen. 500.
Querschnitt bezw. Flächenschnitt durch das Becherauge. 450.
Medianer Längsschnitt durch das große und kleine Becherauge. 800.
Querschnitt bezw. Flächenschnitt durch das Pigmentauge. 500.
tr Wemner& Winter. Frankfurt HA.
Tithe
|
Pla
seante
recy Mlrmera Wircer Prankfare
Vetritik Engelmann. leipzig.
Norholog. Jahrbuch. Ba. XV.
Morphols
s
Lith Anst.v Werner & Winter Frankfurt 7H.
Morpholog ER ERER Bd XV : | | Tet IR
|
M4
Ib NW N
SV
| holog. Jahrbuch. Ba. XV. To IT:
nz StZ
Stz2 Nf Sf sn
|
H
DH x Pz sz
Verl. v. Wilh.Engelmann, Leinzig, 3 ‚Dith. Anst.v. Werner & Winter Frankturt? #
Uber den Bau des Säugethiergehirns'.
Vorläufige Mittheilung
yon
Dr. G. Jelgersma
in Meerenberg (Niederlande).
Mit Tafel IV.
I.
Wenn man yon einem Stadium der Gehirnentwicklung, das man
- bei Reptilien findet und das ich »das indifferente Stadium« nennen
_ möchte, ausgeht, so nimmt man in der aufsteigenden Reihe der
Wirbelthiere nach zwei Richtungen hin eine weitere Differenzirung
_ wahr, und zwar:
1) Dureh eine ausschließliche Entwicklung der basalen Hirn-
ganglien und durch das Stehenbleiben des Hirnmantels auf einer Ent-
_wicklungsstufe, die sich kaum iiber den oben angenummenen Aus-
gangspunkt erhebt, entsteht ein Bild, wie wir es bei den Vögeln
finden. Die Formverhältnisse des Vogelhirns werden lediglich durch
die großen Dimensionen bestimmt, welche die basalen Hirnganglien
erreichen. Mit dieser Entwicklung der Basalganglien gehen noch an-
dere Veränderungen Hand in Hand, auf die ich am Schlusse dieser
Mittheilung noch zurückkommen will.
2 2) Durch eine sehr starke Entwicklung der Mantelsubstanz bei
relativ geringerer Zunahme der Basalganglienmasse entsteht ein Ty-
pus der Hirnentwicklung, wie wir ihn bei den Säugethieren an-
treffen?.
1 Übersetzt von Dr. H. KURELLA in Ahrweiler.
¥ 2 Vgl. hierüber L. EDINGER, Untersuchungen über die vergleichende Ana-
tomie des Gehirns. J. Frankfurt a. M. 1888.
F ®
62 G. Jelgersma
In dieser Mittheilung will ich mich bemühen hervorzuheben, dass —
im Säugethiergehirn zugleich mit der überwiegenden Entwicklung °
der Mantelsubstanz der Hemisphiiren des sekundären Vorderhirns -
eine Formveränderung in der Medulla oblongata zu Stande kommt,
die für die Organisation dieser Theile von größtem Belang ist, eine
Formveränderung, durch die das Säugethierhirn eine so besondere
Stellung in der ganzen Klasse der Wirbelthiere einnimmt und durch
die es sich von allen anderen Hirnformen unterscheidet. :
Von BELLONCI und OsBORN ist nachgewiesen worden, dass die ~
Anwesenheit eines Corpus callosum nicht eine ausschließliche Eigen-
schaft des Säugethiergehirns ist.
Durch die letzten Untersuchungen von SCHULGIN und EDINGER
ist ferner dargethan worden, dass auch die Ammonshornformation, —
und was zu ihr gehört, keine ausschließliche Eigenthümlichkeit des
Säugethiergehirns darstellt. |
Die vorliegende Mittheilung schließt sich einer früberen Studie
an!, in der ich nachzuweisen versucht habe, dass in der Medulla
oblongata und dem Hirnstamm des Menschen ein eigenthümliches
System von Verbindungsbahnen und Ganglien besteht, welches zwi-
schen dem großen und dem kleinen Hirn liegt und sich als ein ab-
geschlossenes Ganzes demonstriren lässt. Der Verlauf dieses Sy-
stems, das ich hier noch einmal wiederholen will, ist folgender?:
Von der Großhirnrinde (1) [und den damit gleichwerthigen Stamm-
ganglien? (2)| ausgehend, verbindet sich diese Bahn durch die Capsula
interna und durch die beiden lateralen Theile des Pes peduneuli
theils mit den gleichseitigen Kernen der Varolsbrücke (8, 9, 10), theils,
durch die Brücke weiterlaufend, mit den Ganglienzellen des Nucleus ©
olivaris (13). Sowohl die vordere, mit den Brückenkernen in Ver-
band getretene Hauptmasse, als der weiter hinten mit dem Oliven-
kern sich verbindende Theil geht in der Raphe mit den Fasern der
anderen Seite eine Kreuzung ein und begiebt sich zur Gegenseite.
Die gekreuzten Fasern laufen nun, einerseits (die von den Ponskernen
kommenden Züge) durch das Brachium pontis (11, 12), andererseits“
4
1S. Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde. 1887. No. 21; ERLEN-
MEYER’s Centralblatt fiir Nervenheilkunde. 1887. Nr. 18, 19, 20.
2 Man vgl. die auf Taf. IV beigegebene schematische Zeichnung. Die ver-
A
schiedenen Theile der intellektuellen Bahnen und Centren sind in ihrem inneren
Zusammenhange auf eine frontale Fläche projicirt und diese von ihrer vordere a
(ventralen) Seite gesehen. Die centrifugale Bahn liegt dann oberflächlich, die
centripetale darunter.
4 Über den Bau des Säugethiergehirns. 63
‚(die von der Olive kommenden Nerven) durch das Corpus restiforme
pe wahrscheinlich direkt nach der Kleinhirnrinde, und zwar die
‘ersteren wahrscheinlich ausschließlich nach den Hemisphiiren, die
j etzteren wahrscheinlich nach dem Vermis cerebelli. Weiterhin ver-
indet sich die Rinde des Kleinhirns (16) mit dem Nucleus dentatus
(17), aus dem die Peduneuli cerebelli ad cerebrum entspringen (18)',
die sich im Niveau der Corpora quadrigemina in der Raphe kreuzen
und sich dann mit dem Nucleus ruber (4) der entgegengesetzten Seite
verbinden. Von hier aus gehen Faserausstrahlungen nach der Cap-
sula interna (18) und dem Thalamus opticus (20), die schließlich
wiederum an der Großhirnrinde enden (18, 20).
Das folgende Schema ist eine Darstellung dieses Systems:
>
„Cerebrum.
N, DATEN
ate x
Caps. interna. Thal. opt. Capsula interna
Nucl. ruber Pes pedunculi
ii y en
Kreuzung in der Raphe Pons Varoli Nucl. olivaris
| |
i!
Y
Pedune. cerebelli! Kreuz. i. d. R. Kreuz. i. d. R.
fi Y Y
Nucl. dentatus ! Brachium pont. Corp. restiforme
Ne? re 4
Cerebellum.
Dieses ziemlich komplicirte System ist beim Menschen nachge-
wiesen worden durch das Studium sekundärer Degenerationen und
‚Atrophien, die nach bestimmt lokalisirten primären Affektionen im
1 BECHTEREW (Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat. Abtheilung.
4868. pag. 195 f.) beschreibt vier Abtheilungen des Pedunculus cerebelli, deren
Markscheideny zu verschiedenen Zeiten zur Ausbildung kommen und von denen
‘ur die größte innere Abtheilung mit dem Corpus dentatum in direktem Con-
“nexe stehe. Auch ich bin der Ansicht, dass wohl nicht alle Fasern des Klein-
-hirnstieles von dem Corpus dentatum ausgehen, habe aber in dem oben mitge-
Gren 1 Schema auf diese komplicirten und noch nicht vollkommen in allen
‚ihren Theilen gesicherten Verhältnisse der Einfachheit wegen keine Rücksicht
genommen und nur die wichtigste Verbindung mit dem Nucleus dentatus an-
Eegehen.
64 G. Jelgersma
Großhirn auftreten, durch die Untersuchung des Entwicklungsganges
der die Achsencylinder umgebenden Markscheiden und bei zahlreichen ~
Thieren durch Experimente. Zur Konstruktion desselben sind eine
Menge früherer Untersuchungen nothwendig gewesen, ehe es im Zu-
sammenhang als System aufgefasst werden konnte, a manche
Missgriffe sind ihr vorausgegangen.
Wenn ich es mir nun in dieser Abhandlung zur Aufgabe ge-
macht habe, das ganze System als solches bei den verschiedenen
Säugethiergruppen nachzuweisen, so kann natürlich keine Rede da-
von sein, durch Experimente oder durch die Entwicklungsgeschichte
die Verbindungen der Theile dieses Systems in jedem Falle wieder be-
sonders zu demonstriren. Aber ich gehe von der Voraussetzung aus,
dass, wenn bei einer bestimmten Species — im vorliegenden Falle
handelt es sich hauptsächlich um den Menschen — das System in
seinen verschiedenen Theilen als Einheit erkannt ist, man es bei an-
deren Säugethierspecies ebenfalls als Einheit auffassen darf, sobald
man nachweisen kann, dass die verschiedenen Glieder und Theile des
Systems anwesend sind, und dass bei dieser Anwesenheit der Zu-
sammenhang der Theile überall derselbe sein muss. Diese Voraus-
setzung hat eine so große innere Wahrscheinlichkeit, dass ich von
jeder weiteren Beweisführung absehen kann.
Bei näherer Betrachtung, ob alle Theile dieses oben im Schema
angegebenen Systems bei den verschiedenen Säugethiergruppen vor-
kommen, stößt man auf nur geringe Schwierigkeiten: bei allen Spe-
cies lassen sich die Komponenten des Systems zum Theil schon
durch die äußere Besichtigung und weiterhin auf Durchschnitten
nachweisen. Ich brauche darauf im Augenbliek nicht näher einzu-
gehen, weil es ohne Weiteres deutlich werden wird, sobald ich die
Entwicklungsstufen bespreche, die das System in den verschiedenen
Gruppen der Säugethierklasse erreicht.
Wenn nun die Anwesenheit dieses komplieirten und ausgebreite-
ten Ganzen, das ich bei einer früheren Gelegenheit »die intellek-
tuellen Bahnen und Centren der Medulla oblongata und
des Hirnstammes« genannt habe, als charakteristisches Zeichen
des Säugethiergehirns angenommen werden darf, so ist auch ferner
von Belang zu untersuchen, ob es innerhalb der Säugethierklasse
Unterschiede in den Entwicklungsgraden giebt, die diese Theile errei-
chen. Und man wird in der That bei dieser Untersuchung durch
eine ungeheure Verschiedenheit frappirt. ;
Es sei mir gestattet, vorerst mit einigen Worten anzugeben, in
;
&
j
Über den Bau des Säugethiergehirns. 65
wie weit man sich gegenwärtig befugt glaubt, aus der Entwicklung
der Hirnoberfliiche Schlüsse auf die größere oder geringere Höhe
der Organisation des Gehirns zu ziehen.
Abgesehen von dem relativen Hirngewicht (verglichen mit dem
des Körpers, welches Verhältnis ganz im Allgemeinen von Belang
ist), ist es hauptsächlich der Bau der Furchen und Windungen, dem
man einigen Werth zuerkennen muss. Diese Methode‘ wird aber auf
verschiedene Weise sehr beschränkt und dürfte nicht wohl geeignet
sein, glaubhafte Schlüsse zu begründen. In erster Linie fallen alle
lissencephalen Gehirne weg, einfach weil man Nichts nicht mit
_ Etwas vergleichen kann. Doch auch die gyrencephalen Formen
- können nicht sämmtlich unter einander verglichen werden. Es ist
bekannt, dass eine Zunahme des Körpergewichts stärkere Entwick-
lung der Furchen verursacht, ohne dass damit eine höhere Organi-
sation verbunden ist. Deutlich ist dies z. B. bei einigen kleineren
Affenarten, die eine fast glatte Hirnoberfläche besitzen und von denen
durchaus nieht nachgewiesen ist, dass sie niedriger organisirt seien.
Es ist auch noch ein Umstand vorhanden, der den Werth dieser
- Untersuchungsmethode bedeutend einschränkt. Die beiden vergliche-
nen Thierarten dürfen nämlich in dem phylogenetischen Stammbaum
nicht zu weit von einander entfernt stehen, da sonst das Resultat
ein sehr unsicheres wird. Aus diesen Gründen kann ich die An-
—_— a eee m
sichten von Broca, PanscH und MEYNERT nicht theilen, die übrigens
wieder unter sich sehr differiren und schon zu allerlei unfruchtbaren
Streitschriften Anlass gegeben haben. Die Entstehung von Hirn-
furchen und Windungen, abgesehen von der Fossa Sylvii, fällt in
die spätere Zeit der phylogenetischen Entwicklungsperiode. Wenn
nun zwei Thiergruppen, deren Furchen und Windungen mit einander
_ verglichen werden sollen, beide von lissencephalen Formen abstam-
men, bei denen höchstens die Fossa Sylvii angedeutet ist, so darf
man nicht erwarten, in der Bildung ihrer Furchen und Windungen
_Homologien zu finden. Dies gilt z. B., wenn man den Primaten-
typus mit dem Raubthiertypus vergleicht. Die gemeinschaftliche
Stammform dieser Typen war, abgesehen von der Fossa Sylvii,
- lissencephal und darum ist der so eifrig geführte Kampf, betreffend
das Wiederfinden des Suleus centralis bei Raubthieren und anderen
a
in Frage kommenden Gattungen, einfach nicht zu schlichten.
Noch klarer wird das, wenn man einander noch ferner stehende
Gruppen, z. B. Wassersiiugethiere mit Primaten vergleichen wollte;
dies hat jedoch noch Niemand versucht.
Morpholog. Jahrbuch. 15.
qr
66 G. Jelgersma
Um Furchen und Windungen mit einander zu homologisiren,
muss die Stammform sie bereits in größerem oder geringerem Maße
besessen oder Andeutungen davon gehabt haben. Das ist wohl inner-
halb des Primatentypus sowie innerhalb des Raubthiertypus der Fall
gewesen, und das mag auch der Grund sein, wesshalb man in die-
sen Gruppen zu einheitlichen Resultaten gekommen ist.
Wenn man nun die Oberfläche des menschlichen Großhirns mit
der des Affen vergleicht, so findet man:
1) bei dem Menschen eine viel reichere Bildung der sekundären
Furchen und Windungen im Allgemeinen. Diese reichere Entwick-
lung im Vergleich mit der des Affen ist in diesem besonderen
Falle leicht zu verfolgen, weil man die Hauptfurchen der beiden
Gruppen mit einander homologisiren kann, und, indem man von den
Affen den Ausgangspunkt nimmt, trifft man beim Menschen die übri-
gen Windungen und Furchen reicher entwickelt an.
2) findet man beim Menschen eine stärkere Entwicklung einiger
lokalen Abtheilungen. Der Stirnlappen besitzt das größte Volumen
und unterscheidet sich am auffallendsten von dem Stirnlappen des
Affen. Ganz besonders kann dies innerhalb des Frontallappens noch
an der Broca’schen Windung beobachtet werden, die, wie bekannt,
mit der Funktion der Sprache in enger Verbindung steht. Im Affen-
hirn ist dieser Theil nirgends zu finden. Auch die Occipital- und
Temporallappen sind beim Menschen bedeutend stärker entwickelt
als bei Affen; der Parietallappen dagegen zeigt nur geringe Unter-
schiede.
Aus diesen einfachen Thatsachen ist mit Sicherheit der Schluss
zu ziehen, dass die Großhirnoberfläche beim Menschen bedeutend
höher organisirt ist als bei den Affen.
Wenn man nun untersucht, wie sich der große Unterschied in
der Großhirnoberfläche im Bau des Kleinhirns und der Medulla ob-
longata ausspricht, dann ist, sobald man auf die Entwicklung der
durch mich als intellektuelle bezeichneten Bahn achtet, dieser Unter-
schied auch hier sehr auffallend, und man hat Gelegenheit zu beob-
achten, welche tiefe Kluft zwischen den Hirnorganisationen Beider
besteht.
In erster Linie fällt eine erheblichere Größe der menschlichen
Kleinhirnhemisphären auf, während der Größenunterschied des Ver-
mis cerebelli bei diesen beiden Gruppen mehr in den Hintergrund
tritt. Die Größendifferenz der Kleinhirnhemisphären ist sowohl von
vite
Über den Bau des Säugethiergehirns. 67
_ außen als auf Durchschnitten derselben deutlich sichtbar und ganz
beträchtlich.
Ferner besteht eben solch bedeutender Größenunterschied bei
dem Pons Varolii, was aufs deutlichste aus der Thatsache folgt, dass
beim Menschen das ganze Corpus trapezoideum durch die Ganglien-
zellen und Querfasern des Pons Varolii bedeckt ist. Bei den Affen
ist dieser letztgenannte Körper an der ventralen Seite der Medulla
oblongata ganz unbedeckt. Eine Eigenthümlichkeit des Pons Varolii
beim Menschen ist, dass er distale Fortsätze zeigt, die sich bis zur
Pyramidenkreuzung erstrecken, die sog. Nuclei arciformes. In einer
früheren Studie! glaube ich, aus Gründen, die hier nicht zur Sache
gehören, nachgewiesen zu haben, dass diese Nuclei arciformes zum
Pons gerechnet werden müssen und dass man dieselben als einen
beim Menschen distalwärts sich noch weiter erstreckenden Pons auf-
fassen kann, der sich unter dem Einfluss der zunehmenden Groß-
hirnoberfläche entwickelte. Bei keinem einzigen der durch mich
untersuchten Säugethiere habe ich diese Nuclei arciformes wieder-
finden können; von Affen besitze ich für diese Region keine Prä-
parate, auf Zeichnungen habe ich aber nichts angedeutet gefunden.
Auch die weiteren Theile der intellektuellen Bahn in der Oblon-
gata findet man beim Affen — im Vergleich mit dem Menschen —
sehr schwach angelegt; dies gilt namentlich für den Nucleus ruber
und die Peduneuli cerebelli ad cerebrum (welche letzteren ein einiger-
maßen undeutliches Bild geben, weil hier auch die Pyramidenstränge
liegen), und ferner für den Nucleus olivaris und Nucleus dentatus.
Resümiren wir die angeführten Thatsachen, so scheint es, dass
der Unterschied in der Entwicklung der intellektuellen Bahn bei
Mensch und Affen sicherlich eben so groß ist, wie der Unterschied
der Hirnoberfläche, und dass das höchst eigenartige Bild der Me-
dulla oblongata beim Menschen durch die starke Entwicklung der
intellektuellen Bahn verursacht wird.
Die Gesammtheit der hier in Betracht kommenden morphologi-
schen Verhältnisse wird klar, wenn man nur die von mir in mehr-
fach erwähnten früheren Studien gegebene intellektuelle Bahn als
Einheit auffasst und sie als in ihrer Entwicklung von der Großhirn-
oberfläche abhängig betrachtet.
Ob innerhalb des Genus Homo, von anthropologischem Stand-
punkte aus betrachtet, Verschiedenheiten in der Entwicklung der
1 Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde. 1888. No. 20.
5*
63 G. Jelgersma
intellektuellen Bahn vorliegen, kann ich nicht angeben, da ich noch
keine ‚Untersuchungen an Gehirnen niederer Menschenrassen ange-
stellt habe. Wenn man jedoch erwägt, dass sowohl im Gewicht
des Großhirns als auch im Bau der Furchen und Windungen der
Hirnoberfläche ein relativ nicht unbeträchtlicher Unterschied zwischen
den höheren und niederen Menschenrassen besteht, so ist die Wahr-
scheinlichkeit groß, dass man auch in der Entwicklung der intellek-
tuellen Bahn Verschiedenheiten entdecken wird.
Hieran kann ich noch eine andere Thatsache beifügen, die durch
mich schon mehr als einmal beobachtet worden ist. Bei einem chro-
nisch Geisteskranken wurde bei der Sektion ein Gehirn gefunden,
welches das ungewöhnlich große Gewicht von 1625 g zeigte. Und
abgesehen von diesem sehr erheblichen Gewichte war mit unseren
gegenwärtigen Hilfsmitteln keine pathologische Abweichung an dem
Gehirn zu entdecken. Das Präparat zeichnete sich ferner durch
eine mehr als normale Entwicklung des Pons Varoli, des Nucleus
ruber und der Kleinhirnhemisphären aus.
Umgekehrt findet man in Fällen von beträchtlicher Verminde-
rung der Hirnoberfläche und des Hirngewichts (ohne dass andere,
deutlich wahrnehmbare Veränderungen vorhanden wären) die Ent-
wicklung der intellektuellen Bahn in der Medulla oblongata stark
redueirt.
Auf diesen Thatsachen fußend, kommt es mir als eine wichtige
Aufgabe vor, zu untersuchen, in wie weit der einfachere Bau der
Hirnoberfläche bei den niederen Menschenrassen auf die Entwicklung
der intellektuellen Bahn in der Medulla oblongata von Einfluss ist.
Es verdient nun noch eine andere Gruppe von Säugethieren er-
wähnt zu werden, die eine hohe Entwicklung der intellektuellen
Bahn verräth, nämlich die Wassersäugethiere: Phoca, Delphinus ete.!.
1 Die Gruppe der Wassersäugethiere umfasst sehr verschieden organisirte
Arten. Zwar glaube ich sie vom Gesichtspunkte der Hirnorganisation aus zu-
sammenfassen zu können, aber ich will ausdrücklich hervorheben, dass aus der
Übereinstimmung in der massiven Entwicklung der intellektuellen Bahn nicht
auf Familienverwandtschaft geschlossen werden darf.
Wenn einmal die Konstruktion der intellektuellen Bahn als Säugethier-
merkmal gegeben ist, dann äußert sich höhere psychische Entwicklung einfach
dureh Vergrößerung derselben. Phylogenetisch verschiedene Säugethierformen
können eine gleiche oder ähnliche Entwicklung der intellektuellen Bahn auf-
weisen, weil sich ihre psychische Entwicklung ungefähr gleich kommt. Die
gleiche Entwicklung der intellektuellen Bahn giebt also kein Recht, auf einen
gleichen phylogenetischen Entwicklungsgang zu schließen. Dies ist auch der Fall
a
Uber den Bau des Säugethiergehirns. 69
Es ist bekannt, dass bei diesen Thieren die Großhirnoberfläche
eine beträchtliche Entwicklung der Furchen und Windungen zeigt.
Man darf bei diesen windungsreichen Gehirnen nicht daran denken,
- Homologien mit dem Primaten- oder Raubthiertypus aufzufinden.
Diese Thierarten stehen in ihrer Entwicklung zu weit von einander
ab, und da die Wassersäugethiere alle ziemlich umfangreich sind,
giebt die Entwicklung ihrer Furchen und Windungen nur einen un-
zuverlässigen Maßstab für die Höhe ihrer Hirnorganisation ab.
Deutlicher wird die Sache, wenn man die Entwicklung der in-
tellektuellen Bahn in der Oblongata untersucht. Dann zeigt sich,
dass diese Bahn bei den Wassersäugethieren in hohem Grade, relativ
eben so stark wie bei den Affen, entwickelt ist. Die Hemisphären
des Kleinhirns haben beispielsweise im Verhältnis zu dem, Vermis
cerebelli große Dimensionen, der Pons Varoli ist stark entwickelt
und bedeckt das Corpus trapezoideum vollständig oder lässt es nur
— wie bei Phoca — sehr wenig frei, der Nucleus olivaris tritt
distal von dem Pons, wie beim Menschen, als eine kleine Erhöhung
hervor, ist jedoch mehr ventral gelegen. Diese Verhältnisse zeigen
einen hohen Entwicklungsgrad der intellektuellen Bahn und man
darf hieraus auf eine hohe Entwicklungsstufe der Hirnoberfläche
schließen.
In diesem Fall also, wo der Vergleich der Gehirnoberfläche der
Wassersäugethiere mit den Primaten wenig zuverlässige Resultate
ergab, werden diese letzteren auf nicht unwillkommene Weise durch
eine Vergleichung der intellektuellen Bahn in der Oblongata ergänzt.
Eine bedeutend schwächere Entwicklung der intellektuellen Bahn
finden wir bei den Camivoren. Hier ist das Volumen der Klein-
hirnhemisphären im Vergleich mit den vorher genannten Säugethier-
mit den Wassersäugethieren. Hier stelle ich mir vor, dass verschieden organi-
sirte Thierformen unter äußere Umstände gekommen sind, durch welche sie
beide höhere psychische Entwicklung erlangt haben. Und diese höhere psy-
chische Entwicklung äußert sich bei den phylogenetisch verschiedenen Thier-
formen auf dieselbe Weise, nämlich durch Zunahme des Volumen der intellek-
tuellen Bahn. Umgekehrt können phylogenetisch nahe verwandte Formen eine
sehr verschiedene Entwicklung der intellektuellen Bahn auf Grund ihrer ver-
schieden hohen psychischen Entwicklung offenbaren. Ein sprechendes Beispiel
hierfür bildet die Entwicklung der intellektuellen Bahn bei den Primaten.
Zwischen Mensch und Affe besteht in dieser Hinsicht ein so großer gradueller
Unterschied, wie sonst nirgends zwischen zwei phylogenetisch nahe verwandten
Säugethierformen. Hieraus zu schließen, dass Mensch und Affe phylogenetisch
nicht nahe verwandt sein sollten, wäre fehlerhaft.
70 G. Jelgersma
gruppen sehr verringert; der Pons Varoli streckt sich weniger weit
distal aus, die Oliven sind zu kleinen Ganglienzellenhaufen reducirt,
die Nuclei rubri haben an Breite abgenommen und die Peduneuli
cerebri und cerebelli zeigen sich auf Durchschnitten von bedeutend
kleinerem Umfang.
Eine noch weiter vorgeschrittene Reduktion findet man bei den
Ruminantia, Solidungula und Pachydermata. Diese sind alle Säuge-
thiere, die ein großes Körpergewicht besitzen, und in Folge dessen
findet man bei ihnen auch eine ziemlich komplieirte Entwicklung der
Furchen und Windungen der Hirnoberfläche.
Untersucht man jedoch, wie sich die Entwicklung der intellek-
tuellen Centren und Bahnen in der Medulla oblongata verhält, so
zeigt sich, dass sie, was die Hirnentwicklung betrifft, noch unter
den Carnivoren stehen. Auch auf andere Weise ergiebt sich die
relative Kleinheit dieser Bahn aufs deutlichste. Wenn man nämlich
dieselbe mit den direkten Centren des peripheren Nervensystems,
z. B. mit den Corpora quadrigemina anteriora oder posteriora,
vergleicht, so zeigt sich ein sehr bedeutendes Überwiegen dieser
letztgenannten Centren, oder — was richtiger ist — eine bedeutend
geringere Entwicklung der intellektuellen Centren.
Man findet häufig die Angabe, dass die Entwicklung der Corpora
quadrigemina bei bestimmten Thiergruppen in umgekehrtem Verhältnis
zu der Höhe ihrer Hirnorganisation steht. Das ist innerhalb gewisser
Grenzen wohl richtig. Aber um einen richtigen Vergleich zu haben,
muss man sie mit etwas Anderem vergleichen; das Vergleichungs-
objekt ist bisher immer verkehrt oder ungenau gewählt worden.
Verkehrt ist es, wenn man ein anderes primäres Centrum im Reflex-
bogen nimmt; ungenau, wenn man ein gemischtes System, z. B. den
Pes pedunculi, damit vergleicht. Richtig dagegen ist es, wenn man
das eine oder das andere Glied der intellektuellen Bahn zum Ver-
gleich wählt, beispielsweise die Hemisphären des Kleinhirns oder
Durchschnitte durch die Pedunculi cerebelli ad cerebrum: denn die
intellektuelle Bahn ist in ihrer Entwicklungsstufe von dem Großhirn
abhängig, die primären Kerne des Reflexbogens jedoch nicht.
Vergleicht man das Corpus quadrigeminum eines Pferdes mit
einem der Theile der intellektuellen Bahn, so ist in der That das
Überwiegen des ersteren über letztere auffallend.
Die Formen von Säugethiergehirnen, die nun noch übrig bleiben,
sind hauptsächlich lissencephale. Ganz ohne Windungen sind diese
Gehirne jedoch nicht; erstens ist immer eine Fossa Sylvii vorhanden,
ee
a
Über den Bau des Säugethiergehirns. 71
und zweitens findet man stets eine Ammonshornwindung. Diese
Ammonshornformation kann manchmal, wie beim Kaninchen, eine
hohe Entwicklung erreichen und die Hälfte von dem Volumen des
Großhirns ausmachen; wie bekannt, streckt sie sich dann dorsal
vom Corpus callosum aus und kann selbst, wie beispielsweise eben
beim Kaninchen, mit der der anderen Seite verwachsen.
Es ist ohne Weiteres klar, dass man durch Vergleichungen zwi-
schen Gyrencephalen und Lissencephalen sehr geringe Aufschlüsse
über die Bildungsstufe der letzteren erhält, besonders wenn man da-
bei in Betracht zieht, dass das Körpergewicht bei diesen letztge-
nannten Thierspecies immer ein relativ sehr kleines ist.
Vergleicht man nun die Entwicklung der intellektuellen Bahn,
die sich auch in diesen Gehirnformen leicht wiederfinden lässt, z. B.
mit derjenigen bei den Carnivoren, so zeigt es sich deutlich, dass
sie in geringerem Maße entwickelt ist und dass beispielsweise das
Kaninchen, was die Kleinhirnhemisphären, Pons Varolii etc. anbetrifft,
hinter dem Hunde zuriicksteht. Hinter dem Kaninchen stehen Ratte,
Maulwurf und Igel noch weiter zuriick.
Uber Marsupialia und Edentata kann ich kein Urtheil ausspre-
chen, da die Gehirne dieser Thiere mir nicht zur Verfügung stehen:
aus Zeichnungen derselben, die mir in die Hände kamen, scheint
hervorzugehen, dass auch sie intellektuelle Bahnen und Centren be-
sitzen.
Untersucht man nun, in wie weit die Entwicklung der intellek-
tuellen Bahn ein gutes Hilfsmittel an die Hand giebt, um die höhere
oder niedere Organisation eines Gehirns zu bestimmen, so findet
man, dass dies doch nur in sehr beschränktem Maße der Fall ist;
auch hiermit kommt man nicht über eine ziemlich rohe Abschätzung
hinaus. Ich betrachte die Berücksichtigung der Entwicklung der
intellektuellen Bahn desshalb auch mehr als eine Vermehrung un-
serer gegenwärtigen Kenntnis, die uns so oft ganz im Stich lässt.
Wie ich bereits zeigte, gab die Vergleichung der Hirnwindungen bei
den Wassersäugethieren und eben so bei den Ruminantia etc. keine
Sicherheit. Indem ich nun bei diesen Formen auf den Entwicklungs-
grad achtete, den die intellektuelle Bahn in der Medulla oblongata
zeigt, kam ich zu der Überzeugung, dass die Wassersäugethiere eine
ziemlich hohe Stufe der Hirnentwicklung einnehmen, während dies
bei den Ruminantia in viel geringerem Maße der Fall ist. Dadurch
endlich, dass ich auch lissencephale Formen in den Kreis meiner
Untersuchungen brachte, weil auch hier die intellektuelle Bahn unter
72 G. Jelgersma
denselben Umständen vorkommt, wurde es möglich, sich ein an-
näherndes Urtheil über diese Gehirne zu bilden.
Über die Bedeutung des Vermis cerebelli sind wir noch im Un-
sichern: dies rührt ohne Zweifel zum großen Theile von der sehr
lückenhaften Kenntnis her, die wir über die Verbindungsbahnen dieses
Organs mit anderswo gelegenen Theilen besitzen. Durch eine Ver-
gleichung des Vermis cerebelli bei den verschiedenen Säugethieren
unter einander und ferner mit den Hemisphären des Kleinhirns wird
es unwahrscheinlich, dass dieser Theil die gleiche Bedeutung wie
die Hemisphären hat. In der absteigenden Reihe der Säugethiere
findet man, dass die Hemisphären des Kleinhirns zugleich mit den
weiteren Theilen der intellektuellen Bahn sehr schnell an Größe ab-
nehmen, während dies von dem Vermis cerebelli nicht gesagt wer-
den kann; letzterer ist innerhalb der Klasse der Säugethiere ein
sehr konstantes Organ.
Wenn man nun annehmen darf, dass der Vermis cerebelli eben
so wie die Kleinhirnhemisphären in seiner Entwicklung mit der-
jenigen bestimmter Theile des Großhirns in Koordination steht, so
wird man in der Reihe der Säugethiere an die Stammganglien den-
ken, die innerhalb dieser Klasse ungefähr dieselbe Größe erreichen.
Gestützt wird diese Vermuthung durch die Verhältnisse, die wir bei
den Vögeln finden. Durch den niedrigen Entwicklungsgrad der
Mantelsubstanz ist es bei diesen Thieren nicht zur Entwicklung der
Kleinhirnhemisphären und der übrigen Bahnen und Centren der
intellektuellen Theile in der Medulla oblongata gekommen. Vielleicht
muss man aber die sehr kleinen lateralen Fortsätze des Vermis ce-
rebelli bei den Vögeln als Rudimente dieses Hemisphirensystems.
auffassen. Mit der sehr beträchtlichen Entwicklung jedoch, welche
die Stammganglien bei den Vögeln erreichen, geht eine ebenfalls
starke Entwicklung des Vermis cerebelli Hand in Hand, so dass die
Annahme, dass dieses letztere Organ mit der Bildungsstufe der
Stammganglien zusammenhängt, mir nicht ungerechtfertigt erscheint.
Ich muss aber ausdrücklich hervorheben, dass ich hier nicht mehr
als eine Vermuthung ausspreche, weil das Thatsachenmaterial, über das
ich in dieser Sache zu verfügen habe, noch zu beschränkt ist, um ~
ein sicheres Urtheil zu gestatten. Wahrscheinlich liefers die Ent-
wicklungsgeschichte der Markscheide um den Achsencylinder in der
Verbindungsbahn zwischen Vermis und Stammganglien bei den Vö-
geln ein geeignetes Objekt, um dies Problem seiner Lösung näher
zu bringen.
= >
Über den Bau des Säugethiergehirns. 73
Endlich will ich auf die nach meiner Ansicht wichtige, aber
für uns unbegreifliche Thatsache hinweisen, dass bei den Wirbel-
thieren, wo die graue Substanz des sekundären Vorderhirns sich in
beträchtlichem Maße — von den Reptilien als dem indifferenten Sta-
dium ausgehend — bei den Vögeln zu den Stammganglien und bei
den Säugethieren zur Mantelsubstanz entwickelt, — dass bei diesen
letztgenannten Thieren gleichzeitig hiermit in ziemlich großer Ent-
fernung eine andere Anhäufung grauer Mantelsubstanz sich bildet,
das kleine Gehirn, welches durch ein komplicirtes System von Ver-
bindungswegen und zwischenliegenden Ganglien mit dem Großhirn,
zu dem es in gegenseitigen Beziehungen sich befindet, in Zusammen-
hang steht.
In einer früheren Mittheilung' habe ich darauf hingewiesen,
dass das Kleinhirn durch die intellektuellen Bahnen und Centren in
der Medulla oblongata auf ganz eigenartige Weise mit dem Groß-
hirn zusammenhängt, dass die Verbindung beider mit dem Reflex-
bogen viel Übereinstimmung zeigt, dass sie entwicklungsgeschicht-
lich auf dieselbe Weise entstehen und dass auch die Bildung der
Markscheide um den Achsencylinder in ihren Verbindungswegen
ungefähr gleichzeitig zu Stande kommt. Nun scheint es, dass auch
ihre phylogenetische Entwicklung, wenigstens bei Säugethieren und
Vögeln, ungefähr zur gleichen Zeit erfolgt.
Auf diese Thatsachen gestützt, halte ich mich für berechtigt,
die Ansicht auszusprechen, dass, während wir mit gutem Grunde in
den Großhirnhemisphären das materielle Substrat unserer psychischen
Funktionen suchen, auch das kleine Hirn damit zusammenhängt,
dass also die Funktionen des Cerebellum psychischer Natur sind.
Auf welche Weise das Kleinhirn an unseren psychischen Funktionen
Theil nimmt, kann man natürlich nicht feststellen; die materiellen
Processe, die die psychischen begleiten, werden uns dadurch vielleicht
um so räthselhafter.
In dieser Mittheilung glaube ich nachgewiesen zu haben, dass
das Gemeinsame und Charakteristische im Bau des Säugethiergehirns
in den Folgen besteht, welche mit der Entwicklung des Hirnmantels
einhergehen; es ist dies die Bildung eines besonderen Systems
von Leitungsbahnen und Centren, von denen das eine Ende im Hirn-
mantel selbst liegt, während das andere sich in den Hemisphären
des Cerebellum befindet. Der Verlauf dieser Bahn ist noch nicht in
1 Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde. 1888. Nr, 21.
74 G. Jelgersma
allen Einzelheiten bekannt; vor Allem ist es unsicher, wie in dem
centripetalen (dem Großhirn sich zuwendenden) Theile die Verbin-
dung mit dem Thalamus opticus und mit dem Großhirn selbst statt hat.
Ferner glaube ich gezeigt zu haben, dass innerhalb der Säuge-
thierklasse die Entwicklung, die diese Bahn erreicht, mit dem höhe-
ren oder niedrigeren Grad der allgemeinen Hirnorganisation zusam-
menhängt und dass die Entwicklung dieser Theile hierfür in gewissem
Sinne ein Maßstab ist.
Ein äußerst rudimentäres Vorkommen dieser Bahnen und Cen-
tren bei Reptilien und Amphibien kann ich vorläufig nicht bestimmt
erkennen, indessen kann man als sicher angeben, dass sie bei
diesen sehr unbedeutend sind. Der Wahrheit am nächsten wird man
wohl sein, wenn man — wie ich bereits im Anfang sagte — bei
den Reptilien ein indifferentes Stadium annimmt. Volumenzunahme
der Stammganglien und Entwicklung des mittleren Theiles der ein-
fachen Kleinhirnlamelle zum Vermis cerebelli ist für die Vögel kenn-
zeichnend. Zunahme der Mantelsubstanz und weniger intensives
Wachsen der Stammganglien mit Ausbildung der lateralen Theile der
indifferenten Kleinhirnlamelle zu den Hemisphären und des Mittel-
stiickes zum Vermis cerebelli, sowie die Entwicklung der Verbin-
dungsbahnen zwischen diesen Theilen sind Merkmale der Säuge-
thiere.
Die hiermit gegebenen Darlegungen sollen nur eine vorläufige
Mittheilung bilden. Besonders von entwicklungsgeschichtlicher Seite
muss der Gegenstand noch ausgearbeitet werden; auf diesem Gebiete
wird man ohne Zweifel noch sehr wichtige Dinge finden.
it:
In einer anderen Richtung noch und im Anschluss an das oben
Gesagte will ich in dieser Studie eine vorläufige Mittheilung geben;
sie betrifft das Entstehen der Windungen sowohl im Klein- wie im
Großhirn.
Wie schon oben gesagt, muss man das Entstehen der Hirnwin-
dungen, d. h. die Vergrößerung der Hirnoberfläche von zwei Mo-
menten abhängig machen, nämlich
1) von der Zunahme des Körpergewichts, und
) von der höheren psychischen Entwicklung.
Wird nun durch eine dieser beiden Ursachen die Hirnoberfläche
vergrößert, so macht man sich über die Art und Weise, wie diese
1
Über den Bau des Säugethiergehirns. 75
ES Vergrößerung zu Stande kommt, ganz verschiedene Vorstellungen.
Man hat gedacht, dass die Hirnoberfläche schneller zunähme als der
Schädelinhalt und dass sich in Folge hiervon die Oberfläche dureh
4 mechanischen Druck in Falten legen miisste; oder dass die Hirn-
_ furchen mechanisch durch den Druck der Gefäße entstiinden: und
"so bestehen noch manche andere Vorstellungen. Es würde mich zu
weit führen, eine detaillirte Kritik dieser Anschauungen zu geben:
ich begnüge mich mit der Mittheilung, dass alle diese Vorstellungen
mir unrichtig erscheinen, und will versuchen, eine bessere zu geben.
Von vorn herein muss ich bemerken, dass der Gegenstand bis
- heute in höchst einseitiger Weise betrachtet worden ist. Wenn durch
eine der beiden oben genannten Ursachen die Hirnoberfläche zu-
- nimmt, so ist dies nicht das Einzige, was sich im. Organismus voll-
‘ zieht, sondern etwas Anderes schließt sich unmittelbar daran an.
Eine bloße Zunahme der grauen Substanz hat nichts zu bedeuten,
wenn nicht eine Zunahme der Verbindungswege zwischen den ver-
schiedenen Theilen der grauen Substanz Hand in Hand damit geht.
Diese Verbindungswege sind in dem erwachsenen Säugethierhirn
meistens markhaltige Nervenfasern. Graue Substanz an sich, ohne
diese Verbindungen, hat einfach nichts zu bedeuten. Dass diese
markhaltigen Nervenfasern einen sehr großen Raum einnehmen, ist
an jedem Schnitte durch die menschlichen Hemisphären deutlich
sichtbar. Dass ferner diese Nervenfasern in der Hirnrinde selbst in
großer Anzahl vorkommen, kann man an einem Präparat sehen, das
nach der Methode WEIGERT's hergestellt ist. Endlich scheint es,
dass durch das Entstehen dieser markhaltigen Nervenfasern eine
große Volumenzunahme des Hirns stattfindet. Bei einem neuge-
borenen Kinde fehlen die Markfasern im Gehirn noch zum größten
Theile und man findet hauptsächlich nur nackte Achsencylinder. Die
Markfasern entstehen meist im Verlaufe des ersten Jahres, und man
bemerkt in dieser Zeit eine beträchtliche Zunahme des Hirnvolumens.
Nach Huscuke wird ein Kind mit !/; seines definitiven Hirngewichts
geboren. Im ersten Jahre, in der Zeit, wo die meisten Markschei-
den entstehen, steigt das Volumen auf ?/, — das Doppelte des ersten
Jahres — und das letzte Drittel bildet sich zwischen dem 3. und
N
21. Jahre. Diese schnelle Zunahme des Hirnvolumen muss zum
großen Theil der Bildung der Markscheiden um die Achseneylinder
zugeschrieben werden; die Zunahme der Ganglienzellen tritt mehr in
den Hintergrund.
Der kurze Sinn dieser Auseinandersetzung ist, dass bei der
76 G. Jelgersma
Anwesenheit einer beträchtlichen Menge grauer Substanz, wie es
beim Menschen der Fall ist, auch ein großer Raum durch die Ver-
bindungswege zwischen den verschiedenen Punkten der Hirnober-
fläche eingenommen wird, und dass die große Masse dieser Verbin-
dungswege ein Volumen bildet, welches als massiver Körper von
der grauen Substanz als flächenhafter Körper wie von einer Kappe be-
deckt wird.
Gehen wir nun von einer lissencephalen Hirnform aus, wo also
die graue Substanz als eine mehr oder weniger kugelförmige Kapsel
die weiße Substanz, die Verbindungswege zwischen den verschie-
denen Theilen der Kugel, als den Kern umgiebt. Und setzen wir
ferner voraus, dass die graue Oberfläche, sei es durch Vergrößerung
des Körpervolumen, sei es durch höhere intellektuelle Entwicklung,
an Ausdehnung zunimmt. Die Folge hiervon muss, wie ich oben
zu zeigen versucht habe, eine Vermehrung der Verbindungsfasern
sein, die bei den Säugethieren markhaltige Nervenfasern sind.
Stellen wir uns nun vor, dass, von der ursprünglichen Form aus-
gehend, ein vollkommen gleichförmiger Körper entsteht von doppelt
so großer Ausdehnung, so erhält man folgende Verhältnisse:
Die als Oberfläche fungirende graue Substanz nimmt propor-
tional dem Quadrat des Radius zu, wird also vervierfacht. Der
Kern, die Leitungsbahnen der weißen Substanz, würde aber propor-
tional der dritten Potenz des Radius zunehmen, also Smal vergrößert
werden. Für den Fall also, dass wir annehmen müssen, dass eine
4mal so große Oberfläche ein Smal so großes Volumen an Verbin-
dungswegen braucht, war die Gelegenheit gegeben, dass durch Ver-
mehrung der Hirnoberfläche ein Körper entstand ähnlich dem, von
welchem wir ausgegangen waren.
In den meisten Fällen jedoch kann diese Annahme nicht zu-
treffen, vor Allem dann nicht, wenn man sehr verschieden große
Thiere mit einander vergleicht, wo beispielsweise der Radius 10mal
so groß geworden ist; die Oberfläche müsste sich dann um das
Hundertfache, der Inhalt um das Tausendfache vergrößert haben.
In der aufsteigenden Reihe der Säugethiere muss man also ein-
mal zu Entwicklungsformen kommen, wo ein Missverhältnis zwischen
der vergrößerten Hirnoberfläche und dem vorhandenen Raum für die
Verbindungsbahnen besteht. Es müssten danach Formen entstehen,
wo für die Leitungsbahnen ein zu großer Inhalt gegeben ist, den
sie nicht auszufüllen im Stande wären. Was muss die Folge hiervon
sein? Natürlich die allein, dass Inhalt und Oberfläche sich einander
zur Cy vet
;
©
Uber den Bau des Säugethiergehirns. 17
accommodiren, und zwar ist dies nur dadurch möglich, dass die
Oberfläche sich in Furchen und Windungen legt. So entsteht ein
Körper, der bei größerer Oberfläche einen kleineren Inhalt besitzt.
Wenn man die Sache plastisch darstellen will, muss man sie
- folgendermaßen ausdrücken: Bei Zunahme der grauen Substanz an
der Oberfläche müssen jedes Mal Gruben und Furchen entstehen,
weil die weiße Nervenmasse nicht im Stande ist, den in stärkerem
- Verhältnis zunehmenden Inhalt auszufüllen. Diese Gruben und
- Furchen haben einen doppelten Zweck: sie vergrößern die Ober-
‘ fläche und verkleinern den Inhalt.
Das Entstehen von Hirnwindungen und Furchen kann also als
gegenseitige Raumaccommodation von grauer Substanz und Verbin-
dungswegen betrachtet werden.
Dieser Schluss, der für mich die nothwendige Konsequenz eines
: logischen und einfachen Gedankenganges ist, erklärt, warum und
auf welche Weise Hirnwindungen entstehen müssen. Er erklärt aber
nicht, in welcher Form sie entstehen. Nun können wir bemerken,
dass die Bildung der Hirnwindungen innerhalb der verschiedenen
- Thierarten eine ziemlich konstante ist. Um diese konstante Form
zu erklären, müssen noch andere Umstände in Betracht gezogen
werden, die ich nicht kenne.
Es ist also einfach das Wachsthum der konstituirenden Elemente
des Cerebrum, welches zur Entstehung der Windungen führt. Bis
zum heutigen Tage hat man bei diesem Wachsthum die Aufmerk-
samkeit einzig auf die graue Oberfläche beschränkt, ohne dabei zu
bedenken, dass die graue Oberfläche allein keine Möglichkeit hat,
gu existiren, sondern dass die Zunahme der grauen Substanz noth-
wendigerweise mit einer Zunahme der Verbindungswege Hand in
Hand gehen muss.
Der oben erwähnte Schluss giebt, von einem allgemein biologi-
schen Standpunkte aus betrachtet, nach zwei Richtungen hin An-
_ knüpfungspunkte, die ich hier in Kürze besprechen will, ohne auf
_ nähere Einzelheiten einzugehen.
In erster Linie glaube ich nachgewiesen zu haben, dass das
- Missverhältnis zwischen Schiidelinhalt und Hirnoberfläche nicht die
Ursache der Hirnwindungen ist. Ich muss mich somit gegen die
alte mechanische Theorie erklären. Im Allgemeinen ist es sehr
- schwierig, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie auf solche
Weise durch Druck und Zerrung das Gehirn sich in Falten legen
und wie sich der übrige Inhalt direkt an dasselbe anpassen soll.
78 G. Jelgersma
Ferner steht der Schädel und das Gehirn zu wenig in direktem
funktionellen Verbande, als dass der Schluss, die Hirnform würde
in so grob mechanischer Weise durch die Schädelform bestimmt,
viel Wahrscheinlichkeit haben sollte.
Ist es mir gelungen, diese so unwahrscheinliche Druck- und
Zerrungstheorie durch eine Klarlegung der Folgen einfachen Wachs-
thums überflüssig zu machen, so scheint es mir auch, dass derglei-
chen Theorien für das Entstehen der allgemeinen Körperform wenig
Werth haben, obgleich sie in letzter Zeit wiederholt in den Vorder-
grund getreten sind.
Der Leser wird bereits bemerken, dass ich die mechanischen
Theorien meine, die in der Embryologie bei gewissen Kreisen sol-
chen großen Platz einzunehmen drohen. Am klarsten findet man
diese Auffassung in dem bekannten Buch von His: » Unsere Körper-
form und das physiologische Problem ihrer Entstehung« ausgedrückt.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Körperform beim Embryo
durch Spannung elastischer Platten allein bestimmt werden kann,
und dergleichen Spannungen erklären nichts, wenn man direkt vor
der Frage steht, warum sie sich ausspannen, und man muss dann
wieder zu der örtlich verschiedenen Intensität in dem Wachsthum
der Elemente seine Zuflucht nehmen.
Die oben genannte Druck- und Zerrungstheorie wird auch auf
pathologischem Gebiete in eben so unmotivirter Weise angewendet. Ich
will dies nur in Kürze an einem einzigen Beispiel ausführen. In
der Rachitis erblickt man bekanntlich die Ursache für mehr oder
weniger ausgeprägte Schädelabweichungen, und weil diese Schädel-
bildungen durch den Druck, welchen sie ausüben, einen unheilvollen
Einfluss auf das Gehirn ausüben müssen, so wird Rachitis als eine
Ursache von Geistesstörung angenommen. Diesem Beispiel möchte
ich meinerseits ein anderes von mir selbst gegenüberstellen. Ra-
chitis ist die Ursache für oft sehr bedeutende Riickgratsverkriimmun-
gen. Diese drücken und modelliren das Rückenmark, aber Rachitis
giebt niemals Phänomene von Rückenmarkskompression, außer da, wo
diese Kompression am Rückenmark selbst deutlich zu erkennen ist.
So scheint es auch mit dem Gehirn zu sein; ich kann mir nicht
vorstellen, dass ein mehr oder weniger schiefer Schädel die Veran-
lassung zu ernsteren Störungen der Hirnfunktionen sein sollte, wenn
nicht die Folgen dieses Druckes anatomisch deutlich ausgesprochen
sind. Man konstatirt zwei Thatsachen, eine mehr oder weniger ab-
norme Schädelform und ein abnorm funktionirendes Gehirn, und nimmt
Über den Bau des Säugethiergehirns. 79
an, dass das eine die Folge des anderen ist, ohne die Möglichkeit
zu berücksichtigen, dass beide Thatsachen vielleicht die Konsequen-
zen, Koeffekte einer dritten noch unbekannten Ursache sein können.
Noch in einer anderen Hinsicht verdient die Entwicklung der
- Hirnwindungen Aufmerksamkeit.
Wenn bisher von Windungen die Rede war, so hat man dabei
ausschließlich die Windungen des Großhirns im Auge gehabt und
niemals, oder doch nur sehr vorübergehend, an die eben so gut be-
stehenden Kleinhirnwindungen gedacht, und niemals hat man sich
- meines Wissens bemüht, das Entstehen beider Arten von Windungen
mit einander in Verbindung zu bringen. Wahrscheinlich findet dies
seine Ursache hierin, dass man das Entstehen der Großhirnwindun-
gen immer — und wie es nun scheint mit Unrecht — der unzurei-
chenden Ursache des Schädelwachsthums zugeschrieben, es aber
a priori zu unwahrscheinlich gefunden hat, dass die Furchenbildung
des Kleinhirns auf dieselbe Ursache zurückzuführen sei.
Im Folgenden will ich mich bemühen, das Entstehen von Win-
dungen im Kleinhirn unter dieselben Gesichtspunkte zu bringen,
wie ich das beim Großhirn gethan habe, und durch die Einheit, in
welche diese beiden Hirnformationen gebracht werden können, wird,
so hoffe ich, die Erklärung selbst um so wahrscheinlicher werden.
Hierbei gehe ich von der Thatsache aus, die ich im ersten
Theil dieser Studie zu demonstriren gesucht habe, dass die Ent-
wicklung des Kleinhirns mit der des Großhirns in engem Verbande
steht und dass jede Vermehrung der Großhirnoberfläche auch mit
einer dem entsprechenden Vermehrung der Oberfläche des Kleinhirns
sich kombinirt. Diese Zunahme der Kleinhirnoberfläche bedingt
wiederum eine Vermehrung der Leitungsbahnen der Associations-
fasern im Kleinhirn, sowie des gesammten Systems der intellek-
tuellen Bahn. Auf diese Weise müssen aus derselben Ursache, die
bei Gelegenheit der Großhirnoberfläche besprochen wurde, auch an
der Oberfläche des kleinen Gehirns Furchen und Windungen ent-
stehen.
Dies ist das allgemeine Princip, aber die speciellen Entwick-
lungsbedingungen des Kleinhirns im Gegensatz zum Großhirn modifi-
eiren dies Prineip noch erheblich für ersteres.
Das Entstehen der Windungen im großen und im kleinen Hirn hält
nicht gleichen Schritt und es ist hierüber Folgendes zu bemerken.
Bei den niederen Säugethieren, wo man ein lissencephales Groß-
hirn antrifft, findet man im kleinen Hirn bereits gut entwickelte
oT tee Yee
S80 G. Jelgersma
Windungen vor, wie denn ein Kleinhirn ganz ohne Windungen bei
den Siiugethieren nicht zu entdecken ist. Eben so ist es bei den
Vögeln; obschon bei dieser Thierklasse die Zunahme der grauen
Substanz des Großhirns auf andere Weise zu Stande gekommen ist
als bei den Säugethieren und in Folge hiervon das Mittelstück des
Kleinhirns allein sich gebildet hat, so findet man doch auch hier in
diesem Mittelstücke deutliche Windungen. Um ein glattes, windungs-
loses Kleinhirn zu finden, muss man zu noch niedrigeren Formen
der Wirbelthiere herabsteigen und kommt zu Reptilien, Amphibien
und Fischen, obschon auch hier nicht ausnahmslos!. Man sieht also,
dass in dem Gehirn der Wirbelthiere die Furchen und Windungen
des Kleinhirns eher entstehen, als die des großen Gehirns.
Was mag die Ursache hiervon sein? Dieses Phänomen lässt sich
auf folgende Weise erklären.
Gehen wir von Formen aus, wo sowohl die Oberfläche des
großen wie des kleinen Gehirns glatt ist, z. B. bei den Reptilien,
so findet von hier aus die Zunahme der Hirmsubstanz auf zweierlei
Weise statt:
1) Durch ausschließliches Dickenwachsthum der Stammganglien,
wie es bei den Vögeln der Fall ist; hierbei kann natürlich von
Windungen und Furchenbildung keine Rede sein, weil graue Sub-
stanz und Leitungsbahnen überall gleichmäßig dureh einander ver-
streut liegen.
Bei dem Kleinhirn jedoch findet man nieht diese Zunahme der
grauen Substanz en masse; diese breitet sich hier mehr längs der
Oberfläche aus und durch Adaptation von Oberfläche (grauer Substanz)
und Inhalt (Leitungsbahnen) entstehen hier bei den Vögeln die Win-
dungen im Kleinhirn, während sie im Großhirn noch fehlen.
2) Durch Dickenwachsthum, kombinirt mit stärkerem Flächen-
wachsthum, wie man es bei Säugethieren findet. Durch diese kom-
binirte Wachsthumsart trifft man bei den niederen und kleineren
Säugethieren noch keine Hirnwindungen an. Hier können sich erst
! Namentlich unter den Selachiern finden sich mit mehr oder minder zahl-
reichen Windungen versehene Kleinhirnbildungen. Die Selachier besitzen keine
Mantelsubstanz des Großhirns; die großen Massen grauer Substanz in ihrem
Vorderhirn dürften wahrscheinlich den Stammganglien der höheren Wirbelthiere
homolog sein. In Verband damit ist namentlich der mittlere Theil des Klein-
hirns, ähnlich wie dies die Vögel zeigen, am besten entwickelt. Hinsichtlich
der Sicherstellung des Details bedarf es jedoch noch eingehender Untersuchun-
gen; auch die sehr verdienstlichen letzten Untersuchungen EDINGER’s dürften
diese Frage noch nicht zum endgültigen Abschlusse gebracht haben.
Über den Bau des Säugethiergehirns. 81
dann Windungen bilden, wenn die Flächenausdehnung der grauen
- Mantelsubstanz so groß wird, dass durch die bogenförmige Umspan-
nung der Stammganglien, aus den bereits erwähnten Ursachen, ein
zu großer Raum für die weiße und eine zu kleine Oberfläche für
die graue Substanz entsteht.
Im kleinen Hirn dagegen findet beinahe nirgends eine massivere
Anhäufung grauer Substanz statt, sondern es besteht von Anfang an
ganz vorwiegend Flächenwachsthum, wesshalb hier früher die Um-
stände gegeben sind, die zur Bildung von Furchen und Windungen
- für nothwendig erachtet werden müssen.
Das Kleinhirn ist also dem Großhirn in der Furchenbildung vor-
aus und es ist nothwendig, hier auf einen Umstand aufmerksam zu
machen, welcher, aus dem anatomischen Bau der Kleinhirnrinde
- folgend, zur Beförderung des Flächenwachsthums beiträgt und da-
durch ein frühes Entstehen von Windungen begünstigt.
Von den drei Schichten, aus denen die Rinde des Kleinhirns
besteht, besitzt die oberste Lage wahrscheinlich keine Ganglienzellen
oder Nervenfasern außer den Ausläufern der PurkixJe’schen Gan-
glienzellen, sondern nur die Zwischensubstanz und kleine Zellen,
die wahrscheinlich nicht nervöser Art sind. Auf diese Lage folgt
die Schicht der Purkryse’schen Zellen. Diese ist nur eine Zellen-
lage dick und breitet sich wie eine dünne Decke über die darunter
_ liegende Schicht aus. Anhäufungen dieser Zellen findet man nicht;
nur bei der Katze trifft man, so viel ich weiß, hier und da kleine
Zellenhaufen an. Es sind wahrscheinlich gerade diese Zellen, die
sich mit den markhaltigen Nervenfasern der tieferen Lage verbinden
und unter einander durch Associationsfasern zusammenhängen, und
weil nun gerade diese Zellenlage solche außerordentliche Flächen-
_ausbreitung besitzt, aber nirgends Neigung verräth, massive Zellen-
anhäufungen zu bilden, so ist dies sicherlich ein belangreiches Mo-
ment, warum das Kleinhirn eine so ausgesprochene Neigung zur
Furchen- und Windungenbildung verräth. Unter dieser Lage Pur-
xınJe’scher Zellen findet man eine Körnerschicht. Obschon sie höchst
wahrscheinlich nervöser Art ist, steht sie nicht in so direktem Ver-
bande mit den massiven Leitungsbahnen, und überdies bleibt diese
Schicht immer schmal und verräth nirgends größere Anhäufungen.
In der Großhirnrinde findet man solche ausschließliche Flächen-
ausbreitungen nicht. Hier liegen die Zellen viele Lagen dick über
einander und ein ziemlich großer Theil steht mit den Leitungsbahnen
in direkter Verbindung. Man hat es hier, obschon die Flächenausbreitung
Morpholog. Jahrbuch. 15. 6
82 G. Jelgersma
sehr ansehnlich ist, doch stets mehr mit Dickenwachsthum zu thun
als im Kleinhirn, abgesehen natürlich von den dieken Massen grauer
Substanz an der Basis des Großhirns.
Bei den höheren Säugethieren ist denn auch immer der Win-
dungstypus des Kleinhirns weiter entwickelt als der des Großhirns;
die Furchen sind regelmäßiger, mehr von einem Centrum ausgehend,
und dabei viel feiner und schmaler, mit mehr sekundären und selbst
tertiären Windungsformationen. Die Neigung zur Furchenbildung —
die Folge von mehr ausgesprochenem Flächenwachsthum — zeigt sich
beim Kleinhirn stärker, als es jemals beim Großhirn der Fall ist.
Ich kann nicht unterlassen, die Aufmerksamkeit noch auf den
Nucleus olivaris und das Corpus dentatum cerebelli zu richten. Diese
Ganglien gehören zu den intellektuellen Bahnen und Centren der Me-
dulla oblongata und stehen als solche in ihrer Entwicklung mit der
der Großhirnoberfläche im engsten Connex. Gut entwickelt kommen
sie nur bei den Primaten und vielleicht bei den Wassersäugethieren
vor, und man findet sie hier in einer Form, die unverkennbar an
die Windungsbildung der Gehirnrinde erinnert. Wenn man sich beide
Kerne frei präparirt denkt, so hat man eine gewundene und gerun-
zelte Oberfläche, was man als Adaption der Flächenausdehnung an
den Inhalt der umliegenden Nervensubstanz betrachten muss.
Es muss dem Leser aufgefallen sein, dass ich mich bei der Er-
klärung des Entstehens der Hirnwindungen so ausschließlich auf ver-
gleichend-anatomischem Gebiete bewegt und die Embryologie, in der
gerade die unglücklichen Druck- und Zerrungstheorien so fruchtbaren
Boden gefunden haben, bei Seite gelassen habe. Wenn man gegen-
wärtig ein embryologisches Buch! liest, hat man thatsächlich den
Eindruck, als ob das arme Hirn zusammengedrückt und gestampft
worden wäre.
Ich habe dies mit Absicht unterlassen, weil wir hier noch zu
wenig wissen und sicherlich nicht den zehnten Theil von alle dem, was
in den Lehrbüchern steht, erklären können. Gleichwohl sind einige
Thatsachen zur Verfügung, die ich hier in Kürze resümiren will.
Weil die Verhältnisse beim Kleinhirn die einfachsten sind, werde ich
mit diesem beginnen.
Die Entwicklung der Kleinhirnwindungen beginnt verhältnismäßig
früh, beim Menschen bereits im dritten Monat, und wohl zuerst am
1 Das »Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbel-
thiere« von ©. HERTWIG macht hiervon eine rühmliche Ausnahme.
F
|
|
|
|
?
Uber den Bau des Säugethiergehirns. 83
Vermis cerebelli; dieser verräth schon Windungen, wenn die He-
misphären noch glatt sind. Vielleicht kann man diesen Umstand
mit dem wahrscheinlichen Parallelismus des Wurms und der großen
Stammganglien in Verbindung bringen, welche letzteren sich, wie
bekannt, früher entwickeln als die Mantelsubstanz. Die Anatomie
des ausgewachsenen Vogelhirns giebt dieser Hypothese noch mehr
Wahrscheinlichkeit. Die Entwicklung der Furchen an den Klein-
hirnhemisphären darf also als stärkere Ausdehnung der Oberfläche,
in Folge der Entwicklung der Mantelsubstanz, aufgefasst werden.
Die Entwieklung der Großhirnwindungen bietet embryologisch
_ eigenthümliche Schwierigkeiten. Hier muss man nämlich Zweierlei
_ unterscheiden: die vergänglichen und die bleibenden Windungen.
Schon im dritten Monat treten beim Menschen Falten auf, die jedoch bis
auf drei fast alle wieder verschwinden; diese bleibenden sind: Suleus
hippocampi, S. parieto-oceipitalis und S. calcarinus. Auffallend ist
es, dass alle diese drei Sulci mit der Randwindung in Verbindung
ee nl a eS ee eee
stehen. Im fünften und sechsten Monat ist die Manteloberfläche
des Großhirns wieder glatt und von nun an beginnt erst die Bil-
dung der bleibenden Windungen. In dieser Periode sind die Klein-
hirnwindungen bereits voll entwickelt, auch an seinen Hemisphären.
Weil wir mit der Bedeutung der primären, später wieder verschwin-
denden Windungsbildungen im Großhirn ganz unbekannt sind, lässt
‚sich mit den embryologischen Thatsachen so wenig ausrichten. Hier
kann man der Phantasie freies Spiel lassen, und sich unendlich viel
Drückungen und Spannungen vorstellen. und dies um so bequemer,
als Niemand sie wahrnehmen kann.
Jedoch ist das Eine sicher. dass das kleine Gehirn sich in
einem frühen Zeitabschnitt und dauernd in Falten legt, dass hier auch
die Furchenbildung leichter von statten zu gehen scheint und dass
die Ontogenese der Windungen sich auf dieselbe Weise auffassen
lässt, wie dies weiter oben aus vergleichend-anatomischen Gründen
aus einander gesetzt worden ist.
Das Resultat des zweiten Theiles dieser vorläufigen Mittheilung
ist in Kurzem folgendes:
1) Das Entstehen von Windungen und Furchen im großen so-
wohl als im kleinen Hirn ist unabhängig vom Schädelwachsthum, un-
abhängig vom Verlauf der Blutgefüße,: sowie überhaupt von Allem,
‘was außerhalb des Hirns selbst liegt; die Windungen müssten ent-
stehen, selbst wenn gar kein knöcherner Schädel vorhanden wäre.
2) Die Bildung von Windungen und Furchen ist einfach die
6*
84 G. Jelgersma, Über den Bau des Säugethiergehirns. ?
Folge der Neigung der an der Oberfläche befindlichen Lagen zur {
Flüchenausdehnung und einer gegenseitigen Raumaccommodation der
grauen Substanz und der weißen Leitungsbahnen. Am Kleinhirn sind
diese Verhültnisse am deutlichsten zu demonstriren.
Wesshalb die graue Substanz, vor Allem bei den Säugethieren,
diese Neigung zum Flächenwachsthum so stark verräth, ist unbe-
kannt.
Es ist der Vortheil dieser Theorie — abgesehen von ihrer Ein-
fachheit — dass sie die Entstehung der Windungen im großen, so-
wie im kleinen Hirn erklärt. Sie bringt beide Processe unter einen
gemeinschaftlichen Gesichtspunkt, während die bisherigen Theorien
sich fast ausschließlich mit dem Großhirn beschäftigt haben, ohne
sich irgendwie auf das kleine Hirn anwenden zu lassen.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel IV.
Die Bahnen, welche von der Großhirnrinde ausgehen und nach dem Klein-
hirn sich begeben, sind roth, die vom Kleinhirn nach dem Großhirn verlaufen-
den sind blau gezeichnet.
1. Rinde des Großhirns.
2. Stammganglien.
3. Thalamus opticus.
4. Nucleus ruber.
5. Ganglien des Pons Varoli.
6. Nucleus olivaris inferior.
7. Corpus dentatum cerebelli.
8, 9, 10. Centrifugale Bahn aus der Großhirnrinde durch die Capsula
interna und den Pes pedunculi nach dem Pons Varoli.
11. Dorsale Fasern aus dem Pons Varoli nach der Kleinhirnrinde der
entgegengesetzten Seite.
12. Ventrale Fasern aus dem Pons Varoli nach der Kleinhirnrinde der
entgegengesetzten Seite. (Fig. 11 und 12 Brachium pontis.)
13. Centrifugale Bahn (aus dem Nucleus lentiformis?) nach dem Nucleus
olivaris.
14. Pyramide.
15. Schleife.
16. Kleinhirnrinde.
17. Verbindungen zwischen Kleinhirnrinde und Nucleus dentatus cerebelli.
18. Pedunculi cerebelli ad cerebrum nebst ihrer Kreuzung und Verbindung
mit dem Nucleus ruber.
19.. Gekreuzte Verbindung des Nucleus olivaris mit dem Vermis cerebelli.
20. Faserausstrahlungen des Nucleus ruber nach dem Thalamus opticus.
21. Verbindung des Thalamus opticus mit der Großhirnrinde.
Morpholog. Jahrb. Bd. XV.
Ielgersma gez. Lith duty. A Finke Leipzig.
Schema der intellectuellen Bahnen und Centra
(Verbindung zwischen Gross- und Klankirn)
bei den Säugethieren.. ‘
Verlag von Wilh. Engelmamn in Leipzig.
1 -
.
«
e
t
5
t
Y r
Are
; ‘
;
i
‘
i
f
:
'
i
4
x
= r
-
Mr a
. £
w
* 4
| Uber die Zahl der Richtungskörper
bei befruchteten und unbefruchteten Bieneneiern.
Von
Prof. F. Blochmann.
Mit Tafel V.
Die ‘Beobachtungen, welche ich hier mit den nöthigen Abbil-
dungen versehen vorlege, wurden schon im Sommer des vorigen
Jahres kurz mitgetheilt!. Ich verschiebe diese ausführliche. Dar-
stellung nicht, wie ich ursprünglich beabsichtigte, so lange bis ich
noch einige andere Objekte untersucht habe, weil man bei diesen
Studien vielfach vom Material und günstigen Zufall so abhängig ist,
dass man nicht mit Bestimmtheit einen Zeitpunkt annehmen kann,
bis zu welchem die Arbeit den gewünschten Abschluss erreicht hat.
Ein weiterer Grund, die Ergebnisse jetzt schon vorzulegen, ist,
dass PLATNER?, ganz unabhängig von mir und bei einem anderen
Objekte, zu denselben Resultaten kam, die ich bei der Biene erlangte.
1 Verhandlungen des naturh. med. Vereins zu Heidelberg. N. F. Bd. IV.
2. Heft. 1888. pag. 1—3. :
2 G. PLATNER, Die erste Entwicklung befruchteter und parthenogenetischer
Eier von Liparis dispar. Biol. Centralblatt.. Bd. VIII. 1888. Nr. 17. pag. 521
—524. — Herr Dr. PLATNER hatte die große Freundlichkeit, mir eine Anzahl
‘seiner Präparate von Liparis zur Ansicht zuzusenden. Diese sind ausgezeichnet.
Ich kann nach ihnen seine Angaben hinsichtlich der Richtungskörperbildung in
jeder Beziehung bestätigen. Gleichzeitig will ich bemerken, dass für Nach-
untersuchungen Liparis dispar eben so wie Bombyx mori, Pieris bras-
‘sicae und vielleicht noch andere Schmetterlinge ein vorzügliches Material sind,
da die Kerne verhältnismäßig reich an Chromatin und die Kernplattenelemente
in Folge davon ziemlich groß sind.
86 F. Blochmann
Ich habe schon in meinen früheren Mittheilungen über die Rich-
tungskörper bei Insekten! darauf hingewiesen, dass es von Wichtig-
keit wäre, die Zahl der Richtungskérper bei solehen Eiern festzu-
stellen, welche, ohne befruchtet zu sein, regelmäßig zu männlichen
Thieren sich entwickeln, denn überall da, wo für unbefruchtet sich
entwickelnde Eier die Einzahl der Richtungskörper festgestellt
wurde, handelte es sich um solche, aus welchen Weibchen hervor-
gehen.
Will man nun Eier untersuchen, die sich, ohne befruchtet zu
sein, regelmäßig zu Männchen entwickeln, so bietet sich als erstes
und in mancher Beziehung bequemstes Material die Honigbiene,
bei welcher mit aller wünschenswerthen Sicherheit festgestellt ist,
dass unbefruchtete Eier stets männlichen Thieren den Ursprung geben.
Es ist ferner leicht, die unbefruchteten Eier auch von befruchte-
ten Königinnen zu erhalten, da regelmäßig solche abgelegt werden.
Gleichzeitig sind sie mit Sicherheit von den befruchteten zu unter-
scheiden, da sie in besondere Zellen, die sog. Drohnenzellen, abge-
setzt werden?. Auch in technischer Beziehung bieten die Bieneneier
nur geringe Schwierigkeiten, da die Eihüllen sehr zart sind. Gleich-
zeitig begann ich noch die Untersuchung der Eier von Nematus
ventricosus, von welchem wir durch v. SIEBOLD's sorgfältige
Untersuchungen wissen, dass aus den unbefruchteten Eiern, wenn
vielleicht auch nicht ganz ohne Ausnahme, so doch in den aller-
meisten Fällen männliche Thiere entstehen. Ich konnte mir aber
von dieser sonst gemeinen Blattwespe nur verhältnismäßig wenig
Larven in der hiesigen Gegend verschaffen und von diesen gingen
mir unglücklicherweise die meisten zu Grunde, so dass ich zu wenig
Eier erhielt, um die Untersuchung durchführen zu können.
. .. Noch mehr Hoffnung hatte ich auf die Untersuchung von Cher-
mes abietis L. gesetzt, weil hier der Fall vorliegt, dass bei der-
selben Art aus unbefruchteten Eiern sowohl Männchen als
1 Biol. Centralblatt. Bd. VII. pag. 108-111. Morph. Jahrb. Bd. XII.
pag. 544—574,
? Ich ergreife die Gelegenheit, um Herrn RurscH in Heidelberg, einem
eben so eifrigen als umsichtigen Bienenzüchter, meinen verbindlichsten Dank
zu sagen. Derselbe stellte mir mit der größten Bereitwilligkeit seinen Bienen-
stand zur Verfügung und unterstützte mich durch seine große praktische Er-
fahrung. Eben so bin ich dem Vorstande des hiesigen Bienenziichtervereins,
Herrn Pfarrer Rıeum und Herrn Geometer TREIBER für Überlassung von Ma-
terial zu Dank verpflichtet.
ei
Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. 87
Weibchen entstehen können und weil gleichzeitig wirkliche Rich-
tungskörper von dem Ei abgeschnürt werden, während bei den Hy-
menopteren — eben so wie bei Dipteren und Lepidopteren — wahr-
scheinlich allgemein die Abschnürung unterbleibt und nur die nöthigen
- Kerntheilungen stattfinden. Auch hier hatte ich leider keine wesent-
lichen Ergebnisse zu verzeichnen, da während der Entwicklungsperiode
so kaltes und regnerisches Wetter war, dass ich das nöthige Material
nicht erhalten konnte. Um mich für das nächste Frühjahr gegen
solche Zufälle zu schützen, habe ich gelegentlich meiner Unter-
suchungen über den Entwicklungseyklus von Chermes Kulturen auf
in Töpfe gepflanzten Bäumchen angelegt, so dass ich wohl mit ziem-
licher Sicherheit darauf rechnen kann, im kommenden Frühjahre
diese Fragen zu erledigen. Ich kann hier gleich anfügen, dass ich
für unbefruchtete Eier von Ch. strobilobius Kltb., aus welchen
parthenogenetisirende Weibchen entstehen, die Abschnürung nur eines
Richtungskörpers festgestellt habe.
Das Objekt meiner Untersuchungen, das Bienenei, ist zu be-
kannt, als dass ich bier viel über dasselbe zu sagen hätte. Nur
Weniges zur leichteren Orientirung für das Nachfolgende soll be-
merkt werden. Das hintere Ende, mit welchem es in der Zelle fest-
geklebt wird, ist etwas dünner als das Vorderende. Die eine Lang-
seite ist schwach konkav — der Rückenseite des entstehenden Em-
bryo entsprechend — die ihr gegenüber liegende ist konvex. An
der konvexen Seite, ziemlich nahe am Vorderende, liegt der Eikern,
welcher schon im reifen Ovarialei zur Spindel sich umgewandelt
hat. In Folge ihrer Gestalt sind die Eier leicht zu orientiren. Die
folgende Untersuchung wurde durchaus an sagittalen Längsschnitten
angestellt.
Fig. 1 stellt einen solchen Schnitt durch ein frisch abgelegtes
Ei dar. Die beiden Kernplattenhälften sind schon etwas aus ein-
ander gerückt und zwischen denselben wird die Zellplatte sichtbar.
In Fig. 2 ist die Theilung der Spindel noch weiter fortgeschritten ;
in diesem Präparate waren auch die achromatischen Spindelfasern
etwas zu erkennen. Bei den meisten Präparaten ist davon wenig
zu sehen (wohl in Folge der Präparation). Auch bei den früher
von mir untersuchten Objekten waren dieselben meist nur recht un-
vollständig zu erkennen, mit Ausnahme von Pieris brassicae.
Auch an den von PLATNER mir zugesandten Präparaten von Liparis
dispar treten sie gut hervor.
In Fig. 3 ist die Theilung des Eikernes vollendet. Die äußere
88 F. Blochmann
Hälfte ist der erste Richtungskern, die innere wandelt sich zum
zweiten Richtungsamphiaster um, wie Fig. 4 zeigt.
Zwischen den in Fig. 4 und 5 dargestellten Stadien ist eine
kleine Lücke, in so fern das Theilungsstadium des zweiten Rich-
tungsamphiasters, welches etwa den in Fig. 1 und 2 dargestellten
des ersten entsprechen würde, fehlt. Es gelang mir nicht unter
meinen Schnitten ein solches Stadium aufzufinden. Dies ist jedoch
ohne Bedeutung, da die folgenden Stadien auch ohnedem leicht zu
verstehen sind.
Fig. 5 zeigt das Resultat der vollendeten Theilung, nämlich den
© Pronucleus und den zweiten Richtungskern.
Der erste Richtungskern bleibt nun bei dem Bienenei, so weit
meine Beobachtungen reichen, stets ungetheilt, wie dies auch sonst
bei Insekten vorkommt (z. B. Blatta germanica und Aphiden). -
In anderen Fallen (Musca vomitoria, Liparis dispar nach PLATNER
theilt es sich regelmäßig in zwei Kerne. In allen Fällen, welche
man bisher genauer untersucht hat, ergab sich weiter, dass der
zweite Richtungskern ungetheilt blieb!. Bei Apis scheint aber doch
recht häufig eine Theilung dieses zweiten Richtungskernes vorzu-
kommen. In Fig. 5 und 6 lässt sich davon nichts erkennen, da-
gegen tritt dies in den den Figuren 7 und 8 zu Grunde liegenden
Präparaten deutlich hervor. In Fig. 7 sehen wir an Stelle des zwei-
ten Richtungskernes deutlich zwei getrennte Körnchengruppen, in
Fig. 8 liegen dieselben noch näher zusammen und zwischen den-
selben ist eine Zellplatte angedeutet. Dass die Dreizahl der Körn-
chengruppen (Richtungskerne) nicht wie sonst durch eine Zweithei-
lung des ersten Richtungskernes zu Stande kommt, ist hier ganz
sicher, da dieser stets direkt unter der Oberfläche des Eies und
ziemlich weit von den beiden anderen Körnchengruppen getrennt
liegt und da an ihm in keinem Präparat die Andeutung einer Thei-
lung beobachtet werden konnte.
Der © Pronucleus nimmt bald Bläschengestalt an und rückt
nach der Eiachse zu, um sich hier alsbald in eine Spindel umzu-
wandeln und so durch weitere Theilungen den Kernen der Blasto-
dermzellen den Ursprung zu geben. Die erste Theilung des © Pro-
nucleus ist in Fig. 11 Z.A zu erkennen. Während der Pronucleus
seine Wanderung nach innen vollzieht, gehen an den zwei resp.
! Bei der Korrektur kann ich hier noch anfügen, dass nach den Beob-
achtungen von M. Nusspaum (Zool. Anz. 1889, Nr. 301. pag. 122) auch bei
Pollicipes gelegentlich eine Theilung des zweiten Richtungskörpers vorkommt.
| Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. §9
drei Richtungskernen ähnliche Veränderungen vor, wie ich sie bei
Musca vomitoria gefunden habe. Die Richtungskerne nehmen
jedoch nicht wie dort Bläschenform an, sondern rücken, so wie sie
sind, näher zusammen und werden von einer ziemlich großen Va-
cuole des oberflächlichen, von Dotter freien Plasmas umschlossen.
In dieser Vacuole zerfallen sie in feine Chromatinkérnchen, welche
dann durch den ganzen Hohlraum der Vacuole sich zerstreuen
(Fig. 11). Die Vacuole (Richtungskernmasse) ist noch in den ersten
Stadien der Blastodermbildung leicht nachzuweisen. Man darf wohl
annehmen, dass ihr Inhalt, die Chromatinkörnchen, später aus dem
Ei entfernt wird. Ich habe diesen Punkt nicht weiter verfolgt, da
er für uns hier kein besonderes Interesse hat. In wenigen Präpa-
raten habe ich auch gefunden, dass zwei getrennte solche Vacuolen
existiren.
Im Anschluss an die unbefruchteten Drohneneier habe ich die-
selben Vorgänge ‘auch bei den befruchteten Eiern, die sich zu Ar-
beitern entwickeln, untersucht. Ich kann darüber sehr kurz sein.
Denn die Theilungen des Eikernes verlaufen hier genau in derselben
Weise, wie dies eben geschildert wurde: es entstehen so der erste
Richtungskern, der sich, so weit meine Beobachtungen reichen, nicht
mehr theilt, der zweite Richtungskern, welcher auch bei diesen be-
fruchteten Eiern sich fast stets in zwei andere Körnchengruppen
theilt (Fig. 13) und schließlich der © Pronucleus, welcher, nach der
Eiachse zuwandernd, mit einem eingedrungenen Spermakerne ko-
pulirt. Auch hier habe ich z. Th. zwei Spermakerne im Ei beob-
achtet. In Fig. 12 und 13 ist dies der Fall; beide Spermatozoen
zeigen in Fig. 12 den Kopf noch wenig verändert, in einen Streifen
dotterfreies Plasma eingebettet.
Die Spermakerne nehmen bei längerem Verweilen im Ei die
Gestalt von ziemlich großen hellen Blasen an, in welchen wenige
Chromatinkörnchen suspendirt sind (Fig. 13). Auch der © Pro-
nucleus macht eine ähnliche Umwandlung durch und in diesem Zu-
stande scheint dann der © Pronucleus mit seinem Spermakerne zu
verschmelzen (Fig. 13). Was aus dem oder den anderen sonst noch
eingedrungenen Spermakernen wird, kann ich nicht angeben.
Das Ergebnis nun, dass die unbefruchtet sich entwickelnden
Eier der Biene zwei Richtungskörper bilden, oder richtiger gesagt
zwei Richtungskerne (durch zweimalige Theilung des Eikernes),
wird durch die Resultate PLATxer's bei Liparis dispar in sehr er-
wünschter Weise bestätigt.
90 kam F. Blochmann
Wie schon erwähnt, habe ich die Bieneneier gewählt als Bei-
spiel. wo unbefruchtete Eier sich regelmäßig zu männlichen
Thieren entwickeln, weil alle vorher untersuchten Fälle von parthe-
nogenetischen Eiern, in denen nur ein Richtungskörper gefunden
wurde, solche waren, dass die Eier weiblichen Thieren den Ursprung
gaben. Die bestehende Differenz in der Zahl ist auffallend. Ich
bin jedoch weit entfernt davon, auf dieses Ergebnis jetzt schon
irgend welche Theorie aufzubauen; denn gerade das Objekt PLAr-
NER’s mahnt zur Vorsicht, in so fern es wahrscheinlich ist, dass aus
den von ihm zur Untersuchung benutzten unbefruchteten Eiern so-
wohl Männchen als Weibchen hervorgegangen wären. Denn dies
scheint bei den meisten Schmetterlingen, bei welchen ausnahms-
weise Parthenogenese beobachtet wird, der Fall zu sein. Jedenfalls
kann Liparis dispar erst dann in dieser Frage für vollwerthig
gelten, wenn durch eine größere Anzahl von Züchtungsversuchen
festgestellt sein wird, welches Geschlecht die aus unbefruchteten
Eiern entstehenden Thiere haben. (Vgl. dazu GERSTÄCKER: Die
Arthropoden in Bronn’s Klassen und Ordnungen. Bd. V. pag. 166, wo
nach den Beobachtungen von CARLIER erst die dritte parthenogenetisch
erzogene Generation von Liparis dispar nur aus Männchen be-
stand.)
So, wie die Verhältnisse bis jetzt liegen, kann man nicht ohne
Weiteres sagen, dass Eier, welche unbefruchtet sich zu männlichen
Thieren entwickeln, zwei Richtungskörper bilden, im Gegensatz zu
denjenigen, aus denen Weibchen entstehen. Es könnte nämlich auch
der Fall sein, dass solche Eier, die normal der Befruchtung be-
dürfen, aber gleichzeitig auch die Fähigkeit besitzen, sich bei aus-
bleibender Befruchtung parthenogenetisch zu entwickeln, stets zwei
primäre Richtungskörper bilden, mag Befruchtung eintreten oder nicht,
dass dagegen Eier, die regelmäßig nicht befruchtet werden, oder
überhaupt nicht befruchtet werden können, nur einen Richtungs-
körper ausstoßen (Daphniden, Rotatorien, Aphiden), gleichgültig ob
daraus of oder © entstehen!.
! Betreffs dieses Punktes kann ich hier noch vorläufig Folgendes hinzu-
fügen. Schon im Sommer 1887 suchte ich nach Nematus ventricosus, konnte
das Thier aber in der hiesigen Gegend nicht erhalten; dagegen fand ich auf
Stachelbeeren (Riber grossularia L.) die Larve einer anderen Blattwespe
in größerer Zahl; ich bestimmte sie vorläufig als Emphytus grossulariae
Klg. Von diesen zog ich eine größere Anzahl auf in der Hoffnung, dass aus
den unbefruchteten Eiern sich vielleicht auch Männchen entwickeln würden.
at MEAS
Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. 91
Die definitive Entscheidung darüber, ob die Zahl der Richtungs-
körper bei parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern in irgend
einem Zusammenhange mit dem Geschlechte des entstehenden Thie-
res steht, wird sich, wie oben schon angedeutet, am besten bei
Chermes oder auch bei anderen Aphiden ergeben, weil hier aus
parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern desselben Thieres theils
Männchen, theils Weibchen hervorgehen.
Die Thatsache aber, dass bei manchen Thieren die partheno-
genetisch sich entwickelnden Eier regelmäßig zwei Richtungskörper
bilden, ist in so fern von besonderer Wichtigkeit, als sie die Halt-
losigkeit der von WEISMANnN aufgestellten Theorie über die Bedeu-
tung der Richtungskörper beweist. Es sind ja gegen dieselbe auch
sonst schon verschiedene Einwände geltend gemacht worden, auf
welche ich aber hier nicht näher eingehen will. Es wird dies besser
erst dann geschehen, wenn das noch weiter nöthige Material an
Thatsachen vorliegt.
Ich benutze die Gelegenheit, um mit wenigen Worten noch auf
einige Schriften einzugehen, die mit dem behandelten Thema im
Zusammenhang stehen.
Zuerst ist hier der Aufsatz von Henkine: Die ersten Ent-
wicklungsvorginge im Fliegenei und freie Kernbildung!
zu erwähnen.
HENKINnG hat dabei hinsichtlich der Richtungskérperbildung im
Dies war jedoch nicht der Fall, sondern ich erhielt stets (aus ca. 60 Eiern von
verschiedenen Müttern und zu verschiedenen Zeiten) nur Weibchen. Gleich-
zeitig fiel mir auf, dass aus ca. 30—40 im Freien gesammelten Larven nur
©@ entstanden. Dasselbe Resultat erhielt ich im vorigen Sommer mit Larven
derselben Art von Jugenheim a. d. Bergstraße. Alle entwickelten sich zu CO
und aus allen unbefruchteten Eiern entstanden @Q@. Ein 5 dieser Art ist
mir bisher überhaupt noch nicht zu Gesicht gekommen.
Unter diesen Umständen unterließ ich damals eine eingehendere Unter-
suchung. Jetzt nahm ich das wenige Material, welches ich von diesen Eiern
aufbewahrte, vor und ich glaube heute schon mit ziemlicher Sicherheit behaup-
ten zu können, dass von diesen Eiern, welche sich, so weit bis jetzt bekannt,
parthenogenetisch zu QQ entwickeln, auch zwei primäre Riehtungskörper ge-
bildet werden. Ich gebe diese Mittheilung, des großen Interesses wegen, das
die Frage besitzt, schon jetzt, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, sie
im nächsten Frühjahre durch eingehendere Beobachtungen sicherzustellen.
Sollten sich diese Beobachtungen bestätigen, so würde die zweite oben ange-
deutete Auffassung, dass nämlich normal befruchtungsbedürftige, fakultativ
aber auch parthenogenetisch sich entwickelnde Eier stets zwei Richtungskörper
bilden, bedeutend an Wahrscheinlichkeit gewinnen.
1 Zeitschr. für wissensch. Zuologie. Bd. XLVI. 1858. pag. 289—336.
92 F. Blochmann
Wesentlichen dieselben Dinge gesehen, wie ich sie bereits vorher
beschrieben hatte. Er deutet jedoch die Untersuchungsergebnisse
ganz anders, indem er von den drei an der Eioberfläche liegenden
Richtungskernen zwei für Spermakerne, einen für den © Pronucleus
erklärt. Es wäre nicht schwer, Schritt für Schritt nachzuweisen.
wie er dadurch zu einer falschen Auslegung kam, dass er den gan-
zen Vorgang der Richtungskörperbildung verkehrt auffasste, indem
er das Endstadium für das erste hielt und umgekehrt. Ich kann
dies jedoch unterlassen, da HENKING selbst inzwischen seinen Irr-
thum eingesehen und meine Erklärung der Vorgänge als die richtige
anerkannt hat!. Trotzdem aber glaubt er auch in dem sich ent-
wickelnden Fliegenei freie Kernbildung festgestellt zu haben. Ich
bin aber der Überzeugung, dass HEnkıng durch weiter fortgesetzte
Untersuchungen dazu kommen wird, auch diese Ansicht noch auf-
zugeben.
Weiter habe ich noch Einiges über WEISMAnN’s Schrift: »Das
Zahlengesetz der Richtungskörper und seine Entdeckung« (Morph.
Jahrb. Bd. XIV. 3. Heft. 1888) zu sagen. Es wird mir dabei aller-
dings nicht möglich sein, die bewunderungswerthe Kraft der Weıs-
MANN’schen Ausdrucksweise zu erreichen: ich strebe aber auch nicht
danach.
WEISMANN giebt zu, dass ich den Zahlenunterschied der Rich-
tungskörper vor ihm betont habe, sagt aber, dies sei nur gelegent-
lich geschehen, über das Zahlengesetz hätte ich nicht »gearbeitet «.
Das ist ganz richtig; ich war vorsichtiger und wollte nicht auf we-
nige Beobachtungen hin eine weitausschauende Theorie aufstellen.
wie WEISMANN es gethan hat. Ich hatte damals schon die richtige
Idee, dass unbedingt auch Eier zu untersuchen wären, welche sich.
ohne befruchtet zu sein, zu männlichen Thieren entwickeln.
Der Erfolg hat mir Recht gegeben; hätte WEISMANN diese Un-
tersuchung vorgenommen, oder auch nur an die Möglichkeit einer
Verschiedenheit gedacht, so hätte er seine Theorie nicht zu schreiben
brauchen.
WEISMANN sagt dann weiter, wenn ich unabhängig von ihm
nicht nur eine erste Ahnung von der Möglichkeit des Zahlen-
gesetzes gehabt, sondern dasselbe als meine Überzeugung hingestellt,
1 HENKING, Über die Bildung von Richtungskörpern in den Eiern der In-
sekten und deren Schicksal. Nachr. der kgl. Ges. der Wissensch. zu Göttingen
1888. pag. 1-6.
Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. 93
mit neuen Beweisen gestützt hätte, so würde er mich als Mitentdecker
anerkennen. Das habe ich nie verlangt und verlange es auch jetzt
nicht. Ich habe nie die Weısmann’sche Theorie für richtig gehalten
und konnte natürlich auch das Zahlengesetz, wie es von WEISMANN
fixirt wurde, d. h. mit Gültigkeit für alle parthenogenetisch sich
entwickelnden Eier, nicht als meine Überzeugung hinstellen, da damals
noch die Untersuchung von Eiern ausstand, welche sich unbefruchtet
an männlichen Thieren entwickeln und das damals vorliegende Ma-
terial nach meiner Ansicht überhaupt nicht zur Aufstellung einer
Theorie berechtigte. Was ich für mich verlangte, ist: zum ersten
Mal öffentlich ausgesprochen zu haben, dass ein Unterschied in der
Zahl der Richtungskörper bei befruchtungsbedürftigen und bei par-
thenogenetisch sich zu Weibchen entwickelnden Eiern besteht. Dass
ich dabei WEısmann’s Angaben über die Daphnideneier zur Stütze
meiner Beobachtungen benutzte, ist selbstverständlich. Ich habe
sie benutzt wie jede andere in der Litteratur enthaltene No-
tiz. Wenn sie nicht vorgelegen hätten, so hätte ich jedenfalls
genau dasselbe über meine Beobachtungen bemerkt, denn für mich
standen sie und stehen sie heute noch fest genug auch ohne die
WEISMANN’sche Bestätigung. Ich bin auch nicht der Ansicht, dass
wie WEISMANN verlangt, um die Einzahl der Richtungskörper bei
den Aphiden festzustellen, der Nachweis erforderlich ist:
»1) der Umwandlung des Keimbläschens zur ersten Richtungs-
- spindel, 2) der Theilung derselben und Bildung eines ersten Rich-
tungskörpers, und 3) der Umwandlung der centralen Hälfte dieser
selben Richtungsspindel zum Furchungskern .«. ‘
Denn zweifelhaft über die Herkunft der Richtungskörper kann
man nur sein, wenn zwei solche sich finden, da man dann aller-
dings ohne genaue Untersuchung nicht wissen kann, ob beide vom
Ei ausgestoßen wurden, oder ob der eine ausgestoßene sich theilte.
Findet sich dagegen außerhalb des Eies stets nur ein Richtungs-
körper, so wird wohl überhaupt keine andere Annahme übrig bleiben,
als dass eben nur einer gebildet wird.
WEISMANN stellt die von ihm vorgenommenen Änderungen der
Citate-aus seinen und meinen Mittheilungen als irrelevant hin; ich
überlasse die Beurtheilung dem Leser selbst.
Dagegen habe ich zu dem nachfolgenden Passus doch Einiges
zu bemerken. WEISMANN sagt, dass ich seine Angabe, dass er ab-
sichtlich in seinen früheren Mittheilungen das Wichtigste verschwiegen
habe, nicht traute, und fährt dann weiter fort: »Offenbar kann er
94 F. Blochmann
nicht fassen, wie man mit einer solchen Erkenntnis, wie das ‚Zahlen-
gesetz der Richtungskörper‘ sie ist, jahrelang umhergehen kann,
ohne sie von sich zu geben. Es ist indessen von jeher meine Art
gewesen, die Ergebnisse meiner Arbeit so lange zurückzuhalten und
mit mir umherzutragen, bis sie einen gewissen Zustand der Reife
erlangt hatten.«
Ich begreife im Allgemeinen schon, dass man einen Gedanken
ausreifen lassen kann, möchte mir aber nur die Frage erlauben, wie
WEISMANN, wenn dies seine Art ist, dazu kam, die Idee von der
partiellen Befruchtung in die Welt zu setzen, um sie wenige Wochen
später selbst wieder zurückzunehmen. Das war doch sicher kein
ausgereifter Gedanke!
WEISMANN ist empört darüber, dass ich die STUHLMANN’sche Ar-
beit mit seinen Untersuchungen in Zusammenhang gebracht und dar-
aus geschlossen habe, dass seine Ansichten über das allgemeine
Vorkommen der zwei Richtungskörper zu jener Zeit noch nicht be-
sonders gefestigt gewesen sein könnten. Er schiebt die ganze Ver-
antwortlichkeit für diese Arbeit Herrn STUHLMANN zu.
Ich glaube aber, dass der Lehrer für die Erstlingsarbeit eines
Schülers doch jedenfalls so weit verantwortlich ist, dass er nicht eine
Arbeit publiciren lässt, welche er seiner festen Überzeugung nach
im wesentlichsten Punkte als eine verfehlte bezeichnen muss. Es
ist darum auch vollständig unnöthig, dass WEISMANN eine ganze
Reihe von Zeugen auftührt, die ihm bestätigen sollen, dass er schon —
zu jener Zeit in voller Ausarbeitung seiner Richtungskörpertheorie
gewesen sei. Ich konnte mich bei meinen Erörterungen nur an das
gedruckt vorliegende Material halten; was im Freiburger zoologischen
Institut mündlich verhandelt wurde, konnte und brauchte ich nicht
zu wissen.
WeIsMANN hat dann zum Schlusse seiner Erörterung noch an
dem Tone, in welchem ich die Arbeiten anderer, besonders jüngerer
Forscher, kritisirt habe, Verschiedenes auszusetzen. Die Arbeiten,
die er dabei wohl hauptsächlich im Auge hat, sind die schon er-
wähnte Untersuchung STUHLMANN’s und die Arbeit HENkKING’s über
das Phalangidenei. Ich habe diese Arbeiten schärfer kritisirt, weil
sie auf an ungünstigem Material angestellte und nachweisbar ungenaue
1 WEISMANN und ISCHIKAWA, Uber partielle Befruchtung. Ber. d. naturf.
Ges. zu Freiburg i. B. Bd. IV. 1. Heft. pag. 51—53. Nachtrag. Ebenda.
2. Heft. pag. 1—4 und Biol. Centralbl. 1888. Bd. VIII. pag. 430—436.
Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. 95
Beobachtungen oder offenbar unrichtige Deutung des Beobachteten
sich gründend, Behauptungen aufstellten, die mit den sonst allge-
mein geltenden, wohlbegründeten Ansichten in Widerspruch stehen.
Es war dabei viel weniger das mangelhafte Untersuchungsergebnis.
was mich zu einer schärferen Kritik bestimmte, als die Prätension,
mit welcher diese ungenügenden Resultate, besonders in der Hen-
KING’schen Arbeit, als absolut einwurfsfrei hingestellt wurden.
Ich habe damit gesagt, was ich zu den Ausführungen Weıs-
MANN’S noch bemerken zu müssen glaubte und betrachte damit die
polemische Seite der Angelegenheit für mich als erledigt. Ich bin
auch jetzt noch der Ansicht, dass es besser ist, die Untersuchung
nach allen Seiten hin auszudehnen und dann erst zur Konstruktion
einer Theorie zu schreiten, statt auf eine beschränkte Anzahl von
Thatsachen hin eine umfassende Spekulation zu gründen, die sich
nur zu bald als nicht haltbar erweist, da sie mit den Ergebnissen
der Beobachtung in Widerspruch kommt.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel V.
Sämmtliche Abbildungen sind nach auf dem Objektträger mit Boraxkarmin
gefärbten, in sagittaler Richtung geführten Paraffinschnitten gezeichnet. Zur
Untersuchung wurde benutzt ZEıSS Apochr. hom. Imm. 2,0 mm Oc. Nr. 4 und 8.
Vergrößerung der Abbildungen #%/,.
Bezeichnungen.
4ı erster Richtungsamphiaster, Rn Richtungskernmasse,
Ay zweiter Richtungsamphiaster, Qprn © Pronucleus,
Rn, erster Richtungskern, sp Spermakern.
En; zweiter Richtungskern,
e bedeutet, dass die Figur aus zwei oder mehreren auf einander folgenden
Schnitten kombinirt ist.
Fig. 1—11 beziehen sich auf unbefruchtete (Drohnen-) Eier.
Fig. 1, 2, 3. Drei verschiedene Theilungszustände des ersten Richtungsam-
phiasters; in Fig. 1 und 2 die Zellplatte deutlich.
Fig. 4. Umwandlung der inneren Hälfte des ersten Richtungsamphiasters zum
zweiten Richtungsamphiaster. c.
96 F. Blochmann, Zahl d. Richtungskörper b. befruchteten u. unbefr. Bieneneiern.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
5 und 6. Aus der Theilung des zweiten Richtungsamphiaster ist der
7
zweite Richtungskern und der @ Pronucleus entstanden. (Fig. 5. e.)
Der © Pronucleus hat schon Bläschengestalt angenommen und ist
etwas weiter nach dem Eiinneren zu gerückt. Der zweite Richtungs-
kern in Theilung.
Ein ähnliches Stadium. In der aus dem zweiten Richtungskern ent-
standenen Spindel ist eine Andeutung der Zellplatte zu bemerken. ce,
und 10. Ähnliche Stadien. e.
Die Richtungskerne sind zur Richtungskernmasse zusammengetreten.
Diese ist eine helle, im dotterfreien Randplasma gelegene Vacuole,
in welcher die Chromatinkörnchen als feine Wolke suspendirt sind.
Im Centrum des Eies der erste Amphiaster des Eikernes. ce.
Fig. 12 und 13 befruchtete (Arbeiter-) Eier.
12.
13.
Ein Ei, das den fast vollständig getheilten ersten Richtungsamphiaster
und zwei eingedrungene Spermatozoen zeigt. c.
Ein etwas älteres Ei, bei welchem sich der Richtungskern II getheilt.
hat und in welchem der stark angeschwollene © Pronucleus im Be-
griff ist, mit einem ebensolchen Spermakerne zu kopuliren. spo ein
anderer Spermakern. c.
Morpholog. Jahrb. Ba.XV. . ‘ - ’ ; Tat V.
- Aig3. Fi Fig.1
> Ag1 Is 7 2
4 ig: wa Fig. 10. ia ERBE
= - j ay £ >
| . 4 m I
Ö \ Fig.2. 3 ah Ä ~ Rn
1, F y N
: iy An, ä = N
N Nat Rn,.- We. N
y u oe a. \
\ 2 d Sprn B
hen: é \
1, ns : { \
ER A
4 a =
o / E 2
= ZA
Fig. &. fig. 6.
\ >
A; a
An,
= 50.5; Fig 72. 2
Bas I Rn fi > A a
see SS Rn,
rs prn 1 Ae
Fe \ wt ;
An, Sp
Rn,
5 , 3 ly
+ pm %
8
Fig.13.
3
fig.7. Fig. 8. £
\ fg 7 IB:
, \ x
N
\ . \
Fig. 9. Sp; Rn,
En, ü Rin.
> Rn, Rn,
. E _& 4 J ¥ ”
| we = xy i
= \ 2 prn
Spin AR 1 a re fn,
2 prn E
\ t >
\ | Sp,
} |
\ |
|
2 pra
Laer — — i rn ~ i — er a =< —— = — —— = —=* 4
T With. Engelmann
re re
Von
Dr. Ernst Mehnert
in Dorpat.
Mit Tafel VL
Vögel. Die Resultate dieser an ae verschiedener Vogel-
en ausgeführten Untersuchung ermöglichten es, die Zusammen-
setzung des Beckengiirtels der Vögel und seine Beziehungen zum
Reptilienbeckengiirtel festzustellen. Überraschend war die Beobach-
ögel in einem Stadium, in welchem man zuerst Knorpelgewebe
erkennen kann, drei völlig gesonderte Knorpel unterscheiden ließ,
weil gleiche Verhältnisse bei der ersten Anlage des Beckengürtels
worden waren. Zudem widersprach dieser abweichende Befund
direkt den Vorstellungen, die man sich von der primitivsten Form
auf gewisse vergleichend-anatomische Verhältnisse die Ansicht be-
gründet schien, dass der Beckengürtel sämmtlicher höheren Wirbel-
thiere von einer einheitlichen Knorpelspange abzuleiten sei.
1 Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. Morph.
Jahrb. Bd. XII. pag. 259.
2 ALex. Bunce, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte des Becken-
els der Amphibien, Reptilien und Vögel. Dorpat. Inauguraldiss. 1880.
3 Emi, ROSENBERG citirt von GEGENBAUR. Morph. Jahrb. Bd. II. 1876
| pag. 238 und Arrx. Bunce. Diss. pag. 7.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 7
98 Ernst Mehnert
Um diese verwickelten Verhältnisse zu klären, unternahm ich
vorliegende Untersuchung. Ich wählte als Untersuchungsobjekt die
Säugethiere, denn nur von ihnen allein konnte ich voraussetzen,
dass sie mit den Vögeln in keinem direkten genealogischen Ver-
hältnisse stehen. Es war a priori zu erwarten, dass bei solchen
Wirbelthieren auch die erste Anlage des Beckengürtels und auch
der Entwicklungsmodus dieses Skelettheiles Verschiedenheiten auf-
weisen würden von dem bei Vögeln erkannten Verhalten.
Der Beckengürtel der ausgewachsenen Säugethiere besteht —
falls man von Cetaceen, einigen Edentaten und Monotremen absieht
— aus einer einheitlichen, der Fläche nach gekrümmten Knochen-
platte, welche an der Grenze zwischen ihrem dorsalen und ventralen
Abschnitte eine Einschnürung zeigt, so dass eine sanduhrförmige
Gestalt resultirt. Der ventrale Abschnitt zeigt eine ovale Öffnung
(Foramen ovale seu obturatorium).
An dem Hüftbeine jugendlicher Säugethiere lassen sich jedoch
auf Grund der Ossifikationsvorgiinge drei gesonderte Theile unter-
scheiden, welche von sämmtlichen Forschern als Ilium, Ischium und
Pubis bezeichnet und homolog gesetzt werden den betreffenden Ab-
schnitten in dem Beckengürtel der übrigen höheren Wirbelthiere.
Die Zusammensetzung aus drei gesonderten knéchernen Theilen,
welche erst im Laufe der individuellen Entwicklung mit einander zu
einem einheitlichen Skelettheile verwachsen, galt schon seit langer
Zeit als charakteristisch für das Hüftbein der Säugethiere. Daher
bezeichneten die ältesten deutschen Wundärzte das Hüftbein des
Menschen als » Dreybein«.
Eine neue Auffassung der Zusammensetzung des Beckengürtels
und der relativen Bedeutung seiner knöchernen Komponenten machte
sich geltend seit einer epochemachenden Entdeckung von Emit Ro-
SENBERG!. Dieser Forscher entdeckte, dass bei menschlichen Em-
bryonen der Abschnitt, welcher beim ausgewachsenen Menschen als
Pubis bezeichnet wird, eine selbständige Anlage besitzt, während in
diesem Stadium das Ilium und das Ischium zusammenhängend an-
getroffen werden. Dieser Befund berechtigte zu der Auffassung,
dass der Beckengürtel der Säugethiere ursprünglich sich nicht aus
drei Bestandtheilen zusammensetzt, wie bisher auf Grund der Ossi-
fikation angenommen wurde, sondern nur aus zwei, einem Scham-
beintheil und einem Darmbeinsitzbeintheil.
1 Morph. Jahrb. Bd. Ii. pag. 238. Dessgleichen ALEXANDER BUNGE,
Diss. pag. 7.
IE
ee
Unters. über die Entwickl. des Beckengiirtels bei einigen Säugethieren. 99
Eine andere Eigenthümlichkeit des Pubis gegenüber dem Ilium
und Ischium wurde von GEGENBAUR nachgewiesen. GEGENBAUR!
fand, dass bei einigen Säugethieren‘ das Pubis sich nur in geringem
Grade an der Bildung des Acetabulum betheiligt, bei anderen sogar
völlig von der Pfanne des Hüftgelenkes ausgeschlossen ist.
Im Hinblick auf diese Befunde stellte GEGENBAUR? die Hypo-
these auf: »dass der eigentliche Beckengürtel ursprünglich nur durch
das Darmbein und Sitzbein, oder vielmehr durch ein später mit der
Verknöcherung in diese beiden Stücke sich sonderndes Knorpelstück
gebildet wird. Das Schambein wäre dann ein erst mit dem pri-
mären Hüftbein sich sekundär verbindendes Stück, welches bei Am-
phibien noch gar nicht nachgewiesen ist, unter den Reptilien bei
Crocodilinen die primärsten Beziehungen zum Beckengürtel besitzt«.
In derselben Mittheilung hebt GEGENBAUR? hervor, dass »die
Phylogenie des Schambeins nicht einfach durch einen Sonderungs-
vorgang aus einem indifferenten Schamsitzbein nachweisbar ist«.
Eine weitere Bestätigung der von GEGENBAUR ausgesprochenen
Hypothese ergaben die Untersuchungen von ALEXANDER BUNGE.
BunGe* fand, dass bei der ersten Anlage des Os pelvis des Hühn-
chens nur das Pubis sich selbständig anlegt. Somit ergab sich beim
Huhne eine Übereinstimmung mit den Verhältnissen, wie sie RosEn-
BERG bei menschlichen Embryonen schon früher beobachtet hatte.
Obgleich es somit als bewiesen angesehen werden musste, dass
dem Beckengürtel der Säugethiere zum mindesten zwei ursprünglich
von einander getrennte, morphologisch differente Stücke zu Grunde
liegen, suchte Huxrey, mit Hintansetzung dieser embryologischen
Ergebnisse, nur gestützt auf die Untersuchung ausgewachsener For-
men, das Hüftbein der Säugethiere in direkte genetische Beziehung
zu bringen mit einer solchen Form des Beckengürtels, wie sie bei
jetzt lebenden Amphibien als ein einheitlicher, in seinem ventralen
Abschnitte plattenförmiger Skelettheil vorliegt. HuxLey>5 fasst das
1 GEGENBAUR, Uber den Ausschluss des Schambeins von der Pfanne des
Hüftgelenkes. Morph. Jahrb. Bd. II. pag. 229.
2 Ebendaselbst. pag. 238.
3 Ebendaselbst. pag. 237.
4 BUNGE, Diss. pag. 46.
5 T. HuxLey, On the Characters of the Pelvis in the Mammalia, and the
Conclusions respecting the Origin of Mammals which may be based on them.
By Professor HuUxLEy. Proceedings of the royal society of London. Vol, XXVIII.
From November 21, 1878 to April 24, 1879.
‘+
100 Ernst Mehnert
Ergebnis seiner Untersuchung in folgenden Worten zusammen:
» These facts appear to me to point to the conclusion that the Mam-
malia have been connected with the Amphibia by some unknown pro-
mammalian group, and not by any of the known forms of Saurop-
sida.« HUXxLEY bezeichnet eine Form des Beckengiirtels, wie sie
bei Salamandra vorliegt, als Urform des Beckengürtels sämmtlicher
höheren Wirbelthiere. Die betreffende Stelle lautet: »It seems to
me that, in such a pelvis as that of Salamandra, we have an ade-
quate representation of the type from which all the different modi-
fieations which we find in the higher Vertebrata may have taken
their origin.«e Wie man sich diesen genealogischen Entwicklungs-
gang vor sich gegangen denken muss, giebt HuxLey nicht an. Je-
doch finden wir diesen Gedanken weiter ausgeführt in der Disser-
tation von ALEX. BUNGE.
BunGE suchte in dieser, auf Veranlassung E. ROSENBERG’s an-
gefertigten Schrift eine zuerst von GEGENBAUR? angedeutete, aber
in der Folge von GEGENBAUR selbst wieder verlassene Hypothese,
wie man sich die Phylogenie des Beckengiirtels der Wirbelthiere
vorstellen muss, von Neuem zu begründen. BuxGE nahm an, dass
ein einheitliches Pubo-ischium, wie es jetzt bei lebenden Amphibien
vorliegt, eine Fensterung erfahren habe, welche neben dem Foramen
obturatorium begann. »Vergrößert sich nun das Fenster nach der
medialen Seite hin und durchbricht den Rand, so haben wir ein
Becken, wie es die Saurier besitzen; nimmt es vorher das Foramen
obturatorium in sich auf, ohne den medialen Rand zu durehbrecben,
so ist das Becken der Landschildkröten hergestellt; erreicht und
durchbricht es hierauf auch den medialen Rand, so erhalten wir die
Verhältnisse, die uns das Becken der Seeschildkröten darbietet.«
Bei dieser Herleitung des Beckengürtels der höheren Wirbelthiere
von einer ungefensterten Grundform thut Buner des Säugethierhüft-
beines keine Erwähnung. Da jedoch der ventrale Abschnitt des
Beckengiirtels der Säugethiere und Landschildkröten im Princip
übereinstimmende Verhältnisse darbietet, so ist es nur gestattet, falls
! Ebendaselbst. pag. 403.
2 GEGENBAUR, Grundzüge der vergleichenden Anatomie. pag. 236, 237.
3 GEGENBAUR, Über den Ausschluss des Schambeins. Morph. Jahrbuch.
Bad. II.’ pag. 237.
4 BUNGE, Diss. pag. 35, 36.
5 An dieser Stelle spricht BUNGE wiederholt vom »Becken«, meint jedoch
— wie aus dem Zusammenhange hervorgeht — stets den Beckengiirtel.
y
4
wars
er. = | SE ee:
Unters. über die Entwickl. des Beckengiirtels bei einigen Säugethieren. 101
man sich auf den Standpunkt der BunGe’schen Fensterungstheorie
stellt, anzunehmen, dass der ventrale Abschnitt des Beckengiirtels
der Säugethiere durch denselben Fensterungsmodus aus einem ein-
heitlichen Pubo-ischium hervorgegangen ist, wie dieses Bunce für
die Landschildkröten vermuthet.
Auf Grund dieser Fensterungshypothese war es vorauszusetzen,
dass bei Säugethierembryonen in dem ventralen Abschnitte des
Beckengiirtels Anfangs nur eine relativ kleine Öffnung zur Beobach-
tung gelangen werde, welche im Laufe der embryonalen Entwicklung
eine Größenzunahme erfährt. Als entscheidend musste das Verhalten
des N. obturatorius angesehen werden. Da bei ausgewachsenen
Säugethieren der Nervus obturatorius dem Pubis dieht anliegt und
in einer tiefen halbkanalartigen Furche desselben verläuft (Suleus
obturatorius), bei niederen Wirbelthieren (Amphibien und Reptilien)
jedoch allseitig vom Pubis umschlossen ist, so war vorauszusetzen,
dass bei jüngeren Säugethierembryonen der Nervus obturatorius noch
vom Knorpel des Pubis allseitig umschlossen sei und erst im Laufe
der späteren Entwicklung durch ein Fortschreiten der »Fensterung«
frei werde.
Ich untersuchte Embryonen von Schafen, Katzen und Kaninchen.
In Betreff der bei der Bearbeitung dieses Materials eingehaltenen
Technik. verweise ich auf meine frühere Mittheilung. Jeden Embryo
zerlegte ich, wie ich dieses schon bei Vogelembryonen geübt hatte,
in zwei kontinuirliche Schnittserien. Aus der einen Körperhälfte
fertigte ich Sagittalschnitte an, aus der anderen Körperhälfte Quer-
schnitte senkrecht zur Verlaufsrichtung der Chorda. Die Schnitt-
dicke betrug durchschnittlich */,, mm, weil die Erfahrung mich ge-
lehrt hatte, dass bei dieser Schnittdicke die Kontouren der ersten
Anlage des Beckengürtels am deutlichsten hervortreten. Einzelne
Embryonen wurden in kontinuirliche Schnittserien von !/;,; mm zer-
legt, um die histologischen Verhältnisse sicherer beurtheilen zu können.
Bei der beträchtlichen Ausdehnung der zu untersuchenden Re-
gion war es unmöglich, in einem Schnitte ein hinlänglich übersicht-
liches Bild zu erhalten. Um die Kombination der zahlreichen Schnitte
einer Serie objektiv zu sichern, skizzirte ich einen jeden Schnitt
einzeln vermittels einer ABBE’schen Camera lucida mit großem Spiegel,
wobei ich jedoch nicht nur den Beckengürtel berücksichtigte, son-
dern auch die Leibeskontouren und die Kontouren sämmtlicher in
102 Ernst Mehnert
dem Gesichtsfelde befindlicher Organe sorgfältig zeichnete. Die
Sehnitte einer jeden Serie kombinirte ich vermittels Durchpausung
und gelangte auf diese Weise zu einem Kontourbilde des ganzen
Beekengürtels. Um die sehr verschiedenen Grade der histologischen
Differenzirung, die die einzelnen Theile des Beckengürtels zeigten,
auch in den Kombinationsbildern zur Anschauung zu bringen, ent-
sehloss ich mich, die beobachteten Gewebsarten in die Kontourzeich-
nungen einzutragen, da diese allein mir die Verhältnisse nicht ge-
nügend klar zu legen schienen.
Auf diese Weise bildete ich Fig. 6—12 und Fig. 14.
Mittheilung der Untersuchungsergebnisse.
Bei einem Schafsembryo von 14 mm Körperlänge lässt sich in
jeder Körperhälfte in der Region zwischen den Nerv. cruralis, ob-
turatorius, ischiadieus ein aus dieht an einander gefügten Zellen
gebildetes sternförmiges Zelllager nachweisen, welches, lateral mit
dem in diesem Stadium schon knorpeligen Femur im Zusammen-
hange stehend, sich relativ scharf von der mehr lockeren. Umgebung
abgrenzt. Man kann an diesem Zelllager drei Ausläufer unterschei-
den, von denen der eine dorsalwärts, die beiden anderen ventral-
wärts gerichtet sind. In diesen Ausläufern stehen die Zellen dichter
als in der centralen Partie, welche mit dem Femur zusammenhängt.
Der dorsale leicht plattenförmige Fortsatz (zwischen dem N. cruralis
und N. ischiadieus) geht. allmählich sich verbreitend, ohne scharfe
Grenze in das umgebende Gewebe über. Der ventrale und eraniale
Fortsatz (zwischen N. cruralis und N. obturatorius) hat die Gestalt
eines zarten, leicht gebogenen Stabes. Der ventrale und caudale,
gleichfalls stabförmige Ausläufer (zwischen dem N. obturatorius und
N. ischiadieus) ist plumper als der vorher erwähnte; sein freies
Ende lässt sich nicht scharf von dem umgebenden Gewebe abgren-
zen. Knorpelintercellularsubstanz lässt sich in diesem Zelllager an
keiner Stelle zur Wahrnehmung bringen.
Der N. obturatorius ist von den dicht stehenden Zellen nicht
umschlossen, liegt vielmehr völlig frei in dem lockeren Gewebe,
welches zwischen den beiden ventralen Ausläufern gelagert ist.
Völlig übereinstimmende Verhältnisse beobachtete ich bei einem
Katzenembryo von 11 mm Kl. (Körperlänge).
Bei einem älteren Schafsembryo (Kl. 15,5 mm) sind die Kon-
touren des dicht gefügten Zelllagers schärfer geworden. In den drei
Unters. über die Entwickl. des Beckengürtels bei einigen Säugethieren. 103
oben erwähnten Ausläufern lassen sich Spuren von Knorpelinter-
cellularsubstanz zur Wahrnehmung bringen.
Auch in diesem Stadium ist der N. obturatorius völlig frei,
nicht von dicht stehenden Zellen umschlossen.
In Fig. 6 liegt der Beckengürtel von einem etwas älteren
Schafsembryo vor (Kl. 16 mm). Es treten uns drei gesonderte
Knorpelstücke entgegen, welche in der Gegend des späteren Aceta-
bulum durch breite Zonen eines kleinzelligen Gewebes von einander
getrennt sind. Wegen der Lagerung zwischen den N. cruralis, ob-
turatorius und ischiadieus sind diese Knorpelstücke als Ilium, Ischi-
um und Pubis zu deuten. Der dorsale Abschnitt des Ilium ist
fächerförmig verbreitert. In seinem ventralen Theile lassen sich
zwei Fortsätze erkennen, welche Acetabularfortsiitzen — wie die
weitere Entwicklung lehrt — entsprechen und von denen der cra-
niale als Processus ilei acetabularis pubicus, der caudale als Pro-
cessus ilei acetabularis ischiadicus bezeichnet werden muss. Das
Pubis ist stark gebogen!. Das Ischium zeigt an seinem ventralen
Ende einen Fortsatz (R.un.isch), welcher dem Pubis zugekehrt ist.
Die ventralen Enden des Pubis und des Ischium sind mit einander
noch nicht verbunden, sondern durch. eine breite Zone von lockerem
Gewebe von einander getrennt. |
Im Prineip dieselben Verhältnisse liegen bei einem Katzenem-
bryo vor (12 mm Kl., Fig. 12 C©.d). Am ventralen Abschnitte des
Ilium vermisst man jedoch selbst Andeutungen von Processus aceta-
bulares. Die Krümmung des Pubis (Pub) ist geringer wie beim
oben beschriebenen Schafsembryo (Fig. 6). Der vom ventralen Ende
des Ischium (Jsch) ausgehende Fortsatz (R.un.isch) ist nur sehr
wenig entwickelt.
Zunächst werde ich nur die weiteren Entwicklungsvorgänge in
der Acetabularregion ins Auge fassen. Vergleicht man die Aceta-
bularregion eines Schafsembryo von 16 mm Kl. (Fig. 6) mit der
Acetabularregion eines Schafsembryo von 17 mm (Fig. 7), so findet
man, dass der Processus ilei acetabularis pubicus und der Processus
ilei acetabularis ischiadicus an Größe zugenommen haben. Während
1 Bei diesem Schafsembryo (Fig. 6) kann man beobachten, dass das Pubis
in seiner histologischen Differenzirung um ein Geringes hinter dem Ischium
und Ilium zurückgeblieben ist. Gleiche Befunde liegen auch für Katzenem-
bryonen vor. Dieses Verhalten scheint nicht nur den Säugethierembryonen
zuzukommen, denn Gleiches habe ich auch bei Hühnerembryonen gesehen. Bei
wild lebenden Vögeln fiel mir dieses nicht auf.
104 Ernst Mehnert
jedoch der Processus ilei acetabularis pubicus und der dorsale
Abschnitt des Pubis noch relativ weit von einander entfernt: sind,
ist zwischen dem Processus ilei acetabularis ischiadieus und dem
unterdessen aufgetretenen Processus ischii acetabularis iliacus nur
eine schmale Zone eines kleinzelligen Gewebes nachzuweisen (Fig. 1
Schnitt aus der Acetabularregion desselben Schafsembryo). Von der
medialen Partie des Processus ischii acetabularis iliacus geht eine
dünne Knorpelplatte aus, welche den ventralen Theil des Bodens
des Acetabulum zu bilden bestimmt ist. Ich nenne diese Platte
»Acetabularbodenplatte des Ischium« (Act.bd.plt.isch).
Bei einem älteren Schafsembryo (Fig. 8) ist das Pubis vom Ili-
um noch völlig getrennt; Ischium und Ilium sind jedoch unter ein-
ander verschmolzen. In vielen Schnitten ist zwischen den Aceta-
bularfortsätzen der letzteren noch eine auf dem Schnitt keilförmige
Zone von Bindegewebe nachzuweisen (Fig. 2). Zwischen den beiden
Acetabularfortsätzen des Ilium breitet sich gleichfalls eine dünne
Acetabularbodenplatte aus, welche mit der in diesem Stadium schon
stark entwickelten Acetabularbodenplatte des Ischium verschmolzen ist.
Nahezu dieselben Verhältnisse treten bei einem Schafsembryo
von 18 mm Kl. entgegen (Fig. 9). Ilium und Ischium sind völlig
mit einander verschmolzen; zwischen ihnen vermisst man jede An-
deutung einer früheren Trennung (Fig. 3), während das Pubis und
Ilium einander zwar sehr genähert, jedoch noch völlig von einander
getrennt sind. Die Entwicklung der Acetabularbodenplatte hat Fort-
schritte gemacht. Nur ein kleiner Abschnitt des Acetabularbodens
ist noch nicht von Knorpelgewebe gebildet.
In der Acetabularregion eines Schafsembryo von 20 mm Kl.
(Fig. 4 und 10) sind Ilium, Ischium und Pubis unter einander ver-
bunden. Zwischen dem Ilium und dem Pubis verräth nur eine
schmale Zone, in welcher das Knorpelgewebe intercellularsubstanz-
ärmer ist als in den übrigen Partien des Beckengürtels, die Stelle, an
welcher die Verschmelzung des Ilium und Pubis stattgefunden hat
(Tr.sp Fig. 4 und 10). Der Boden des Acetabulum ist bis auf ein
kleines Segment völlig von Knorpelgewebe eingenommen.
In früheren Stadien sind die knorpeligen Hüftbeine beider
Körperhälften von einander getrennt. Erst bei einem Schafsembryo
von 20 mm Kl. gelangen die Schambeine unter einander in Be-
rührung und bilden in der Mittellinie eine Symphyse.
Bemerkenswerth ist, dass das Ischium dem Pubis keinen Aceta-
bularfortsatz entgegensendet, wie solches bei Vögeln geschieht. (Das
Unters. über die Entwickl. des Beckengürtels bei einigen Säugethieren. 105
Ischium tritt bei Säugethieren mit dem Pubis nur durch seine Ace-
tabularbodenplatte in Verbindung.) Somit ist schon bei Säugethier-
embryonen zwischen Ischium und Pubis (beim Kaninchen zwischen
Ischium und dem cranialen Acetabularfortsatze des Ilium) eine bis
auf den Acetabularboden gehende Lücke in der Umrandung des
Acetabulum vorhanden, welche am knöchernen Hüftbeine ausge-
wachsener Säugethiere als Incisura acetabuli entgegentritt.
Jetzt wende ich mich zu der Besprechung der Veränderungen,
welche die ventralen Enden des Pubis und des Ischium im Laufe
der ontogenetischen Entwicklung erfahren. Bei einem Schafsembryo
von 16 mm Kl. (Fig. 6), bei einem Katzenembryo von 12 mm Kl.
(Fig. 12), bei einem Kaninchenembryo von 13 mm Kl. (Fig. 11)
sind die ventralen Enden des Pubis und des Ischium noch weit von
einander getrennt.
Während bei dem Kaninchenembryo das Ischium an seinem
ventralen Ende noch keine Andeutung irgend eines Fortsatzes zeigt,
obgleich Ilium und Ischium schon mit einander verbunden angetroffen
werden, findet man beim Katzenembryo an dem ventralen Ende des
Ischium einen geringen, an dem ventralen Ende des Ischium beim
Schafsembryo einen stärker entwickelten Fortsatz, welcher dem freien
Ende des Pubis zugekehrt ist (R.un.isch Fig. 6 und 12).
In einem späteren Stadium (Fig. 7) erkennt man, dass dieser
Fortsatz des Ischium größer geworden. Zwischen dem ventralen
Ende des Pubis und dem Fortsatze des Ischium findet sich eine
kleinzellige, aus indifferenten Zellen bestehende schmale Gewebs-
brücke (77). Die weiteren histologischen Entwicklungen dieses Theiles
des Beckengürtels erkennt man durch Vergleichung der Fig. 6—10.
Somit kommt der ventrale Schluss des »Foramen obturatorium« bei
dem Säugethiere zu Stande durch einen Fortsatz des Ischium, wel-
cher sich mit dem ventralen Ende des Pubis in Verbindung setzt.
Dieser Fortsatz des Ischium entspricht beim ausgewachsenen Säuge-
thiere dem »Ramus inferior ischiic«. Da jedoch dieser Theil des
- Ischium keineswegs gleichwerthig ist dem eigentlichen Ischium (Ra-
mus superior ischii), welches schon bei der ersten Anlage gegeben
_ ist, sondern vielmehr sekundär im Laufe der embryonalen Entwick-
lung auftritt und den Raum zwischen Pubis und Ischium überbrückt,
so bezeichne ich diesen Theil des Ischium als Ramus uniens ischii.
Man könnte die Vermuthung aussprechen, dass auch der Ramus
inferior Pubis ein Ramus uniens des Pubis sei. Jedoch zeigt die
_ Untersuchung selbst in den frühesten Stadien, in denen noch keine
106 . Ernst Mehnert
Knorpelintercellularsubstanz unterschieden werden kann (Schafsem-
bryo 14 mm Kl., Katzenembryo 11 mm Kl.), dass uns stets das Pubis
als leicht gebogener Stab entgegentritt. Ein eigentlicher Ramus su-
perior und Ramus inferior des Pubis entsteht erst durch Krümmung
des primären Pubisstabes!. Diese Krümmung des Pubis tritt bei
verschiedenen Säugethieren verschieden spät ein. Bei einem Kanin-
chenembryo zeigt das Pubis noch keine Andeutung einer solchen
Krümmung in einem solchen Stadium, in welchem Ilium und Ischi-
um als eine zusammenhängende Knorpelplatte angetroffen werden
(Fig. 11). Bei einem Katzenembryo tritt uns eine leichte Krümmung
des Pubis schon in einem Stadium entgegen, in welchem noch drei
gesonderte Theile vorliegen (Fig. 12). In Fig. 6 ist die Krümmung
des Pubis eines in demselben Entwicklungsstadium stehenden Schafs-
embryo stärker ausgeprägt als bei dem eben erwähnten Katzenembryo.
Wie ich oben (pag. 100) erwähnt hatte, war es anzunehmen,
dass bei Säugethierembryonen eine Fensterung des ventralen Ab-
schnittes des Beckengürtels zur Beobachtung gelangen würde. Diese
Voraussetzung hat sich jedoch nicht erfüllt. Es ist mir nicht ge-
lungen, den geringsten Anhaltspunkt dafür zu gewinnen, dass bei
Säugethierembryonen eine Fensterung oder sei es nur eine wesent-
liche Erweiterung des Foramen ovale vorkomme, welche in phylo-
genetischer Beziehung Verwerthung finden dürfte.
Bei ihrer knorpeligen Anlage haben Ilium, Ischium und Pubis
eine gracile Form (Fig. 6, 12), erst im weiteren Verlaufe der Ent-
wicklung erhalten sie eine relativ plumpe Gestalt (Fig. 10). Schon
in dem frühesten Stadium der Entwicklung ist der N. obturatorius
frei (pag. 101). Es ist bekannt, dass das Pubis der ausgewachsenen
Säugethiere eine starke furchenartige Vertiefung aufweist (Suleus ob-
turatorius), in welcher der N. obturatorius verläuft. Bei keinem ein-
zigen von mir untersuchten Säugethierembryo konnte ich an dem
noch knorpeligen Pubis eine solche furchenartige Vertiefung beoh-
achten. Daraus folgt, dass diese Furche des Pubis bei Säugethieren
keine primitiven Verhältnisse darbietet, sondern, da sie erst im Laufe
1 Eine gleiche Krümmung des Pubis kann man bei allen Vögeln beob-
achten. Fig. 11 (Morph. Jahrb. Bd. XIII. Taf. 10) zeigt eine Krümmung des
Pubis beim Huhne. Bei den Vögeln gleicht sich diese Krümmung des Pubis
im Laufe der weiteren embryonalen Entwicklung wieder aus. Beim Säugethier
erreicht die Krümmung beinahe einen rechten Winkel und bleibt bestehen.
lek te
Unters. über die Entwickl. des Beckengiirtels bei einigen Säugethieren. 107
der späteren Entwicklung auftritt, eine den Säugethieren eigene Se-
kundärbildung ist. Die vorliegenden Untersuchungen haben erwiesen,
dass das Foramen ovale bei Säugethieren nicht durch Fensterung
eines einheitlichen. Pubo-ischium entsteht, sondern durch den ent-
gegengesetzten Process, nämlich dadurch, dass sowohl die dorsalen
Enden des Pubis und Ischium durch die Acetabularbodenplatte des
Ischium, als auch die ventralen Enden des Pubis und Ischium durch
den Ramus uniens ischii mit einander verwachsen.
Von großem Werthe scheint mir die Beobachtung zu sein, dass
bei der Verwachsung der drei knorpeligen Komponenten des Hiift-
beines der Säugethiere zuerst [lium und Ischium verschmelzen. das
Pubis jedoch noch eine Zeit lang selbständig verbleibt (Fig. 2, 3, 5,
Bett).
Die gleiche Beobachtung habe ich früher bei Vogelembryonen
gemacht !.
GEGENBAUR hat zuerst nachgewiesen, dass beim Hiiftbein der
Säugethiere das Darmbein und das Sitzbein an der Pfanne die am
meisten betheiligten Stücke sind und dass das Schambein bei eini-
gen nicht einmal den Rand der Pfanne erreicht.
Schon an dem knorpelig präformirten Beckengürtel von Säuge-
thierembryonen gelang es mir, genau dieselbe Nichtbetheiligung oder
geringe Betheiligung des Pubis an der Pfanne des Hüftgelenkes
nachzuweisen, wie GEGENBAUR sie in einem solchen Stadium beob-
achtet hatte, in dem die drei knöchernen Bestandtheile des Hüft-
beines nur durch Fugen von einander getrennt vorlagen. Fig. 10
zeigt die geringe Betheiligung des Pubis an der Umrandung der
Pfanne beim Schafsembryo. Aus Fig. 11 geht hervor, dass beim
Kaninchenembryo das Pubis von der Pfanne ausgeschlossen ist.
Die Thatsache, dass dieses eigene Verhalten des Pubis bereits
bei Embryonen der Säugethiere auftritt, berechtigt zu der Auffas-
sung, dass es sich bei Säugethieren nicht um eine, auf Grund
der Ossifikation eingetretene Elimination des Schambeines handelt,
| 1 Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 292. Fig. 14. Hierbei will ich nach-
- träglich auf einen Fehler in der Bezeichnung aufmerksam machen, welcher mir
bei meiner ersten Publikation leider entgangen ist. Die Partie, welche zwischen
den beiden Trennungsspuren liegt (Fig. 14 Tr.sp), ist das Pubis. Die Bezeich-
nung Sp. ist falsch. Die Spina iliaca ist ein kleiner Fortsatz, welcher vom
Processus ilei acetabularis pubicus (Pr.il.act.pub) ausgeht und in der betreffen-
den Zeichnung richtig mit Sp.il bezeichnet ist.
108 Ernst Mehnert
N.
sondern um eine primäre Nichtbetheiligung oder um eine primäre —
geringe Betheiligung des Schambeines an der Bildung der Pfanne.
Bei Beschreibung der Entwicklung des Beckengürtels der Säuge-
thiere sah ich mich bereits mehrfach veranlasst, auf einige über-
einstimmende Beobachtungen bei Vögeln hinzuweisen. Diese Über-
einstimmung wird noch vollständiger bei einer eingehenden Betrach-
tung. Vergleichen wir das Os pelvis eines Embryo von Larus
ridibundus in einem solchen Stadium, in welchem zuerst Knorpel-
gewebe erkannt werden kann (Fig. 14), mit dem in dem gleichen
Stadium der Entwicklung stehenden Hüftbein der Katze (Fig. 12),
so ergiebt sich eine auffällige Übereinstimmung sowohl in der Lage-
rung als auch in der Konfiguration der drei morphologisch unter-
scheidbaren Elemente des Beckengürtels.
Bei beiden Vergleichsobjekten liegen drei getrennte Knorpelstücke
vor. Das Ilium hat bei beiden die Gestalt einer Platte, das Pubis
ist ein langer graciler, das Ischium ein etwas kürzerer plumper —
Knorpelstab. Sowohl beim Vogelembryo wie beim Säugethierembryo
zeigen Ilium und Ischium in demselben Stadium noch keine Aceta-
bularfortsätze, auch sind die ventralen Enden des Pubis und Ischium
unverbunden.
Auch in den auf dieses Stadium folgenden Entwieklungsvor-
gängen des Beckengürtels stimmen Vogel- und Säugethierembryo
überein. Es treten bei beiden an dem Ischium wie an dem Ilium
Acetabularfortsätze auf. An dem Pubis der Säugethiere und Vögel
habe ich nie Acetabularfortsätze beobachtet; das Pubis behält somit
seine ursprüngliche stabförmige Gestalt bei.
Erst bei älteren Vogel- und Säugethierembryonen treten diver-
gente Entwieklungsvorgänge ein, aus denen dann jene abweichenden
Formen der Beckengürtel resultiren, wie sie bei dem Vogel als Os
pelvis, beim Säugethiere als Hüftbein vorliegen.
Von hoher Bedeutung ist die Übereinstimmung der primitivsten
Form des Beekengürtels der Säugethiere (Fig. 12) mit der primitiv-
sten Form des Beckengürtels bei Vögeln (Fig. 14). In meiner ersten
Schrift wies ich nach!, dass das Lagerungsverhiltnis des Ilium,
Ischium und Pubis beim Vogelembryo und bei gewissen fossilen Rep-
tilien das gleiche ist. Daraus folgt, dass auch die primitivste Form
des Beckengürtels der Säugethiere gewisse Übereinstimmung zeigt
mit dem Beckengürtel der saurierartigen Reptilien, wie auch ein
1 Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 273. Fig. 3, 4.
Unters. über die Entwickl. des Beckengürtels bei einigen Säugethieren. 109
Vergleich von Fig. 12 mit Fig. 13 bestätigt. Für das Os pelvis des
Vogelembryo war dieses mit den Reptilien übereinstimmende Verhalten
durchaus zu erklären, denn es ist außer Frage gesetzt, dass die
Vögel in den Reptilien ihre nächsten Verwandten haben. Für Säuge-
thiere konnte ein soleher Befund nicht erwartet werden, weil die
Säugethiere in manchen Organisationsverhiltnissen den Amphibien
nahe stehen und, so weit jetzige Untersuchungen reichen, nicht direkt
von reptilienähnlichen Vorfahren hergeleitet werden dürfen.
Es ist als unzweifelhaft anzunehmen, dass Vögel und Säuge-
thiere in keinem direkten genealogischen Verhältnisse stehen. Da
jedoch die Hüftbeine der Säugethiere und Vögel in ihrer primitivsten
knorpeligen Gestalt mit einander übereinstimmen, und auch dieselbe
Form dem Beckengürtel der jetzt lebenden saurierartigen Reptilien
(Fig. 13) und sauropoden Dinosaurier zu Grunde liegt, so liegt es
nahe anzunehmen, dass diese Form des Beckengürtels, "welche als
dreistrahliger Stern auftritt, die Grundform des Beckengürtels
der amnioten Wirbelthiere sei. Der Beckengiirtel der Landschild-
kröten lässt sich auch auf diese Grundform zurückführen. Der bei
Vögeln und Säugethieren als übereinstimmend erkannte Entwicklungs-
modus des Beckengürtels lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass
es gelingen wird — falls der Beckengürtel der Chelonier sich nicht
als ein connascentes Gebilde anlegt — auch für Landschildkröten
den Beweis zu liefern, dass das Foramen obturatorium durch Ver-
wachsung der Enden des Pubis und des Ischium entsteht.
Es ist die Frage in Erwägung zu ziehen, ob die dreistrahlige
Grundform des Beckengürtels der amnioten Wirbelthiere aufzufassen
sei als ein einheitliches Gebilde oder ob der Annahme die größte
Wahrscheinlichkeit zukommt, dass dieser dreistrahligen Grundform
drei gesonderte Radien zu Grunde liegen.
ALEX. BUNGE zeigte, dass bei Lacerta vivipara die jederseitige
Cartilago pelvis eine einheitliche Anlage hat. Eine einheitliche An-
lage der Cartilago pelvis ist in einer Reihe von Fällen auch beim
Huhne beobachtet worden!. Es ist jedoch erwiesen worden, dass
der Beckengiirtel des Huhnes sich als ein connascentes Gebilde an-
Er
legt?. Im Hinblick auf diese Erkenntnis ist es bei Beurtheilung der
1 a) A. JoHnson, On the Development of the pelvic girdle and skeleton
of the hind limb in the Chick. Studies from the morphological laboratory in
_ the university of Cambridge. London 1884. Vol. II. Part I. pag. 13. b) Mor-
pholog. Jahrb. Bd. XIII. pag. 291.
2 Morpholog. Jahrb. Bd. XIII. pag. 292.
190° Ernst Mehnert
einheitlichen Anlage des Beckengürtels von Lacerta vivipara nur ge-
stattet, gleichfalls eine Connascenz zu vermuthen. Wesentlich unter-
stützt wird diese Auffassung durch den Nachweis, dass auch bei
einem Vertreter einer zweiten Wirbelthierklasse bei einem Säuge-
thiere (Mensch) eine Connascenz des Beckengürtels zur Beobachtung
gelangt ist.
So weit. meine Untersuchungen reichen, lässt der Beckengiirtel
einiger Säugethiere eine gesonderte knorpelige Anlage dreier Ele-
mente erkennen. Einen gleichen Befund habe ich schon früher für
sämmtliche von mir untersuchten, wild lebenden Vögel nachgewiesen.
Die Selbständigkeit der drei Komponenten des Beckengiirtels tritt
am deutlichsten zu Tage bei den primitiven Sumpf- und Wasser-
vögeln!, sie tritt uns am deutlichsten entgegen bei der primitivsten
knorpeligen (dreistrahligen) Form des Beckengiirtels der Vögel (excl.
Huhn) und Säugethiere (excl. Mensch nach E. ROSENBERG):
In Bezugnahme auf das eben Besprochene erscheint somit die
Voraussetzung gestattet, dass auch der dreistrahligen Grundform des
Beckengürtels der übrigen Amnioten ursprünglich drei selbständige
Strahlen zu Grunde lagen.
Ich fasse die Resultate dieser Arbeit zusammen:
Das Ilium, Ischium und Pubis legen sich bei Säugethieren ge-
sondert an. Das Ilium entsendet zwei Acetabularfortsätze, einen
Processus ilei acetabularis pubicus und einen Processus ilei aceta-
bularis ischiadicus. Das Ischium bildet nur den Processus ischii
acetabularis iliacus.
Die Bildung eines Processus ischii acetabularis pubicus findet
nicht statt, somit bleibt zwischen Ischium und Pubis (bei Säuge-
thieren, bei denen das Pubis an der Pfannenbildung Theil nimmt),
in anderen Fällen zwischen Ischium und dem cranialen Acetabular-
fortsatz des Ilium (bei Säugethieren, bei denen das Pubis an der
Pfannenbildung nicht betheiligt ist) eine Lücke in der Umrandung
des Acetabulum (Ineisura acetabuli).
Das Pubis behält seine primitive stabförmige Gestalt und bildet
keine Acetabularfortsätze. Zuerst verwächst das Ilium mit dem
Ischium. Das Pubis bleibt am längsten selbständig. Das knorpelige
Pubis des Kaninchenembryo betheiligt sich nicht an der Bildung der
1 Ebendaselbst. pag. 289.
Unters. über die Entwickl. des Beckengiirtels bei einigen Säugethieren. 111
Pfanne. Das knorpelige Pubis des Schafsembryo betheiligt sich nur
zum geringsten Theil an der Umrandung des Acetabulum.
Die dorsale Hälfte des Acetabularbodens entsteht durch eine
zwischen den Acetabularfortsätzen des Ilium sich ausbreitende »Ace-
tabularbodenplatte des Ilium«. Die ventrale Hälfte des Acetabular-
bodens wird gebildet durch eine vom dorsalen Ende des Ischium
- ausgehende »Acetabularbodenplatte des Ischium«, welche sich aus-
spannt zwischen dem Processus ischii acetabularis iliacus und dem
dorsalen Ende des Pubis und sich mit der Acetabularbodenplatte des
Ilium verbindet.
Es ergiebt sich, dass die auf Grund einer von ALEXANDER
BunGE verfochtenen Hypothese vorausgesetzte Fensterung des Becken-
gürtels für Säugethiere nicht bestätigt werden kann. Es ist viel-
mehr erwiesen worden, dass bei Säugethierembryonen der dorsale
Schluss des Foramen ovale dadurch entsteht, dass die Acetabular-
bodenplatte des Ischium mit dem dorsalen Ende des Pubis ver-
wächst. Der ventrale Schluss des Foramen ovale kommt zu Stande,
indem der vom ventralen Ende des Ischium ausgesandte Ramus
uniens ischii (früher Ramus inferior ischii) mit dem ventralen Ende
des Pubis in Beziehung tritt. Der »Suleus obturatorius« des Pubis
ist eine sekundäre, im Laufe der späteren embryonalen Entwicklung
auftretende Bildung.
Die Beckengürtel der Säugethiere und Vögel zeigen in ihrem
primitivsten knorpeligen Zustande eine große Übereinstimmung in
Bezug auf Gestalt und Lagerung ihrer drei Komponenten. Im
Prineip die gleiche Konfiguration liegt auch dem Beckengürtel der
_ jetzt lebenden saurierartigen Reptilien und sauropoden Dinosaurier
zu Grunde. Diese Form des Beckengürtels, welche drei sternartig
gruppirte, selbständige Radien erkennen lässt, ist als Grundform
des Beckengürtels der Amniotenwirbelthiere aufzufassen. Das Pubis
ist derjenige Strahl, welcher seine primitive stabförmige Gestalt be-
wahrt und am längsten seine Selbständigkeit beibehält.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel VI.
Die Abbildungen der mikroskopischen Schnitte wurden vermittels einer
AxBBE'schen Camera lucida mit großem Spiegel angefertigt. In Betreff der
Fig. 6—12 und 14 cf. Text pag. 103 ff.
Die Vergrößerungen wurden durch einen Bruch angegeben.
112 E. Mehnert, Unters. über d. Entwickl. d. Beckengürtels b. einigen Säugeth.
Für alle Abbildungen gelten folgende Bezeichnungen:
Act Acetabulum,
Act.bd Acetabularboden,
Act.bd.plt Acetabularbodenplatte,
Act.bd.plt.il Acetabularbodenplatte des Ilium,
Aet.bd.plt.isch Acetabularbodenplatte des Ischium,
Fmr.kpf Femurkopf,
For.ov Foramen ovale (seu obturatorium),
It IJium,
Isch Ischium,
Kl Körperlänge,
N.obt Nervus obturatorius,
R.un.isch Ramus uniens ischii,
Reg.act Regio acetabuli,
Tr Zone indifferenten Gewebes,
Tr.sp Trennungsspur (Zone intercellularsubstanzarmen Knorpels),
P.inf.pub Pars inferior Pubis,
P.sup.pub Pars superior Pubis,
Pr.il.act.isch Processus ilei acetabularis ischiadicus,
Pr.il.act.pub Processus ilei acetabularis pubicus,
Pr.isch.act.il Processus ischii acetabularis iliacus,
Pub Pubis.
Fig. 1, 2, 3, 4, 5 Sagittalschnitte durch die Acetabularregion.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
1. Ovis aries. Kl. 17 mm.
2: - - - 17,4 mm.
3. fH - - 18 mm.
4 - - - 20 mm.
5. Lepus cuniculus. Kl. 13 mm.
6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 14 Kombinationsbilder des Beckengiirtels.
6. Ovis aries. Kl. 16 mm.
7 - - - 17 mm.
8. - - - 17,4 mm.
9. - - - 18 mm.
10, - - - 20 mm.
11. Lepus euniculus. Kl. 13 mm.
12. Felis domestica. Kl. 12 mm.
14. Larus ridibundus. L. d. h. Extr. 4 mm.
13. Beckengürtel eines jungen Crocodilus sclerops nach C. K. HOFFMANN.
Niederländisches Archiv für Zoologie. Bd. III. Taf. XI Fig. 14.
Die von C. K. HorrmMann publieirte Zeichnung giebt die Innenfläche
des rechten Beckengürtels wieder. Des leichteren Vergleiches wegen
mit sämmtlichen übrigen Abbildungen habe ich diese Figur umgekehrt,
so dass Fig. 13 die Innenfliiche des linken Beckengürtels darstellt.
iis
ae Au iu
F
Morpholog. Ja | Tat WV.
Fig.7.() Fig.8.(#)
---Jl,
Acta. pitt.
f
Fi
th
S_- - Reg.ad.
- Psuppuh.
; A 2... Pin pub. le
AR A
Lit Anstv. EA Funke Leipzig.
Morpholog. Jahrb. Bd __
Fig.)
oe ie
Sach. :
Pub
i R
rd
q <:
2
Ag3
TER,
uk a
<
Pah
Joch. aes \
Fg, 5(#)
peta BEER
Jsch.
Pub
2 Fig 6
Fig.2(#) 9
\ a
RN
2
Seh. /
A Mot
JOM ar N \ A Pik Runiisch
Fig.9(37)
/
Fig !
9 Act bd.
, ch... de
a Z
S A \
Run.usch
= _ Insp Fig I3{;)
7
uy §
et al Rn: det
Mobb: <n «We 5
f Inn, S/S
» With Engelmann © 1
Fig 7 (44
an Seay
Pri aid pub Frilad isch
Tr.
Bey adt 2
GE peischactit...}
Psup pub
Isch.
Punfpub
Aur tok 4
ve
Fig lO( 44)
ft
Beast
‘ Tr
\-- Bsuppad f En
h Acca... RE
\ f t
Joch... den 5
Pint mb
{ (kor
a
)
\ Pub.
\
eS Se Tat).
Fig.8 (4)
zu
a |
In
\
oi / \ Adapt
Tr £ a
Kay ad x Ar
Act eh pltisch ; J |
Heli pLiseh NY ---Regat |
on ;
zu Jsch \ |
u A Psonpab. |
e = |
Pinkpab \ |
|
Runisch
Pintpad |
r
|
Fig I (5 |
i. . ft
j MV „A |
\ |
\ |
& Reg act
\
j 7 h___ Rapace
ere
\ |
\ Jsch- |
\ ro |
\ -. Asuppub | |
\ |
yes) 7. | |
. Pink
Theorie des Mesoderms.
Von
Carl Rabl.
Mit Tafel VII—X und 9 Holzschnitten.
Als ich vor dreizehn Jahren die beiden großen Mesodermzellen
von Unio fand und mir, wenige Jahre später, dieselbe Beobachtung
an Planorbis gelang, war es mein lebhafter Wunsch, auch die an-
scheinend so differente Bildungsweise des mittleren Keimblattes der
Wirbelthiere aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Meine da-
maligen Verhältnisse waren aber einer solchen Untersuchung nicht
günstig.
Eine Arbeit über einen anderen Gegenstand hat mich vor etwa
zwei Jahren wieder zu der ursprünglichen Frage zurückgeführt.
Seit längerer Zeit mit der Untersuchung der Entwicklung des Wirbel-
thierkopfes beschäftigt, fand ich nämlich, dass es zu einer ersprieß-
lichen Erledigung einiger der wichtigsten Punkte unerlässlich sei,
gewisse Differenzirungsprocesse des Mesoderms im Bereiche des
Rumpfes einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Vor Allem
war mir klar, dass es zur Lösung des so überaus schwierigen und
anziehenden Problems der Metamerie des Wirbelthierkopfes unbe-
dingt erforderlich sei, vorerst den Begriff eines Wirbelthier-Metamers
sicherzustellen. Die Außerachtlassung dieser Forderung hat es mit
sich gebracht, dass man Mesodermabschnitte, die mit wirklichen
Metameren nur in dem einen Punkte übereinstimmen, dass sie un-
gefähr dieselbe Länge wie diese besitzen, schlechtweg als Meso-
dermsegmente bezeichnet hat. So ist man dazu geführt worden,
eine viel größere Zahl von »Kopfsomiten« anzunehmen, als thatsäch-
lich vorhanden sind. Die Nerven mussten sich dieser Annahme
Morpholog. Jahrbuch. 15. §
114 Carl Rabl
fügen; Kopfnerven, welche mit Spinalnerven nur das Eine gemein-
sam haben, dass sie eben auch Nerven sind, wurden als segmen-
tale, dem Typus der spinalen sich anreihende bezeichnet und jedem
Somit wurde ein Nerv zugetheilt. War die Zahl der Nerven zu
groß, so war ein Somit ausgefallen, war die Zahl der Somiten zu
groß, so hatte sich der betreffende Nerv einfach einem seiner Nach-
barn angeschlossen. So ist die große Verwirrung entstanden, die
heute das ganze Problem der Metamerie des Wirbelthierkopfes kenn-
zeichnet.
Es musste mir also zunächst darum zu thun sein, die Charak-
tere eines Rumpfsegmentes oder eines Segmentes überhaupt festzu-
stellen und dabei wieder die wesentlichen, jedem Segmente in glei-
cher Weise zukommenden von den unwesentlichen, auf einzelne
Körperabschnitte beschränkten zu scheiden. Zu dieser Untersuchung
wurde ich um so mehr angeregt, als ich durch die Mittheilungen
HATSCHEK’s Kenntnis erhalten hatte von den höchst eigenthümlichen
und interessanten Vorgängen, welche sich am Mesoderm des Am-
phioxus in späteren Entwicklungsstadien vollziehen.
War mir nun die Lösung dieser Frage so weit gelungen, dass
ich einen festen Boden für die Beurtheilung der Processe, die sich
im Kopfe abspielen, gewonnen hatte, so schien es mir andererseits
auch wiinschenswerth, das Mesoderm bis zu jenen Stadien zurück-
zuverfolgen, in welchen sich die Art seiner Entstehung aus den
primären Blättern erkennen ließ. Eine größere Zahl von Keim-
scheiben von Pristiurus, die ich aus Neapel mitgebracht hatte, wurde
zum Ausgange der Untersuchung genommen. Dann wurden junge
Keimscheiben des Huhnes, der Taube und des Kaninchens in Schnitt-
serien zerlegt und die erhaltenen Bilder unter einander und mit denen
von Pristiurus verglichen. Die bei dieser Untersuchung gewonnenen
Thatsachen und die aus den Thatsachen resultirenden Schlüsse sind
so einfach, dass ich Anfangs selbst davon überrascht war. Dadurch
wurde ich aber auch angeregt, die Mesodermbildung der Wirbelthiere
im Lichte der an den wirbellosen Bilaterien gewonnenen Erfahrungen
zu betrachten und zu untersuchen, ob und in wie weit die Meso-
dermbildung aller Bilaterien auf ein gemeinsames Grundschema zu-
rückzuführen sei.
Dem Gesagten zufolge zerfällt die vorliegende Abhandlung in
zwei Theile; der erste beschäftigt sich mit der Entstehung, der
zweite mit der weiteren Differenzirung des mittleren Keimblattes. Im
ersten Theile habe ich hauptsächlich solehe Stadien der Mesoderm-
Theorie des Mesoderms. 115
bildung beschrieben, welche mir für die einheitliche Auffassung dieses
Keimblattes und die Zurückführung seiner Entstehung auf die Meso-
dermbildung der wirbellosen Bilaterien von Wichtigkeit zu sein
schienen. Im zweiten Theile sind es namentlich die Befunde über
die Entwicklung der Seitenrumpfmuskelmasse und über den Ur-
sprung der Bindesubstanzen, auf die ich einen größeren Nachdruck
legen möchte. Auch hinsichtlich der Entwicklung der Exkretions-
organe bin ich zu einigen, nicht unwichtigen neuen Ergebnissen
gelangt. Den allgemeinen Betrachtungen des zweiten Theiles
habe ich eine Erörterung einiger wichtiger histologischer Probleme
angeschlossen, in denen ich zu zeigen versucht habe, wie die
verschiedenen Gewebsarten auf Epithelien zurückgeführt werden
können und wie dadurch, dass bald der eine, bald der andere
Charakter des Epithels in den Vordergrund tritt und einseitig aus-
gebildet wird, während gleichzeitig die anderen Charaktere ganz
oder theilweise unterdrückt werden, das Gewebe seinen epithe-
lialen Charakter mehr und mehr verliert. Es liegen diesen Erörte-
rungen ziemlich ausgedehnte Untersuchungen zu Grunde, die mich
zu der ganz bestimmten Überzeugung geführt haben, dass kein
Gewebe, mag es noch so sehr von dem gewöhnlichen Bilde eines
Epithels abweichen, seinen epithelialen Ursprung verleugnet.
Ich bin mir wohl bewusst, dass ich viele wichtige, im Laufe
der Untersuchung sich mir aufdrängende Fragen nicht nur nicht zu
lösen, sondern auch kaum der Lösung entgegenzuführen vermocht
habe. In solehen Fällen war ich stets bestrebt, die Unsicherheit
des Urtheils oder der Beobachtung scharf hervortreten zu lassen:
dadurch kann andererseits die Darstellung dessen, was als sicher
leicht zu konstatiren ist, nur gewinnen. Wenn man daher auch an
mehr als einer Stelle die wünschenswerthe Klarheit vermissen wird,
so kann ich doch den Vorwurf, den man mir daraus machen kann,
nicht allzu schwer nehmen; denn der Forscher soll die Wahrheit
über Alles halten; er darf sie nie der Klarheit zum Opfer bringen:
denn was heute nicht ganz. klar ist, kann es morgen werden; was
aber heute eine Lüge ist, bleibt in alle Ewigkeit eine Lüge.
Hinsichtlich der Litteratur habe ich mich in einiger Verlegenheit
befunden. Ich war bestrebt, nur die wichtigsten Arbeiten zu eitiren
und habe daher auch viele Arbeiten, die ich genau excerpirt hatte,
nicht berücksichtigt. Ich glaube damit im Sinne der Mehrzahl der
Leser gehandelt zu haben; mir selbst sind wenigstens Abhandlungen,
die eigentlich nur aus Referaten bestehen, immer widerlich ‚gewesen.
S*
116 Carl Rabl
Je weniger Einer in seinem eigenen Kopfe hat, um so mehr nimmt
er aus fremden. Nur dann, wenn es mir für die Beweisführung
nöthig erschien und diese nicht aus meinen Beobachtungen allein zu
erbringen war, habe ich mich bestrebt, ausführlicher zu sein; dies ist
namentlich mit Rücksicht auf die Mesodermentwicklung der Wirbel-
losen geschehen.
I.
Uber die Bildung des Mesoderms.
Ich habe die Mesodermbildung der Selachier und Vögel unter-
sucht; außerdem habe ich einige junge Keimscheiben des Kanin-
chens, welche, wie ich glaube, die Mesodermbildung noch erkennen
lassen, in Schnittserien zerlegt.
a) Selachier. Die Untersuchungen wurden an Keimscheiben
von Pristiurus melanostomus angestellt. Ich gehe bei der Beschrei-
bung von einem Stadium aus, welches man als das Höhestadium
der Mesodermbildung bezeichnen kann; es entspricht dem Stadium B
Baurour’s. Die Keimscheibe ist von rundlicher oder ovaler Ge-
stalt und trägt in der Mitte des Hinterrandes die »Embryonalanlage«.
Diese stellt eine knötehenförmige Verdiekung des Randes dar, deren
Länge der Breite ungefähr gleichkommt und die vorn abgerundet
endigt. Diese knötchenförmige Erhebung trägt an ihrer oberen
Fläche eine Furche, die hinten in eine seichte Einkerbung des Bla-
stodermrandes ausläuft, vorn in einiger Entfernung vom Vorderende
des Knötchens aufhört. Die Furche wird von zwei Falten begrenzt,
welche vor ihr bogenförmig in einander übergehen. Sie ist der
Vorläufer der Medullarfurche; ich will sie aber aus einem später
zu erwähnenden Grunde zunächst nicht als Medullar-, sondern als
Rückenfurche bezeichnen. Die beiden seitlichen Falten sind die
Vorläufer der Medullarfalten oder Medullarwülste und sollen zunächst
Rückenfalten oder Rückenwülste heißen. Der dieselben vor der
Riickenfurche verbindende bogenförmige Wulst entspricht der »Kopf-
falte« BaLrour’s. Die beiden Rückenwülste sind vorn stärker her-
vorgewölbt als hinten und laufen hier zur Seite des Hinterendes der
Riickenfurche in den verdickten Blastodermrand aus. Die Rücken-
furche ist hinten breit und flach und verschmiilert und vertieft sich
nach vorn allmählich; kurz hinter ihrem vordersten Ende ist sie
mehr als doppelt so tief als hinten.
Theorie des Mesoderms. 117
Eine Querschnittserie durch eine Keimscheibe dieses Stadiums
giebt im Bereiche der Embryonalanlage von hinten nach vorn fol-
gende Bilder. Die ersten (hintersten) Schnitte will ich übergehen,
da die hier vorliegenden Verhältnisse besser an Sagittalschnitten
studirt werden können; ich will nur erwähnen, dass man in Folge
der medianen Einkerbung des hinteren Blastodermrandes zunächst
'zwei symmetrische, von einander getrennte Querschnitthälften be-
kommt. Weiter vorn erhält man Bilder, wie eines auf Taf. VII
Fig. 1 wiedergegeben ist. Die Figur stellt natürlich nur die Hälfte
eines Querschnittes dar. Die Keimscheibe ist hier noch vom Dotter
abgehoben, wesshalb dieser nicht mifgezeichnet ist. Man sieht zu-
nächst, dass die Keimscheibe aus drei Blättern besteht und dass
das mittlere (mes) an zwei Stellen (bei gm und pm) mit dem inneren
zusammenhängt. Bei pm sieht man eine Kerntheilungsfigur mit
schief gegen die Oberfläche gestellter Achse. Das Mesoderm bildet
eine kompakte Zellmasse, die allenthalben dem Entoderm dicht an-
liegt, während sie vom Ektoderm durch einen ziemlich breiten Spalt-
raum getrennt ist. Das Ektoderm ist in der Mitte zu der von den
Riickenwiilsten (rw) begrenzten Rückenrinne (r) eingesenkt und liegt
hier direkt dem Entoderm auf. Noch instruktiver sind Schnitte,
welche durch die Mitte der Embryonalanlage hindurchgehen; ein
soleher ist in Fig. 2 abgebildet. Ich will bei der Beschreibung des-
selben etwas länger verweilen und auch die histologischen Cha-
raktere der drei Keimblätter in Betracht ziehen. Die Rückenrinne
ist in dieser Gegend tiefer als hinten und wird dem entsprechend
von höheren Rückenwülsten begrenzt. Das Ektoderm bildet .eine
in der ganzen Ausdehnung eines solchen Keimscheibenquerschnittes
gleich dicke Schicht; nur am Boden der Rückenrinne ist es etwas
dünner und bietet auch sonst einige Besonderheiten dar. Es stellt
ein einschichtiges hohes Cylinderepithel dar; die Kerne der Zellen
stehen jedoch nicht alle in gleicher Höhe und es kann dadurch
stellenweise der Eindruck einer Mehrschichtigkeit hervorgerufen wer-
den. Indessen stehen die meisten Kerne etwa in halber Höhe der
Zellen oder dem freien Zellenende ein wenig näher als dem basalen.
Das Protoplasma der Zellen ist reichlich von Dotterkörnchen durch-
setzt; mehr in der basalen als in der freien Hälfte der Zellen. Die
Zellgrenzen erscheinen als sehr feine, helle, körnchenlose Streifen.
Am Boden der Rückenrinne sind die Zellen etwas niedriger und
breiter und in Folge des geringeren Gehaltes an Dotterkérnchen
heller; ihre Kerne sind hier mehr kugelig, während sie im übrigen
118 Carl Rabl
Ektoderm zumeist eine ovale Form haben. Am Blastodermrande
biegt das Ektoderm in denjenigen Theil des Entoderms um, mit dem
hier das Mesoderm im Zusammenhang steht.
Am Entoderm haben wir zwei Abschnitte zu unterscheiden; der
eine, den wir als Chordaentoderm oder Chordaplatte bezeichnen
wollen, bildet einen mäßig breiten, von hinten nach vorn ziehenden
Streifen, den wir im Querschnitte bei Fig. 2 chp sehen. Er liegt
direkt dem Boden der Rückenrinne an, ohne aber mit dem Ektoderm
zu verschmelzen. Bei Sublimathärtung hebt sich meistens (vielleicht
immer) das Ektoderm vom Chordaentoderm ab und es erscheint
dann zwischen beiden ein breiter Spaltraum. Der andere, größere
Abschnitt des Entoderms stellt das Darmentoderm (ext) vor; jedoch
muss ich gleich bemerken, dass dasselbe nicht bloß den Darm, son-
dern auch den Dottersack aufbauen hilft. Das Entoderm besteht in
seinen beiden Theilen, ähnlich dem Ektoderm, aus Cylinderzellen.
Es ist dies allerdings am Darmentoderm in meinen Figuren nicht er-
sichtlich; ich habe mich aber an anderen Präparaten mit Sicherheit
davon überzeugt. Das Protoplasma ist auch hier von Dotterkörnchen
erfüllt.
Das Entoderm zeigt nun an zwei Stellen jeder Querschnitthälfte
Besonderheiten. Zunächst bemerkt man zwischen Chordaentoderm
und Darmentoderm eine kleine grubige Vertiefung und man kann
sich leicht überzeugen, dass hier in so fern eine Kontinuitätstren-
nung des Entoderms besteht, als Chordaentoderm und Darmentoderm
nicht unmittelbar in einander übergehen, sondern beide sich ins Me-
soderm fortsetzen (gm). Im Grunde der Grube oder in geringer
Entfernung davon bemerkt man häufig Theilungsfiguren, deren Achsen
so stehen, dass sie ungefähr gegen die Grube hinzielen. Ähnliche
Verhältnisse finden sich in der Nähe des Blastodermrandes; auch
hier sieht man eine kleine grubige Vertiefung (ym) und die Wände
der Grube setzen sich einerseits ins Mesoderm, andererseits ins Ekto-
derm des Umschlagsrandes, sowie in den lateralen Rand des Darm-
entoderms fort. Auch hier sieht man im Grunde der Grube oder
nicht weit davon entfernt häufig Theilungsfiguren, mit der Achse
gegen die Grube gerichtet. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass
von den beiden erwähnten Stellen aus die Bildung des Mesoderms
erfolgt.
Das Mesoderm besteht aus zwei, in der Mitte durch das Chorda-
entoderm vollständig getrennten Massen; es liegt dem Entoderm viel
Theorie des Mesoderms. 119
inniger an als dem Ektoderm, das sich allenthalben deutlich von
ihm abhebt. Nur an den beiden erwähnten Stellen, also neben dem
Chordaentoderm und in der Nähe des Blastodermrandes, steht es
mit dem Entoderm in inniger Verbindung. In der Nähe dieser Ur-
sprungsstellen liegen seine Zellen dicht an einander und stellen
kompakte Massen dar; in einiger Entfernung davon lösen sich da-
gegen diese Massen mehr auf, indem die Zellen nur in lockerem
Verband sich befinden. Die Mesodermzellen haben rundliche oder
polyedrische Formen, kugelige Kerne und ein reichlich mit Dotter-
körnchen erfülltes Protoplasma. Die Kerne scheinen in so fern eine
regelmäßige Lagerung zu besitzen, als sie in den tiefsten, dem
Darmentoderm aufliegenden Zellen nach unten, also gegen das En-
toderm, und in den oberflächlichsten, dem Ektoderm zugewendeten
nach oben zu liegen pflegen. Wir können in beiden Fällen die
Kerne als bodenständig bezeichnen. An Keimscheiben, welche in
Platinchlorid-Pikrinsäure gehärtet sind, behält das Mesoderm auch
nach langem Auswaschen in Alkohol einen Stich ins Gelbliche (s. die
Figuren).
Gehen wir in der Querschnittserie noch weiter nach vorn, so
sehen wir, wie das Mesoderm jeder Schnitthälfte sich, entsprechend
seinen beiden Ursprungsstellen, in zwei Theile sondert. Schnitte
durch das Vorderende der Embryonalanlage geben daher Bilder, wie
ein solches in Fig. 3 wiedergegeben ist. Wir sehen da das Meso-
derm in eine mediale und laterale Partie getheilt, beide noch im
Zusammenhang mit dem Entoderm ihrer Ursprungsstellen (mes und
mes’). Nach einigen Präparaten scheint der mediale Theil des Me-
soderms eine Höhle zu enthalten; ich konnte aber darüber bisher
nichts Sicheres herausbringen, da die Mesodermzellen hier ziemlich
locker neben einander liegen. Noch weiter nach vorn schwindet
zunächst der mediale Theil des Mesoderms, während der laterale
noch eine Strecke weit erhalten bleibt. Dabei bleibt sein Zusammen-
hang mit dem Entoderm des Umschlagsrandes stets erhalten. Geht
man in der Schnittserie noch weiter über die Embryonalanlage hin-
aus, gegen die Mitte und endlich gegen das Vorderende der Keim-
scheibe, so sieht man, wie die beiden primären Blätter allmählich
ihre Charaktere ändern. Die Zellen des Ektoderms werden zuerst
in den Seitentheilen, dann auch in der Mitte eines Keimscheiben-
querschnittes niedriger und sinken schließlich zu ganz flachen
Gebilden herab. Eben so verändern sich auch die Zellen des
120 Carl Rabl
Entoderms; sie verlieren ihre epitheliale Anordnung und nehmen
dem entsprechend auch andere Formen an. Indessen sind dies Ver-
hältnisse, die für die uns interessirende Frage belanglos sind.
Untersucht man nun eine Keimscheibe dieses Stadiums auf Sa-
gittalschnitten, so erhält man folgende Bilder. Zunächst sieht man
an sagittalen Medianschnitten am Hinterrande der Keimscheibe das
Ektoderm des Bodens der Rückenrinne in das Chordaentoderm über-
gehen. In einiger Entfernung von der Mittellinie erhält man vom
Hinterrande der Keimscheibe ganz ähnliche Bilder, wie man sie an
Querschnittserien vom Seitenrande erhält. Man kann sich also wie-
der von dem Zusammenhange des Mesoderms mit dem Entoderm
des Umschlagsrandes überzeugen. Verfolgt man eine solche Serie
genau und vergleicht sie mit den Bildern einer Querschnittserie, so
gelingt es leicht sich zu überzeugen, dass die Ursprungslinie des
Mesoderms, welche neben dem Chordaentoderm von vorn nach hinten
zieht, am Hinterrande des Blastoderms in jene Ursprungslinie um-
biegt, welche, dem Blastodermrande folgend, zuerst nach der Seite
und dann in flachem Bogen nach
vorn zieht. Wir können uns also
die Mesodermverhältnisse dieses Sta-
diums in das Öberflächenbild des
eg cn hinteren Blastodermabschnittes so
“+ Ursprungslinie des peristomalen Meso- eintragen, wie dies in nebenstehen-
Germs; —-~ Freie Mesodermgrenze. der Figur geschehen ist.
Ich bezeichne nun denjenigen Theil des Mesoderms. welcher
neben dem Chordaentoderm den Ursprung nimmt, als gastrales
Mesoderm und denjenigen, welcher vom Entoderm des Umschlags-
randes entspringt, als peristomales Mesoderm. Beide Theile
gehen am Hinterende der Embryonalanlage kontinuirlich
in einander über, sie setzen sich in einander fort.
Wenn man etwas jüngere Keimscheiben von Pristiurus unter-
sucht, solche, deren Embryonalanlage etwas kürzer als breit ist, so
bekommt man im Wesentlichen dieselben Bilder. Auch hier kann
man sich wieder von dem doppelten Ursprung des Mesoderms über-
zeugen; nur erscheint dieses Blatt viel dünner und zellenärmer als
in dem beschriebenen Stadium. Während es hier an den dicksten
Stellen fünf bis sechs Zellen dick war, finden wir es jetzt zumeist
nur aus zwei Zellenlagen zusammengesetzt; nur in der Nähe der
Chordaplatte, wo das gastrale Mesoderm aus dem Entoderm hervor-
wuchert, zeigt es eine größere Dicke. Zugleich erscheint in diesem
y
}
e
9
;
a
a
se a {
a -
Theorie des Mesoderms. 121
Stadium die Chordaplatte oder das Chordaentoderm auffallend breit
und dünn, die Rückenrinne seicht und nach vorn ausgeflacht, die
_ Rückenwülste niedrig. Aber schon in diesem Stadium reicht das
- peristomale Mesoderm weiter nach vorn als das gastrale.
Untersucht man noch jüngere Pristiurus-Keimscheiben, solche,
welche etwa die Mitte halten zwischen Stadium A und B BALrour's
und also der von Hıs in Fig. 1 seiner Abhandlung »über die Bil-
dung der Haifischembryonen«! dargestellten ähnlich sind, so sieht
man am Hinterrande des Blastoderms und neben derjenigen Stelle
des Entoderms, welche später zur Chordaplatte wird, nur eine Auf-
loekerung der Zellen. Die Rückenrinne ist nur im hintersten Ab-
- schnitte als eine seichte, eben merkbare Depression angedeutet.
Ich gehe nun zur Beschreibung der Mesodermverhältnisse eines
etwas späteren Stadiums über. Es entspricht dasselbe dem Sta-
dium C Baurour’s. Da die Darstellung BALFour’s nicht ganz genau
ist, das Stadium bei His fehlt und endlich die kürzlich von SwaEn?
für Torpedo gegebene Beschreibung mit meinen Befunden an Pristiurus
nicht ganz übereinstimmt, will ich wieder eine kurze Schilderung
der Oberflächenansicht vorausschicken. Die Embryonalanlage ist
fast doppelt so lang als breit; sie zeigt wieder die Rückenrinne,
welche nach hinten in die Randkerbe ausliiuft. Die Rückenrinne
wird von den Rückenwülsten eingefasst, welche wie früher nach hinten
in den verdiekten Blastodermrand übergehen, nach vorn eben merk-
lich sich verbreitern und vor der Rückenrinne bogenförmig sich mit
einander verbinden. Dieser bogenförmige Verbindungswulst, die
»Kopffalte« BALFour’s, ist von derselben Breite wie die Rückenwülste
selbst, als deren Fortsetzung er erscheint, und sendet von seinem
vorderen, konvexen Rande einen kurzen, stumpfen Fortsatz in den
flachen, außerembryonalen Theil des Blastoderms.
Eine Querschnittserie durch den hinteren Theil einer solchen
Keimscheibe giebt folgende Bilder. Ich beginne mit der Darstel-
lung der Verhältnisse, die sich etwas hinter der Mitte der Embryo-
nalanlage zeigen. Ein Schnitt durch diese Gegend ist auf Taf. VII
Fig. 4 abgebildet. Vergleichen wir denselben mit dem in Fig. 2
abgebildeten Schnitte des früheren Stadiums, so fällt uns zunächst
eine wichtige Thatsache in die Augen. Wir sehen, dass sich unge-
fähr von der Mitte der abgebildeten Schnitthälfte nach außen bis
! Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Bd. I. 1877.
2 A. SwAEn, Etudes sur le développement de la Torpille (Torpedo ocel-
lata). Arch. de Biologie. Tome VII. Fasc. II. 1887.
122 Carl Rabl
zum Blastodermrande alle drei Keimblätter in außerordentlichem
Grade abgeflacht haben; die Keimscheibe hat dadurch an Ausdeh-
nung bedeutend gewonnen. Diese Abflachung des außerembryonalen
Bezirkes der Keimscheibe, durch welche die Umwachsung des Dotters
eingeleitet wird, geht, wie ein Vergleich der Figuren 2 und 4 lehrt,
keineswegs mit einer namhaften Zellvermehrung einher; wir können
uns vielmehr- das Bild der Fig. 4 auch ohne Zellvermehrung aus
dem Bilde der Fig. 2 ableiten. Ich möchte auf diese Thatsache
desshalb ein sehr großes Gewicht legen, weil wir hier in sehr ein-
facher Form einer Erscheinung gegenüberstehen, die sich immer und
immer wieder während der Entwicklung wiederholt und auf welche
ich oft zurückkommen werde. Wir sehen nämlich, dass die Aus-
bildung einer bestimmten Form auch ganz unabhängig von einer
Vermehrung der Zellen, lediglich durch Verwendung des bereits ge-
bildeten Zellenmaterials erreicht werden kann. Zwei Faktoren sind
es, welche die Entwicklung beherrschen: der erste ist die Vermeh-
rung der Zellen durch Theilung, wobei zunächst wieder die Rich-
tung, in welcher die Theilung erfolgt, die Stellung der Theilungs-
achse, von Wichtigkeit ist; der zweite ist das specifische Wachsthum
der Zellen, d. h. die Fähigkeit, bei ihrer weiteren Ausbildung ihre
Form in bestimmter Weise zu ändern. Indem nun eine größere
Anzahl gleichartiger Zellen gleichzeitig und gleichsinnig ihre Form
ändert, wird natürlich auch das Organ, das Sie aufbauen, eine ent-
sprechende Formveränderung erfahren müssen.
An dem abgebildeten Schnitte sehen wir also zunächst das
Ektoderm aus zwei differenten Abschnitten zusammengesetzt. Im
embryonalen Theil der Keimscheibe besteht es, wie früher, aus einer
einfachen Lage hoher Cylinderzellen; diese gehen nach dem außer-
embryonalen Theil ganz allmählich in niedrigere und schließlich in
ganz flache Zellformen über. Am Blastodermrande (bei wr) werden
die Zellen wieder etwas höher. Das Entoderm lässt folgende Ab-
schnitte unterscheiden: zunächst das embryonale Entoderm, das sich
vom Dotter abhebt und mit demselben eine Höhle (ch) begrenzt;
sodann das außerembryonale (e»t), an dem man wieder eine me-
diale, dieke Partie und eine laterale, dünne unterscheiden kann, die
ganz kontinuirlich in einander übergehen. Das außerembryonale
Zntoderm liegt bis zu der Stelle, wo es in das embryonale über-
geht, unmittelbar dem Dotter auf. Im Dotter finden sich unter dem-
selben die bekannten großen Dotterkerne (Merocytenkerne RUcKERT’s);
unter der primitiven Darmhöhle (4) fehlen sie. Das embryonale
Theorie des Mesoderms. 123
Entoderm steht nirgends mehr mit dem Mesoderm in Verbindung;
dafür zeigt es aber in der Mitte, unter dem Boden der Rückenrinne,
eine eigenthümliche Bildung. Hier bemerkt man eine Einfaltung der-
jenigen Platte, die wir früher als Chordaplatte oder Chordaentoderm
bezeichnet haben (chp); in diese Falte reicht von unten her eine
Ausbuchtung der Darmhöhle hinein; wir können dieselbe als Chorda-
rinne (chr) bezeichnen. Sie ist von zwei seitlichen Lippen begrenzt
und erscheint im Grunde weiter als an der Kommunikationsstelle
mit der Darmhöhle. Es ist schwer zu sagen, ob das Chordaentoderm
ausschließlich in die Bildung der Chordafalte aufgeht oder ob ein-
zelne seiner Zellen auch noch an der Bildung der dorsalen Darm-
wand Theil nehmen: ich möchte mich indess mehr der letzteren An-
sicht zuneigen. Die Chordafalte springt in der Weise gegen den
Boden der Riickenrinne vor, dass derselbe etwas vorgebuchtet wird.
Die Grenze zwischen Ektoderm und Entoderm ist aber stets sehr
scharf zu erkennen; sie tritt schon dadurch hervor, dass das Ento-
derm viel blässer als das Ektoderm erscheint. Von einer Betheili-
gung des Ektoderms oder des Mesoderms an der Bildung der Chorda
kann gar keine Rede sein.
Das Mesoderm zeigt folgende Eigenthümlichkeiten. Die Ver-
bindung des gastralen Mesoderms mit dem Entoderm hat sich voll-
ständig gelöst und das Darmentoderm geht unmittelbar in das zur
Falte erhobene Chordaentoderm über. Das gastrale Mesoderm zeigt
eine ansehnliche Dieke und geht, ganz allmählich sich verjüngend,
nach der Peripherie in das dünne peristomale Mesoderm über, das
seine Verbindung mit dem Entoderm des Blastodermrandes noch be-
wahrt hat (pm). Das peristomale Mesoderm behält also
seine Verbindung mit dem Entoderm länger bei als das
gastrale. Diese Thatsache ist, wie wir sehen werden, von großer
allgemeiner Bedeutung. Das Mesoderm beginnt sich, ungefähr an
der Grenze zwischen Embryonalanlage und außerembryonalem Bla-
stoderm, in zwei Schichten zu ordnen.
Verfolgt man die Serie, welcher der Schnitt der Fig. 4 ent-
nommen ist, zunächst nach rückwärts, so bemerkt man, dass die
Chordafalte etwas niedriger und die Chordarinne breiter wird und
dass diese schließlich in das hintere Ende der Rückenrinne, also
der Vorläuferin der Medullarrinne, umbiegt. Diese Umbiegungsstelle
entspricht natürlich der Randkerbe der Keimscheibe. Rechts und
links neben der Randkerbe, also dort, wo das gastrale Mesoderm
in das peristomale übergeht, tritt das Mesoderm wieder mit dem
124 Carl Rabl
Entoderm in Verbindung. Verfolgt man die Serie von dem abge-
bildeten Schnitte aus nach vorn, so sieht man die Chordafalte noch
etwas höher werden und sich noch stärker gegen den Boden der
hier sehr tief eingesenkten Rückenrinne empordrängen. Noch weiter
nach vorn wird sie wieder etwas niedriger und hört beiläufig unter
dem Vorderende der Rückenrinne auf. Daher fehlt sie an Quer-
schnitten durch den vordersten Theil der Embryonalanlage, welcher
die »Kopffalte« BaLrour’s trägt. Daraus ist aber nicht der Schluss
zu ziehen, dass sie im Kopfe fehle; denn der Name »Kopffalte«
thut doch nichts zur Sache.
Abgesehen von diesen Verhältnissen sieht man bei der Verfol-
gung der Serie nach vorn wieder wie früher das peristomale und
gastrale Mesoderm sich von einander trennen. Das gastrale Meso-
derm umschließt jetzt im Kopfende eine deutliche, ziemlich geräu-
mige, aber nicht scharf begrenzte Höhle. Das Ektoderm des Vor-
derendes zeigt die beiden mächtigen, hoch erhobenen Rückenwülste,
die, entsprechend der »Kopffalte«, in einander fließen und einen
einzigen Wulst bilden, der endlich noch weiter nach vorn in den
früher erwähnten kurzen Fortsatz übergeht. Das Mesoderm reicht
nicht bis in diesen Fortsatz; er besteht also nur aus Ektoderm und
Entoderm.
An die Beschreibung dieses Stadiums will ich noch ein paar
Worte über ein etwas jüngeres Stadium anschließen, ein Stadium,
das ungefähr die Mitte zwischen den Stadien B und C BAaLrour’s
hält. An den durch die hintere Hälfte der Embryonalanlage ge-
führten Schnitten sieht man Verhältnisse, welche einerseits denen
der Fig. 2, andererseits denen der Fig. 4 ähnlich sind; sie gleichen
denen der Fig. 4 mit Riicksicht auf die Embryonalanlage, denen
der Fig. 2 mit Rücksicht auf den außerembryonalen Theil der
Keimscheibe. Ektoderm und Entoderm erscheinen also im außer-
embryonalen Keimscheibenbezirke soleher Querschnitte fast eben so
dick wie im embryonalen und auch das Mesoderm zeigt keine so
bedeutende Abflachung wie in dem vorher beschriebenen Stadium.
Erst auf den Schnitten, welche durch die vordere Hälfte der Em-
bryonalanlage gehen, nehmen die Keimblätter im außerembryonalen
Bezirke ganz allmählich die in Fig. 4 dargestellte Beschaffenheit
an. Daraus und aus einem Vergleiche mit jüngeren Stadien geht
hervor, dass die Abflachung der Keimscheibe von vorn nach hinten
fortschreitet. I
Zum Schlusse lasse ich die Beschreibung eines Embryo aus
Theorie des Mesoderms. 125
dem Stadium D Batrour’s folgen. Die BaLrour'sche Beschreibung
und Abbildung sind auch hier wieder nicht ganz genau; nicht viel
besser. ist die von His gegebene Darstellung. BALFOUR giebt an,
der Embryo D habe zum mindesten zehn Urwirbel gehabt. His
_ zeichnet an dem etwas jüngeren Embryo seiner Fig. 3 noch gar
keinen, an dem Embryo seiner Fig. 4 vier Urwirbel. Ich schließe
aus meinen Beobachtungen, dass der Embryo der Fig. 3 ungefähr
vier, jener der Fig. 4 mindestens acht Urwirbel hatte. Der Em-
bryo, an dessen Beschreibung ich mich halten werde, hatte wahr-
- scheinlich gleichfalls acht Urwirbel. An Querschnittserien lässt sich
die Urwirbelzahl zu dieser Zeit nicht mit Sicherheit eruiren. Ich
schließe auf acht Urwirbel nach einer Sagittalschnittserie durch einen
etwas jüngeren Embryo, der sieben! Urwirbel hatte. Ein etwas
älterer Embryo zeigte elf Urwirbel. Wann die Urwirbelbildung be-
ginnt, weiß ich nicht; ich vermuthe gegen Ende des Stadiums C.
Jedenfalls geht sie vom gastralen Mesoderm aus, nicht, wie un-
längst Rickert? mitgetheilt hat, vom peristomalen des hinteren
Blastodermrandes. Wenn ich den erwähnten Embryo mit sechs oder
sieben Urwirbeln der Länge nach in hundert gleiche Theile theile,
so fällt die hintere Grenze des letzten Urwirbels etwa auf den Theil-
_ strich 27, von hinten gerechnet, so dass also in dem ganzen langen
Abschnitt von hier bis zum hinteren Blastodermrande das Mesoderm
unsegmentirt ist. Hätte die Urwirbelbildung am hinteren Blastoderm-
rande begonnen, so müsste in diesem Abschnitte die Segmentirung
wieder verschwunden sein, eine Annahme, die ganz unstatthaft ist.
Ich hebe die Thatsache, dass die Urwirbelbildung vom gastralen,
nicht vom peristomalen Mesoderm ausgeht, desshalb so scharf her-
- vor, weil ich sie, wie später noch ausgeführt werden soll, für die
ganze Auffassung des Mesoderms für wichtig halte.
j Ich gebe zunächst eine Beschreibung des Oberflächenbildes eines
Embryo mit sieben Urwirbeln und lasse dann die Beschreibung
einer Querschnittserie durch einen, nur wenig älteren Embryo folgen.
Der Embryo hat eine Länge von 1,6—1,7 mm bei einer Breite des
Kopfendes von 0,7 mm. Das Kopfende hebt sich scharf vom Dotter
1 Bei der Zählung der Urwirbel ist man immer in einiger Verlegenheit ;
als letzten bezeichne ich immer den letzten nach hinten scharf abgegrenzten
Urwirbel. Über die Frage, was man als ersten Urwirbel zu bezeichnen hat,
werde ich später berichten.
2 J. RÜCKERT, Über die Anlage des mittleren Keimblattes und die erste
Blutbildung bei Torpedo. Anat. Anz. II. Jahrg. 1887. Nr. 4.
126 Carl Rabl
ab, das Schwanzende geht in zwei durch die Randkerbe von ein-
ander getrennte, rundliche Knötchen (»Schwanzknospen«, »tail-swell-
ings«, »protuberances caudales«) aus. Aus einem gleich zu er-
wähnenden Grunde gebrauche ich von nun an statt der Bezeichnungen
» Rückenwülste und Rückenrinne« die Bezeichnungen » Medullarwiilste
und Medullarrinne«. Die beiden Medullarwülste haben die Form
einer Spatel, deren breites Ende nach vorn gerichtet ist; in der
Mitte sind sie am schmälsten und laufen nach ‘hinten, sich wieder
etwas verbreiternd, in die Schwanzknospen aus. Sie werden in der
Mittellinie durch die seichte Medullarrinne von einander geschieden:
am Kopfende ist der Boden der Rinne abgeflacht oder springt selbst
mit geringer sagittaler Wölbung vor. Die Ränder der Medullar-
wülste sind am Kopfende leicht nach unten abgebogen. Die Form
der Medullarwülste bestimmt die Form der ganzen Embryonalanlage.
Die Seitenflächen des Embryo fallen ziemlich steil nach außen ab,
um so steiler, je weiter nach vorn; an der Grenze zwischen vor-
derem und mittlerem Drittel richten sie sich senkrecht auf, um noch
weiter vorn nach unten mit einander zu konvergiren und schließlich
dort, wo das Kopfende vom Blastoderm abgelöst ist, bogenförmig
in einander überzugehen. Am Kopftheil der Embryonalanlage wer-
den sie aber von den breiten Medullarwülsten vollständig überlagert
und sind daher bei der Ansicht von oben nicht sichtbar.
Eine Querschnittserie giebt folgende Bilder: Einen Schnitt aus
der Mitte des Embryo zeigt Fig. 5 Taf. VII. Am Ektoderm sieht
man zunächst die dieken, am Boden der Medullarrinne kontinuirlich
in einander übergehenden Medullarplatten; nach außen setzen sie
sich ziemlich scharf vom übrigen Ektoderm ab. So lange keine
solehe Grenze existirt, so lange also die Verhältnisse sich so dar-
stellen, wie in den Fig. 1—4 der Taf. VII, spreche ich nicht von
Medullarwiilsten und Medullarplatten, sondern von Rückenwülsten und
Rückenplatten. Vom Entoderm hat sich die Chorda vollständig losge-
löst; sie stellt einen rundlichen Strang dar, der gegen den Boden der
Medullarrinne etwas vorspringt. Nach hinten geht die Chorda all-
mählich in das Entoderm über, so dass man hier Bilder bekommt,
ähnlich dem der Fig. 4. Es findet sich also hier noch eine Chordarinne,
welche gerade so wie früher an der Randkerbe in das Hinterende
der Medullarrinne umbiegt. Eine Theilung der Chordaanlage in
zwei Hälften und ein Übergang jeder Hälfte in die Schwanzknospe
ihrer Seite kommt nicht vor. Ich weiß nicht, wie Hıs zu dieser,
zu seinen theoretischen Betrachtungen so sehr stimmenden Angabe
Theorie des Mesoderms. 127
gekommen ist. Gegen das vorderste Körperende scheint die Chorda,
ähnlich wie hinten, noch mit dem Entoderm zusammenzuhängen.
Das Mesoderm der Embryonalanlage lässt zwei Abschnitte unter-
- scheiden: die Urwirbel und Seitenplatten (Fig. 5 ww und sp). Beide
gehen kontinuirlich in einander über. In den Urwirbeln beginnen
die Zellen aus einander zu weichen und eine Höhle, die Urwirbel-
- höhle (wh), zu umschließen. In den Seitenplatten ordnen sich die
zeiten gleichfalls in zwei Schichten, die indess dicht auf einander
liegen und keine eigentliche Höhle begrenzen.
Ich habe noch ein paar Worte über die Urwirbel zu sagen.
| Diese nehmen von hinten nach vorn rasch an Größe zu und zwar
| in allen Dimensionen. Es ist also der erste der größte, der letzte
der kleinste. Damit geht auch die Geräumigkeit der Urwirbelhöhle
Hand in Hand; sie ist am größten im ersten Urwirbel, wird hinten
| kleiner und fehlt vollständig in den letzten. Der erste Urwirbel ist
nach vorn nicht in der Weise abgegrenzt, wie die übrigen und er-
scheint eigentlich nur in seinem hintersten Ende einem Urwirbel
ähnlich ; vorn geht er in einen langen, bis in das vordere Kopfende
- reichenden Fortsatz über, in den sich die Höhle vom Urwirbel aus
- fortsetzt.
Hinsichtlich der Litteratur bemerke ich vor Allem, dass meine
Darstellung der Mesoderm- und Chordaentwicklung in allen wesent-
lichen Punkten mit derjenigen Riickert’s übereinstimmt, sowie ich
denn überhaupt die Arbeit Rickertrs als die beste über diesen
Gegenstand bezeichnen muss. Im Einzelnen ergeben sich freilich
_ Differenzen, auf die ich aber nicht einzugehen beabsichtige. Manche
dieser Differenzen mögen auf die verschiedene Behandlung der Em-
_ bryonen zurückzuführen sein. Wie sehr die in Neapel mit so großer
Vorliebe verwendete koncentrirte wässerige Sublimatlösung die Em-
bryonen schrumpfen macht, erfährt man erst, wenn man die durch
solche Härtung erzielten Bilder mit denen vergleicht, die man bei
schonenderer Behandlung erhält.
Rickert hat zuerst zwischen »peripherem und axialem Meso-
blast« unterschieden. Der »periphere Mesoblast« entspricht meinem
peristomalen, der »axiale« meinem gastralen Mesoderm. Die von
Rickert gebrauchten Bezeichnungen passen nur für die Mesoderm-
entwicklung der Selachier und, wie ich vermuthe, auch der Kno-
chenfische, nicht aber für diejenige der übergroßen Mehrzahl der
Wirbelthiere; ich habe sie daher durch solche Ausdrücke ersetzt,
welche, wie später gezeigt werden soll, auf alle Wirbelthiere
128 Car! Rabl
Anwendung finden können. Von den vielen kleinen Differenzen
gegenüber den RÜückErT'schen Angaben hebe ich nur eine, vielleicht
“etwas wichtigere hervor. RÜCKERT giebt an, dass ein »peripherer
Mesoblast« auch am Vorderrande des Blastoderms zur Ausbildung
komme; ich kann dies nicht bestätigen und vermuthe, dass hier eine
Verwechslung mit dem Entoderm des Umschlagsrandes vorliege.
Die Ergebnisse der in mancher Hinsicht recht sorgfältigen Ar-
beit SwAaEn’s über die Mesodermbildung von Torpedo ocellata wei-
chen in nicht unerheblichem Grade von den meinigen ab. Ich kann
mich mit seinen Ausführungen und Anschauungen nicht einverstanden
erklären.
Die älteren Arbeiten Batrour’s und AL. SCHULTZ’ sind, was
die Mesodermentwicklung betrifft, wohl durch die Arbeit RückeErr's ©
weit überholt.
Etwas eingehender muss ich bei der schon mehrmals erwähnten
Abhandlung His’ »über die Bildung der Haifischembryonen« ver-
weilen. Die Abhandlung ist zwar schon im Jahre 1877 erschienen,
also zwischen dem Erscheinen des »Preliminary account« und der
ausführlichen Monographie BALFour's; es könnte daher überflüssig
erscheinen, darauf zurückzukommen. Indess sind die darin vorge-
tragenen Anschauungen von solcher Tragweite für die Gesammtauf-
fassung der Entwicklung des Wirbelthierkörpers, dass ich eine Kritik
derselben nicht unterlassen kann. Hrs ist der Ansicht, dass bei den
Haien, ähnlich wie er dies früher schon für die Knochenfische nach-
zuweisen versucht hatte, »der Körper durch axiale Verwachsung von
zwei im Randwulste angelegten Hälften« entstehe. Als Beweise
führt Hıs an: erstens »die unmittelbare Evidenz«, zweitens die »Maß-
verhältnisse« der Embryonen in den einander folgenden Entwick-
lungsstadien und drittens die Verhältnisse an Durchschnitten. Was
zunächst die »unmittelbare Evidenz« betrifft, so gebe ich gern zu,
dass sie einer solchen Auffassung nicht ungünstig ist; aber auch
BALFOUR hat eine große Menge von Embryonen gesehen und doch
eine ganz andere Ansicht vertreten. Wenn ich meine eigene Er-
fahrung sprechen lassen darf, so muss ich mich ganz der BALFOUR-
schen Auffassung anschließen und bemerken, dass mich die »un-
mittelbare Evidenz« von der Richtigkeit der Hıs’schen Auffassung
nicht überzeugt hat; sie schien mir für die vorliegende Frage ohne
Belang zu sein. Was zweitens »die Maßverhältnisse« betrifft, so
rer
edn
wird durch die Abnahme zahlreicher Maße und die Berechnung der
Wachsthumsprocente meiner Ansicht nach »die unmittelbare Evidenz «
Theorie des Mesoderms. 129
nur in Zahlen umgesetzt, ohne dass ein neuer Beweis fiir die vor-
getragene Auffassung erbracht würde. Was endlich die Verhältnisse
an Durchschnitten betrifft, so sprechen dieselben entschieden gegen
die Hıs’sche Auffassung. Von besonderer Wichtigkeit erscheint mir
in dieser Beziehung das oben geschilderte Verhalten des hinteren
Chordaendes. Die Chorda oder Chordaanlage erscheint nie hinten
_getheilt, wie sie es sein müsste, wenn die Auffassung His’ richtig
_ wäre. Auch sonst spricht nichts zu Gunsten einer axialen Verwach-
sung der beiden Randwulsthälften. Es wurde bereits oben hervor-
gehoben, dass die Urwirbelbildung nicht vom peristomalen, sondern
vom gastralen Mesoderm ausgeht und dass sie in beträchtlicher Ent-
fernung vom Blastodermrande aufhört. Interessant ist auch, abge-
sehen von der schon früher kritisirten Angabe Hrs’, die allgemeine
Auffassung der Chorda. Es heißt da: »Nach ihrer Entstehungsge-
schichte und mit Beziehung auf den Körper ist die Chorda dorsalis
als dessen axiale Längsnaht.zu bezeichnen; mit Beziehung auf den
Gesammtkeim repräsentirt sie einen Theil der verwachsenen Lippen
des Blastoporus (oder für die Gasträatheoretiker der verwachsenen
Lippen des Urmundes)«. Ich weiß nicht, ob jemals ein »Gasträa-
theoretiker« an diese Möglichkeit gedacht hat.
Was endlich den Versuch betrifft, die Verwachsung des Kör-
pers aus zwei Anfangs getrennten Hälften als einen tiefgreifenden
auch für die Würmer und Arthropoden gültigen Process nachzuweisen,
so dürfte derselbe wohl auf eine irrige Auffassung der Beobachtun-
gen KOWALEVSKY'S zurückzuführen sein.
b) Vögel. Die Untersuchungen über die Mesodermbildung der
Vögel wurden zumeist an Hühnerkeimscheiben ausgeführt; spätere
Stadien wurden auch an Keimscheiben der Taube untersucht.
Ich gehe bei der Beschreibung wieder von demjenigen Stadium
aus, welches man als das Höhestadium der Mesodermbildung be-
zeichnen kann. Es entspricht dem Stadium II, Fig. 6 bei Hıs oder
dem Stadium der Fig. 3 bei DuvaL. Dieses Stadium pflegt am
Ende des ersten Tages der Bebrütung erreicht zu werden; jedoch
kann es sich auch bei ganz normaler Entwicklung bis gegen die
dreißigste Stunde hinziehen, sowie es andererseits schon um die
sechzehnte Stunde angetroffen werden’ kann. Ja, in einem Falle
habe ich es schon an einem zehn Stunden bebrüteten Ei beobachtet;
solche Fälle sind indessen seltene Ausnahmen. Der Primitivstreifen
| hat zu dieser Zeit das Maximum seiner Länge erreicht; vor dem-
_ selben sieht man den »Kopffortsatz« von etwas mehr als halber
Morpholog. Jahrbuch. 15. 9
130 Carl Rabl
|
r
Länge des Primitivstreifens, vor diesem die bogenförmige »vordere —
Keimfalte« und endlich vor dieser die »vordere Außenfalte« (Hrs).
Eine Querschnittserie einer solchen Keimscheibe giebt von vorn nach
hinten folgende Bilder. Zunächst sieht man an den Schnitten, welche
gerade noch durch den dunklen Fruchthof gehen, das Ektoderm als
eine einschichtige, ziemlich diinne Lamelle niedriger Zellen iiber das
dicke Lager der Dotterzellen hinwegziehen; die Ektodermzellen sind
in der Mitte des Schnittes ein klein wenig höher und ihre Kerne
stehen näher an einander als in den Seitentheilen des Schnittes;
die Entodermzellen, die man wegen ihres großen Reichthums an
Dotterkugeln als Dotterzellen bezeichnen kann, lassen eine Abgren-
zung gegen einander in keiner Weise erkennen. Ihre Größe lässt
sich nur aus dem Abstande der Kerne annäherungsweise bestimmen.
Die Form ihrer Kerne ist einer großen Veränderlichkeit unterworfen;
in der Regel kugelig, können sie durch den Druck der Umgebung
ihre Gestalt nach jeder Richtung ändern. Sie liegen nicht in glei-
cher Höhe, sondern sind anscheinend regellos zerstreut. Alle diese
Eigenthümlichkeiten: das Fehlen bestimmter Zellgrenzen, die Va-
riabilität der Form und die anscheinend regellose Vertheilung der
Kerne sind die Folgen der Aufnahme des Nahrungsdotters durch
diese Zellen. Wir sehen ganz dieselben Eigenthümlichkeiten überall
dort auftreten, wo zusammenhängende Epithelmembranen fremde
Substanzen in großer Menge aufnehmen. Ich brauche nur an die
den Dotter resorbirenden Entodermzellen der Arthropoden oder an
die eigenthümlichen, aus einem Theile des primitiven Entoderms
hervorgehenden »Eiweißzellen« der Gastropodenembryonen zu erinnern.
Ein Mesoderm ist an den Schnitten, welche vor der Embryonalanlage
durch den dunklen Fruchthof gehen, nirgends zu sehen.
Weiter hinten, an Schnitten, welche ungefähr durch die Mitte
zwischen vorderer Grenze der Area pellucida und Vorderende des
Kopffortsatzes hindurchgehen, besteht das Ektoderm in der Mitte
aus einem einschichtigen hohen Cylinderepithel, das sich überall
sehr scharf vom unterliegenden Entoderm absetzt; nach den Seiten
werden die Zellen allmählich niedriger, um schließlich in die ganz
flachen Zellen des Ektoderms des dunklen Fruchthofes überzugehen.
Auch hier findet sich nirgends eine Verbindung mit dem Entoderm.
Dieses besteht innerhalb der Area pellueida aus ziemlich niedrigen,
vakuolenhaltigen Zellen, die sich nach unten sehr scharf abgrenzen,
nach oben jedoch häufig in unregelmäßige Fortsätze ausgehen. Nach
den Seiten, also gegen die Area opaca, geht dieses flache Entoderm
Theorie des Mesoderms. . 131
ziemlich rasch, aber nicht ganz unvermittelt in das dicke Dotter-
entoderm iiber, dessen Charaktere oben beschrieben wurden. Von
einem Mesoderm ist auch an Schnitten durch diese Gegend nichts
zu sehen.
An Schnitten durch das vorderste Ende des Kopffortsatzes be-
_ ginnt sich am Entoderm eine Besonderheit bemerkbar zu machen.
Dieses zeigt niimlich in der Mitte des hellen Fruchthofes, also genau
_ dem Kopffortsatze entsprechend, eine leichte Verdickung, welche da-
durch zu Stande kommt, dass die Zellen hier nicht mehr in ein-
facher Schicht neben einander liegen, sondern eine zum mindesten
zwei Zellen dicke Platte bilden, welche nach den Seiten ganz all-
mählich in das einschichtige Entoderm ausläuft. An der unteren,
dem Dotter zugewendeten Seite dieser Platte sehe ich zuweilen eine
seichte Depression, doch bin ich nicht im Stande, zu sagen, ob die-
selbe eine konstante Erscheinung ist.
Schnitte durch die Mitte des Kopffortsatzes geben Bilder, wie
ein solches auf Taf. VIII Fig. 1 wiedergegeben ist: Fig. 2 stellt
einen Schnitt durch die hintere Hälfte des Kopffortsatzes dar; end-
lich Fig. 7 einen Schnitt durch dieselbe Gegend wie Fig. 2, nur
_ bei schwächerer Vergrößerung und in weiterer Ausdehnung. chlI
Te a m
beginne der Übersichtlichkeit wegen mit der Beschreibung der
Fig. 2 und 7.
Wir sehen zunächst am Ektoderm in der Mitte eine seichte
Furche, die wir wieder als Rückenfurche oder Rückenrinne be-
zeichnen wollen. Dieselbe wird von den beiden, zu dieser Zeit
allerdings noch ganz schwach ausgeprägten Rückenwülsten begrenzt.
Im Bereiche der Embryonalanlage, also der Mitte der Area pellueida
entsprechend, besteht das Ektoderm aus hohen Cylinderzellen, die
so dichtgedrängt stehen, dass ihre Kerne nicht alle in gleicher Höhe
- Platz finden, wodurch wieder hier und da der Eindruck einer Mehr-
schichtigkeit hervorgerufen wird. Nach den Seiten, gegen die Pe-
_ ripherie des hellen Fruchthofes, gehen die Cylinderzellen ganz all-
_ mählich in niedrigere Zellformen über und im dunklen Fruchthofe
finden wir wieder die früher erwähnten ganz platten Elemente. Das
Entoderm zeigt unter dem Boden der Rückenrinne eine mächtige
Verdickung (4f Fig. 2 und 7), die nach vorn langsam schwächer
wird (Fig. 1) und endlich gegen das Vorderende des Kopffortsatzes
in die oben beschriebene Zellplatte ausläuft. Der Kopffortsatz (4f)
ist vom Ektoderm ungemein scharf geschieden und nicht selten
findet man zwischen beiden einen mehr oder weniger ansehnlichen
g*
132 Carl Rabl
Spaltraum (vgl. Fig. 2); er stellt in der That nur den medianen
stark verdickten Theil des Entoderms dar, der sich nach den Seiten
sowohl in den dünnen Theil dieses Keimblattes, als auch ins Meso-
derm fortsetzt. Der dünne Theil des Entoderms besteht aus sehr
flachen, auf dem Schnitte spindelförmigen Zellen (Fig. 1 und 2 ent)
mit ziemlich weit von einander abstehenden Kernen; nach der Peri-
pherie des hellen Fruchthofes werden die Zellen höher und bekom-
men ein vakuoliges Aussehen, um schließlich in die Dotterzellen des
dunklen Fruchthofes überzugehen (Fig. 7 Dz). Ziemlich regelmäßig
sieht man an der Grenze zwischen hellem und dunklem. Fruchthof
im Entoderm Hohlräume (vgl. Fig. 7), die sich, wie eine Durch-
musterung solcher Serien lehrt, bald hinten, bald vorn nach unten
öffnen. Das Mesoderm (Fig. 1 und 2 mes), das gleichfalls als eine
unmittelbare Fortsetzung der medianen Entodermplatte erscheint,
zieht über die ganze Breite des hellen Fruchthofes hinweg und reicht
sogar eine Strecke weit in den dunklen Fruchthof hinein, um hier
über den Dotterzellen mit scharfem Rande zu endigen (Fig. 7 fm).
In dieser ganzen Ausdehnung steht es weder mit dem Ektoderm noch
mit dem Entoderm in irgend einer Verbindung. Es nimmt von vorn
nach hinten an Mächtigkeit zu und besteht aus spindelförmigen oder
sternförmigen Zellen, zwischen denen sich ab und zu größere, ku-
gelige Elemente mit reichlichen Dotterkörnchen finden.
Dieses Bild wiederholt sich an allen folgenden Schnitten bis
zum Vorderende des Primitivstreifens. Hier aber beginnen andere
Verhältnisse. Zunächst zeigt die mediane Entodermplatte eine leicht
asymmetrische Vertheilung ihrer Masse, indem sie rechts etwas
mächtiger erscheint als links. Im Zusammenhange damit zeigt auch
die Fortsetzung der Rückenrinne eine leichte Asymmetrie, indem sie
sich links etwas tiefer einsenkt als rechts. Wenige Schnitte hinter
der Stelle, an der sich diese Eigenthümlichkeiten zuerst bemerkbar
machen, verschmilzt das Ektoderm des Bodens der Rückenrinne mit
der dorsalen Fläche der Entodermplatte; dadurch kommt das Bild
der Fig. 3 zu Stande. Dieses Bild wiederholt sich so konstant an
allen meinen Serien durch Keimscheiben dieses, sowie etwas jüngerer
oder älterer Stadien, dass es nicht zweifelhaft erscheinen kann, dass
wir hier einem ganz normalen Verhalten gegenüberstehen. Wir
finden also stets dieselbe an der Fig. 3 deutlich erkennbare Asym-
metrie. Es gehen hier alle drei Keimblätter eine Verschmelzung ein.
Auf den nächsten zehn bis fünfzehn Schnitten (bei einer Schnitt-
dicke von '/,3, mm) bereiten sich wieder andere Verhältnisse vor.
—— Fi u
——— DE
= —
Theorie des Mesoderms. 133
Wir finden nämlich, dass die Mittellinie der hinteren Hilfte der
Keimscheibe, also desjenigen Theiles, der den Primitivstreifen trägt,
nicht der Mittellinie der vorderen Hälfte, welche den Kopffortsatz
einschließt, entspricht. Es setzt sich also die Rückenrinne auch
nicht einfach in die Primitivrinne fort, sondern diese beginnt etwas
nach links von der hinteren Verlängerung der Mitte des Bodens der
Rückenrinne. Diese Verhältnisse sind mit Rücksicht auf ein etwas
späteres Stadium recht gut bei KÖLLIKER, Fig. 29 seines Lehrbuches,
und bei DuvaL Fig. 4 in Oberflichenansicht wiedergegeben. His
scheint darauf nicht geachtet zu haben und seine Figuren entsprechen
auch nicht dem wahren Sachverhalte. Verfolgen wir also vom
Schnitte der Fig. 3 an die Serie nach hinten, so sehen wir, dass
sich die tiefste Stelle der in Fig. 3 rechts von der Mittellinie sicht-
baren Furche in die Primitivrinne (pr) der Fig. 4 fortsetzt. Dabei
bleiben die drei Keimblätter in der Mitte verschmolzen.
Der Schnitt der Fig. 4 geht ungefähr durch die Stelle, an wel-
cher das vordere an das mittlere Drittel des Primitivstreifens stößt.
Wir sehen zunächst die Primitivrinne (pr), eingefasst von den Pri-
mitivwülsten oder Primitivfalten (pw). Das Ektoderm steht hier in
untrennbarem Zusammenhange mit einer ansehnlichen Zellmasse, die
nach den Seiten in das mehrschichtige Mesoderm, das hier ungefähr
dieselbe Dicke hat wie im hinteren Theil des Kopffortsatzes, und in
das flache, einschichtige Entoderm ausläuft. So weit der Schnitt ab-
gebildet ist, sind Entoderm und Mesoderm nicht von einander ge-
sondert (mes + ent); die Trennung erfolgt erst weiter lateralwärts.
In der hinteren Hälfte des Primitivstreifens ändert sich das Bild
abermals, indem sich die Verbindung der mittleren Schicht mit dem
Entoderm löst (Fig. 5), wogegen jene des Ektoderms und Mesoderms
erhalten bleibt. Die Entodermzellen enthalten hier viele kleine Va-
kuolen. Dieses Bild wiederholt sich mit kaum nennenswerthen Mo-
difikationen durch die ganze hintere Hälfte des Primitivstreifens.
Erst hinter diesem, wo also mit dem Verschwinden des Primitiv-
streifens auch die Primitivrinne und die Primitivwülste verschwunden
sind, ändern sich wieder die’ Beziehungen der drei Keimblätter.
Wir sehen hier (Fig. 6) alle drei Keimblätter scharf von einander
geschieden. Das Ektoderm ist zu einer dünnen Lamelle geworden,
die zwar in der Mitte noch etwas dicker ist als an den Seiten, aber
von den früheren Eigenthümlichkeiten nichts mehr erkennen lässt.
Es zieht vollkommen glatt über das Mesoderm hinweg. Das Ento-
derm zeigt Verhältnisse, wie sie sich auch sonst beim: Übergange
134 Carl Rabl
der Area pellueida in die Area opaca darstellen. Das Mesoderm
besteht aus unregelmäßigen, mit Fortsätzen versehenen Zellen, zwi-
schen denen ziemlich zahlreiche größere, kugelige, mit feinen Dotter-
körnchen erfüllte Elemente liegen. Gegen den dunklen Fruchthof
schwindet das Mesoderm; dafür treten die ersten Spuren der Blut-
inseln auf, welche tief in die obere Fläche des Dotterentoderms
eingesenkt sind. Ich gehe indessen auf diese Verhältnisse hier nicht
näher ein, da sie einerseits mit der Frage nach dem Ursprung des
Mesoderms nicht in Beziehung stehen und ich andererseits die Ab-
sicht habe, die Bildung des Blutes, über welche meine Unter-
suchungen noch nicht abgeschlossen sind, in einer späteren Arbeit
zu erörtern.
Ich lasse nun in Kürze eine Beschreibung jüngerer und älterer
Stadien folgen. An jüngeren Keimscheiben mit sehr kurzem, eben
erst angedeutetem Kopffortsatz ist von Rückenrinne und Rücken-
wiilsten noch nichts zu sehen. Das Ektoderm zieht ganz glatt über
den vorderen Theil der Keimscheibe hinweg, zeigt aber schon jetzt
in der Mitte, der späteren Embryonalanlage entsprechend, viel höhere
Zellen als nach den Seiten, wo es in den flachen außerembryonalen
Theil des Ektoderms übergeht. Das Entoderm zeigt in der ganzen
Ausdehnung des Kopffortsatzes diejenigen Verhältnisse, welche in
dem früher beschriebenen älteren Stadium nur am vordersten Ende
desselben zu sehen waren. Es ist also in der Mitte verdickt und
läuft nach den Seiten allmählich dünn aus. Überall ist es vom
Ektoderm sehr scharf gesondert. In den hinteren zwei Dritteln des
hellen Fruchthofes, also in demjenigen Theil, welcher den Primitiv-
streifen trägt, stellen sich die Verhältnisse ähnlich den früher ge-
schilderten dar. In Betreff des Mesoderms ist nur hervorzuheben,
dass es viel weniger dick ist und sich weniger weit ausbreitet, als
an jenen älteren Keimscheiben; es reicht gerade nur bis an den
Rand des hellen Fruchthofes.
An etwas älteren Keimscheiben, solchen, die unmittelbar vor
der Bildung der Chorda stehen, sieht man zunächst im Bereiche des
Kopffortsatzes eine tiefe Rückenrinne von entsprechend hohen Rücken-
wülsten begrenzt. Die Rinne ist vorn am tiefsten und läuft ziem-
lich rasch gegen das Vorderende des Primitivstreifens flach aus.
Von Medullarwülsten spreche ich aber auch hier so lange nicht, als
das Ektoderm noch ganz allmählich gegen die Peripherie an Höhe
abnimmt und eine Abgrenzung von Medullarplatten nicht erfolgt ist.
Vom Vorderende des Primitivstreifens an bieten Serien durch solehe
Theorie des Mesoderms. 135
Keimscheiben wesentlich die früher geschilderten Bilder. Das Me-
soderm reicht zu dieser Zeit um ein Geringes weiter in den dunklen
Fruchthof hinein als früber.
Dem Gesagten zufolge haben wir also am Mesoderm einer
_ Hühnerkeimscheibe vom Ende des ersten Tages zwei Theile zu
unterscheiden: erstens das Mesoderm, das vom Kopffortsatze aus-
geht, und zweitens das Mesoderm, das vom Primitivstreifen ausgeht;
beide Theile gehen am Vorderende des Primitivstreifens kontinuir-
lich in einander über, sie setzen sich in einander fort. Außer im
Kopffortsatz und im Primitivstreifen findet sich nirgends eine Ver-
bindung des Mesoderms mit den primären Blättern; an der Peri-
pherie hört das Mesoderm mit scharfem Rande zwischen Ektoderm
und Entoderm auf.
Es soll später eine Deutung dieser Befunde gegeben werden.
Meine Darstellung stimmt in vielen Punkten mit den Mitthei-
lungen überein, die DuvaL, GASSER, GERLACH und BALFOUR und
DEIGHTON gegeben haben; sie weicht dagegen von der von KOL-
LIKER, BRAUN, KOLLER und vielen anderen Autoren gegebenen Dar-
stellung sehr wesentlich ab. Ich will nicht zu zeigen versuchen,
wie die gegentheiligen Angaben, so weit sie sich auf Beobachtungen
stützen, mit den hier mitgetheilten Befunden in Einklang gebracht
werden können; es ist vielmehr meine Absicht, nur diejenigen Ar-
beiten zu berücksichtigen, die zu ähnlichen Resultaten, wie meine
eigene, geführt haben. Die Resultate Duvar’s! will ich mit seinen
eigenen Worten anführen, da sich daran am besten eine Kritik an-
knüpfen lässt. Duvau sagt: »Les connexions des trois feuillets du
blastoderme sont trés-différentes dans la zone tergale et dans la
region de la ligne primitive: dans la zone tergale le feuillet
externe est nettement délimité, sans connexions avec le feuillet moyen,
tandis que le feuillet interne et le feuillet moyen sont plus ou moins
confondus; dans la région de la ligne primitive, c’est au contraire
le feuillet interne qui est nettement limité, tandis que le feuillet
moyen adhére au feuillet externe dans toute la longueur du fond de
la gouttiére primitive. Cette disposition permet de penser que le
feuillet moyen se forme par de processus différents dans chacune
des ces régions: dans la zone tergale il proviendrait du feuillet in-
terne; dans la région de la ligne primitive il proviendrait du feuillet
1 Marnıas Duvat, Etudes sur la ligne primitive de l’embryon du poulet.
Ann. d. scienc. nat. Tome VII. 1878.
136 Carl Rabl
externe; ou tout au moins peut-on dire quil se forme dans la pre-
miere zone aux dépens d’une masse primitive qui lui est commune
avec le feuillet interne, et dans la seconde region aux depens d’une
masse primitive, qui lui est commune avec le feuillet externe.«
Duvau unterscheidet also ganz richtig am Mesoderm je nach
seiner Genese im vorderen Theil der Keimscheibe und im Bereiche
des Primitivstreifens zwei Theile; aber ich halte den daraus ge-
zogenen Schluss, dass es dort aus dem Entoderm, hier aus dem
Ektoderm hervorgehe, nicht fiir berechtigt. Viel richtiger ist es zu
sagen, dass es vorn aus einer Zellmasse hervorgeht, die ihm mit
dem Entoderm gemeinsam ist, hinten aus einer Masse, die mit dem
Ektoderm in innigster Verbindung steht. Duvau hat die Schwierig-
keiten nicht bedacht, welche sich aus dem Schlusse, dass das Meso-
derm vorn aus dem Entoderm, hinten aus dem Ektoderm entstehe,
für die Gesammtauffassung des Mesoderms erheben. KÖLLIKER hat
in seiner Abhandlung über die Entwicklung der Keimblätter des
Kaninchens bemerkt, er vermisse in Duvar’s Arbeit genaue Belege
für seine Angaben. So weit diese Bemerkung die Schnittbilder
Duvar’s betrifft, kann ich derselben nur zustimmen; ich habe selten
schlechtere Abbildungen gesehen; sie stehen in merkwürdigem Gegen-
satz zu den trefflichen Oberflächenansichten, die dieser Autor in
derselben Arbeit gegeben hat.
Zu etwas anderen Resultaten als Duvarn ist GASSER in seiner
vortrefflichen Arbeit über den »Primitivstreifen bei Vogelembryonen « !
gelangt. Er sagt: Das Mesoderm entsteht »a) im Primitivstreifen
aus Ektoderm und Entoderm; b) in den Seitentheilen der Area pel-
lucida aus Entoderm, allerdings, wie es scheint, etwas sparsamer....
In dem vorderen Theil der Keimscheibe als Kopffortsatz aus dem
Entoderm; c) aus dem Keimwall (Gefäßblatt Hıs)«. Gasser lässt
also das Mesoderm nicht ausschließlich aus einer axialen Anlage
hervorgehen (aus dem Kopffortsatz und dem Primitivstreifen), son-
dern auch aus einer peripherischen (aus den Seitentheilen der Area
pellucida und dem Keimwall). Während ich in ersterer Beziehung
mit GASSER übereinstimme, muss ich eine peripherische Anlage durch-
aus in Abrede stellen. Was den Ursprung aus den Seitentheilen
der Area pellucida betrifft, so kann ich nur auf das verweisen, was
ich oben über das Verhalten des Mesoderms im hellen Fruchthofe
gesagt habe; eine Verbindung mit einem der primären Blätter ist
hier nirgends nachzuweisen. Gerade in der Peripherie der Area
1 Kassel 1879.
Theorie des Mesoderms. 137
pellueida, an der Grenze gegen die Area opaca, nehmen die
Entodermzellen Charaktere an, durch welche sie sich sehr scharf
von den über ihnen hinwegziehenden Mesodermzellen unterscheiden.
Die andere Angabe GaAsseEr’s, dass auch aus dem Keimwall neue
Mesodermelemente entstehen, beruht allem Anscheine nach auf einer‘
Verwechselung der ersten Blutinselanlagen mit Mesodermzellen; eine
ausführlichere Berücksichtigung dieser Angabe kann daher hier unter-
lassen werden.
Am meisten stimmen meine Beobachtungen mit denen BALFOUR’s
und Dr1eHron’s! überein. Diese beiden Forscher unterscheiden am
Mesoderm des Hühnchens dieselben beiden Abschnitte, welche ich
unterschieden habe und kommen über den Ursprung derselben zu
folgenden Schlüssen: »The first part of the mesoblast to be formed
is that which arises in connection with the primitive streak. This
part is in the main formed by a proliferation from an axial strip of
the epiblast along the line of the primitive streak, but in part also
from a simultaneous differentiation of hypoblast cells also along the
axial line of the primitive streak. The two parts of the mesoblast
so formed become subsequently indistinguishable. The second part
of the mesoblast to be formed is that which gives rise to the lateral
plates of mesoblast of the head and trunk of the embryo. This
part appears as two plates — one on each side of the middle line
— which arise by direct differentiation from the hypoblast in front
of the primitive streak. They are continuous behind with the lateral
wings of mesoblast, which grow out from the primitive streak, and
on their inner side are also at first continuous with the cells which
form the notochord. Es freut mich, meine Resultate in so voller
Übereinstimmung mit denen der beiden trefflichen englischen Forscher
zu finden. — In keiner der eitirten Abhandlungen ist indessen die
Bedeutung des Kopffortsatzes richtig erfasst und es konnte daher
auch der Vergleich mit der Mesodermbildung der Anamnier nicht
glücklich ausfallen.
Ich lasse nun noch eine Beschreibung einiger späterer Stadien
folgen.
Wenn man durch Keimscheiben, welche das Höhestadium der
Mesodermbildung überschritten haben und die ersten Spuren der
Chordabildung erkennen lassen, Schnitte führt, so erhält man von
ı F. M. BALrour and F. Deiguron, A renewed study of the germinal
layers of the chick. Quart. journ. of micr. sc. Vol. XXII. N.S. 1882
(Memorial edition I. Vol.).
138 Carl Rabl
der Mitte des Kopffortsatzes Bilder, wie ein solches auf Taf. VIII
Fig. 8 wiedergegeben ist. Man sieht das Mesoderm bald mehr,
bald weniger deutlich von der medianen Entodermplatte oder dem
Kopffortsatze abgelöst (auf Fig. S links abgelöst, rechts nicht).
Wenn es nun auch nicht zweifelhaft sein kann, dass, wie schon von
GASSER, GERLACH, BALFOUR und DEIGHTON hervorgehoben wurde,
die Chorda aus dieser Entodermplatte ihren Ursprung nimmt, so er-
scheint es mir doch fraglich, ob die ganze Platte zur Bildung der
Chorda verwendet wird. Ich habe in neuerer Zeit an Schnittserien
durch vorzüglich konservirte Keimscheiben wiederholt Bilder ge-
sehen, welche es mir wahrscheinlich erscheinen lassen, dass außer
der Chorda auch noch ein Theil des Darmepithels aus dem Kopf-
fortsatze hervorgeht. Man sieht sehr häufig beim Beginn der Chorda-
bildung die Zellen der dorsalen Hälfte dieses Fortsatzes einen epi-
thelialen Charakter annehmen, während die Zellen der ventralen
Hälfte eine mehr spindelförmige Gestalt zeigen. Es ist nun wahr-
scheinlich, dass außer den epithelialen, aus dem Kopffortsatze her-
vorgehenden Zellen auch ein Theil der spindelförmigen Elemente
zur Bildung der Chorda verwendet wird, während der Rest in die
dorsale Darmwand übergeht. An Keimscheiben, bei denen die dor-
sale Hälfte des Kopffortsatzes einen epithelialen Charakter zeigt,
während die ventrale aus flachen oder spindelförmigen Zellen be-
steht, gewinnt es nicht selten — namentlich wenn die Ränder der
Epithelplatte nach abwärts gebogen sind — den Auschein, als ob
ein Chordakanal vorhanden wäre. Jedenfalls verdient dieser Gegen-
stand noch weitere Beachtung.
Die Chorda beginnt sich zunächst ungefähr in der Mitte des Kopf-
fortsatzes zu differenziren: nach vorn und hinten von dieser Stelle
findet man die indifferenten Zustände des vorhergehenden Stadiums.
Die Bildung der Chorda schreitet dann von dem Orte ihres ersten
Entstehens nach vorn und hinten weiter fort.
Im Stadium der Chordabildung findet man ferner noch folgende
wichtige Verhältnisse. Die Embryonalanlage hebt sich am Kopf-
ende schärfer gegen die Umgebung ab, die Rückenwülste sind höher,
die Rückenrinne tiefer. Die Riickenwiilste beginnen sich zu den
Medullarwülsten umzuwandeln, indem das Ektoderm, welches von
der Höhe der Rückenwülste nach der Rückenrinne abfällt, sich
schärfer von den peripherischen Theilen des Ektoderms absetzt.
Das Mesoderm erstreckt sich allenthalben weiter in den dunklen
Fruchthof hinein und es beginnen sich im vorderen Bezirke der
Theorie des Mesoderms. 139
Area pellueida einzelne Spalträume in den Seitentheilen des Meso-
derms bemerkbar zu machen. Die Blutinseln, deren erste Spuren
nur im hinteren Keimscheibenbezirke zu finden waren, breiten sich
von hier aus allmählich auch über die Seitentheile des dunklen
- Fruchthofes aus.
Bald nachdem die Chorda in die Erscheinung getreten ist, ma-
chen sich die ersten Urwirbel bemerkbar. Diese treten stets im
vorderen Keimscheibenbezirke, also in demjenigen Theile, der den
Kopffortsatz trägt, auf. Sie entstehen auch nie in unmittelbarer
_ Nähe des Vorderendes des Primitivstreifens, sondern stets in einigem
_ Abstande davon. Auch in späteren Stadien, wenn sich ein Urwirbel
an den anderen reiht, besteht regelmäßig ein Zwischenraum zwischen
letztem Urwirbel und Vorderende des Primitivstreifens. Diese That-
sache, die längst bekannt ist und unter Anderem in den Abbildungen
KÖLLIKER’s, Kuprrer’s und DuvAr's ihren naturgetreuen Ausdruck
- findet!, ist, wie wir noch sehen werden, von großer Wichtigkeit für
die allgemeine Auffassung des mittleren Keimblattes.
eS a
Ein Querschnitt durch die Keimscheibe einer Taube mit zwei
Urwirbeln giebt in der Höhe des zweiten Urwirbels das in Taf. VIII
Fig. 9 gegebene Bild. Die Chorda ist hier schon scharf vom Ento-
derm abgesetzt; sie hat einen elliptischen Querschnitt mit horizontal
gestellter langer Achse. Die Stellung ihrer Zellkerne ist sehr cha-
rakteristisch; sie sind fast durchwegs an der Peripherie gelagert;
doch theilen sie sich so, dass bald auch Kerne ins Innere gelangen.
Der Boden der Rückenrinne wird durch die Chorda emporgewölbt.
Das Mesoderm, das deutlich von der Chorda getrennt ist, lässt im
Bereiche der Urwirbel schon das Bestreben erkennen, sich in zwei
- Schichten von epithelialem Aussehen zu ordnen. Ich habe nicht
darüber ins Klare kommen können, ob nicht vielleicht bei Tauben-
keimscheiben dieses Stadiums ein Canalis neurentericus vorban-
den sei.
Man kann an Hühnerkeimscheiben dieses und ähnlicher Stadien
| die Chorda bis zum Vorderende des Primitivstreifens verfolgen; hier
tritt sie mit den Zellen des Primitivstreifens in Verbindung, ohne
sich aber in den Primitivstreifen selbst fortzusetzen. Die Chorda
1 Ganz ungetreu ist die Darstellung, die Hıs in der »Körperform« von
einer Hühnerkeimscheibe mit zwei Urwirbeln giebt (Fig. 14, pag. 16). Die
Urwirbel sind hier hinter dem Vorderende des Primitivstreifens gezeichnet.
Auch im Übrigen ist die Zeichnung ganz inkorrekt. Hıs hat wohl selbst
Keimscheiben, wie er sie in Fig. 14 und 15 zeichnet, nie gesehen.
140 Carl Rabl
endigt also hinten als abgegrenzter Strang unmittelbar vor dem’ Pri-
mitivstreifen. Ich möchte diese Thatsache scharf hervorheben, weil
sie mir, wie später gezeigt werden soll, von Wichtigkeit‘ zu sein
scheint. Meine Befunde stimmen in dieser Beziehung‘ ganz mit
denen BALFour’s und DEIGHToON’s überein, sie weichen aber von
denen GasseEr’s ab, der das Hinterende der Chorda aus dem Pri-
mitivstreifen hervorgehen lässt. KOLLIKER hat diese Angabe GaAs-
SER’S bestätigt.
Zum Schlusse will ich noch ein Übersichtsbild eines Sehnittes
ungefähr durch die Mitte des Primitivstreifens einer Taubenkeim-
scheibe mit drei Urwirbeln geben (Taf. VIII Fig. 10). Das Bild
bedarf nur einer kurzen Erläuterung. Das Mesoderm steht hier
noch mit dem Ektoderm und allem Anscheine nach auch mit dem
Entoderm in inniger Beziehung. Letzterer Punkt, den ich nicht
vollkommen klarstellen konnte, ist übrigens für die späteren Be-
trachtungen belanglos. Das Mesoderm reicht weit in den dunklen
Fruchthof hinein und zeigt hier ziemlich zahlreiche unregelmäßige
Lücken und Spalträume. Zwischen ihm und dem Dotterentoderm,
aber dem ersteren innig angeschlossen, sieht man die Durchschnitte
von Blutinseln. Diese sind also vollständig, wie übrigens auch schon
in Jüngeren Keimscheiben, aus dem Dotterentoderm herausgehoben.
c) Säugethiere. Indem ich nun zur Darstellung einiger, an
jungen Kaninchenkeimscheiben angestellter Beobachtungen übergehe,
möchte ich zunächst eine Entschuldigung vorausschicken, dass diese
Darstellung überhaupt erfolgt. Denn die von mir bisher untersuch-
ten Stadien lassen eine Zurückführung auf einander und eine klare
Darlegung der Mesodermentwicklung noch nicht möglich erscheinen.
Indessen sind meine Präparate von so ausnehmender Klarheit und
Schärfe, dass eine genaue Beschreibung derselben nicht überflüssig
erscheinen dürfte. Vielleicht lassen sich die von mir gewonnenen
Bilder mit denen van BENEDEN’s, BONNET’s, HENSEN’S, LIEBERKÜHN’S,
STRAHL’s u. A. zu einem ziemlich übersichtlichen Gesammtbilde. ver-
einigen. Eine volle Klarlegung des Sachverhaltes wird man indessen
wohl erst von der, von vAN BENEDEN in Aussicht gestellten Publi-
kation seiner Beobachtungen über die Keimblätterbildung der Säuge-
thiere erwarten dürfen. Die kurzen, von diesem Forscher auf dem
letzten Anatomenkongresse zu Würzburg gegebenen Mittheilungen !
1 Verhandlungen der anat. Gesellschaft auf der zweiten Versammlung in
Würzburg. 1888. pag. 182—186.
Theorie des Mesoderms. 141
sollen selbstverständlich auch der Besehreibung meiner Beobach-
tungen so weit-als thunlich zu Grunde gelegt werden.
Die jüngste von mir untersuchte Keimblase des Kaninchens war
| 6 Tage 1 Stunde alt. Sie lag noch frei im Uterus und bot das von
REED
KÖLLIKER in seinem Lehrbuche Fig. 155 und 156 dargestellte Bild.
Von einem Mesoderm war nirgends etwas vorhanden und ich kann
daher die Beschreibung in ein paar Worte zusammenfassen. Die
Keimblase bestand bis etwas unter den Äquator aus zwei Schichten,
einer äußeren und inneren, von denen sich nur die erstere über
diese Grenze bis zum,-unteren Pol fortsetzte. Die innere Schicht
(Entoderm KÖLLIKER's, Lecithophor vAn BENEDEN’s) zeigte überall
die gleiche Beschaffenheit und bestand durchwegs aus ganz platten,
von der Fläche betrachtet, polygonalen Zellen. Die äußere Schicht
. (Ektoderm KÖLLiker's, Blastophor van BENEDEN’s) bestand im Be-
reiche des Embryonalfleckes aus kubischen oder kurz prismatischen
Zellen, während sie im Übrigen aus flachen, überall gleich beschaffenen
Elementen zusammengesetzt war. Doch zeichneten sich diese flachen
Elemente der äußeren Schicht vor denen der inneren durch einen
ansehnlicheren Zellleib aus. Eine Verbindung beider Schichten
konnte ich an meiner Serie nirgends wahrnehmen. Meine Beobach-
tungen stimmen also in allen Punkten mit denen KOLLIKER’s über-
- ein!. Die Hülle der Keimblase bestand aus der Zona pellucida und
- einer sie bedeckenden, dünnen, stellenweise unterbrochenen Eiweiß-
schicht. Die Zona pellucida ließ an den Schnitten zwei in einander
- übergehende Schichten unterscheiden, von denen die äußere mit
Kochenillealaun sich schwächer färbte als die innere.
Die nächstälteren Keimblasen, welche ich untersuchte, waren
7 Tage: 3 Stunden alt. Sie waren alle festgewachsen; indessen ge-
lang es mir doch, von neun Keimscheiben acht unversehrt zu er-
halten. Fünf davon wurden in Querschnittserien zerlegt, mit einer
Schnittdicke von !/,3) mm. Die Keimscheiben waren nicht alle gleich
entwickelt. Ich beginne mit der Beschreibung einer der jüngsten.
Die ganze Länge der Area embryonalis betrug 1,23 mm; die Länge
des Primitivstreifens 0,77 mm; die Länge des HensEn’schen Knotens
etwa 0,08—0,1 mm und ungefähr von derselben Länge war auch
der Kopffortsatz. Wenn ich hier von Kopffortsatz spreche, so ist
diese Bezeichnung eigentlich auf das Flächenbild nicht gut anwend-
bar, denn vor dem Hensen’schen Knoten befand sich, mit ihm innig
' KÖLLIKER, Entwicklungsgesch. des Menschen und der Thiere. pag. 224 u. ff.
e
142 Carl Rabl
zusammenhängend, ein dunkler Ring von ungefähr 0,1 mm Durch- |
messer und in diesem Ring eine hellere Stelle. Die Querschnitte ©
haben mir keine Erklärung dieses Bildes gegeben: sie verhielten
sich ähnlich wie bei anderen Keimscheiben mit kurzem Kopffortsatz.
Am hinteren Ende des Primitivstreifens war eine breitere, dunkle
Stelle bemerkbar, der sog. »hintere Knopf oder Endwulst« KÖLLIKER’s.
Ich muss übrigens bemerken, dass die von mir gegebenen Maße, ab-
gesehen davon, dass sie vom gehärteten Objekte abgenommen wurden,
schon desshalb einen nur geringen Werth beanspruchen können, weil
es ganz unmöglich ist, die Grenzen der einzelnen Abschnitte gemau
anzugeben. Am besten gelingt dies noch hinsichtlich der Grenze
zwischen HENSEN’schem Knoten und Kopffortsatz; aber auch nur
nach der Schnittserie, während im Flächenbilde beide in einander
übergehen.
Von der Querschnittserie habe ich nur einen Schnitt, der unge-
fähr der hinteren Grenze des HENSEN’schen Knotens entnommen ist,
abgebildet (Taf. IX Fig. 1). Ich will mich auch bei der Beschrei-
bung vorzüglich an dieses eine Bild halten, um mich später bei der
Beschreibung einer größeren Anzahl von Bildern aus einer Serie
durch eine etwas ältere Keimscheibe nicht allzusehr wiederholen
zu müssen. Der HENseEN’sche Knoten, der eigentlich nichts Anderes
ist als das vordere verdickte und aufgetriebene Ende des Primitiv-
streifens, zeigt an dieser Serie keine Rinne oder Grube an der
Oberfläche. Die Primitivrinne beginnt erst vier Schnitte hinter dem
Schnitt der Fig. 1: sie ist vorn am tiefsten und läuft hinten all-
mählich flach aus, so dass in der hinteren Hälfte des Primitivstrei-
fens und am Endwulst nichts mehr von ihr zu sehen ist. Die
Keimblase besteht fast in der ganzen Ausdehnung der Area aus drei
Schichten; nur an deren vorderstem Ende fehlt die mittlere Schicht.
Diese erstreckt sich im Bereiche der hinteren Hälfte der Area em-
bryonalis in die Area pellucida hinaus. Ich verweise in dieser Hin-
sicht auf die von KÖLLIKER! auf Taf. I Fig. 8 abgebildeten Ver-
hältnisse. Die mittlere Schicht steht am Hexsen’schen Knoten, am
Primitivstreif und am Endwulst mit der äußeren Schicht in Zu-
sammenhang. Dieser Zusammenhang ist derart, dass man nicht
daran zweifeln kann, dass von hier aus die Entwicklung der mitt-
leren Schicht ausgeht. Sowohl am Hensen’schen Knoten als am
1 Die Entwicklung der Keimblätter des Kaninchens. Festschrift zur Feier
des 300jährigen Bestehens der Universität zu Würzburg. 1882.
J
‘
Theorie des Mesoderms. 143
Primitivstreif sieht man zahlreiche Theilungsfiguren, was auf eine
sehr lebhafte Zellvermehrung an diesen Orten hinweist. Die mittlere
Schicht lässt im Allgemeinen zwei Lagen unterscheiden, die größten-
theils aus ziemlich platt gedrückten Zellen bestehen, und nur in der
Mitte bemerkt man eine größere Mächtigkeit der Schicht und mehr
polygonal gestaltete Elemente (Fig. 1).
Ausführlicher will ich bei der Beschreibung einer etwas älteren
Keimscheibe verweilen, von der ich drei Schnitte (Taf. IX Fig. 2—4)
abgebildet habe. Ich habe folgende Maße notirt: ganze Länge der
Area embryonalis 1,615 mm, Länge des Primitivstreifens ohne Kno-
ten 0,92 mm, Knoten 0,077 mm, Kopffortsatz 0,19—0,2 mm. Der
HENSEN’sche Knoten stellt eine ansehnliche Erhebung am Vorder-
ende des Primitivstreifens dar und zeigt in der Mitte eine sehr
deutliche, ziemlich tiefe, aber sehr schmale Einsenkung oder Grube
(Fig. 3). Vom Boden und den Wänden dieser Grube erstreckt sich
die mittlere Schicht, Anfangs zwei Zellen diek, dann über die Area
hinaus sich verdünnend, lateralwirts. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, dass der HensEn’sche Knoten einen der Hauptherde der
mittleren Schicht darstellt. Die Grube ist nur an dem einen abge-
bildeten Schnitte deutlich; an den nächsten nach vorn und hinten
anstoßenden ist nur eine ganz geringe Vertiefung wahrnehmbar, die
an den nächstfolgenden Schnitten verschwindet. Die vordere und
hintere Abdachung des Knotens zeigen also keine Vertiefung oder
Rinne und es setzt sich daher auch die Primitivrinne nicht in die in
Fig. 3 sichtbare Einsenkung fort. Es ist mir aus der Litteratur
keine Zeichnung bekannt, welche die beschriebenen Eigenthümlich-
keiten so deutlich wiedergeben würde, als das abgebildete Prä-
parat. KÖLLIKER hat den Hensen’schen Knoten, wie es scheint, an
Schnitten nicht gesehen; wenigstens stellen alle seine Abbildungen
entweder den Primitivstreifen oder den Endwulst dar, aber keine
entspricht dem Bilde, welches man vom Knoten erhält. Verfolgt
man die Serie nach vorn, so sieht man, wie sich allmählich der
verdickte Theil der mittleren Schicht von der äußeren Schicht ab-
löst. Diese Ablösung ist elf Schnitte vor dem abgebildeten, also
etwa 0,08 mm weiter vorn, vollzogen. Den dreizehnten Schnitt vor
dem in Fig. 3 abgebildeten stellt die Fig. 2 dar; dieser ist also
durch das Hinterende des Kopffortsatzes gelegt und wir sehen an
ihm Folgendes: die mittlere Schicht ist in der Mitte, eben dem
Kopffortsatze entsprechend, erheblich dicker als an den Seiten. Sie
geht hier in zwei, mehr oder weniger deutlich aus zwei Lagen
144 Carl Rabl
bestehende Platten über. Am Kopffortsatze selbst zeigen die dorsalen
Zellen einen mehr epithelialen Charakter und bilden eine Art Platte,
während die tieferen und zahlreicheren Zellen unregelmäßigere For-
men aufweisen. Zwischen beiden Theilen ist ein, übrigens nicht
sehr deutlicher, schmaler Spaltraum vorhanden. Dieser dürfte wohl
als erste Andeutung des sogenannten Chordakanales aufzufassen sein.
Die Seitentheile der mittleren Schicht stehen sowohl ‚mit der dorsalen
Platte als auch mit der ventralen Zellmasse des Kopffortsatzes in
Verbindung. Ein Zusammenhang der mittleren Schicht mit der un-
teren, aus sehr platten Zellen bestehenden ist hier eben so wenig
wie an anderen Stellen der Keimscheibe nachweisbar. Je weiter
man den Kopffortsatz nach vorn verfolgt, um so niedriger erscheint
er, bis er nur aus zwei Zelllagen besteht und schließlich als be-
sonderer Theil der mittleren Schicht verschwindet. Geht man in
der Serie vom Hensen’schen Knoten nach hinten, also in den Be-
reich des Primitivstreifens, so sieht man, dass der Zusammenhang
der mittleren und äußeren Schicht stets gewahrt bleibt. Fig. 4 stellt
einen Schnitt durch den vorderen Theil des Primitivstreifens, drei-
zehn Schnitte hinter dem in Fig. 3 abgebildeten dar. Wir sehen
hier vor Allem die Primitivrinne und rechts und links von ihr die
Primitivwiilste. An diesen macht sich eine auffallende Asymmetrie
bemerkbar, indem der linke Wulst beträchtlich höher erscheint als
der rechte. Indessen scheint dieses Verhalten nicht konstant zu sein,
denn zwei andere Serien durch ungefähr gleichalterige Keimscheiben
lassen davon nichts oder wenigstens nichts Deutliches sehen. Mit
dem Boden und den Wänden der Primitivrinne steht die mittlere
Schicht wieder im innigsten Zusammenhange. Weiter hinten ändert
sich das Bild zunächst nur in so fern, als die Primitivwülste etwas
niedriger werden und ein symmetrisches Verhalten zeigen. In der
hinteren Hälfte des Primitivstreifens schwindet die Rinne, der Zu-
sammenhang der äußeren und mittleren Schicht bleibt aber erhalten.
Noch weiter hinten, im Bereiche des Endwulstes, findet sich eine
sehr breite Verwachsung von äußerer und mittlerer Schicht, ganz so,
wie dies KÖLLIKER in mehreren seiner Figuren zeichnet. Die äußere
Schicht der Keimscheibe ist im vorderen Drittel der Area embryo-
nalis am dicksten, wird dann nach hinten allmählich dünner und
sinkt schließlich im Bereiche des Endwulstes auf weniger als die Hälfte
der ursprünglichen Höhe herab. Über dem Kopffortsatze ist sie
etwas dünner als an den Seiten (Fig. 2). Diese Verhältnisse scheinen
mir in so fern von einiger Wichtigkeit zu sein, als sich hierin schon
ee
Theorie des Mesoderms. 145
eine Vorbereitung späterer Vorgänge zu erkennen giebt, da ja die
Riickenwiilste und Medullarfalten im vorderen Bereiche der Area
embryonalis zur Entwicklung kommen.
Die hier mitgetheilten Beobachtungen stimmen, wie schon mehr-
mals hervorgehoben wurde, in vielen wesentlichen Punkten mit denen
KÖLLIKER’s überein. Sie gehen über dieselben nur hinsichtlich des
Kopffortsatzes, des HeNsEN’schen Knotens und einiger mehr unter-
geordneter Punkte hinaus. So groß aber auch die Übereinstimmung
der Beobachtungen ist, so kann ich mich doch der Deutung, die
KÖLLIKER denselben gegeben hat, nicht anschließen. KÖLLIKER
fasst das Hauptresultat seiner Untersuchungen in dem Satze zu-
sammen, »dass das Mesoderm einzig und allein aus einer Wucherung
des Ektoderms, der Achsenplatte, hervorgeht, ohne Mitbetheiligung
des Entoderms« (l. e. pag. 34). Ich habe es, hauptsächlich in An-
betracht der Mittheilungen van BENEDEN’s, vermieden, von »Ekto-
derm, Entoderm und Mesoderm« zu sprechen. Die äußere Schicht
ist zwar zweifellos dem Ektoderm der übrigen Wirbelthiere gleich-
zusetzen, indessen entspricht, den Ausführungen VAN BENEDEN’s zu-
folge, die mittlere Schicht keineswegs ausschließlich dem Mesoderm,
sondern schließt in ihren medianen Abschnitten noch denjenigen
Theil des Keimes in sich, der dem embryonalen Entoderm niederer
Wirbelthiere entspricht. Die bisher als Entoderm beschriebene innere
Schieht wird von vAN BENEDEN, wie bereits erwähnt, als Lecitho-
phor bezeichnet und mit dem Dotterentoderm der Sauropsiden, das
von KUPFFER unter der Bezeichnung »Paraderm« so ausführlich be-
schrieben wurde, verglichen. Für die Richtigkeit dieser Auffassung
lassen sich schon jetzt mehrere Gründe geltend machen, und ich
verweise zunächst nur auf die wichtige, bisher nicht genügend be-
achtete Thatsache, dass, wie ein Vergleich mit den gleich näher zu
beschreibenden späteren Stadien lehrt, das Mesoderm später gerade
dort, wo es am mächtigsten entwickelt sein sollte, nämlich in der
Medianlinie des Kopffortsatzes, vollständig fehlt und sich hier unter
dem Ektoderm der Rückenrinne lediglich das Entoderm vorfindet.
Ich werde unten nochmals darauf zurückkommen.
Die nächst älteren von mir untersuchten Keimscheiben zeigten
drei (oder nach meiner Zählung vier) Urwirbel und boten im All-
gemeinen ein Bild, ähnlich dem, welches von KÖLLIkEr in Fig. 164
seines Lehrbuches und von Hensen in Taf. IX Fig. 28 seiner Ab-
handlung über die Entwicklung des Kaninchens und Meerschwein-
chens dargestellt ist. Die Keimscheibe jedoch, an die ich mich bei
Morpholog. Jahrbuch. 15. 10
146 Carl Rabl
der Beschreibung zunächst halten werde, war etwas älter; sie hatte
fünf Urwirbel, wovon die vier hinteren scharf abgegrenzt waren,
während der erste kontinuirlich in das Mesoderm des Vorderkopfes
überging.
Die Medullarplatten sind in diesem Stadium schon deutlich vom
übrigen Ektoderm abgesetzt; an der Grenze zwischen Ektoderm und
Medullarplatte sieht man im Bereiche des Kopfendes der Embryonal-
anlage bis etwa zum Hinterende der gleich zu erwähnenden Parietal-
oder Perikardialhöhle eine Ektodermfalte, die eine nach oben offene
Rinne umschließt. Dieselbe Falte ist auch an Hühner- und Tauben-
keimscheiben korrespondirenden Alters zu sehen; mit zunehmender
Entwicklung setzt sie sich weiter nach hinten fort. Sie ist von Hıs
als »Zwischenstrang oder Ganglienstrang« und die Rinne als » Zwi-
schenrinne oder Ganglienrinne« bezeichnet und als Vorläufer der
Ganglienanlagen gedeutet worden. Ich habe mich aber an Hühner-
und Taubenembryonen überzeugt, dass der »Ganglienstrang« und
die »Ganglienrinne« mit der Entwicklung der Ganglien des Kopfes
und Rumpfes gar nichts zu thun haben!.
Das Mesoderm besteht aus zwei, in der Mittellinie vollständig
von einander getrennten Hälften oder Platten, die nur vor den Me-
dullarplatten, also im vordersten Bezirke der Embryonalanlage, und
hinter dem Kopffortsatze des Primitivstreifens, also im Bereiche des
Primitivstreifens selbst und hinter demselben, in einander übergehen.
In dem vor der Urwirbelregion gelegenen Embryonalbezirke besteht
jede der beiden Platten aus ziemlich locker mit einander verbun-
denen Zellen. In einer Entfernung von ungefähr 0,3 mm von der
Mittellinie weicht jede Platte in zwei Lamellen aus einander, welche
eine ziemlich geräumige Höhle umschließen; etwa 0,18 mm weiter
nach außen kommen die beiden Lamellen wieder zur Vereinigung.
Diese Höhle ist die primitive Perikardialhöhle. Ihre untere, diekere
1 Es ist hier nicht der Ort, eine eingehende Kritik der His’schen Angaben
zu geben. Ich will nur bemerken, dass in dem am ausführlichsten darüber
handelnden Aufsatz »über die Anfänge des peripherischen Nervensystems« ein
merkwürdiges Durcheinander guter und schlechter Beobachtungen vorliegt.
Was His auf Taf. XVII Fig. 1 a, 1 6, 10, 14 1 m ame ar, au
6 a, 6 b, 7 als Nervenanlage bezeichnet, hat mit der Nervenentwicklung gar
nichts zu thun; was er dagegen in den Figuren 3 c, 3d, 3e,3 f, 4, 5, 8 6
als solche bezeichnet, lässt in der That die Ganglien hervorgehen. Die Fi-
guren 8 e, 9, 15 u. a. sind ganz ungenau und die Spalte in den Ganglienan-
lagen der Figuren 3 e, 3 d und 3 f existirt an gut konservirten Embryonen
nicht.
Ai a Zn
Theorie des Mesoderms. 147
Wand wird durch das, dem Entoderm! dicht aufliegende Endothel-
rohr des Herzens in die Höhle hinein vorgetrieben.
In der Urwirbelregion ist das Mesoderm jederseits in die Ur-
wirbel und Seitenplatten getheilt. Die Urwirbel umschließen eine
kleine spaltförmige Höhle ohne zelligen Inhalt; dessgleichen um-
schließen auch die Seitenplatten einen feinen Spaltraum, die Pleuro-
peritonealhöhle, und in diese setzt sich von vorn her die Perikardial-
höhle kontinuirlich fort. Die Perikardialhöhle bildet also zu dieser
Zeit den vordersten Abschnitt des ventralen Cöloms oder der Pleuro-
peritonealhéhle; das dorsale Cölom wird durch die Urwirbelhöhlen
reprisentirt. Die viscerale Seitenplatte oder Splanchnopleura ist
dicker als die parietale oder Somatopleura. Es setzen sich also
auch die Eigenthümlichkeiten der Wände der Perikardialhöhle nach
rückwärts auf die Wände der Pleuroperitonealhöhle fort. So weit
die Mesodermzellen die Begrenzung von Höhlen bilden,
haben sie einen epithelialen Charakter.
Hinter der Urwirbelregion schwindet natürlich mit den Urwirbeln
auch das dorsale Cölom. Dagegen setzt sich das ventrale oder die
Pleuroperitonealhöhle auch noch nach rückwärts (vgl. Taf. IX Fig. 5 ec),
ja selbst noch in den Bezirk der Keimscheibe, welcher den Primitiv-
streifen trägt, fort. Dabei weicht aber die mediale Grenze derselben
mehr nach der Peripherie zurück, so dass also diese Höhle erst in
größerer Entfernung von der Mittellinie auftritt (vgl. Fig. 5).
Unter der Splanchnopleura, also zwischen ihr und dem Ento-
derm, finden sich allenthalben Gefäße in Form von Endothelröhren,
die unter einander Netze bilden und mit denen auch das Endothel-
rohr der Herzanlage in Verbindung steht. Man ist aber durch nichts
berechtigt, diese Gefäßnetze als ein »Gefäßblatt« im Sinne His’
anzusehen. Im außerembryonalen Bezirke der Keimscheibe finden
sich in den Endothelröhren auch schon Blutkörperchen in ziemlicher
Menge.
Bevor ich nun zur Beschreibung der Beziehungen des Mesoderms
zum Primitivstreifen und zum Kopffortsatze desselben übergehe, muss
ich noch einer eigenthümlichen Bildung gedenken, die das außer-
embryonale Ektoderm zeigt und die schon von Anderen unter dem
1 In diesem Stadium lässt sich, wenigstens hinsichtlich der histologischen
Charaktere, kein Unterschied mehr zwischen Lecithophor oder Paraderm und
embryonalem Entoderm wahrnehmen; ich gebrauche daher einfach die Bezeich-
nung Entoderm.
10*
148 Carl Rabl
Namen des »Ektodermwulstes« beschrieben wurde. Dieser Wulst
umzieht die Embryonalanlage in einem Abstande von etwa 0,6 mm
von der Mittellinie, hat eine größte Breite von 0,8 mm und
nimmt nach vorn und hinten an Höhe und Breite bedeutend ab. Er
zeigt folgenden Bau (vgl. Taf. VII Fig. 5 ect). Die tiefste Lage
bildet ein mehr kubisches Epithel mit undeutlich abgegrenzten Zellen
und darüber findet sich, damit in unmittelbarem Zusammenhange,
eine mächtige Zellmasse, die die Größe der einzelnen Elemente nur
aus dem Abstande der auffallend großen kugeligen Kerne erkennen
lässt. In dieser Masse finden sich sehr zahlreiche Vakuolen von
verschiedener Größe (Fig. 5 v). An einzelnen Stellen ragen aus
dieser Masse plumpe, papillenartige Fortsätze hervor.
Betrachten wir nun zunächst einen Schnitt, welcher in der
Mitte zwischen hinterem Ende der Urwirbelregion und vorderem
Ende des Kopffortsatzes hindurchgeht (Taf. IX Fig. 6). Wir sehen
da vor Allem die aus den Rückenwülsten sich entwickelnden Me-
dullarwülste mit der flachen Medullarfurche, dann die beiden in der
Mitte von einander getrennten Hälften des Mesoderms und endlich
das dünne unter Mesoderm und Ektoderm hinwegziehende Entoderm.
Letzteres lässt jedoch eine Eigenthümlichkeit erkennen. Während
es nämlich an den Seiten eine aus sehr flachen Zellen bestehende
Membran vorstellt, bildet es in der Mitte, wo es dem breiten Boden
der Medullarrinne anliegt, eine 0,1 mm breite, 0,01 mm dicke Platte
(Fig. 6 chp). Wir können dieselbe, da aus ihr wohl zweifellos die
Chorda hervorgeht, als Chordaplatte bezeichnen. Die obere Fläche
dieser Platte fällt an den Rändern in einem Winkel von etwa 45°
gegen die Seitentheile des Entoderms ab. Diese setzen sich aber
an den meisten Schnitten durch diese Gegend nicht ganz unmittel-
bar an die Ränder der Chordaplatte an, sondern erscheinen gewöhn-
lich durch eine ganz schmale Lücke davon getrennt. Das Mesoderm
steht weder mit der Chordaplatte noch mit den Seitentheilen des
Entoderms im Zusammenhang.
Ein Schnitt durch die Mitte des Kopffortsatzes, also in geringer
Entfernung vom HEnsen’schen Knoten, giebt das in Fig. 7 wieder-
gegebene Bild. Die Chordaplatte hat annähernd dieselbe Breite wie
an dem vorigen Schnitte; sie ist aber nur mehr in der Mitte ein-
schichtig, während sie an den Seiten deutlich aus zwei Zellschichten
besteht. Hier tritt sie nun mit dem Mesoderm, das in der Nähe
der Chordaplatte gleichfalls aus zwei Zellschichten besteht, in so
unmittelbaren Zusammenhang, dass eine Grenze zwischen beiden
Theorie des Mesoderms. 149
nicht gezogen werden kann. Das Entoderm tritt genau an der Stelle
an die Chordaplatte heran, wo diese anfängt zweischichtig zu wer-
den (bei * Fig. 7). Dabei sind die Ansatzstellen des Entoderms ein-
ander mehr genähert als früher. Durch diese Beziehungen des En-
toderms zur Chordaplatte und der Chordaplatte zum Mesoderm gewinnt
es den Eindruck, als ob sich einerseits das Entoderm in die untere
Zellenlage der Chordaplatte und von hier aus in die untere Schicht
des Mesoderms, andererseits der einschichtige Theil der Chordaplatte
in die obere Zellenlage des zweischichtigen Theiles und endlich in
die obere Mesodermschicht fortsetzte.
An dem vordersten Ende des Primitivstreifens, also an der-
jenigen Stelle, welche dem Hensen’schen Knoten entspricht, be-
kommt man das Bild der Fig. 8 Taf. VII. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, dass bier alle drei Keimblätter in der innigsten Ver-
bindung stehen. Dem Ektoderm fehlt nicht allein eine scharfe untere
Grenze, sondern es wuchern seine Zellen geradezu in den Knoten
hinein. Das Entoderm lässt keine eigentliche Chordaplatte mehr
erkennen, zeigt aber an deren Stelle wieder in so fern eine Be-
sonderheit, als es in der Mitte von unten her eben merklich ein-
gebuchtet ist. Gegen diese Einbuchtung konvergiren die Zellen des
Mesoderms in der in der Figur angegebenen Weise. Das Mesoderm
steht im Bereiche des Knotens eben sowohl mit dem Entoderm wie
mit dem Ektoderm in Verbindung. Die geschilderten Verhältnisse
sind aber nur in einer verhältnismäßig kurzen Strecke zu finden.
Ich kann sie (bei einer Schnittdicke von '/;3) mm) nur an höchstens
zehn Schnitten der betreffenden Serie sehen.
Von hier angefangen nach rückwärts erhält man Bilder, wie
ein solches in Fig. 9 Taf. VII wiedergegeben ist. Es zeigt sich
also von hier an das Mesoderm nur mehr mit dem Ektoderm im
Zusammenhang, während das Entoderm glatt darunter hinwegzieht.
Die Reihenfolge der Bilder, welche man vom Kopffortsatz des
Primitivstreifens und dem Primitivstreifen selbst erhält, muss sofort
an die Bilderreihe erinnern, welche wir von Hühnerkeimscheiben
vom Ende des ersten Tages erhalten haben. In beiden Fällen sehen
wir im Kopffortsatz die Chordaplatte mit dem Mesoderm und Ento-
derm in Verbindung treten; weiter hinten, am Vorderende des Pri-
mitivstreifens, dem »Knoten« der Säugethiere entsprechend, begegnen
wir in beiden Fällen einer innigen Verlöthung aller drei Keimblätter
und endlich noch weiter hinten sehen wir nur mehr einen Zusammen-
hang des Mesoderms mit dem Ektoderm. Die einzige, stärker in
150 Carl Rabl
die Augen fallende Differenz liegt in der verschiedenen Ausbildung
der Chordaplatte; während diese bei den Vögeln einen mächtigen
Wulst bildet, stellt sie bei den Säugethieren eine relativ unansehn-
liche, einschichtige Lamelle dar. Ich muss aber auch hier wieder
bemerken, dass ich es auch für die Säugethiere für unwahrschein-
lich halte, dass die Chordaplatte ausschließlich in die Bildung der
Chorda aufgeht. Dazu ist dieselbe viel zu mächtig.
Ich lasse nun noch eine Beschreibung des hinteren Körperendes
von Kaninchenembryonen mit zehn, zwölf und dreizehn Urwirbeln
folgen; die eigenthümlichen Verhältnisse der Chordaplatte werden
die Beschreibung rechtfertigen. Einer Querschnittserie durch einen
Kaninchenembryo mit zehn Urwirbeln sind die Schnitte der Fig. 10
—13 entnommen. Der Schnitt der Fig. 13 geht durch den sechsten
Urwirbel. Das Medullarrohr ist hier schon geschlossen. Die Chorda-
platte besteht in der Mitte, wo sie dem Boden des Medullarrohres
dicht anliegt, aus einer einfachen Lage ziemlich niedriger Zellen;
an den Seiten dagegen ist sie deutlich zweischichtig und die beiden
Schichten gehen am freien Rande in einander über; an den medialen
Rand der unteren Schicht setzt sich das Entoderm an. In der Höhe
des siebenten Urwirbels öffnet sich das Medullarrohr.
Der nächste in Fig. 12 abgebildete Schnitt trifft nicht mehr die
Urwirbelregion. Die Chordaplatte ist hier beträchtlich schmäler,
lässt aber doch noch im Wesentlichen dieselben Beziehungen zum
Entoderm erkennen wie früher.
Noch weiter hinten ändern sich aber die Verhältnisse (Fig. 11).
Die Chordaplatte ist hier vollständig vom Entoderm losgelöst; sie
besteht aus einer dorsalen epithelialen und einer ventralen, aus mehr
spindelförmigen Zellen bestehenden Hälfte. Zwischen beiden findet
sich zuweilen ein feines spaltförmiges Lumen; dieses ist indessen
nicht mit der in jüngster Zeit von so vielen Autoren beschriebenen
Chordahöhle zu verwechseln. Das Bild der Fig. 11 leitet sich aus
dem der Fig. 12 dadurch ab, dass die medialen Ränder der beiden
Seitentheile des Entoderms auf einander zugewachsen und mit ein-
ander verschmolzen sind. Sagittalschnitte werden uns noch nähere
Aufschlüsse geben.
Schnitte durch den Primitivstreifen geben das Bild der Fig. 10.
Eine Chordaplatte ist hier nicht mehr zu sehen; diese hört vielmehr,
wie in den früher besprochenen Stadien, am Vorderende des Pri-
mitivstreifens auf. Das Ektoderm steht in der ganzen Ausdehnung
des Primitivstreifens im innigsten Zusammenhange mit dem Mesoderm.
Theorie des Mesoderms. 151
In diese, unter dem verdickten Ektoderm gelegene Zellmasse geht
die Chordaplatte ohne irgend eine Grenze über. Das Entoderm ist
dagegen als eine einschichtige Lamelle überall scharf vom Mesoderm
getrennt. Das Mesoderm spaltet sich nach den Seiten in Somato-
pleura und Splanchnopleura; diese bleibt in ihrem weiteren Verlaufe
dem Entoderm angeschlossen, während jene sich mit dem Ektoderm
zur Bildung der hinteren Amnionfalte (af) oder der Schwanzscheide
des Amnion erhebt. Zwei Schnitte hinter dem in Fig. 10 abgebil-
deten vereinigen sich die beiden Amnionfalten über dem Rücken
des Embryo. Über dem Entoderm sieht man wieder zahlreiche Ge-
fäßquerschnitte; in geringerer Menge sind solche auch an anderen
Stellen zu sehen. 1
Eine Querschnittserie durch das Hinterende eines Embryo mit
dreizehn Urwirbeln zeigt in Beziehung auf die Chordaplatte wesent-
lich dieselben Verhältnisse, wie der beschriebene Embryo. Auch
hier ist die Chordaplatte in der Mitte einschichtig, an den Seiten
zweischichtig, und die Beziehungen des Entoderms zu derselben sind
die gleichen wie früher. Nur am Kopfende zeigen sich andere Ver-
hältnisse, die indess hier nicht erörtert werden sollen.
Sehr instruktiv sind Sagittalschnittserien. Ich besitze solche von
Embryonen mit zehn, zwölf und dreizehn Urwirbeln. Einen me-
dianen Sagittalschnitt durch einen Embryo mit dreizehn Urwirbeln
stellt Fig. 14 Taf. IX vor. Wir wollen zunächst die Strecke des
Schnittes, welche nach vorn (in der Figur nach rechts) von der mit
Am bezeichneten Stelle liegt, betrachten. Diese Strecke ist für uns
am wichtigsten. Wir sehen zunächst das dicke Ektoderm der Me-
dullarrinne (mr) sich in das Ektoderm des Primitivstreifens (Pr) und
von hier aus in das einschichtige Ektoderm der Aftergegend (Am)
fortsetzen. So weit der Primitivstreifen reicht, steht das Ektoderm
mit dem Mesoderm im Zusammenhang; vor und hinter demselben
ist es von der Unterlage getrennt. Am Entoderm können wir zwei
Streeken unterscheiden; zunächst eine vordere, wo die Darmwand
in der Mittellinie von der Chordaplatte (chp) gebildet wird, sodann
eine hintere (ent), in deren Bereich das Entoderm, nach rückwärts
sich fortsetzend, in die dorsale Wand des Hinterdarmes (Ad) übergeht.
Wenn wir die Chordaplatte von vorn nach rückwärts verfolgen, so
sehen wir, wie dieselbe in das Vorderende des Primitivstreifens über-
geht und dabei allmählich ihre Selbständigkeit verliert; wenn wir
das Entoderm des Hinterdarmes nach vorn verfolgen, so sehen
wir, wie sich dasselbe, allmählich dünner werdend, auf die untere
152 Carl Rabl
Fläche der Chordaplatte umschlägt und nun im weiteren Zuge nach
rückwärts die ventrale Hälfte dieser Platte bildet (vgl. den Quer-
schnitt Fig. 11). Ich weiß nicht, ob ich recht gehe, wenn ich diese
Stelle mit der von SELENKA sogenannten »hinteren Chordatasche«
vergleiche.
Bei Am treffen Ektoderm und Entoderm zur Bildung der »After-
membran« MIHALKOVICS’ zusammen.
Betrachten wir nun die hintere Hälfte des abgebildeten Schnittes.
Diese wird fast ganz von dem »Allantoishöcker« (BonnET) (Al) ein-
genommen. Wie ein Vergleich mit einer Querschnittserie durch
einen Embryo desselben Alters ergiebt, ist dieser Höcker beträchtlich
breiter als lang und stellt also einen queren Wulst am Caudalende
des Embryo dar. Das Verhalten des Hinterdarmes (Ad) zu diesem
Höcker ist am besten aus der Figur ersichtlich; man sieht hier auch,
dass sich das blinde Ende des Darmes über die Aftermembran nach
hinten eine kurze Strecke weit fortsetzt, wobei zugleich das Ento-
derm zu einer sehr dünnen, aus sehr flachen Elementen bestehenden
Membran wird. Der Allantoishöcker enthält sehr zahlreiche, zum
Theil ungemein weite Gefäße (gf). Hinter der Aftermembran geht
von der dorsalen Fläche des Höckers die hintere Amnionfalte (af)
aus, deren dieke Wurzel sich rasch verdünnt und bald nur aus zwei
Epithellamellen besteht, von denen die untere dem Ektoderm, die
obere dem Mesoderm angehört.
Die zu dieser Zeit noch sehr kurze postanale Strecke des Darmes
wächst alsbald noch weiter in den Allantoishöcker hinein, während
dieser sich gleichzeitig mit der Ausbildung der Schwanzkrümmung
ventralwärts wendet. Diese Verhältnisse sind in den Figuren 205
und 206 von KÖLLıkEr’s Lehrbuch im Allgemeinen richtig zur An-
schauung gebracht. Im Einzelnen ist noch zu bemerken, dass das
in den Allantoishöcker vordringende Darmdivertikel sich alsbald theilt
und dass diese Theilung immer weiter schreitet, so dass man schon
an Embryonen mit noch weit offener Gehörgrube und vollständig erhal-
tener Rachenhaut (Embryonen von 9 Tagen 2 Stunden und 9 Tagen
7 Stunden) in der Allantois außer den zahlreichen Blutgefäßen ein
ungemein reich verästeltes Kanalsystem findet, das mit dem Hinter-
darm in offener Kommunikation steht. Dieses Kanalsystem ist von
einem sehr flachen Epithel ausgekleidet und kann daher leicht zur
Verwechslung mit Gefäßen Veranlassung geben. Eine sorgfältige
Untersuchung lückenloser Serien lässt indessen die richtigen Ver-
hältnisse leicht erkennen.
Theorie des Mesoderms. 153
Ich bin mit diesen Bemerkungen über die Bildung der Allantois
etwas von meinem eigentlichen Thema abgekommen und kehre nun
wieder zu demselben zurück, indem ich noch ein paar Worte über
die Litteratur sage. Durch die bereits erwähnten Mittheilungen van
BENEDEN’s scheint es endlich möglich zu werden, die über die erste
Entwicklung der Säugethiere bisher bekannt gewordenen Thatsachen
mit einander in Einklang zu bringen. Die Hindernisse, die sich
einem Verständnisse dieser Thatsachen bisher entgegenstellten, hatten
einerseits darin den Grund, dass es an einer klaren Fragestellung
fehlte, andererseits aber auch darin, dass bisher keinem Forscher
eine ganz lückenlose Serie von Embryonen zur Verfügung stand und
jeder die von ihm beobachteten Bilder zum Ausgang seiner Beur-
theilung machte. Wie oben erwähnt, hat man nach VAN BENEDEN
den Kopffortsatz nicht dem Mesoderm zuzurechnen, sondern als den
embryonalen Theil des Entoderms aufzufassen, der sich erst sekundär
mit dem Dotterblatt (Leeithophor vAN BENEDEN’s) in Verbindung
setzt. Indem man letzteres bisher schlechtweg als Entoderm be-
zeichnete, erschien ein Vergleich der Mesodermbildung der Säuge-
thiere mit derjenigen der Sauropsiden und noch mehr mit der der
Anamnier nahezu ausgeschlossen. Anders stellt sich die Sache,
wenn man, der Auffassung van BENEDEN’s folgend, im Kopffortsatz
einen Theil des Entoderms erblickt. VA BENEDEn kommt hinsicht-
lich der Mesodermbildung der Säugethiere zu folgenden wichtigen
Schlüssen: »1) ein Theil des Mesoderms entsteht unter der Form
von zwei symmetrischen Anlagen, einer rechten und linken, von den
Rändern des Kopffortsatzes; 2) ein anderer, der Haupttheil, vom
hinteren Ende und von den Rändern des Primitivstreifens.« So
hätten wir also genau dieselben beiden Abschnitte am Mesoderm der
Säugethiere zu unterscheiden, denen wir bei den Vögeln begegnet
sind. Die auffallendste und größte Differenz scheint darin zu
liegen, dass bei den Vögeln der Kopffortsatz mit dem Dotterblatt
(Paraderm Kuprrer’s) etwas früher verwächst oder aber vielleicht
nie so scharf davon geschieden ist als bei den Säugethieren.
Von älteren Angaben möchte ich nur noch diejenige HEAPE's
hervorheben, der sich in seiner Arbeit über die Entwicklung des
Maulwurfs über die Mesodermbildung folgendermaßen äußert:
»The middle germinal layer has two distinet sources: in the
first place it arises from the epiblast and hypoblast at the hind end
of the embryonie area, in the structure known as the primitive
streak; and secondly, from the hypoblast alone in the anterior
154 Carl Rabl
region of the area in front of the primitive streak.« Er unterscheidet —
daher den »Primitivstreifen—Mesoblast« (the primitive streak meso- —
blast) und den »hypoblastischen Mesoblast« (the hypoblastie meso-
blast). Vom Primitivstreifen bemerkt er, dass derselbe in seinen
verschiedenen Strecken einen verschiedenen Bau zeige; auf eine
kurze Strecke, in deren Bereich das Ektoderm verdickt ist, ohne mit
den unterliegenden Zellen eine Verbindung einzugehen, folgt eine
Stelle, wo alle drei Keimblätter zusammenhängen, woraus HEAPE
schließt, dass das Mesoderm hier sowohl vom Ektoderm als vom
Entoderm seinen Ursprung nimmt; in der Mitte des Primitivstreifens
findet man dann konstant und typisch das Mesoderm bloß mit dem
Ektoderm in Zusammenhang, woraus Heape den Schluss zieht, dass
es hier nur zu diesem allein in genetischer Beziehung stehe; end-
lich am hinteren, knopfförmigen Ende findet man häufig, aber nicht
immer, wieder einen Zusammenhang aller drei Blätter. — Vor dem
Primitivstreifen entsteht das Mesoderm etwas später und geht hier
ausschließlich aus dem Entoderm hervor; es entsteht hier in Form
zweier in der Mittellinie von einander getrennter Zellmassen. Der
in der Mittellinie verlaufende Strang von Entodermzellen wird zur
Chorda.
Ich brauche kaum zu bemerken, dass die Angaben HEAPE’s sich
nur auf Keimscheiben beziehen können, die älter waren als die
Eingangs dieses Kapitels von mir beschriebenen. Sie waren offen-
bar auch älter als diejenigen, die KÖLLIKER in seiner oben citirten
Abhandlung zum Gegenstande seiner Untersuchungen genommen hat.
Andererseits waren sie jedenfalls jünger als diejenigen, denen die
Fig. 5—9 meiner Taf. IX entnommen sind. Indessen können HEAPE’s
Angaben mit den in diesen Figuren dargestellten Verhältnissen noch
sehr gut in Einklang gebracht werden.
Wenn ich auch nicht der Ansicht bin, dass meine Beobach-
tungen für sich allein ausreichen würden, um die Mesodermbildung
der Säugethiere zu erläutern, so scheint mir doch, dass sie als eine
Stütze für die Auffassung van BENEDEN’s gelten können.
Es soll nun zunächst gezeigt werden, wie die Mesodermbildung
der Amnioten von derjenigen der Anamnier und diese selbst von
derjenigen des Amphioxus abzuleiten ist. Sodann soll die Frage
erörtert werden, ob und in wie fern die Mesodermbildung der
ER
Theorie des Mesoderms. 155
Wirbelthiere und diejenige der wirbellosen Bilaterien auf ein ge-
meinsames Grundschema zurückgeführt werden können.
Zur Erörterung der ersten Frage ist es nothwendig, etwas weiter
auszuholen. Denn es steht die Art der Mesodermbildung in so in-
niger Abhängigkeit von der Art der Gastrulation, dass jene nicht
verstanden werden kann, ohne dass man zuvor über diese ins Reine
gekommen ist. Die Gastrulation selbst aber hängt wieder so innig
mit der Art der Eifurchung und diese mit der Größe des Nahrungs-
dotters zusammen, dass es nothwendig ist, zunächst ein paar Worte
über den Einfluss des Nahrungsdotters auf die Furchung und Keim-
blätterbildung zu sagen.
Eine so weite Ausdehnung der uns beschäftigenden Frage könnte
vielleicht überflüssig erscheinen, zumal schon vor dreizehn Jahren
HAECKEL in überaus klarer und übersichtlicher Weise die Abhängig-
keit der Furchung und Keimblätterbildung von der Menge des Nah-
rungsdotters geschildert hat. Später habe ich selbst an einem spe-
ciellen Beispiele zu zeigen versucht, wie die Furchung in erster
Linie von der Menge, in zweiter von der Vertheilung des Nahrungs-
dotters beeinflusst wird; ich habe zugleich gezeigt, dass die Art der
Furchung innerhalb eng begrenzter Thiergruppen trotz der durch
die verschiedene Menge und Vertheilung des Nahrungsdotters ver-
ursachten Modifikationen im Wesentlichen stets dieselbe bleibt. In
neuerer Zeit hat namentlich GOETTE von seinem Sonderstandpunkte
aus die Frage in Angriff genommen und es dürfte wohl kein For-
scher, der sich mit der Untersuchung der ersten Entwicklungsvor-
gänge beschäftigt hat, über den wichtigen Einfluss des Nahrungs-
dotters im Unklaren geblieben sein.
Man hat,aber dabei bisher, wie mir scheint, ein ungemein
wichtiges Moment, wenn auch nicht geradezu übersehen, so doch
wenigstens viel zu wenig beachtet; ich meine die wiederholte
Erwerbung und den wiederholten Verlust des Nahrungsdotters
während der Phylogenese.
Man theilt gewöhnlich die Eier der Wirbelthiere in zwei große
Gruppen und bezeichnet als holoblastische diejenigen des Amphioxus,
der Cyclostomen, Ganoiden, Amphibien und placentalen Säugethiere,
als meroblastische diejenigen der Selachier, Knochenfische, Reptilien,
Vögel und Monotremen. Damit hat man aber zwei Gruppen ge-
schaffen, deren Glieder in keiner Weise zusammengehören. Denn
man ist durchaus nicht berechtigt, die Furchung und Keimblätter-
bildung der Amphibien ohne Weiteres mit der der placentalen
156 Carl Rabl
Säugethiere zu vergleichen und eben so wenig ist man berechtigt,
die Furchung und Keimblätterbildung der Knochenfische mit den
betreffenden Vorgängen der Reptilien und Vögel zu vergleichen.
In Beziehung auf die Eier der placentalen Säugethiere hat schon
HAECKEL die Wahrscheinlichkeit betont, dass diese aus meroblasti-
schen Eiern hervorgegangen seien, eine Vermuthung, die durch die
bekannte Entdeckung Haacke’s und CALDWELL's vollkommen ge-
rechtfertigt erscheint. Da nun aber die meroblastischen Eier von
Echidna und Ornithorhynchus selbst wieder aus holoblastischen her-
vorgegangen sein müssen, so würde man die Eier der placentalen
Säugethiere als sekundär holoblastische bezeichnen müssen. Die
Sache liegt aber, wie ich glaube, noch komplicirter.
Gehen wir einmal vergleichend-entwicklungsgeschichtlich vor.
Die Eier des Amphioxus sind bekanntlich holoblastische Eier und
erleiden in Folge ihres geringen Gehaltes an Nahrungsdotter eine
Furchung, welche der — vielleicht nur im Schema existirenden —
äqualen oder primordialen Furchung HAEckEL’s sehr nahe kommt:
HATSCHEK hat sie als »adäquale Furchung« bezeichnet. Auf dem
Wege vom Amphioxus oder, richtiger, von den gemeinsamen Vorfahren
der Acranier und Cranioten zu den Cyclostomen nimmt die Menge
des Nahrungsdotters erheblich zu, doch ist sie bei Petromyzon noch
nicht so bedeutend, dass dadurch die Furchung zu einer partiellen
würde. Auf dem ferneren Wege von den Cyclostomen zu den Se-
lachiern steigt die Menge des Nahrungsdotters noch mehr an, so
dass die Furchung nunmehr zu einer partiellen wird. Von den Se-
lachiern zu den Ganoiden schrumpft wieder der Nahrungsdotter zu-
sammen, am meisten, so viel bekannt, bei Acipenser, am wenigsten
bei Lepidosteus; die Furchung wird wieder zu einer totalen, freilich
mit sehr ungleich großen Furchungskugeln. Nun trennen sich aber
die Wege der höheren Wirbelthiere, indem sich von den Ganoiden
nach der einen Seite die Knochenfische, nach der anderen die Dip-
noer und weiter die Amphibien abzweigen. In der Richtung zu den
Knochenfischen nimmt nun abermals die Menge des Nahrungsdotters
zu und die Furchung wird wieder zu einer partiellen; nach der an-
deren Seite dagegen, in der Richtung gegen die Amphibien, schrumpft
der Nahrungsdotter, der schon von den Selachiern zu den Ganoiden
kleiner geworden war, noch weiter zusammen und die Differenz in
der Größe der Furchungskugeln wird, wenn sie auch immer noch
erheblich genug ist, noch geringer. So finden wir also bei den
Amphibien Eier mit relativ kleinem Nahrungsdotter und totaler, aber
Theorie des Mesoderms. 157
inäqualer Furchung. Auf dem Wege von den Amphibien zu den
gemeinsamen Vorfahren der Amnioten haben sich die Verhältnisse
noch weiter komplieirt; denn es kann wohl keinem Zweifel unter-
liegen, dass die Protamnioten Eier mit großem Nahrungsdotter und
partieller Furchung besessen haben müssen. Es müssen also die
Eier abermals Nahrungsdotter erworben haben. Diese Verhältnisse
haben sich nun einerseits auf die Sauropsiden vererbt — ja es ist
sogar wahrscheinlich, dass von den Reptilien zu den Vögeln der
Nahrungsdotter noch gewachsen ist; andererseits wurden sie aber
auch auf die Säugethiere übertragen; hier haben jedoch nur die am
tiefsten stehenden Formen den Nahrungsdotter behalten, während
ihn alle höheren mit der gleichzeitigen Ausbildung neuer günstiger
Ernährungsbedingungen für die sich entwickelnden Eier wieder bis
auf geringe Spuren verloren haben.
Wir können das Gesagte in folgendem Schema zum Ausdrucke
bringen:
Vögel ’ . Siiugethiere (Placentalier).
(Furchung partiell). (Furchung total, inäqual.)
V |
Reptilien N
( artiell). an
(Furchung partiell) ey
: Protamnioten (Furchung partiell).
| Vv
- Amphibien (Furchung total, inäqual).
Teleostier - In
(Furchung partiell). /
* Ganoiden (Furchung total, iniiqual).
N
Selachier
(Furchung partiell).
V
. Cyelostomen (Furchung total, inäqual).
N
x * Amphioxus (Furchung total,
YA adäqual).
Man kann nun allerdings den Einwand erheben, dass die That-
sachen der vergleichenden Entwieklungsgeschichte nicht nothwendig
in phylogenetischem Sinne gedeutet werden müssen, dass, mit anderen
158 Carl Rabl
Worten z. B. diejenigen Amphibien, welche den Protamnioten den
Ursprung gegeben haben, nicht nothwendig wie die heute lebenden
Amphibien relativ dotterarme Eier mit totaler Furchung hesessen haben
müssen, oder dass die Eier derjenigen Selachier, welche die Vor-
fahren der Ganoiden waren, nicht nothwendig wie die Eier der heute
lebenden Selachier einen großen Nahrungsdotter und eine partielle
Furehung gehabt haben müssen etc. Man kann diesen Einwand er-
heben, aber man kann ihn nicht beweisen. Andererseits aber spricht,
wie gleich gezeigt werden soll, der ganze Verlauf der Gastrulation
so sehr zu Gunsten der Ansicht, dass ontogenetische und phylo-
genetische Reihenfolge einander entsprechen, dass sie unmöglich von
der Hand gewiesen werden kann.
Wenn nun aber diese Ansicht richtig ist, so sehen wir sofort,
dass in den beiden Gruppen der meroblastischen und holoblastischen
Eier Eier von sehr verschiedenem Werthe zusammengefasst worden
sind. Wenn wir die Eier des Amphioxus und der Cyclostomen als
primär dotterarme Eier mit totaler Furchung bezeichnen dürfen,
so müssen wir die Eier der Ganoiden und der Amphibien als se-
kundär dotterarme und diejenigen der placentalen Säugethiere
als tertiär dotterarme bezeichnen. Wenn wir ferner die Eier der
Selachier — da sie in der Reihe die ersten sind, die eine partielle
Furchung zeigen — primär dotterreiche nennen dürfen, so müssen
wir diejenigen der Knochenfische, Sauropsiden und Monotremen sekun-
där dotterreiche und ihre Furchung eine sekundär partielle nennen;
aber auch hier haben wir wieder die Eier der Knochenfische wohl
von denen der Sauropsiden und Monotremen zu scheiden.
Die Eier haben ihre Stammesgeschichte wie die ausgebildeten
Formen; die komplieirtesten sind die Eier der Säugethiere, da wäh-
rend ihrer Phylogenese zweimal ein Nahrungsdotter erworben wurde
und zweimal wieder verloren ging.
Sowie aber einerseits die Menge des Nahrungsdotters einen
entscheidenden Einfluss auf die Furchung und die gesammte weitere
Entwicklung nimmt, so muss dasselbe andererseits auch von der
verschiedenen Vertheilung des Nahrungsdotters gelten. Dieser
Einfluss der verschiedenen Vertheilung macht sich besonders deut-
lich bei der Gastrulation bemerkbar und es wird sich daher em-
pfehlen, die verschiedenen Formen, unter denen dieser Process in
den einzelnen Wirbelthierklassen verläuft, schärfer ins Auge zu
fassen.
Am einfachsten, typischesten und reinsten läuft die Gastrulation
Theorie des Mesoderms. 159
beim Amphioxus ab, indem sich durch polare Einstülpung einer
einschichtigen Blastosphära eine Gastrula bildet, die in allen Charak-
teren mit einer »Archigastrula« im Sinne HA&tcKEL’s übereinstimmt,
nur dass sie bereits eine deutliche bilaterale Symmetrie zeigt (HAT-
SCHEK). Komplieirter gestalten sich die Verhältnisse bei den Cyclo-
stomen. Die relativ geringe Ausdehnung der Furchungshöhle bei
gleichzeitiger Vermehrung und Vergrößerung der entodermalen Ele-
mente muss nothwendig einen störenden oder modifieirenden Ein-
fluss auf die Gastrulation nehmen; immerhin findet aber auch hier,
wie wir durch die älteren Untersuchungen M. SCHULTZE’s und die
neueren ScoTT's wissen, eine wahre Invagination der verhältnismäßig
diekwandigen Blastula statt. Wichtig ist dabei, dass die Einstül-
pung nicht central in die Entodermzellenmasse hinein erfolgt, son-
dern excentrisch in der Weise, dass die meisten und dotterreichsten
Entodermzellen an die ventrale Seite des Urdarmes zu liegen kom-
men. So kommt eine Gastrula zu Stande, die HAECKEL bekannt-
lich als »Amphigastrula« bezeichnet hat; wie die Gastrula des Am-
phioxus trägt auch sie bereits einen bilateralen Typus zur Schau.
Noch mehr müssen sich natürlich die Verhältnisse komplieiren,
wenn, wie dies auf dem Wege von den Cyclostomen zu den Sela-
chiern geschehen ist, der Nahrungsdotter so bedeutend anwächst,
dass eine totale Durchfurchung nicht mehr möglich ist. Die aus
der Furchung hervorgehende Blastula können wir uns wieder, wie
beim Amphioxus und den Cyelostomen, aus zwei Hälften, einer ekto-
dermalen und entodermalen, zusammengesetzt denken; aber die bei-
den Hälften sind von ungemein verschiedener Größe, indem die
entodermale Hälfte außer den zelligen Elementen, die später zum
inneren Keimblatte werden, auch noch den mächtigen Nahrungs-
dotter umfasst. An der Grenze zwischen beiden Hälften wird die
Einstülpung erfolgen müssen; sie wird aber nicht im ganzen Um-
fange der Blastula, also längs der ganzen Grenze, gleichmäßig er-
folgen — was einer rein polaren Einstülpung entsprechen würde
— sondern wie bei den Cyclostomen excentrisch beginnen; und zwar
wird sie an der Stelle auftreten, wo sie sich bei den Cyelostomen
zuerst bemerkbar macht, also in der Mitte der hinteren Hälfte jener
Grenze. Von hier setzt sich die Einstülpung allmählich nach den
Seiten und nach vorn fort, wobei sie aber an Tiefe mehr und mehr
abnimmt. Die größte Tiefe wird sie an der Stelle ihres ersten
Auftretens, also hinten, erreichen. So wird sich also eine Gastrula
ausbilden, welche auf dem Sagittalschnitte das in umstehender
160 Carl Rabl
Fig. 2 A nach einer Pristiurusgastrula gezeichnete Bild geben wird.
Es stimmt dieses Bild ungefähr mit dem Bilde überein, das HAECKEL
Fig. 2.
A Gastrula von Pristiurus; B Gastrula von Acipenser nach Satensky; C Gastrula von Triton nach
0. Hertwic; D Schema einer Protamniotengastrula; a und b Urmundränder.
von einer »Discogastrula« entworfen hat; natürlich wird auch diese
Gastrula die bilaterale Symmetrie deutlich erkennen lassen!. Es
1 Die hier gegebene Darstellung der Gastrulation der Selachier stimmt mit
der Darstellung, die kürzlich RÜCKERT in seiner Schrift: »Zur Keimblattbil-
dung bei Selachiern. Ein Beitrag zur Lehre vom Parablast. München 1885«
gegeben hat, nicht überein. RÜCKERT vergleicht die Keimscheibe der Haie mit
den animalen Furchungsprodukten, den Nahrungsdotter nebst den »Merocyten«
(Dotterzellen) mit den vegetativen Furchungsprodukten eines holoblastischen
Eies. Wenn ich seine Auseinandersetzungen recht verstehe, so bezeichnet er
die Keimscheibe als Morula. Die Zellen dieser Morula sollen nun »ausschließlich
zur Ektoblastbildung« verwendet werden, während »das untere Keimblatt da-
durch zu Stande kommt, dass zahlreiche, von den Merocyten ausgebildete Zellen
sich vom Dotter ablösen und in den Binnenraum der Keimhöhle gelangen.«
Diese Anfangs locker gefügten Zellen sollen sich nun »zu einer geschlossenen
Theorie des Mesoderms. 161
braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dass der vordere Rand
einer solchen Selachiergastrula (Fig. 2 A, a) dem ventralen, der
hintere (4, 6) dem dorsalen Urmundrande der Amphioxusgastrula
entspricht; wir brauchen uns ja nur den Nahrungsdotter weggenom-
men und die Gastrula zusammengebogen zu denken, um ein der
Amphioxusgastrula ähnliches Bild zu bekommen.
Scheinbar einfacher verläuft die Gastrulation, wenn, wie bei
den Ganoiden, die Menge des Nahrungsdotters wieder bedeutend ab-
nimmt und wieder eine totale Durchfurchung des Eies möglich wird.
Die nebenstehende Figur B zeigt uns, nach SALENSKY, die Gastrula
eines Acipenser beim Beginn ihrer Bildung. Auch hier können wir
wieder einen vorderen und hinteren Urmundrand (« und 4) unter-
scheiden, von denen jener dem ventralen, dieser dem dorsalen Ur-
mundrande des Amphioxus entspricht; aus dem weiten Blastoporus
sehen wir den großen, aber vollständig durchfurchten Dotter hervor-
ragen. Noch größer als bei den Knorpelganoiden ist der Nahrungs-
dotter bei den Knochenganoiden, welche in dieser Beziehung einen
Übergang zu den Teleostiern zu bilden scheinen (Lepidosteus, BAL-
FOUR).
Von den Ganoiden an aufwärts trennen sich die Wege der
Wirbelthiere, indem sich von ihnen nach der einen Seite die Kno-
chenfische, nach der anderen die Dipnoér und Amphibien ableiten.
Mit der Zunahme des Nahrungsdotters bei den Knochenfischen ist
auch die Gastrulation wieder modificirt worden. Wir können uns
ganz wohl vorstellen, wie aus einer Amphigastrula eines Acipenser
oder Lepidosteus bei abermaliger Vermehrung des Dotters und der
L
Lage aufreihen« und dadurch ein Keimblatt im eigentlichen Sinne des Wortes
bilden. Diese » Aufreihung« erfolgt zunächst am Rande, vor Allem am Hinter-
rande und schreitet von hier nach den Seiten und nach vorn fort. Die auf-
gereihte Entoblastschicht löst sich sodann vom Dotter ab, so dass zwischen
beiden eine Höhle, die Urdarmhöhle, entsteht. Eine Einstülpung soll nicht
vorkommen; RÜCKERT spricht nur von einer »Pseudoinvagination «.
Ich habe mich bei obiger Darstellung an meine eigenen Präparate. ge-
halten; diese scheinen mir keinen Zweifel an einer Invagination zuzulassen.
Im Übrigen will ich nicht darüber rechten, was man eine »Morula« zu nennen
habe, und es auch für dies Mal unterlassen, von der Bedeutung der »Mero-
eyten« zu sprechen. In wesentlich demselben Sinne hat sich in neuester Zeit
auch KASTSCHENKO ausgesprochen. Er sagt: »Die Bildung des Entoblasts
erfolgt in Folge der Invagination der äußeren Oberfläche der Keimscheibe, nicht
durch die Auswanderung und Anhäufung der Dotterkerne, wie es SCHULTZ
und RÜCKERT behaupten.« (KASTSCHENKO, Zur Entwicklungsgeschichte des
Selachierembryo. Anat. Anz. 1888, Nr. 16.)
Morpholog. Jahrbuch. 15. 11
162 Carl Rabl
dadurch bedingten Unmöglichkeit einer vollständigen Durchfurehung
wieder eine Discogastrula ähnlich der der Selachier entstehen muss.
Ich kann mich in der Auffassung der Gastrulation der Knochenfische
im Allgemeinen den jüngsten Erörterungen ZIEGLER’s anschließen.
Andererseits wird bei weiterer Abnahme des Nahrungsdotters eine
Gastrula entstehen müssen, wie sie O. HERTwıG von Triton be-
schrieben hat (Fig. 2 ©). Der Blastoporus bildet hier eine verbältnis-
mäßig kleine Öffnung, aus der ein Theil der Dotterzellen als sog.
Dotterpfropf hervorsieht. Die Ähnlichkeit einer solehen Amphibien-
gastrula mit einer Ganoidengastrula ist nieht zu verkennen. Die
Kleinheit des Blastoporus, die selbst nur die natürliche Folge der
geringen Dottermenge ist, bringt es mit sich, dass wir nun nicht
mehr einen vorderen und hinteren, sondern wieder, wie beim Am-
phioxus und den Cyclostomen, einen dorsalen und ventralen Urmund-
rand zu unterscheiden haben. Der dorsale Rand entspricht dem
hinteren, der ventrale dem vorderen Urmundrande einer Selachier-
gastrula.
Bis hierher liegen die Verhältnisse relativ einfach. Mit dem
abermaligen Anwachsen des Nahrungsdotters bei den Protamnioten
bilden sich aber Verhältnisse aus, die auf den ersten Bliek jede
Ähnlichkeit mit den bisher beschriebenen Gastrulaformen vermissen
lassen. Indessen scheint es mir, dass es nur einiger Überlegung
bedarf, um auch hier die Homologien wieder zu erkennen. Halten
wir uns zunächst das Bild der Amphibiengastrula vor Augen und
fragen wir uns, wo beim abermaligen Auftreten eines Nahrungs-
dotters dieser wieder erscheinen werde. Es müsste gewiss mit ganz
eigenthümlichen Dingen zugehen, wenn sich zunächst der Dotter-
pfropf vergrößerte und den Blastoporus aus einander drängte, um
Verhältnisse zu schaffen, wie sie die Ganoiden zeigen, von denen
wir dann bei weiterer Vermehrung des Dotters mit geringer Mühe
das Bild einer Discogastrula ableiten könnten. Gegen die Annahme
einer derartigen Größenzunahme des Nahrungsdotters spricht auch
der Umstand, dass trotz vieler darauf gerichteter Aufmerksamkeit
bisher in keinem Falle bei einem Amnioten eine Discogastrula ähn-
lich jener der Selachier oder Knochenfische hat nachgewiesen wer-
den können.
Bei der Betrachtung der Amphibiengastrula sehen wir aber,
dass der Dotterpfropf nur den kleinsten Theil des Nahrungsdotters
umfasst, dass dagegen die Hauptmasse der Dotterzellen an der
ventralen Wand des Urdarmes, also vor und ventralwärts vom
Theorie des Mesoderms. 163
Blastoporus angesammelt ist. Es ist daher viel wahrscheinlicher, an-
zunehmen, dass der Nahrungsdotter bei den Protamnioten
dort wieder aufgetreten sei, wodieHauptmasse der Dotter-
zellen beiihren Vorfahren aus der Amphibienreihe gelegen
war, also vor und ventralwärts vom Blastoporus. Wir würden
_ daher von der Gastrula eines Protamnioten ein Bild erhalten müssen,
ähnlich dem, welches ich in der Fig. 2 D entworfen habe.
Verfolgen wir nun in Gedanken die Entwicklung eines solchen
Keimes vom Beginn der Furchung an. Da der Nahrungsdotter,
unserer Annahme gemäß, keine rein polare Lage hatte, sondern
excentrisch angeordnet war, musste natürlich auch der animale Pol
aus der Mitte des Bildungsdotters nach vorn verschoben sein. In
Folge dessen wird auch die Furchung eine mehr oder weniger auf-
fallende Excentrieität gezeigt haben müssen. Aus der Furchung
wird sich eine Keimscheibe gebildet haben, die flächenhaft auf dem
Nahrungsdotter ausgebreitet war und die excentrische Anordnung der
Furchungskugeln noch erkennen ließ. An einer Stelle der Keim-
scheibe, die dem Hinterrande näher gelegen war als dem Vorder-
rande, wird sich eine Einstülpung gebildet haben, die sich nament-
lich nach vorn erheblich vertiefte und zur Bildung des Urdarmes
führte. Der Vorderrand der Einstülpungsöffnung wird, wie ein Ver-
gleich der Figuren C und D zeigt, dem dorsalen, der Hinterrand
dem ventralen Urmundrande der Amphibien entsprochen haben. Eine
solche Gastrula wird einige Ähnlichkeit mit einer »Perigastrula «,
wie sie sich etwa bei Astacus findet, gezeigt haben. Immerhin wird
sie sich aber von einer solchen da-
durch unterschieden haben, dass
das Blastoderm nicht den ganzen
Dotter einhüllte, sondern eine kleine
Scheibe an dessen Oberfläche bil-
dete. Andererseits tritt aber auch
die Differenz gegenüber einer
Discogastrula eines Selachiers
(Fig. 2 A) oder Teleostiers scharf
genug hervor; hier erfolgt die Ein-
stülpung am Rande der Keim-
scheibe, dort hinter der Mitte der
oberen Fläche. Ich will daher diese Form der Gastrula als Epi-
‚gastrula bezeichnen.
Vielleicht wird die Ableitung einer solchen Epigastrula von der
11*
Fig. 3.
164 Carl Rabl
Amphigastrula der Amphibien noch verständlicher werden, wenn wir
von dem Bilde ausgehen, welches der Keim von Triton im Stadium
der beginnenden Einstülpung zeigt (s. umstehende Fig. 3). Man
denke sich einen solchen Keim durch die Schnittebene a 5 in zwei
Hälften zerlegt und die linke untere Hälfte durch einen mächtigen
Nahrungsdotter ersetzt, welchem die rechte obere Hälfte flächenhaft
ausgebreitet aufliegt. Man wird nun erkennen, dass der animale
Pol nicht der Mitte der Keimscheibe entsprechen kann, sondern weiter
vorn gelegen sein muss, und dass ferner die Einstülpungsöffnung der
hinteren Hälfte der Keimscheibe angehören muss.
Von dem hypothetischen Bilde einer solehen Protamniotenga-
strula lässt sich nun ohne Schwierigkeit das Bild ableiten, welches
die Keimscheibe der Amnioten im Gastrulastadium darbietet. Dabei
haben wir nur zwei Momente zu bedenken. Fürs Erste sehen wir
im Laufe der Entwieklung der Wirbelthiere und Wirbellosen oft und
oft den Fall eintreten, dass ein Organ, das ursprünglich in Form
einer hohlen Einstülpung entstand, bei nahe verwandten Thieren
als solide Wucherung auftritt. Ich brauche nur an die Bildung des
Centralnervensystems der Knochenfische oder an die Entwicklung
vieler Drüsen zu erinnern. So wird also auch an die Stelle’ einer
hohlen Einstülpung des Urdarmes eine solide Wucherung des be-
treffenden Keimscheibenbezirkes treten können. Es werden sich
aber auch beide Processe kombiniren können, so zwar, dass vom
Grunde einer Einstülpung, die nicht mehr die ursprüngliche Tiefe
erreicht, eine solide Wucherung ausgeht; auch dafür ließen sich
zahlreiche Beispiele anführen.
Fürs Zweite haben wir uns vor Augen zu halten, dass sich die
Zellen des Keimes mehr und mehr von den Bestandtheilen des
Nahrungsdotters befreien können und dass die Funktion, Träger des
Dotters zu sein, von einer verhältnismäßig geringen Zahl von Em-
bryonalzellen übernommen werden kann. Wir wissen, dass, wenn
die Menge des Deutoplasmas eine geringe ist, wie z. B. beim Am-
phioxus, alle Zellen des Keimes ungefähr im gleichen Grade damit
erfüllt sind; nimmt die Menge zu, wie bei den Amphibien, so er-
scheinen vorwiegend die Entodermzellen als Träger des Deutoplas-
mas, und wenn, wie bei den Sauropsiden und wohl auch bei den
Protamnioten, der Nahrungsdotter zu einer ungemein mächtigen Masse
anwächst, so wird es dazu kommen können, dass nur ein Theil
des Entoderms die Funktion beibehält, Deutoplasmaträger zu sein.
Wir haben hierin eine Art Arbeitstheilung zu erblieken, welche, wie
S
’E
Theorie des Mesoderms. 165
ich glaube, das stetige Anwachsen des Nahrungsdotters mit sich
bringen kann: die Zellen, welche den Dotter enthalten, haben so
zu sagen auch die Pflicht, ihn zu verarbeiten und sie können daher
nicht in derselben Weise wie ihre Genossen, Antheil an dem Auf-
bau des Embryo nehmen. Es wird sich also diejenige Schicht des
Entoderms, die dem Dotter direkt aufliegt, in einen gewissen Gegen-
satz zu dem übrigen Entoderm stellen, ein Gegensatz, der in einer
mehr oder weniger scharfen Scheidung des Entoderms in ein em-
bryonales und ein Dotterentoderm zum Ausdrucke kommen muss.
Wenn wir von diesen Gesichtspunkten die Gastrulation der
Amnioten betrachten, so erscheinen uns in der That die Vorgänge
ziemlich leicht verständlich. Was zunächst die Reptilien betrifft, so
bietet, wie wir aus den schönen Untersuchungen Kuprrer’s wissen,
eine Oberflächenansicht einer Gastrula einer Eidechse oder Schild-
kröte ein sehr einfaches Bild. Man sieht hier im hinteren Bezirke
der Keimscheibe, dem Hinterrande genähert, eine ziemlich tiefe, nach
vorn und unten eindringende Grube, deren Eingangsöffnung, wie es
scheint, in der Form variiren kann. Sagittalschnitte zeigen nun,
wie aus den Untersuchungen Kuprrer’s sowohl, als auch STRAHL's,
WELDon’s und BALFour's hervorgeht, dass vom Boden und den
Wänden dieser Grube eine solide Zellwucherung ausgeht. die sich
allmählich über den Dotter ausbreitet. Unter dieser Zellmasse, dem
Dotter dicht aufliegend, findet sich nach Kuprrer eine dünne Lage
platter Zellen (Paraderm oder Dotterblatt), die wir nach dem
oben Gesagten mit einem Theil der Dotterzellen der Amphibien zu
vergleichen und also vom Entoderm abzuleiten haben.
Nicht viel komplieirter sind die Verhältnisse, die eine Vogel-
gastrula zeigt. Statt einer Grube sehen wir hier an der Oberfläche
der hinteren Keimscheibenhälfte eine sagittale Rinne, die bekannte
_ Primitivrinne, auftreten und von den Wänden und dem Boden dieser
Rinne geht, wie Schnitte zeigen, wieder eine Wucherung aus, die
sich, wie bei den Reptilien, über den Dotter ausbreitet. Auch hier
findet sich wieder nach Kuprrer über dem Dotter ein einschichtiges
Paraderm, das, wie es scheint, in den ersten Stadien der Bildung
des Primitivstreifens ziemlich scharf von den darüber liegenden Zellen
getrennt ist.
Nach dem früher über das wiederholte Auftreten und Ver-
schwinden des Nahrungsdotters Gesagten dürfen wir wohl erwarten,
dass die tertiär holoblastischen Säugethierkeime auch in Beziehung
auf die Gastrulation nicht unerhebliche Modifikationen aufweisen
166 Carl Rabl
werden. Wir stehen nun hier zunächst der interessanten Erschei-
nung gegenüber, dass die Zellen des Keimes sich schon ungemein
frühzeitig in zwei Gruppen sondern, deren eine die Zellen des
Dotterblattes, deren andere alle übrigen Zellen hervorgehen lässt.
Ja, nach einer älteren Arbeit van BENEDEN’s scheint es, dass diese
Sonderung sich schon im Zweizellenstadium des Keimes vollzieht.
So ist also bei den Säugethieren zwar der Dotter geschwunden, aber
das Dotterblatt, das sie von den Protamnioten geerbt haben, ist er-
halten geblieben. Diese Vorgänge, und damit auch manche andere,
die Gastrulation der Amnioten begleitende Erscheinungen sind erst
durch die neuesten Mittheilungen vAN BENEDEN’s unserem Verständ-
nisse näher gerückt worden.
So haben uns also unsere Betrachtungen wieder zu der, schon
von so vielen Forschern ausgesprochenen Ansicht geführt, dass die
Primitivrinne dem Urmund und der Primitivstreifen den verwachsenen
Urmundrändern der Anamnier entsprechen. Während aber die mei-
sten Forscher, und namentlich auch RAUBER, der zuerst den Ge-
danken einer Homologie von Primitivrinne und Urmund aussprach,
auch im Keimscheibenrand einen — allerdings außerembryonalen —
Theil des Urmundes erblickten, muss ich diesen, sowie es auch von
O. HERTWIG geschehen ist, lediglich als » Umwachsungsrand« der
Keimscheibe bezeichnen und jede Homologie desselben mit dem Ur-
mund in Abrede stellen. Meine Auseinandersetzungen haben aber
auch gezeigt, dass das vordere Ende der Primitivrinne, an welchem
bei den Säugethieren der HENsEN’sche Knoten gelegen ist, dem dor-
salen, das hintere dem ventralen Blastoporusrande der Amphibien
zu homologisiren ist. Es entsprechen also in der Wirbelthierreihe
einander: erstens dorsaler Urmundrand des Amphioxus, der Cyelo-
stomen und der Amphibien, hinterer Urmundrand der Selachier,
Ganoiden und Knochenfische, Vorderende der Primitivrinne der Am-
nioten; zweitens ventraler Urmundrand des Amphioxus, der Cyelo-
stomen und der Amphibien, vorderer Urmundrand der Selachier,
Ganoiden und Knochenfische, Hinterende der Primitivrinne der Am-
nioten!. |
1 Es ist wiederholt der Versuch gemacht worden, auch bei den Anam-
niern einen Primitivstreifen und eine Primitivrinne nachzuweisen. So sprechen
KOWALEVSKY, OWSJANNIKOFF und WAGNER in ihrer Arbeit über »die Ent-
wicklung der Störe« von einem Primitivstreifen und einer Primitivrinne bei
Acipenser, ohne aber eine Verschmelzung der Keimblätter im Bereiche des
Primitivstreifens zu behaupten. — Auch KASTSCHENKO spricht in seiner neue-
Theorie des Mesoderms. 167
Dass die hier entwickelte Auffassung von der Gastrulation der
Amnioten richtig ist, geht aus zahlreichen Thatsachen hervor. Schon
die Furchung zeigt bei den Amnioten bemerkenswerthe Differenzen
gegenüber der Furchung der Anamnier. Während sie hier, wenig-
stens in den ersten Stadien, rein »central« verläuft!, so dass die
erste und eben so auch die zweite Furche die Mitte des animalen
Poles durehschneiden, und auch nach dem Durchschneiden der
ersten Aquatorialfurche die Furchungskugeln symmetrisch um die
Eiachse vertheilt sind, zeigt sie, so weit bekannt, bei den Amnioten
von allem Anfang an einen auffallend excentrischen Verlauf. So
haben OELLACHER vom unbefruchteten, KOLLIKER vom befruchteten
Hühnerei mitgetheilt, »dass die Furchung immer asymmetrisch vor
sten, oben eitirten Abhandlung von einer Primitivrinne und von Primitivwülsten
bei Selachiern. Er fügt übrigens seiner Bemerkung, dass »die Primitivrinne
der Selachier mit der Mesoblastbildung nichts zu thun hat«, die Worte bei:
Ȇbrigens scheint das Gebilde, welches man bei Selachiern als Primitivrinne
zu bezeichnen pflegt, mit der Primitivrinne der Amnioten nicht homolog zu
sein; die letztere scheint vielmehr der Verbindungslinie beider Caudallappen
zu entsprechen.« KASTSCHENKO’s Primitivrinne ist meine »Rückenrinne«, seine
Primitivwülste sind meine »Rückenwülste«. — Schon vor längerer Zeit hat
JOHNSON (Quart. Journ. 1884) bei Triton einen Primitivstreifen und eine Pri-
mitivrinne beschrieben. Was JOHNSON Primitivrinne (»primitive groove«) nennt,
ist indessen nichts Anderes als die »Rückenrinne« HERTWIG’s (sillon médian oder
sillon primitive BAMBEKE’s). Sie soll sich über den größeren Theil der Rücken-
fläche erstrecken. In ihrem Bereiche sollen Ektoderm, Entoderm und Mesoderm
verschmolzen sein; ganz vorn soll das Mesoderm bloß mit dem Entoderm in Ver-
bindung stehen. JOHNSON tritt daher den Angaben Scorr's und OSBORN’s, 0.
HERTWIG’s und BAMBEKE’s entgegen. Die Abbildungen, die JOHNSON seiner Ab-
handlung beigiebt, sind nicht geeignet, das Vertrauen zu seinen Angaben zu
erhöhen. — Ganz ähnliche Ansichten wie JoHnson hat kürzlich O. SCHULTZE
entwickelt. Indem ich mich einer Kritik seiner Angaben einstweilen, so lange mir
nicht selbst Beobachtungen zu Gebote stehen, enthalte, bemerke ich nur, dass
ich mich in der Beurtheilung der SCHULTZE’schen Präparate der Bemerkung
VAN BENEDEN’s (Verh. der anat. Gesellsch. 1888. pag. 152) nicht anschließen
kann.
1 Hinsichtlich der Furchung der Petromyzonten hat CALBERLA mitgetheilt,
dass schon die ersten zwei Furchungskugeln von ungleicher Größe seien und
sich im weiteren Verlaufe die kleinere stets rascher furche als die groBe und
deren Abkömmlinge. Dies würde einer Excentricitiit der Furchung entsprechen.
CALBERLA’s Angabe ist aber, wie es scheint mit Recht, später von Scorr und
NUEL bestritten worden. Beide stimmen darin iiberein, dass die Furchung An-
fangs eine gleichmäßige sei (CALBERLA, Zur Entwicklung des Medullarrohres
und der Chorda dorsalis der Teleostier und Petromyzonten. Morph. Jahrbuch.
Bd. III. pag. 246. — Scott, l. c. pag. 112—114. — Nuer, Quelques phases
du développ. du Petromyzon Planeri. Arch. d. Biol. Bd. II. pag. 409),
168 Carl Rabl
sich geht, so dass ohne Ausnahme die eine Hälfte der Keimscheibe
in der Zerklüftung der anderen voran ist und die Hauptmasse der
Kugeln und eben so die kleineren Segmente und kleineren Kugeln
der einen Hälfte der Keimscheibe angehören und der Mittelpunkt
des Feldes mit Furchungskugeln excentrisch liegt«. Es ist ferner
auch gewiss auffallend, dass die Eier der Säugethiere, obwohl sie
nur eine sehr geringe Menge von Nahrungsdotter besitzen und in
dieser Beziehung am meisten Ähnlichkeit mit den Eiern des Am-
phioxus zeigen, sich doch vom ersten Anfang an inäqual furchen.
Es hat sich namentlich aus den Untersuchungen VAN BENEDEN’S und
JULIN’s! über die erste Entwicklung der Fledermäuse ergeben, dass
schon die erste Furche das Ei in zwei ungleich große Hälften theilt
und dass diese Ungleichheit auch in den späteren Stadien erhalten
bleibt.
Schon KÖLLIKER hat die excentrische Anordnung der Furchungs-
kugeln und Furchungssegmente der Hühnerkeimscheibe mit dem ex-
centrischen Auftreten des Primitivstreifens in Zusammenhang ge-
bracht und die Vermuthung ausgesprochen, »dass der schneller sich
furchende Theil zum späteren hinteren Theile des Blastoderma sich
gestaltet, in dem die ersten Spuren des Embryo entstehen«. Wenn
ich nun auch die excentrische Lage des Primitivstreifens mit KÖL-
LIKER in Zusammenhang bringen möchte mit dem excentrischen
Ablauf der Furchung, so scheint es mir doch aus den oben
angeführten Gründen wahrscheinlicher, dass der schneller sich fur-
chende Theil der Keimscheibe deren vorderer Hälfte entspricht,
innerhalb welcher später die Medullarplatten zur ersten Anlage kom-
men. Dafür spricht auch der Umstand, dass sowohl bei den Vögeln
als bei den Säugethieren zur Zeit, wenn der Primitivstreifen auf-
tritt, das Ektoderm der vorderen Keimscheibenhälfte aus zahl-
reicheren , kleineren und höheren Elementen besteht als das der
hinteren Hälfte.
Noch nachdrücklicher als die Art der Furchung sprechen andere
Thatsachen zu Gunsten meiner Auffassung der Gastrulation der
Wirbelthiere und speciell der Amnioten. Es sind dies namentlich
folgende Thatsachen: 1) die Bildung des Mesoderms; 2) die Ent-
stehung des Canalis neurentericus und 3) die Bildung des Blutes.
1 E. van BENEDEN und CH. JuLın, Observations sur la maturation, la
fécondation et la segmentation de l’oeuf chez les Cheiroptéres. Arch. de Biol.
Ba. I.
ee oe ae
Theorie des Mesoderms. 169
Von der Bildung des Mesoderms soll später. die Rede sein. Was
die Entstehung des Canalis neurentericus betrifft, so ist es vor Allem
wichtig, die Stelle des Embryo oder der Keimscheibe genau ins
Auge zu fassen, an der dieser Kanal zur Entwicklung kommt. Nun
sehen wir, dass dieser Kanal, der sich bekanntlich schon beim Am-
phioxus findet und daher als uraltes Erbstück aller Wirbelthiere zu
betrachten ist, bei den Selachiern am hinteren Rande der Keim-
scheibe, bei den Amphibien an der dorsalen Blastoporuslippe und
bei den Amnioten am Vorderende der Primitivrinne zur Ausbil-
dung kommt. Es sind dies aber, wie früher aus einander gesetzt
wurde, korrespondirende Keimbezirke. Dabei ist es gleichgültig, ob
bei den Amnioten dieser Kanal früher oder später zum Durchbruche
kommt. Bei der Gans tritt er nach GassER erst im Stadium mit
14 Urwirbeln auf und ist am besten bei Embryonen mit 17—23 Ur-
wirbeln entwickelt. Beim Huhn kommt er, wie es scheint, über-
haupt nicht mehr zum Durchbruche. Es ist dies indessen, wie ge-
sagt, ziemlich gleichgültig, eben so gleichgültig, wie etwa, zu welcher
Zeit eine solide Drüsenanlage sich aushöhlt; wichtig ist dabei nur,
dass sich eine solche überhaupt aushöhlt, wenn anders die Drüse
noch funktioniren soll. Falls aber die Drüse rudimentär geworden
ist und überhaupt nicht mehr in Funktion tritt, kann es auch bei
der soliden Drüsenanlage sein Bewenden haben und die Ausbildung
eines Lumens ganz entfallen. Dasselbe kann auch für den Canalis
neurentericus gelten. Wir wissen nicht, ob er bei den Vorfahren
der Wirbelthiere jemals eine funktionelle Bedeutung hatte oder ob
er nur als embryonale Anpassungserscheinung anzusehen sei, die
eine Beziehung auf fertige Zustände nicht zulässt!. Wichtig aber
ist der Kanal in morphologischer Hinsicht, weil er uns homologe
Keimbezirke anzeigt und desshalb betrachte ich sein Auftreten am
ee a we A N
1 Vor längerer Zeit hat KowALevsky den Versuch gemacht, den Canalis
neurentericus in phylogenetischem Sinne zu deuten (»Weitere Studien über die
Entwicklungsgeschichte des Amphioxus« etc. Arch. f. mikr. Anatomie. Bd. XIII.
1877). Er sagt: »Die sonderbare Bildung des Nervensystems bei den Embryo-
nen vieler Wirbelthiere (Amphioxus, Amphibien, Store, Plagiostomen), bei
denen Darm- und Nervenrohr ein zusammenhängendes Rohr darstellen, lässt
uns vermuthen, dass vielleicht solche Thierformen existirten oder auch exi-
_stiren, welche ein dem Nervenrohr der Wirbelthiere homologes Rohr besitzen,
obgleich dasselbe eine andere Funktion erfüllt, dass- es z. B. ein Theil des
Darmkanales sei« etc. Ich glaube nicht, dass diese Ansicht Vertreter ge-
funden hat.
170 Carl Rabl
Da:
q
Y
'
Vorderende des Primitivstreifens als einen Beweis für die Richtigkeit —
meiner Ansicht.
Einen weiteren Beweis erblicke ich in der Bildung der ersten
Blutinseln. Wie unlängst RÜCKERT mitgetheilt hat und ich -be-
stätigen kann!, treten bei den Selachiern die ersten Blutinseln im
vorderen Bezirke der Keimscheibe, in geringer Entfernung vom
Rand, auf; sie bilden rundliche, scharf begrenzte Zellmassen, die
zur Zeit ihrer Entstehung etwas unter der Dotteroberfläche gelegen
sind. Bei den Amphibien erscheinen sie in der vor und ventral-
wärts vom Blastoporus gelegenen Dotterzellenmasse? und bei den
Amnioten machen sie sich zuerst, wie ich oben vom Huhn mitge-
theilt habe, in dem hinter dem Primitivstreifen gelegenen Keim-
scheibenbezirke bemerkbar. Das sind aber wieder Stellen, welche
nach den oben gegebenen Auseinandersetzungen einander entsprechen
müssen. Wollte man annehmen, dass die Gastrula der Amnioten
eine Discogastrula sei, so würde man der Thatsache, dass die Blut-
inseln hier im hinteren, bei den Selachiern dagegen im vorderen
Bezirke der Keimscheibe entstehen, ganz rathlos gegenüberstehen.
Endlich habe ich auch die Bildung des Mesoderms als einen
Beweis für die Richtigkeit meiner Auffassung angeführt. Die Be-
ziehungen des Mesoderms zum Primitivstreifen haben schon RAUBER,
BALFOUR, DuvAL, KUPFFER, HEAPE, HERTWIG, und in jüngster Zeit
namentlich van BENEDEN veranlasst, die Primitivrinne als Urmund-
rest und den Primitivstreifen als verwachsene Urmundränder aufzu-
fassen. Ich glaube indessen, dass auch hinsichtlich der Mesoderm-
bildung die Homologien noch weiter verfolgt werden können, als
dies bisher geschehen ist.
Am einfachsten gestalten sich wieder die Verhältnisse beim
Amphioxus. Hier bilden sich an der dorsalen Wand des Urdarmes,
rechts und links von der Medianlinie zwei Falten, die von HATSCHEK
sogenannten »Mesodermfalten«, welche von vorn nach hinten an Höhe
abnehmen und schließlich flach im Entoderm auslaufen. Indessen
dürfte es wohl gestattet sein, uns die beiden, vorn zu Falten er-
hobenen Mesodermstreifen nach hinten an den Seiten des Urmundes
! Ich bestätige RücKErRTs Angaben ausdrücklich nur in Beziehung auf
den Ort des ersten Auftretens der Blutinseln, nicht in Bezigbung 2 auf ihre
Abstammung.
? GÖTTE sagt: Ich »kann alle meine Beobachtungen gar nicht anders
deuten, als dass die Blutzellen bloß in der Dotterzellmasse entstehen« (Entw.
der Unke. pag. 500).
j Theorie des Mesoderms. 171
bis zu den an der ventralen Urmundlippe gelegenen großen Ento-
_ dermzellen, den »Polzellen des Mesoderms«, fortgesetzt zu denken.
Wir hätten dann an den Mesodermstreifen jederseits zwei Abschnitte
zu unterscheiden: einen vorderen, aus der dorsalen Wand des
Urdarmes, und einen hinteren, aus dem Entoderm des Urmund-
randes stammenden. Beide Abschnitte gehen ohne Unterbrechung
- in einander über. Den vorderen Abschnitt will ich als gastrales,
T+
den hinteren als peristomales Mesoderm bezeichnen. In beiden
Abschnitten geht das Mesoderm aus dem Entoderm hervor.
Auf diesen ungemein einfachen Bildungsmodus können die Vor-
gänge bei den Cranioten ohne Schwierigkeit bezogen. werden. Wie
beim Amphioxus müssen wir auch bei den Selachiern ein gastrales,
von der dorsalen Wand des Urdarmes entstehendes, und ein peri-
stomales Mesoderm unterscheiden. Das peristomale Mesoderm bietet
aber, wie nach den Eigenthümlichkeiten der Gastrulation nicht an-
ders zu erwarten ist, einige Besonderheiten dar. In Folge der durch
den mächtigen Nahrungsdotter hervorgerufenen Erweiterung des Ur-
mundes kann sich nämlich die Ursprungslinie des peristomalen Meso-
derms nicht mehr wie beim Amphioxus in direkter Verlängerung der
Ursprungslinie des gastralen Mesoderms nach hinten fortsetzen, son-
dern sie wird, dem Urmundrande folgend, seitlich abgelenkt werden.
Daraus resultiren die eigenthümlichen Bilder, welche Querschnitte
durch die hintere Keimscheibenhälfte im Stadium der Mesoderm-
bildung geben, indem wir hier an jeder Querschnitthälfte das Meso-
derm an zwei Stellen mit dem Entoderm im Zusammenhang sehen:
einmal neben der Chordaplatte und dann am Keimscheibenrande.
Wie beim Amphioxus gehen aber auch bei den Selachiern beide
Abschnitte des Mesoderms aus dem Entoderm hervor.
Eben so einfach wie bei den Selachiern stellen sich die Ver-
hältnisse bei den Amphibien. Wie die grundlegenden Untersuchun-
gen O. Hertwie’s gezeigt haben, müssen wir auch hier zwei Ab-
schnitte des Mesoderms unterscheiden, von denen der vordere durch
Einfaltung des Entoderms neben der Chordaplatte, der hintere durch
Einfaltung der entodermalen Lamelle des Umschlagsrandes entsteht.
Jener entspricht also dem gastralen, dieser dem peristomalen Meso-
derm der Selachier und des Amphioxus. Die geringe Ausdehnung
des Urmundes bringt es mit sich, dass die Ursprungslinien beider
Abschnitte ähnlich wie beim Amphioxus wieder in gerader Richtung
in einander übergehen.
Scheinbar komplicirter gestaltet sich die Mesodermbildung bei
172 Carl Rabl
den Amnioten. Es war im beschreibenden Theile wiederholt von
den Beziehungen des Mesoderms zum Kopffortsatze des Primitiv-
streifens und zum Primitivstreifen selbst die Rede. Diese Beziehun-
gen werden uns alsbald verständlich, wenn wir uns an das erinnern,
was oben von der Gastrulation der Amnioten gesagt wurde. Wir
müssen also bei der Beurtheilung der Mesodermbildung wieder von
dem Bilde ausgehen, das eine Amniotengastrula darbietet. Wir
wollen nun zum leichteren Verständnisse annehmen, es würde der
Urdarm nicht als eine fast durchaus solide Zellwucherung entstehen,
die nur an der Oberfläche eine relativ seichte Grube (Reptilien) oder
sagittale Rinne (Vögel und Säugethiere) zeigt, sondern vielmehr
in seiner ganzen Ausdehnung als hohle Einstülpung zur Ausbildung
kommen. Auf einem medianen Sagittalschnitte würde sodann eine
Amniotengastrula ungefähr folgendes Bild geben:
Fig. 4.
< . b a
en N Cm
R.)
d e
Die Strecke a—é würde dem Gastrulamund oder, mit Rücksicht
auf die Amnioten, der Primitivrinne entsprechen; das von d—c vor-
dringende Entodermsäckchen würde den Kopffortsatz vorstellen und
die dünne über den Dotter ausgebreitete Schicht de würde das in der
oben angegebenen Weise vom Entoderm abgeleitete Paraderm Kupr-
FER’s oder den Leeithophor van BENEDEN’s repräsentiren. Es bleibt
dabei im Grunde genommen ziemlich einerlei, ob und in welcher
Ausdehnung etwa diese Schicht mit dem Boden des Entodermsäck-
chens in Zusammenhang steht. Regelmäßig tritt, wenn nicht schon
früher ein soleher Zusammenhang besteht, in späterer Zeit eine
Verbindung zwischen Paraderm und eigentlichem oder embryonalem
Entoderm ein, so dass dann Gastralhöhle und Dotterhöhle einen ein-
heitlichen Hohlraum bilden. Diese Auffassung entspricht in allen
wesentlichen Punkten den Erörterungen, die VAN BENEDEN an Seine
Beobachtungen über die Keimblätterbildung der Säugethiere ge-
knüpft hat!.
1 Die hier gegebene Darstellung weicht von der in Würzburg gegebenen
uur in so fern etwas ab, als ich in Folge der Mittheilungen VAN BENEDEN’S
Theorie des Mesoderms. 173
Die Beziehungen des Mesoderms zum Urdarm würden an Quer-
schnitten durch den Kopffortsatz (Fig. 5 A) und die Primitivrinne
: (Fig. 5 B) sehr deutlich zum Ausdrucke kommen. Die beiden Figuren
entsprechen in jeder Hinsicht den thatsächlichen Verhältnissen, ab-
gesehen davon, dass im Kopffortsatz ein spaltförmiges Take wie
ein solches etwas später bei den Säugethieren als »Chordakanal«
auftritt, dargestellt ist und dass die Primitivrinne tiefer gezeichnet
ist als sie in Wirklichkeit erscheint. Ferner besteht bei den Vögeln
_ in den von mir untersuchten Stadien bereits eine Verbindung des
_ Kopffortsatzes mit dem Dotterblatt oder Paraderm, die sich wahr-
scheinlich bald nach dem Auftreten des Primitivstreifens ausgebildet
| haben dürfte. Jedenfalls ist dieselbe, wie ich gezeigt habe, beim
Beginn der Bildung des Kopffortsatzes schon vollzogen. Die dorsale
Hälfte des Kopffortsatzes würde die eigentliche Chordaplatte vor-
stellen (ch).
}
Fig. 5.
oo
a oF
Aus den beiden Figuren können wir ohne Weiteres entnehmen,
dass das Mesoderm des Kopffortsatzes dem gastralen, das des Pri-
PET
TTTTTTTT
= Ursprungslinie des gastralen Mesoderms; ... Ursprungslinie des peristomalen Mesoderms:
A Selachier; B Amphibien; C Amnioten,
mitivstreifens dem peristomalen Mesoderm der Anamnier entspricht.
Die Beziehungen zum Urdarm und Urmund sind genau dieselben
den Begriff des Paraderms oder Lecithophors präciser gefasst habe, als es
früher geschehen war.
174 Carl Rabl
wie bei den Amphibien oder Selachiern oder endlich beim Amphioxus,
und wie hier nehmen auch bei den Amnioten beide Theile des Me-
soderms aus dem Entoderm ihren Ursprung. In ähnlicher Weise
wie bei den Amphibien gehen auch bei den Amnioten gastrales und
peristomales Mesoderm kontinuirlich in einander über und wir können
uns daher umstehendes Schema von den Beziehungen dieser beiden
Theile zu einander entwerfen. |
Es würde mich zu weit führen, wenn ich im Einzelnen zeigen
wollte, wie sehr die hier vertretene Auffassung mit den Beobach-
tungen anderer Autoren, und namentlich Kuprrer’s, übereinstimmt.
Wenn ich auch nicht im Stande bin, mich den Ansichten des letzt-
genannten Forschers über die Gastrulation der meroblastischen Eier
der Wirbelthiere anzuschließen, so muss ich doch hervorheben, dass
unsere Kenntnisse über die erste Entwicklung durch seine Unter-
suchungen eine sehr wesentliche Förderung erfahren haben und dass
die thatsächlichen Ergebnisse dieser Untersuchungen ohne irgend
welche Schwierigkeit mit den hier mitgetheilten Schlussfolgerungen
in Einklang gebracht werden können.
Eben so wenig glaube ich im Einzelnen ausführen zu sollen,
in wie vielfacher Hinsicht meine Auffassung der Mesodermbildung
mit derjenigen O. Hertwic’s übereinstimmt. Wie in vielen mehr
oder weniger wichtigen Details stimme ich auch darin mit dem ge-
nannten Forscher überein, dass »das Einwachsen des Mesoblasts als
ein Einfaltungsprocess epithelialer Lamellen zu deuten« sei. Der
Einwand, der dagegen erhoben werden könnte, dass nämlich das
Mesoderm der meisten Wirbelthiere als eine solide, scheinbar nicht
aus zwei Epithelblättern bestehende Zellenmasse angelegt werde, ist —
von Hertwic in treffender Weise zurückgewiesen worden. Damit
dürfte auch der Abspaltungslehre der Boden entzogen sein; und
wenn Hıs meint, »die wirklich exakte, nicht auf bloße Scheineindrücke
hinarbeitende Forschung lasse die ältere Abspaltungslehre immer
noch in ihrem vollen Rechte bestehen«, so frage ich, auf wessen
Seite »die auf bloße Scheineindrücke hinarbeitende Forschung« zu
suchen sei.
Es erübrigt nur. noch einen Vorgang kurz in Betracht zu ziehen,
der für die Gesammtauffassung des Mesoderms von der größten
Wichtigkeit ist. HATSCHEK hat gezeigt, dass beim Amphioxus die
Ursegmente durch eine quere Abgliederung der Mesodermfalten ent-
stehen und dass stets ein Ursegment hinter dem anderen zur Aus-
bildung kommt. Die Bildung der Ursegmente ‚vollzieht sich also
Theorie des Mesoderms. 175
hier lediglich am gastralen Mesoderm, während das peristomale un-
segmentirt bleibt. Dasselbe ist, wie ich gegen RicKERT hervor-
gehoben habe, auch bei den Selachiern der Fall; aber auch die
Amphibien lassen, wie O. HERTWIG gezeigt hat, eine Segmentirung
nur im Bereiche des gastralen Mesoderms erkennen. Das peristomale
%
Mesoderm stellt eine Art indifferenter Bildungszone dar, die, so lange
überhaupt ein Blastoporus vorhanden ist, keine Segmentirung erfährt.
h
hier treten die Urwirbel, wie alle verlässlichen Beobachtungen zeigen
- Dasselbe gilt endlich auch für das Mesoderm der Amnioten; auch
und wie ich gegen Hıs betont habe, ausnahmslos vor dem Primitiv-
_ streifen, also im Bereiche des gastralen Mesoderms, auf, während
das Mesoderm des Primitivstreifens selbst, so lange dieser existirt,
unsegmentirt bleibt.
Die Metamerie des Wirbelthierkörpers nimmt also
ihren Ausgang stets vom gastralen, nie vom peristoma-
len Mesoderm.
Ein anderes Moment von eben so allgemeiner Gültigkeit liegt
in der Reihenfolge des Auftretens der Urwirbel. Gerade so wie
beim Amphioxus stets Ursegment hinter Ursegment auftritt und nie
eine Umkehrung dieser Entwicklungsfolge Platz greift, sieht man
auch bei den Cranioten stets Urwirbel hinter Urwirbel auf-
treten. Ich habe mich davon durch meine eigenen Untersuchungen
aufs bestimmteste überzeugt und werde darüber noch in meiner
Arbeit über die Entwicklung des Wirbelthierkopfes genau berichten.
Die gegentheiligen Angaben lassen sich meiner Ansicht nach auf
eine Täuschung zurückführen, die dadurch hervorgerufen werden
kann, dass der erste und älteste Urwirbel, der mit einigen der
nächstfolgenden an dem Aufbau des Kopfes Theil nimmt und später
als diskretes Segment verloren geht, bei keinem Cranioten vorn ab-
geschlossen ist, sondern stets kontinuirlich in das ungegliederte
Mesoderm des Vorderkopfes übergeht. Dieser erste Urwirbel tritt
ausnahmslos unmittelbar hinter jener Stelle auf, an der sich das
Gehörbläschen bildet.
Ich gehe nun zu einer anderen, eben so wichtigen als schwie-
rigen Frage über, zur Frage nach der Homologie des Meso-
derms der Bilaterien. Es ist diese Frage vor mehreren Jahren
von den Gebrüdern HERTWIG in Angriff genommen worden!. Sie
1 Osc. und RıcH. HERTWIG, Die Cölomtheorie. Versuch einer Erklärung
-des mittleren Keimblattes. Jenaische Zeitschr. für Naturwiss. Bd. XV. 1882.
176 “ Carl Rabl
sind dabei zu dem Schlusse gekommen, »dass man unter dem Worte
‚mittleres Keimblatt‘ bisher zwei ganz verschiedene Bildungen zu-
sammengefasst hat und dass es jetzt nothwendig ist, an Stelle des
alten unbestimmten zwei neue schärfere Begriffe einzuführen«. Die
beiden Bildungen, die man nach ihrer Ansicht streng aus einander
zu halten habe, werden als »Mesoblast« und »Mesenchym« bezeichnet
und folgendermaßen definirt: »Parietaler und visceraler Meso-
blast oder die beiden mittleren Keimblätter entstehen durch
Ausstülpung oder Einfaltung des Entoblasts, dessen Rest nun als
sekundärer Entoblast vom primären unterschieden werden kann.
Sie begrenzen einen neugebildeten Hohlraum, das Enterocoel, wel-
ches als abgeschnürtes Divertikel des Urdarmes zu betrachten ist.
Wie die zweiblätterigen Thiere von der Gasträa, so sind die vier-
blätterigen von einer Cölomform ableitbar.
»Embryonale Zellen, welche einzeln aus dem epithelialen
Verbande ausscheiden, halten wir für etwas von den Keimblättern
Verschiedenes und legen ihnen den besonderen Namen der Mesen-
chymkeime oder Urzellendes Mesenchyms bei. Sie können
sich sowohl bei zweiblätterigen als auch bei vierblätterigen Thieren
entwickeln. Sie dienen dazu, zwischen den epithelialen Begren-
zungslamellen ein mit zerstreuten Zellen versehenes Sekret- oder
Bindegewebe zu erzeugen, dessen Zellen indessen gleich den epi-
thelialen Elementen die mannigfachsten Differenzirungen eingehen
können. So entstehen aus ihnen die zahlreichen Formen der Binde-
substanz, Muskelfaserzellen, Nervengewebe, Blutgefäße und Blut.
Das Sekretgewebe im einfachen oder im differenzirten Zustande mit
allen seinen Derivaten bezeichnen wir als Mesenchym.«
Die Bezeichnungen »Ektoderm, Entodern und Mesoderm« reser-
viren die Gebrüder Herrwic für die Hauptschichten der ausge-
bildeten Thiere. Unter dem »Mesoderm« begreifen sie also »die
Summe aller Gewebe und Organe, welche zwischen die beiden Be-
grenzungsschichten eingeschoben sind, mögen sie aus Mesenchym-
keimen oder aus dem Mesoblast oder direkt aus einem der primären
Keimblätter ihren Ursprung nehmen« (pag. 122).
Nach Maßgabe der Art, in welcher sich die mittlere Körper-
schicht anlegt, werden die Bilaterien in zwei große Hauptabthei-
lungen gebracht, die Pseudocoelier und die Enterocoelier. Zu
den ersteren gehören die Mollusken und ein Theil der Würmer
(Bryozoen, Rotatorien, Plattwürmer); zu den letzteren die übrigen
Würmer (Nematoden, Chaetognathen, Brachiopoden, Anneliden und
Ben
;
a i A Aa i i a ee
Theorie des Mesoderms. 177
Gephyreen), die Enteropneusten, wahrscheinlich die Tunicaten, ferner
die Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten. Die Enterocoelier
besitzen eine echte, von Epithel ausgekleidete, urspriinglich paarige
und mit dem Darm kommunicirende Leibeshöhle, die Pseudocoelier
oder Schizocoelier dagegen entweder keine oder eine durch ein Lücken-
system repräsentirte oder endlich durch eine Konfluenz zahlreicher
Spalträume entstandene Leibeshöhle.
Bevor ich auf diese, mit eben so viel Scharfsinn als Sachkennt-
nis durchgeführte Theorie genauer eingehe, ist es nothwendig, die
einzelnen Gruppen der Bilaterien in Beziehung auf ihre Mesoderm-
bildung vorzunehmen. Dabei werde ich das Wort »Mesoderm« nicht
in dem von den Gebriidern Hertwie gebrauchten Sinne, sondern
in seiner ursprünglichen Bedeutung, also gleichbedeutend mit der
Bezeichnung »mittleres Keimblatt«, gebrauchen.
Die Echinodermen und Enteropneusten sollen in der folgenden
Betrachtung bei Seite gelassen werden. Was die Echinodermen be-
trifft, so liegen allerdings sowohl mit Rücksicht auf die Organisation
‚der Larven als auch hinsichtlich der ersten Entstehung des Meso-
derms Beobachtungen vor, welche ihre Stammesverwandtschaft mit
den Bilaterien darzuthun scheinen. So hat schon vor längerer Zeit
SELENKA eine bilaterale Anordnung der ersten Mesodermzellen bei
den Echiniden nachgewiesen!; sodann hat HarscHeK mitgetheilt,
»dass bei Toxopneustes lividus das Mesoderm auf zwei in der Me-
dianebene einander berührende Zellen am Entodermpole der Bla-
stula, die unter Theilungsvorgängen in die Furchungshöhle rücken,
zurückzuführen ist«?. Diese Beobachtung wurde bald darauf von
SELENKA für Sphaerechinus granularis, Echinus microtuberculatus
und Ophioglypha lacertosa bestätigt; derselbe Forscher hat die
‚beiden großen Mesodermzellen endlich auch bei Synapta digi-
tata gefunden, wo sie nur relativ später auftreten als bei den
Echiniden und Ophiuriden?. Auch Semon hat neuerdings? betont,
1 Emin SELENKA, Keimblätter und Organanlage der Echiniden. Zeitschr.
für wiss. Zoologie. Bd. XXXIIL 1880.
2 B. HATSCHEK, Über Entwicklungsgeschichte von Teredo. Arbeiten des
zool. Instituts zu Wien. Bd. III. pag. 30. 1880.
3 EMIL SELENKA, Studien über Entwicklungsgeschichte der Thiere. II. Heft:
Die Keimblätter der Echinodermen. Wiesbaden 15883,
4 RıcH. Semon, Die Entwicklung der Synapta digitata und die Stammes-
geschichte der Echinodermen. Jenaische Zeitschr. für Naturwissensch. Bd. XXII.
N..F. Bd. XV. 1888.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 12
178 -Carl Rabl
dass »nicht daran zu zweifeln « sei, dass die Echinodermen von bila-
teralen Geschöpfen abstammen, deren Grundform wahrscheinlich dureh
sitzende Lebensweise zu einer radiären abgeändert wurde. Indessen
liegen in der Bildung der Vasoperitonealblase oder des »Vasoeölom-
sackes« (SELENKA), sowie in dessen Zerfall in die Peritonealblasen
(Cölomsäcke) und den Wassergefäßapparat, endlich in einer großen
Menge anderer Eigenthümlichkeiten so merkwürdige Verhältnisse vor,
dass es mir sehr gewagt scheint, die Echinodermen unter die übrigen
Bilaterien einzureihen. Es bleibt immerhin zu bedenken, ob nicht
vielleicht die Echinodermen selbständig und unabhängig von den
übrigen Bilaterien sich von radiären Grundformen abgezweigt und
zu bilateralen Formen entwickelt haben. Sollten sie aber dennoch
mit den Bilaterien gleichen Ursprunges sein, so müssten sie sich schon
ungemein frühzeitig, schon vor jenem Stadium, welches während der
Ontogenese durch die Bildung der Vasoperitonealblase rekapitulirt
wird, von dem gemeinsamen Stamm abgezweigt haben. In diesem
Falle würde die Annahme einer Homologie ihres Mesoderms — aber
selbstverständlich nur desjenigen Mesoderms, das aus den beiden
großen Zellen hervorgeht — mit dem Mesoderm der Bilaterien zu
rechtfertigen sein.
Eben so fraglich scheint mir die Stellung der Enteropneusten
(Balanoglossus) zu sein. Wenn man sie zu den Würmern stellt, so
geschieht dies wohl nur desshalb, weil man sie sonst nirgends unter-
zubringen weiß und weil man von Alters her in diese Klasse alle
verwaisten Geschöpfe aufzunehmen pflegt.
Indem ich mich nun zu den zweifellosen Bilaterien wende, muss
ich bemerken, dass über die Mesodermbildung vieler wichtiger Grup-
pen bisher entweder gar keine oder sehr widerspruchsvolle Angaben
vorliegen. So theilt beispielsweise GörrE! hinsichtlich der Tur-
bellarien mit, dass bei Stylochopsis pilidium n. sp. kein Mesoderm
zur Sonderung komme, obwohl schon die Gastrula eine bilaterale
Symmetrie zeige. Im Gegensatze hierzu stehen die zwar sehr eigen-
thümlichen, aber sehr bestimmten Angaben SELENKA’s über die Bii-
dung der Keimblätter bei den Seeplanarien?. Es sollen hier die vier,
aus der zweiten Theilung hervorgegangenen Furchungskugeln oder
! Ar. GOrre, Abhandlungen zur Entwicklungsgeschichte der Thiere.
I. Heft. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Würmer. Leipzig
1882,
2 E. SELENKA, Zur Entwicklungsgesch. der Seeplanarien. Leipzig 1881.
Theorie des Mesoderms. 179
Dotterzellen zunächst gegen den aboralen Pol vier »Urektoderm-
-zellen« liefern, sodann vier »Urmesodermzellen« und schließlich gegen
den vegetativen Pol oder die orale Seite vier »Urentodermzellen«. Die
vier Dotterzellen selbst sollen später, nachdem eine von ihnen sich
nochmals getheilt hat, ihre Kerne verlieren und zum Nahrungs-
dotter werden. Später soll jede Urmesodermzelle durch fortgesetzte
Theilung einen Mesodermstreifen liefern. Es wären also hier vier
Mesodermstreifen vorhanden. Ähnlich lauten die Angaben A.
Lang’s! über die Mesodermbildung von Discocelis tigrina. Auch
nach ihm theilen sich die vier ersten Furchungskugeln durch eine
Aquatorialfurche in acht Zellen, von denen die vier kleineren wieder
als »Urektodermzellen«, die vier größeren als »Urentodermzellen«
bezeichnet werden. »Aus den vier Urentodermzellen sprossen vier
oder zweimal vier radiär angeordnete Urmesodermzellen hervor«
und erstere werden dadurch zu » Urenterodermzellen«. Diese selbst
theilen sich in solche, welche zum Aufbau des Darmes verwendet
werden und andere, die vom Embryo oder der Larve als »Nah-
rungsdotter« aufgebraucht werden. Die bilaterale Symmetrie soll
dadurch zum Ausdrucke kommen, dass eine der großen Enteroderm-
zellen sich in zwei Hälften theilt, die sich mit den anderen drei
mittleren Enterodermzellen so anordnen, dass je zwei derselben seit-
lich und eine unpaare nach vorn und oben zu liegen kommt.
Etwas besser scheinen unsere Kenntnisse hinsichtlich der Meso-
dermbildung der Rotatorien zu stehen. ZACHARIAS? giebt an, dass
bei Philodina roseola sich am Ende der Furchung von der großen,
durch ihr rothes Pigment leicht kenntlichen Entodermzelle zwei
kleinere, hochroth gefärbte Zellen abtrennen, von denen es weiter
heißt: »Ich stehe nieht an, diese rothen Zellen als die Anlage eines
mitteren Keimblattes zu deuten, aus dem die Ovarien, die Muskeln,
die Exkretionsgefäße und die keulenförmigen Organe (im Fuß) her-
vorgehen« (pag. 242). So gern ich dieser Angabe Glauben schenken
möchte, muss ich doch bemerken, dass mir eine Beobachtung über
das Schicksal der beiden Zellen lieber wäre als eine »Deutung«.
Etwas anders lauten die Angaben Tessıy’s? über die Entwicklung
1 ARNOLD Lang, Die Polycladen des Golfes von Neapel. Leipzig 1884.
Aus »Fauna und Flora des Golfes von Neapel«.
2 Otto ZACHARIAS, Über Fortpflanzung und Entwicklung von Rotifer
vulgaris. Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. XLI. 1885.
3 G. Tessin, Über Eibildung und Entwicklung der Rotatorien. Zeitschr.
für wiss. Zoologie. Bd. XLIV. 1886.
12*
180 Carl Rabl
von Eosphora digitata. Hier geht aus der Furchung, die schon
frühzeitig eine bilaterale Symmetrie erkennen lässt, eine solide Bla-
stula (Sterroblastula GÖTTE) und aus dieser durch Umwachsung eine
solide Gastrula (Sterrogastrula GÖTTE) hervor. Schon an der Bla-
stula machen sich drei, später sechs dunkle Zellen bemerkbar, welche
nach Ausbildung der Gastrula am Vorderrande des Prostoma gelegen
sind. Diese sechs Zellen werden alsbald in die Tiefe gedrängt und
kommen zwischen Ektoderm und Entoderm zu liegen; dabei theilen
sie sich. Sie bilden die Anlage des Mesoderms, das also »ektoder-
malen Ursprungs zu sein scheint«. Dieser scheinbar ektodermale
Ursprung soll sich aus einer »sekundären Abänderung« des bei an-
deren Bilaterien beobachteten Entwicklungsmodus erklären lassen.
Während ich mich mit diesen Erérterungen noch nothdürftig zu-
rechtfinden könnte, kommt aber bei der Mesodermbildung von Eos-
phora noch ein zweiter Punkt in Betracht, auf welchen Tessin selbst
mit Recht die Aufmerksamkeit lenkt. Die ersten Mesodermzellen
liegen hier nämlich am Vorderrande des Gastrulamundes, nicht am
Hinterrande, wie bei den übrigen Bilaterien. Tessıw beruft sich,
um ein Analogon zu haben, auf REICHEnBACH's Beobachtungen am
Flusskrebs. Indessen muss doch im Auge behalten werden, dass
beim Flusskrebs ein mächtiger Nahrungsdotter vorhanden ist und
dass ein solcher einen störenden Einfluss auf die primitiven Lage-
beziehungen des Mesoderms auszuüben im Stande ist.
Tessin hält es übrigens nicht für unmöglich, dass sich »auf
späteren Entwicklungsstadien vom Entoderm noch mesodermale Ele-
mente absondern«. Von den beiden, von ZACHARIAS beschriebenen
Zellen schreibt er, er sei »vollkommen überzeugt«, dass dieselben
durchaus identisch mit den Zellen seien, die auch er als Meso-
dermzellen angesprochen habe. Er bestreitet nur ihren entoder- —
malen Ursprung und meint, ZACHARIAS habe Vorn und Hinten ver-
wechselt.
Aus dem Gesagten dürfte wohl hervorgehen, dass unsere Kennt-
nisse in Beziehung auf die Mesodermbildung der Rotatorien noch
sehr im Argen liegen.
Besser steht es hinsichtlich der Nematoden und damit beginnt
zugleich die lange Reihe derjenigen Arbeiten, die mir für das Ver- —
ständnis der Mesodermbildung der Wirbellosen von Wichtigkeit zu
sein scheinen. Auf die Angaben BürscaLi's über die Mesodermbil-
dung von Cucullanus elegans glaube ich nicht eingehen zu sollen,
da GöTTE, der die Nematodenentwicklung später untersuchte, die
Theorie des Mesoderms. 181
Überzeugung ausspricht, dass Bürscntı die Anlage des Nerven-
systems für die Mesodermanlage gehalten habe. Von größter Wich-
tigkeit sind dagegen die Beobachtungen GöTTE’s über die Entwick-
lung der Rhabditis nigrovenosa!. Über die Bildung des Mesoderms
sagt GÖTTE: »Es ist bei Rhabditis die Abstammung des Mesoderms
vom Entoderm und zwar vom caudalen Ende desselben besonders
deutlich zu verfolgen. Das Hinausdrängen der beiden Mesobla-
sten (Urzellen des Mesoderms) aus der Tiefe bis über den
Entodermrand hinaus geschieht so schnell und präeis, dass mir eine
Verwechslung mit anderen gleichzeitigen Zellenverschiebungen un-
möglich erscheint, während andererseits beim Übersehen gerade
dieses einen Momentes der Ursprung der beiden bereits inmitten
des Prostoma liegenden Zellen nicht leicht erkannt werden kann.«
GOrre erwähnt noch, dass er einmal statt des Paares einen einzigen
sroßen Mesoblasten gesehen habe, hebt aber ausdrücklich die paarige
Anlage des Mesoderms als die Regel hervor. Später gehen aus den
beiden Urzellen des Mesoderms zwei ventral verlaufende Mesoderm-
streifen hervor.
Eben so bestimmt lauten die Angaben HATSCHER’s über die
Mesodermbilduug der Bryozoen?. Harscuex theilt mit, dass sich
bei Pedicellina schon sehr frühzeitig rechts und links neben dem
Hinterende des schlitzförmigen Gastrulamundes zwei große, stark
vorspringende Zellen bemerkbar machen, die Anfangs noch »vom
Ektoderm unbedeckt sind und ihre Abstammung vom Entoderm ihrer
Form und histologischen Beschaffenheit nach nicht verkennen lassen «.
Diese beiden Zellen bilden die Anlage des mittleren Keimblattes.
Sie rücken alsbald in die Tiefe und liefern später durch fortgesetzte
Theilung die beiden Mesodermstreifen. Noch durch geraume Zeit
bleiben am Hinterende jedes Streifens die beiden Urzellen durch
ihre Größe und sonstigen Charaktere leicht kenntlich.
In ganz eigenartiger Weise vollzieht sich bekanntlich die Me-
sodermbildung bei den Chaetaegnathen. Nachdem zuerst Kowa-
LEVSKY® einen eigenthümlichen Faltungsprocess des Entoderms der
1 Ar. GörrTE, Abhandlungen zur Entwicklungsgeschichte der Thiere.
I. Heft. Leipzig 1882.
2 B. HATSCHEK, Embryonalentwicklung und Knospung von Pedicellina
echinata. Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. XXIX. 1877.
3 A. KowALEysky, Embryologische Studien an Würmern und Arthro-
poden. Petersburg 1871.
182 Carl Rabl
Gastrula von Sagitta, der zur Bildung des Mesoderms fiihrt, be-
schrieben hatte, wurde diese Beobachtung zwei Jahre später von
BürschLı! aufs vollste bestätigt. Einige Jahre darauf hat O. HErT-
wic? die Entwicklung von Sagitta aufs Neue untersucht und die
Angaben seiner Vorgänger bestätigen und in einigen wichtigen Punk-
ten erweitern können. Nach den übereinstimmenden Angaben aller
dieser Autoren bilden sich zunächst an der aboralen und ventralen
Wand des Urdarmes zwei Entodermfalten, die in die Urdarmhöhle
hinein vorwachsen und, indem sie schließlich mit der oralen
und dorsalen Wand verwachsen, eine vollständige Scheidung des
ursprünglich einheitlichen Raumes in drei Räume bewirken. Der
mittlere dieser Räume wird zur Darmhöhle, die beiden seitlichen
zur Leibeshöhle; die beiden Epithellamellen, welche die Leibeshöhle
gegen den Darm und das Ektoderm bekleiden, werden zum visceralen
und parietalen Blatte des Mesoderms. Die Leibeshöhle ist also hier
ein direktes Derivat der Urdarmhöhle und die Gebrüder HERTWwIG
erblicken daher in der Sagitta das Prototyp eines Enterocoeliers.
Bei der in der Geschichte der Embryologie geradezu einzig da-
stehenden Übereinstimmung der Angaben der verschiedenen Autoren
— die wohl darin den Grund hat, dass kein schlechter Untersucher
über Sagitta gekommen ist — kann wohl kein Zweifel an der
Richtigkeit derselben aufkommen.
In ganz ähnlicher Weise verläuft nach KowALevskY? auch die
Bildung des Mesoderms bei einem Theil der Brachiopoden (Ar-
giope Neapolitana). Diese Beobachtung wurde später von SHIPLEY!
bestätigt; seine lakonischen Worte lauten: »The blastosphere becomes
slightly flattened at one pole and here an invagination takes place.
The invaginated layer forms three cavities, namely in the centre the
mesenteron, and two lateral cavities, which form the future body-
cavity .«
! 0. BürschLı, Zur Entwicklungsgeschichte der Sagitta. Zeitschrift für
wiss. Zoologie. Bd. XXIII. 1873.
? OskAR HERTWIG, Die Chaetognathen. Ihre Anatomie, Systematik und
Entwicklungsgeschichte. Jenaische Zeitschrift für Naturwiss. Bd. XIV. Jena
1880.
3 KOWALEVSKY, Untersuchungen über die Entwicklung der Brachiopoden.
Nachriehten der kaiserl. Gesellschaft der Freunde der Naturerkenntnis, der
Anthropologie und Ethnographie. Bd. XIV. Moskau 1874. (Russisch) Nur
im Referat Hover’s nach den vorläufigen Mittheilungen benutzt in SCHWALBE'S
Jahresbericht. Bd. II.
* ArTH. E. SHIPLEY, On the structure and development of Argiope. Mit-
theilungen aus der Zoolog. Station zu Neapel. Bd. IV. 1883.
Theorie des Mesoderms. 183
Ich reihe hier die zahlreichen Beobachtungen an, welche über
die Mesodermbildung der Anneliden vorliegen, wobei ich chrono-
logisch vorgehen werde. Die ersten bestimmten Angaben stammen
von KowALEVskY! und beziehen sich auf Euaxes und Lumbricus.
Wenn man die Zeichnungen, die KowALEVSKY seiner Beschreibung
der Euaxesentwicklung beigegeben hat, betrachtet, so kann man
wohl kaum darüber im Zweifel bleiben, dass das Mesoderm hier
wie bei so vielen anderen Formen aus zwei Zellen seinen Ursprung
nimmt; diese Zellen sind durch besondere Größe ausgezeichnet und
noch lange Zeit am Hinterende der beiden Mesodermstreifen leicht
kenntlich. Indessen leitet KowaLevsky das Mesoderm nicht aus-
schließlich von diesen zwei Zellen ab, sondern lässt an dessen Bil-
dung auch noch einige Zellen Theil nehmen, die ich für Ektoderm-
zellen halten möchte. Bei Lumbricus ist: es nach KOwWALEVSKY
jederseits nur eine Zelle, und zwar die dritte Entodermzelle, vom
Hinterende des Gastrulamundes an gerechnet, welche zur Mesoderm-
zelle wird. Indem sie aus der Reihe ihrer Genossen rückt und so-
dann durch Theilung zahlreiche kleinere Tochterzellen liefert, führt
sie zur Bildung je eines Mesodermstreifens.
Diese Angaben KowALEvsky’s sind, wie gesagt, die ersten be-
stimmten Angaben über Mesodermbildung der Anneliden, wie über
die Entwicklung der Anneliden überhaupt, und man wird wohl bei
aller Verehrung für KowALEvsKY nicht fehl gehen, wenn man sie
nicht bis auf den letzten Buchstaben für richtig hält.
Mehrere Jahre später folgten HATscHEr's »Studien über Entwick-
lungsgeschichte der Anneliden«?. Dieselben beziehen sich auf Criodrilus
und Polygordius. Über die Mesodermbildung von Criodrilus theilt
HATsScHEK mit, dass er in einem Stadium, welches der Gastrulation
vorausgeht, zwei Zellen beobachtet habe, welche sich durch ihre
eigenthiimliche Lagerung von den übrigen Zellen unterschieden.
Während nämlich diese noch »in einfacher Schicht um die Furchungs-
höhle gelagert« waren, lagen diese »zwei Zellen nach innen zu, von
der Oberfläche ausgeschlossen«. In diesen Zellen vermuthet Har-
SCHEK die erste Mesodermanlage; ihre Abkunft konnte nicht fest-
gestellt werden. »Nach Ablauf eines Processes, der zwischen Ein-
stülpung und Umwachsung die Mitte hält«, sieht man am Hinterende
1 KOWALEVSKY, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden.
Petersburg 1871.
2 B. Hatscuex, Studien über Entwicklungsgeschichte der Anneliden.
Arbeiten des zoolog. Instituts zu Wien. Bd. I. Wien 1878.
184 Carl Rabl
zwischen Ektoderm und Entoderm zwei Zellen, die zweifellos dem
Mesoderm den Ursprung geben und wohl auch mit den erwähnten
Zellen früherer Stadien identisch sein dürften. Diese beiden Zellen
bauen nun, indem sie nach vorn zu kleinere Zellen produeiren,
jederseits einen Mesodermstreifen auf, an dessen Hinterende sie, wie
ich mich selbst an HaTscHEK’s Präparaten überzeugt habe, noch in
späten Stadien deutlich sichtbar sind. Bei Polygordius konnte die
Entstehung des Mesoderms nicht beobachtet werden, da die jüngsten
untersuchten Larven schon einen kurzen Mesodermstreifen hatten.
Jedoch ist es von Wichtigkeit, dass HATSCHEK auch hier am Hinter-
ende jedes Mesodermstreifens eine durch ihre Größe und ihren
Körnchenreichthum ausgezeichnete Zelle auffinden konnte.
Ungefähr gleichzeitig erschien KLEINENBERG’s Abhandlung über
die Entwicklung von Lumbricus trapezoides!. Er konnte ebenfalls
die beiden großen Mesodermzellen nachweisen, ist jedoch der An-
sicht, dass das Mesoderm auch noch vom Ektoderm aus entstehe.
Damit stellt er sich in Gegensatz zu KOowALEvVSkY und HATSCHEK.
Zwei Jahre später theilte HarscHEek? die Ergebnisse seiner
Untersuchungen über die Entwicklung von Echiurus mit. Das
jüngste, zur Beobachtung gelangte Stadium war eine Trochophora.
Über das Mesoderm dieser Larve schreibt Harscuek: »Im Rumpfe
finden wir die sehr kurzen Mesodermstreifen, dem Ektoderm an-
liegend. Sie beginnen mit den zwei großen ovalen Polzellen, die
dicht vor dem After, einander in der Medianlinie berührend, liegen.
Sie zeigen jene eigenthümliche Furchungskugel- oder Eizellen-
ähnliche Beschaffenheit, wodurch sie sich von den weiter differen-
zirten Zellen der übrigen Körpertheile unterscheiden, — ganz so,
wie wir sie bei den anderen Anneliden (Lumbricus, Criodrilus, Poly-
gordius), Mollusken (Unio, Planorbis, Teredo) und Bryozoen (Pedi-
cellina) kennen gelernt haben. An diese Polzellen schließen sich
nach vorn zu, jederseits erst in einfacher Reihe, nur ganz vorn
zweireihig, die wenigen Zellen, welche die Mesodermstreifen zu-
sammensetzen. Sie zeigen eine ähnliche indifferente Beschaffenheit.«
Nun folgen die Untersuchungen GöTTE’s? über die Entwicklung
! N. KLEINENBERG, Sullo sviluppo de Lumbrieus trapezoides. Napoli 1878.
? B. HATSCHEK, Uber Entwicklungsgeschichte von Echiurus und die sy-
stematische Stellung der Echiuridae. Arbeiten aus dem zoolog. Inst. zu Wien.
Bd. III. Wien 1880.
3 A. GörtE, Abhandlungen zur Entwicklungsgeschichte der Thiere. I. Heft.
Leipzig 1882.
Theorie des Mesoderms. 185
der Chaetopoden. Nach GÖTTE ist das Mesoderm von Nereis Du-
merilii schon im Stadium von neun Zellen gesondert; es theilt sich
nämlich die größte der vier Entodermzellen des Achtzellenstadiums
in zwei ungleich große Zellen, von denen die größere Entodermzelle
bleibt, die andere den »Mesoblasten« vorstellt. Dieser theilt sich
später während der Schließung des Prostoma in zwei Zellen, » welche
symmetrisch zu beiden Seiten der Medianebene zwischen Ektoderm
und Entoderm und zwar in der Nähe des Hinterendes der Prostomial-
linie liegen«. Diese beiden Urzellen des Mesoderms liefern das ge-
sammte Mesoderm, indem sie sich fortgesetzt theilen und zunächst
die beiden Mesodermstreifen erzeugen. Ferner fand G6rre bei
Spirorbis nautiloides ein Stadium, in welchem ebenfalls, wie Anfangs
bei Nereis, ein großer » Mesoblast« zwischen Ektoderm und Entoderm
gelegen war; daraus dürfte wohl hervorgehen, dass hier die Meso-
_ dermbildung in derselben Weise abläuft wie bei Nereis.
Ich lasse nun HarscHer’s Darstellung der Mesodermentwicklung
von Sipunculus nudus! folgen, obwohl HATSCHEK in überzeugender
Weise dargethan hat, dass die Sipunculiden zu den Echiuriden in
keiner näheren Verwandtschaft stehen und überhaupt höchst wahr-
scheinlich nicht von einer gegliederten Stammform abzuleiten sind 2.
Bei Sipunculus ist die bilaterale Symmetrie schon am Ende der
Furehung deutlich ausgesprochen und die Elemente der Keim-
blätter sind zu dieser Zeit schon gesondert. Von den sieben Zellen
des Entodermfeldes ist eine, die hinterste, durch besondere Größe
ausgezeichnet; die Medianebene schneidet sie gerade in der Mitte.
Während der Abflachung und Einstülpung des Entodermfeldes theilt
sich diese Zelle in zwei gleiche, symmetrisch rechts und links von
der Medianebene gelegene Hälften, welche die beiden Urzellen des
Mesoderms vorstellen. Vor Schließung des Gastrulamundes rücken
sie aus der Reihe der übrigen Zellen in die Tiefe. Sie liefern durch
fortgesetzte Theilung die Mesodermstreifen, an deren Hinterende sie
als »Polzellen« noch lange durch ihre Größe leicht kenntlich sind.
Bald nach der Veröffentlichung dieser Arbeit erschienen Dra-
scHe’s® »Beiträge zur Entwicklung der Polychaeten«, in denen er
1B. HATSCHEK, Über Entwicklung von Sipunculus nudus. Arbeiten aus
dem zoolog. Institut zu Wien. Bd. V. Wien 1883.
2 HATSCHEK ist der Ansicht, dass die Echiuriden eine Unterordnung der
Chaetopoden bilden und die Klasse der Gephyreen aufzulösen sei.
3 R. v. DRASCHE, Beiträge zur Entwicklung der Polychaeten. I. Heft.
Wien 1884.
186 Carl Rabl
an der Trochophora von Pomatoceros triqueter am Hinterende der
Mesodermstreifen die Polzellen beschrieb.
Endlich sind noch die wichtigen Untersuchungen HATscHEr’s !
über die Entwieklung von Eupomatus uneinatus Philippi (Serpula
uneinata) hervorzuheben, die nicht bloß mit Rücksicht auf die Bil-
dung des Mesoderms, sondern auch mit Rücksicht auf die Entwick-.
lung der Anneliden überhaupt von größter Bedeutung sind. Bei
Eupomatus sind schon im Stadium von sechzehn Zellen Ektoderm
und primäres Entoderm (d. h. Entoderm + Mesoderm) gesondert.
Später, nachdem sich die Zellen durch Theilung weiter vermehrt
haben, sondern sich vom primären Entoderm zwei durch ihre Größe
und Form kenntliche Zellen, welche die »Urzellen des Mesoderms «
bilden. Diese sind schon im Stadium der Blastula vorhanden und
haben wieder die typische Lage am Hinterende des Entodermfeldes.
Sie liefern, nachdem sie in die Tiefe gerückt sind, die beiden Meso-
dermstreifen, an deren Hinterende sie als »Polzellen« noch lange
kenntlich bleiben.
Einige andere Abhandlungen über Annelidenentwicklung sollen
noch am Ende der Litteraturübersicht Berücksichtigung finden.
In sehr eigenthümlicher Weise scheint die Mesodermbildung bei
Peripatus zu verlaufen. Nach einem von BALFOUR? abgebildeten
Querschnitt eines Embryo von sechs Segmenten scheint das Meso-
derm hier in Form von paarigen Ausstülpungen der Urmundlippen
zu entstehen. Es würde dann die Leibeshöhle in ähnlicher Weise
wie bei Sagitta und Argiope direkt von der Urdarmhöhle abzuleiten
sein. Da jedoch BALFOUR nur wenige und schlecht konservirte Em-
bryonen zur Verfügung standen und auch der Embryo, welcher die
erwähnte Bildung zeigte, schon weit über das erste Stadium der
Mesodermbildung hinaus war, wird man gut thun, genauere Beob-
achtungen abzuwarten. Die spätere Publikation SEp@wıck’s? giebt
darüber keinen Aufschluss. Ganz abweichend von denen BALFour’s
sind die Angaben KEnners? über die Entwicklung von Peripatus.
1 B. HATSCHEK, Entwicklung der Trochophora von Eupomatus uncinatus
Philippi (Serpula uncinata). Arbeiten aus dem zoologischen Institut zu Wien.
Bd. VI. Wien 1885.
2 F. M. BALFOUR, The anatomy and development of Peripatus capensis.
Quart. Journ. of mier. science. 1883.
3 A. SEDGwIck, The development of Peripatus capensis. Quart. Journ. of
micr. science. 1885.
4 J. KENNEL, Arbeiten aus dem zool. zootom. Institute zu Würzburg.
Bd. VII.
=
Theorie des Mesoderms. 187
Sie lassen indess vielmehr den Wunsch nach abermaligen, von
umfassenderen Gesichtspunkten aus unternommenen Untersuchungen
rege werden, als dass sie einen befriedigenden Abschluss brächten.
Von besonderer Wichtigkeit sind die über die Mesodermbildung
der Crustaceen vorliegenden Angaben. Es kommen hier vor Allem
die trefflichen Arbeiten GROBBEN’s in Betracht. Bei Cetochilus sep-
_ tentrionalis' macht sich die erste Ungleichheit in der Größe der
einzelnen Elemente im Stadium von 32 Zellen bemerkbar. Die
weitere Furchung, die von GROBBEN mit der größten Genauigkeit
verfolgt wurde, führt dazu, dass sich an der ventralen Seite des
bilateral-symmetrischen Keimes ein verhältnismäßig kleines Ento-
dermzellenfeld bildet, an dessen Rand zwei Zellen liegen, die, wie
die spätere Entwicklung lehrt, als die beiden Urzellen des Meso-
derms aufzufassen sind. Es ist nun, wie wir später sehen werden,
von dem größten theoretischen Interesse, dass diese beiden Zellen,
noch bevor sie in die Tiefe rücken, sich in je zwei Zellen theilen,
so dass also schon im Stadium der Blastula vier Mesodermzellen
vorhanden sind. GROBBEN erörtert dann die Frage, ob nicht viel-
leicht allen vier Zellen der Name von »Urzellen des Mesoderms«
beigelegt werden solle, und kommt durch die Beobachtung späterer
Stadien, auf die hier nicht eingegangen werden kann, zum Schlusse,
dass man mit diesem Namen nur die beiden medianen der vier Zellen
bezeichnen dürfe. GROBBEN erwähnt ferner, dass er an dem Ei
einer anderen, nicht näher bestimmten Copepodenart zwei große
symmetrisch gelegene Zellen unter der Keimhaut gesehen habe, die
man als Urzellen des Mesoderms aufzufassen habe. Hier hatten
sich also diese Zellen, bevor sie in die Tiefe rückten, noch nicht
getheilt.
GROBBEN hält es ferner nach seinen Beobachtungen an einem
Sacculina- und einem Balanus-Nauplius für sehr wahrscheinlich,
dass auch hier das Mesoderm aus zwei Zellen hervorgehe. In
beiden Fällen findet sich nämlich rechts und links von der Median-
ebene ein kurzer Mesodermstreifen, der hinten mit einer großen Pol-
zelle abschließt.
Eine dem Wesen nach geringfügige, für die Auffassung des
ganzen Processes aber sehr wichtige Modifikation zeigt die Meso-
1 C. GROBBEN, Die Entwicklungsgeschichte von Cetochilus septentrionalis
Goodsir. Arbeiten des zoologischen Instituts zu Wien. Bd. III. 1881.
188 Carl Rabl
dermbildung bei Moina rectirostris!. Die Furchung ist superficial;
in einem verhältnismäßig frühen Stadium macht sich an der vege-
tativen Keimseite eine große Zelle bemerkbar, die später durch
wiederholt fortgesetzte Theilung das gesammte Entoderm liefert;
unmittelbar hinter ihr liegt eine durch ihre grobkörnige Beschaffen-
heit auffallende Zelle, die später die Geschlechtsorgane liefert und
daher von GROBBEN als Genitalzelle bezeichnet wird. Zu dieser
Zeit ist das Mesoderm noch nicht zur Sonderung gekommen. Erst
später, wenn die Genitalzelle durch zweimalige Theilung vier Zellen
geliefert hat und die Zahl der Entodermzellen durch wiederholte
Theilung der erwähnten primitiven Entodermzelle auf 32 gestiegen
ist, sieht man im Bogen um die vier Genitalzellen zwölf Zellen,
die sich durch ihre weitere Entwicklung als Mesodermzellen er-
weisen. Der Keim zeigt zu dieser Zeit längst eine bilaterale Sym-
metrie und es entfallen also auf jede Hälfte sechs Mesodermzellen.
Der Keim befindet sich noch im Stadium der Blastula. Erst jetzt
riicken die Mesodermzellen in die Tiefe und darauf folgt die Ein-
stülpung des Entoderms.
Demnach finden sich also bei der von GROBBEN nicht näher be-
stimmten Copepodenart zwei Mesodermzellen in der Blastula, bei
Cetochilus vier und bei Moina zwölf?. Wenn man nun die Ab-
bildungen der einander korrespondirenden Stadien mit einander ver-
gleicht, so überzeugt man sich, dass auch die Zahl der Zellen der
anderen Keimblätter bei den drei Arten in demselben Verhältnisse
zunimmt wie die Zahl der Mesodermzellen.
Von großem Interesse ist auch die Mesodermbildung der Deka-
poden. Hier verdient vor Allem hervorgehoben zu werden, dass es
nach einer Mittheilung W. K. Brooks’? sehr wahrscheinlich ist, dass
selbst bei einem langschwänzigen Dekapoden, bei Leueifer, das Meso-
derm nur aus zwei Zellen den Ursprung nimmt. Brooks sagt:
»When the egg is divided into about seventy two spherules one side
becomes flattened, and the two spherules, which oecupy the centre
1 ©. GROBBEN, Die Entwicklungsgeschichte der Moina rectirostris. Zu-
gleich ein Beitrag zur Anatomie der Phyllopoden. Arbeiten des zoolog. Instituts
zu Wien. Bd. II. 1879.
2 GROBBEN zählt die Genitalzellen zum Mesoderm; sie sind aber in der
Zahl 12 nicht inbegriffen.
3 W. K. Brooks, The embryology and metamorphosis of the Sergestidae.
Zoologischer Anzeiger. III. Jahrgang. 1880. Nr. 69.
Theorie des Mesoderms. 189
of the flattened area are pushed into the segmentation cavity, where
they probably give rise to the mesoderm«.
Bei der Mehrzahl der Dekapoden sind es aber nicht mehr zwei,
sondern zahlreiche Zellen, welche dem Mesoderm den Ursprung
geben. Ich stelle hier die neueste Publikation REICHENBACH’s über
die Entwicklung des Flusskrebses! allen anderen Arbeiten voran.
In dem jüngsten, von REICHENBACH untersuchten Stadium war nebst
anderen Eigenthümlichkeiten an der Oberfläche des Keimes eine be-
sonders charakterisirte, einschichtige, rundliche Zellplatte bemerkbar,
die REICHENBACH wegen ihres späteren Schicksales als » Entoderm-
scheibe « bezeichnet. Vor derselben findet sich eine Zone von Zellen,
die »nicht mehr ganz einschichtig« ist und die Ursprungsstelle des
Mesoderms darstellt. REICHENBACH giebt an, dass im Bereiche dieser
Zone Entoderm und Mesoderm nicht scharf von einander abgegrenzt
werden können. »Urzellen des Mesoderms« kommen, so weit die
Zweizahl in Betracht kommt, allem Anscheine nach beim Flusskrebs
nieht vor. Indessen bemerkt REICHENBACH, dass er »mehrfach Me-
sodermelemente von großen Dimensionen und annähernd symmetri-
scher Lagerung am vorderen Urmundrande gefunden« habe. —
Die erwähnte »Entodermscheibe« wird später in die Tiefe versenkt.
ein Process, der als Gastrulation aufzufassen ist. Dabei macht die
Bildung des Mesoderms weitere Fortschritte. Auch noch in späteren
Stadien (B, C und D nach REICHENBACH) findet man am vorderen
Urmundrande einzelne, durch besondere Größe ausgezeichnete Meso-
dermzellen, ja, einmal erwähnt REICHENBACH geradezu zwei solcher
Zellen, von denen er aber wieder — und, wie ich glaube, mit vol-
lem Rechte — dahingestellt sein lässt, ob sie den Urzellen zu ver-
gleichen sind. Wenn man den großen Zellenreichthum des Keimes
des Flusskrebses in sehr jungen Stadien in Betracht zieht, so kann
es durchaus nicht auffallend erscheinen, dass das Mesoderm nicht
mehr, wie bei zellenarmen Blastulae, in Form von zwei Zellen er-
scheint. Es ist eben nicht bloß die Zahl der Zellen des Ektoderms
und Entoderms, sondern auch jene des Mesoderms eine erheblich
größere geworden, als etwa bei den Anneliden- oder Gastropoden-
keimen. Auffallend ist bei der Mesodermbildung des Flusskrebses nur
! HEINRICH REICHENBACH, Die Embryonalanlage und erste Entwicklung
des Flusskrebses. Zeitschrift für wissensch. Zoologie. Bd. XXIX. Ferner:
Studien zur Entwicklungsgeschichte des Flusskrebses. Abhandl. der SENCKEN-
BERG’schen naturf. Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1886. Bd. XIV. I. Heft.
Ich habe mich an diese zweite Arbeit gehalten.
- teeny
190 Carl Rabl
ein einziger Umstand: die Entstehung vom vorderen Urmundrande.
Ich werde darauf später nochmals zurückkommen.
In späteren Stadien (vom Stadium D REICHENBACH'S an) lässt
das Mesoderm zweierlei Elemente erkennen, die als primäre
und sekundäre Mesodermzellen bezeichnet werden. Primäre nennt
REICHENBACH diejenigen, welche in der geschilderten Weise vom
vorderen Urmundrande entstehen. Von ihnen sind die sekundären
sowohl mit Rücksicht auf ihre Genese, wie auf ihre histologischen
Eigenthümlichkeiten wohl zu unterscheiden. Ihre histologischen
Charaktere werden folgendermaßen geschildert: »Sie sind von ge-
ringeren Dimensionen (als die primären Mesodermzellen), kugeliger
Gestalt, von eigenthümlichem schaumigem Aussehen, welches durch
Reichthum an Vacuolen verursacht erscheint. In ihnen befinden sich
immer mehrere, stark tingirbare, rundliche Körperchen.« REICHEN-
BACH deutet diese Elemente als mehrkernige Zellen. Sie mischen
sich unter die übrigeu Mesodermzellen, verbreiten sich in alle Re-
gionen des Körpers und verlieren später die erwähnten histologischen
Eigenthümlichkeiten, so dass sie sich von den übrigen Mesoderm-
zellen nicht mehr unterscheiden lassen. Hinsichtlich der Genese der
sekundären Mesodermzellen kommt REICHENBACH zu folgendem Er-
gebnisse: »Sie nehmen ihren Ursprung innerhalb derjenigen Ento-
dermzellen, welche die ventrale Wand des Urdarmsäckchens zu-
sammensetzen, durch eine näher zu erforschende Art endogener Zell-
bildung, bei welcher die in der Mehrzahl in den Elementen des
Entoderms vorhandenen Kerne eine wichtige Rolle zu spielen schei-
nen.« REICHENBACH vermuthet, »dass die sekundären Mesoderm-
zellen die Blutzellen liefern werden .
Gegen diese Untersuchungen REICHENBACH'S treten alle älteren
in den Hintergrund. Ich erwähne nur, dass schon BOBRETZKY! von
Astacus, HAECKEL? von Peneus und P. MAYER? von Eupagurus einen
ähnlichen Bildungsmodus des Mesoderms beschrieben haben. Ferner
soll bei Palaemon nach Bosretrzky das Mesoderm vom Entoderm
ı N. BOBRETZKY, Abhandlung über die Entwicklung von Astacus und
Palaemon. Kiew 1873. (Russisch.) Referat von Hover in HOFMANN-SCHWALBE’S
Jahresbericht. Bd. Il. 1875 (Litteratur 1873).
2 E. HAECKEL, Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Jenaische
Zeitschrift für Naturwissensch. Bd. IX. 1875.
3 PAUL MAYER, Zur Entwicklungsgeschiehte der Dekapoden. Jenaische
Zeitschrift für Naturwissensch. Bd. XI. 1877.
i
Theorie des Mesoderms. 191
abstammen und bei Oniscus soll es nach demselben Forscher! aus
‘einer gemeinsamen Anlage mit dem Entoderm hervorgehen.
Hinsichtlich der Mesodermbildung der Insekten hebe ich die
Arbeiten Kowauevsky’s? und Herper’s* hervor. Ich folge der Dar-
stellung HEıper’s, die in allen wichtigen, hier in Betracht kommen-
den Punkten mit der KowALEvsky's übereinstimmt; sie bezieht sich
auf die Entwicklung von Hydrophilus piceus. Ich werde auch hier
etwas ausführlicher sein müssen.
Die Blastodermbildung beginnt am hinteren, stumpfen Eipol
und schreitet nach vorn zu allmählich fort. Sodann werden die
Zellen an der Ventralseite höher und es bildet sich eine Platte aus,
die zu beiden Seiten durch eine seichte Furche und lateralwärts da-
von durch einen niedrigen Wall vom übrigen Blastoderm geschieden
wird. Die verdickte Blastodermplatte stellt die erste Anlage des
»unteren Blattes« KowArLevsky’s (Entoderm + Mesoderm) dar; sie
wird allmählich in die Tiefe versenkt, indem die beiden, dieselben
nach den Seiten begrenzenden Wälle höher werden, einander median-
wärts entgegenwachsen und schließlich mit einander verschmelzen.
Die Platte wird dadurch in ein allseitig geschlossenes Rohr mit
engem, rundlichem Lumen und dicker Wand übergeführt. Dieses
Rohr verbreitert sich im weiteren Laufe der Entwicklung, indem es
sich zugleich in dorso-ventraler Richtung abplattet; gleichzeitig wird
das Lumen zu einem queren Spalt, und die dasselbe begrenzenden
Zellen gehen allmählich aus hoch cylindrischen in mehr kubische
und endlich unregelmäßig polygonale Formen über.
Durch die Abflachung des Rohres und das Verschwinden seines
Lumens entsteht eine zweischichtige, dem Ektoderm anliegende Zell-
platte, die im weiteren Verlaufe das Mesoderm und Entoderm her-
vorgehen lässt. Man findet also jetzt an der Bauchseite drei Schich-
ten über einander. HEIDER glaubt, dass die Grenze zwischen innerer
und mittlerer Schicht dem in querer Richtung verbreiterten Lumen
des eingestülpten Rohres entspricht. Es ist dies, wie wir sehen
werden, in theoretischer Beziehung von Wichtigkeit.
Die nun folgenden Vorgänge haben weniger mit Rücksicht auf
1 N. BOBRETZKY, Zur Embryologie des Oniscus murarius. Zeitschrift für
wissenschaftliche Zoologie. Bd. XXIV.
2 A. KowALEVSKY, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden.
Petersburg 1871.
3 K. HEIDER, Über die Anlage der Keimblätter von Hydrophilus piceus.
Abhandlungen der kénigl. preuß. Akademie der Wissensch. zu Berlin. 1886.
192 Carl Rabl
die Frage nach der Mesodermbildung als mit Rücksicht auf die Auf-
fassung der Leibeshöhle der Insekten Interesse und sollen daher
noch in Kürze geschildert werden.
Die innere Schicht des »unteren Blattes« trennt sich alsbald in
der Medianlinie in zwei gleiche Hälften und diese ziehen sich nach
den Seiten zurück. Zwischen äußerer und innerer Schicht des un-
teren Blattes treten nun segmentweise Höhlen auf, die lateralwärts
gelegen sind und von einem kubischen Epithel begrenzt werden.
An der inneren Schicht des unteren Blattes sind daher von nun an
zwei, auch nach ihrer weiteren Entwicklung von einander verschiedene
Regionen zu unterscheiden: a) eine laterale, aus kubischen Zellen
bestehende, die zum Darmfaserblatt wird, und b) eine mediale, aus
unregelmäßig polygonalen oder rundlichen Zellen zusammengesetzte,
die das eigentliche Entoderm darstellt und zur Epithelschicht des
Mitteldarmes wird. Die äußere Schicht des unteren Blattes stellt
das Hautfaserblatt dar. Die Leibeshöhle soll nun nicht aus den
Ursegmenthöhlen hervorgehen, sondern aus einem Hohlraum, der
sich zwischen Dotter und somatischem Mesoderm bildet.
Vielleicht lassen sich mit diesen Angaben HEIDER’s, die, wie
gesagt, im Wesentlichen mit denen KowALEvskKY’s übereinstimmen,
auch bis zu einem gewissen Grade die Angaben Parren’s! über
Phryganidenentwicklung in Einklang bringen. Auch PATTEn lässt
das Mesoderm aus einer medianen Einstülpung der Bauchplatte her-
vorgehen; das Entoderm soll indessen der Hauptmasse nach durch
Delamination aus der Serosa und Bauchplatte entstehen. Die so ge-
bildeten Entodermzellen sollen sich im ganzen Dotter vertheilen und
später zum Epithel des Mitteldarmes werden.
Ich lasse nun noch eine Darstellung der Mesodermbildung der
Mollusken folgen. Was zunächst die Muscheln betrifft, so habe
ich? gezeigt, dass bei Unio schon in der Blastula zwei, symmetrisch
rechts und links neben der Medianebene gelegene Zellen vorhanden
sind, die sich durch ihre Größe und sonstige Beschaffenheit scharf
von den übrigen Zellen abheben. Diese zwei Zellen rücken später,
wenn sich die Blastula abzuflachen beginnt, in die Tiefe und liefern
alsbald durch fortgesetzte, inäquale Theilung zwei Mesodermstreifen,
! WILLIAM PATTEN, The development of Phryganids, with a preliminary
note on the development of Blatta germanica. Quart. Journ, of micr. science.
1884.
2 C. Rasy, Uber die Entwicklungsgeschichte der Malermuschel. Jenaische
Zeitschrift fiir Naturwissensch. Bd. X. 1876.
Theorie des Mesoderms. 193
an deren einem Ende, das ich damals für das Vorderende hielt, sie
noch lange kenntlich sind. Zugleich habe ich hier zuerst auf die
Wichtigkeit dieser beiden Zellen hingewiesen. Einige Jahre später
hat HatscueKk! die Entwicklung von Teredo untersucht und auch
hier die beiden Zellen wiedergefunden. Wie bei Unio und vielen
anderen, von Lovén untersuchten Formen ist auch bei Teredo die
bilaterale Symmetrie schon in den frühesten Stadien nachweisbar.
Das Mesoderm entwickelt sich aus zwei symmetrischen Zellen, » deren
Verwandtschaft mit den Zellen des inneren Blattes eine viel innigere
als mit jenen des äußeren« ist. Sie behalten, wie bei den anderen
Bilaterien, wo solche Zellen nachgewiesen worden sind, noch lange
ihre ursprüngliche Form und Beschaffenheit bei. Endlich ist vor
Kurzem eine Abhandlung ZiEGLER’s? über die Entwicklung von Cy-
clas erschienen, in der er hinsichtlich der Bildung des Mesoderms
— ZIEGLER spricht im Sinne HErTwıG’s von einem »Mesenchym «
— bemerkt, er sei »geneigt«, die Abstammung desselben von zwei
Urzellen anzunehmen, jedoch sei es nicht unwahrscheinlich, dass an
bestimmten Stellen des Ektoderms »Mesenchymzellen« auch vom
Ektoderm aus entstehen. ZIEGLER beruft sich auf die ähnlich lau-
tenden Angaben For’s über die Mesodermbildung der Heteropoden
und Pteropoden. Zu der Arbeit ZıesLer's habe ich zu bemerken,
erstens, dass man bei so günstigen Keimen, wie denen von Cyclas,
die frühesten Entwicklungsstadien nicht aus Schnittserien konstruirt
und zweitens, dass es besser ist, sich auf sich selbst als auf Andere
zu verlassen. Von Fot soll später die Rede sein.
Was die Mesodermbildung der Schnecken betrifft, so habe ich,
nachdem ich schon früher? auf die seitlich-symmetrische Anordnung
des Mesoderms bei jungen Embryonen von Limnaeus aufmerksam
gemacht hatte, die Bildung dieses Keimblattes bei Planorbis genau
untersucht. Es ist mir hier gelungen, die Furchung bis zur voll-
ständigen Sonderung der Elemente der drei Keimblätter Schritt für
1 B. HATSCHEK, Uber Entwicklungsgeschichte von Teredo. Arbeiten des
zoologischen Instituts zu Wien. Bd. III. 1880.
2H. ERNST ZIEGLER, Die Entwicklung von Cyclas cornea. Zeitschr. für
wissenschaftliche Zoologie. Bd. XLI. 1885.
3 C. Rast, Die Ontogenie der Süßwasser-Puimonaten. Jenaische Zeitschr.
für Naturwiss. Bd. IX. 1875.
4 C. RABL, Über die Entwicklung der Tellerschnecke. Morph. Jahrbuch.
Bd. V. 1879 und Rau, Über den » pedicle of invagination« und das Ende der
Furchung von Planorbis. Morph. Jahrbuch. .Bd. VI. 1880.
"Morpholog. Jahrbuch. 15. 13
194 Carl Rabl
Schritt zu verfolgen, was bis dahin noch bei keiner Thierform ge-
schehen war. Im Stadium von vierundzwanzig Zellen liegen am
vegetativen Pol vier durch Größe, Farbe und Körnchenreichthum
auffallende Zellen. Eine von diesen, und zwar, wie sich aus der
weiteren Entwicklung ergiebt, die hintere, theilt sich zunächst in
zwei ungleich große Hälften, von denen die kleinere, eben so wie
die drei noch nicht getheilten großen Zellen, Entodermzelle wird,
während die größere, durch welche die Medianebene mitten hindurch
schneidet, Mesodermzelle wird. Sodann zerfallen die drei großen
Zellen in je zwei ungleich große Hälften, so dass nunmehr das
Entodermzellenfeld aus vier kleinen und drei großen Zellen besteht.
Darauf theilt sich die Mesodermzelle in zwei gleich große Stücke,
welche symmetrisch rechts und links von der Medianebene gelegen
sind und die Urzellen des Mesoderms vorstellen. Wenn sich nun
auch die drei großen Zellen des Entodermzellenfeldes getheilt haben,
rücken die beiden Mesodermzellen in die Tiefe. Darauf folgt die
Einstülpung des Entodermzellenfeldes. Die beiden Mesodermzellen
erzeugen durch Anfangs gleiche, später ungleiche Theilung die Meso-
dermstreifen, an deren Hinterende sie lange durch Größe, Form und
Körnchenreichthum kenntlich bleiben.
Die große ‚Übereinstimmung, die sich bei allen Gastropoden im
Ablauf der Furchung kund giebt, lässt erwarten, dass auch die Meso-
dermbildung überall in wesentlich derselben Weise erfolgt. In der
That hat auch unlängst Parren! wesentlich denselben Modus bei
Patella gefunden. Er giebt an, dass der Embryo zuerst radiär-
symmetrisch sei und fährt dann fort: »This condition does not last
long for two large cells soon appear, one of each side of the four
endoderm cells, destroying the previous symmetry and transforming
our embryo into a bilateral organism.« Parren nennt diese beiden
großen Zellen »Endo-mesoderm cells«, da aus ihnen durch Theilung
je eine Entodermzelle, die an der Begrenzung der Wand des Mittel-:
darmes Theil nimmt, und je eine große Mesodermzelle hervorgehen.
Die beiden Urzellen des Mesoderms, »primitive mesoderm cells«,
liefern dann durch Theilung je einen Mesodermstreifen, »mesoblastic
chord«. »The primitive mesoblast cells are situated at the very po-
sterior extremity of the chords and are still easily recognized as,
such by their superiority in size.«
1 WILLIAM PATTEN, The embryology of Patella. Arbeiten des zoolog.
Instituts zu Wien. Bd. VI. 1885.
Theorie des Mesoderms. 195
Ferner hat KOWALEVSKY! gezeigt, dass auch bei Chiton das
Mesoderm aus zwei Entodermzellen des Gastrulamundrandes hervor-
geht; nur treten hier diese Zellen auffallend spät in die Erscheinung
und bleiben verhältnismäßig lange im Verband des Entoderms. Auch
bei Dentalium findet KowaLevsky? das Mesoderm schon in sehr
frühen Stadien in seitlich symmetrischer Anordnung.
Über die Mesodermbildung der Cephalopoden ist wenig zu be-
richten. Die Arbeiten Ray LANKESTER’s, BOBRETZKY'sS?, Ussow’s#
u. A. geben darüber keinen genügenden Aufschluss. Aus den Ar-
beiten der beiden letztgenannten Autoren lässt sich nur schließen,
dass das Mesoderm am Rande der Keimscheibe seinen Ursprung
nimmt; es ist aber bei der großen Zellenzahl des Blastoderms nicht
wohl zu erwarten, dass sich zwei Urzellen vorfinden werden. Ich
selbst habe zu Ostern des vergangenen Jahres in Neapel begonnen,
die Entwicklung von Loligo und Sepia zu untersuchen, bin indessen
hinsichtlich der Mesodermbildung noch zu keinem Resultate gelangt.
Damit schließe ich die Litteraturübersicht, so weit dieselbe bei
den späteren Schlussfolgerungen in Betracht kommen soll. Es war
nicht meine Absicht, alle Arbeiten vorzuführen, in denen von der
Entwicklung des mittleren Keimblattes die Rede ist. So habe ich
z. B. die Arbeiten Harrzz’ und Isao Irsıma’s über Turbellarienent-
wicklung oder die zahlreichen, von großem Fleiß zeugenden Arbeiten
BARROIS’ über Bryozoenentwicklung nicht erwähnt, da sie, mögen
sie auch sonst noch so schätzenswerthe Resultate zu Tage gefördert
haben, auf unsere Kenntnisse der Mesodermbildung doch keinen
nennenswerthen Einfluss genommen haben. Eine nicht unerhebliche
Zahl von Schriften wurde auch desshalb nicht berücksichtigt, weil
sie fast auf jeder Seite den Stempel der Ungenauigkeit und Kritik-
losigkeit tragen. Hierher gehören vor Allem die vielen Publikationen
For’s über Molluskenentwicklung; während seine früheren Schriften
über Pteropoden- und Heteropodenentwicklung noch hier und da eine
1 A. KowALEvsky, Embryogénie du Chiton Polii (Philippi). Ann. du
musée d’hist. natur. de Marseille. — Zoologie. Tome I. 1883.
2 A. Kowaevsky, Etude sur Pembryog&nie du Dentale. Ann. du Musée
d’hist. nat. de Marseille. 1883.
3 N. BOBRETZKY, Untersuchungen über die Entwicklung der Cephalopoden.
Moskau 1877. (Aus den Nachrichten der kaiserl. Gesellsch. der Freunde der
Naturerkenntnis, Anthropologie und Etnographie in Moskau. Bd. XXIV. Russisch
mit deutscher Tafelerklärung.)
4M. Ussow, Untersuchungen über die Entwicklung der Cephalopoden.
Arch. de Biologie. Bd. II. 1881.
13*
196 Carl Rabl
brauchbare Beobachtung enthielten, charakterisirt sich seine letzte
Schrift über Pulmonatenentwicklung als ein buntes Durcheinander
der absonderlichsten Fehler und Irrthümer. Ungefähr auf gleicher
Stufe steht P. B. Sarasin’s! Schrift über die Entwicklungsgeschichte
der Bithynia tentaculata. Es ist nur zu verwundern, dass diese
»Arbeit« jemals hat ernst genommen werden können; ich will daraus
nur eine Stelle citiren. Uber das Mesoderm heißt es: »Von einem
selbständigen, vom Ektoderm wohl geschiedenen Mesoderm ist bei
Bithynia gar nicht die Rede. Alle Organe bilden sich entweder
direkt oder indirekt aus vom Ektoderm zu diesem Behufe einge-
wandertem Material, mit Ausnahme eines einzigen Organs: der
Leber; aber merkwürdigerweise entsteht auch der Darm aus dem
Ektoderm. Von einer Entstehung des Mesoderms aus einer Zelle
am Gastrulamundrand, wie z. B. RABL es beschreibt, fand ich gar
nichts. Wohl vermehren sich die Ektodermzellen an dieser Stelle,
aber das ist Alles. Die Mesodermelemente entstehen überall.«
Daran reiht sich, was Kritik und Genauigkeit betrifft, eine Ab-
handlung Korotnerr’s? über die Entwicklung von Gryllotalpa. Ein
paar Worte werden genügen, um sie zu kennzeichnen. Die »Zellen«,
sagt KOROTNEFF, welche den Blastodermzellen den Ursprung geben,
sind »absolut kernlos«; »die Kerne der Blastodermzellen sind karyo-
kinetisch und lassen an jedem ein stark lichtbrechendes Kügelchen,
von dem ein perlschnurartiger Faden ausgeht, unterscheiden«. Die
Gastrula ist »diffus«.
Reich an interessanten Mittheilungen sind auch die Publikationen
BERGH’s über Hirudineenentwicklung. Bei Nephelis® sollen die Em-
bryonen einer so gründlichen Häutung unterzogen werden, dass es
nur merkwürdig ist, dass dabei überhaupt noch etwas übrig bleibt.
Die beiden Streifen an der Bauchseite der Nephelisembryonen, die
ich nach eigener Untersuchung für die Mesodermstreifen halte, be-
zeichnet BERGH als »Rumpfkeime« und aus ihnen und den soge-
nannten »Kopfkeimen«, die mit der Scheitelplatte identisch sein
dürften, sollen die Anlagen sämmtlicher ektodermaler-und mesoder-
maler Theile des Kopfes resp. des Rumpfes hervorgehen. Die pri-
ı P.B. Sarasin, Entwicklungsgeschichte der Bithynia tentaculata.. Inaug.-
Diss. Würzburg 1882.
2 A. KoOROTNEFF, Die Embryologie der Gryllotalpa. Zeitschrift für wiss.
Zoologie. Bd. XLI. 1885.
3 R. S. BERGH, Über die Metamorphose von Nephelis. Zeitschr. für wiss.
Zoologie. Bd. XLI. 1885. i
|
|
u
Theorie des Mesoderms. 197
mitive Epidermis, sowie die provisorische Muskulatur sollen dagegen
abgeworfen werden.
Auf die Angaben Srossicu’s über die Entwicklung der Chaeto-
poden brauche ich wohl nicht einzugehen, da sie bereits von HaAr-
SCHEK zurückgewiesen worden sind.
Was die Untersuchungen Wuirman’s über Clepsine, ferner CALD-
WELL’s und FOETTINGER’s über Phoronis betrifft, so scheinen sie mir
noch einer kritischen Revision bedürftig.
Eine gewisse Sonderstellung in der Frage nach der Mesoderm-
bildung nehmen die zahlreichen entwicklungsgeschichtlichen Arbeiten
SALENSKY’s ein. Wäre es meine Absicht gewesen, möglichst viele
Fälle vorzuführen, in denen die zwei Urzellen beschrieben wurden,
so hätte ich auch auf diese Publikationen SALENsKY’s Rücksicht
nehmen müssen; denn SALENSKY giebt an, dass bei Psygmobranchus
und Nereis diese beiden Zellen vorhanden sind!. Eine ähnliche
Angabe findet sich in BEeArp’s Abhandlung über die Entwicklung
von Myzostoma?. Ich verzichte indessen darauf, auf diese Angaben
Schlüsse zu bauen.
SALENSKY setzt im zweiten Theil seiner Studien über Anneliden-
entwicklung seine Ansichten über den Ursprung und die Bedeutung
des Mesoderms aus einander. Er unterscheidet am Mesoderm der
Anneliden ein Rumpfmesoderm (mésoderme somatique) und ein Kopf-
mesoderm (m&soderme cephalique); beide können, wie bei Terebella
und Aricia, unabhängig von einander entstehen. Das Rumpfmeso-
derm, welches aus den beiden Mesodermstreifen (bandelettes méso-
dermiques) besteht, zeigt am Hinterende zuweilen die großen »Ur-
mesoblasten« GörtE's oder »Polzellen« HarscHeK’s. Diesen wird
indessen keine tiefergehende Bedeutung zugeschrieben. »Partout oü
jai réussi 4 observer les jeunes stades de l’evolution du mésoderme
somatique, ce feuillet, & son début, consistait en un épaississement
ectodermique, qui, sous forme de deux bandelettes, régne suivant
l’axe longitudinal du corps; ce n’est que dans le cours du dévelop-
pement qu'il se sépare de lectoderme.«
Einen weiteren Exkurs über Mesodermentwicklung findet man
in SALENSkY’s neuester Arbeit über die Entwicklung von Vermetus?.
! W. SALENSKY, Etudes sur le développement des Annélides. Arch. de
Biol. Bd..III. 1882 und Biolog. Centralblatt. Bd. II. Nr. 7.
2 JoHN BEARD, On the life-history and development of the genus Myzo-
stoma. Inaug.-Diss. Leipzig 1884.
3 SALENSKY, Etudes sur le développement du Vermet und Etudes ‘sur le
développement des Annélides. IJ. Partie. Arch. de Biol. Bd. VI. 1885.
198 Carl Rabl
Er kommt hier zunächst zu folgenden Schlüssen: »1) Le mésoderme
se forme aux dépens de l’ectoderme; 2) les cellules ectodermiques
qui donnent naissance au mésoderme se multiplient par voie directe
ou amitosique; 3) l’ébauche du mésoderme a une répartition bilate-
rale.« Ich brauche wohl kaum. zu erwähnen, dass der zweite Satz
hinreicht, um den ersten zu widerlegen. Wer heute noch ohne die
gewichtigsten Gründe und abgesehen etwa von den Leukoeyten und
gewissen pathologischen Processen von »amitotischer Theilung « spricht,
beweist, dass die histologischen Errungenschaften des letzten De-
cenniums spurlos an ihm vorübergegangen sind.
Die Angaben KLEINENBERG’s schließen sich in vieler Hinsicht
denen SALENSKY’S an.
In seiner neuesten Arbeit über Lopadorhynchus! geht KLEINEN-
BERG sehr radikal vor. Ein mittleres Keimblatt existirt nach ihm
überhaupt nicht; die Ableitung des Mesoderms von zwei Zellen hält
er für ganz verfehlt und sucht die Beobachtungen GöTTE’s an Nereis
dadurch abzuthun, dass er sie »nicht einmal des Aufschreibens, ge-
schweige denn des Druckens werth« erklärt. Diese Liebenswürdig-
keit muss mit der Bemerkung GöTTE’s zusammengehalten werden,
dass die Beobachtung KLEINENBERG’sS hinsichtlich des ektodermalen
Ursprunges des Mesoderms bei Lumbrieus »durchaus nicht von über-
zeugender Bestimmtheit« sei und daher »zunächst nicht als eine
Thatsache aufgeführt werden könne«. KLEINENBERG sucht die Or-
ganisation junger Annelidenlarven auf die Organisation der Medusen
zurückzuführen und unterscheidet demgemäß an einer Trochosphaera
oder Trochophora eine Umbrella und Subumbrella, ein Ringnerven-
system, eine Neuromuskelanlange ete.; selbstverständlich kann dann
von einem Mesoderm im gewöhnlichen Sinne nicht die Rede sein.
KLEINENBERG glaubt auch bei den Mollusken ein Neuromuskel-
system finden zu können und beruft sich in dieser Hinsicht auf die
oben eitirte Abhandlung Sarasın’s. Ich muss aber eine solche Mög-
lichkeit auf Grund meiner Erfahrungen von der Hand weisen und
glaube aus den Bildern, die ich an HATscHEX’s Präparaten gesehen
habe, schließen zu dürfen, dass sich KLEINENBERG auch hinsichtlich
der Anneliden in einem Irrthume befindet.
Fragen wir uns nun zunächst, bei welchen Bilaterien die
Leibeshöhle als ein Derivat der Urdarmhöhle entsteht.
1 N. KLEINENBERG, Die Entstehung des Annelids aus der Larve von Lo-
padorhynchus. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLIV. 1886.
Theorie des Mesoderms. 199
Aus der obigen Litteraturübersicht geht hervor, dass dies außer bei
den Wirbelthieren nur bei Sagitta, einem Theil der Brachiopoden
und, falls die Beobachtungen BaLrour's sich bestätigen sollten, bei
den Onychophoren (Peripatus) der Fall ist. Nur diese Formen dür-
fen wir, wenn wir der Entwicklungsgeschichte überhaupt eine syste-
matische Bedeutung zuschreiben, als Enterocoelier bezeichnen. Da-
durch kommen wir aber in eine neue Verlegenheit: denn einerseits
werden diese Formen durch keinerlei nähere verwandtschaftliche
Bande zusammengehalten, andererseits nehmen die Onychophoren
eine so merkwürdige Zwitterstellung zwischen den Anneliden und
Tracheaten ein, dass es nicht wohl angeht, sie von denselben zu
trennen.
Nun rechnen aber die Gebrüder HERTwIG auch noch (ganz ab-
gesehen von den Echinodermen und Enteropneusten) die Nematoden,
Anneliden und Arthropoden zu den Enterocoeliern. Wir müssen uns
daher die Frage vorlegen, ob nicht vielleicht die Art der Entstehung
ihrer Leibeshöhle auf die Bildung eines Enterocoels zurückzuführen
sei und nur durch cenogenetische Vorgänge verändert wurde.
Über die Bildung der Leibeshöhle der Nematoden liegt nichts
vor, was für die Existenz eines Enterocoels sprechen würde: im
Gegentheil lassen die Mittheilungen GöTTE’s keinen Zweifel zu, dass
das Mesoderm in genau derselben Weise aus zwei Urzellen entsteht,
wie etwa bei den Gastropoden. Zur Zeit der Publikation der Ge-
brüder HerrwIe lagen über die Entwicklung der Nematoden nur
die dürftigen Untersuchungen BürscaLr's über die Entwicklung von
Cucullanus vor; nun benutzen die Gebrüder HERTwIG eine Bemer-
kung BürschLis, die offenbar nur den Zweck hatte, recht nach-
drücklich zu betonen, dass das Mesoderm nicht durch einen Fal-
tungsprocess entsteht, um ihre Annahme zu stützen, dass die Nema-
toden doch Enterocoelier seien. Ich will die beiderlei Bemerkungen
neben einander setzen. BüÜTscHLI! sagt: »Von prineipieller Bedeu-
tung ist nun wieder die Entstehung des mittleren Blattes. Ich hatte
längere Zeit geglaubt, dass dasselbe durch einen im vorderen Ab-
schnitt des inneren Blattes statthabenden Faltungsprocess sich anlege,
musste diese Ansicht jedoch bei näherer Einsicht fallen lassen. Das
mittlere Blatt nimmt jedenfalls seinen Ursprung von einigen ganz
dicht an der Mundöffnung gelegenen Zellen des inneren Blattes.«
ı O0. BürschLi, Zur Entw. des Cucullanus elegans. Zeitschrift für wiss.
Zoologie. Bd. XXVI.
200 Carl Rabl
Dazu meinen die Gebrüder Hertwic: »Wir möchten jetzt auf die-
selbe (die urspriingliche Vermuthung) doch wieder zuriickkommen.
Wer die Embryonen der Nematoden aus eigener Anschauung kennt,
weiß, wie klein dieselben und ihre Elementartheile sind und wie
schwierig es sein kann, auf dem optischen Durchschnitt zu bestim-
men, ob eine Zellenlage einfach oder doppelt ist.« Wie unbegründet
diese Vermuthung war, hat bald darauf GÖTTE gezeigt. © :
Eben so wenig wie den Nematoden kommt den Anneliden
ein Enterocoel zu. Wir müssen hier von den Verhältnissen bei
Peripatus absehen: einerseits sind die über seine Entwicklung vor-
liegenden Beobachtungen noch so lückenhaft, dass es; gerathen er-
scheint, sie noch nicht zum Ausgang für weitgehende Schlussfolge-
rungen zu nehmen; andererseits bietet Peripatus, selbst wenn man
ihn zu den Anneliden stellen wollte, nichts weniger als ursprüngliche
Verhältnisse. Wir würden, wenn BaLrour’s Angaben sich bestätigen
sollten, die Mesodermbildung des Peripatus von derjenigen der an-
deren Anneliden und nicht umgekehrt ableiten müssen. Endlich ist
Barrour’s Abhandlung erst nach der Publikation der Cölomtheorie
erschienen und konnte daher für diese nicht maßgebend sein. Aber
weder die früheren noch die späteren Arbeiten über Annelidenent-
wicklung sind der Auffassung der Gebrüder Hertwie günstig.‘ Wenn
diese zur Bekräftigung ihrer Theorie eine von HATscHEK gegebene
Abbildung eines Echiurusembryo reproduciren, so ist dazu nur zu
bemerken, dass die Kopie gerade in dem wichtigsten Punkte vom
Original abweicht. Mag man sich auf Seite KLEINENBERE’s. und
SALENSKY'S oder auf Seite KowaLEvsky’s, HATSCHEK’s und GÖTTE’s
stellen, man wird in keinem Falle auch nur den Schatten eines Be-
weises für die Cölomtheorie finden können. Nirgends bildet sich die
Leibeshöhle in der von der Theorie geforderten Art; überall entsteht
zunächst ein paariger Mesodermstreifen, und überall bildet sich die
sekundäre Leibeshöhle durch Auseinanderweichen der diesen Strei-
fen zusammensetzenden Elemente. In allen diesen Punkten stimmen
die Anneliden mit den echten »Schizocoeliern«, vor Allem den Mol-
lusken, überein. Dieselbe Übereinstimmung zeigt sich auch in der
allerersten Entstehung des Mesoderms. Wie bei Unio, Teredo, Pla-
norbis, Chiton, Patella u. A. treten auch bei Lumbricus, Nereis;
Criodrilus, Serpula u. A. zunächst zwei Mesodermzellen in die Er-
scheinung, deren Beziehungen zum Entoderm des Gastrulamundes
hier wie dort die gleichen sind. So stimmen also die typischen
» Schizocoelier« mit den typischen »Enterocoeliern« in allen wesent-
Theorie des Mesoderms. 201
liehen Punkten überein. Es scheint mir keinem Zweifel zu unter-
liegen, dass sich die Gebrüder Herrwic nur durch die Ähnlichkeit
der allgemeinsten Formverhältnisse der Anneliden und Vertebraten,
die in erster Linie: in der Metamerie ihres Körpers zum Ausdrucke
kommt, verleiten ließen, die Anneliden zu den Enterocoeliern zu
stellen.
Wenn wir aber die Anneliden nicht als Enterocoelier im interna
schen Sinne gelten lassen können, so muss natürlich das Gleiche
von den Arthropoden gelten. Hinsichtlich der Mesoderm- und Leibes-
höhlenbildung der Crustaceen sind mir keine Beobachtungen bekamt,
die sich im Sinne der Cölomtheorie verwerthen ließen. Was die
_ Tracheaten betrifft, so sind unsere Kenntnisse in Betreff der Leibes-
- höhlenbildung noch zu lückenhaft, um einen sicheren Schluss zu ge-
statten. Da die Tracheaten wohl von Onychophoren-artigen Formen
abzuleiten sein dürften, so wäre es ganz gut möglich, dass ihre
ee Aa
Leibeshöhle als eine Art Enterocoel zu deuten wäre; dabei bleibt
aber zu bedenken, dass unter allen Umständen die Mesodermbildung
von Peripatus von der Mesodermbildung der Anneliden abgeleitet
werden muss und dass daher auch die Leibeshöhlenbildung von Pe-
ripatus und den Tracheaten nicht mehr die ursprünglichen Verhält-
_ nisse darbieten kann.
Eben so wenig wie die Entwicklungsgeschichte spricht auch die
vergleichende Anatomie zu Gunsten einer Scheidung der Bilaterien
in Pseudocoelier und Enterocoelier. Wie gesagt, sollen nach den
Gebrüdern HErTwIG die Mollusken typische Pseudocoelier sein; sie
werden stets vorangestellt, um die Charaktere dieser großen Bilaterien-
- gruppe zu erläutern. Hören wir nun, wie einer der besten Kenner
SaaS Bi a u
N a 200
der Molluskenanatomie, GROBBEN, darüber urtheilt. In seinen Stu-
dien über die Leibeshöhle der Cephalopoden!, in denen auch die
Leibeshöhlenverhältnisse der übrigen Mollusken volle Berücksichti-
gung finden, sagt dieser Forscher: »Wenn O. und RıcH. HERTwIG
schreiben: ‚Dem Schizocoel der Mollusken fehlt ein flimmerndes
Epithel, es fehlen ihrem Darmkanal die Mesenterien und die Disse-
pimente, ihre Geschlechtsprodukte entwickeln sich nicht aus dem
Epithel der Leibeshöhle und werden nicht in dieselbe entleert, son-
| dern stellen follikuläre Drüsen dar, welche direkt in eigene, oft
1 C. GROBBEN, Morph. Studien iiber den Harn- und Geschlechtsapparat,
sowie die Leibeshöhle der rg Arbeiten des zoolog. Instituts zu
Wien. Bd. V. 1884. 8
202 Carl Rabl
komplieirt gebaute Ausführwege übergehen. Die in den Perikardial-
raum einmündenden Nieren dienen ausschließlich der Exkretion und
werden nicht zur Ausfuhr der Geschlechtsstoffe benutzt, höchstens
dass sich die Ovidukte oder Vasa deferentia hier und da mit ihnen
nahe an der äußeren Mündung vereinigen‘, so lassen sich ge-
rade die entgegengesetzten Thatsachen nachweisen.«
Nach Aufzählung dieser Thatsachen sagt GROBBEN: »Die Mollusken
besitzen daher alle für die Enterocoelier charakteristischen Merkmale
und wären daher auch nach der Definition der Gebrüder HErTwIG
Enterocoelier.c Einen schlagenderen Beweis für die Unhaltbarkeit
der Cölomtheorie, als ihn GROBBEN mit dem Nachweise erbracht
hat, dass die typischen Schizocoelier alle charakteristischen Merkmale
der typischen Enterocoelier besitzen, kann man sich in der That
nicht denken. Ich kann daher auch verzichten, die zahlreichen, von
anderen Forschern erhobenen Einwände zu eitiren. |
So werden wir also wieder zu der Frage zurückgeführt, ob nicht
vielleicht doch die Mesodermbildung aller Bilaterien auf einen ge-
meinsamen Grundtypus zurückgeführt werden könne.
Wir müssen dabei zwei Fragen streng aus einander halten: die
Frage nach der Bildung des Mesoderms und jene nach der Ent-
stehung der Leibeshöhle. Beide Fragen können indessen unter Um-
ständen zusammenfallen; dann haben wir die Ursachen davon zu
ermitteln.
Die Beobachtungen über die Bildung des Mesoderms der Bila-
terien gestatten uns, zunächst folgende Sätze aufzustellen:
A. Das Mesoderm der Bilaterien entsteht entweder 1) aus zwei
Zellen oder 2) aus einer größeren Zahl von Zellen. Entsteht es aus
einer größeren Zahl von Zellen, so tritt es entweder in Form einer
soliden Wucherung oder in Form einer Divertikelbildung in die Er-
scheinung. B. Überall zeigt es, sobald es einmal eine selbständige
Schicht bildet, eine bilaterale Symmetrie.
Die beiden Urzellen des Mesoderms sind bisher in folgenden
Fällen mit Sicherheit nachgewiesen : bei Rhabditis, Pedicellina, Lum-
brieus, Criodrilus, Nereis, Sipunculus, Serpula, Cetochilus, einer nicht
näher bestimmten Copepodenspecies, Unio, Teredo, Planorbis, Pa-
tella und Chiton. Sie werden ferner vermuthet bei Philodina, Cy-
clas und Leucifer. »Polzellen« am Hinterende der Mesodermstreifen
sind beobachtet bei Euaxes, Polygordius, Echiurus, Pomatoceros,
Sacculina und Balanus. Angesichts so zahlreicher Beobachtungen
wird Niemand an der Bedeutung der Urzellen zweifeln können. In
| AA ER ee Ze nm
Theorie des Mesoderms. 203
den meisten Fällen, in denen es gelungen ist, die Furchung und
Keimblätterbildung Schritt für Schritt zu verfolgen, konnten die Ur-
zellen schon im Stadium der Blastula, längstens aber im Stadium
der Gastrula aufgefunden werden. Überall nehmen sie aus dem
Entoderm den Ursprung und fast stets wurden sie, wenn eine Ori-
entirung des Keimes in so frühen Stadien möglich war, am Hinter-
rande des Entodermzellenfeldes, beziehungsweise am Hinterende des
Blastoporus gefunden. Nirgends gehen sie aus der Mitte des Ento-
dermzellenfeldes und nirgends aus dem Ektoderm hervor. In allen
Fällen, in welchen das Mesoderm aus zwei Zellen ent-
steht, ist dieZahl der Zellen der beiden primären Keim-
blätter zur Zeit der Sonderung der Mesodermzellen eine
geringe; sie dürfte nur selten mehr als sechzig oder siebzig be-
tragen.
Wenn die Zahl der Zellen der beiden primären Keim-
blätter wächst oder wenn schon die Zellenzahl der Bla-
stula eine sehr große ist, so steigt auch die Zahl der
Mesodermzellen. Am lehrreichsten ist in dieser Beziehung die
Mesodermbildung der Crustaceen. Wir haben gesehen, dass nach
GROBBEN bei einer nicht näher bestimmten Copepodenart zwei Meso-
dermzellen in der Blastula vorhanden sind, dass sich ferner auch
bei Cetochilus Anfangs zwei Mesodermzellen finden, die sich aber
schon in der Blastula in vier Zellen theilen, und dass ferner bei
Moina die Zahl der Mesodermzellen schon im Blastulastadium zwölf
beträgt. Es wurde darauf hingewiesen, dass mit dieser Vermehrung
der Mesodermzellen auch eine entsprechende Vermehrung der übri-
gen Zellen des Keimes einhergeht.
Wir können uns nun ganz wohl Fälle denken, in denen die
Zahl der Zellen des Mesoderms schon in der Blastula auf zwanzig
oder vierzig oder selbst noch höher steigt. Je größer die Zahl ist,
desto schwieriger wird es sein, sie genau festzustellen. Die Meso-
dermzellen werden dann zunächst eine sichel- oder halbmondförmige
Zone am Rande des Entodermzellenfeldes bilden. Dies finden wir
in der That bei Moina, Astacus und wohl noch vielen anderen Cru-
staceen.
Bei Astacus stoßen wir aber noch auf ein anderes, auf den
ersten Blick sehr räthselhaftes Verhalten, auf das schon von vielen
Seiten aufmerksam gemacht wurde. Das Mesoderm liegt nämlich
hier nicht am hinteren, sondern am vorderen Rande des Entoderm-
zellenfeldes. Um dies zu verstehen, müssen wir wieder die eigen-
204 Carl Rabl
thümlichen Beziehungen der Keimzellen zum Nahrungsdotter in Be-
tracht ziehen. Die Crustaceen scheinen in Beziehung auf Furchung
und Keimblätterbildung ähnliche Komplikationen darzubieten wie die
Wirbelthiere. Wir finden bei ihnen die inäquale (Cetochilus), dis-
coidale (Oniseus) und superficiale (Astacus) Furehung vertreten.
Wir haben gesehen, wie sehr bei den Wirbelthieren in Folge des
wiederholten Auftretens und Verlustes des Nahrungsdotters die
Gastrulation beeinflusst wird und wie manche Verhältnisse eine völlige
Umkehr erfahren. So wurde gezeigt, dass der hintere Urmundrand
eines Selachiers oder Teleostiers dem vorderen Urmundrande eines
Amnioten entspricht, dass also Discogastrula und Epigastrula sich in
Beziehung auf ihren Blastoporus scheinbar genau entgegengesetzt
verhalten. Es lässt sich nun ganz wohl denken, dass auch bei °
manchen Crustaceen eine solche Umkehrung der primitiven Verhält-
nisse eingetreten ist. Ja, vielleicht ist es, wie für die Epigastrula,
auch für die Perigastrula charakteristisch, dass ihr vorderer Blasto-
porusrand dem dorsalen, ihr hinterer dem ventralen Urmundrande
einer Amphi- oder Archigastrula eines dotterarmen Keimes entspricht.
Dann haben wir aber keinen Grund, in dem Umstande, dass bei der
Perigastrula von Astacus das Mesoderm am Vorderrande des Blasto-
porus entsteht, eine prineipielle Verschiedenheit gegenüber den ge-
wöhnlichen Verhältnissen zu erblicken. Die Furchung und Keim-
blätterbildung der Crustaceen ist noch in viel zu wenig Fällen genau
genug verfolgt, um uns in ähnlicher Weise wie bei den Wirbel-
thieren eine Ableitung der einzelnen Furchungsarten und Gastrula-
formen zu gestatten. Gewiss werden weitere Untersuchungen hier
zu sehr wichtigen und interessanten Resultaten führen. Wie bei
den Wirbelthieren wird man auch bei den Crustaceen und allen an-
deren Formen im Auge zu behalten haben, dass der Nahrungsdotter
im Laufe der Phylogenese wiederholt erworben und rückgebildet
worden sein kann. Dass dies in der That auch bei den Wirbel-
losen der Fall war, scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen. In
meinen Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte der Prosobranchier habe
ich schon darauf hingewiesen, dass die Eier von Paludina vivipara
auffallend arm an Dotterkörnchen sind, während doch die Eier aller
anderen Prosobranchier eine nicht unbeträchtliche Menge von Nah-
rungsdotter besitzen. Ich habe zugleich betont, dass, während bei
den anderen Prosobranchiern und speciell bei der nahe verwandten
Paludina impura (Bithynia tentaculata) die Menge des jedes Ei um-
gebenden Eiweißes eine relativ geringe ist, sie bei Paludina vivi-
en
Theorie des Mesoderms. 205
para sehr bedeutend anwächst, so dass also eine Art Wechselver-
hältnis zwischen Nahrungsdotter und Eiweiß besteht.
Die Faktoren, welche die Menge des Nahrungsdotters beein-
flussen, sind so mannigfaltiger Art und greifen so innig in einander,
dass wir noch gar nicht im Stande sind, sie nur einigermaßen zu
überblicken. Gewiss spielen hier Brutpflege, Ernährungsbedingungen
in und außerhalb des mütterlichen Körpers, Zahl der gleichzeitig
producirten Keime und dergleichen eine wichtige Rolle. Gewiss aber
übt auch der Kampf ums Dasein, den die ausschlüpfenden Larven zu
führen haben, eine rückwirkende Kraft. Denn je größer die Zahl
derer ist, die zu Grunde gehen, noch bevor sie die Geschlechtsreife
erlangt haben, um so größer wird auch die Zahl und um so ge-
ringer die Größe der Eier der betreffenden Species sein müssen.
Besonders lehrreich sind in dieser Beziehung die Erörterungen R.
LEUCKART's im Artikel »Zeugung«.
Doch kehren wir wieder zu unserem Gegenstande zurück.
Wenn mit der Vermehrung der Zahl der Zellen der beiden pri-
mären Keimblätter auch die Zellenzahl des Mesoderms zunimmt, so
kann bei der weiteren Entwicklung Zweierlei geschehen. Entweder
es verlassen die Mesodermzellen schon frühzeitig den epithelialen
Verband, sie rücken in die Tiefe und bilden nun, nach der Ein-
stülpung des Entodermzellenfeldes, eine mittlere, zwischen den pri-
mären Blättern liegende Schicht. Oder aber sie bleiben noch längere
Zeit im Verbande des Entoderms, ihres Mutterbodens, behalten also
ihren epithelialen Charakter bei und werden bei der Gastrulation
mitsammt dem Entoderm eingestülpt. In einem solchen Falle wird
das Mesoderm noch durch einige Zeit Antheil an der Begrenzung
des Darmes nehmen, indem es einen Theil seiner Wand bildet.
Seine Zellen können dabei dieselbe Form wie die Entodermzellen
besitzen und auch in ihren sonstigen Charakteren, wie in ihrer Größe
und in ihrem Körnchenreichthum den Entodermzellen gleichen. Die
seitliche Symmetrie, welche die Mesodermanlage aller Bilaterien
zeigt, wird auch in einem solchen Falle gewahrt bleiben.
Die Wand des Urdarmes wird daher an der rechten und linken
Seite aus Zellen bestehen, welche ihrer späteren Entwicklung nach
als Mesodermzellen bezeichnet werden müssen, an der dorsalen und
ventralen Seite.dagegen aus Zellen, welche auch nach ihren späteren
Schicksalen als echte Entodermzellen erscheinen. Das Mesoderm
wird also, so lange es noch nicht zur Abtrennung vom Entoderm
gekommen ist, zwei symmetrische Platten bilden, welche sich vom
206 Carl Rabl
Rande des Blastoporus mehr oder weniger weit bis zum Grunde des
Entodermsackes erstrecken. Die Sonderung der beiden Mesoderm-
platten vom Entoderm wird in einem solchen Falle am einfachsten
dadurch bewerkstelligt werden können, dass sich rechts und links
eine Falte der Darmwand bildet, deren Rand der Grenze zwischen
Entoderm und Mesoderm entspricht und die allmählich gegen den
Blastoporus vorwächst. Es ist dies genau der Process, welchen wir
bei Sagitta und Argiope ablaufen sehen.
Vielleicht wird das Gesagte durch ein Schema an Verständlich-
keit gewinnen. Ich will des Vergleiches halber ein Bild einer Bla-
stula in der Ansicht von der vegetativen Seite voranstellen, bei
welcher die Elemente der drei Keimblätter bereits zur Sonderung
gekommen sind und bei der zugleich das Mesoderm nur aus zwei,
am hinteren Rande des Entodermzellenfeldes gelegenen Zellen be-
steht (vgl. Fig. 7 A). Solche Verhältnisse finden sich nach dem früher
Gesagten bei vielen Anneliden und Mollusken. Wenn bald darauf
die beiden großen Mesodermzellen in die Tiefe rücken, so sieht man,
wie ich dies von Planorbis beschrieben habe, an der betreffenden
Stelle eine kleine Grube. Mit anderen Worten, es bildet sich am
Hinterrande des Entodermzellenfeldes jederseits ein Divertikel, dessen
Boden von der Mesodermzelle der betreffenden Seite gebildet wird.
Nun denken wir uns eine eben solche Blastula, deren Zellen nur
kleiner und zahlreicher sind. Statt der zwei Mesodermzellen sollen
also deren in größerer Menge vorhanden sein. Das Mesoderm wird
daher jetzt aus zwei Zellplatten bestehen, die eine mediane Ento-
dermplatte zwischen sich fassen (Fig. 7 B). Sobald sich die vege-
tative Hälfte einer solchen Blastula in die animale hineinstülpt,
werden die beiden Mesodermplatten die Seitenwände des Urdarmes
bilden müssen. Die Trennung des Mesoderms vom Entoderm wird
sich unter dem Bilde einer Faltung vollziehen, ein Process, den uns
in seinen ersten Anfängen die Fig. 7 C veranschaulicht.
Trotz der Verschiedenheiten, unter denen sich hier die Trennung
des Mesoderms vom Entoderm vollzieht, ist doch die Mesodermbil-
fella
Theorie des Mesoderms. 207
dung im Wesen auf denselben Process zurückzuführen wie bei den
Anneliden und Mollusken. Während bei diesen die Mesodermdivertikel
entsprechend der geringen Zahl der Mesodermzellen sehr klein und
-unansehnlich sind, werden sie in dem eben besprochenen Falle in
Folge der großen Zellenzahl zu geräumigen Aussackungen des Ur-
darmes. Aber auch hier entsteht das Mesoderm aus zwei
symmetrisch am Urmundrande gelegenen Anlagen,
welche dem primären Entoderm den Ursprung verdanken.
Dieser Bildungsmodus des Mesoderms setzt voraus, dass die Zahl
der Zellen des Keimes und damit zugleich die Zahl der Mesoderm-
zellen eine erheblich größere ist als bei den Anneliden und Mollus-
‚ken. Diese Voraussetzung trifft auch in der That vollkommen zu.
An der Fig. 4 von Kowa.evsky (Il. ¢.), wo an einem Keim von
‘Sagitta der Beginn der Faltung zu sehen ist, zähle ich auf dem
‘optischen Schnitte 117 Zellen, und an der Fig. 6 von Herrwic
Das Mesoderm besteht wieder
(l. e.), die ungefähr dasselbe Stadium illustrirt, zähle ich 109 Zellen.
Ich glaube kaum fehlzugehen, wenn’ ich die Gesammtzahl der Zellen
von Sagitta in diesem Stadium auf etwa 1000 veranschlage. Der
Keim von Planorbis besteht aber in dem entsprechenden Stadium
aus höchstens 70, der Keim von Nereis oder Serpula aus noch viel
weniger Zellen.
Von demselben Gesichtspunkte muss auch die Mesodermbildung
der Insekten aufgefasst werden. Auch hier besteht der Keim schon
im Blastulastadium aus einer sehr großen Zahl von Zellen und es
bildet sich zunächst eine »Bauchplatte« aus, die der Hauptmasse nach
aus dem primären Entoderm (En-
toderm + Mesoderm) besteht.
aus zwei symmetrischen Platten,
die einerseits bis an den späteren
Urmundrand reichen, andererseits
den schmalen, medianen Ento-
dermstreifen zwischen sich fassen
(Fig. 8 D). Nach vollzogener
Einstülpung werden sich die Ver-
hältnisse so gestalten, wie dies
die Fig. 8 E zeigt; es entspricht
dieses Bild genau dem, was KowaAtevsky und HEIDER in Betreff
der Keimblätterbildung von Hydrophilus ermittelt haben.
Die Mesodermbildung von Peripatus würde sich, falls sich die
208 Carl Rabl
Angaben Barrour's bestätigen sollten, leicht von dem gleichen Ge- —
sichtspunkte auffassen lassen. |
So sehen wir, dass bei allen wirbellosen Bilaterien das
Mesoderm aus zwei in der Medianlinie von einander ge-
trennten, aus dem Entoderm des Urmundrandes hervor-
gehenden Anlagen seinen Ursprung nimmt. Diese Über-
einstimmung ist so fundamental, dass alles Andere dagegen zurück-
tritt.
Auffallend bleibt immerhin die bei den Chaetognathen nachge-
wiesene Beziehung der Leibeshéhle zum Urdarm. Aber diese Be-
ziehung scheint mir lediglich die Folge der eigenthüm-
lichen Art der Mesodermbildung zu sein.
Nun erst können wir an die Beantwortung der Frage nach der
Homologie des Mesoderms der Wirbelthiere und der wirbellosen Bila-
terien schreiten. Es wird dabei genügen, die Mesodermbildung des
Amphioxus zum Vergleiche heranzuziehen. Wir sehen hier das Me-
soderm aus zwei, symmetrisch neben der Medianlinie gelegenen
Theilen hervorgehen, die dem primären Entoderm entstammen und
auch Beziehungen zum Entoderm des Urmundrandes besitzen. Nichts-
destoweniger ist die Frage nicht so einfach, als es auf den ersten
Blick zu sein scheint. Am Mesoderm des Amphioxus haben wir,
wie am Mesoderm der eranioten Wirbelthiere, zwei Abschnitte unter-
schieden: ein gastrales und ein peristomales Mesoderm; beide gehen
kontinuirlich in einander über und das peristomale schließt am ven-
tralen Urmundrand jederseits mit einer großen Polzelle ab. Nun
entspricht der ventrale Urmundrand des Amphioxus nicht dem hin-
teren, sondern dem vorderen Urmundrande der Anneliden, Mollusken,
Nematoden etc. In allen diesen Gruppen finden wir aber die Ur-
zellen des Mesoderms am hinteren Urmundrande.
Bei der Beurtheilung der Mesodermbildung des Amphioxus und
eben so auch aller Wirbelthiere müssen wir vor Allem im Auge be-/
halten, dass die Keime ähnlich wie bei Sagitta und den Insekten
schon frühzeitig ungemein zellenreich sind, so dass wir eine Ent-
stehung des Mesoderms aus zwei Zellen schon von vorn herein nicht
erwarten können.
Fassen wir zunächst das gastrale Mesoderm ins Auge und gehen
wir dabei wieder von einer zellenreichen Blastula aus, in der es zu.
Theorie des Mesoderms. 209
einer Vermehrung der ursprünglichen zwei, am Hinterrande des En-
todermzellenfeldes gelegenen Mesodermzellen gekommen ist. Diese
Vermehrung der Mesodermzellen braucht aber nicht nothwendig wie
bei Sagitta und den Insekten längs des Randes des Entodermzellen-
feldes fortzuschreiten, sondern sie kann sich direkt nach vorn er-
strecken und also zur Bildung zweier Platten führen, die, durch
einen schmalen Entodermstreifen in der Mitte von einander getrennt,
nur mit ihrem Hinterende den Rand des Entodermzellenfeldes be-
rühren. Wir werden also Verhältnisse bekommen, wie sie in neben-
stehender Fig. 9 F veranschaulicht sind.
Später, wenn die Einstülpung vollzogen ist,
werden sich die beiden Mesodermplatten (m) als
»Mesodermfalten« erheben, der schmale Ento-
dermstreifen zwischen ihnen (ch) wird zur Chorda
und die beiden Seitentheile des Entodermzellen-
feldes (ex) werden zum Darmentoderm.
Anders gestaltet sich die Ableitung des pe-
ristomalen Mesoderms. Es ist gewiss von hohem
allgemeinen Interesse, dass beim Amphioxus,
obwohl das Mesoderm nicht mehr aus zwei Zellen den Ursprung
nimmt, doch noch zwei, durch ihre Größe und Form ausgezeichnete
Zellen am Urmundrande vorhanden sind. Diese zwei Zellen sind
von HATSCHER als »Polzellen« bezeichnet und mit den aus den Ur-
zellen des Mesoderms hervorgehenden Polzellen der wirbellosen Bila-
terien verglichen worden.
Wir können uns nun ganz wohl denken, dass diese Polzellen,
die bei den Vorfahren des Amphioxus gerade so wie bei den Anne-
liden, Mollusken oder Nematoden am hinteren Urmundrande ge-
legen sein mussten, indem sie sich fortgesetzt theilten und nach
vorn zu neue kleine Tochterzellen lieferten, allmählich vom Hinter-
rande, der hier nach vollzogener Einstülpung als dorsaler Rand
erscheint, abrückten, an die Seite des Urmundrandes gelangten und
schließlich bei weiter fortgesetzter Proliferation an den ventralen
Urmundrand zu liegen kamen. Wir können uns also vorstellen, dass
nach Ablauf dieses Processes jederseits innerhalb des Entoderms der
Gastrula ein Mesodermstreifen gelegen war, der am ventralen Bla-
stoporusrande mit einer Polzelle begann, dann — vielleicht als ein-
fache Zellreihe — an der Seite des Blastoporus bis zum dorsalen
Rande verlief und sich hier in die Mesodermplatte der dorsalen Ur-
darmwand fortsetzte.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 14
310 Carl Rabl
In dieser Weise lässt sich, wie ich glaube, die Mesodermbildung
des Amphioxus und damit zugleich die Mesodermbildung der Wirbel-
thiere überhaupt auf die Mesodermbildung der wirbellosen Bilaterien
zurückführen. Ich bin daher der Überzeugung, dass trotz der
mannigfachen und gewiss nicht unbeträchtlichen Verschiedenheiten
eine vollständige Homologie zwischen dem Mesoderm
der wirbellosen Bilaterien und dem der Wirbelthiere
existirt. Damit ist zugleich auch die Überzeugung ausgesprochen,
dass alle Bilaterien gemeinsamen Stammes sind; wann sich dieser
Stamm in seine Aste theilte, erscheint als eine der schwierigsten
Fragen der Phylogenie. Doch glaube ich aus dem ungemein früh-
zeitigen Auftreten der Chorda den Schluss ziehen zu dürfen, dass
die Wirbelthiere oder, richtiger, die Chordonier sich schon sehr bald
vom gemeinsamen Stamme der Bilaterien getrennt haben.
Eine andere Frage, die übrigens ein geringeres aktuelles Inter-
esse bietet, geht dahin, welcher von den Processen, die wir kennen
gelernt haben, als der ursprünglichste im phylogenetischen Sinne des
Wortes zu bezeichnen sei. In ontogenetischer Beziehung ist
jedenfalls die Entstehung des Mesoderms aus zwei Zellen der ein-
fachste Bildungsmodus, der sich für die Bilaterien denken lässt; es
fragt sich indessen, ob diese Einfachheit nicht vielleicht ihren Grund
in einer Vereinfachung eines ursprünglich komplieirteren Bildungs-
modus habe. Es kann darüber natürlich Jeder denken wie es ibm
beliebt. Was mich betrifft, so möchte ich glauben, dass wir uns
die ersten Bilaterien als ungemein einfach gebaute und daher wohl
auch sehr zellenarme Geschöpfe zu denken haben und dass daher
auch die größere Wahrscheinlichkeit zu Gunsten der Annahme spricht,
dass das Mesoderm auch phylogenetisch aus zwei, symmetrisch am
Urmundrande gelegenen Entodermzellen seinen Ursprung genommen
habe.
Eben so bleibt es jedem Einzelnen überlassen, darüber Speku-
lationen anzustellen, was für eine funktionelle Bedeutung die Ur-
zellen des Mesoderms bei den ersten Bilaterien wohl gehabt haben
mögen. HATscHEK und ich haben die Vermuthung ausgesprochen,
dass sie, wenn sie vielleicht auch nicht geradezu Geschlechtszellen
waren, so doch die Geschlechtsprodukte geliefert haben dürften.
Diese Vermuthung scheint mir auch heute noch trotz der von einigen
Seiten dagegen erhobenen Bedenken eine große Wahrscheinlichkeit
für sich zu haben. Eine Vermuthung über etwas, was sich nur er-
schließen, aber nicht beobachten lässt, hat der Wissenschaft noch
u
Theorie des Mesoderms. 211
nie geschadet; es ist daher auch nicht zu begreifen, warum sich
einzelne Forscher, wie METSCHNIKOFF und KLEINENBERG, mit so viel
Eifer und Beredsamkeit gegen solche Spekulationen gewendet haben.
II.
Über die Differenzirung des Mesoderms.
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf die Selachier (Pristi-
urus und Torpedo), Amphibien (Triton, Salamander, Axolotl und
Frosch), Reptilien (Eidechse und Ringelnatter), Vögel (Ente, Huhn
und Taube) und Säugethiere (Kaninchen und Katze).
a) Selachier. Der jüngste Embryo, von dem ich bei der Be-
schreibung ausgehen will, hatte vierzehn Urwirbel. Die primäre
Augenblase war noch klein, das Ektoderm an der Stelle, wo später
das Gehörgrübchen entsteht, nicht viel dicker als am Vorderkopf;
das Medullarrohr in der größten Ausdehnung des Kopfes und Rumpfes
geschlossen, nur an der Stelle, wo später die Epiphysis entsteht',
sowie in der Gegend des zweiten bis fünften Urwirbels noch offen,
indessen auch hier schon dem vollen Verschlusse sehr nahe (Taf. X
Fig. 1). Innere Kiemenfurchen waren noch nicht vorhanden; eben
so fehlte noch jede Spur des Herzens; auch Gefäße waren innerhalb
der Embryonalanlage noch nicht zur Ausbildung gelangt. Der Hinter-
darm war im Bereiche der Schwanzknospen ventralwärts noch offen
und setzte sich dorsalwärts durch einen weiten Canalis neurentericus
mit dem Medullarrohr in Verbindung.
Der abgebildete Schnitt (Fig. 1 Taf. X) geht durch die Mitte
des vierten Urwirbels. Diese Gegend wird später noch in den Kopf
einbezogen: ich habe aber trotzdem diesen Schnitt gewählt, weil
einerseits die Schnitte durch die folgenden Urwirbel, etwa bis zum
achten oder neunten, vom Mesoderm wesentlich dasselbe Bild geben,
andererseits am abgebildeten Schnitte das oben erwähnte Verhalten
des Medullarrohres sehr gut zu sehen ist. Der Vorderdarm ist hier
1 Vgl. van Wisun, Über die Mesodermsegmente und die Entwicklung der
Nerven des Selachierkopfes. Amsterdam 1882. Die Öffnung am Vorderende
ist bei Pristiurus nicht so deutlich, wie (nach VAN WIJHE) bei Torpedo. Wenn
VAN WiJHE die zweite Öffnung ans Hinterende des Körpers verlegt, so ist dies
wohl nur eine Ungenauigkeit in der Ausdrucksweise; das Medullarrohr ist in
der ganzen hinteren Rumpfhälfte geschlossen.
14*
212 Carl Rabl
r
ventralwärts gegen den Dotter schon durch eine Lage von Entoderm-
zellen abgeschlossen; die Eröffnung erfolgt erst in der Höhe des
nächstfolgenden Urwirbels. Unter dem Darm sieht man im Dotter,
wie früher, die großen Dotterkerne (Merocytenkerne). |
Das Mesoderm zeigt folgendes Verhalten. Es besteht jederseits
aus zwei, dorsalwärts in einander umbiegende Lamellen, einer la-
teralen und medialen: der dorsale Theil des Mesoderms ist in der
bekannten Weise segmentirt und bildet die Urwirbel, der ventrale
ist unsegmentirt und bildet die Seitenplatten. An Schnitten, welche,
wie der abgebildete, durch die Mitte eines Urwirbels gelegt sind,
ist von dieser Scheidung nichts zu sehen, da die beiden Wände des
Urwirbels sich kontinuirlich in die beiden Seitenplatten fortsetzen.
Verfolgt man aber die Serie genau, so überzeugt man sich, dass die
Urwirbel bis zu der mit wg bezeichneten Stelle nach abwärts rei-
chen. Die Bestimmung dieser ventralen Urwirbelgrenze ist, wie wir
sehen werden, für das Verständnis einiger späterer Vorgänge von
Wichtigkeit. Die Urwirbel reichen also sehr weit unter die ventrale
Chordafläche nach abwärts. Die dorsale Urwirbelgrenze oder Ur-
wirbelkante (wk), an welcher die beiden Lamellen des Urwirbels
in einander umbiegen, liegt ungefähr an der Grenze zwischen mitt-
lerem und unterem Drittel der Höhe des Medullarrohres. Die Ur-
wirbel schließen eine spaltförmige Höhle, die Urwirbelhöhle (x), —
ein, deren größte Weite beiläufig der Höhe eines Zellkernes ent-
spricht und die sich ventralwärts rasch verschmälert, um bald ganz
zu verschwinden. Die Seitenplatten fassen, obwohl ihre Scheidung
in zwei Lamellen sehr deutlich hervortritt (sp). doch keinen Hohl-
raum zwischen sich. Es besteht also zu dieser Zeit bloß eine dor-
sale Leibeshöhle, die in derselben Weise wie der dorsale Theil des
Mesoderms eine scharf ausgeprägte Metamerie zur Schau trägt.
Diese Thatsache ist in Anbetracht der Verhältnisse, welche Amphi-
oxus darbietet, von großer Bedeutung.
Die beiden Lamellen des Mesoderms, und zwar sowohl der Ur-
wirbel als der Seitenplatten, bestehen aus einem einschichtigen Epi-
thel, das dort, wo die Lamellen eine größere Dieke erreichen, wie
in den Urwirbeln, aus hohen Cylinderzellen, wo sie dünn sind, wie
in den Seitenplatten, aus mehr flachen Elementen zusammengesetzt
ist. Es erscheint mir namentlich neueren Angaben gegenüber von
Wichtigkeit, mit Nachdruck zu betonen, dass die beiden Lamellen
des Mesoderms nirgends — auch dort nicht, wo das Epithel die
größte Höhe erreicht — mehrschichtig sind. An Schnitten, welche
EEE EEE =~
Theorie des Mesoderms. 213
nicht genau durch die Mitte eines Urwirbels gelegt sind, welche
also auch nicht mehr ganz senkrecht auf der medialen und lateralen
Wand derselben stehen, gewinnt es allerdings oft den Anschein, als
ob die Wand mehrschichtig wäre; doch ist dies, wie gesagt, sicher
nicht der Fall. Die mediale Wand des Urwirbels, die sich dem
Medullarrohr, der Chorda und einem Theil des Darmes anlegt, ist
erheblich dicker als die laterale (Fig. 1). Rechts und links neben
der Chorda finden sich zwei kleine, dreieckige, zellenfreie Räume.
In den Wänden der Urwirbel und in den Seitenplatten sieht
man sehr zahlreiche Theilungsfiguren, deren Achsen durchwegs pa-
rallel oder nur wenig geneigt zur Oberfläche der Lamellen stehen.
Die Zellen vermehren sich also im Sinne des Flächenwachsthums
der Lamellen und diese bewahren dadurch ihre Einschichtigkeit.
Die meisten Kerne liegen ungefähr in halber Höhe der Zellen.
Die Urwirbel nehmen von vorn nach hinten an Länge und Höhe
ab: die Urwirbelhöhle wird dabei kleiner und sinkt schließlich auf
einen schmalen, oft nur an einem einzigen Schnitte sichtbaren Spalt-
raum herab. Unmittelbar hinter der Urwirbelregion bleibt zunächst
noch eine Strecke weit die Zusammensetzung des Mesoderms aus
zwei Lamellen erhalten, gegen die Schwanzknospen ist aber davon
niehts mehr wahrzunehmen und es nimmt zugleich der ventrale Ab-
schnitt des Mesoderms, der sich als von den Seitenplatten fortge-
setzt darstellt, an Dicke zu.
Wie sich das Mesoderm im Vorderkopfe verhält, soll hier nicht
erörtert werden; eine genaue Beschreibung wäre auch ohne erläu-
ternde Abbildungen nicht durchführbar. Ich werde nur im Anschlusse
an die Beschreibung einiger älterer Stadien ein paar Worte über die
van WisHE’schen Kopfsomite sagen.
Ich habe nur noch einige Bemerkungen über das Verhalten des
Entoderms im Bereiche des Rumpfes und über die Chorda beizufügen.
Das Entoderm ist in der Gegend, der der abgebildete Schnitt ent-
nommen ist, und auch noch etwas weiter hinten eine einschichtige,
mäßig dieke Platte kubischer oder kurz prismatischer Zellen. Nach
vorn und hinten nimmt diese Platte an Dicke zu. indem die Zellen
zu hohen Cylinderzellen auswachsen; am dicksten ist sie im Be-
reiche der Schwanzknospen. Die Chorda stellt einen drehrunden
Strang dar, der sich in nahezu gleicher Dicke durch die ganze Länge
des Körpers erstreckt; nur im Vorderkopf ist sie erheblich dünner.
Die Kerne der Chordazellen sind groß, kugelig oder oval, enthalten
meist ein scharf kontourirtes Kernkörperchen und liegen der Achse
214 Carl Rabl
der Chorda benachbart. Das Protoplasma enthält im äußeren Theile
zahlreiche kleine Dotterkörnchen und überdies Vacuolen mit hellem,
homogenem Inhalt (s. die Figur). Nur an den beiden Enden der
Chorda fehlen die Vacuolen und die Kerne sind mehr gleichmäßig
vertheilt. An Längsschnitten überzeugt man sich leicht, dass die
Chordazellen eigentlich dünne, quergestellte Platten vorstellen und
dass im Rumpf, in der Richtung von hinten nach vorn, die Dotter-
körnchen in den Dotterzellen ab- und die Vacuolen zunehmen. Die
Querstellung der Chordazellen ist eine Eigenthümlichkeit, die, mit
nur geringen Modifikationen, allen Wirbelthieren gemeinsam ist;
nur bei den Säugethieren ist sie, wohl in Zusammenhang mit der
geringen Entwicklung der Chorda überhaupt, mehr verwischt, aber
auch hier in bestimmten Stadien ganz deutlich erkennbar.
BALFOUR giebt vom Mesoderm seiner Stadien F und:G eine
kurze, im Allgemeinen ziemlich zutreffende Beschreibung. Das Bild,
welches er von einem Schnitt durch das Caudalende eines Embryo
aus dem Stadium 7 giebt (Fig. 1 Taf. X), ist in vielfacher Hinsicht
meiner Fig. 1 Taf. X ähnlich. Die Bemerkungen jedoch, die er
daran in Beziehung auf die Leibeshöhle knüpft, sind nicht richtig.
Er sagt: »From the very first this cavity is more or less clearly
divided into two distinct parts; one of them in the vertebral portion
of the plates of mesoblast, the other in the parietal« (pag. 105).
Dagegen ist zu bemerken, dass die Leibeshöhle Anfangs, und zwar
durch eine ganz geraume Zeit, ausschließlich auf die Urwirbel be-
schränkt ist und daher Anfangs Ähnlich wie beim Amphioxus eine
Segmentirung zur Schau trägt, Der Irrthum BALrour’s erklärt sich
vielleicht einerseits daraus, dass er die Grenze zwischen Urwirbel
und Seitenplatten nicht an der richtigen Stelle gezogen hat, anderer-
seits daraus, dass er von einem zu späten Stadium ausgegangen ist.
Ganz richtig hat unlängst ZIEGLER die Leibeshöhlenverhältnisse
jüngerer Embryonen beschrieben. Er giebt an, dass das Mesoderm
»aus zwei einfachen Epithellamellen besteht, die im Bereiche des
Ursegmentes (soll richtiger heißen: Urwirbels) einen schmalen Hohl-
raum umschließen; im Bereiche der Seitenplatten sind dieselben
noch nicht durch eine Leibeshöhle getrennt«.
Der nächste Embryo hatte siebzehn Urwirbel. Der allgemeine
Entwicklungszustand war dem entsprechend von dem des vorigen
nicht wesentlich verschieden. Die primären Augenblasen waren
etwas größer, das Medullarrohr in der ganzen Länge geschlossen,
die Schwanzknospen hatten begonnen, mit ihren Rändern zu ver-
Theorie des Mesoderms. 215
wachsen und dadurch den Enddarm ventralwärts zum Abschlusse zu
bringen. Da jede Schwanzknospe ein kleines Divertikel enthält,
muss nach der Verwachsung ihrer Ränder der Enddarm ein zwei-
lappiges Lumen zeigen (vgl. BaLrour, Taf. X Fig. 2). Mit diesem
Theile des Enddarmes tritt der Canalis neurentericus in Verbindung.
Kiemenfurchen waren auch bei diesem Embryo noch nicht zur Aus-
bildung gelangt; jedoch zeigte der Vorderdarm an der Stelle, wo
sehr bald darauf die erste innere Kiemenfurche erscheint, eine Er-
weiterung, die aber noch nicht so beträchtlich war, dass das Ento-
derm mit dem Ektoderm in Berührung kam. Von Herz- und Gefäß-
anlagen war eben so wenig etwas zu sehen wie früher.
Der abgebildete Schnitt (Fig. 2 Taf. X) geht durch den dritten
Urwirbel. Ganz ähnliche Bilder erhält man auch von den Schnitten
durch die zwei oder drei nächstfolgenden Urwirbel. Zwei Eigen-
thümlichkeiten sind es, die uns hier am Mesoderm entgegentreten:
erstens sehen wir, dass diejenigen Zellen der medialen Lamelle des
Urwirbels, welche der Chorda benachbart liegen, durch Schwund
der Dotterkörnchen eine hellere Beschaffenheit annehmen und ihre,
sich in der Regel etwas schwächer tingirenden, auf dem Querschnitte
rundlichen Kerne ein schärfer kontourirtes Chromatinkorn enthalten;
zweitens machen sich etwas geänderte Verhältnisse der Leibeshöhle
bemerkbar. Während sich nämlich früher die Leibeshöhle bis in
die dorsalen Theile der Urwirbel nach aufwärts erstreckte, finden
wir, dass sich jetzt die beiden Lamellen des Mesoderms in der dor-
salen Hälfte oder dem dorsalen Drittel der Urwirbel so innig an
einander gelegt haben, dass dadurch die Leibeshöhle hier zum
Schwunde gebracht worden ist. Dafür erstreckt sie sich aber weiter
nach abwärts. An mehreren Schnitten bemerkt man auch einzelne
unregelmäßige Spalträume zwischen den beiden Lamellen der Seiten-
platten. Verfolgt man die Serie weiter nach hinten, so begegnet
man vom sechsten bis siebenten Urwirbel an wesentlich denselben
Verhältnissen wie früher. Hier zeigt also auch die Leibeshöhle die-
selben Beziehungen, welche wir an der Fig. 1 kennen gelernt haben.
Auch am Entoderm macht sich in diesem Stadium eine Eigen-
thümlichkeit bemerkbar. Wir sehen hier unmittelbar unter der Chorda
eine Leiste (hy), die eine solide Wucherung des Entoderms darstellt
und die erste Anlage der Hypochorda (Subchorda, subehordaler
Strang, subnotochordal rod) bildet. Diese Leiste beginnt im vor-
liegenden Stadium am Vorderende des dritten Urwirbels und er-
streckt sich, allmählich niedriger werdend, bis zum sechsten oder
216 Carl Rabl
siebenten Urwirbel nach hinten. Zwischen je zwei Urwirbeln ist die
Leiste unterbrochen und das Entoderm zeigt hier dasselbe Verhalten
wie in Fig. 1. Es spricht dies für eine metamerische Anlage der
Hypochorda. Ich muss übrigens bemerken, dass dies die einzige
Serie ist, an welcher diese Metamerie der ersten Anlage zu sehen
ist; bei einem nur um ein Geringes älteren Embryo, einem Embryo
mit achtzehn Urwirbeln, ist die Hypochorda nur noch an ihrem Hinter-
ende segmentirt, während sie vorn kontinuirlich ist; indessen ist
ein Rest der anfänglichen Metamerie auch vorn noch in so fern zu
erkennen, als die Leiste in den vertebralen Abschnitten merklich
höher ist als in den intervertebralen. Die Leiste wächst übrigens
sehr rasch in die Länge, so dass sie sich an dem erwähnten Em-
bryo mit achtzehn Urwirbeln schon über sieben Segmente erstreckt.
Im Stadium mit achtzehn Urwirbeln macht sich die erste innere
Kiemenfurche bemerkbar. Vorbereitet war ihre Bildung schon im
vorhergehenden Stadium durch die erwähnte Erweiterung des Vor-
derdarmes. Während sich aber früher noch eine, wenngleich sehr
dünne Mesodermschicht zwischen Haut und Darm einschob, ist die-
selbe bei Embryonen mit achtzehn Urwirbeln geschwunden und das
Entoderm legt sich nun dicht an das Ektoderm an. Die Kiemen-
furche zeigt aber zu dieser Zeit noch keine sehr scharfe Begrenzung.
Es ist hier wohl der Ort, einige Worte über das Auftreten der
Kiemenfurchen zu sagen. Ich habe notirt:
a) Bei Embryonen mit 15 Urwirbeln erscheint die erste innere
Kiemenfurche.
b) Bei Embryonen mit 23—24 Urwirbeln ist die erste innere
Kiemenfurche scharf begrenzt und die zweite in Bildung begriffen.
c) Bei Embryonen mit 26—27 Urwirbeln ist die zweite innere
Kiemenfurche gut ausgebildet und scharf begrenzt.
d) Bei Embryonen mit 31—32 Urwirbeln ist die dritte Kiemen-
furche angedeutet, erreicht aber das Ektoderm noch nicht.
e) Bei Embryonen mit 34—36 Urwirbeln ist die dritte Kiemen-
furche gut entwickelt.
f) Bei Embryonen mit 38—40 Urwirbeln sind drei scharf be-
grenzte innere Kiemenfurchen vorhanden und die vierte in Bildung.
g) Bei Embryonen mit 45—46 Urwirbeln ist die vierte innere
Kiemenfurche scharf begrenzt: die zweite im Durchbruch begriffen.
h) Bei Embryonen mit 54—56 Urwirbeln ist die fünfte Kiemen-
furche angedeutet: die zweite durchgebrochen, die erste und dritte
im Durchbruch begriffen.
Theorie des Mesoderms. 217
i) Bei Embryonen mit 66—68 Urwirbeln sind fünf scharf begrenzte
Kiemenfurchen vorhanden, die sechste in Bildung; die erste, zweite und
dritte durchgebrochen, also Spalten ; die vierte im Durchbruch begriffen.
fi
;
k) Bei Embryonen mit 74 Urwirbeln ist die sechste Kiemen-
furche scharf begrenzt; am zweiten, dritten und vierten Kiemen-
bogen beginnt die Bildung der Kiemenfäden; die ersten vier Kiemen-
furchen sind durchgebrochen; die fiinfte im Durchbruch begriffen.
Uber die Bildung der Kiemenfäden bemerke ich, dass dieselbe
am zweiten Kiemenbogen (Hyoidbogen) beginnt und allmählich nach
hinten weiter schreitet; erst nachdem am sechsten Bogen die Kiemen-
fäden aufgetreten sind, erscheint am ersten die Spritzlochkieme, die
— wenigstens an den ältesten von mir bisher untersuchten Pristiurus-
Embryonen — nur aus vier Fäden besteht. An jedem Kiemenbogen
erscheinen die mittleren Fäden zuerst; daran reihen sich dorsal-
und ventralwärts die nächstfolgenden. Daher kommt es, dass stets
die mittleren Fäden eines Bogens die längsten sind. Jeder Kiemen-
faden stellt im Beginn seiner Bildung ein kleines rundliches Knötchen
dar. Von den Kiemenfurchen bricht zuerst die zweite durch, dann
die dritte, dann die erste!, dann die vierte, und schließlich der
Reihe nach die letzten.
Meine Angaben weichen sehr erheblich von denen BALFOUR’s
ab; so sollen nach BaLrour bei Embryonen mit 38 Urwirbeln
(Stadium #7) nur zwei, bei Embryonen mit 46 Urwirbeln (Stadium 7)
nur drei Kiemenfurchen vorhanden sein. Übrigens ist BaLrour's
Charakteristik der einzelnen Stadien noch in vielen anderen Beziehungen
unverlässlich. So verlegt er z. B. die Bildung der Linsengrube in sein
Stadium H, ja er zeichnet sogar an dem betreffenden Embryo die Öft-
nung dieser Grube. Nun ist aber, abgesehen davon, dass Embryonen
mit 38 Urwirbeln nicht zwei, sondern drei scharf begrenzte Kiemenfur-
chen und die vierte in Bildung zeigen, auch bei Embryonen mit drei,
geschweige denn mit zwei Kiemenfurchen noch nicht die geringste
Spur einer Linsenanlage vorhanden. Eine solche erscheint erst nach
dem Auftreten der vierten Kiemenfurche und stellt bei Embryonen
mit 4S—50 Urwirbeln nur eine Verdickung des Ektoderms über den
primären Augenblasen vor; erst bei Embryonen mit etwa 52—54
Urwirbeln entsteht eine Einstülpung dieses verdickten Epithels und
erst bei Embryonen mit 66 Urwirbeln ist die Abschniirung vollendet.
— In dasselbe Stadium ZZ verlegt BaLrour die Bildung des Gehör-
1 Vielleicht auch dritte und erste gleichzeitig.
218 Carl Rabl
bläschens; er sagt, es stelle zu dieser Zeit »a shallow pit in the
external skin on each side of the hind-brain« dar. Nun entsteht die
erste Einsenkung des schon früher verdickten Epithels allerdings erst
bei Embryoneu mit zwei inneren Kiemenfurchen, aber nicht erst im
Stadium mit 38, sondern schon im Stadium mit 26 Urwirbeln. Dass
BALFOUR die Urwirbel nicht etwa nach beiläufiger Schätzung eingezeich-
net hat, geht daraus hervor, dass er im Text ausdrücklich auf die Zahl
derselben verweist. — Auch die Hypochorda soll in diesem Stadium
entstehen (vgl. Monographie, pag. 228), während wir gesehen haben, dass
sie schon im Stadium mit 17 Urwirbeln in die Erscheinung tritt, also
entsprechend dem Stadium @ Batrour’s. — In das Stadium Z ver-
legt BALFOUR ferner auch die Bildung des Herzens; er sagt: »the
first rudiment of the heart becomes visible during this stage as a
cavity between the mesoblast of the splanchnopleure and the hypoblast«
(pag. 76). Nun entsteht aber das Herz bald nach der Ausbildung
der ersten Kiemenfurche und ist bei Embryonen mit 38 Urwirbeln
schon weit entwickelt, die beiden Anfangs getrennten Perikardialhöhlen
sind längst vereinigt und das Herz hängt an einem ansehnlichen
dorsalen Mesocardium.
Nicht genauer sind BALFour’s Angaben über die folgenden Stadien.
So zeigt uns das Stadium / einen Embryo mit drei Kiemenfurchen
und 46 Urwirbeln. Embryonen mit 46 Urwirbeln haben aber stets vier
scharf begrenzte innere Kiemenfurchen. In der Charakteristik dieses
Stadiums heißt es: »the involution of the lens has made considerable
progress«. Bei Embryonen mit 46 Urwirbeln ist aber, wie oben er-
wähnt wurde, noch keine Spur einer Linseneinstülpung vorhanden.
In diesem Stadium soll auch die Leber entstehen (pag. 226), eine An-
gabe, die ebenfalls unrichtig ist.
Das nächste Stadium A ist im Vergleich mit dem vorher-
gehenden so weit entwickelt, dass sich schon VAN WIJHE veranlasst
gesehen hat, hier ein Stadium J einzuschalten. Aus verschiedenen
Angaben schließe ich, dass der als Repräsentant dieses Stadiums
abgebildete Embryo zum mindesten 70, wahrscheinlich aber 71—76
Urwirbel besessen hat. Andere Angaben (z. B. über die hinteren
Cardinalvenen [pag. 234], den »interrenal body« [pag. 246) u. a.)
lassen eine noch größere Zahl vermuthen. Nichtsdestoweniger soll
dieser Embryo erst vier Kiemenfurchen besessen haben; aber schon
die Angabe, dass alle diese Kiemenfurchen durchgebrochen waren,
also Spalten darstellten, beweist, dass die erstere Angabe unrichtig
ist. Denn bei Embryonen mit vier Kiemenfurchen ist höchstens
Theorie des Mesoderms. 219
die zweite durchgebrochen. BALrFour ist später selbst zur Erkennt-
nis gekommen, dass seine Beschreibung der Stadien X und L »a
little inaccurate with reference to the number of the visceral clefts«
sel, wie er in einer Anmerknng gegen Schluss seiner Monographie
hervorhebt (pag. 211).
Ich könnte diese Kritik noch weiter fortsetzen, doch scheint mir,
dass das Gesagte geniigen diirfte, um zu zeigen, dass es nicht ganz
unbedenklich ist, den Angaben BaLrour’s so blind zu folgen, wie
dies bisher geschehen ist. Da man sich mehr und mehr daran ge-
wöhnt hat, den Werth einer Arbeit über Selachierentwicklung nach
der Stellung zu bemessen, die sie zur Monographie BaLrour’s ein-
nimmt, so muss ich fürchten, dass man meinen Angaben mit großem
Misstrauen begegnen werde. Es scheint mir, dass sich die Angaben
BALFOURs zum ‚Theil aus seinen Methoden erklären lassen. Die
Charakteristik der Stadien G, H und J scheint er ausschließlich
nach der Beobachtung am lebenden Objekt gegeben zu haben; dabei
kann aber, wie ich mich selbst überzeugt habe, Vieles der Aufmerk-
samkeit entgehen. Die Charakteristik der folgenden Stadien hat
BALFOUR hauptsächlich, wenn nicht auschließlich, nach Embryonen
gegeben, die in Chromsäure gehärtet waren: aber auch eine solche
Methode ist durchaus unverlässlich. Ferner scheint BALFOUR nur eine
sehr geringe Zahl der zu den Schnittserien verwendeten Embryonen
zuvor in toto untersucht zu haben; bei der damaligen Technik werden
wohl auch seine Serien zum großen Theil unvollständig gewesen
sein: da nun z. B. die hinteren Kiemenfurchen während und kurze
Zeit nach ihrer Bildung oft nur an einem oder ein paar Schnitten zu
sehen sind, konnte es leicht geschehen, dass sie von BALFOUR über-
sehen und nun die Embryonen für jünger gehalten wurden, als sie
thatsächlich waren.
Was meine eigenen Angaben betrifft, so habe ich sie folgender-
maben gewonnen. Nachdem die Embryonen in der später zu er-
wähnenden Art gehärtet und gefärbt waren, wurden sie in Nelkenöl
aufgehellt und in toto untersucht; dann wurden sie aus dem Nelkenöl
in eine Mischung von Nelkenöl und Alkohol und allmählich in reinen
Alkohol gebracht, darauf in der bekannten Weise langsam mit Chloro-
form durchtränkt, in Paraffin eingebettet und geschnitten. Die Notizen,
die ich mir bei der Beobachtung der in Nelkenöl aufgehellten Embry-
onen gemacht hatte, wurden nun an den Schnittserien, die natürlich
lückenlos sein mussten, genau kontrollirt. Man erlangt bald eine
solche Übung, dass ein Fehler so gut wie ausgeschlossen erscheint.
220 Carl Rabl
Außerden habe ich mir, wenigstens in den ersten zwei Jahren der
Untersuchung, von fast jedem Embryo vor dem Schneiden eine
Skizze angefertigt und endlich habe ich eine Anzahl von Embryonen
bei auffallendem Lichte genau gezeichnet und mir so eine bequem
zu handhabende Embryonentafel angelegt.
Einige meiner Angaben weichen etwas von denen Dourn’s ab:
doch betrifft dies nur untergeordnete Punkte. So sind auf den, der
Arbeit Dourn’s über die Entstehung des Zungenbein- und Kiefer-
apparates der Selachier! beigegebenen Tafeln an der Spritzlochkieme
fünf bis sechs Fäden gezeichnet; ich gebe zu, dass dies für die seiner
Untersuchung zu Grunde gelegten Embryonen gilt. Wie oben erwähnt,
hatten die ältesten bisher von mir untersuchten Pristiurus-Embryonen
nur vier Fäden. Ferner heißt es in der Arbeit über die Entwicklung
der Kiemenbogen der Selachier?, dass die ersten Kiemenfäden »am
ersten wahren Kiemenbogen« auftreten. Dies ist nicht richtig; wie
oben erwähnt wurde, beginnt die Bildung der Kiemenfäden am
Hyoidbogen. Über das gegenseitige Verhältnis zwischen Urwirbel-
zahl und Zahl der Kiemenfurchen und -Spalten hat Dourn keine
Beobachtungen angestellt.
Ich kehre nun wieder zur Beschreibung der einzelnen Stadien
zurück. In der Zeit, welche zwischen der Bildung des 18. und des
26. oder 27. Urwirbels liegt, ereignet sich am Mesoderm des Rumpfes
nichts, was nicht auch eben so gut in späteren Stadien zu beobachten
wäre, und ich will daher einstweilen von der Beschreibung der be-
treffenden Vorgänge absehen. Dagegen kann ich nicht umhin, einige
andere Vorgänge, die sich in der genannten Zeit am Vorderende des
Embryo abspielen, einer kurzen Besprechung zu unterziehen; es sind
dies 1) die Entstehung der Nerven; 2) die Bildung des Herzens; und
3) das Auftreten der sogenannten vorderen Kopfsomite VAN WIJHE'S.
Die Beschreibung dieser Vorgänge gehört allerdings streng genommen
nicht in den Rahmen der vorliegenden Abhandlung, indessen glaube
ich deren Erörterung durch das allgemeine Interesse, das ihnen zu-
kommt, entschuldigen zu dürfen. Eine genaue, mit Abbildungen
versehene Beschreibung soll erst in meiner Arbeit über die Entwicklung
des Wirbelthierkopfes gegeben werden und ich hoffe, bis dahin auch
die jetzt noch bestehenden Lücken ausfüllen zu können.
Wie schon van WIHE ganz richtig angegeben hat, entwickeln
sich die Nerven der Reihe nach von vorn nach hinten. Der erste
! Mittheilungen aus der Zoolog. Station zu Neapel. Bd. VI. 1886,
2 Mittheilungen aus der Zoolog. Station zu Neapel. Bd. V. 1884.
Theorie des Mesoderms. 2331
Nerv, der zur Entwicklung kommt, ist der Trigeminus: er entsteht
im Stadium mit 18 Urwirbeln. Im Stadium mit 20—21 Urwirbeln
entsteht der Acusticofacialis, im Stadium mit 23—24 Urwirbeln der
Glossopharyngeus und dann entwickeln sich der Reihe nach der
Vagus und die dorsalen Wurzeln der Spinalnerven. Der Trigeminus
entsteht als ein mächtiger Auswuchs von der dorsalen Kante des
Gehirns; er bildet bald nach seiner Entstehung eine langgezogene,
nach hinten an Dicke zunehmende Platte, deren dorsaler Rand mit
der dorsalen Kante des Gehirns zusammenhängt. Diese Platte beginnt
am Mittelhirn in geringer Entfernung hinter der Stelle, an welcher
später die Epiphysis entsteht und wo noch durch geraume Zeit das
Medullarrohr mit dem Ektoderm verbunden ist, und erstreckt sich
kontinuirlich nach rückwärts bis zum vorderen Theile des Hinterhirns.
Sie umfasst höchst wahrscheinlich nicht bloß die Anlage des Trige-
minus, sondern auch die Anlagen des Oculomotorius und Trochlearis.
VAN WIJHE lässt die Platte (»Nervenleiste«) allmählich von vorn nach
hinten schwinden .und den hinteren, mit dem Hinterhirn zusammen-
hängenden Theil des Auswuchses zur Trigeminuswurzel werden. Ich
finde aber, dass auch der vordere mit dem Mittelhirn verbundene
Saum der Platte als ein Anfangs ziemlich mächtiger Strang, später
aber als ungemein zarter, nur aus einer einzigen Zellreihe be-
stehender Faden erhalten bleibt und dass dieser Faden mit jenem,
auf dem Querschnitte dreieckigen Theil der Trigeminusplatte in
Verbindung tritt, welcher später zum Ciliarganglion wird. Dieser
Faden ist Anfangs, so lange sich in den betreffenden Theil des
Kopfes noch keine Mesodermzellen eingedrängt haben, zwischen
Ektoderm und Gehirn nicht schwer zu verfolgen, später aber ist es
nach den bisher von mir geiibten Methoden nicht mehr möglich, ihn
als gesondertes Gebilde wahrzunehmen. Da aber in noch späteren
Stadien, sobald einmal die Nerven eine faserige Beschaffenheit an-
genommen haben, entsprechend der Richtung dieses Fadens der
Oculomotorius und Trochlearis verlaufen, so glaube ich einiges Recht
zu haben, den Faden in genetische Beziehung zu diesen Nerven zu
bringen. Ferner darf ich aus einer Reihe von Beobachtungen, die
ich nicht bloß an Selachiern, sondern auch an Vögeln und Säuge-
thieren angestellt habe, schließen, dass die Oculomotoriuswurzel, die
nach dem Gesagten Anfangs eben so wie die des Trochlearis aus
der dorsalen Kante des Mittelhirns austreten musste, aus dieser Lage
allmählich durch die Ausbildung der Pedunculusbahnen verdrängt und
an die ventrale Seite verschoben wird.
222 Carl Rabl
Über die Entwicklung des Abducens besitze ich bisher keine
Beobachtungen: ich kann ihn erst sehen, wenn er bereits eine faserige
Beschaffenheit angenommen hat!. Die Entwicklung der Augenmuskel-
nerven gehört zu denjenigen Vorgängen, welche einer genauen Ver-
folgung die größten Schwierigkeiten entgegensetzen und man wird
wohl, um einen nennenswerthen Erfolg zu erzielen, zu neuen Methoden
greifen müssen.
Der Acusticofacialis tritt etwas später und in einigem Abstand
von der Trigeminusanlage auf. Auch er entsteht als solider Aus-
wuchs aus der dorsalen Kante des Medullarrohres. Noch im Stadium
mit 18 Urwirbeln, wenn, wie erwähnt, der Trigeminus bereits in die
Erscheinung getreten ist, kann man an derjenigen Stelle des Hinter-
hirns, aus welcher bald darauf der Acusticofacialis hervorwächst,
nicht die geringste Spur einer Differenzirung wahrnehmen. Eine
kontinuirliche »Nervenleiste«, aus deren vorderstem Ende der Trige-
minus und aus deren nächstfolgender Strecke der Facialis hervor-
wachsen soll, kann ich zu keiner Zeit sehen. Auch van WıJHE hat
keine gesehen; nichtsdestoweniger scheint er eine solche anzu-
nehmen, denn nur so kann seine Angabe verstanden werden, »die
Nervenleiste sei im Stadium HAH zwischen Trigeminus und Faeialis
schon abortirt?«.
Der Glossopharyngeus macht sich, wie erwähnt, zuerst bei Em-
bryonen mit 23—24 Urwirbeln bemerkbar. Auch er wächst aus der
dorsalen Kante des Medullarrohres hervor und ist vom Acusticofacialis
gerade so wie dieser vom Trigeminus durch eine kleine Lücke ge-
trennt. Zwischen Glossopharyngeus und Facialis findet sich bekanntlich
die schon jetzt gut erkennbare Gehörplatte, die sich später zum Ge-
hörbläschen einstülpt. Erst hinter dieser Stelle, also erst mit dem
Glossopharyngeus, beginnt sich eine kontinuirliche Nerven- oder besser
Ganglienleiste zu entwickeln. Es stellen sich also die beiden ersten
! Ich möchte hier einer Erwägung Raum geben, die mich schon lange be-
schiiftigt und die ich der weiteren Verfolgung werth erachte. Bei allen Squa-
liden, namentlich deutlich bei Heptanchus, giebt sich der Sphineter palpebra-
rum als ein abgelöster und selbständig gewordener Theil des Adductor mandi-
bulae zu erkennen, und er wird daher auch nicht, wie bei den höheren Thieren,
wo er ein Produkt des Platysma, das wohl wenigstens zum Theil mit dem
Constrietor superfieialis zu vergleichen sein dürfte, ist, vom Facialis, sondern
vom Trigeminus innervirt. Es wäre nun denkbar, dass auch der Rectus ex-
ternus sich in sehr früher Zeit aus der primitiven Kaumuskulatur differenzirt
hätte und damit der betreffende Zweig des Trigeminus ein selbständiger Nerv
geworden wäre.
2]l.c. pag. 20.
ET PETE Ten
Theorie des Mesoderms. 223
Nerven , Trigeminus und Acusticofacialis, entwicklungsgeschichtlich
in so fern in einen gewissen Gegensatz zu den folgenden, als
sie nicht von einer kontinuirlichen Leiste ihren Ursprung nehmen,
sondern getrennt von einander aus der dorsalen Kante des Hirn-
rohres hervorwachsen. Dagegen stellen sich Glossopharyngeus und
Vagus in eine Reihe mit den dorsalen Wurzeln der echten Spinal-
nerven, sowie ja auch die zum Hypoglossus ! werdenden ventralen
Wurzeln des Vagus entwicklungsgeschichtlich und vergleichend ana-
tomisch mit den ventralen Wurzeln der Spinalnerven verglichen werden
müssen.
Die Nerven- oder Ganglienleiste wächst, wie schon BALFOUR
richtig angegeben hat, ziemlich rasch von vorn nach hinten und aus
ihr sprossen segmentweise in der gleichfalls schon von BaLrour be-
schriebenen Art die dorsalen Wurzeln der Spinalnerven hervor. Man
kann diese Vorgänge ganz gut an meinen Figuren 3 und 4 Taf. X eı-
kennen. Zunächst sieht man (Fig. 3), dass die dorsale Fläche des
Medullarrohres, die früher (Fig. 2) ganz glatt war, rauh und uneben
wird und sich etwas über die Umgebung. hervorwölbt. Es ist dies
die Folge eines lebhaften Wucherungsprocesses der das Medullarrohr
dorsalwärts verschließenden Zellen: ganz gewöhnlich sieht man hier
Theilungsfiguren in großer Menge und zwar vorwiegend solche, deren
Achse senkrecht oder schief gegen das Ektoderm, also in der Richtung,
in der die Wucherung erfolgt, gestellt ist. Die Zellen stehen hier
häufig etwas lockerer, als in den Seitenhälften des Medullarrohres.
Aus dieser Wucherung sprossen alsbald (Fig. 4) die Spinalnerven-
wurzeln hervor, die nun im innigen Anschlusse ans Medullarrohr nach
abwärts wachsen. In sehr viel späteren Stadien, wenn sich die
Ganglienleiste schon ganz zurückgebildet hat und der Zusammenhang
der in die Ganglienanlagen eintretenden Nervenfasern mit dem Me-
dullarrohr undeutlich geworden ist (vgl. auch BaLrour), sieht man
in der dorsalen Wand des Medullarrohres eine Reihe sehr großer,
blasser, mit mächtigen runden Kernen versehener Zellen.
Ich hätte es für überflüssig gehalten, über die Entwicklung der
hinteren Wurzeln der Spinalnerven auch nur ein Wort zu verlieren,
wenn nicht vor Kurzem eine ausführliche Abhandlung über diesen
Gegenstand erschienen wäre, welche eine ganz andere Ansicht ver-
tritt. Es ist dies Bearp’s Abhandlung über die Entwicklung des
1 Der Hypoglossus kommt, wie ich gegen ONopr bemerke. allen Squa-
liden zu. :
224 Carl Rabl
peripherischen Nervensystems der Selachier und Vögel!. BEARD sucht
den Nachweis zu liefern, dass die hinteren Wurzeln der Spinalnerven,
sowie auch die Kopfnerven, nicht in der von BALFOUR und mir ge-
schilderten Art aus der dorsalen Kante des Medullarrohres hervor-
wachsen, sondern dass sie sich, oder eigentlich die Ganglien, schon
lange vor dem Verschlusse des Medullarrohres als gesonderte Zell-
massen zu erkennen geben, welche an der Übergangsstelle zwischen
Ektoderm und Medullarplatten gelegen sind; eine Abhängigkeit dieser
Zellmassen von den Medullarplatten soll nicht vorhanden sein. Da-
mit nähert sich BEARD der schon vor langer Zeit von His ausge-
sprochenen und erst in neuester Zeit wieder lebhaft vertheidigten
Auffassung. Als ich Bearp’s Abhandlung in die Hand bekam, musste ©
ich mir die Möglichkeit vor Augen halten, dass ich einen principiell
vielleicht sehr wichtigen Vorgang übersehen habe. Ich nahm daher
meine Serien wieder vor und fertigte auch zahlreiche neue durch
Embryonen mit noch offener Medullarrinne an. Ich überzeugte mich
dabei auf das allerbestimmteste, dass BEArRD’s Angaben den That-
sachen widersprechen. BEARD hilft sich über gegentheilige Angaben
zwar dadurch hinweg, dass er z. B. erklärt, meine von O. HERTwIG
wiedergegebenen Figuren gehören »among the most incorreet, that
have been published till now on this matter«. Ich mache daher
den Vorschlag, Bearp möge auf einem der nächsten Anatomenkon-
gresse seine Präparate neben den meinigen demonstriren; es muss
aber dabei, wie ich ausdrücklich hervorhebe, jedem Beschauer ge-
stattet sein, die Serien zu verschieben und es darf Niemand ge-
zwungen werden, sich auf das gerade eingestellte Präparat zu be-
schränken; denn sonst könnte irgend ein zufälliger Riss im Präparat
als ein normales Vorkommnis ausgegeben werden.
Bearp’s Untersuchungen laufen darauf hinaus, die Homologie
der Spinalganglien der Wirbelthiere mit den Parapodialganglien der
Anneliden zu beweisen; dieser Beweis kann aber nur erbracht wer-
den, wenn gezeigt wird, dass die Spinalganglien nicht aus dem
Medullarrohr hervorwachsen, sondern selbständig aus dem Ektoderm
entstehen, —
Was die Entwicklung des Herzens betrifft, so haben meine Un-
tersuchungen, obwohl sie schon seit drei Jahren darauf gerichtet
sind, bisher noch zu keinem befriedigenden Abschlusse geführt.
1 J. BEARD, The development of the peripheral Nervous system of Verte-
brates. Quart. Journ. of micr. science. Bd. XXIX. 1888.
|
Theorie des Mesoderms. 2235
Es gilt dies hauptsächlich in Beziehung auf die Frage nach dem
Ursprung des Endothels, während andere, z. Th. prineipiell wichtige
Fragen relativ leicht zu erledigen sind. Indessen erlauben mir meine
Untersuchungen doch, mir über die zahlreichen Angaben aus neuerer
Zeit ein eigenes Urtheil zu bilden.
Vor Allem handelt es sich darum, die Zeit der Herzbildung
genau festzustellen und ich glaube in dieser Hinsicht nicht fehlzu-
gehen, wenn ich das Stadium mit 21—22 Urwirbeln als erstes Sta-
dium der Herzentwicklung bezeichne. Aber schon viel früher, näm-
lich schon bei Embryonen mit 18 Urwirbeln, sieht man Zellen, welche
ganz zweifellos später zu Endothelzellen werden. Diese Zellen liegen
rechts und links am Dotterstiel, zwischen Entoderm und visceraler
Seitenplatte. Woher sie stammen, kann ich nicht mit Sicherheit
angeben. Mehrere meiner Schnitte scheinen es ganz außer Zweifel
zu stellen, dass sie von den Elementen der visceralen Seitenplatten
stammen, indessen kann ich doch die Möglichkeit, dass sie von der
Oberfläche des Dotters eingewandert sind, nicht ganz ausschließen.
Zwischen den beiden Seitenplatten findet sich in der Gegend. wo
diese Zellen gelegen sind, eine enge spalttörmige Höhle. — Diese
ersten Endothelzellen hat schon Rückerr! bei Torpedo gesehen und
abgebildet”. Das Stadium Rickert’s war aber, wie aus der größe-
ren Zahl der Zellen und der Weite der Perikardialhöhle hervorgeht,
etwas älter als das Stadium, auf das sich meine Angaben beziehen.
Vielleicht dürfte sich die ganze Frage nach dem Ursprung des
Endothels des Herzens und der Gefäße um die Frage drehen, woher
die erwähnten Zellen stammen. Sagittalschnittserien durch Em-
bryonen mit 21 und 22 Urwirbeln lassen es, wahrscheinlich er-
scheinen, dass diese Zellen bei ihrer Proliferation Stränge bilden,
welche, indem sie nach vorn wachsen, die Vorderwand des Dotter-
stiels umgreifen und an der ventralen Wand des Vorderdarmes sich
zur Bildung des Herzens vereinigen. In einem etwas späteren Sta-
dium, bei Embryonen mit 23—24 Urwirbeln, sieht man an Quer-
schnittserien, dass sich die erwähnten Zellen, die ich mit RÜCKERT
als »Gefäßzellen« bezeichnen will, an einen medianen Zellenwulst
der ventralen Wand des Vorderdarmes so innig anlegen, dass es den
Anschein gewinnt, als ob sie zum Theil aus diesem Zellenwulst
1 J. RÜCKERT, Über die Entstehung der endothelialen Anlagen des Herzens
und der ersten Gefäßstämme bei Selachierembryonen. Biol. Centralbl. Bd. VII.
1888.
2 ]1..c. pag. 390: . Fig. 1.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 15
226 Carl Rabl
entstiinden. In der That leitet auch Rickerr einen Theil der En-
dothelzellen des Herzens von den Zellen dieses Wulstes ab. Ich
halte indessen seine betreffenden Zeichnungen! nicht für beweisend:
wenigstens glaube ich an einer besonders schönen Serie überall eine
deutliche Grenze zwischen den Gefäßzellen und dem Wulst zu sehen.
Es müsste sich, wie mir scheint, diese Frage an Horizontalschnitt-
serien ziemlich leicht entscheiden lassen; solche stehen mir aber von
diesen Stadien bisher noch nicht zu Gebote.
Die Endothelzellen des Herzens bilden Anfangs einen ziemlich
unregelmäßigen Zellhaufen, in welchem bei Embryonen mit 26 Ur-
wirbeln Hohlräume aufzutreten beginnen, die immer zahlreicher und
größer werden, sodann mit einander zu größeren Räumen und schließ-
lich zur einheitlichen Herzhöhle konfluiren. Es ist interessant, dass
sich eine einheitliche Herzhöhle erst relativ spät, jedenfalls erst nach
der Bildung der Aorten und nicht vor der Entstehung des 30. Ur-
wirbels ausbildet. Ob indessen ursprünglich zwei getrennte Herz-
höhlen vorhanden sind, kann ich nicht sagen: im Stadium mit 26
— 27 Urwirbeln macht es zwar zuweilen den Eindruck, als ob das
Endothelrohr des Herzens paarig wäre, in den meisten Fällen je-
doch sieht man auf Schnitten nicht zwei, sondern mehrere Lumina.
Hinsichtlich der Entwicklung der Gefäße halte ich, so lange
nicht viel bessere und zwingendere Gründe dagegen angeführt wer-
den können als bisher, an dem Satze fest, dass Endothel stets aus
Endothel hervorgeht. RüÜCKERT sucht wahrscheinlich zu machen,
dass die Endothelien der großen Gefäße des Kopfes und Rumpfes
»aus zwei verschiedenen Quellen hervorgehen, aus dem Entoblast
der Darmwandung und dem den Darm umhüllenden Mesoblast. Im
Bereiche des Mesoblast hinwiederum lässt sich ein Austritt von ge-
fäßbildenden Zellen (‚,Gefäßzellen‘) sowohl aus den Somiten als
namentlich aus dem unsegmentirten ventralen Mesoblast (Seitenplat-
ten) verfolgen ?.«e — Es ist für mich, ohne Abbildungen zu bringen,
schwer, gegen diese Ansicht, die ich nicht theilen kann, Stellung
zu nehmen. Ich möchte daher nur auf die Schwierigkeit hinweisen,
junge, eben in Bildung begriffene Gefäße in einer Querschnittserie
auf größere Strecken zu verfolgen. Solche Gefäße stellen sehr zarte,
oft nur aus einer einzigen Reihe mehr oder weniger langgestreckter
Zellen bestehende Fäden dar, die sich allmählich aushöhlen. Sind
il.c. pag. 392. Fig. 5 und 6.
2]. c. pag. 425.
Theorie des Mesoderms. 227
solche Fäden oder Stränge noch nicht ausgehöhlt oder sind sie, ob-
wohl sie bereits ausgehöhlt waren, wieder kollabirt, so kommt man,
wenn man sich nicht die Mühe nimmt, eine sehr große Zahl von
Schnitten zu zeichnen und die Bilder mit einander zu vergleichen,
leicht in Gefahr, Gefäßdurchschnitte für Mesodermzellen zu halten.
Dies ist meiner Überzeugung nach RÜCKERT und namentlich Pavr
Mayer! wiederholt passirt. Auch ist zu beachten, dass ein Quer-
schnitt eines jungen Gefäßes, wenn er gerade zwischen zwei Zell-
kernen hindurehgeht, kernlos sein kann, und wenn nun ein solches
Gefäß noch dazu kollabirt ist oder ein sehr enges Lumen besitzt, so
hat man im Schnitt häufig nur ein ganz kleines, kernloses, allen-
falls mit einigen Dotterkérnchen durchsetztes Kliimpchen vor sich,
das ganz bedeutungslos zu sein scheint und der Aufmerksamkeit
leicht ganz entgeht. Ich kann dies an sehr zahlreichen Präparaten
demonstriren. Ich habe die erste Entwicklung der Gefäße nament-
lich an den Aorten wiederholt genau verfolgt und es ist mir kein
Fall erinnerlich, der mich an der Überzeugung irre gemacht hätte,
dass neue Endothelien immer nur aus bereits bestehenden ihren Ur-
sprung nehmen.
BALFOUR ist über die Zeit der Entstehung des Herzens im Un-
klaren geblieben. Ich habe oben nach der von BALFOUR gegebenen
allgemeinen Charakteristik der Embryonen angeführt, dass er die
Bildung des Herzens in das Stadium H verlegt?. Bald darauf ver-
legt er sie aber in das Stadium G° und beschreibt sie fast mit den-
selben Worten wie früher vom Stadium H. Eben so verlegt er
später bei der speciellen Beschreibung der Herzentwicklung »the
first trace of the heart« in das Stadium G4, verweist aber dabei auf
eine Figur, welche, wie die Tafelerklärung sagt, einem Pristiurus-
embryo aus dem Stadium H entnommen ist. — Die Angaben PAuL
Mayer’s sind fast durchwegs vieldeutig und halten sich jede Mög-
lichkeit offen; dabei sind sie reichlich mit theoretischen Erörterungen
durchsetzt, die zwar, wie ich nach der ganzen Art der Darstellung
vermuthe, geistreich sein sollen, aber die Sache in keiner Weise
fördern. — Die Beschreibung, welche RÜckErT giebt, lässt sofort
erkennen, dass jedem Wort eine Beobachtung zu Grunde liegt, und
1 PauL MAYER, Uber die Entwicklung des Herzens und der großen Ge-
fäßstämme bei den Selachiern. Mitth. der Zool. Station zu Neapel. Bd. VIL
2 Monographie. pag. 76.
3 pag. 109. * pag. 230.
228 Carl Rabl
wenn ich mich auch mit der Deutung seiner Beobachtungen nicht
einverstanden erklären kann, so muss doch die Gewissenhaftigkeit
und Sorgfalt seiner Untersuchungen rühmend hervorgehoben werden.
Ich komme nun zu einem principiell sehr wichtigen Gegenstand,
nämlich zur Frage nach der Entwicklung und Bedeutung der so-
senannten Kopfsomite. Diese Frage ist eigentlich schon von BAL-
FOUR angeregt worden, aber bestimmt formulirt wurde sie erst von
VAN WIJHE in seiner bekannten Arbeit über die Mesodermsegmente
und Nerven des Selachierkopfes. Es kann nicht meine Absicht sein,
diese Frage hier nach ihrem ganzen Umfange zu behandeln, sondern
ich will mich auf die Mittheilung einiger Beobachtungen beschränken,
die, wie mir scheint, mit Nothwendigkeit zu einer von der bisherigen
wesentlich verschiedenen Auffassung führen müssen.
Ich theile die Kopfsomite ein in vordere oder proximale und
hintere oder distale. Unter letzteren verstehe ich diejenigen, welche
hinter jener Stelle, an der sich das Gehörbläschen bildet, gelegen
sind, unter ersteren die vor dieser Stelle gelegenen. Dazu kommt
noch eines, welches an der Grenze zwischen beiden Regionen, näm-
lich genau in der Höhe des Gehörbläschens, liegt und welches ich
noch den proximalen zurechne. Proximale Kopfsomite sind, wie
VAN WIJHE gezeigt hat, jederseits vier, distale jederseits fünf zu
unterscheiden.
Ich beginne mit der Beschreibung der hinteren Kopfsomite, weil
sie einem richtigen Verständnisse kaum irgend welche Schwierig-
keiten entgegensetzen. Diese Somite entstehen genau in derselben
Weise wie die Urwirbel und sind überhaupt, so lange sie als distinkte
Theile erhalten bleiben und ihre Selbständigkeit bewahren, von ech-
ten Urwirbeln nicht zu unterscheiden. Wie schon im ersten Theile
erwähnt wurde, entwickeln sich bei allen Wirbelthieren die Urwirbel
der Reihe nach von vorn nach hinten, so dass also der vorderste
Urwirbel zugleich der älteste ist. Dieser vorderste Urwirbel ist aber
identisch mit dem fünften Kopfsomit van WisHE’s, dem ersten distalen
Somite. Auch die weitere Entwicklung der fünf distalen Kopfsomite
ist genau dieselbe wie die der nächstfolgenden Urwirbel des Rumpfes.
Wir werden später an den Urwirbeln Vorgänge kennen lernen, welche
zur Bildung der Seitenrumpfmuskulatur und eines bestimmten Theiles
des Bindegewebes führen; genau dieselben Vorgänge spielen sich an
den distalen Kopfsomiten ab. Es kommt hier eine Muskulatur zur
Ausbildung, die sich kontinuirlich in die Seitenrumpfmuskulatur fort-
setzt, und diese entsteht genau aus demselben Theile der Somite wie
Theorie des Mesoderms. 229
am Rumpfe. Und gerade so wie aus bestimmten Theilen der Ur-
wirbel Bindegewebe hervorgeht, so auch an den distalen Kopfsomiten.
Ks liefern also stets homologe Theile homologe Organe.
Dabei ist das Hauptgewicht keineswegs darauf zu legen, dass
sich aus den hinteren Kopfsomiten überhaupt Muskeln und Binde-
gewebe entwickeln, sondern vielmehr darauf, dass diese Organe
genau aus denselben Theilen der Somite hervorgehen, wie am
Rumpfe. Denn um zwei oder mehr Theile eines Embryo mit ein-
ander vergleichen zu dürfen, ist es nicht nothwendig, dass sich aus
ihnen auch durchaus die gleichen Organe entwickeln; es kann vielmehr
die Entwicklung eines oder mehrerer Organe ganz oder fast ganz
unterdrückt sein. Dies ist z. B. bei den Exkretionsorganen im Kopf
und vorderen Theile des Rumpfes, sowie fast in der ganzen Schwanz-
region der Fall; obwohl sich diese, wie später noch ausführlich aus
einander gesetzt werden soll, aus bestimmten Theilen der Urwirbel
entwickeln, nehmen wir doch keinen Anstand, alle Urwirbel in eine
Reihe zu stellen, unbekümmert darum, ob sie Exkretionsorgane zur
Ausbildung bringen oder nicht.
Dagegen ist es zur Vergleichung zweier oder mehrerer Organe
von prineipieller Wichtigkeit, dass sie aus gleichnamigen Theilen
des Embryo hervorgehen. So dürfen wir z. B. eine Muskulatur,
welche aus den Seitenplatten entsteht, nicht mit der Seitenrumpf-
muskulatur vergleichen; denn wir sehen, dass am ganzen Rumpf
und Schwanz diese Muskulatur aus den Urwirbeln hervorgeht. Ja,
wir dürfen nicht einmal jede, aus den Urwirbeln hervorgehende Mus-
kulatur als Seitenrumpfmuskulatur bezeichnen, sondern nur diejenige,
welche aus einem ganz bestimmten Theile der Urwirbel, nämlich
aus deren medialer Lamelle, den Ursprung nimmt. Im gegentheili-
gen Falle würden wir der Willkür Thür und Thor öffnen; wir wür-
den schließlich dazu kommen, jedwede Muskulatur, gleichviel wie
sie entstanden sein mag, mit der Seitenrumpfmuskulatur zu ver-
gleichen.
Fürdie Vergleichung zweier oder mehrerer embryo-
naler Organe ist also nicht so sehr ihre weitere Aus-
bildung, als ihre erste Entstehung maßgebend; immerhin
können sich aber aus der weiteren Ausbildung neue Beweise für die
Richtigkeit einer Ansicht ableiten lassen.
Sowie sich nun die distalen Kopfsomite einerseits mit Rücksicht
auf ihre erste Entstehung und weitere Ausbildung in eine Reihe mit
den Urwirbeln stellen, so auch in Beziehung auf ihr Verhältnis zu
230 Carl Rabl
den Seitenplatten und den Nerven. Gerade so wie am Rumpfe setzen
sich auch am distalen Theile des Kopfes die beiden Lamellen der Ur-
wirbel kontinuirlich in die beiden Lamellen der Seitenplatten fort. Und
so wie die Seitenplatten des Rumpfes, abgesehen von anderen Organen,
eine viscerale Muskulatur liefern, so auch am Kopfe. Hier entsteht
aus ihnen die Muskulatur der Kiemenregion vom dritten Bogen ange-
fangen nach rückwärts. Überdies liefern sie in einer, später noch näher
zu schildernden Weise, die Muskulatur des Herzens, was mit der
speciellen Bedeutung dieser Region im Zusammenhang steht.
Was die Beziehung der hinteren Kopfregion zu den Nerven be-
trifft. so ist vor Allem darauf Gewicht zu legen, dass hier gerade
so wie am Rumpfe sowohl dorsale als ventrale Wurzeln zur Aus-
bildung kommen. Die dorsalen Wurzeln, welche zum Glossopharyn-
geus und Vagus werden, wachsen in derselben Weise, wie weiter
hinten, aus einer kontinuirlichen Nerven- oder Ganglienleiste hervor;
die ventralen Wurzeln, welche zum Hypoglossus werden, sind im
vorderen Theile, entsprechend dem Glossopharyngeus, abortirt, im
hinteren dagegen noch vorhanden; und zwar zähle ich bei Heptanchus
drei, bei Mustelus, Acanthias und Seyllium zwei Wurzeln, die von
vorn nach hinten an Stärke zunehmen.
In späteren Stadien sind die topographischen Beziehungen der
dorsalen Wurzeln zu den Urwirbeln, wie schon vAN WIJHE! gezeigt
hat, im Kopf und Rumpf verschieden. Im Kopf wachsen sie lateral-
wärts, im Rumpf medialwärts von den Urwirbeln herab. Es hängt
dies vielleicht z. Th. mit dem Umstande zusammen, dass im Kopfe
keine Verschmelzung der dorsalen und ventralen Wurzeln zu einem
gemeinsamen Nervenstamm eintritt.
Viel schwieriger ist die Frage nach der Entstehung und Be-
deutung der vorderen oder proximalen Somite.
Wenn man durch Embryonen, bei denen es noch nicht zur
Bildung von Kiemenfurchen gekommen ist, Sagittalschnittserien an-
fertigt, so überzeugt man sich sehr leicht, dass am Mesoderm jeder
Körperhälfte drei Abschnitte unterschieden werden können: ein vor-
derer unsegmentirter, ein mittlerer, dessen dorsaler Theil in die
Urwirbel gegliedert ist, und ein hinterer oder caudaler, abermals
unsegmentirter. Eben so leicht überzeugt man sich, dass sich
sowohl die Urwirbel, als die Seitenplatten des mittleren
Mesodermabschnittes in das proximale und distale unsegmentirte
Theorie des Mesoderms. 231
Mesoderm fortsetzen. Da sich nun das proximale Mesoderm, von
dem hier allein die Rede sein soll, kontinuirlich mit dem ersten
Urwirbel und den Seitenplatten in Verbindung setzt, so ist damit
zugleich gesagt, dass der erste Urwirbel vorn keine scharfe Grenze
hat. Es gilt dies, nebenbei bemerkt, von allen Wirbelthieren. Überall
ist der erste Urwirbel vorn offen und setzt sich eben so wie die
Seitenplatten kontinuirlich in das unsegmentirte Mesoderm des Vorder-
kopfes fort.
Diese Beziehung des vorderen zum mittleren Mesodermabschnitte
scheint mir für die richtige Beurtheilung der später am proximalen
Mesoderm ablaufenden Vorgänge von großer Bedeutung zu sein.
Es war ferner schon BALFOUR bekannt, dass das Mesoderm
des Vorderkopfes schon sehr frühzeitig, nämlich schon zur Zeit,
wann die Medullarrinne noch ganz flach und seicht ist, eine sehr
ansehnliche, auf dem Querschnitte ungefähr dreieckige Höhle um-
schließt. Verfolgt man diese Höhle an einer Querschnittserie von
vorn nach hinten, so sieht man, dass sie sich, allmählich enger
werdend, sowohl in die jetzt noch ganz kleine Höhle des ersten
Urwirbels, als auch in den feinen Spalt zwischen den beiden Seiten-
platten fortsetzt. Von dem Zusammenhang mit diesem Spalt kann
man sich übrigens nur an Querschnittserien überzeugen, da die
Seitenplatten auf Sagittalschnitten schief getroffen werden. Von
dem Zusammenhang mit der Höhle des ersten Urwirbels überzeugt
man sich aber am besten an Sagittalschnittserien. Endlich ist noch
zu bemerken, dass sich vom Vorderende des proximalen Mesoderms
schon sehr frühzeitig ein auf dem Sagittalschnitt sichelförmiger Fort-
satz nach vorn erstreckt, der den Stiel der primären Augenblase von
hinten und unten umgreift und in welchen sich die erwähnte Höhle
nieht fortsetzt.
Wesentlich dieselben Verhältnisse findet man auch noch kurz
nach dem Auftreten der ersten Kiemenfurche. Aber schon bei Embryo-
nen mit 22—23 Urwirbeln macht sich der Beginn einer Scheidung
des proximalen Mesoderms in mehrere Abschnitte bemerkbar. Bei
Embryonen mit der angegebenen Urwirbelzahl sieht man auch schon
den allerersten Anfang einer zweiten Kiemenfurche, die bald darauf
noch deutlicher wird, aber erst bei Embryonen mit 26—27 Ur-
wirbeln das Ektoderm erreicht. Bei Embryonen mit 22—23 Ur-
wirbeln faltet sich zunächst die mediale Wand des proximalen
Mesoderms etwas hinter der Mitte des dorsalen Endes der ersten
Kiemenfurche ein, so dass die Kontinuität dieses Mesoderms und
232 Carl Rabl
seiner Höhle nur an den vor der Mittelebene entfernteren Schnitten
wahrgenommen werden kann. Eine zweite Einfaltung der medialen
Wand liegt etwas weiter vorn, aber gleichfalls noch iiber der ersten
Kiemenfurche; jedoch kommt es hier nie zu einer vollstiindigen
Scheidung. Gleichzeitig schneidet an der Basis des erwähnten sichel-
förmigen Fortsatzes von der lateralen Seite her eine Furche ein,
welche eine Abtrennung dieses Fortsatzes einleitet. An Schnitten,
welche der Mittelebene mehr genähert sind, sieht man diesen Fort-
satz noch in innigem Zusammenhang mit dem übrigen Mesoderm:
an Schnitten dagegen, welche mehr seitwärts geführt sind, erscheint
derselbe als selbständige isolirte Zellmasse.
Erst nachdem die zweite Kiemenfurche eine scharfe Begrenzung
gewonnen hat, also nicht vor der Bildung des 26.—27. Urwirbels,
greift die bereits vorbereitete Scheidung des proximalen Mesoderms in
mehrere Abschnitte vollständig durch. Indem sich der sichelförmige
Fortsatz ablöst und selbständig wird, wird er zum ersten Kopf-
somit van WıJHE's. Indem ferner die zweite der über der ersten
Kiemenfurche in die mediale Mesodermwand eindringenden Falten
durchschneidet, löst sich dieser Theil als sogenanntes zweites Kopf-
somit vom folgenden ab. Und indem endlich der Rest des proximalen
Mesoderms sich einerseits an seiner Verbindung mit dem ersten Ur-
wirbel, andererseits etwa in der Mitte seiner Länge einschnürt, theilt
er sich, wenigstens scheinbar, in zwei ungefähr gleich lange Abschnitte,
welche das dritte und vierte Kopfsomit van WıHE's vorstellen. Ich
bin aber nicht sicher, ob diese Scheidung jemals eine vollständige
wird. Immerhin bekommt man an einzelnen Schnitten Bilder
zu sehen, welche den wichtigen Figuren 1 und 2 van W1JHE’s
ähnlich sind.
Das erste Somit, das Anfangs, wie erwähnt, solid ist, höhlt sich
später aus und die Höhle wird zur ersten Kopfhöhle BALrour’s und
VAN WıJHE's. Diese Höhle tritt in sehr viel späteren Stadien durch
einen engen Gang mit der der Gegenseite in Verbindung. Das
zweite Somit umschließt von allem Anfang an die größte Höhle, die
sich weit nach hinten und abwärts in den Kieferbogen hinein erstreckt.
Schon sehr frühzeitig, nämlich schon bei Embryonen mit 23 Ur-
wirbeln, sieht man über die dorsale, etwas nach vorn zu abfallende
Wand dieser Höhle den Ramus ophthalmicus profundus des Trigeminus
zur Anlage des Ciliarganglions ziehen, während sich der hinteren
Wand der Ramus maxillaris anschmiegt, ein Verhältnis, das sich durch
sehr lange Zeit forterhält. Das sogenannte dritte Somit enthält
Theorie des Mesoderms. 233
Anfangs nur eine sehr enge Höhle, die sich aber bald in ihrer vorderen
Hälfte erweitert, während sie in der hinteren schwindet. Es ist dies
die dritte Kopfhöhle BALFoUR’s und vAN WIJHE's. Sie schiebt sich
mehr und mehr nach vorn, so dass sie schon bei Embryonen mit
drei Kiemenfurchen über der dorsalen Verlängerung der ersten Kiemen-
furche liegt. Das dritte Somit findet sich zwischen Ramus maxillaris
des Trigeminus und dem primären Aste des Facialis, als welcher der
sich zuerst entwickelnde Ramus hyoideus anzusehen ist!; die beiden
anderen Hauptäste des Facialis, die Portio facialis des N. ophthal-
micus superficialis und der Ramus bucealis sind viel spätere Bildungen.
Das vierte Somit zeigt nur ganz im Anfang eine kleine Höhle, welche
aber bald schwindet.
Fassen wir nach dem Gesagten die erste Entstehung der proxi-
malen Kopfsomite zusammen, so müssen wir sagen, dass sie kaum
eine entfernte Ähnlichkeit mit der Bildung der Urwirbel zeigt.
VAN WHE führt »zum Beweise, dass die Somite des Kopfes in der
erwähnten Periode (Stadium J BaLrour’s) denen des Rumpfes gleich-
zustellen sind«, folgende drei Punkte an: . »1) Dass die Länge (der
proximal-distale Durchmesser) der Somite sich im ganzen Körper
gleich verhält; 2) dass die obere Grenzlinie der Rumpfsomite un-
unterbrochen in diejenige der Kopfsomite übergeht; und 3) dass die
untere Grenze der Somite sowohl im Kopfe als im Rumpfe nur wenig
unter der oberen Grenze des Darmes liegt ?.«
Da ich nach den früheren Erörterungen die fünf distalen Kopf-
somite für echte Urwirbel halte, so gilt das, was ich gegen vAN
WısHe's Beweisführung einzuwenden habe, nur in Beziehung auf
die vier vorderen Somite. Was den ersten Punkt betrifft, so hat
VAN WIJHE selbst bervorgehoben, dass das erste Somit eine Aus-
nahme macht, indem es zur Zeit seiner Entstehung viel kürzer ist,
als die übrigen. Aber auch das zweite Somit macht, wie ich glaube,
eine Ausnahme. Denn wenn es auch richtig ist, wie ich dies ja
selbst schon hervorgehoben habe, dass die Länge der Urwirbel von
hinten nach vorn allmählich zunimmt, so ist doch zu bemerken,
dass die dorsale Kante des zweiten Somites — und diese allein
kann hier in Frage kommen — ganz unverhältnismäßig lang ist.
Nur das dritte und vierte Somit stellen sich in Beziehung auf ihre
1 Diesen Ast hat schon BALFOUR, der auch die beiden anderen Äste
kannte, als Hauptast bezeichnet.
Al. iets ipag. oA.
234 Carl Rabl
Länge ungefähr in eine Reihe mit den nächstfolgenden echten Ur-
wirbeln. Was den zweiten Punkt anbelangt, so trifft die Bemerkung
vAN WIJHE'S allerdings vollkommen zu; aber ich kann in dem von
ihm hervorgehobenen Verhalten des Mesoderms auch nicht die Spur
eines Beweises für die Richtigkeit seiner Ansicht erblicken. Dass
die obere Grenzlinie des Mesoderms des Vorderkopfes als direkte
Verlängerung derjenigen des Rumpfmesoderms erscheint, finde ich
nur ganz natürlich und ein entgegengesetztes Verhalten müsste zum
mindesten höchst sonderbar erscheinen. Wir finden doch auch, dass
sich die dorsale Grenzlinie des unsegmentirten distalen Mesoderms
kontinuirlich in die dorsale Grenzlinie des segmentirten fortsetzt.
Was den dritten Punkt betrifft, so ist vor Allem wieder hervorzu-
heben, dass auch hier das erste Somit eine Ausnahme macht; hin-
sichtlich des zweiten Somites weiß ich nicht, wohin van WHE die
untere Grenzlinie verlegen will. Ich für meinen Theil kann eine
solche überhaupt nicht finden oder müsste sie an ganz willkürlicher
Stelle ziehen. Das dritte und vierte Somit können aber für die
Beweisführung so lange nicht in Betracht kommen, als nicht wenig-
stens gezeigt werden kann, dass die Scheidung dieser beiden Seg-
mente von einander und vom ersten Urwirbel jemals eine vollständige
wird. So lange dies nicht geschieht, weiß ich nicht, wo ich die
ventrale Grenze der Somite zu ziehen habe.
Die Art der Entstehung der vier, aus dem unsegmentirten Meso-
derm des Vorderkopfes hervorgehenden Abschnitte giebt uns also kein
Recht, sie mit Urwirbeln zu vergleichen. Eben so wenig haben wir
aber ein Recht, sie und etwa noch zwei folgende als primäre oder
palingenetische Somite zu bezeichnen und sie den hinteren als se-
kundären oder eenogenetischen gegenüber zu stellen. Ich habe nicht
die Absicht, auf diese in jüngster Zeit von GEGENBAUR ausgesprochene
Ansicht hier einzugehen und bemerke nur, dass gegen dieselbe schon
die Thatsache spricht, dass die vier vorderen der »primären« Segmente
sehr viel später als die »sekundären« entstehen.
Sowie die erste Entstehung, ist auch die weitere Entwicklung
der vier proximalen Mesodermabschnitte eine ganz andere, als bei
den Urwirbeln und den, mit diesen übereinstimmenden Kopfsomiten.
Zwar bilden sich auch im Vorderkopf Bindegewebe und Muskeln
und ein Theil des Bindegewebes geht aus der medialen Wand der
Mesodermabschnitte hervor. Aber damit ist auch die Übereinstimmung
erschöpft. Es bilden sich im Kopfe die Muskeln fast durchwegs an
Stellen, welche an den Urwirbeln nur Bindegewebe liefern und es
Theorie des Mesoderms. 235
_ entsteht das Bindegewebe auch an Stellen, welche an den Urwirbeln
- zu Muskeln werden. Nie kommt es im Vorderkopf zu einer Scheidung
in Hautmuskelplatte (Myotom) und Sklerotom!, sowie denn überhaupt
der Vorderkopf nach der ganzen Art seiner Entwicklung als etwas
- Besonderes, mit dem Hinterkopf und Rumpfe nicht näher Vergleich-
bares erscheint.
Die Entwicklung des Bindegewebes beginnt im Vorderkopf viel
früher als im Rumpfe, sie ist am sogenannten zweiten Kopfsomite
schon im Stadium mit 26—27 Urwirbeln zu sehen und ist im Sta-
dium mit 34—35 Urwirbeln, wenn sie im Rumpfe eben erst be-
sonnen hat, schon sehr weit vorgeschritten. Es spricht dies, wie
mir scheint, mit Entschiedenheit gegen die Annahme, dass die Me-
sodermabschnitte des Vorderkopfes als Urwirbel aufzufassen sind.
Denn die Differenzirung der Gewebe folgt einem ganz bestimmten
Gesetze: sie schreitet in derselben Weise fort, in der die Bildung
der Organanlagen erfolgt. Dies sehen wir deutlich bei der Bildung
der Urwirbel, Nerven und Exkretionsorgane; diese Organe entstehen
der Reihe nach von vorn nach hinten und zeigen einen um so höhe-
ren Grad der Differenzirung, je älter, mit anderen Worten, je weiter
nach vorn sie gelegen sind. Es gilt dies auch dann, wenn eine
Organanlage von ihrer Ursprungsstelle aus nach zwei entgegenge-
setzten Richtungen weiter wächst; auch dann zeigt der älteste Theil
den höchsten Grad der Differenzirung. Als Beispiel führe ich die
Chorda an; der Ort ihres ersten Auftretens dürfte ungefähr in die
Gegend des späteren Hinterkopfes fallen; von hier wächst sie nach
vorn und hinten weiter. Damit im Zusammenhang findet man auch
noch in späten Stadien an den beiden Enden den geringsten Grad
der Differenzirung des Chordagewebes. Wenn wir nun annehmen,
dass die vier Mesodermabschnitte des Vorderkopfes Urwirbel reprä-
sentiren, kommen wir mit diesem Gesetze in Kollision; denn obwohl
sie erst entstehen, nachdem schon mindestens zwanzig Urwirbel ge-
bildet sind, tritt die gewebliche Differenzirung an ihnen früher auf
als an diesen.
Bei den Urwirbeln liefert, wie wir seben werden, nur eine ganz
bestimmte und scharf begrenzte Stelle der medialen Wand Binde-
gewebe; an den Mesodermabschnitten des Vorderkopfes dagegen
betheiligt sich die ganze mediale Wand an der Bildung des Binde-
1 Nichtsdestoweniger unterscheidet VAN WIJHE auch hier ein Myotom und
Sklerotom.
236 Carl Rabl
gewebes. Während ferner die Muskulatur der Urwirbel ausschließlich
aus der medialen Wand entsteht, nimmt sie im Vorderkopf zum
größten Theil aus der lateralen und zum kleineren Theil aus der
hinteren Wand der sogenannten Somite den Ursprung; Letzteres gilt
z. B. nach van WıJHE vom Muse. rectus sup., int. und inf., die
aus der Hinterwand des ersten »Myotomes« entstehen.
Eben so wenig rechtfertigt auch die Beziehung der Nerven zu
den vier Mesodermabschnitten des Vorderkopfes und den daraus
hervorgehenden Organen die Ansicht, dass wir es hier mit Urwirbeln
zu thun haben. Vor Allem haben wir daran festzuhalten, dass der
Vorderkopf nur zwei primäre Nerven, den Trigeminus und Acustico-
facialis besitzt, und dass diese Nerven nicht, wie die dorsalen Ner-
venwurzeln des Hinterkopfes und Rumpfes aus einer kontinuirlichen
Nerven- oder Ganglienleiste, sondern getrennt von einander ent-
springen. Die Augenmuskelnerven können erst in zweiter Linie in
Betracht kommen und dabei hat man sich die Möglichkeit oder
Wahrscheinlichkeit vor Augen zu halten, dass sie Derivate des pri-
mitiven Trigeminusauswuchses sind.
Ich muss hier von der Mittheilung der zahlreichen Details, zu
denen meine Untersuchungen bisher geführt haben, absehen und
muss es daher für diesmal unterlassen, die vielen, über die Meta-
merie des Wirbelthierkopfes in den letzten Jahren aufgestellten Hypo-
thesen einer Kritik zu unterziehen; ich bemerke nur, dass sie mir
fast siimmtlich den Eindruck einer Beweisführung um jeden Preis,
selbst um den Preis der Thatsachen, gemacht haben.
Was die Ansicht betrifft, zu der, wie ich glaube, meine Beob-
achtungen mit Nothwendigkeit führen müssen, so ist dieselbe unge-
mein einfach. Sie geht dahin, dass wir am Kopf der Wirbelthiere
ontogenetisch und phylogenetisch zwei Abschnitte zu unterscheiden
haben: einen vorderen, größeren, unsegmentirten und einen hinteren,
kleineren, segmentirten. Die Grenze zwischen beiden bildet das
Gehörbläschen, das aber noch dem Vorderkopfe zuzurechnen ist.
Das Mesoderm des Vorderkopfes kann sich in mehrere Abschnitte
theilen, die jedoch weder nach der Art ihrer Entstehung und weite-
ren Ausbildung, noch auch nach ihren Beziehungen zu den Nerven
mit Urwirbeln vergleichbar sind. Primäre Nerven des Vorderkopfes
giebt es, abgesehen vom Olfactorius und Opticus, zwei: den Trige-
minus und Acusticofacialis; die Augenmuskelnerven sind vielleicht,
wie erwähnt, vom Trigeminus abzuleiten und die Augenmuskeln
selbst vielleicht von der in den ersten Kiemenbogen eintretenden,
Theorie des Mesoderms. 937
vom Trigeminus innervirten visceralen Muskulatur. Primäre Nerven
des Hinterkopfes sind der Glossopharyngeus, Vagus und der aus
den ventralen Wurzeln dieser Region entstehende Hypoglossus. Da-
von kann wieder ein Theil des Vagus als Accessorius eine größere
Selbständigkeit erlangen. Nach Homologa von dorsalen Ästen glaube
ich nirgends suchen zu müssen, da die Beobachtung lehrt, dass sie
am Rumpfe erst in sehr später Zeit, wie es scheint, in Abhängigkeit
von der Scheidung der ursprünglich einheitlichen Seitenrumpfmuskel-
masse in dorsale und ventrale Muskelfelder, entstehen.
Diese Ansicht steht nicht bloß mit den Thatsachen der Ent-
wicklung aller eranioten Wirbelthiere, so weit sie mir bekannt sind,
in vollem Einklang, sondern erscheint auch im Hinblick auf die
Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Amphioxus vollkommen
gerechtfertigt. Ich möchte das unsegmentirte Mesoderm des Vorder-
kopfes der Cranioten mit jenem Fortsatz des ersten Ursegmentes des
Amphioxus, den HarscueK beschrieben und abgebildet hat, ver-
gleichen. Dieser unsegmentirte Fortsatz des ersten Ursegmentes
bleibt bei Amphioxus, entsprechend der geringen Ausbildung der
Kopfregion, sehr klein und unansehnlich, bei den cranioten Wirbel-
thieren dagegen bringt die mächtige Ausbildung des Kopfes auch
eine entsprechende Mächtigkeit des unsegmentirten Mesoderms mit
sich. Bei den cranioten Wirbelthieren wird nur der dorsale Theil
des Rumpfmesoderms segmentirt, der ventrale bleibt unsegmentirt,
wesshalb, wie HATSCHEK mit Recht betont hat, nur der dorsale Theil
der Ursegmente des Amphioxus mit den Urwirbeln verglichen werden
darf, während der ventrale den Seitenplatten gleichzusetzen ist. Da-
her lässt es sich auch verstehen, dass bei den Cranioten das Meso-
derm des Vorderkopfes nicht bloß mit dem ersten Urwirbel, sondern
auch mit den Seitenplatten in Verbindung steht.
In der Kopfregion des Amphioxus verbreiten sich jederseits
zwei sehr starke Nerven, die weder nach ihrem Ursprung noch
nach ihrem Verlauf mit Spinalnerven verglichen werden können.
Mit diesen Nerven möchte ich die beiden Nerven des Vorderkopfes
der Cranioten, den Trigeminus und Acusticofacialis, vergleichen.
Alle hinter ihnen beim Amphioxus entspringenden Nerven sind echte
Spinalnerven, sowie auch die Nerven des Hinterkopfes der Cranioten
von solchen abzuleiten sind. —
Nach dieser Abschweifung gehe ich wieder zur Beschreibung
der weiteren Ausbildung des Rumpfmesoderms über. Das Stadium,
an das ich mich zunächst halten will, betrifft einen Embryo mit
238 Carl Rabl
26—27 Urwirbeln und zwei scharf begrenzten inneren Kiemenfurchen.
Embryonen dieses Stadiums lassen sich folgendermaßen näher cha-
rakterisiren. Die primären Augenblasen sind an ihrer Wurzel etwas |
eingeschnürt; die Ektodermplatte, aus der das Gehörbläschen wird
und die ich daher als Gehörplatte bezeichnen will, ist an ihrem dor-
salen Rand ziemlich gut, an ihrem ventralen weniger gut gegen das
übrige Ektoderm abgegrenzt; sie zeigt die allererste Spur einer Ein-
senkung. Die endotheliale Anlage des Herzens enthält noch keine
einheitliche Höhle. Die beiden Perikardialhöhlen sind vollständig
von einander getrennt, die viscerale Lamelle des Perikards dicker
als die parietale, jene aus mehr kubischen, diese aus platten Zellen
gebildet, aber beide einschichtig. In der vorderen Rumpfhälfte zeigt
sich die erste Anlage des Vornierenwulstes (Segmentalwulstes Rüc-
KERT’s). Die Nerven- oder Ganglienleiste hört in einiger Entfernung
vom Vorderende dieses Wulstes auf. Der Canalis neurentericus ist
ungefähr von derselben Weite wie früher. Der erste Aortenbogen
hat sich mit dem der Gegenseite hinter jener Stelle, an welcher die
Chorda ventralwärts abbiegt (Chordakrücke RABL-RÜCKHARD'S), zu
einem ganz kleinen Sinus, dem späteren »Kopfsinus« RÜCKERT'S,
vereinigt. Gleich darauf trennen sich die Aorten wieder. Eine
merkwürdige Eigenthümlichkeit zeigt die Hypochorda, beziehungs-
weise Hypochordaleiste. Sie beginnt als schmale, niedrige Erhebung
der dorsalen Wand des Vorderdarmes unmittelbar hinter dem er-
wähnten Kopfsinus, so dass also dieser zwischen Chordakrücke und
Vorderende der Hypochordaleiste zu liegen kommt, hört dann in der
Höhe der Gehörplatte vollständig auf, um erst wieder in der Mitte
des Hinterkopfes deutlich zu werden. Am Vorderende des Rumpfes
löst sie sich rasch von ihrem Mutterboden los (Taf. X Fig. 3 Ay)
oder bleibt nur durch einen feinen Protoplasmafaden damit in Zu-
sammenhang, um sich erst hinter dem Vornierenwulst wieder damit
zu verbinden. In der Schwanzregion fehlt sie.
Bei der Beschreibung der Differenzirung des Mesoderms werde
ich mich zunächst an das vorderste Rumpfsegment, also das sechste
Gesammtsegment, halten; in den darauf folgenden Segmenten kom-
plieiren sich die Verhältnisse etwas in Folge der Ausbildung der
Vorniere, und in den hinter dem Vornierenwulste gelegenen Seg-
menten steht das Mesoderm noch auf einer tieferen Stufe der Diffe-
renzirung.
Der Schnitt der Fig. 3 (Taf. X) geht also durch den ersten
Urwirbel des Rumpfes. Untersucht man die vorhergehenden und
Theorie des Mesoderms. 239
nächstfolgenden Schnitte der Serie, so überzeugt man sich, dass die
ventrale Urwirbelgrenze an die mit wg bezeichnete Stelle zu verlegen
ist. Vergleicht man diese Figur mit der Fig. 1, so sieht man, dass
jetzt die ventrale Urwirbelgrenze relativ höher liegt als früher. Die
Hohe des Urwirbels oder dessen dorsoventraler Durchmesser hat nur
u nn a,
wenig zugenommen und auch die dorsale Kante (w/) reicht nur um
ein Geringes weiter nach aufwärts; um so auffallender sind die ge-
änderten Beziehungen der ventralen Urwirbelgrenze zur Seitenwand
des Darmes. Während früher (Fig. 1) die ventrale Urwirbelgrenze
tief unter die dorsale Grenze des Darmes reichte, liegt sie jetzt
(Fig. 3) ungefähr in gleicher Höhe mit derselben. Der Grund da-
von ist wohl in erster Linie darin zu suchen, dass die dorsale Darm-
wand nach der Ablösung der Hypochorda sich sehr erheblich von
der Chorda zurückgezogen hat; ein weiteres Moment, welches die
Verschiebung der ventralen Urwirbelgrenze erklärt, ist die Dicken-
zunahme der Chorda, die vor Allem von der Ausbildung der großen
Vacuolen in den Chordazellen abhängt.
Wie früher, besteht jeder Urwirbel aus zwei Lamellen, einer
medialen und lateralen, welche sowohl dorsalwärts als auch vorn
und hinten in einander umbiegen. Die laterale Lamelle stellt wie
früher ein einschichtiges Cylinderepithel dar und zeigt keine weitere
-Differenzirung. Die mediale Lamelle dagegen bietet einige Besonder-
heiten. Verfolgen wir sie von der dorsalen Urwirbelkante (A) nach
abwärts, so sehen wir, dass sie zunächst, so weit sie sich dem Me-
dullarrohr anschmiegt, die Charaktere der lateralen Lamelle auf-
weist. Von der oberen Chordagrenze angefangen jedoch haben die
Zellen einen anderen Charakter angenommen, indem sie in ihrer
nach innen gegen die Chorda gerichteten Hälfte feine, stark licht-
brechende, auf dem Querschnitte als glänzende Punkte erscheinende
Fäden zur Ausbildung gebracht haben. Diese Fäden sind die ersten
Muskelfibrillen und die Zellen selbst sind dadurch zu Muskelzellen
geworden. Die mediale Lamelle des Urwirbels hat dabei den Cha-
rakter eines einschichtigen Cylinderepithels beibehalten und es stellen
also die Muskelzellen oder Muskelfasern echte Muskelepithelien
dar. Wir können, namentlich in Anbetracht der Entwicklung des
Amphioxus, diejenige Seite der Zellen, welche der spaltförmigen
Urwirbelhöhle zugewendet ist, als die freie, diejenige, welche der
Chorda zusieht, als die basale Seite der Zellen bezeichnen. Die
Muskelfibrillen sind also lediglich in der basalen Hälfte der Zellen
gelegen. Ich bezeichne denjenigen Theil der medialen Lamelle des
240 Carl Rabl
Urwirbels, der die erwähnten Eigenthümlichkeiten zeigt, als Mus-
kelplatte, bemerke aber, dass dieselbe, wie später noch ausgeführt
werden soll, nur einem Theil der sogenannten Muskelplatte oder des
Myotoms der Autoren entspricht. Diese Muskelplatte reicht nach
abwärts nicht ganz bis zur Höhe der ventralen Chordafläche. —
An Schnitten, welche nicht genau quer durch die Mitte eines
Urwirbels geführt sind, sieht es aus, als ob die Muskelplatte mehr-
schichtig wäre, und dies mag wohl Rickerr und namentlich ZIEGLER
veranlasst haben, anzunehmen, dass die Muskelfibrillen erst zur Aus-
bildung kommen, nachdem die mediale Wand des Urwirbels mehr-
schichtig geworden ist. Auch ist es allen bisherigen Forschern ent-
sangen, dass die Muskelfibrillen ausschließlich an der basalen Seite
der Zellen zur Ausbildung kommen.
Verfolgt man die mediale Lamelle des Urwirbels noch weiter
nach abwärts, so kommt man zu einer ziemlich eng begrenzten,
lateral von der Hypochorda und dem unteren Theile der Chorda
gelegenen Stelle, die sich an dem abgebildeten Schnitte nur durch
eine etwas dichtere Stellung der Kerne als etwas Besonderes zu
erkennen giebt (sk). Die Häufigkeit von Theilungsfiguren weist auf
ein ziemlich lebhaftes Wachsthum. dieser Stelle hin. An Schnitten,
welche durch weiter hinten gelegene Urwirbel gehen, sieht man
fast konstant an der betreffenden Stelle eine kleine, medialwärts
gerichtete Ausbuchtung, ein Divertikel der medialen Urwirbelwand,
in das sich die Urwirbelhöhle hinein fortsetzt.
Die beiden Lamellen der Urwirbel, welche oben dicht an ein-
ander liegen. weichen nach unten etwas aus einander und um-
schließen hier eine ziemlich geräumige Höhle (wh). Die Seiten-
platten berühren sich dorsalwärts, trennen sich aber bald, um die
ventrale Leibeshöhle (7h) oder das bleibende Cölom (Splanchnocoel
HATSCHER’s) zu umschließen.
Wenn man in den auf einander folgenden Segmenten die ven-
trale Urwirbelgrenze bestimmt, so überzeugt man sich sehr leicht,
dass sie allmählich in dieselben Lagebeziehungen zur seitlichen
Darmwand tritt, die wir in früheren Stadien kennen gelernt haben.
Es ist dies schon im Bereiche des Vornierenwulstes bemerkbar und
wird weiter hinten noch viel deutlicher.
Auf die Bildung der Vorniere und eben so auf die Entstehung
der ersten Keimzellen werde ich später eingehen. Ich bemerke nur,
dass das Stadium mit 26—27 Urwirbeln das jüngste ist, in welchem
ich den Vornierenwulst sehen kann.
Theorie des Mesoderms. 241
Das nächste Stadium betrifft einen Embryo mit 34—35 Ur-
wirbeln und drei scharf begrenzten inneren Kiemenfurchen. Zur
näheren Charakterisirung führe ich Folgendes an. Die primäre
Augenblase ist an ihrer Wurzel noch tiefer eingeschnürt als früher.
Der erste Mesodermabschnitt des Vorderkopfes (erstes Kopfsomit van
_ Wiste's) beginnt sich auszuhöhlen. Die Gehörplatte ist allseitig
scharf begrenzt und zu einer mäßig tiefen Grube eingesenkt. Die
endotheliale Anlage des Herzens umschließt von der Höhe der dritten
Kiemenfurche an bis zum Dotterstiel eine einheitliche Höhle (Herz-
höhle). Vorn und hinten ist das Endothelrohr gespalten, die hinteren
Schenkel setzen sich in die beiden Venae omphalomesentericae (Sub-
intestinalvenen der Autoren) fort. Die beiden Perikardialhöhlen sind
fast in derselben Ausdehnung, in welcher das Endothelrohr des Her-
zens einfach ist, mit einander vereinigt. Das ventrale Mesocardium
ist daher in der größten Ausdehnung geschwunden und nur mehr
ganz vorn, an den durch die dritte Kiemenfurche gehenden Schnit-
ten und ganz hinten, in geringer Entfernung vom Dotterstiel, nach-
weisbar. Das dorsale Mesocardium ist gut entwickelt, seine beiden
Blätter liegen dicht an einander. Die Vorniere erstreckt sich über
vier Segmente: es beginnt sich ein Vornierengang zu differenziren.
Die Nerven- oder Ganglienleiste reicht ungefähr bis zum 11. oder
12. Gesammtsegment (6. oder 7. Rumpfsegment). Der Kopfsinus,
zu dem sich die beiden Aorten zwischen Chordakrücke und Vorder-
ende der Hypochordaleiste vereinigen und in welchen von unten die
beiden ersten Aortenbogen einmünden, bildet einen weiten Sack;
sonst sind die beiden Aorten in der Kiemenregion von einander ge-
trennt und vereinigen sich erst hinter derselben ventralwärts von
_ der Hypochorda zu einem mächtigen, unpaaren Gefäß, das sich erst
hinter der Mitte des Rumpfes wieder in zwei Schenkel spaltet. In-
dessen sind auch im Bereiche der vorderen Rumpfhälfte die beiden
Aorten nicht überall mit einander verschmolzen, sondern es wechseln
Stellen mit einfacher Aorta mit solchen mit doppelter ab; jedoch
scheint es, dass die Verschmelzung der beiden Aorten nicht seg-
mentweise erfolgt. Die Hypochordaleiste ist an ihrem vordersten,
' unmittelbar hinter dem Kopfsinus gelegenen Ende vom Darm ab-
|
gelöst, sodann aber wieder mit der Darmwand verbunden; sie er-
streckt sich als eine sehr niedrige, aber breite Erhebung durch den
ganzen Hinterkopf und verbindet sich mit der Hypochorda des
Rumpfes, die in größerer Ausdehnung als früher von der dorsalen
Darmwand abgelöst ist.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 16
242 Carl Rabl
Der abgebildete Schnitt (Fig. 4) geht wieder durch den ersten
Rumpfurwirbel. Die dorsale Urwirbelkante (wk) liegt etwas höher,
die ventrale Grenze (wg) fast in derselben Höhe wie früher. Der
Urwirbel hat an Höhe gewonnen, sowie er auch an Länge und Dicke
zugenommen hat. Er enthält außer der geräumigen Höhle in seiner
unteren Hälfte auch noch einen kleinen Hohlraum an seinem oberen
Ende. Dieser Hohlraum ist aber nicht konstant; ja er kann auf
der einen Seite vorhanden sein, auf der anderen fehlen. An dem
abgebildeten Schnitte ist er in der nicht gezeichneten Hälfte kleiner
als in der gezeichneten. Ich kann aber doch nicht sagen, dass der
Hohlraum ein Artefact sei; denn man kann ihn bei jeder, auch der
schonendsten Behandlung antreffen. Jedenfalls besteht eine Dispo-
sition der beiden Lamellen des Urwirbels, hier aus einander zu
weichen.
Die laterale Lamelle des Urwirbels zeigt dieselben Verhältnisse
wie früher; ihre äußere, gegen das Ektoderm gerichtete Fläche ist
häufig rauh und uneben, indem einzelne Zellen mit ihren basalen
Enden etwas weiter vorragen als ihre Nachbarn. Nichtsdestoweniger
bleibt der Charakter eines einschichtigen Cylinderepithels gewahrt.
Die mediale Lamelle zeigt, wie früher, so weit sie sich dem Me-
dullarrohr anlegt, die Charaktere der lateralen Lamelle. Darauf folgt
in der Höhe der Chorda die Muskelplatte mit den in die basalen
Enden der Zellen eingelagerten Muskelfibrillen, die an Zahl zuge-
nommen und die Kerne mehr gegen die spaltförmige Urwirbelhöhle
gedrängt haben. Diese Kerne zeigen ein eigenthümliches Verhalten,
das schon in sehr frühen Stadien (vgl. Fig. 2) angedeutet war. Sie
färben sich viel weniger intensiv als die Kerne der übrigen Meso-
dermzellen und enthalten ungefähr in ihrer Mitte ein stark lichtbre-
chendes Chromatinkorn. Es ist dies kein eigentliches Kernkörpereben,
sondern der Querschnitt einer langgestreckten, von vorn nach hinten
laufenden Chromatinmasse; ich werde später noch darauf zurück-
kommen. Verfolgen wir die mediale Lamelle des Urwirbels noch
weiter nach abwärts, so kommen wir lateral- und zugleich ventral-
wärts von der Chorda zu einer kleinen Ausbuchtung (dv). Der
Boden und die Wände dieses Divertikels sind der Sitz einer sehr
lebhaften Zellvermehrung; die neugebildeten Zellen schieben sich —
zunächst zwischen Chorda und Muskelplatte vor (ss) und drängen
dadurch diese von der Seitenfläche der Chorda, der sie bisher an-
gelegen hatte, ab. An der abgebildeten Schnitthilfte sieht man drei
bis vier soleher Elemente. Diese Zellen bilden die erste Anlage der
Theorie des Mesoderms. 243
axialen Bindesubstanz oder des Sklerotoms. Es ist das die erste
Bindesubstanz, die im Rumpf des Embryo erscheint. Von einer Be-
tbeiligung der Gefäßwände an ihrer Bildung kann gar keine Rede
sein. An dem abgebildeten Schnitte sieht man, dass der Boden des
Divertikels sich auch gegen die Hypochorda, also zwischen Aorta
und Chorda, vorschiebt.
Verfolgt man die mediale Lamelle des Urwirbels von diesem
Divertikel an noch weiter nach abwärts, so sieht man, dass sie,
bevor sie sich der Darmwand anlegt und in die viscerale Seiten-
platte übergeht, die Seitenfläche der Aorta iiberzieht. An dem ab-
gebildeten Schnitte sind die beiden Aorten von einander getrennt:
zugleich ist die rechte weiter als die linke. Aber schon zwei
Schnitte weiter vorn und eben so zwei Schnitte weiter hinten sind
dieselben wieder mit einander verschmolzen; es wechseln eben, wie
erwähnt, Stellen mit einfacher Aorta mit solchen mit doppelter in
der Serie wiederholt ab. Die verschiedene Weite der beiden Aorten
scheint ganz bedeutungslos zu sein; bald ist die rechte, bald die
linke weiter. Nach hinten werden die Aorten enger und geben
Bilder, wie sie früher (Fig. 3) weiter vorn zu sehen waren. In
der Schwanzregion treten sie durch Anastomosen mit den Darmvenen
in Verbindung. Die große Weite der Kopf- und Rumpfgefäße lässt
es wahrscheinlich erscheinen, dass die Cirkulation bereits begonnen
hat; jedoch kann ich am primitiven Ektokard (dem visceralen Peri-
kard) noch keine Muskelfibrillen sehen. Am lebenden Embryo habe
ich nicht darauf geachtet. Das Blut besteht bloß aus Blutplasma:
Blutkörperchen sind innerhalb der Embryonalanlage noch nicht vor-
handen.
Das nächste Segment, also das 7. Gesammtsegment, zeigt den
Anfang des Vornierenwulstes, der sich, wie gesagt, durch vier Seg-
mente erstreckt. Noch weiter hinten, in ziemlich beträchtlicher Ent-
fernung vom distalen Vornierenende, jedenfalls nicht vor dem 15. Ge-
sammtsegmente, sieht man im Mesoderm die Keimzellen. Diese
sind übrigens auch schon viel früher, jedenfalls schon bei Embryonen
mit 26 Urwirbeln und wahrscheinlich bei noch jüngeren, wahrzu-
nehmen. Ich habe sie auf Taf. X Fig. 7 von einem Embryo mit
38—40 Urwirbeln gezeichnet. Die Keimzellen sind große, rundliche
‚oder ovale Zellen, deren Protoplasma von groben gelben Dotterkörn-
chen reichlich durchsetzt ist. Sie enthalten einen rundlichen, sich
nur schwach färbenden Kern mit einem stark lichtbrechenden, scharf
kontourirten Kernkörperchen. Die Keimzellen liegen sowohl in der
16*
244 Carl Rabl
medialen als lateralen Lamelle des Mesoderms. Es wurde bereits
bemerkt, dass die ventrale Urwirbelgrenze, welche im vorderen
Theil des Rumpfes ungefähr in der Höhe der dorsalen Darmwand
liegt, nach hinten mehr und mehr an der seitlichen Darmwand
herabrückt. Man kann sich nun überzeugen, dass ein Theil der
Keimzellen noch im Bereiche der Urwirbel gelegen ist. Dies ist
selbst noch bei Embryonen mit 38—40 Urwirbeln der Fall. Es hat
auf diese Thatsache unlängst Rickerr die Aufmerksamkeit gelenkt.
Die Entstehung des axialen Bindegewebes oder des Sklerotoms
hat schon BALFOUR im Wesen ganz richtig erkannt. Er giebt an,
dass derjenige Theil der medialen Lamelle jedes Urwirbels, der un-
mittelbar unter der Muskelplatte (BaLrour’s »musele-band«) gelegen
ist, zu proliferiren beginne und eine Anzahl von Zellen liefere, die
alsogleich zwischen Muskel und Chorda hineinwachsen. Das kleine
Divertikel, das die mediale Wand des Urwirbels an der betreffenden
Stelle zeigt und das meiner Ansicht nach für die Auffassung des
Processes von Wichtigkeit ist, hat BALFoUR nicht bemerkt. So
richtig nun auch im Allgemeinen die von BALFOUR gegebene Be-
schreibung ist, so stehen doch die von ihm in der Monographie und
dem Lehrbuch gegebenen Abbildungen damit in einem gewissen
Gegensatz; denn diese zeigen das Sklerotom an zwei Stellen, näm-
lich dorsal- und ventralwärts von der Muskelplatte mit der medialen
Lamelle des Urwirbels im Zusammenhang. Nachdem durch meine,
in Herrwia’s Lehrbuch wiedergegebene Abbildung auf das Diver-
tikel aufmerksam gemacht worden war, hat es auch ZIEGLER bei
seiner, an Bearp’s Präparaten angestellten Untersuchung über den
Ursprung der »mesenchymatischen Gewebe« gefunden. Die Bemer-
kung, die er an die Mittheilung dieser Beobachtung knüpft, ist aber
unrichtig; er sagt: »unterhalb derselben (se. der kleinen Einker-
bung) findet die Proliferation statt, welche zur Entstehung des neben
Chorda und Medullarrohr vordringenden Bildungsgewebes (, Sklero-
tom‘) fiihrt. Ich verstehe nicht, wie ZIEGLER zu dieser Angabe
kommt.
In dem Stadium, welches ich hier der Beschreibung zu Grunde
gelegt habe, ist die Bildung des Sklerotoms nur auf eine verhält-
nismäßig geringe Zahl von Segmenten beschränkt. Sie erstreekt
sich nieht über das 11. bis 12. Gesammtsegment (6. bis 7. Rumpf-
segment) hinaus; von da an ist zwar ein Divertikel vorhanden, aber
es haben sich noch keine Zellen zwischen Chorda und Muskelplatte
vorgeschoben.
Theorie des Mesoderms. 245
Der nächste Embryo, den ich der Beschreibung zu Grunde lege,
hatte 45—46 Urwirbel und vier scharf begrenzte innere Kiemer-
furchen. Die nähere Charakteristik ist folgende: Die Augenblase
sitzt an einem tief eingeschnürten Stiel; ihre äußere, gegen das
Ektoderm gerichtete Wand ist abgeflacht, das Ektoderm darüber
aber kaum dicker als in der Umgebung. Die erste Kopfhöhle ist
gut ausgebildet und steht durch einen hohlen Gang mit der der
Gegenseite in Verbindung. Die Gehörgrube ist sehr tief, der Durch-
messer ihrer Eingangsöffnung ungefähr von derselben Länge wie
die größte Tiefe der Grube. Die Nasengrube ist eben als mäßig
tiefe Einsenkung bemerkbar; das Epithel der Grube ist etwas dicker
als das Epithel der Umgebung. Die Herzhöhle ist nach vorn bis
zur zweiten Kiemenfurche einfach; hier spaltet sich das Endothel-
rohr in die beiden Aorten, welche einen ventralen Zellenwulst des
Vorderdarmes, der schon lange vorgebildet war, zwischen sich fassen.
Die Zellen dieses Wulstes zeichnen sich durch ihren großen Gehalt
an Dotterkörnern aus. Dieser Wulst ist die Anlage der Thyreoidea.
Die Mitte des Herzschlauches besitzt kein Mesokard; es ist also hier
auch das dorsale Mesokard geschwunden. Im Ektokard (visceralen
Perikard) deutliche Muskelfibrillen. Die beiden Aorten sind im
Rumpf nur an sehr wenigen Stellen durch eine mediane Scheide-
wand getrennt; im Übrigen sind sie bis nahe an die Stelle des
künftigen Afters verschmolzen. Die Vorniere ist noch gut entwickelt.
Die Nervenleiste reicht bis über die hintere Darmpforte. Die Hypo-
chorda hat sich sowohl im Rumpf als im Kopf in größerer Aus-
dehnung vom Darm abgelöst; im Rumpf bis etwas hinter die Stelle,
bis zu der die Aorten verschmolzen sind. Der Ösophagus ist solid.
Das Ektoderm zeigt von der vierten Kiemenfurche an bis in die
Nähe der vorderen Darmpforte an den Seiten des Körpers eine Ver-
diekung; diese verdickte Ektodermplatte, deren Bedeutung wir noch
später kennen lernen werden, reicht dorsalwärts ungefähr bis in
die Höhe der unteren Chordafläche, ventralwärts nicht ganz bis zur
unteren Fläche des Kiemendarmes und Ösophagus.
Der abgebildete Schnitt (Fig. 5 Taf. X) zeigt uns vor Allem,
dass die dorsale Kante des Urwirbels (wk) weiter nach aufwärts
reicht als früher. Sie hat das aus der Ganglienleiste hervorwach-
sende Spinalganglion (sg) erreicht und beginnt sich an dessen la-
teraler Seite emporzuschieben. Das Spinalganglion selbst liegt da-
bei der Seitenfläche des Medullarrohres dicht an. Ferner können
wir uns durch Untersuchung der nächst vorderen und hinteren Schnitte
246 Carl Rabl
überzeugen, dass die ventrale Urwirbelgrenze (wg) sich noch weiter
nach aufwärts verschoben hat, so dass der Urwirbel in gar keiner
Beziehung mehr zur seitlichen Darmwand steht. Die ventrale Ur-
wirbelgrenze fällt in der vorderen Hälfte des Rumpfes zu dieser Zeit
ziemlich genau mit der unteren Fläche der Aorta zusammen. Wir
dürfen daher auch denjenigen Theil der Leibeshöhle, welcher nach
abwärts von der mit wg bezeichneten Stelle zwischen den beiden
Mesodermlamellen eingeschlossen ist, nicht mehr der Urwirbelhöhle
zurechnen. Man sieht daraus zugleich, wie innig Urwirbelhöhle und
ventrales Cölom zusammenhängen. Eigenthümlich bleibt aber dabei,
dass die Seitenplatten auch jetzt noch eine allerdings kurze Strecke
dicht an einander liegen und erst weiter unten aus einander weichen.
Es ist dies übrigens nicht überall der Fall; in einem großen Theile
der hinteren Rumpfhälfte stehen die Seitenplatten mit einander nicht
mehr in Kontakt.
Der Querschnitt ist auch noch in anderer Hinsicht lehrreich.
So sehen wir, dass die Muskelplatte in dorsoventraler Richtung an
Ausdehnung gewonnen hat. Während sie früher kaum bis zur Höhe
der oberen Chordafläche reichte, ragt sie jetzt noch ein wenig dar-
über hinaus. Ventralwärts reicht sie dagegen nicht weiter wie früher.
Die Einschichtigkeit des Muskelepithels, sowie die typische Lage-
rung der Kerne in den freien und der Muskelfibrillen in den basalen
Enden der Zellen sind eben so scharf zu sehen wie in den vorher-
gehenden Stadien. Die scharfe Grenze, welche die Muskelplatte
von der lateralen Lamelle des Urwirbels scheidet, lässt sich nach
abwärts bis zu dem noch erhalten gebliebenen Rest der Urwirbel-
höhle verfolgen. Das Sklerotom (si) ist zu einer ziemlich mächtigen
Platte geworden, die sich zwischen Chorda und Muskelplatte ein-
schiebt und, nach oben dünn auslaufend, an der Seite des Medullar-
rohres in die Höhe dringt. Zwischen Chorda und Muskelplatte ist
sie im Allgemeinen zwei Zellen dick, nach oben läuft sie in eine
einfache Schicht aus und nach unten, gegen den Ort ihres ersten
Entstehens, wird sie am mächtigsten. Von hier schiebt sich auch
ein kleiner Fortsatz zwischen Chorda und Aorta, in der Richtung
gegen die Hypochorda, vor. Ein Divertikel ist in diesem Stadium»
meistens nicht mehr wahrzunehmen. Die scharfe Grenze, welche
das Sklerotom von der Muskelplatte scheidet, reicht nicht bis zur
Urwirbelhöhle herab, sondern hört in geringer Entfernung davon
ganz plötzlich auf. Die mediale Lamelle des Urwirbels überzieht
sodann noch die seitliche und zugleich nach abwärts gewendete
Theorie des Mesoderms. 347
Fläche der Aorta, um sich von hier in die viscerale Seitenplatte
fortzusetzen.
An der ventralen Fläche der Aorta begegnen sich die beider-
seitigen visceralen Seitenplatten und bilden, indem sie sich dicht
an einander legen und zur dorsalen Darmwand ziehen, ein dorsales
Mesenterium (me). Es ist interessant, die Processe zu verfolgen,
welche die dorsale Darmwand allmählich von der Chorda abdrängen.
Zuerst bildet sich die Hypochorda und dadurch wird. der Kontakt
zwischen Darm und Chorda aufgehoben (Fig. 3); dann schieben sich
die beiden Aorten zwischen Hypochorda und Darm und vereinigen
sich mit einander (Fig. 4); endlich begegnen sich die beiderseitigen
visceralen Seitenplatten unterhalb der Aorta und bilden ein dorsales
Mesenterium (Fig. 5).
Von den Seitenplatten ist wenig zu berichten. Die viscerale
Lamelle ist in der vorderen Hälfte des Rumpfes um eine Spur
dicker als die parietale; am dicksten ist sie dort, wo sie mit der
der Gegenseite zur Bildung des Mesenteriums zusammenstößt. Übri-
gens ist in diesem Stadium ein Mesenterium nur in dem vordersten
Abschnitt des Rumpfes entwickelt; es reicht nach hinten bis etwa
zum distalen Vornierenende, Hinter dieser Stelle sind die Verhält-
nisse denen ähnlich, welche wir in früheren Stadien auch am Vor-
derende des Rumpfes angetroffen haben. Wie früher, kann man
auch jetzt in einiger Entfernung vom distalen Ende des Vornieren-
wulstes in den beiden Lamellen des Mesoderms die Keimzellen wahr-
nehmen (Fig. 8 Taf. X). Ihre Beziehungen zu den Urwirbeln und
Seitenplatten sind noch im Wesentlichen die gleichen geblieben.
Der nächste Embryo hatte ungefähr 56 Urwirbel. Die fünfte
innere Kiemenfurche war gut ausgebildet und scharf begrenzt, die
zweite durchgebrochen, die erste und dritte im Durchbruch begriffen.
Das dorsale, unmittelbar unter dem Gehörbläschen gelegene Ende
der zweiten Kiemenspalte bildete eine sehr weite Öffnung. Bei Em-
bryonen dieses Alters ist die Augenblase bereits zu einem doppel-
wandigen Becher eingestülpt; die Linsenanlage, die sich zuerst bei
Embryonen mit 48—50 Urwirbeln als ziemlich scharf umschriebene
verdickte Ektodermplatte (Linsenplatte) bemerkbar macht, stellt in
diesem Stadium eine sehr diekwandige Grube mit verhältnismäßig
kleiner Höhle dar. Das Gehörbläschen steht nur mehr durch einen
engen, mit hohem Cylinderepithel bekleideten Gang mit der Ober-
fläche in Verbindung. Die Nasengrube ist nach vorn zu erheblich
vertieft. Das Herz stellt einen $-förmig gebogenen Schlauch dar,
248 Carl Rabl
der in großer Ausdehnung kein Mesokard mehr besitzt. Die Mund-
öffnung ist eben durchgebrochen und bildet einen sagittalen Spalt.
Der Rest der Rachenhaut springt als kleine Falte von der dorsalen
Wand der Mundhöhle vor und scheidet zwei kleine Gruben von ein-
ander; die vordere, tiefere, stellt die Hypophysentasche, die hintere,
seichtere, die SEESSEL’sche Nebentasche vor. Erstere ist vom Ekto-
derm, letztere vom Entoderm bekleidet. Der Ösophagus ist, wie
früher, solid. Unmittelbar vor der vorderen Darmpforte macht
sich die erste Anlage der Leber bemerkbar. Die Vorniere hat das
Höhestadium ihrer Ausbildung längst überschritten und ist in Rück-
bildung begriffen. Die Nervenleiste reicht bis in die Schwanzregion.
Die Hypochorda ist überall von ihrem Mutterboden losgelöst; die
beiden Aorten haben sich bis in den Schwanz mit einander ver-
einigt. Die früher erwähnte Ektodermverdiekung an den Seiten des
vorderen Rumpfendes ist noch schärfer gegen die Umgebung abge-
grenzt und ihre Zellen sind noch mehr in die Höhe gewachsen.
Der abgebildete Schnitt (Fig. 6 Taf. X) geht durch das vordere
Ende des Rumpfes, etwas hinter der Leberanlage. Obwohl das Me-
soderm im Allgemeinen dieselben Verhältnisse bietet wie früher,
zeigen sich doch im Einzelnen einige Veränderungen, die von Wichtig-
keit sind. Vor Allem fällt es auf, dass die dorsale Urwirbelkante
(uk) bedeutend weiter nach aufwärts reicht als früher. Während
sie noch bei Embryonen mit 46 Urwirbeln kaum bis zur halben Höhe
des Medullarrohres reichte, erstreckt sie sich jetzt etwa bis zur
Grenze zwischen mittlerem und dorsalem Drittel desselben. Die ven-
trale Urwirbelgrenze (ug) liegt noch ein klein wenig höher als früher.
Die Muskelplatte, die an Dieke nicht unbeträchtlich zugenommen hat,
dabei aber einschichtig geblieben ist, zeigt die einseitige Lagerung
der Muskelfibrillen in ungemein klarer und unzweideutiger Weise;
die Muskelkerne erscheinen ganz nach der freien, gegen die laterale
Urwirbellamelle gerichteten Seite der Zellen verdrängt. Das Sklero-
tom hat an Mächtigkeit bedeutend gewonnen; es ist zwischen Chorda
und Muskelplatte ungefähr drei Zellen dick, erstreekt sich nach auf-
wärts an der Seite des Medullarrohres ziemlich weit in die Höhe und
nimmt nach abwärts gegen den Ort seines ersten Entstehens an Dicke
noch erheblich zu. Von hier aus dringen Zellen gegen die Hypo-
chorda vor, welche das Bestreben zeigen, sich mit denen der Gegen-
seite zu vereinigen und die Chorda ventralwärts zu umwachsen.
An dieser Stelle, also in dem Winkel zwischen unterer Chordafläche
und Aorta, ist aber das Sklerotom schon jetzt lockerer gewebt, als in
Theorie des Mesoderms. 949
den iibrigen Partien. Von den Grenzlinien zwischen lateraler Ur-
wirbellamelle und Muskelplatte, sowie zwischen dieser und Sklero-
tom gilt dasselbe wie friiher.
Da wir die ventrale Urwirbelgrenze an die mit wg bezeichnete
Stelle zu verlegen haben, so geht daraus hervor, dass die Leibes-
höhle (2) in jeden Urwirbel ein kleines Divertikel sendet, welches
eigentlich einen Rest der ursprünglich sehr weiten Urwirbelhöhle
darstellt.
Die beiden Seitenplatten zeigen zunächst in so fern eine Ver-
änderung, als sie überall auf große Entfernung aus einander ge-
wichen sind, so dass die Leibeshöhle an Ausdehnung sehr bedeutend
gewonnen hat. Das dorsale Mesenterium (me), zu welchem die bei-
den visceralen Platten an der ventralen Fläche der Aorta zusammen-
treten, ist beträchtlich länger geworden und zeigt auch in so fern
eine weitere Ausbildung, als es sich jetzt schon durch den ganzen
Rumpf erstreckt. Auch sonst machen sich an den Seitenplatten noch
einige wichtige Eigenthümlichkeiten bemerkbar, die indessen erst
bei der Beschreibung des nächsten Stadiums in Betracht gezogen
werden sollen.
Von anderen Veränderungen, welche sich an dem abgebildeten
Schnitte im Vergleich mit früheren Stadien zu erkennen geben, hebe
ich nur eine hervor; sie betrifft die Chorda. Während in den Sta-
dien, denen die Fig. 1—4 entnommen sind, die Kerne der Chorda-
zellen in der Mitte gelegen waren, beginnen sie schon bei Embryonen
mit 45—46 Urwirbeln die Mitte zu verlassen und nach der Peripherie
zu rücken. Diese Verschiebung der Chordakerne hat bei Embryonen
mit 56—58 Urwirbeln noch weitere Fortschritte gemacht (Fig. 6).
Es wurde schon von BALFOUR auf diese Thatsache hingewiesen.
Nachträgliche Bemerkung. Nachdem der erste Theil dieser
Abhandlung längst abgeschlossen und dem Druck übergeben war.
sind einige, für die Frage nach der Gastrulation und Mesodermbil-
dung der Amnioten wichtige Arbeiten erschienen. Ich erwähne nur
Bonxer’s »Beiträge zur Embryologie der Wiederkäuer« und KEIBEL’s
Untersuchungen »zur Entwicklungsgeschichte der Chorda bei Säu-
gern« (beide im Arch. für Anat. und Physiol. 1889); so hoch ich diese
Arbeiten auch anschlage, so haben sie doch an meiner Auffassung
der Gastrulation und Mesodermbildung nichts geändert. Ferner
250 Carl Rabl
möge hier noch nachträglich einer Abhandlung Erwähnung gethan
sein, die mir früher leider entgangen war; es ist dies DUVAL’s vor-
treffliche Untersuchung »de la formation du blastoderme dans l’oeuf
d’oiseau« (Ann. d. scienc. nat. 1884). Was ich früher bei Bespre-
chung einer anderen Arbeit Duvar’s über dessen Abbildungen gesagt
habe, kann für diese Arbeit in keiner Weise gelten; eben so wenig
auch für die Zeiehnungen in seinem neuen prachtvollen »Atlas d’em-
bryologie«. Einige der in jener Abhandlung mitgetheilten Beob-
achtungen scheinen meinen Erörterungen zu widersprechen; so z. B.
die Angabe, dass beim Huhn die erste Furche, wie KÖLLIKER ver-
muthete, in der hinteren Hälfte der Keimscheibe auftrete. Die mei-
sten Angaben jedoch können, wie ich glaube, leicht mit meinen
Auseinandersetzungen in Einklang gebraeht werden.
Tafelerklärung. |
Tafel VII.
Fig. 1-3. Schnitte durch die Embryonalanlage einer Keimscheibe von Pristi-
urus melanostomus aus dem Stadium 2 Barrour's. Fig. 1. Quer-
schnitthälfte aus der hinteren Hälfte der Embryonalanlage. Fig. 2.
Aus der Mitte. Fig. 3. Aus der vorderen Hälfte. Vergrößerung 180.
ect Ektoderm; mes Mesoderm; ent Entoderm (Darmentoderm); chp
Chordaplatte oder Chordaentoderm; pm Ursprungsstelle des peristo-
malen Mesoderms; gm Ursprungsstelle des gastralen Mesoderms; wur
Urmundrand (Keimscheibenrand); *w Riickenwiilste; r Rückenrinne;
me Merocytenkerne (RÜCKERT) oder Dotterzellkerne; Do Dotter;
in Fig. 3 ist das gastrale Mesoderm (mes) vom peristomalen (mes’) ge-
trennt.
Fig. 4. Schnitt durch die Keimscheibe von Pristiurus aus dem Stadium C
Batrour’s. Vergr. 180. ect embryonales Ektoderm; ect’ außerem-
bryonales Ektoderm;. ent embryonales Entoderm; ent’ außerembryo-
nales Entoderm; 72 Urdarmhihle; chr Chordarinne; die übrigen Be-
zeichnungen wie friiher.
Fig. 5. Sehnitt durch die Mitte einer Embryonalanlage mit ungefähr acht
Urwirbeln. Vergr. 180. mw Medullarwülste; m Medullarrinne; ch
Chorda; ww Urwirbel; uh Urwirbelhöhle; sp Seitenplatten; die übri-
gen Bezeichnungen wie friiher.
Tafel VIII.
Fig. 1—6. ‘Schnitte durch eine Hühnerkeimscheibe vom Ende des ersten Tages.
Vergr. 220. Fig. !. Mitte des Kopffortsatzes. Fig. 2. Hintere Hälfte
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
1:
8.
9:
#10.
1.
5—9.
10—13.
14,
Theorie des Mesoderms. 251
des Kopffortsatzes. Fig. 3. Vorderstes Ende des Primitivstreifens.
Fig. 4. Grenze zwischen erstem und .zweitem Drittel des Primitiv-
streifens. Fig. 5. Hintere Hälfte des Primitivstreifens. Fig. 6. Hinter
dem Primitivstreifen.
‘ect Ektoderm; mes Mesoderm; ent Entoderm;
kf Kopffortsatz; pw Primitivwiilste; pr Primitivrinne.
Schnitt durch dieselbe Gegend wie Fig. 2. Vergr. 108. ect embryo-
nales Ektoderm;
ect’ außerembryonales Ektoderm; fm freie Meso-
dermgrenze; Dz Dotterzellen (Dotterentoderm).
Schnitt durch die Mitte des Kopffortsatzes einer etwas älteren Hühner-
Vergr. 220. Bezeichnungen wie früher.
Sehnitt durch eine Taubenkeimscheibe mit zwei Urwirbeln, in der
keimscheibe..
Gegend des zweiten Urwirbels.
früher.
Vergr. 220. ch Chorda. Sonst wie
Schnitt durch die Mitte des Primitivstreifens einer Taubenkeimscheibe
mit drei Urwirbeln. Vergr. 108. 62 Blutinseln. Sonst wie früher.
Tafel IX.
Sehnitt durch die Area embryonalis einer 7 Tage 3 Stunden alten
Kaninchenkeimscheibe.
Der Schnitt ist ungefähr durch die hintere
Grenze des HENSEN’schen Knotens gelegt.
2—4. Schnitte durch eine eben so alte, aber grüßere Area. Fig. 2. Hin-
tere Hälfte des Kopffortsatzes.
Knotens. Fig.
Fig. 3. Mitte des Hoxsuft schen
4. Vordere Hälfte des Primitivstreifens.
Schnitte durch eine Keimscheibe des Kaninchens mit fünf Ur-
wirbeln. Fig. 5 bei 180facher, Fig. 6—9 bei 227facher Vergrößerung.
Fig. 5. Durch das Vorderende des Kopffortsatzes. Fig. 6. Zwischen
Urwirbelregion und vorderem Ende des Kopffortsatzes. Fig. 7. Durch
die Mitte des Kopffortsatzes. Fig. 8. Durch den HENSEN’schen Knoten.
Fig. 9. Durch den Primitivstreifen.
platten; ect Ektodermwulst;
derm; ent Entoderm.
chp Chordaplatte; mp Medullar-
e Leibeshöhle; gf Gefäße; mes Meso-
Schnitte durch einen Kaninchenembryo mit zehn Urwirbeln.
Vergr. 180. Fig. 10. Durch den Primitivstreifen. Fig. 11. Vor dem-
selben. Fig. 12.
Hinter der Urwirbelregion. Fig. 13. Durch den
sechsten Urwirbel. ao Aorten; mr Medullarrinne. af Amnionfalte;
ch Spaltraum unter der Chordaplatte.
Medianer Sagittalschnitt durch das hintere Körperende eines Kanin-
chenembryo mit 13 Urwirbeln.
Medullarrinne;
Am Aftermembran MIHALKOVICS’;
gf Gefäße.
Vergr. 180. chp Chordaplatte; mr
ent Entoderm; Ad Hinterdarm; Pr Primitivstreifen ;
Tafel X.
af Amnionfalte; 4/ Allantoiswulst;
Schnitt durch den vierten Urwirbel eines Embryo von Pristiurus mit
uh Urwirbelhöhle; uk dorsale Urwirbelkante; wg untere
Urwirbelgrenze; sp Seitenplatten.
Schnitt durch den dritten Urwirbel eines Embryo von Pristiurus mit
14 Urwirbeln.
17 Urwirbeln.
hy Hypochordaleiste ;
iibrige Bezeichnung wie friiher.
Fig.
Fig.
Fig.
1
12:
Carl Rabl, Theorie des Mesoderms.
Schnitt durch das Vorderende des Rumpfes eines Pristiurusembryo
mit 26—27 Urwirbeln. hy Hypochorda; ao Aorta; sk Stelle, aus der ©
später das Sklerotom hervorsprosst; 7h ventrale (bleibende) Leibes-
höhle; gi erste Spur der Ganglienleiste; sonst wie früher.
Schnitt durch das Vorderende des Rumpfes eines Pristiurusembryo
mit 34—35 Urwirbeln. mp Muskelplatte; sk Sklerotom; dv Sklerotom-
divertikel; sonst wie friiher.
Schnitt durch das Vorderende des Rumpfes eines Pristiurusembryo
mit 45—46 Urwirbeln. sg Anlage eines Spinalganglions; ps und vs
parietale und viscerale Seitenplatte; me Mesenterium; sonst wie friiher.
Schnitt durch das Vorderende des Rumpfes eines Pristiurusembryo
mit ungefähr 56 Urwirbeln. sv Subintestinalvene;. sonst wie früher.
Schnitt durch die hintere Rumpfhilfte eines Pristiurusembryo mit
38—40 Urwirbeln. Az Keimzellen; sv Subintestinalvene,
Schnitt durch die hintere Rumpfhälfte eines Pristiurusembryo mit
45—46 Urwirbeln. —
Aus einer Serie durch einen Embryo mit 66—68 Urwirbeln. me Me-
senterium; * Proliferationsstelle der visceralen Seitenplatte; sv Sub-
intestinalvene; ugg Urnierengang.
Aus derselben Serie wie Fig. 9, aber weiter hinten.
Schnitt durch einen Embryo mit 74—76 Urwirbeln in der Höhe des
Ösophagus (oe). cv hintere Kardinalvenen; ve Ektodermverdickung.
Schnitt durch einen weiter entwickelten Pristiurusembryo vor der
Kloake. he Ektodermfalte; übrige Bezeichnung wie früher.
Vergrößerung der Figuren 1—10 230fach, der Figuren 11 und 12 180fach.
(Fortsetzung folgt.)
Lith Anst.v Werner & Winter Frankfurt OM
‘
7
Verl y WIR Engelmann, Leipzig,
I
ul
j ent--—-
.-——
| CEabl det
I
Sith Anst. wWerner & Winter Frankdar HM.
*
meseent
Yard vWith Engelmann lenztg
Taf: IX
{ , Monpholoy. Jahrbuch. BdNV
4,
ao
ao
|
=.
a
chp
Lith Mase x werner 4 Winter; Fi
ER a”
-
sn.
|
|
|
u
5
OO ig
an 0:
ote arn
*
TB CH
“
EZ
fs
<a
Lith Ainst.V Werner £härter, Frankfurt®M.
\$
4
‘ug
a”
72
u
ae
2
a é
pe, %
BULA Ng
ic ‘ N
ZEN Ve
I, nd
x : ne N ; 2
aA
si
\ ye y N 5
ass 7 in
a hae
AN Vijgag nt Por ee
Sy girs Teens:
ae “
rc re nn Di
\ = Sr
auth Anst v Wernar a Binter Frankfier OU
2
a /P
LT
Pe
h' =
RT
Sa *
BR;
a retahinas es hi7 go”
ong
~
Terl Wick Engelmann. Lopzıg
S
I
ES
ES
N
x
S
S
S|
S
S
S
S
S
Die Homologien innerhalb des Echinodermen-
stammes.
Von
Dr. Richard Semon
in Jena.
»Kein Zweig der vergleichenden Anatomie ist so reich an eigen-
thümlichen Verhältnissen des Baues wie die Anatomie der Echino-
dermen, keiner ist auch mit größeren Schwierigkeiten verbunden.«
Dieser Satz, mit welchem vor 45 Jahren JOHANNES MÜLLER
seine grundlegenden Studien: »Über den Bau der Echinodermen«
einleitete, hat mit dem Fortschreiten unserer Einzelkenntnisse in der
Anatomie der Echinodermen nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt.
Die Schwierigkeiten einer vergleichenden Betrachtung scheinen sich
sogar gesteigert zu haben, je mehr man in die genaueren Verhält-
nisse des Baues und der Entwicklung unserer Thiere eindrang.
Dieser Umstand darf als Beweis dafür gelten, dass die Schwierig-
keiten durchaus nicht ausschließlich auf die Mangelhaftigkeit unserer
anatomischen Kenntnisse zurückzuführen sind, obwohl nicht geleugnet
werden darf, dass dieser. Faktor viel dazu beigetragen hat und noch
beiträgt, sogleich Hindernisse auftreten zu lassen, sobald man ver-
sucht, die Vergleichungen auf breiterer Basis und zugleich mehr in
die Tiefe dringend anzustellen.
Es müssen vielmehr hier in erster Linie innere Schwierigkeiten,
solche, die in den Problemen selbst liegen, in Frage kommen, und
meiner Ansicht nach ist es gar nicht schwer, das Wesen dieser
Hindernisse zu erkennen.
Vergleicht man den Körperbau zweier verschiedener Echino-
dermenklassen, so ist es zu allernächst eine ganz überraschende Ähn-
lichkeit im Gesammtbau und in den einzelnen Theilen, die uns
254 Richard Semon
entgegentritt. Man braucht gar nicht Naturforscher zu sein, um bei
Betrachtung eines schön ausgebreiteten Echiniden-, Asteriden-, Ophi-
uriden- und Crinoideenskelets zur Vergleichung gereizt zu werden.
Was auf der Hand liegt, was auf den ersten Blick einleuchtet,
was sich ungekünstelt zu ergeben scheint, das pflegt in der ver-
gleichenden Anatomie auch in sehr vielen Fällen das Richtige zu
sein. Doch hat diese Regel zahlreiche Ausnahmen, und wenn die
Augenfälligkeit einer Formenübereinstimmung zunächst einige Wahr-
scheinlichkeit für die Auffassung in die Wagschale legt, dass innigere,
genetische Beziehungen, dass eine wahre Homologie vorhanden ist,
so kann der Beweis dafür natürlich nur durch eine schärfere Durch-
führung der Vergleichung erbracht werden.
Nun liegt die Sache bei den Echinodermen folgendermaßen:
Eine genauere Untersuchung des inneren Baues dieser Thiere
zeigt, dass eine Reihe von Organsystemen in den verschiedenen
Klassen eine derartige durchgehende Übereinstimmung in der Ent-
stehung und im fertigen Aufbau zeigt, dass an einer vollen Gleich-
werthigkeit, einer speciellen und zwar kompleten Homologie nicht
gezweifelt werden kann.
Die Thatsache, dass das Darmsystem, die Leibeshöhle, das
Wassergefäßsystem und das Nervensystem in den verschiedenen
Echinodermenklassen in ihren Grundzügen völlig homologe Bildungen
darstellt, hat nun ziemlich allgemein die Forscher zu dem meiner
Anisicht nach unberechtigten Sprung verleitet, eine derartige specielle
Homologie auch in den übrigen Organsystemen. ganz generell überall
da vorauszusetzen, wo eine mehr oder weniger entfernte Ähnlichkeit
hervortritt.
Diese Voraussetzung ist ‘an und für sich eine ganz natürliche
und auch eine berechtigte, wenn man sich weitere Prüfung vorbe-
hält. Die weitere Prüfung ergiebt aber, dass bei der Verglei-
chung anderer Organsysteme beinahe unübersteigbare Hindernisse
auftreten, Hindernisse, die wenigstens nur so aus dem Wege zu
räumen sind, dass man den Thatsachen Gewalt anthut, Einzelmo-
mente in willkürlicher Weise aufbauscht, Typisches und Atypisches
vermengt, dasselbe, auf welches man in einem Falle großen Werth
legte, im anderen Falle als unwesentlich ignorirt.
Ein wie weiter Spielraum sich bei solchen Vergleichungen
bietet, die desshalb, weil sie. nieht eigentlich innerlich. begründet
sind, auch keinen festen Anhaltspunkt bieten, zeigt der Umstand,
dass der Kalkring der Holothurien nach einander mit den Zähnen
eee.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 355
der Seeigel, den Kiefern, den Epiphysen der Kiefer und den Rotulae,
endlich mit den Aurikeln verglichen worden ist.
Die Unmöglichkeit, die Ambulaeralplatten der Seeigel und See-
sterne direkt mit einander zu vergleichen, hat schon lange einge-
leuchtet. Die naheliegende Homologie hat sich demnach als un-
richtig erwiesen. Da man aber voraussetzt, es müsse doch irgendwo
eine Homologie stecken, wendet man sich zu dem Fernliegenden.
So kann es kommen, dass die Adambulacralplatten der Seesterne
von den Einen mit den Ambulacralplatten der Seeigel, von den An-
deren mit nicht viel besserem Rechte mit den Interambulacralplatten
verglichen werden.
Eine Reike ähnlicher Fälle, bei denen die Ähnlichkeit offenbar
auf eine Analogie, nicht auf eine Homologie der Theile hinaus-
läuft, werden im weiteren Gange dieser Arbeit noch ausführlich er-
örtert werden. Wieder in anderen Fällen ist eine homophyletische
Entstehung gewisser Theile nicht zu verkennen. Die gemeinsame
Uranlange war aber noch eine sehr indifferente und die speciellere
Differenzirung ist in jeder Klasse selbständig für sich aufgetreten,
so dass von einer speciellen Homologie nicht die Rede sein
kann, höchstens von einer allgemeinen. Beispiele hierfür liefert
ein Theil des Wassergefäß- und Nervensystems der Holothurien,
die Muskulatur der verschiedenen Klassen, wahrscheinlich das so-
genannte Dorsalorgan, vielleicht auch das Blutgefäßsystem.
Besondere Schwierigkeiten für das Verständnis bietet das letzt-
erwähnte Verhältnis dann, wenn die Differenzirung aus der gemein-
samen Uranlage zwar selbständig, aber in einer durch ähnliche
Bedingungen beeinflussten ähnlichen Weise stattgefunden hat, ein
Fall, den wir auch bei anderen Thiergruppen, so an der Längs-
muskulatur der Nematoden und Chaetognathen beobachten. können.
Die Schwierigkeiten, die sich einer vergleichenden Betrachtung
der Organisation der verschiedenen Echinodermenklassen entgegen-
setzen, beruhen demnach in erster Linie in dem Umstande, dass die
beobachteten Ähnlichkeiten, die auf den ersten Blick als specielle
Homologien imponiren, zwar zum Theil solche sind. Zum anderen
Theil aber ist die Homologie nur eine allgemeine, die Ähnlichkeit
nur oberflächlich, weil aus. gemeinsamer indifferenter Anlage die
Theile sich selbständig bald konvergirend, bald divergirend ent-
wickelt haben. In einer dritten Reihe von Fällen haben wir es mit
bloßen Analogien (Homoplasien, Ray LANKESTER) zu thun.
Die Erkenntnis dieses Verhältnisses lehrt uns das eigentliche Wesen
256 Richard Semon
der Schwierigkeiten kennen, mit denen nach J. MiLuEr’s Urtheil die -
vergleichende Anatomie der Echinodermen zu kämpfen hat. Es ist
die Hauptschwierigkeit, die sich aller vergleichender Anatomie bietet,
die Frage, ob specielle oder bloß allgemeine Homologie, oder ob
drittens nur Analogie (Homoplasie) vorliegt. Aber diese Schwierig-
keiten sind bei den Echinodermen gehäuft, weil alle drei Verhält-
nisse hier diehter neben einander liegen als anderswo, und auch
aus dem historischen Grunde, weil die aprioristische Annahme, dass
alle Ähnlichkeiten der verschiedenen Klassen specielle Homologien
vorstellten, eine große Reihe von unhaltbaren, aber festgewurzelten
Vorurtheilen großgezogen hat.
In einer früheren Arbeit! habe ich versucht, den Grund dafür
anzugeben, wie es gekommen ist, dass uns bei den Echinodermen
so zahlreiche Ähnlichkeiten entgegentreten, die doch ganz verschie-
den erklärt werden müssen. Es beruht dies meiner Ansicht nach
auf einer frühzeitigen Divergenz der Klassen aus einer gemeinschaft-
lichen Stammgruppe, die in mancher Beziehung noch indifferent,
doch allen Klassen eine Reihe von durchgreifenden Struktureigen-
thümlichkeiten mitgegeben hat. Aus der Mitgabe von schon stärker.
ausgeprägten Organisationseigenthümlichkeiten erklären sich die spe-
ciellen, aus der Mitgabe einer mehr indifferenten Mitgift die allge-
meinen Homologien, die sich nicht ins Specielle verfolgen lassen.
Aus dem Umstande endlich, dass zahlreiche Bildungen in den ver-
schiedenen Klassen zwar ganz selbständig ihre eigenartige Form und
Anordnung gewannen, sich aber in dem ähnlich weil radiär ge-
bauten Körper verschiedener Klassen auch ihrerseits ähnlich, das
heißt radiär anordneten, entstanden die Analogien (Homoplasien).
In der vorliegenden Arbeit habe ich nicht den Versuch unter-
nommen, den Gesammtbau der Echinodermen nach den eben ent-
wickelten Gesichtspunkten einer Prüfung zu unterwerfen. Blutgefäß-
system und das sogenannte Dorsalorgan habe ich sogar ganz von
diesen Betrachtungen ausgeschlossen, weil für diese Organe unsere
thatsächlichen Kenntnisse des Baues und der Zusammensetzung noch
zu unreichende sind, die Angaben der Autoren einander zu sehr
widersprechen. An diese schwierige, aber höchst interessante Auf-
gabe habe ch mich nicht herangewagt.
1 R. Semon, Die Entwicklung der Synapta digitata und die Stammes-
geschichte der Echinodermen. Jenaische Zeitschr. für Naturwiss. Bd. XXI.
N. F. Bd. XV. Jena 1588.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 357
Aber auch was die von mir behandelten Organsysteme, also
Wassergefäßsystem, Nervensystem, Muskulatur und Skeletsystem
anlangt, so erörtere ich nur einige, mich besonders interessirende
Fragen. Eine Vollständigkeit ist in keiner Beziehung angestrebt
worden.
Wassergefälssystem.
Das Wassergefäßsystem der Echinodermen, das im Aufbau jener
Thiere den übrigen Organsystemen gegenüber eine ähnlich domi-
nirende Stellung einnimmt wie etwa das Gastrovascularsystem bei den
Cölenteraten, das Skeletsystem bei den cranioten Wirbelthieren, zeigt
beim Vergleiche der verschiedenen Klassen eine Reihe von sehr
deutlich hervortretenden Übereinstimmungen, und lässt eine nähere
Prüfung keinen Zweifel bestehen, dass es sich hier um specielle
Homologien handelt. Hierher wären zu rechnen der Wassergefäß-
ring, der den Schlund umgreift, der primäre Steinkanal und der
primäre Rückenporus sämmtlicher Echinodermenklassen. Ferner,
wenn wir zunächst von der Klasse der Holothurien absehen, die
fünf Ausstülpungen des Wassergefäßringes, die ich in der Larve
als Primärtentakel bezeichnet habe, und welche im weiteren Laufe
der Entwicklung den Ausgangspunkt bilden für die sogenannten
Ambulacralgefäße.
Ein solcher Primärtentakel ist eigentlich ein zusammengesetztes
_ Gebilde, denn er besteht nicht allein aus der blindsackförmigen Aus-
stülpung des Wassergefäßringes, sondern auch aus dem darüber
liegenden Bindegewebe und der Haut, die durch jene Ausstülpung
hervorgewölbt wird. Das ganze Gebilde wächst, indem sich die
Spitze mehr und mehr vom Orte ihrer Entstehung, also aus der
Nähe des Wassergefäßringes, entfernt, und zwischen Spitze, das
heißt dem ursprünglichen Primärtentakel, und Wassergefäßring sich
fort und fort neue, und zwar paarige Ausstülpungen des Wasser-
sefäßrohres hervorbilden, die Haut vorwölben und als Füßchen im-
poniren.
Ein sehr wesentlicher Punkt in dieser Art des Wachsthums ist,
dass der terminale Tentakel (Primärtentakel der Larve) sich auf diese
Weise mehr und mehr von der Schlundgegend entfernt.
Die Art der Entfernung kann aber in zwei Richtungen erfolgen.
Stets treten uns die fünf Primärtentakel der Larve als etwas mehr
oder weniger Selbständiges ‚entgegen, das sich von dem übrigen
Körper des Thieres, den man als Körperstamm bezeichnen kann, in
Morpholog. Jahrbuch. 15. 17
258 Richard Semon
gewisser Weise absetzt. In den Gruppen der Crinoiden, Ophiuriden
und Asteriden wird nun im weiteren Laufe der Entwicklung jene
Selbständigkeit noch vermehrt. In dem Maße, als jeder der Primär-
tentakel wächst und neue Fiederchen entwickelt, wächst auch die
ganze Peripharyngealgegend, das heißt die Gegend, die sich zwi-
schen Schlund- und Wassergefäßring einerseits und der terminalen
Tentakelspitze andererseits befindet. Diese Gegend wächst aber im
Anschluss an die sich stärker entfaltenden Tentakel, gewinnt mit
ihnen eine größere Selbständigkeit gegenüber dem dahinter gelegenen
Körperabschnitt. So kommt es im Anschluss an das Wachsthum der
Tentakel zur Herausbildung von fünf Vorwölbungen der peripharyn-
gealen Leibesgegend, die wir als Tentakelträger anzusehen haben
und als Arme bezeichnen, im Gegensatz zu der von jenen Einflüssen
mehr unberührt gebliebenen aboralen Körpergegend, dem Körper-
stamm oder der Scheibe.
Bei allen drei Klassen sind in die fünf selbständiger gewordenen
Abschnitte der peripharyngealen Körpergegend, die wir als Arme
bezeichnen, Leibeshéhlenabschnitte mit aufgenommen worden. Bei
den Asteriden sendet auch der Darm je eine blindsackförmige Aus-
stülpung in jeden Arm, bei Asteriden und Crinoideen sind die Ge-
schlechtsorgane nicht auf die Scheibe oder den Kelch beschränkt,
sondern erstrecken sich mit in die Arme.
Dem so eben dargestellten Entwicklungstypus, der in der selb-
ständigen Ausbildung der den Primärtentakeln benachbarten Gegen-
den, ihrer Sonderung von einander und vom Körperstamm, ihrer Um-
bildung zu Tentakelträgern oder Armen gipfelt, stellen sich in
gewisser Beziehung die Organisationsverhältnisse der Echiniden gegen-
über. Auch hier wird zunächst die Peripharyngealgegend in den
Wachsthumsbereich der Tentakel gezogen, aber es kommt zu keiner
Sonderung eines Körperabschnittes, der als Tentakelträger dient, und
eines hiervon getrennten Bezirkes. Der peripharyngeale Abschnitt
mit den Tentakeln nimmt nämlich auf Kosten des auch bei den Echi-
nidenlarven selbständiger ausgebildeten Körperstammes an Ausdehnung
zu, er wächst, während jener klein bleibt, bis sich schließlich der
tentakeltragende Abschnitt über die orale Hemisphäre hinaus, end-
lich bis zum Aboralpol hin erstreckt.
Bei manchen Echiniden werden die ursprünglich unpaar, in
Fünfzahl auftretenden Primärtentakel oder Primärfüßchen im Laufe
der Entwicklung rückgebildet, das heißt es schwindet die äußer-
lich als Füßchen imponirende Hervorwölbung des Wassergefäßes
EI PLOT | 5
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 259
mit seinem Hautüberzug. Der Wassergefäßraum selbst aber, also
die Ausstülpung des Wassergefäßringes, bleibt erhalten, lässt neue
paarige Hervorwölbungen vorsprossen, die wir als Füßchen be-
zeichnen, und gelangt bei fortschreitendem Wachsthum der Peri-
pharyngealgegend immer weiter nach abwärts, bis endlich in die
Gegend des Aboralpols hinab.
Ich war früher der Ansicht, dass das Primärfüßchen, das in
vielen Fällen bald unscheinbar wird und ganz schwindet, eine be-
sondere Hervorstülpung gegen den Aboralpol zu entwickelte und aus
dieser besonderen Hervorstülpung das Ambulacralwassergefäß würde.
So verhält sich die Sache aber nicht, und ich bin Herrn Dr. Haacke
zu großem Danke verpflichtet, mich hierauf aufmerksam gemacht zu
haben. Nur die Hervorwölbung der äußeren Haut, die uns als ter-
minales Füßchen entgegentritt, bildet sich in manchen Fällen zurück.
Die ihr zu Grunde liegende Wassergefäßausstülpung bleibt bestehen.
Ich habe mich also fehlerhaft oder mindestens inkorrekt ausge-
drückt, wenn ich früher! die Körperwassergefäße der Echiniden als
»aborale Fortsetzungen der Primärtentakel« bezeichnet habe.
Es ist richtiger, sie als die gegen den Aboralpol gewachsenen Pri-
märtentakel selbst anzusehen, wobei von geringem Belang ist, dass
die zuerst bei der Larve als Primärfüßchen auftretende Hervorwöl-
bung äußerlich schwindet. Wenn ich aber früher die Körperwasser-
gefäße der Echiniden als aborale Fortsetzungen der Primärtentakel
angesehen habe, so ist mir doch niemals eingefallen, sie für un-
gleichwerthig den entsprechenden Gebilden der Crinoiden, Ophi-
uriden und Asteriden zu halten. Als Derivate der Primärtentakel,
perradial gelegen wie diese, hielt ich sie vielmehr, stets eben so
wie die sie begleitenden Nerven, für den Wassergefäßen der Asteri-
den, Ophiuriden und Crinoiden homologe Gebilde. Die Differenz,
auf die ich damals den Hauptwerth legte, und die ich auch heute
noch für wesentlich erachte, besteht in den erwähnten Klassen in
der wechselnden Betheiligung des Körperstammes als Tentakelträger.
Bei den drei armtragenden Klassen gewinnen die den fünf Primär-
tentakeln benachbarten Abschnitte der Peripharyngealgegend im An-
schluss an erstere eine bedeutende Selbständigkeit; bei den Echini-
den dagegen geschieht dies nicht. Der in der Larve angedeutete
Gegensatz von Tentakelgegend und Körperstamm schwindet, der
Stamm wird von dem Tentakelabschnitt überwuchert oder, was das-
selbe ist, der Tentakelabschnitt geht in dem Körperstamm auf.
12]: ,6,.\, pag. 90.
17*
260 Richard Semon
Hamann! hat mich also in dieser Beziehung vollkommen miss-
verstanden und Alles, was er in Bezug auf die Homologie der
Wassergefäße und Nerven der Echiniden gegen mich auf pag. 372
(Separatabdruck pag. 148) seiner Arbeit vorbringt, auch was er auf
der folgenden Seite über die cenogenetische Natur der Echiniden-
pentactula äußert, beruht auf demselben Missverständnis und wird
mithin gegenstandslos.
Dagegen habe ich mit möglichstem Nachdruck darauf hinge-
wiesen, dass die Holothurien in dieser Beziehung eine besondere
Stellung den vier anderen Klassen gegenüber einnehmen, und an
dieser Ansicht muss ich nach wie vor festhalten. Man kann nämlich
sagen: das Wassergefäßsystem der vier bisher behandelten Klassen
besteht in seiner Grundlage aus Wassergefäßring, Steinkanal mit
Porus und fünf Ausstülpungen des Wassergefäßringes nebst deren
Derivaten. Das Wassergefäßsystem der Holothurien dagegen be-
steht in seiner Grundlage aus Wassergefäßring, Steinkanal mit Porus
und nicht fünf, sondern zehn Ausstülpungen des Wassergefäß-
ringes nebst deren Derivaten. Das ist ein Unterschied, über den
man sich nicht leichthin wegsetzen darf, und der den Holothurien
unterallen Umständen den vier anderen Klassen gegen-
über eine Sonderstellung anweist, mag man nun von den
zehn Ausstülpungen die fünf zuerst entstandenen oder die
fünf etwas später angelegten mit den fünf Ausstülpungen
der anderen Klassen im Speciellen homologisiren. Immer
bleibt etwas übrig, wofür sich im Körper der anderen Klassen kein
Äquivalent findet. Hierauf möchte ich den Schwerpunkt legen,
und die Frage, welche von den zweimal fünf Ausstülpungen den
Primärtentakeln der anderen Echinodermen gleichzusetzen seien, in
zweite Linie stellen.
Fassen wir aber letztere Frage ins Auge, so habe ich? mich auf
Grund einer Reihe von Erwägungen dahin entscheiden zu müssen
geglaubt, dass die fünf zuerst auftretenden Ausstülpungen den fünf
! 0. Hamann, Beiträge zur Histologie der Echinodermen. Jenaische Zeit-
schrift für Naturwiss. Bd. XXIII. Heft 4. 1889.
? Der Erste, der die Tentakel der Holothurien mit den Armen der übri-
gen Klassen (und zwar der Crinoideen) verglich, war W. THomMson (On a new
palaeozoic group of Echinodermata. Edinburgh new philosophical Journal.
Vol. 13. 1861. pag. 115). Ich bin Herrn P. H. CARPENTER, dessen Liebens-
würdigkeit ich diesen, sowie eine Reihe anderer, sehr werthvoller Hinweise
verdanke, für dieselben aufrichtig dankbar. Die THomson’sche Idee wurde
dann zunächst von GÖTTE wieder aufgenommen.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 961
Ausstiilpungen der anderen Klassen speciell zu homologisiren seien.
die fünf später auftretenden dagegen als Bildungen eigener Art, die
nur den Holothurien zukommen, aufzufassen sind. Bestimmend für
diese Auffassung war für mich nicht in erster Linie die Zeit des
Auftretens, als vielmehr die Lage der Ausstülpungen zum Steinkanal.
Ich habe nämlich die Beobachtung gemacht, dass sich in gewissen
Stadien der Synaptaentwicklung erkennen lässt, dass wenn wir wie
bei den anderen Klassen durch die Lage des Steinkanals die Inter-
radien bestimmen, die primären Ausstülpungen der Holothurien
perradiale, die sekundären dagegen interradiale Lagerung haben.
Demnach würden die primären Ausstülpungeu der Holothurien, die
die Grundlage zur Bildung der Tentakel abgeben, den Primärtentakeln
beziehentlich Ambulacralgefäßen der übrigen Klassen entsprechen,
die sekundären Ausstülpungen in ihrer interradialen Lage Bildungen
sein, die den Holothurien eigenthümlich sind.
Es wäre sehr wiinschenswerth, dass die Lagerungsverhältnisse
der Tentakel und der Körperwassergefäße zum Steinkanal bei den
Holothurien entwicklungsgeschichtlich und vergleichend anatomisch
einer nochmaligen genauen Untersuchung unterzogen würden, da vor
meinen Untersuchungen auf diese Frage nicht geachtet worden war.
ich selbst aber daraufhin nur die Synapta entwicklungsgeschichtlich
untersucht habe.
Ich habe gesagt, die vierte Sekundärausstülpung läge dem Ab-
gange des Steinkanals vom Wassergefäßringe gegenüber, oder
anders ausgedrückt, letzterer münde gegenüber dem Zwischenraum
zwischen drittem und viertem Primärtentakel in den Ring ein. Folg-
lich hätten die Primärtentakel radiale, die Sekundärtentakel inter-
radiale (beziehentlich später adradiale) Lage.
Bury! (pag. 428) erhebt gegen diese Beobachtung einen gewissen
Widerspruch, indem er angiebt, die Einmündungsstelle befinde sich
dem vierten Sekundärtentakel nicht ganz genau gegenüber, sondern
um ein Geringes seitlich verschoben. Ich leugne durchaus nicht, dass
das vorkommt, und habe selbst neben Fällen von genau gegenüber-
ständiger Einmündung solehe beobachtet, wo leichte Verschiebungen
nach rechts oder links stattgefunden hatten. Wie Bury richtig
bemerkt, drückt meine Abbildung Taf. II Fig. 3 einen solchen Fall
leichter Verschiebung aus.
1H. Bury, Studies in the Embryologie of Echinoderms. Quarterly Journ.
mier. Sc. Vol. 29. Part 4. 1889.
262 Richard Semon
Seine eigene Abbildung, Fig. 27, zeigt aber deutlich einen Fall,
in dem die Abweichung eine geradezu minimale ist. Nehmen wir
hinzu, dass die Abweichung sowohl nach der einen, als nach der
anderen Seite hin erfolgen kann, und die Schwankung sich demnach
um das Gegenüber des vierten Sekundärtentakels herum bewegt, so
scheint mir seine Beobachtung viel eher eine Bestätigung meiner
Auffassung als Einwurf gegen dieselbe zu sein. Jüngere Stadien habe
ich desshalb nicht abgebildet, weil, ehe der Ring eine gewisse Größe
erreicht hat, und die Ausstülpungen sich schärfer absetzen, überhaupt
nicht ein deutliches Gegenüber zu erkennen ist. Jeder, der jüngere
Stadien daraufhin ansieht, wird mir das zugeben. Hat man es
doch innerhalb des engen Kreises nicht mit geometrisch scharfen
Winkeln und lineären Kontouren, vielmehr mit organischen, weichen
Bildungen und breiten, durch Zellenreihen dargestellten Strichen zu
thun.
Ich bin weit entfernt, die sehr schwierige und nicht allein ent-
wicklungsgeschichtlich zu lösende Frage für vollkommen beantwortet
und sicher entschieden zu halten.
Ein volles Verständnis wird auch erst dann zu gewinnen sein,
wenn wir über die Entstehung und Lage der später auftretenden
Mundtentakel der Holothurien genauer unterrichtet sein werden!.
Denn bekanntlich werden aus den ursprünglich in der Fünfzahl auf-
tretenden Mundtentakeln (Primärtentakeln) der Holothurien später
zehn oder mehr.
So viel aber scheint mir jetzt schon sicher zu sein, dass die Holo-
thurien in diesem Fundamentalpunkt von allen übrigen Echinodermen
abweichen, dass sie von Anfang an nicht ein sondern zwei in ver-
schiedenen Radien gelegene Tentakelsysteme als Ausstülpungen des
Wassergefäßringes entwickeln. Welches von diesen beiden Systemen
dem einfachen System der übrigen Klassen speciell homolog ist, halte
ich für eine sekundäre Frage, zu deren endgültiger Beantwortung
1 Die Entwicklungsgeschichte lehrt, dass sich bei simmtlichen Holo-
thurien, auch bei den füßigen, zweimal je fünf, zusammen also zehn Ausstül-
pungen des Wassergefäßringes bilden. Nur bei den Synaptiden erhalten sich
diese zehn Kanäle, bei den übrigen Holothurien werden sie sekundär auf fünf
reducirt, aus denen dann die Tentakel und Körperwassergefäße entspringen.
Somit erhalten sich bei den Synaptiden auch in dieser Beziehung die ursprüng-
licheren Verhältnisse. Ein näheres Eingehen auf diese wichtigen Fragen ist so
lange unmöglich, bis genauere Untersuchungen darüber vorliegen, wie sich die
bleibenden Zustände bei den Synaptiden und den iibrigen Holothurien aus dem
gemeinsamen Pentactulastadium der Holothurienlarve hervorbilden.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 263
noch weitere entwicklungsgeschichtliche (auch auf andere Holothurien
ausgedehnte) und anatomische Feststellungen nothwendig sind.
Ich muss mich aber dagegen verwahren, wenn HAMANN mir
unterlegt, dass ich bei Entscheidung der Frage nach der Homologie auf
»den Zeitpunkt allein« Gewicht legte, in dem sich das Organ anlegt.
An nicht weniger als drei verschiedenen Stellen (pag. 22 und 23, pag.65,
pag. 89) meiner citirten Arbeit spreche ich ausführlich über diesen
Punkt und hebe jedes Mal ausdrücklich hervor, dass ich auf die
Lagebeziehungen für die Entscheidung der Homologie weit höheres
Gewicht lege als auf den Zeitpunkt des entwicklungsgeschichtlichen
Auftretens.
Hamann’ stellt übrigens meine ganze Beweisführung auf den
Kopf, wenn er sagt, um zu zeigen, dass die Körperwassergefäße
der Holothurien adradial, nicht radial liegen, würden von mir die
primären Ausstülpungen der Hydrocoelröhre den Primärtentakeln der
übrigen gleichgestellt. Ich habe gerade umgekehrt argumentirt. Weil
die Primärtentakel der Holothurien meiner Ansicht nach perradial
liegen, die Körperwassergefäße adradial, sind die ersteren, nicht die
letzteren, den perradial gelegenen Wassergefäßen der übrigen Klassen
komplet homolog. Unverständlich ist es, dass er gegen mich ein-
wendet, ich homologisire »die primären Ausstülpungen der Hydrocoel-
ıöhre, welche nicht zu den Wassergefäßen werden, den Primärten-
takeln der übrigen, welche zu solchen werden«.
Natürlich werden auch die Primärausstülpunpen der Holothurien
zu Wassergefäßen, nämlich zu Tentakelwassergefäßen. Dass von
vielen Zoologen die Körperwassergefäße häufig schlechthin als Wasser-
gefäße bezeichnet werden, ist nichts als eine konventionelle Unge-
nauigkeit des Ausdruckes und für die vergleichend anatomische Be-
urtheilung ohne jede Bedeutung.
Die Verhältnisse bei Holothurien sind ungemein schwer zu ver-
stehen und noch schwerer mit denjenigen der übrigen Klassen zu-
sammenzureimen. Ob bei Holothurien der Vorgang phylogenetisch so
zu denken ist, dass die pentactulaähnliche Grundform die Zahl ihrer -
~ Tentakel von fünf durch Einschiebung von neuen auf zehn vermehrt
habe, was an sich leicht vorzustellen ist, ob dann das erste Ten-
takelsystem seine ursprüngliche Stellung bewahrte, während das
zweite in einer Weise wachsend, die an die Echiniden erinnert, seine
Erstreckung auf den Körperstamm bis zum Aboralpol hin ausgedehnt
1]. c. pag. 372.
264 Richard Semon
habe, ist nieht möglich zu entscheiden. Eine besondere Frage wäre
alsdann die, ob es sich bei den fünf Ausstülpungen für den Körper-
stamm ebenfalls gleich um ein wirkliches Tentakelsystem, das die
äußere Haut hervorwölbte und Sprossen oder Füßchen trieb, oder
aber zunächst nur um einfache Gefäßkanäle handelte, die erst sekundär
Füßchen hervorgehen ließen. Es wäre leichter, sich phylogenetisch
den Vorgang in der zuerst angedeuteten Weise vorzustellen. Dann
müsste man bei den apoden Holothurien eine nachträgliche Rück-
bildung der Füßchen annehmen. Dem steht entgegen, dass, wie
die vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte lehrt, be-
sonders die Synaptiden einen viel primitiveren Bau besitzen, als die
übrigen Holothurien, und zwar wirklich primitive, nicht rückgebildete
Organisationsverhaltnisse erkennen lassen.
Wie wir sehen, liegt die ganze Frage bei Holothurien sehr ver-
wickelt. Die Schwierigkeit wird aber keineswegs gehoben, wenn
wir nun einfach die sekundären Ausstülpungen oder Körperwasser-
gefäße der Holothurien den Primärtentakeln respektive Ambulacralge-
fäßen der übrigen Klassen gleichsetzen. Dann blieben eben wieder
die Primärtentakel der Holothurien als etwas Unerklärtes, neu Hinzu-
gekommenes übrig.
Es erscheint mir, wie oben ausgeführt worden ist, aus ver-
gleichend entwicklungsgeschichtlichen Gründen richtiger die Primär-
ausstülpungen der Holothurien den Primärtentakeln der übrigen Klassen
im Speciellen zu homologisiren, die Sekundärausstülpungen aber für
den Holothurien eigenartige Bildungen anzusehen. Diese Frage der
Homologie hat aber nur sehr indirekt etwas mit der Abstammung
und Verwandtschaft zu thun und ist von der Anschauung, dass die
fünf Echinodermenklassen sich divergent aus einer einfach organi-
sirten, der Pentaktulalarve ähnlichen Stammform entwickelt haben,
vollkommen unabhängig. Die bedeutende Abweichung in einem
Fundamentalpunkt ihres Baues, durch welchen sich die Holothurien
von den übrigen Klassen unterscheiden und die bestehen bleibt, wie
man auch die Homologie annimmt, lässt sich unserem Verständnis
viel näher rücken, wenn wir bis auf die Pentactula zurückgehen,
als wenn wir annehmen, hochdifferenzirte, Echiniden ähnliche Echino-
dermen hätten ein zweites, in anderen Radien als das schon vor-
handene liegende Tentakelsystem entwickelt und gleichzeitig ihre
Organisation wieder in so vielen Punkten vereinfacht, dass sie — als
Descendenten der Echiniden aufgefasst — als rückgebildete Thiere
zu betrachten wären. Auch das außerordentlich frühe Auftreten
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 965
der Primirtentakel in der Ontogenie der Holothurien spricht dagegen,
dass wir es hier mit einer relativ jungen Bildung zu thun haben.
Auf diesen Umstand lege ich kein besonderes Gewicht, da hier ceno-
genetische Verschiebungen denkbar, wenn auch in diesem Maße
nicht wahrscheinlich sind. Er verdient aber immerhin erwähnt zu
werden.
Ich kann diesen Abschnitt nicht schließen, ohne noch folgenden
Punkt zu berühren. Wenn ich mich aus vergleichend-anatomischen
Gründen, die besonders in den Lageverhältnissen der betreffenden
Gebilde zum Steinkanal gipfelten, zu der Annahme hinneige, dass
die fünf zuerst entstandenen Ausstülpungen des Wassergefäßringes
der Holothurien den Primärtentakeln der übrigen Klassen entsprä-
chen, die fünf später und zwischen den ersteren auftretenden Aus-
stülpungen aber nicht, so habe ich damit nicht gesagt, dass letztere
Gebilde »gänzlich anderer Natur« seien als die ersterwähnten.
Weder GörrE noch ich haben jemals so etwas behauptet, und ist
dies wieder einer derjenigen Punkte, bei dessen Erörterung es mir
nicht gelungen ist, mich Hamann (l. ec. pag. 371) verständlich zu
machen.
Wenn ich zum Beispiel pag. 65 sage, dass meiner Ansicht nach
die Ambulacralwassergefäiße der Holothurien und der Echiniden
»nicht auch genetisch völlig homologe Bildungen« seien, so
lag diesem Ausdruck folgende Vorstellung zu Grunde, die ich, als
einfach und selbstverständlich, nicht weiter ausführen zu müssen
glaubte. Der bei allen Echinodermen homologe Wassergefäßring
entwickelt bei den Holothurien zweimal fünf, bei den übrigen
Klassen einfach fünf Ausstülpungen. Sämmtliche Ausstülpungen
_ entstehen in ganz übereinstimmender Weise und auch ihre weitere
Entwicklung lässt diese fundamentale Übereinstimmung nie in we-
sentlichen Punkten verschwinden; sie sind und bleiben radiär um
den Wassergefäßring angeordnete, in letzteren einmündende Kanäle.
Als solche sind sie nach dem Gebrauche der vergleichenden Ana-
tomie schlechthin als homologe oder als »allgemein homologe«
Bildungen zu bezeichnen und wäre es einfach sinnlos. die einen im
Vergleich mit den anderen als »gänzlich anderer Natur« hinzu-
stellen.
| Es knüpft sich aber naturgemäß an den Umstand, dass die
übrigen Klassen fünf, die Holothurien aber zweimal fünf Ausstül-
_ pungen des Wassergefäßringes entwickeln, die weitere Frage, welche
von den zweimal fünf Ausstülpungen der Holothurien den Primär-
266 Richard Semon
tentakeln der übrigen im Speciellen entsprechen, der erst entstandene
oder der später entstandene Kranz. Technisch ausgedrückt besagt
diese Frage: welcher Kranz der Holothurien ist dem Primärtentakel-
kranz der übrigen Klassen speciell homolog, welcher nicht. Dass
auch bloß allgemein, nicht speciell homologe Bildungen einander
sehr ähnlich sehen können, ist nicht weiter verwunderlich. Die
Hamanv’schen Einwände gegen meine Anschauungen treffen dess-
halb in keiner Beziehung den Kern der Sache, weil ihm gar nicht
zum Bewusstsein gekommen ist, dass es sich hier um die Frage
nach specieller oder nicht specieller Homologie, nicht aber um die
Frage nach Homologie oder Analogie handelt. Ganz dasselbe gilt,
wie wir gleich sehen werden, für das, was er bezüglich des Ner-
vensystems gegen mich einwendet.
Nervensystem.
Das Nervensystem der Echinodermen schließt sich in den Grund-
zügen seiner Anordnung dem Wassergefäßsystem an, also gilt auch
bezüglich der allgemeinen und speciellen Homologien hier das für
letztere Bildung Gesagte.
Auf die Grundzüge dieser Anordnung und die allgemeine Gleich-
heit der histologischen Konstituenten beschränkt sich aber das, was
wir in dem Baue der verschiedenen Nervensysteme als speciell homolog
zu betrachten haben. In untergeordneteren Punkten sind zahlreiche
Eigenartigkeiten entwickelt worden und zwar selbständig theils
divergent theils konvergent. Die Radialnerven der Echiniden
und der Ophiuriden halte ich, wie die Wassergefäßstämme, zwar
für speciell und komplet homolog. Wenn aber HAMANN (I. e. pag. 371)
ausruft: »Dass sie (die Nervenstämme) bei Echiniden eben so in Schizo-
coelräumen liegen, wie bei den Ophiuriden, alles dies müssen wir
als Zufälligkeiten erklären«, so muss ich dem erwiedern, dass gerade
diese besondere, von Hamann hervorgehobene Übereinstimmung ohne
Zweifel eine bloße Konvergenzerscheinung ist, und dass aus HAMANN’s
eigener Auffassung der Verwandtschaftsverhältnisse hervorgeht, dass
hier keine homophyletische Übereinstimmung vorliegen kann. Nach
ihm müssen die Echiniden von Asteriden abgeleitet werden, während
er die Ophiuriden für eine Gruppe hält, »welche mit den übrigen in
keiner näheren Beziehung stehen, als dass sie insgesammt von Vor-
fahren herzuleiten sind, welche den Enterocoelwiirmern verwandt, be-
reits ein Wassergefäßsystem, eine Leibeshöhle, ein ektodermales-
¥
—
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 267
Nervensystem und bestimmte Kalkplatten besaßen«. Hieraus folgt mit
Nothwendigkeit, dass nach Hamann in der Verwandtschaft der Ophi-
uriden und Echiniden die Asteriden das Verbindungsglied bilden.
Liegen nun bei den Asteriden die Nervenstämme in Schizocoelräumen ?
Bekanntlich ist das nicht der Fall, und nicht einmal nach dem von
Hamann selbst aufgestellten Stammbaum ist jene Übereinstimmung
als eine homophyletische denkbar.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der Theilung der Körpernerven
der Holothurien durch eine aus Zellen bestehende Scheidewand,
die derselbe Autor (l. e. Heft 4 pag. 360 [Separ. pag. 136) ohne
Weiteres der Theilung der Asteriden- und Ophiuridennerven in zwei
Gruppen durch eine hyaline Membran gleichsetzt. Und dabei hält
Hamann die Holothurien für rückgebildete Descendenten der Echi-
niden, die doch ihrerseits einer solchen Theilung der Nerven völlig
ermangeln. Auch fehlt jene Theilung bei Holothurien im Gehirnring,
bei Asteriden und Ophiuriden nicht. Wenn man übrigens noch näher
auf die Sache eingeht, was ich als überflüssig unterlasse, so treten
die Differenzen noch stärker hervor.
Aus alle Dem wird klar geworden sein, dass hier wie überall bei
vergleichender Betrachtung, nicht das Ähnliche‘ zusammengetragen
und unbesehen in einen Topf geworfen werden darf, sondern dass
wir uns, wenn wir im Einzelnen vergleichen, stets der allgemeinen
Zusammenhänge bewusst bleiben müssen. Eine specielle Vergleichung
der Nervensysteme der verschiedenen Klassen ist übrigens augen-
blicklich nicht gut durchführbar, da unsere anatomischen und be-
sonders unsere entwicklungsgeschichtlichen Kenntnisse noch allzu
lückenhafte sind.
Besondere Schwierigkeit bei der Vergleichung bieten bis jetzt
die Verhältnisse bei den Crinoideen. Zwar habe ich gezeigt (I. e.
pag. 99), dass das Nervensystem dieser Klasse im Pentactulastadium
sich demjenigen der anderen Klassen vollkommen gleich verhält.
Wie aber aus dieser Grundlage das viel komplieirter gebaute Nerven-
system des ausgewachsenen Thieres sich heraus bildet, ist eine offene
Frage, die sich allein durch eine Untersuchung der Entwicklungs-
geschichte der späteren Stadien wird lösen lassen. Eine derartige
Untersuchung wäre sehr wünschenswerth. Ich mache darauf auf-
merksam, dass die betreffenden Stadien nicht schwer zu erlangen
sind, da die Larven, die man aus befruchteten Eiern erhält, sich
leicht groß ziehen lassen.
Ähnlich liegen die Dinge bei den Ophiuriden, wo, wie neuere
268 Richard Semon
Untersuchungen! zeigen, ebenfalls bedeutende Komplikationen des
Baues eingetreten sind.
Muskelsystem.
Das an Beobachtungen vorliegende Material ist nicht hinreichend.
um eine erschöpfende Vergleichung der einzelnen Abschnitte des
Muskelsystems der Echinodermen vorzunehmen, besonders was die
armtragenden Klassen anlangt.
Ich will daher hier nur auf eine besondere Frage eingehen, die
neuerdings von P. und F. Sarasın? aufgeworfen ist und außer-
ordentlich vieles Interesse darbietet.
P. und F. Sarasın haben bei dem von ihnen aufgefundenen und
beschriebenen Asthenosoma ureus eine eigenthümliche Muskulatur ent-
deckt und sehr wahrscheinlich gemacht, dass dieselbe auch den
übrigen Echinothuriden nicht fehle.
Es sind das zehn mächtig entwickelte Muskeln, die je an den
Grenzen der Ambulacren und Interambulaeren verlaufen. »Die Mus-
keln erscheinen als breite halbmondförmige Blätter, welche aus
zahlreichen einzelnen Bündeln bestehen. Die Bündel entspringen
von den äußersten Enden der Ambulacralplatten und zwar so, dass
von einer einzelnen Platte bald eines, bald auch mehrere ihren Ur-
sprung nehmen. Die einzelnen Stränge verlaufen in radiärer Rich-
tung und vereinigen sich siimmtlich in einem halbmondförmigen
Centrum tendinenm, welches die Mitte des inneren Randes jedes
Muskelblattes einnimmt. Trotz dieser Vertheilung der Bündel be-
zeichnen wir die Muskelblätter als Längsmuskeln, weil ihre Wirkung
sicherlich diejenige einer Längsmuskulatur ist, d. h. eine Depression
des Körpers bewirkt, und wir glauben, dass die radiäre Anordnung
der einzelnen Stränge nur durch die Form des Seeigelkörpers me-
chanisch bedingt ist?.«
P.undF. Sarasin gelangen bei Vergleichung dieser Muskulatur mit
den fünf Längsmuskeln der Holothurien zu dem Resultat, dass beide
1 C. F. Jıckeuı, Vorläufige Mittheilungen über das Nervensystem der
Echinodermen. 3. Über das Nervensystem der Ophiuren. Zoologischer Anzeiger.
XII. Jahrg. 1889. pag. 213.
2 P. und F. Sarasıs, Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen auf
Ceylon. Bd. I. Heft 3. Über die Anatomie der Echinothuriden und die Phy-
logenie der Echinodermen. Wiesbaden 15888.
3 SARASIN, l. c. pag. 93.
rn
Die Homolegien innerhalb des Echinodermenstammes. 269
Bildungen homolog, die radiär angeordnete, von den Ambulacral-
platten entspringende Muskulatur der weichhäutigen Seeigel aus den
fünf Längsmuskeln der Holothurien entstanden zu denken sei.
Eine Reihe von Einwürfen gegen diese Auffassung — ganz ab-
gesehen von Bedenken allgemeinerer Art — tauchte mir sofort auf,
als ich die Sarasın'sche Arbeit las; ich muss aber gestehen, dass
bei längerer Überlegung keiner dieser Einwände sich zu einer wirk-
lichen Widerlegung der Sarasıy'schen Anschauung gestalten lässt.
Zunächst kann man sagen, handelt es sich gar nicht um eine wirk-
‘liche Längsmuskulatur, wenn auch die Wirkung derjenigen einer
solchen ähnlich sein mag. Auf Ähnlichkeit der Funktion kann es
bei Entscheidung morphologischer Fragen nicht ankommen. Es ist
vielmehr eine radiäre Muskulatur, die eine gewisse Segmentation
-— entsprechend der Anordnung der Platten — erkennen lässt. Dem
ist zu erwiedern, dass gerade diese Muskulatur, wie sie uns in ihrer
sehr eigenthümlichen Ausbildung vorliegt, am besten, oder, wie mir
sogar scheint. einzig und allein aus einer den ganzen Körper durch-
ziehenden Längsmuskulatur entstanden zu denken ist. Die Fasern,
die vom Oral- und Aboralpol kommen, haben ihren longitudinalen
Verlauf beinahe beibehalten, sie gehen aber nicht mehr in der
Körpermitte kontinuirlich in einander über, sondern bilden dort ein
Centrum tendineum, in das dann die Fasern, die von mehr äqua-
torial gelegenen Platten kommen, mit schrägem, bis endlich am
Äquator mit radiärem Verlauf einstrahlen. Ein Blick auf Fig. 19
Taf. XII der eitirten Sarasıy’schen Arbeit wird das klar machen.
Die Funktion der Muskel wird sehr verschiedenartig sein: Kon-
traktion der von polaren Platten kommenden Fasern wird Depression
der Corona, Kontraktion der von äquatorialen Platten kommenden
Fasern wird die entgegengesetzte Wirkung hervorbringen; auch wird
unter Umständen das Spiel der verschiedenen Fasern eine gewisse
Peristaltik erzeugen können.
Ein zweiter Einwand gegen die Sarasın'sche Auffassung wäre
der, dass die Muskeln der Echiniden von Theilen des Hautskelets
entspringen, dass solches bei den Holothurien niemals der Fall ist.
Nur der Kalkring der Holothurien, der eine Bildung eigener Art ist,
und auf den ich später noch zurückkomme, dient Muskeln zum An-
satz; die Platten der Haut, ob groß oder klein, ob regellos zerstreut
oder schon in gewisser Gruppirung angeordnet, zeigen bei den Holo-
thurien keinerlei Beziehungen zur Muskulatur. Auch dieser Unter-
schied scheint mir kein unübersteigbares Hindernis für die Homologie
270 Richard Semon
darzubieten, da es gar nichts Ungewöhnliches ist, dass die Musku-
latur erst sekundär Beziehungen zu den benachbarten Skelettheilen
gewinnt, ein Vorkommnis, das sich an zahlreichen Beispielen illu-
striren ließe. Denken wir uns ein weichhäutiges Geschöpf durch
Aneinanderlagerung der Platten in einer Art, wie Asthenosoma sie
zeigt, erstarren, so wird sich, da eine seitliche Verschiebung der
Platten so gut wie unmöglich geworden ist, zunächst die Ringmus-
kulatur rückbilden. Nun erst ist für die Längsmuskulatur überhaupt
die Möglichkeit gegeben, mit dem Hautskelet, von dem sie bis dahin
durch die Ringmuskelschicht getrennt war, in nähere Beziehung zu
treten. Wenn aber mit abnehmender Beweglichkeit der Haut auch
in meridionaler Richtung die von der Muskulatur zu erfüllende Lei-
stung erschwert wird, ist die Gewinnung besserer Insertionen seitens
letzterer sehr erklärlich.
Endlich ließe sich noch sagen, dass, während die Holothurien
fünf unpaare Längsmuskeln besaßen, die, wenn auch Spuren einer
Scheidung in eine rechte und linke Hälfte aufzutreten beginnen, sich
doch stets als einheitliche Bildungen erkennen lassen, bei den Echi-
niden zehn vollkommen getrennte Radiärmuskeln gefunden werden.
P. und F. Sarasin haben wohl nicht ganz recht, wenn sie sagen, dass
die Längsmuskeln der Holothurien zwar »bei den meisten Synapti-
den einfache Bänder darstellen, an denen bloß zuweilen durch Binde-
gewebe eine Trennung in zwei Hälften angedeutet erscheint, die
aber bei der Mehrzahl der dendrochiroten und allen aspidochiroten
Holothurien je aus zwei völlig von einander getrennten Muskeln be-
stehen«.
Auch bei allen aspidochiroten Holothurien!, die ich untersucht
habe (Holothuria, Stichopus), stellten die Körpermuskeln einheitliche
Bildungen dar, und auch bei ihnen war die makroskopisch oft deut-
lich hervortretende Trennung in zwei Hälften nur dadurch verur-
sacht, dass die Mitte des Muskelindividuums von einer starken
Bindegewebsplatte eingenommen wurde, die etwa die Rolle einer
Zwischensehne spielte, ohne dabei jedoch gerade aus sehnenähn-
lichem Gewebe zu bestehen. Das will aber nicht viel bedeuten,
denn wir können uns sehr wohl vorstellen, dass die Trennung noch
schärfer wird, besonders wenn jeder der beiden Abschnitte je rechts
und links zu Skeletelementen Beziehungen gewinnt. Gleichzeitig
1 Höchst wahrscheinlich wird eine genauere Untersuchung auch bei den
Molpadiden ganz ähnliche Verhältnisse ergeben wie bei den Aspidochiroten.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 374
kann sieh die verbindende Bindegewebsplatte mehr und mehr ver-
dünnen, besonders bei gleichzeitiger fortschreitender Ausbildung der
Srewart’schen Organe, endlich kann sie ganz verschwinden.
Dass sich bei den Echinothuriden die erste Darmwindung der
Muskelblätter als Suspensorien bedient, ist wohl als eine sekundäre
Erscheinung aufzufassen, und sehe ich das sehr abweichende Ver-
halten bei den Holothurien, wo die Mesenterien sich immer nur in
Intermuskularräumen ansetzen, für keinen Einwand gegen die Ho-
mologisirung der Muskeln an. Denn auch die Echinothuriden be-
sitzen bindegewebige intermuskuläre Mesenterien, und ein volles Ver-
ständnis der komplieirten Frage nach der Bedeutung der verschiedenen
Mesenterien der Echiniden und ihren Beziehungen zu dem ursprüng-
lichen, allen Echinodermen eigenthümlichen ‚dorsalen Mesenterium,
dessen Bedeutung ich in meiner Arbeit über Synapta hervorgehoben
habe, wird sich durch erneute entwicklungsgeschichtliche Unter-
suchungen gewinnen lassen.
Es muss nach alledem zugegeben werden, dass eine Entstehung
der eigenthümlichen Radiärmuskeln der Echinothuriden aus Bildungen,
wie wir sie in den Längsmuskeln der Holothurien vor uns haben,
sehr wohl denkbar ist.
Machen wir uns aber zunächst klar, was für eine Bildung wir
in der Körpermuskulatur der Holothurien vor uns haben. Doch
sicherlich nichts Anderes als den gewöhnlichen Hautmuskelschlauch,
den wir auch bei sämmtlichen höheren Würmern in derselben Anord-
nung wiederfinden, und der auch bei den Plathelminthen in einem
allerdings noch indifferenteren, flüssigeren Entwicklungsstadium sich
wiedererkennen lässt.
Wie bei den höheren Würmern finden wir bei den Holo-
thurien eine äußere Ring- und innere Längsmuskelschicht. Dass
gerade die letztere durch muskelfreie Längslinien unterbrochen ist
und daher in Längsfelder zerfällt, ist ein Vorkommnis, das auch
bei Würmern (Nematoden, vielen Chaetopoden, Chaetognathen) ein
häufiges ist. Ein Analogon bietet auch das Colon der herbivoren
Säugeihiere, dessen Längsmuskulatur sich in drei von einander ge-
trennte Streifen, die sogenannten »Taenien«, zerlegt. Es ist nun
gar nicht daran zu zweifeln, dass bei den Holothurien die Verhält-
nisse ganz identisch liegen, seitdem ich entwicklungsgeschichtlich
nachgewiesen habe (Synapta pag. 38, 39), dass die Längsmuskulatur
der Holothurien auf ganz demselben Wege wie die Ringmuskulatur
und ohne jede innere Beziehung zum Körperwassergefäßsystem sich
272 Richard Semon
bildet. Warum die Längsmuskelstreifen der Holothurien den Körper-
wassergefäßen gerade gegenüberliegen, von denselben durch die
Ringmuskulatur getrennt, lässt sich nicht ohne genaueres Eingehen
auf diesen Gegenstand verstehen, eben so wenig wie sich leicht
erkennen lässt, warum im Colon die Längsmuskulatur in drei Tae-
nien zerfällt und nicht in vier oder fünf. Bei schärferer Aufmerk-
samkeit auf diesen Punkt wird sich der, wahrscheinlich durch me-
chanische Momente bedingte Grund schon finden lassen.
Die von P. und F. Sarasin entdeckte Muskulatur der Echinothuriden
ist in ganz identischer Weise entstanden zu denken, und halte ich es
für plausibler, die dort beobachteten Verhältnisse direkt aus dem
indifferenten Zustande einer kontinuirlichen Längsmuskulatur abzu-
leiten, als den Umweg über die Holothurien zu machen, zu welchem
ich mich meinerseits auch aus Gründen allgemeinerer Art nicht ent-
schließen kann. Dass die Ableitung auch auf jenem Umwege
möglich ist, wie oben gezeigt wurde, das erklärt sich daraus, dass
eben auch die Holothurien noch ziemlich indifferente Zustände des
Hautmuskelschlauches darbieten.
Irgend eine innere Nothwendigkeit, jenen Umweg zu machen,
der bei der totalen Trennung des bei den Holothurien einheitlichen
Muskelgebildes in zwei Muskeln jedes Paramers bei den Echino-
thuriden immerhin einige Schwierigkeit mit sich bringt, liegt meiner
Ansicht nach nicht vor.
Der Umstand, dass wir die Muskulatur der Echinothuriden auf
die Grenzbezirke zwischen Ambulacren und Interambulaeren be-
schränkt finden, erklärt sich leicht aus dem Umstande, dass der
Raum der Ambulacren von den Srewarr’schen Organen, der Inter-
ambulacren von den Geschlechtsorganen ausgefüllt wird, und für die
Muskulatur nur in den Zwischenräumen Platz übrig geblieben ist.
Warum die Muskeln nun gerade von den äußersten Enden der
Ambulacralplatten entspringen und nicht von den Enden der Inter-
ambulacralplatten, ist schwer oder gar nicht zu beantworten. Da
die Beziehung der Muskulatur zu den Platten sicherlich eine sekundäre
ist, handelt es sieh höchst wahrscheinlich um rein mechanische
Momente. Es wäre überhaupt sehr interessant zu untersuchen, welches
Resultat für die Beweglichkeit des Skelettes sich aus dem Umstande
ergiebt, dass die Imbrieation der Ambulaeralplatten in umgekehrter
Richtung verläuft als diejenige der Interambulacralplatten.
Die Verhältnisse, wie sie uns für die Längsmuskulatur bei den
Eehinothuriden, für die Ringmuskulatur bei den Spatangiden vorliegen,
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 973
bieten somitin ihrer Auffassung als Differenzirungsprodukte des typischen
Hautmuskelschlauches eben so wenig Schwierigkeiten, als die ent-
sprechenden Einrichtungen bei Holothurien, bei Nematoden, bei Chae-
tognathen. Obwohl in den letztgenannten beiden Klassen die Längs-
muskulatur Bildungen darstellt, die eine viel auffallendere Ahnlich-
keit besitzen, als es die entsprechenden Theile bei Holothurien und
Echiniden thun, ja, die eigentlich ganz konform sind, ist man längst
davon zurückgekommen, hierin etwas Anderes zu erblicken, als eine
durch ähnliche Bedingungen zwar ähnlich gestaltete aber selbständige
Differenzirung einer gemeinsamen indifferenten Mitgift!.
Auch die Asteriden lassen in ihrer Körperwandung eine innete
Längs- und äußere Ringmuskulatur erkennen, die Hamann (Asteriden
pag. 92) beschrieben hat und auf deren Übereinstimmung mit dem
Hautmuskelschlauch der Anneliden er hinweist. Die Längsmuskel-
schicht ist bei den Asteriden zwar noch kontinuirlich geblieben, bildet
aber in jedem Arme drei Verdiekungen, eine centrale und zwei
seitliche, die als Muskelbänder imponiren. Auch hier sehen wir
schon wieder sich besondere Differenzirungen des ursprünglichen
Zustandes anbahnen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Hautmuskulatur
der verschiedenen Klassen zwar als allgemein homolog zu bezeichnen
ist, in so fern sie überall aus dem typischen Hautmuskelschlauch hervor-
gegangen ist. Da sich aber die weitere Ausbildung in jeder Klasse
selbständig vollzogen zu haben scheint, thut man gut von einer
speciellen Homologisirung Abstand zu nehmen.
Skeletsystem.
Die außerordentliche Konformität des Skelets der verschiedenen
Echinodermenklassen hat von Anbeginn den vergleichenden Ana-
tomen die Voraussetzung echter Homologien und die Aufsuchung
derselben nahegelegt. Bei näherem Eingehen haben sich aber der-
artige Schwierigkeiten ergeben, dass man sagen kann. dass auch
nicht eine einzige Homologie zwischen den Skelettheilen zweier der
vier lebenden Hauptklassen aufgestellt worden ist, gegen die nicht
von anderen eben so kompetenten Beurtheilern entschiedener Wider-
! Über die Undurchführbarkeit der von P. und F. Sarasın versuchten Ver-
gleichung gewisser Abschnitte der Laternenmuskulatur der Echiniden mit den
Retraktoren des Kalkringes der Holothurien siehe unten das Kapitel über das
Mundskelet der Seeigel und Holothurien.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 1S
274 Richard Semon
spruch erhoben würde. Und doch haben seit CuvıEr’s und MECKEL’s
Zeiten die hervorragendsten Morphologen ihre Kraft an dieser schwieri-
gen Aufgabe versucht. Ist es Angesichts dieses Resultates so ungereimt,
die Möglichkeit ins Auge zu fassen, dass die Übereinstimmungen
mehr äußere. nicht genetische seien, dass es sich um Konvergenz-
erscheinungen, um Homoplasien, nicht um echte Homologien handele ?
Dabei sind die Übereinstimmungen bei Lichte besehen gar nicht so
bedeutend, dass ihre selbständige Entstehung etwa als ein halbes
Wunder erscheinen müsste. Die Hauptübereinstimmung liegt meiner
Ansicht nach vor Allem darin, dass es sich bei der Skeletbildung
überall um einzelne Platten, nicht um eine kontinuirliche Schale
handelt, und dass diese Platten, entsprechend dem Bau ihres Trägers,
sich radiär anordnen. Im Einzelnen sind dann aber sehr verschiedene
Wege eingeschlagen worden, die Differenzen überwiegen fast überall
im Vergleich zu den Übereinstimmungen, und wo letztere hervortreten,
lassen sie sich in vielen Fällen als Konvergenzen erkennen, die sich
erst in den jedes Mal jüngsten Gruppen der verschiedenen Klassen
entwickelt haben, den ältesten und am einfachsten gebauten Ver-
tretern aber beiderseits fehlen. Beispiele hierfür werden unten bei-
gebracht werden.
Alles dieses deutet darauf hin, dass das Skelet, das in Form
zerstreuter Platten, wie sie die Holothurien bis heute beibehalten
haben, vielleicht schon von der Stammgruppe ererbt war, erst nach
der Divergenz der Klassen in Pelmatozoen, Holothurien, Asteroiden
und Echinoiden seine für jede dieser Klassen typische Gestaltung
und Anordnung erhalten hat.
In zwei Echinodermenklassen besitzen wir gute Beispiele, wie
die ursprünglich regellos zerstreuten Skeletplatten sich in Horizontal-
reihen oder Kränzen zu ordnen und dadurch in weiterer Folge dem
radiären Typus anzubequemen beginnen, es ist dies die nur fossil
bekannte Klasse der Cystideen und die Klasse der Holothurien.
Besonders schön lassen sich bei den Cystideen Zwischenstadien zwi-
schen der regellosen Zerstreuung, der Anordnung in Kränzen und
endlich der mehr und mehr durchgeführten radiären Gliederung er- —
kennen. Unter den Holothurien ist es die Gattung Psolus, innerhalb
deren sich Spuren einer allmählichen Ordnung und radiären Auf-
stellung der Platten beobachten lassen.
Von all den zahlreichen Versuchen die Skeletelemente der ver-
schiedenen Klassen auf einander zurückzuführen, will ich hier nur
einige der hauptsächlichsten besprechen. Vollständigkeit strebe ich
|
f
>
ä
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 975
nicht an und beschränke mich auf die Diskussion derjenigen Homo-
logien, die meiner Ansicht nach noch am besten begriindet sind.
Auf die Plattenvergleichung der Ambulacren und Interambulacren bei
den verschiedenen Klassen glaube ich daher gar nicht eingehen zu
brauchen. Nur den Versuch, gewisse Cystideen in dieser Beziehung
als vermittelnde Bindeglieder zwischen Asteroiden und Echinoiden
zu vertreten, werde ich ausführlicher erörtern.
Vorher möchte ich bemerken, dass ich als Pelmatozoen die Cy-
stoideen, Blastoideen und Eucrinoiden als eine zusammengehörige
Klasse zusammenfasse, eben so als Asteroideen die eigentlichen Asteriden
und die Ophiuriden, ohne damit über ihre nähere oder entferntere Zu-
sammengehörigkeit im mindesten ein Urtheil abgeben zu wollen.
Fossile Verbindungsglieder zwischen den Klassen.
Schon seit Langem hat man versucht, fossil erhaltene Echino-
dermenformen als verbindende Zwischenformen zwischen verschiedenen
Klassen hinzustellen, ohne eine specielle Durchführung zu unter-
nehmen. Man verfuhr vielmehr im Allgemeinen meist so, dass man
das Mitglied einer Klasse, das in diesem oder jenem Punkt seiner
Körperform oder Skeletanordnung Ähnlichkeiten mit den entsprechen-
den Verhältnissen einer anderen Klasse aufwies, ohne langes Besinnen
für eine Zwischenform, ein Bindeglied erklärte.
Neuerdings hat nun NEUMAYR an zwei Stellen ! und ? unter-
nommen, das bisher gesammelte Material zu einer ausgedehnteren,
mehr in die Tiefe gehenden Begründung zu vertreten.
Gegen seine Reflexionen und Schlüsse lassen sich aber Einwände
zweierlei Art erheben, solche die sich aus der Nichtberücksich-
tigung der allgemeinen Organisationsverhiltnisse, und solche. die
sich aus der Skeletvergleichung im Besonderen ableiten lassen.
Die ersteren will ich kurz, die der zweiten Art etwas ausführlicher
besprechen.
Die Nichtberücksichtigung der allgemeinen Organisationsverhält-
nisse ist theilweise eine erzwungene, da NeumMAyr bei seinen Ver-
gleichungen vorwiegend auf die nur fossil bekannte Gruppe der
Cystoideen zurückgeht, deren innere Organisationsverhältnisse wir
1 M. NeumAyr, Morphol. Studien über fossile Echinodermen. Sitzungs-
‚berichte der k. Akad. der Wissenschaften Wien. Bd. LXXXIV. 1. Abth.
Jahrg. 1881. pag. 143.
2M. NEUMAYR, Die Stämme des Thierreiches. Wien und Prag 1889.
18*
276 Richard Semon
natürlich nicht kennen, ja über die wir in vieler Beziehung kaum
Vermuthungen auszusprechen wagen.
Es will mir nun scheinen, und ich bin überzeugt, die meisten
Morphologen werden meine Ansicht theilen, dass NEUMAYR' sich
allzu leicht über diesen Mangel hinwegsetzt. Die Forschungen der
letzten 20 Jahre haben gezeigt, dass bei aller äußeren Ähnlichkeit
der Form und des Baues in seinen Grundzügen, die Organisations-
verhältnisse der verschiedenen Klassen selbst in wichtigen Punkten
von einander abweichen. Die Kenntnis des inneren Baues zwingt
uns die Crinoideen weit abseits von den übrigen Klassen zu stellen,
viel weiter als wir auch nur zu vermuthen im Stande wären, wenn
diese Gruppe uns bloß fossil bekannt wäre. Wer würde allein aus
den Skeletverhältnissen heraus zu der Vorstellung gelangen können,
dass die Asteriden und die Ophiuriden so wesentlich verschiedene
Organismen seien, unendlich mehr verschieden als Reptilien und
Vögel, und dass beide Gruppen auf einem sehr frühen Stadium di-
vergirt haben müssen? Und doch werden wir nothgedrungen zu
dieser Annahme geführt, je mehr wir einen genauen Einblick in die
Organisationsverhältnisse beider Gruppen erhalten. Würden wir auch
nur über die Bedeutung der Skelettheile ins Klare kommen, über
die Lageverhältnisse der Ambulacralnerven und Wassergefäße bei
Echiniden und Asteriden, darüber dass die Poren in oder zwischen den
Platten bei ersteren zum Durchtritt der Füßchen dienen, bei letzteren
aber nicht der Füßchen sondern der Ampullen, wenn eine der
beiden Klassen uns nur fossil bekannt wäre. Höchst wahrscheinlich
würden wir gar nicht an die Möglichkeit einer so schwerwiegenden
Verschiedenheit denken.
Die Cystideen sind eine nur fossil bekannte Gruppe. Wir
wissen nicht, ob unter dem, bei manchen Formen noch ziemlich in-
differenten Skelet ein mehr oder weniger differenzirter Weichkörper
gelegen hat, ja die Voraussetzung eines sehr einfachen, wenig veränder-
ten Körperbaues bei Cystideen ist sogar unberechtigt und steht mit den
Thatsachen, aus denen sich überhaupt ein Rückschluss auf die innere
Organisation dieser Thiere machen lässt, in direktem Widerspruch.
Eines der wichtigsten Merkmale, das allen Echinodermen eigen-
thümlich ist, einer der Hauptcharaktere der Echinodermenorganisation
ist die ursprünglich ausnahmslos singuläre Kommunikation des Hydro-
coels nach außen, der sogenannte Rückenporus!. Das steht ganz
1 Die oben eitirte vortreffliche Arbeit von Bury macht es sehr wahr-
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 977
zweifellos fest. Wir sehen dieses Verhältnis, das sich ontogenetisch
in jedem Echinoderm, dessen Entwicklung wir kennen, reprodueirt,
überwiegend häufig auch in dem ausgebildeten Zustande festgehalten,
so bei allen Echiniden, den weitaus meisten Asteriden, vielen Tief-
seeholothurien. Eine Vervielfältigung des Porus, wie wir sie aus-
nahmsweise bei einigen Asteriden, ein nachträglicher Verschluss des-
selben, wie wir ihn bei den meisten Holothurien beobachten, Alles
das sind sekundäre Veränderungen. Das bedarf keines weiteren
Beweises. Besonders komplicirt gestalten sich die Verhältnisse bei
den Crinoideen, aber so viel ist sichergestellt, dass diese Kompli-
kationen sekundäre sind, der Ausgangspunkt auch für diese Klasse
genau derselbe ist, wie für die übrigen Echinodermen.
Was die Cystideen anlangt, so befinden wir uns über dieses
wiehtige Organisationsverhältnis bei ihnen völlig im Unklaren. Nur
so viel scheint sicher zu sein, dass das ursprüngliche Organisations-
verhältnis, der singuläre Rückenporus, weder bei den Formen ohne
durchbohrende Poren noch bei denjenigen mit solchen festgehalten
worden ist. NEUMAYR (l. ec. 2 pag. 405) selbst deutet letztere Bil-
dungen und namentlich die isolirten Rauten oder Theile von Rauten
als Homologa der Kelchporen gewisser Crinoideen. Wir müssen aber
dann annehmen, dass bei jenen Cystideen die sekundäre Kompli-
kation noch größer geworden ist als sogar bei den Crinoideen.
In noch größere Verlegenheit aber werden wir durch solche
Cystideenformen versetzt, die der durchbohrenden Poren ermangeln
und die überhaupt keine Öffnung besitzen, die von den jetzigen
Paläontologen als Äquivalent des Rückenporus gedeutet wird. Dür-
fen wir uns über so wichtige Abweichungen vom ursprünglichen Ty-
pus leichthin, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, hinwegsetzen?
Auf noch andere Schwierigkeiten, welche die Organisationsver-
hältnisse der Cystideen, wie wir sie aus den Skeletverhältnissen er-
schließen können, uns in ihrer Eigenschaft als Bindeglieder darbieten,
komme ich bei Besprechung des Einzelnen zurück, so zum Beispiel
auf den bei den meisten Formen auf der Hand liegenden Mangel
einer Körpermuskulatur.
Es wird mir wahrscheinlich entgegengehalten werden, dass man
weit entfernt sei, Agelacrinus und Verwandte als die direkten Vor-
scheinlich, dass die Kommunikation des Hydrocoels mit der Außenwelt durch
Vermittelung eines linken vorderen Enterocoelsackes stattfindet, dem der Rük-
kenporus angehören würde. Ein Eingehen auf diese speciellen Verhältnisse
erscheint für die hier behandelte Frage überflüssig.
278 Richard Semon
eltern der Asteriden, Mesites als diejenigen der Echiniden anzu-
sehen. Aber wenn man der eigentlichen Stammform die verschwun-
‚dene oder in viele Einzelporen aufgelöste Madreporenplatte wieder-
giebt, das festverbundene Skelet lockert und die Stammform somit
wieder mit einer Körpermuskulatur ausstattet, auf Thiere mit freier
Armbildung als Stammeltern der Asteriden zurückgeht, dann kommt
man einfach auf einen so indifferenten Typus, wie ich ihn in der
Pentactaea versinnbildlicht habe, die ich mir ja auch als festsitzend
vorstelle !.
Fassen wir die Frage noch schärfer, so haben wir zu entschei-
den, ob die Cystideen, wie wir sie kennen, in der Entwicklung der
Asteriden und Eehiniden aus derartigen indifferenten Formen eine
Etappe vorstellen, oder ob sie ihrerseits schon etwas abseits stehen
und eigene Wege der Entwicklung eingeschlagen haben, die zu den
Crinoideen führen. Eine bestimmte Antwort ist desshalb nicht zu
geben, weil uns sämmtliche Kriterien, die wir aus der Anatomie
der Weichtheile zu schöpfen pflegen, hier durchaus fehlen. Was
wir über den Bau des Weichkörpers vermuthen können, spricht, wie
gezeigt, gegen eine solche Mittelstellung, besonders das Wasserge-
fäßsystem scheint abseits führende Wege der Entwicklung einge-
schlagen zu haben.
Aber, so fragt es sich zweitens, wenn wir ganz von dem Bau
der Weichtheile absehen, den wir nicht kennen oder der theilweise
schon different gewesen zu sein scheint, ist auch nur der Skeletbau
der Cystideen ein solcher, dass sich aus ihm ohne allzu wesentliche
Reduktionen und Neubildungen die Skeletverhältnisse der Asteriden
und Echiniden ableiten lassen? Finden sich vor Allem feste An-
knüpfungspunkte für eine solche Ableitung, oder ist es mehr die all-
gemeine Indifferenz des Skelettes mancher Cystideenformen, die die
Ableitung ermöglicht? Handelt es sich um entfernte Anklänge, um
Übereinstimmungen, die einmal diesen, das andere Mal jenen Punkt
betreffen, oder um eine schärfer zu umschreibende Gleichartigkeit
des Gesammtbaues des Skelettes?
Wenden wir uns zuerst zu derjenigen Cystideenform, die in
ihrem Skelet eine Verbindung mit Asteriden vermitteln soll, zu Age-
lacrinus und Verwandten.
1 Dass solche Formen nicht fossil erhalten sind, erklärt sich von selbst
aus dem Umstande, dass ihre Skeletplatten noch nicht fest verbunden gewesen
sein können, ein Postulat, das zusammen mit dem Vorhandensein eines Haut-
muskelschlauchs durchaus für die Stammgruppe der Echinodermen zu stellen ist.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 279
Agelacrinus zeigt nun in der That in einer Beziehung eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit den Asteriden. Es ist das der Besitz von
fünf geraden oder gebogenen Ambulacralfurchen mit Doppelreihen
von Platten, zwischen welchen bei manchen Arten Öffnungen
beobachtet worden. NEUMAYR sagt: »Öffnungen für die Ambulacral-
füßchen, die also genau den Seesterncharakter zeigen.« Es ist nicht
ganz korrekt, zu sagen, die AmbulacralfiiBchen der Seesterne
träten durch Öffnungen zwischen je zwei Ambulacralplatten. Radial-
wassergefäß sowohl wie die Füßchen liegen bei dieser Klasse außer-
halb der Ambulacralplatten; durch jene Poren treten vielmehr nur
blindsackförmige Appendices der Füßchen, die sogenannten Am-
pullen nach innen. Nehmen wir nun an, dass die Lagerungsver-
hiiltnisse der Theile bei Agelacrinus im Übrigen die gleichen ge-
wesen sind wie bei den Seesternen, so müssen wir annehmen, dass
auch jene Cystideen Ampullen besessen haben. Ampullen finden
wir bei Eehinodermen überall da, wo an die Beweglichkeit der An-
hänge des Wassergefäßsystems höhere Anforderungen gestellt wer-
den, mit einem Worte da, wo sie der Lokomotion dienen und dess-
halb einer von dem anderen möglichst unabhängig gestellt werden
müssen. Wir sehen sie entwickelt an den Füßchen der eigentlichen
Asteriden, der Echinoiden und der Holothurien, an den Tentakeln
der Holothurien da, wo dieselben in ausgiebigerer Weise mit zur
Lokomotion benutzt werden. Sie sind schwach entwickelt an den
Tentakeln der Synaptiden, die nur in geringem Maße, und sie fehlen
den Tentakeln der Dendrochiroten, die gar nicht zur Lokomotion
benutzt werden. Die Tentakel der Crinoideen, die den Ambulacral-
füßchen der übrigen Klassen entsprechen, dienen nicht zur Loko-
motion; ihnen fehlen auch die Ampullen. Ganz dasselbe gilt für die
Füßchen der Ophiuriden. Nur bei den irregulären Seeigeln kommen
Füßchen vor, die sekundär ihre lokomotorische Funktion ganz ver-
loren haben, ohne desshalb gleich die im Anschluss an jene Funk-
tion erworbenen Ampullen wieder aufzugeben.
Die vergleichende Betrachtung lehrt demnach, dass die Ampullen
sich bei den Eehinodermen in engster Beziehung zur Lokomotion ent-
wickeln. Wir sind desshalb keineswegs berechtigt, ihr Vorhanden-
sein ohne Weiteres bei festgewachsenen Formen, wie Agelacrinus
und Edrioaster als etwas Selbstverständliches vorauszusetzen. Die
Möglichkeit, dass sich auch bei festsitzenden Formen Ampullen ent-
wickelt haben können, ist natürlich nicht vollkommen auszuschließen.
Das Beste ist, wir bekennen frei, dass wir über die Bedeutung jener
280 Richard Semon
Öffnungen noch eben so im Unklaren sind, als über die einfachen
und Doppelporen, sowie über die Porenrauten anderer Cystideen.
Aber selbst gesetzt den Fall, dass es sich bei jenen Cystideen
um Ampullen oder ampullenähnliche Bildungen gehandelt hätte, ist
der Umstand, dass derartige zweifelsohne sekundäre Bildungen ihren
Weg zwischen den Skelettheilen hindurchnehmen, eine hinreichend
bedeutende Übereinstimmung zwischen diesen besonderen Cystideen
und den Asteriden, um in Ansehung derselben über sehr bemerkens-
werthe Schwierigkeiten hinwegzusehen?
Können wir annehmen, dass Ampullen innerhalb der Gattung
Agelacrinus oder Edrioaster erworben wurden und von da aus auf
die Asteriden vererbt worden sind, können wir uns mit einem Worte
Agelacrinus-ähnliche Cystideen als Voreltern der Asteriden vor-
stellen? Ganz abgesehen von dem Mangel der Madreporenplatte bei
ersteren ist durch die augenscheinliche Abwesenheit eines Hautmuskel-
schlauchs bei den Agelacriniden eine solche Annahme für mich un-
denkbar. Man kann sich wohl schematisch konstruiren aber nicht
phylogenetisch vorstellen, wie aus der starren, in sich kaum noch
beweglichen Scheibe eines Agelacrinus oder der ganz starren Kugel des
Mesites die freie Armbildung eines Asteriden hervorgegangen sein soll,
wenn wir uns die Scheibe oder Kugel von der Unterlage abgelöst
und mittels der Füßchen herumwandelnd denken. Der ganze Bau
des Asteridenarmes in der Beweglichkeit seiner Skeletelemente und
seiner gut ausgebildeten Muskulatur deutet darauf hin, dass wir von
Formen mit relativ freier Armbildung und wohl entwickelter Musku-
latur ausgehen müssen, nicht von starren. kreisférmigen Scheiben.
Aus diesem Grunde werden denn auch Formen wie Palmipes mit
Recht als Umbildungen der freiarmigen Seesterne betrachtet, nicht
als der ursprüngliche Typus.
Alles in Allem sehen wir also, dass, ganz abgesehen von unserer
Unkenntnis der inneren Organisation des Agelacrinus, schwerwiegende
Bedenken sich geltend machen lassen, in ihm eine Stammform der See-
sterne zu erblicken, wie Abwesenheit der Madreporenplatte, Starr-
heit des Körpers und somit Mangel der Muskulatur, Fehlen von freier
Armbildung. Dem steht nur eine einzige Übereinstimmung gegenüber,
Öffnungen zwischen den Platten der Ambulacren, die sich bei einigen,
nicht bei allen Arten finden. Ob diese Öffnungen nun auch Am-
pullen zum Durchtritt gedient haben, wie bei den Seesternen, lässt
Sich nicht entscheiden. Jedenfalls handelt es sich um eine Neu-
erwerbung, die innerhalb der Gattung Agelacrinus gemacht ist
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 281
und sich sehr leicht als ein paralleler Entwicklungsvorgang vor-
stellen lässt.
Das Facit zu ziehen muss jedem Leser selbst iiberlassen bleiben.
Ich fiir meinen Theil bin der Ansicht, dass auch nicht entfernt der
Nachweis erbracht ist, dass Agelacrinus und Edrioaster Bindeglieder
zwischen Cystideen und Seesternen sind, ja dass nicht einmal eine
Wahrscheinlichkeit vorliegt.
Was für Agelacrinus und Edrioaster gilt, das gilt in noch höherem
Grade für Mesites, der nach NEUMAYR von den Cystideen zu den
Echinoideen, gleichzeitig aber auch zu den Asteroiden hinüberleiten
soll. Über die innere Organisation des Mesites wissen wir natürlich
nichts, als dass er höchst wahrscheinlich keine Muskulatur und keine
singuläre Öffnung des Wassergefäßsystems besessen hat. beides Cha-
raktere, die die Stammeltern der Echiniden besessen haben müssen.
Aber auch vom Skelet des Mesites können wir fast nichts brauchen.
um daraus eine Seeigelschale hervorgehen zu lassen. Die fest ver-
bundenen porösen Platten der Interambulacren müssen sich wieder lösen
oder durch andere ersetzt werden, um die den Palaeechiniden eigen-
thümliche dachziegelartige Deckung der Platten, die man passend
als Imbrication bezeichnet, hervorgehen zu lassen.
Die wichtigen Radialplatten von Mesites verschwinden völlig
oder finden sich noch in gewissen kleinen Fortsätzen auf der Innen-
seite der Ambulacraltafeln mancher Cidariden. Es bleiben also eigent-
lich nur die dachziegelartig aufgerichteten Platten übrig, welche die
Ambulacralrinnen decken, die man allenfalls mit den Ambulacralplatten
der Seeigel vergleichen kann. Nun sind aber die Füßchen nicht wie
bei den Seeigeln durch letzterwähnte Platten hindurch ge-
treten, sondern seitlich aus Öffnungen zwischen je zwei Radial-
gliedern, die nach Scumipr (Mém. de l’Acad. de St. Pétersbourg
1874 pag. 35) in den Ambulacralkanal führen. Dadurch verliert auch
die einzige Übereinstimmung gänzlich an Bedeutung.
Mesites ist somit eine echte Cystidee und die einzige Eigen-
thümlichkeit seiner Organisation, die etwa an die Echiniden erinnern
könnte, die theilweise Bedeckung der Ambulacralgefäße und Nerven
durch dachziegelförmig über einander gelagerte Platten, erweist sich
bei näherem Zusehen auch nur als ganz irrelevante Ähnlichkeit, da
die Füßchen zu jenen Platten gar nicht dieselben er ein-
gegangen sind, die für die Echiniden typisch sind.
Die Auffassung der Radien des Mesites scheint mir bei manchen Autoren
eine missverständliche zu sein, woran wohl zum Theil der nicht ganz klare
282 Richard Semon
Ausdruck bei der Beschreibung dieses Thieres durch HorrmMann (Verh. der
mineral. Gesellschaft. St. Petersburg. II. Serie. Bd. I. 1866. pag. 1. Tab. ]),
Scumipt (Mém. Acad. St. Pétersbourg. VI. Serie. Tome 21. 1873. pag. 34.
Tab. III), Nixirry (Bull. Soc. imp. d. Nat. de Moscou. Tome 52. 1877. pag. 301)
Schuld ist. Doch ergiebt die Zusammenstellung ihrer Angaben iber die Am-
bulacren ein einigermaßen klares Bild. HOFFMANN, der erste Beschreiber,
sagt: »Die Zusammensetzung der Pseudoambulacralfelder weicht wesentlich
von derjenigen der Blastoideen ab. Jedes derselben besteht aus zwei Reihen
Täfelchen, die wechselständig an einander gefügt sind. In ihrer Mitte verläuft
der Länge nach ein rinnenförmigeräußerer Kanal, welcheramScheitel
von dachförmig aufgerichteten Platten überdeektwird!, aber weiter
nach unten von einer homogenen Kalkspatmasse ausgefüllt erscheint, die einen
etwas erhabenen Grat mit Seitenausläufern bildet und gar keine Gliederung
zeigt.«« — — »Unter dem äußeren Kanal der Pseudoambulacren be-
merkt man noch einen inneren!, der nicht als zufällige Umgestaltung der
Kalkspatmasse angesehen werden kann, da man ihn an allen Pseudoambu-
lacren beider Exemplare, in verschiedener Entfernung vom Scheitel, wieder-
findet. Welche Rolle dieser Kanal in der Organisation des Thieres gespielt hat,
muss einstweilen noch dahingestellt bleiben, bis weitere Funde die Sache näher
beleuchten.«
Einen besseren Einblick in diese Verhältnisse erhalten wir durch Sc#uipT,
der die Radien von Mesites folgendermaßen beschreibt: »Die rinnenförmige!
Beschaffenheit der Radien oder niederliegenden Arme, die durch die bogen-
förmig nach oben zusammengeneigten Radialglieder zu geschlossenen Ka-
nälen? werden, ist in ähnlicher Weise schon von BıuLıng’s bei Agelacrinites
Dicksoni beschrieben. Die Radialkanäle liegen namentlich nach unten zu deut-
lich auf den angrenzenden Kelchtiifelchen auf (die aber selten unter ihnen zu-
sammenschließen und daher noch einen inneren Kanal offen lassen!),
so dass wir hier schon eher von niederliegenden Armen sprechen könnten als
bei den früher behandelten Gattungen Glyptocystites und Asteroblastus. In
einem Punkt weiche ich von HOFFMANN ab, nämlich darin, dass ich deutliche
Ansätze von Pinnulae erkannt zu haben glaube, die mit Poren in Verbindung
stehen, die ins Innere der bedeckten Tentakelrinne führen. Diese Ansätze be-
stehen aus rundlichen Feldern auf der Oberseite der Radialglieder (nach außen
hin), die in ähnlicher Weise wie bei Asteroblastus zwei länglich runde Anhef-
tungsstellen für die wahrscheinlich zweireihigen Pinnulae erkennen lassen, welche
(die Pinnulae) einst in ähnlicher Weise wie bei Pseudocrinites quadrifasciatus
Forb. den ganzen Radius bedeckten.«
NIkITIN endlich giebt wohl in direktem Anschluss an HOFFMANN und
SCHMIDT folgende Schilderung der Radien: »Die Radien erinnern an die des
Agelacrinus; sie bestehen aus zwei Gliederreihen, die gegen die Mitte der Ra-
dien etwas ausgeschnitten sind, so dass längs der Radien eine offene Rinne!
läuft. Unter diesen Radialgliedern liegt noch eine Schicht von Platten, so dass
1 Im Original nicht gesperrt gedruckt.
? Der vollkommene Schluss erfolgt aber erst durch die von HOFFMANN
beschriebenen »dachförmig aufgerichteten Platten«, von denen SCHMIDT nicht
spricht, deren Vorhandensein er aber nicht bestreitet, da er nur in einem
hiervon unabhängigen Punkte von HOFFMANN abzuweichen angiebt.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 983
sich zwischen denselben noch ein geschlossener Kanal bildet. Am oberen
Theil des Scheitels sind nach HorrMANN die äußeren Rinnen von dachförmig
aufgerichteten Platten überdeckt, eine Eigenthümlichkeit, welche bei fast allen
Diploporitiden-Cystideen mit Pseudoambulacralradien nachgewiesen wird, wie
zum Beispiel bei Protocrinites. Diese rinnenförmigen Kanäle! bei Pro-
tocriniten führen in eine centrale versteckte Öffnung, die sogenannte Ambula-
eralöffaung nach BırLıng’s (Mund nach VOLBoRTH). Auf der äußeren Ober-
fläche der Radialglieder sind deutliche Ansätze für Pinnulae erkennbar. Die
Ansätze bestehen aus rundlichen Feldern, welche mit Poren in Verbindung
stehen, die ins Innere der verschlossenen Kanäle führen.«
Aus diesen Beschreibungen geht Folgendes klar hervor. Es sind zwei
über einander liegende Kanäle vorhanden, ein äußerer Kanal, der
sich zunächst nur als Rinne zwischen den Radialgliedern darstellt und am
Scheitel von dachförmig aufgerichteten Platten überdeckt wird. Darunter und
von ersterem durch die Radialglieder geschieden, ein »innerer Kanal«, der
über sich die Radialplatten, unter sich gewöhnliche poröse Kelchtafeln hat.
Es fragt sich nun: in welchen von beiden Kanälen hat das Ambulacralwasser-
gefüäß gelegen? Aus den Beschreibungen der russischen Autoren scheint mir
mit ziemlicher Deutlichkeit hervorzugehen, dass sie sämmtlich den äußeren
Kanal für den Ambulacralkanal beziehentlich die Ambulacralrinne halten. Auch
aus Zirrev’s Darstellung in seinem Handbuch der Paläontologie (Bd. I pag. 415)
geht die gleiche Auffassung hervor. Nur lässt er irrthümlicherweise die
»dachförmig aufgerichteten Platten«, die die Ambulacralrinne decken,
von Poren durchbohrt sein und Insertionsflächen für die Pinnulae tragen, was,
wie leicht ersichtlich, mit den Beschreibungen nicht übereinstimmt.
NEUMAYR (l. e. 1 pag. 158, 159) spricht überhaupt nur von einem Kanale
und versteht darunter, wie aus seiner Beschreibung pag. 158 hervorgeht, den
inneren. Die äußere Rinne beziehentlich den durch die dachförmigen Platten
iiberdeckten Kanal erwähnt er mit keinem Worte. Ich will über diesen Punkt
mit ihm nicht rechten, obwohl die Annahme, dass das Ambulacralgefäß im
äußeren Kanal gelegen habe, meiner Ansicht nach die viel größere Wahr-
scheinlichkeit für sich hat. Auch der Vergleich mit Agelacrinus und Edrio-
aster spricht durchaus dafür.
Aber ich stelle mich einmal auf NeumAyr’s Standpunkt und nehme an,
das Wassergefäß hätte im inneren Kanale gelegen. Dann würden die ihn nach
außen deckenden Platten, die Radialplatten der Autoren, die nach NEUMAYR
den Ambulacralplatten der Echiniden entsprechen sollen, die Füßchen nach
Asteridenart zwischen sich durchtreten lassen. Die ihm nach innen zu
unterliegenden Platten, die den Ambulacralplatten der Asteriden entsprechen
sollen, würden die Ampullen nicht nach Asteridenart zwischen sich
durchlassen, sondern, da sie als Körperplatten nach NEUMAYR »jedenfalls auch
Poren tragen müssen«, würden sie die Ampullen durch die einzelnen Plat-
ten hindurchtreten lassen. Es kommt also NEUMAYR, der doch bei Age-
lacrinus auf die Lage der Poren zu den Platten so großen Werth legt, hier
gar nicht darauf an, diejenigen Platten, die den Ambulacralplatten der Echini-
den homolog sein sollen, bezüglich der Poren Asteridencharakter tragen zu
! Im Original nicht gesperrt gedruckt.
284 Richard Semon
lassen, diejenigen, die den Ambulacralplatten der Asteriden entsprechen sollen,
Echinidencharakter!.
Durch diese Ausführungen ist, wie mir scheint, klar bewiesen, dass, mag
man nun das Ambulacralgefäß in den äußeren oder in den inneren Kanal ver-
legen, stets eine Homologisirung der ihn deckenden Platten mit den Ambula-
cralplatten der Echiniden undurchführbar ist, und dass, wenn man das Gefäß
mit NEUMAYR in den inneren Kanal verlegt, auch jede Asteridenähnlichkeit
schwindet.
Eben so wie Mesites eine gewöhnliche Cystidee ist, die in
keiner Weise wirkliche Seeigelcharaktere trägt, eben so ist Cystoci-
daris (Echinocystites Wyv. Thomson) ein echter Seeigel und ist sehr
weit entfernt, eben so viel vom Seeigel als von der Cystidee an sich
zu haben und beide mit einander zu verbinden.
Drei Gründe führt NEuUMAYR? für letztere Behauptung an. Zu-
nächst soll die Lage des Afters an die Cystideen erinnern, da der-
selbe, außerhalb des Apex gelegen, sich »nicht wie bei allen be-
kannten irregulären Seeigeln in der Mitte, sondern ganz an der Seite
des Interambulacrums« befindet. Ist nun etwa letztere Lagerung
für die Cystideen typisch? Durchaus nicht! In außerordentlich
vielen Fällen liegt auch bei ihnen die als After gedeutete Öffnung
genau in der Mitte des Ambulacrums, so zum Beispiel bei Agelacrinus,
dessen Aftertäfelung nach THomson* derjenigen der Cystocidaris
am meisten ähneln soll. Es ist also wohl klar, dass die leichte
Lageverschiebung des Afters bei unserem Seeigel kein Cystideen-
charakter ist, sondern ganz ungezwungen durch die noch sehr un-
regelmäßige Anordnung der Skelettheile in den Interambulacren des
Seeigels seine Erklärung findet. Dass hier eine Abweichung von der
Lage des Afters bei den übrigen irregulären Seeigeln, die sämmtlich den
Euechinoiden angehören, zu beobachten ist, wird durch die nachher
noch zu erläuternde Anschauung weiter verständlich gemacht werden,
dass die Excentrieität des Afters bei Cystocidaris wahrscheinlich eine
1 Nur bei den phylogenetisch sehr jungen, stark umgebildeten Clypeastri-
den kommt es vor, dass die Poren, statt in die Platten selbst, in die Nähte
derselben zu liegen kommen, und zwar an den Ambulacra petaloidea. Am
‘ unteren Ende der Ambulacra petaloidea gehen übrigens die Poren leicht von
den Nähten auf die Platten selbst über. Die ganze Erscheinung ist offenbar
eine sekundäre Umbildung des ursprünglichen Charakters. Ganz konstant ist
die Lage der Poren für die Ampullen bei den Asteriden zwischen je zwei
Platten.
2]. c. 1 pag. 154 und 1. c. 2 pag. 400.
3 WyvVILLE THomsox, On a new palaeozoic Group of Echinodermata. The
Edingburgh new philosophical Journal. 1861. Vol. 13. pag. 111.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 385
primäre, bei den irregulären Euechinoiden aber eine sekundäre ist.
Hierin stimme ich mit NEUMAYR überein. Ich sehe aber darin einen
Charakter, der ein nothwendiges Resultat des Festsitzens der Stamm-
form ist. Natürlich hat er sich bei allen Pelmatozoen erhalten; bei
den meisten freilebenden Formen, sofern dieselben phylogenetisch
junge sind, hat er sich verwischt und kann dann nur noch durch
die Entwicklungsgeschichte wieder erkannt werden.
Etwas mehr Werth wäre auf den Verschlussapparat des Afters
bei Cystocidaris zu legen, einer aus unregelmäßigen Platten be-
stehenden flachen Pyramide, »einer sogenannten Analpyramide, wie
sie sonst unter allen Echinodermen einzig nur bei den Cystideen
auftritt«. Letzteitirte Behauptung NEumayr’s bedarf sehr der Ein-
schränkung. Wir finden einen durch fünf klappenförmige Zipfel
geschlossenen After, der dann meist pyramidenförmig über das Niveau
der Haut hervorragt, bei vielen Holothurien. Bei gewissen Arten
der Gattung der Holothuria (Bohadschia Jäger) sind es Zipfel der
reichlich mit Kalkplatten durchsetzten Haut, bei Mülleria sind es selb-
ständige Kalkleisten. Kalkplatten, die eine typische Analpyramide
bilden, finden sich bei vielen Psolusarten (Psolus antarcticus, Psolus
ephippifer). Wenn man mit P. und F. Sarasin die Seeigel von
Holothurien ableitet, was ich nicht thue, könnte man also mit ganz
gleichem Rechte die Afterbildung von Cystocidaris für diese Ab-
leitung ins Feld führen, als darin einen Cystideencharakter unseres
Seeigels erblicken. Ich für meinen Theil halte Alles dieses nur für
analoge Bildungen, die sich in verschiedenen Klassen der Echino-
dermen zum Verschluss aller möglichen Öffnungen gebildet haben.
Sehen wir doch, dass bei den Cystideen auch die als Ovarialmündung
- gedeutete Öffnung zuweilen von einer Klappenpyramide geschlossen
wird. Auch der Mundverschluss durch Oralstücke bei vielen Cri-
noideen (Hyocrinus, Holopus ete.) und bei manchen Holothurien
(Psolus antareticus) ist eine ganz analoge Bildung. Besonderen Werth
würde ich einer derartigen Übereinstimmung nur dann beimessen,
wenn der Seeigel noch sonst irgend welche ‚Merkmale mit den
Cystideen gemeinsam hätte. NEUMAYR sagt zwar an einer Stelle,
(l. e. pag. 400), dass die Lage seiner Madreporenplatte an die Cysti-
deen erinnere. Nun ist eine Madreporenplatte bei letzterer Klasse
nicht bekannt. NEUMAYR selbst deutet keine der größeren Öffnungen,
die wir in jener Klasse finden, als Ausmündung des Wassergefäß-
systems (l. e. 2 pag. 406) und fasst nur die isolirten Rauten oder
Theile von Rauten bei manchen Cystideen als Homologa der Kelch-
286 Richard Semon
poren der Crinoideen also als Ausmündungen des Wassergefäßsystems
auf, wobei er hinzufiigt, dass das wahrscheinlich nicht die urspriingliche
Bedeutung der Porenrauten, sondern nur eine sekundär erworbene
sei. Wenn er also an anderer Stelle (l. e. 1 pag. 155) sagt: »end-
lich erinnert der Madreporit von Cystocidaris mit seiner auffallenden
Lage sehr an die isolirten Porenrauten der Cystideen«, so scheint er
mir das Allereinfachste mit dem Komplicirtesten, das sehr Ursprüng-
liche mit dem höchst Veränderten zu vergleichen. Das Tertium com-
parationis ist offenbar nur die nicht apicale Lage beider Bildungen,
sonst fehlt jede Beziehung oder auch nur Ähnlichkeit der Madre-
porenplatte der Cystoeidaris zu Porenrauten der Cystideen, die oben-
drein bis jetzt immer noch problematische Bildungen sind und den
höchst entwickelten, nicht den einfachsten Cystideen zukommen.
Bei letzteren ist überhaupt nichts über die Ausmündung des Wasser-
gefäßsystems bekannt.
Ich habe versucht, den Nachweis zu führen, dass Cystocidaris
ein echter Seeigel ist, der keine specifischen Cystideenmerkmale an
sich trägt und nur durch den Klappenverschluss seines Afters mit
jener Klasse eben so gut aber mit gewissen Holothurien in einem
unwesentlichen Punkte eine gar nicht einmal schärfer durehführbare
Übereinstimmung zeigt. Ein echter Seeigel mit Madreporenplatte
mit Ambulacralplatten, welche das Ambulacralgefäß von außen be-
decken und von Poren zum Durchtritt der Füßchen durchbohrt
sind.
Wenn ich auf alle diese Erwägungen hin bestreite, dass Cysto-
cidaris zu den Cystideen hinüberleitet, so besteht für mich anderer-
seits gar kein Zweifel, dass Cystocidaris einen außerordentlich alten,
ursprünglichen Echinoidentypus repräsentirt. Dafür spricht die noch '
sehr unregelmäßige Anordnung seiner Platten, dafür besonders die
excentrische Lage seines Afters und seiner Madreporenplatte. Wenn
man, wie ich, alle Echinodermen von festsitzenden Formen ableitet,
und selbverständlicherweise die Längsachse durch den Mund und die
Anwachsungsstelle legt, so ergiebt sich daraus die Nothwendigkeit, —
dass in diesem phylogenetischen Stadium After und Madreporenplatte
nicht an dem festgewachsenen Scheitelpol, sondern excentrisch gelegen
haben müssen. Hierfür spricht auch die Entwicklungsgeschichte.
Bei sämmtlichen Echinodermen rückt After und Madreporenplatte erst
sekundär in den Apicalpol, oder, anders ausgedrückt, wird die Stelle,
wo sich in der Larve diese Theile finden, erst durch sekundäre Ver-
schiebung zum Scheitelpol. Es scheint mir nun sehr wahrscheinlich
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 387
zu sein, dass wir in Cystocidaris ein phylogenetisches Stadium dieser
ursprünglich excentrischen Lagerung von After und Madreporenplatte
bei Echinoiden vor uns haben. Bei den übrigen Palechinoiden hat
dann schon das ursprüngliche Verhältnis dem abgeleiteten, der apicalen
Lage von Madreporenplatte und After Platz gemacht. Wie wir wissen,
kann dann wieder sekundär bei den irregulären Euechinoiden der
After den Scheitelpol verlassen. Wir haben also scharf zwischen
einer primären und sekundären Excentricitét des Afters zu unter-
scheiden.
Zusammenfassend dürfen wir, glaube ich sagen, dass fossile
Übergangsformen zwischen Cystideen, Seesternen und Seeigeln! nicht
vorhanden sind. Bei schärferer Beleuchtung lösen sich die schein-
baren Übereinstimmungen in schattenhafte äußerliche Ähnlichkeiten
auf oder verschwinden ganz, während die fundamentalen Differenzen
bestehen bleiben und noch deutlicher hervortreten. Alles deutet
darauf hin, dass die Divergenz der freilebenden Klassen von den
Pelmatozoen erfolgt ist, ehe letztere noch ein festverbundenes Skelet
entwickelt, die ursprüngliche Einfachheit in der Ausmündung des
Wassergefäßsystems verloren hatten, mit einem Worte als das in-
differente Pentactula-ähnliche Stadium noch in keinem wesentlichen
Punkte verlassen war.
Mundskelet der Seeigel und Holothurien.
Die Vergleichung des Kalkringes der Holothurien mit gewissen
Theilen des Seeigelskelettes ist ein Problem, das schon im Anfange
des Jahrhunderts die Morphologen beschäftigt hat. BOoHADSCH ver-
glich den Kalkring der Holothurien mit den Zähnen der Seeigel.
Cuvier? erklärte sich gegen die Ansicht, dass der erstere etwas mit
Kauwerkzeugen zu thun habe, und sah ihn, eben so wie TIEDEMANN *
1 Ich kann es mir wohl versagen, hier auch noch auf Palaeodiscus ferox
einzugehen, der zwischen Seeigeln und Seesternen vermitteln soll, da W. THOMSON
(1. e.) selbst erklärt: »a series of more complete Specimens is necessary for
the full elucidation of its structure and affinities«. Wie vieldeutig übrigens
alle diese Vermittelungen sind, kann man daraus ersehen, dass Palaeodiscus
nach NEUMAYR als ein Vermittler zwischen Seeigeln und Asteriden, gleichzeitig
aber »nicht ohne eine gewisse Berechtigung« als ein vermittelnder Typus zwi-
schen Asteriden und Ophiuriden zu betrachten ist.
2 CuvieR, Lecons d’anat. comp. III. pag. 336.
3 TIEDEMANN, Anatomie der Röhrenholothurie etc. Heidelberg 1820.
288 Richard Semon
als ein Rudiment der Schale an. Ihnen schloss sich MECKEL! zu-
nächst an, neigte aber später wieder der Ansicht zu, dass der Ring
zwar nicht den Zähnen aber den Kiefern der Seeigel zu vergleichen
sei. Letztere Homologie wurde von J. MÜLLER? weiter ausgeführt und
begründet. MÜLLER verglich die fünf radialen Stücke des Knochen-
ringes der Holothurien mit den Rotulae der Seeigel, die fünf inter-
radialen Stücke mit den Epiphysen. Die Epiphysen bilden zusammen
mit den Rotulae bei Echinus einen geschlossenen Kranz, bei den
Cidariden ist dieser Kranz unterbrochen, da bei ihnen die Fortsätze
der beiden Epiphysen eines Kieferpaares an der Basis des Kiefers
nicht zu einem Bogen verbunden sind.
Baur? erhob einige allerdings recht allgemein gehaltene Einwände
gegen diesen Vergleich, und ging auf die Cuvier-TiepEMANN’sche
Ansicht zurück, ohne jedoch den Versuch zu machen, die Bedenken
zu widerlegen, die J. MÜLLER gegen dieselbe erhoben hatte. Die
meisten Autoren sind seitdem Baur gefolgt. Neuerdings haben aber
P. und F. Sarasın * den MÜLLERr’schen Vergleich wieder aufgenom-
men, ohne indessen der Frage im Einzelnen näher zu treten und
die bis jetzt noch unwiderlegten Einwände Baur’s zu entkräften.
Eine dritte Ansicht habe ich selbst schon seit längerer Zeit vertreten,
die nämlich, dass die Einwände gegen die eine wie die andere
Homologisirung gerechtfertigt sind, und dass bei genauerem Eingehen
auf die Topographie und Bedeutung der Theile und bei Berück-
sichtigung der Entwicklungsgeschichte sich das Resultat ergiebt, dass
ein Äquivalent des Holothurienkalkringes im Echinidenskelet über-
haupt nicht aufzufinden ist.
Es sei mir gestattet, hier kurz meine Gründe zu wiederholen
und zu ergänzen.
Die Vergleichung des Kalkringes mit den Zähnen ist schon früh
als gänzlich undurchführbar aufgegeben worden, es bliebe also die
Vergleichung des Ringes mit dem eigentlichen Kiefergerüst einerseits,
einem Theil der Schale und den Aurikeln andererseits zu erörtern.
Von diesen beiden Vergleichungen will ich die letztere als die
leichter zu widerlegende zuerst besprechen.
ı J. F. MEckEL, System der vergleichenden Anatomie. 2. Theil. 1. Abth.
1824. pag. 44.
2]. e. pag. 73.
3 A. Baur, Beiträge zur Geschichte der Synapta digitata. Nova acta L. C.
Dresden 1864. Bd. XXIII.
*].c. pag. 97 und 139.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 2389
Bei dieser Vergleichung ist zunächst festzustellen, was denn als
das Wesentliche angesehen werden soll, der Brückenbogen der
Aurikel oder der Schalentheil, dem dieselben aufsitzen.
Das Bestimmende bei der Vergleichung war die Lage der Körper-
wassergefäße und Nerven zu den zu vergleichenden Bildungen. Bei
den Holothurien treten Wassergefäße und Nerven über den Kalk-
ring und nur bei einigen Synaptiden findet sich das Verhältnis, dass
diese Theile nicht durch Rinnen über, sondern durch Löcher durch
den Kalkring treten. Durch Zustände, wie wir sie bei Chirodota
venusta! finden, eben so wie durch die Entwicklungsgeschichte der
Synapta digitata wird bewiesen, dass letzteres Verhältnis auch bei
den Synaptiden ein sekundäres ist. Bringen wir nun die Aurikel
nebst ihren Fußstücken in die gleiche Lage, so sehen wir ohne Weiteres,
dass nur der eigentliche Aurikelbogen mit dem Kalkring verglichen
werden kann, nicht der Schalentheil, dem die Aurikel aufsitzen.
Wir müssen also den Schalentheil als Vergleichsobjekt ganz
fallen lassen. Denn ganz abgesehen von dem Umstande, dass, wie
J. MÜLLER hervorhob, jene Platten, unter denen die Gefäße und Nerven
hindurehtreten, bei den Echiniden stets paarig sind, die ähnlich
gelagerten Kalkringstücke stets unpaar, das Lageverhältnis selbst
ist ein so fundamental verschiedenes, dass bei der Vergleichung nur
noch der Brückenbogen der Aurikel selbst in Frage kommen kann,
~ nichts Anderes.
Legen wir uns nun aber zunächst die Frage vor: Was stellen
die Aurikel vor. Die vernunftgemäße Antwort wird lauten: Die
Aurikel sind Skeletvorsprünge, die zum Ursprunge von Muskeln
bestimmt sind, es sind Muskelapophysen. Dass sich in dieser Defi-
nition nicht nur die funktionelle, sondern auch die genetische Be-
deutung dieser Gebilde wiederspiegelt, das beweist die vergleichende
Anatomie. Die Aurikel sind in einer Reihe von Fällen (Cidariden.
einige Clypeastroideen, wie Mellita und Echinocyamus) Apophysen
der Interambulacralplatten, in einer anderen Reihe von Fällen
(Echiniden, gewisse andere Clypeastroideen, wie Clypeaster und Arach-
noides) Fortsätze der Ambulacralplatten. Bei einigen Scutelliden
die ein sehr wohl entwickeltes Gebiss besitzen, wie Echinocyamus?,
! R. Semon, Beiträge zur Naturgeschichte der Synaptiden des Mittelmeeres.
Mittheilungen aus der Zoolog. Station zu Neapel. Bd. VII. 1887. pag. 401.
2 L. Acassız, Monographies d’Echinodermes viv. et foss. II. Monographie.
Scutelles. 1841. cf. Tab. 27.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 19
290 Richard Semon
wird gar kein Brückenbogen gebildet, Aurikel sind zwar vorhanden
und ganz wohl ausgebildet, jede Beziehung zu Wassergefäßen und
Nerven aber fehlt.
Mit der Rückbildung des Kieferskelettes und damit der Musku-
latur, die von den Aurikeln ihren Ursprung nahm, sehen wir denn
auch bei den Spatangoiden die Aurikel gänzlich verschwinden, ob-
wohl sich die Dinge in Bezug auf Nerven und Gefäße dadurch doch
nicht ändern, ein weiterer Beweis dafür, dass genetisch und funktionell
die Beziehungen der Aurikel zu der Muskulatur primäre, zum Wasser-
gefäß- und Nervensystem aber sekundäre oder besser bloß acci-
dentelle sind.
Gerade umgekehrt verhält sich die Sache bei den Holothurien.
Hier zeigt uns die Entwicklungsgeschichte auf das deutlichste, dass der
Kalkring in allerinnigster Beziehung zum Wassergefäßsystem sich bildet.
Wenn das Hydrocoel noch frei im Mesenchym liegt, entstehen fünf
Kalkringglieder als Stützen der Primärausstülpungen. Die fünf
Kalkringstücke für die Primärtentakel vermehren sich mit den Ten-
takeln sekundär auf zehn; bei den Synaptiden kann die Zahl weiter,
entsprechend der Zunahme der Tentakel, auf 12 und 15 und mehr
vermehrt werden!. Nur fünf von diesen zahlreichen Gliedern treten
jemals in irgend welche Beziehungen zur Muskulatur.
Wie wir sahen, waren bei Echiniden die Beziehungen der Aurikel
zu Wassergefäßen und Nerven nur accidentelle und inkonstante; jene
Bildungen standen dagegen zur Muskulatur in einem vollkommenen
Abhängigkeitsverhältnis und dürfen meiner Ansicht nach ganz ein-
fach als Muskelapophysen der adoralen Coronalplatten bezeichnet
werden. In jeder Beziehung umgekehrt verhalten sich die Kalk-
ringglieder der Holothurien. Rechnet man dazu, dass letztere Bil-
dungen, ursprünglich in Fünfzahl vorhanden, später auf 10, 12 oder
15 vermehrt, sich doch stets als unpaare Theile darstellen, die
fünf Aurikel dagegen als Fortsätze entweder der Ambulacral- oder
Interambulacralplatten (besonders schön sieht man dies bei Echino-
eyamus) im Grunde als paarige Bildungen zu betrachten sind und
sich als solche auch ohne. Zweifel bei entwicklungsgeschichtlicher
Untersuchung ausweisen werden, so kann man meiner Ansicht nach
nur zu dem Schlusse kommen, dass eine Homologie nicht nur nicht
bewiesen, sondern in höchstem Grade unwahrscheinlich ist.
! In seltenen. Ausnahmefällen findet die Vermehrung nicht in gleichem
Verhältnis mit der Vermehrung der Fühler statt, z. B. bei Chirodota incongrua
und Ch. liberata.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 291
Die Vergleichung des Kalkringes mit Theilen des Kieferskelettes,
die von J. MÜLLER vertreten wird, ist meiner Ansicht nach schon
etwas eher annehmbar. Bei schärferem Zusehen aber ergiebt sich,
dass auch sie an innerer Unwahrscheinlichkeit leidet.
Bei der Erörterung dieser Frage stelle ich mich einmal in der
Bezeichnung dessen, was bei Holothurien radial und interradial zu
nennen ist, auf den MULLER’schen Standpunkt, obwohl, wie oben in
dem Kapitel über das Wassergefäßsystem ausgeführt ist, dieser Punkt
noch lange nicht endgültig festgestellt ist.
MÜLLER also vergleicht die sogenannten Radialglieder des Kalk-
ringes mit den Rotulae, die sogenannten Interradialglieder mit den
Epiphysen der Laterne.
Sehneiden wir uns diese Theile aus einer Laterne heraus, so
erhalten wir ein Präparat, das trotz mancher Differenzen einem Holo-
thurienkalkringe gar nicht unähnlich sieht. Sehr gut stimmt auch
die Lage des Wassergefäßsystems zu beiden Bildungen überein, da
bekanntlich die Ambulacralgefäße der Echiniden direkt über die
Rotulae herüber nach außen laufen. Hier aber kommen wir schon
zu dem ersten Einwande, der den Kern der allgemein gehaltenen
Einwürfe Baur's über die ungleiche Lage des Nervensystems bildet.
Die Ambulaeralgefäße der Echiniden werden nämlich bei ihrem
Übertritt über! die Rotulae nicht von den fünf Ambulacralnerven
begleitet wie die Körperwassergefäße der Holothurien bei ihrem
Übertritt über den Kalkring. Die Nerven treten vielmehr eine be-
trächtliche Strecke höher oben! über die Bänder, welche die Spitzen
je zweier Pyramiden vereinigen ?.
Dieses ist nun in gewisser Beziehung eine bemerkenswerthe
Differenz. Der Nervenring liegt bei den Seeigeln im Inneren des
Kiefergerüstes, wie bei den Holothurien im Inneren des Kalkringes.
Dass er dabei den Kiefern (Alveolen, Pyramiden) selbst anliegt und
nicht den Epiphysen und Rotulen, halte ich für mehr nebensächlich,
da Kiefer und Epiphysen innig zusammengehören, und MÜLLER eben
so gut die gesammte zusammengehörige Bildung mit den sogenannten
Interradialtheilen des Holothurienkalkringes hätte vergleichen können
als die isolirten Epiphysen.
Dass aber die Nerven nicht wie bei den Holothurien in ihrem
1 Hier ist der Seeigel behufs Vergleichung mit der Holothurie immer mit
dem Oralpol nach oben orientirt zu denken.
2 Cf. A. Kroun, Über die Anordnung des Nervensystems der Echiniden
und Holothurien. MÜLLERs Archiv. Bd. VIIL 1841. pag. 3.
192
292 Richard Semon
Verlauf zu den Radialtheilen, den Rotulae, in irgend welche Be-
ziehungen treten, sondern in vollkommener Unabhängigkeit von den-
selben über besondere, die Kiefer verbindende Bänder laufen, schließt
meiner Ansicht nach die Möglichkeit aus, die Verhältnisse der Echi-
niden von den Holothurien abzuleiten. Es ist nicht glaublich, dass
die Beziehung, die bei den Holothurien Wassergefäße und Nerven
zum Kalkringe eingegangen sind und zwar schon bei den einfachsten
indifferentesten Formen, wie Chirodota venusta, sich zwar für die
Wassergefäße erhalten, für die Nerven aber sekundär gelöst hat, so
dass mitten zwischen die innig vereint über die Ringglieder verlaufen-
den Gefäße und Nerven sich ansehnliche Muskeln eingeschoben
haben.
Auf der anderen Seite wird durch diese Differenz keineswegs
die Möglichkeit ausgeschlossen, dass die Zustände, die wir bei Holo-
thurien finden, aus den, was die Topographie des Wassergefäß- und
Nervensystems anlangt, mehr indifferenten der Echiniden hervorge-
gangen sind. Auch diese Eventualität ziehe ich in Betracht, da
ich die Vergleichung ganz frei für sich, losgelöst von der Berück-
sichtigung der Verwandtschaft beider Klassen anstellen will.
Wenn es aber in der That ganz wohl möglich ist, die
Lagerungsverhältnisse der Nerven und Wassergefäße der Holo-
thurien aus den bei Echiniden beobachteten Zuständen hervorge-
gangen zu denken, ist es auf der anderen Seite ganz unwahrscheinlich,
die Skelettheile selbst, wie wir sie bei Holothurien finden, aus den
entsprechenden Gebilden der Echiniden abzuleiten. Man kann sich
wohl vorstellen, dass die Zähne verschwinden, die Rotulae und eigent-
lichen Kiefertheile dann einfache Gestalt annehmen. Dass aber aus
diesen recht ungleichartigen Gebilden zehn vollkommen gleich-
artige werden sollen, wie bei Chirodota venusta, obwohl letztere
zehn Theile in ihren Leistungen und ihren Lageverhältnissen durch-
aus nicht gleichartigen Bedingungen unterliegen, sondern zum Theil
Nerven und Gefäße über sich treten lassen und Muskeln zum Ansatz
dienen, zum anderen Theile aber nicht, das ist meiner Meinung nach
mehr wie unwahrscheinlich. Die einfachste Überlegung spricht dafür, in
den Verhältnissen von Chirodota venusta den Ausgangspunkt einer
sich in der Klasse der Holothurien noch um ein Geringes kompli-
eirenden Bildung zu erblicken, nicht das Produkt einer durch nichts
zu erklärenden Reduktion.
Ich habe versucht vergleichend anatomisch nachzuweisen, dass
es weder möglich ist das Kiefergerüst als eine Umbildung des Kalk-
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 293
ringes, noch auch umgekehrt den Kalkring als ein rückgebildetes
Kiefergerüst aufzufassen. Beides sind meiner Ansicht nach selb-
ständige Bildungen: der Kalkring in erster Linie ein Stützapparat
des den Holothurien in dieser Ausbildung eigenthümlichen Tentakel-
systems; das Kiefergerüst eine im Anschluss an die Zähne entstan-
dene Bildung, die mit letzteren, wie die Spatangoiden zeigen, steht
und fällt.
P. und F. Sarasin, welche die Echiniden von Holothurien ab-
zuleiten versuchen, sind in ihrer mehrfach citirten ausgezeichneten
Arbeit auf die MürLter’sche Vergleichung des Kalkringes mit dem
Kiefergerüst zuriickgekommen und zwar im Anschluss an die Ver-
gleiehung der Muskulatur, die mit den beiderartigen Bildungen in
Beziehung tritt. Dass die Vergleichung des Kalkringes mit dem Kiefer-
skelet aus topographischen Gründen undurchführbar ist, gerade wenn
man den Kalkring als Ausgangspunkt wählt, ist oben gezeigt worden.
Es verlohnt sich aber der Mühe, noch etwas näher auf die Muskel-
vergleichung einzugehen. Gerade hier wird sich bei schärferer Prüfung
zeigen, dass die Muskelvergleichung die Homologisirung jener
‚Theile nicht stützt, sondern ihr im Gegentheil noch mehr den Boden
entzieht.
P. und F. Sarasin sagen: »Der Schlundtheil des Holothurien-
darmes wird bekanntlich von einem meist aus zehn Stücken bestehen-
den Kalkring umgeben, an dessen radial gelegenen Theilen sich bei
vielen Formen die vorderen Enden der Längsmuskel inseriren. Kompli-
eirter wird das Verhältnis bei den dendrochiroten Holothurien und
einigen Molpadiden, indem sich bei diesen schon in einiger Entfernung
vom Kalkring besondere Bündel von den Längsmuskeln abspalten,
welche die Leibeshöhle durchsetzen und sich an die Radialstücke
anheften. Es sind dies die sogenannten Retraktoren des Schlund-
kopfes. Nach Abgabe der Retraktoren verlaufen die Längsmuskeln noch
bis ans Vorderende des Körpers, aber ohne sich am Kalkring zu
inseriren!. Sie sind dann meistens viel schwächer als die Rückzieh-
muskeln, die sich von ihnen abgespaltet haben.
»Ein ganz ähnliches Verhältnis haben wir auch bei Asthenosoma:
hier sahen wir die Längsmuskeln an die aborale Seite der Aurikel
sich inseriren und von den adoralen Aurikelflächen die Muskeln der
! Letztere Angabe, die von SEMPER und Lampert herrührt, wird neuer-
dings von H. Lupwic (Bronn’s Klassen und Ordnungen. Bd. II. Abtheil. 3.
Echinodermen. Heidelberg 1889. pag. 89) als irrthümlich bezeichnet.
294 Richard Semon
Buccalmembran entpringen. Außerdem gehen aber von derselben
Fläche fünf Paare starker, schief abwärts an die Laterne laufender
Retraktoren aus. Wir glauben, dass man diese zehn Retraktoren
als Abspaltungen von den Längsmuskeln betrachten und somit den
von den Längsmuskeln gewisser Holothurien sich abzweigenden Rück-
ziehmuskeln des Schlundkopfes gleichsetzen darf. — — —«
»Die bei den Seeigeln zwischen den Aurikeln entspringenden
Vorstoßmuskeln der Laterne werden wohl als neuer Erwerb dieser
Gruppe aufzufassen sein.
»Die Rückziehmuskeln der Laterne bleiben auch bei den hart-
schaligen Seeigeln erhalten, bei welchen, wie wir oben sahen, die
Längsmuskeln selbst, durch Erstarrung des Panzers unmöglich ge-
macht, verschwanden und nur noch durch Reihen von Bindegewebs-
bündeln angedeutet erscheinen.«
Diese Ausführungen klingen zunächst recht plausibel. P. und
F. Sarasıy haben aber eine Differenz übersehen, die morphologisch
von der allergrößten Bedeutung ist.
Die Längsmuskeln beziehentlich Retraktoren der Holothurien
setzen sich an die sogenannten »Radialstücke« des Kalkringes, also
an Theile, die in denselben Radien des Körpers liegen, wie sie
selber.
Die Retraktoren der Echiniden und Echinothuriden dagegen ent-
springen von den Aurikeln, also radial gelegenen Theilen, sie in-
seriren aber an den Kiefern (Alveolen, Pyramiden), die bekanntlich
interradiale Lage haben. Um mit den Holothurienmuskeln über-
haupt vergleichbar zu sein, müssten die Echinidenretraktoren an den
Rotulae oder den letzteren zugehörigen Theilen, wie den Radii (Com-
passen) der Echiniden inseriren. Dies thun sie aber nicht, und so-
mit verschwindet meiner Ansicht nach jede Möglichkeit einer Homo-
logisirung.
Bei den Echiniden inseriren an den radial gelegenen Compassen
(Radii, die den Rotulae aufsitzen) fünf Paar Muskeln, aber diese
entspringen ihrerseits zwischen je zwei Aurikeln, und zwar genau
interradial. Auch hier wäre also keine Vergleichung mit Holo- ;
thurienmuskeln möglich.
Die Vorstoßmuskeln der Laterne der Seeigel endlich sind nach
P. und F. Sarasin’s eigenem Zeugnis »als ein neuer Erwerb dieser
Gruppe aufzufassen« und vollends mit keinem Theile der Holothurien-
muskulatur zu vergleichen. Wie wir uns also auch wenden: überall
begegnen wir bei genanerem Zusehen deutlicher Ungleichartigkeit —
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 295
und wir können auch die Muskelverhiltnisse als einen weiteren Be-
weis dafür betrachten, dass der Kalkring der Holothurien und der
Kauapparat der Seeigel selbständig entstandene und nur in Folge
ihres radialen Baues und ihrer Beweglichkeit ähnliche, keineswegs
aber homologe Gebilde sind.
Vergleichung der Platten am Apicalpol.
Der Versuch, eine Vergleichung der Platten am Apicalpol der
verschiedenen Echinodermenplatten durchzuführen, rührt bekanntlich
von Loven' her, der übrigens schon einige Vorläufer gehabt hat.
P. H. CARPENTER? nahm diesen Gedanken auf, und diesem hervor-
ragenden Morphologen gebührt das Verdienst, die angenommene Ho-
mologie nach allen Richtungen hin durchgearbeitet, vor Allem auch
entwicklungsgeschichtlich geprüft zu haben. A. AGassiz, LUDWIG,
PERRIER und SLADEN und viele Andere nahmen zu dieser Frage
Stellung.
Trotz zahlreicher Differenzen in einzelnen Punkten standen aber
alle diese Forscher auf dem gemeinsamen Boden, die hervortretende
Ähnlichkeit des Apicalpols der verschiedenen Klassen als den Aus-
druck einer wahren Homologie der ihn zusammensetzenden Elemente
zu betrachten. Dies war die Voraussetzung, von der man hier wie
bei den anderen oben besprochenen Vergleichungen des Echinodermen-
skelettes ausging, ohne die Berechtigung dieser Annahme einer
weiteren Prüfung zu unterwerfen.
In dieser prineipiellen Frage wurde nur von einer Seite aus
ein Widerspruch laut, und zwar von paläontologischer. NEUMAYR®
nämlich wies darauf hin, dass in älteren Schichten immer größere
Abweichungen von demjenigen Typus des abactinalen Systems zu
beobachten wären, der nach den embryologischen Untersuchungen
als der normale zu betrachten wäre. »Alle geologisch alten Formen
sprechen in entschiedenster Weise gegen die Auffassung, dass eine
Apexentwicklung, wie sie bei Salenia persistirt, als typisch für die
ganze Abtheilung der Seeigel betrachtet werden könne; wenn man
aus den vorhandenen paläontologischen Daten einen positiven Schluss
1 Sven LovEn, Etudes sur les Echinoidées. Kongl. Svenska Vetenskaps
Akademiens Handlingar. Bd. II. No. 7. Stockholm 1874.
2 P. H. CARPENTER, Quart. Journ. of Microscop. Science. Vol. 18, 19,
20, 22.
3
296 Richard Semon
ziehen will, so muss er dahin gehen, dass der Apex von Palaeechinus
elegans mit drei zehnzähligen Kränzen jedenfalls der Grundform
näher stehe, als derjenige von Salenia. Damit fällt auch der Boden
für die Detailparallelisirung einzelner Plattengruppen am Echinoiden-
scheitel und Crinoideenkelch und damit überhaupt jede nahe Homo-
logie zwischen Crinoideen (Eucrinoiden) und Seeigeln weg.«
Ich selbst wurde in meiner Arbeit über die Entwicklung der
Synapta digitata und die Stammesgeschichte der Echinodermen aus
Gründen allgemeinerer Natur zu ganz ähnlichen Scehlüssen geführt
wie NEUMAYR. Aus dem Umstande, dass die Homologie im Grunde
nur auf die Fünfzähligkeit und radiäre Anordnung der Theile am
Apex begründet sei, dass diese für die Echinodermenklasse charak-
teristische Anordnung nothwendigerweise zu einer allgemeinen Ähn-
lichkeit gewisser Körperbezirke führen muss, ohne dass desshalb
homophyletische, wirklich homologe Bildungen vorzuliegen brauchen,
dass endlich die Detailvergleichung so große Schwierigkeiten bietet,
dass so viele verschiedene Ansichten bestehen, als Forscher über
diesen Punkt gearbeitet haben, aus all dem schloss ich, dass nur
Analogien, keine wahren Homologien vorlägen, dass letztere jeden-
falls erst als solche zu begründen seien.
Ich habe damals die ganze Frage nicht ausführlicher erörtert
und habe nicht versucht, die Unhaltbarkeit der Homologisirung im
Detail nachzuweisen, sondern nur im Allgemeinen die Gesichtspunkte
dargelegt, die mich bewogen, an der Richtigkeit der bisherigen Ver-
gleiche des Scheitelpols der Crinoideen, Echinoiden, Asteroiden und
Holothurien zu zweifeln und eine tiefere Begründung ! als nothwendig
zu bezeichnen.
Durch Einnahme dieses Standpunktes trat ich mit allen Zoologen,
die dem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit zugewendet hatten, und mit
Ausnahme NEuMmAYR’'s auch mit den Paläontologen in Gegensatz. Nur
ein Zoologe, Hamann, schien mir, wie ich mit Freude bemerkte, eher
an der Berechtigung der Homologisirung zu zweifeln, als dieselbe für
eine ausgemachte Thatsache zu halten, da er in seinem 1887 er-
schienenen dritten Hefte der »Beiträge zur Histologie der Echino-
dermen« schreibt: »Nimmt man noch hinzu, dass gegen die Homo-
logisirung der Basaltiifelchen des Crinoidenkelehes mit den Scheitel-
platten der Echiniden (H. CARPENTER) gewichtige Bedenken erhoben
1 Uber diesen Punkt siehe weiter unten.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 297
worden sind, so nimmt die Wahrscheinlichkeit zu Gunsten der Ab-
leitung der Echiniden von den Crinoideen noch mehr ab.«
Wie ich aber sehe, habe ich mich getiiuscht, denn in dem
vierten 1889 erschienenen Hefte der »Beiträge zur Histologie der
Echinodermen« schreibt Hamann, ohne etwa uns darüber zu unter-
richten, dass er mittlerweile seinen Standpunkt gewechselt hat:
»Was die Homologien der Kalkplatten anlangt, so sind die berühm-
ten Untersuchungen LovEn’s und die nicht minder klaren und aus-
gezeichneten Resultate P. H. CARPENTER’s diejenigen, welche heut
zu Tage in Geltung sind. Freilich hat Semon Recht, wenn er sagt,
dass die Frage noch gar keiner ernstlichen Diskussion unterzogen
sei. ob echte Homologien vorhanden seien. Das gelte als ausge-
macht. Wer sich je mit diesen Bildungen beschäftigt hat, für den
gelten die Homologien allerdings für ausgemacht.«
Übrigens erschien beinahe gleichzeitig mit meiner Abhandlung
die Echinothuridenarbeit von P. und F. Sarasın, in der die Frage
noch einmal einer gründlichen Prüfung unterzogen und das Vor-
handensein von Homologien keineswegs als ausgemacht vorausgesetzt
wurde. In dieser bedeutungsvollen Arbeit zeigten P. und F. Sarasin,
dass sich auch vergleichend-embryologisch der Nachweis führen lasse,
dass das Apicalbild, wie es als typisch für sämmtliche Seeigel an-
genommen worden war, eine ganz junge Bildung sei, die sich erst
Schritt vor Schritt in der Reihe der Acrosalenien herangebildet hat.
Sie fehlt den älteren Seeigeln, sowohl den Palaeechinoiden als auch den
Echinothuriden, Cidariden und Diademiden, mit einem Worte den » Prae-
saleniaden«, da dieselben eine Subanalplatte weder im ausgebildeten Zu-
stande besitzen, noch auch, so weit man ihre Entwicklung kennt, eine
solche in ihren Jugendstadien hervortreten lassen. Selbst bei Salenia
wird in den jüngsten Stadien das Analsystem nicht von einer, sondern
von acht Platten bedeckt. »Der Apex der jungen Echiniden ist, in so
fern er die Subanalplatte aufweist, nicht ein »Crinoidenphantom«, son-
dern ein Salenidenbild, d. h. diejenigen Echiniden, welche in der Ju-
gend ihr Analfeld von einer einzigen oder von einer ganz geringen
Zahl relativ großer Platten bedeckt zeigen, durchlaufen ein Saleniden-
stadium, sie stammen also von Saleniden ab; es war ein Irrthum,
hinter der Subanalplatte eine Crinoidenverwandtschaft zu suchen,
und wie wir früher gesehen haben, gelang es auch nicht. die An-
knüpfungspunkte zu finden; sie bedeuten vielmehr eine Salenidver-
wandtschaft, und damit hat sich auch das biogenetische Gesetz glän-
zend bewährt. Wir gehen so weit, die Echinothuriden, Cidariden,
298 Richard Semon
Diademiden und alle diejenigen Formen, welche in ihrer Jugend die
Subanalplatte nicht aufweisen, als Praesaleniaden zu bezeichnen.
Dann folgt das Geschlecht der Saleniden, in dessen Stammesge-
schichte sich die so verführerische Subanalplatte langsam heranbildete,
und endlich bezeichnen wir alle jüngeren Descendenten, welche in
ihrer Jugend den Salenidenstempel tragen, als Salenigonen, indem
wir sie für Descendenten der Saleniden halten. Die paläontologischen
Erfahrungen decken sich mit dieser Auffassung sehr wohl.«
»Nach dem ‚Crinoidenphantom‘ wurde unter den Asteriden und
Ophiuriden eifrig gesucht. Die Resultate sind aber nicht befriedigend
ausgefallen; man fand koncentrisch um den Dorsalpol in der Fünf-
zahl angeordnete Platten; das ist aber im Grunde Alles.«
P. und F. Sarasın schließen mit dem Satze, dass, wenn wir unter
diesen höchst variablen Plattenanordnungen nach einer bestimmten
phylogenetisch verwerthbaren Regel suchen wollten, wir jenem Knaben
gleichen würden, der dem Regenbogen nachlief, um seine Farben
zu holen.
Die paläontologischen, anatomischen und entwicklungsgeschicht-
lichen Vergleichungen NeuMAyr’s und P. und F. Sarasın’s machen
es in hohem Maße wahrscheinlich, dass es sich bei der Ähnlichkeit
des Crinoideen- und Echinidenapex um eine bloße Konvergenz-
erscheinung, die sich bei relativ jungen Formen entwickelt, nicht um
wirklich homologe, homophyletische Bildungen handelt. Noch
mehr gilt das für Asteriden und Ophiuriden, wo die Übereinstimmung
sogar äußerlich viel weniger hervortritt.
ÜARPENTER könnte sich aber mit Recht darüber beklagen, dass
eine Begründung für seine Homologisirung, auf die er viel Werth
legt und die auch von SLADEN! und Bury? eingehend berücksichtigt
wird, von keinem der Gegner seiner Anschauungen auch nur erwähnt
wird. Auch ich habe CARPENTER nicht Gerechtigkeit widerfahren
lassen, als ich den Ausspruch H. Lupwie’s ohne weiteren Kommentar
eitirte: »Irgend welche unmittelbaren Beziehungen zu den inneren
Organen des Thierkörpers sind bei dieser lediglich auf die räumliche
Anordnungsweise jener Platten gegründeten Homologisirung nicht in
Betracht gezogen worden. «
Nun ist allerdings die Homologisirung nicht lediglich auf die
! W. Percy SLADEN, On the homology of the primary larval plates in
the test of the branchiate Echinoderms. Quart. Journ. Micr. Se. Jan. 1884.
21. ce.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 399
räumliche Anordnung der Platten gegründet, sondern CARPENTER basirt
die Homologie in erster Linie auf die Thatsache, dass die Genital- und
Ocularplatten der Seeigel, die Basalia und Radialia der Crinoideen, die
entsprechenden Platten der Asteriden und Ophiuriden, kurz die Platten
des Apicalsystems im Umkreise über der rechten Coelomtasche ange-
legt werden, während sich die Oralia der Crinoideen und Holothurien in
einer ähnlichen Spirale um die linke Coelomtasche entwickeln. BarL-
FOUR ! bemerkt hierzu: »CARPENTER sucht seine Homologien auf das Ver-
hältnis der Platten zu den ursprünglichen Peritonealblasen zu gründen,
und ich bin geneigt, diese Methode der Behandlung der Frage für die
richtige zu halten.« Das ist jedenfalls ein bedeutungsvolles Zeugnis,
aber ich glaube, dass, wenn wir die interessanten Facta, von denen
CARPENTER ausgeht, von etwas anderem Gesichtspunkt aus betrachten,
der Werth des CARPENTER’schen Arguments für die Entscheidung der
Homologie ein ganz anderer wird, als von CARPENTER, BALFOUR,
SLADEN, Bury und Anderen angenommen worden ist.
Ich will gar nicht darauf eingehen, dass die erwähnten Forscher
unter sich noch keineswegs darüber einig sind, welche Platten in
den verschiedenen Gruppen denn nun einander entsprechen. Haben
wir die Ocellarplatten der Echiniden als erste Radialia oder als
Terminalia zu betrachten und fehlen den Echiniden ganz und gar
die ersten Radialia? Besitzen andererseits die Crinoideen überhaupt
Terminalia? Hier liegt eine bedeutende Schwierigkeit, selbst wenn
man sich ganz auf den Boden der CARPENTER’schen Vergleichung stellt.
Denn wenn durch P. und F. Sarasin gezeigt ist, dass die Subanal-
platte der Echiniden erst in der Gruppe der Saleniaden aus vielen
kleineren Plittchen zu einem größeren Stücke verschmilzt und mit-
hin keinesfalls mit einer centralen Platte der Crinoideen homolog sein
kann, wenn zwei eifrige Anhänger CARPENTER’S wie SLADEN? und
Bury? die Terminalia der Asteroiden und Ocellarplatten der Echi-
noiden für nicht homolog den ersten Radialia der Crinoideen halten
und zugestehen, dass diese Platten bei den Crinoideen keine Re-
präsentanten haben, was bleibt dann noch als homolog im Crinoideen-
und Echinoidenapex übrig? Nur noch die Genitalplatten der Echi-
niden, die den Basalia der Crinoideen homolog sein könnten. Das
ist aber Angesichts der sonstigen Nichtübereinstimmung herzlich wenig.
1 BALFOUR, Handbuch der vergleichenden Embryologie. Deutsche Über-
setzung. Bd. I. pag. 640. Jena 1880.
20]... ce.) page ‘9. 3]. ec. pag. 442.
300 Richard Semon
Aber prüfen wir einmal genauer das Wesen des CARPENTER’schen
Arguments. Es wird behauptet, dass die Skeletplatten mit den
Coelomtaschen in einem gewissen Verhältnis stehen. Drücken
sich in diesem Verhältnis unmittelbare Beziehungen der Skeletele-
mente zu den inneren Organen des Thierkörpers, die Lupwig in
der CARPENTER' schen Homologisirung vermisste, wirklich aus? Ich
glaube davon kann keine Rede sein. Mit dem Ausdruck »developed
round the right« oder »the left enterocoel« ist eine bloße Lage-
beziehung ausgedrückt. Irgend welcher konstante Zusammenhang
zwischen Enterocoel und Skeletplatten fehlt durchaus. Die Platten
liegen im Allgemeinen eine Strecke weit über dem Enterocoel, von
demselben durch Mesenchymgewebe getrennt. Natürlich kann es vor-
kommen, dass das Mesenchymgewebe, dessen Zellen die Skelet-
platten bilden, direkt mit dem Epithel der Taschen in Berührung
kommt und demselben auflagert. Aber wie man sich durch Betrachtung
der augenscheinlich sehr genauen und instruktiven Buryschen Ab-
bildungen überzeugen kann (l. e. Fig. 10, 13, 17), ist das keines-
wegs die Regel; der zuweilen beobachtete Zusammenhang ist also
bloß ein accidenteller. Aber auch die Lagebeziehung ist durchaus
nicht immer eine so bestimmte, dass die Platten etwa stets genau so
über der Tasche lägen, dass das Centrum der letzteren auch das
Centrum des Plattenkranzes wäre. Dies kommt zuweilen vor, in
anderen Fällen aber auch nicht. Bei den Echiniden liegen nach
Bury! drei von den fünf Genitalplatten »round the right enterocoel«,
zwei andere aber nicht; eine von diesen beiden sogar in einer »me-
dian position«, so dass die Entscheidung, ob sie zum rechten oder
linken Enterocoel gehört, nur auf indirektem Wege erfolgen kann.
Eben so macht die Entscheidung nicht geringe Schwierigkeiten, ob
die Madreporenplatte der Asteriden dem rechten oder dem linken Ente-
rocoel angehört.
Ich glaube, man darf sagen, das Skelet des Oral- und Apical-
systems besitzt keine unmittelbaren Beziehungen zu dem Enterocoel,
und auch die Lagebeziehung ist keine so strenge, dass wir beide
Elemente in irgend einer direkten Abhängigkeit von einander zu
denken hätten. Ist nun der Umstand, dass gewisse Platten in den
verschiedenen Klassen der Echinodermen in der Gegend über der
rechten, andere über der linken Coelomtasche entwiekelt werden,
1]. ce. pag. 440.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 301
ein rein zufälliger und belangloser, oder hat er eine ganz bestimmte
Bedeutung ?
Letztere Alternative ist unbedingt zu bejahen. Das von Car-
PENTER entdeckte Plattenverhältnis ist meiner Ansicht nach dahin
zu deuten, dass die Körperlängsachse sämmtlicher Echinodermen sich
beim Übergange vom Dipleurula- ins Pentactulastadium so dreht,
dass die rechte Seite der Larve zur Dorsalseite, die linke zur Ventral-
seite wird. Das scheint mir die einfache und nothwendige Deutung
der beobachteten Thatsachen zu sein.
Dass eine Achsendrehung erfolgt, bedarf keines weiteren Be-
weises. Es genügt eine Larve im Dipleurulastadium mit ihrem
Pentactulazustand zu vergleichen, um die einen rechten Winkel
ausmachende Achsendrehung zu erkennen. Am besten, man wählt
eine Pentactulalarve, die noch durch Larvenanhänge des Dipleurula-
stadiums die Lage der Achse in diesem Entwicklungszustande er-
kennen lässt. Bei den Asteridenlarven lässt sich dieses Verhältnis
recht deutlich erkennen, obwohl hier die Achsendrehung meist nicht
ganz einen rechten Winkel auszumachen scheint, sondern bloß einen
solchen von ungefähr 80° (ef. J. MÜLLER, 4. Abhdl. 1850. Taf. V
Fig. 1 und 3).
Etwas komplieirter verhalten sich die Ophiuridenlarven. Wenn
man aber die ganze Entwicklung derselben verfolgt, sieht man, dass
im Grunde die Sache genau eben so liegt, als bei den Asteriden.
Dieselbe Achsendrehung sehen wir sogar die wurmförmige Asteriden-
larve J. MÜLLER’s durchmachen (3. Abhdl. 1849 Taf. VI Fig. s—11,
Taf. VII Fig 1—4), die gar kein längeres Dipleurulastadium zu
durchlaufen scheint. Dasselbe sehen wir an den Seeigellarven
(J. MÜLLER 1. Abhandlung 1846 Taf. III und sehr deutlich A. Acassız,
Embryologie of Echinod. Fig. 23).
Nicht anders liegen die Dinge bei den Crinoideen. Wir kennen
die Entwicklung letzterer Thiere nur aus der Entwicklung der phy-
logenetisch sehr jungen und stark veränderten Comatula, und diese
Entwicklung ist, wie einstimmig von allen Forschern anerkannt wird,
stark cenogenetisch modificirt. Ein eigentliches Dipleurulastadium
kommt äußerlich gar nicht zur Entfaltung, und so lässt sich bei der
äußeren Betrachtung der Achsenwechsel auch kaum wahrnehmen. Die
Untersuchung der inneren Organisation lässt aber auch bei Comatula
auf gewissen Stadien eine bilaterale Symmetrie wahrnehmen, und
wenn wir dies berücksichtigen, können wir auch hier deutlich die
Achsenverschiebung erkennen. »The right and left body-cavities be-
302 Richard Semon
come anterior and posterior respectively, and afterwards aboral and
oral. The former gives rise to the chambered organ!.«
Bei den übrigen Klassen scheinen die Enterocoeltaschen nicht
in ihrer alten Lage zu verharren, also nicht aus einer rechten und
linken zu einer oberen und unteren zu werden, wie bei Antedon,
sondern sie scheinen sich nachträglich selbst noch zu verschieben
und zu der neuen Achse eine neue und zwar symmetrische Stellung
zu nehmen. Im Einzelnen bedarf das noch der genaueren Unter-
suchung.
Auch bei den Holothurien konnte ich eine Achsenverschiebung
beim Übergang von den bilateralen in den radiären Typus konstatiren
Entw. d. Synapta pag. 30 und 82, 83). Allerdings ist bei den
Holothurien kein so klarer Einblick in diese Verhältnisse zu gewinnen,
da bei ihren Larven sich sämmtliche Theile gegen einander ver-
schieben, und nicht wie bei den Asteriden und Echiniden ein Theil der
Anhänge des Dipleurulastadiums in der alten Achse liegen bleibt, und
man aus dem Winkel, den diese Anhänge mit dem übrigen Thiere
bilden, das Maß und die Art der Verschiebung deutlich ermessen kann.
Auch bietet ihr lockeres, ungeordnetes Skelet keine so guten Anhalts-
punkte, als sie uns die übrigen Klassen liefen. Eine genaue Be-
obachtung wird aber ohne Zweifel ergeben, dass die Dinge hier
prineipiell ganz eben so liegen, wie in den anderen Klassen.
In meiner Synaptaarbeit habe ich auf die Drehung des Achsen-
winkels beim Übergang vom Dipleurula- in das Pentaetulastadium hin-
gewiesen (pag. 82, 83) und auf Görte's Erörterungen (Vergleichende
Entwieklungsgeschichte der Comatula pag. 618—621. Zeitschr. für
mikr. Anatomie Bd. XII, 1876) dieses Punktes aufmerksam gemacht.
In der That ist die Achsendrehung von GÖTTE schon im Jahre 1876
entdeckt und klar ausgesprochen worden. Er hat erkannt, dass
»das linke Antimer ganz deutlich die orale oder Bauchseite des
fertigen Thieres, das rechte Antimer dagegen die konvexe Rücken-
hälfte bildete. »Das Peristom endlich passt sich ohne jede
eigentliche Lageverschiebung den beiden Peritoneal-
schläuchen an, indem um die aborale Leibeshöhle der
Ring der Basalia, um die orale der Ring der Oralia
entsteht.«
In letzteitirtem Satze liegt auch schon die klare Erkenntnis der
ı H. Bury, The early stages in the development of Antedon rosacea.
Philosoph. Transact. R. S. Vol. 179. 1885. pag. 29.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 303
Bedeutung der von CARPENTER genauer studirten Lagebeziehung
zwischen Coelomtaschen und Skeletanlagen. Es drückt sich durch
dieselbe nichts Anderes aus als der Umstand, dass Darm und Coelom
in Beziehung zur Dipleurulaachse des Thieres angelegt werden und
erst sekundär ihre Lage verändern. Das Skelet des Apical- und
Oralpols aber wird, selbst wenn es zum Theil schon im Dipleurula-
stadium auftritt, gleich in der bleibenden Achse angelegt und braucht
daher die sekundiire Verschiebung nicht mitzumachen. »Round the
right enterocoel« bedeutet also so viel als »am späteren Apicalpol «,
»round the left enterocoel« so viel als »am späteren Oralpol«. Aus dem
_ Umstande aber, dass die Skeletelemente des Apicalpols sämmtlicher
Klassen sich gleich um diesen Pol herum entwickeln, und eben so
entsprechend die Skelettheile des Oralpols, folgt natiirlich nichts fiir
die Homologie dieser Theile in den einzelnen Klassen.
Zum Schluss möchte ich noch auf einen Punkt eingehen. In
meiner Synaptaarbeit sage ich: »Die merkwiirdige Drehung des
Achsenwinkels, die sämmtliche Echinodermenlarven beim Übergang
aus der bilateralen in die radiäre Grundform aufweisen, scheint mir
eine gute Erklärung durch die Annahme zu finden, dass die phy loge-
netische Ubergangsform aus bilateralen in radiären Typus fe st-
sitzend war.«
Diese Anschauung möchte ich auch jetzt noch aufrecht erhalten.
Nur möchte ich den Ausspruch: » wahrscheinlich erfolgte die Fixation
auf der Dorsalseite, dem Munde gegenüber« dahin korrigiren, dass
die Entwicklungsgeschichte viel mehr dafür spricht, die Fixation sei
an der rechten Körperseite erfolgt. Natürlich kann es sich bei dieser
Frage nur um eine Vermuthung handeln.
In meiner Synaptaarbeit habe ich mich aus einer Reihe von
Gründen für die Annahme ausgesprochen, den strahligen Bau der
Echinodermen durch die Voraussetzung einer festsitzenden Lebens-
weise ihrer gemeinsamen Stammeltern zu erklären. Ich stellte mir
die Stammform als gestielt vor, fügte aber hinzu: »Damit wird sie
noch nicht im entferntesten zu einer Crinoide; sie ist vielmehr von
dieser Klasse genau eben so weit entfernt, als von den übrigen. «
In weiterer Ausführung dieses Gedankens sagte ich dann (pag. 122):
»Der Umstand, dass der Strahlentypus verschieden stark bei den
verschiedenen Klassen ausgeprägt ist, lässt sich ohne Schwierigkeit
so erklären, dass die Stammeltern der Klassen sich mehr oder weniger
früh abgelöst haben. Die Stammformen der Crinoideen und der Aste-
riden, in welchen beiden Klassen der strahlige Bau die höchste
304 Richard Semon
Ausbildung erreicht hat, müssten demnach geschichtlich am längsten
festgesessen haben. Dies trifft zu, denn in den Crinoidenklassen finden
wir noch heute viele festsitzende Vertreter, und selbst die freilebenden,
wie Antedon, haben gestielte Jugendstadien. Bei Asteriden sind
neuerdings verschiedene Formen bekannt geworden (Caulaster pedun-
culatus Perrier, Ilyaster mirabilis Danielssen und Koren), welche
einen Riickenfortsatz der Scheibe besitzen, der die Vermuthung nahe
legt, dass die Thiere mit diesem Fortsatze in der Jugend an den
Boden festgeheftet gewesen sind. Wie mir Professor E. MARTENS
mittheilt, zeigen oft auch junge Exemplare von Astropeeten kurze
konische Hervorragungen in der Mitte des Scheibenriickens!. Augen-
blicklich lassen sich auf letztere Thatsachen noch keine allzu weit
gehenden Schlüsse bauen, doch ist zu hoffen, dass hier die Ent-
wicklungsgeschichte uns bald sichere Handhaben liefern wird.«
»Sollte sich herausstellen, dass eine Anzahl von Asteriden noch
wirklich gestielte Jugendformen besitzt, so würde die oben vorge-
tragene Vorstellung von der Entstehung des radiären Baues eine
neue Stütze gewinnen. Dass sich bei Echiniden und Holothurien
keine gestielte Pentactulalarven mehr finden, wird dann leicht durch
die auch vergleichend anatomisch postulirte Annahme erklärt, dass
die Stammeltern dieser Klassen sich früher abgelöst haben; bei
ihnen wird das gestielte Stadium nun auch ontogenetisch ganz
übersprungen. «
Ich denke der Sinn dieser Ausführungen ist ein ganz klarer.
Von der Plattenvergleichung, die PERRIER an die Beschreibung des
Caulasterstieles knüpft, findet sich bei mir kein Wort. Dass ich ihr
nicht beistimme, vielmehr auch hier bloße Analogien und keine Ho-
mologien erblicke, wird Jedem selbstverstiindlich sein, der sich die
Mühe genommen hat, das Kapitel über Skeletsystem in der eitirten
Arbeit zu lesen.
Um so unverständlicher ist es, dass NEUMAYR (l. c. 2 pag. 488
Anmerkung) es mir zum Vorwurf macht und es sehr auffallend
findet, dass ich auf den Gegenstand zurückgekommen sei; denn »die
Angaben über das Vorkommen eines gestielten Seesternes (Cau-
laster), der auf ungeahnte Beziehungen zwischen Crinoideen und
! Wie ich mich übrigens neuerdings durch eigene Beobachtungen an leben-
den Astropectiniden überzeugen konnte, sind die konischen Erhebungen am
Rücken der Scheibe, die man häufig bei ausgewachsenen Astropectiniden
wahrnimmt, vorübergehende Zustände, die wohl mit der Nahrungsaufnahme
zusammenhängen.
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 305
Asteriden hinweisen sollte (PERRIER, Comptes rendus. Vol. XCV.
pag. 1379), sind durch die Auseinandersetzungen von H. CARPENTER
widerlegt (Challenger, Bericht pag. 401).«
Schlagen wir die eitirte Stelle nach, so werden wir mit Er-
staunen finden, dass es CARPENTER gar nicht einfällt, irgend etwas
zu widerlegen, was ich, wie man mir zugeben wird, in sehr vor-
sichtiger Weise an oben citirter Stelle zur Stütze meiner Anschau-
ungen benutzt habe. CARPENTER Sagt: » DANIELSSEN and KOREN agree
with PERRIER in regarding it (den Rückenfortsatz jener Seesterne)
as homologous with the stem of a Crinoid, and it would appear that
Acassız is of the thame opinion. It may be that this view of the
case is the right one; but it could only be satisfactory proved to
be so by the demonstration that the cavity of the epiproctal pro-
longation is derived from the right vaso-peritoneal tube. — — —
Future observations upon the early larval stages of the Astropecti-
nidae would throw much light upon this question.«« — — — »lIt
would appear however from the foregoing description that PERRIER’S
comparison of the plates round the dorsal appendage of Caulaster
with those forming the periproct of an Urchin cannot be followed
out in detail.«
Schluss.
Ich habe mich in der vorliegenden Arbeit bemiiht, nachzuweisen,
dass im Stamme der Echinodermen eine ganze Reihe von Organi-
sationseigenthiimlichkeiten offenbar homophyletisch entstanden und
als speciell und komplet homolog zu betrachten sind. Hierher gehört in
seinen Grundzügen das Darmsystem, das Enterocoel, das Wassergefäß-
und Nervensystem. Andere Bildungen wiederum weisen sich bei
' näherer Untersuchung als sehr ähnliche, aber bloß analoge, homo-
plastische Erscheinungen aus; dies betrifft vor Allem viele Theile des
Skeletapparates, bei dem wir in manchen Fällen die allmähliche Aus-
bildung der »homoplastischen« Ähnlichkeit vergleichend anatomisch
verfolgen können.
Eine Reihe von Bildungen lässt sich weder schlechtweg als speciell
homolog, noch auch als analog (homoplastisch) bezeichnen, da die
hervortretende Ähnlichkeit zwar in ihren Grundlagen auf eine homo-
phyletische Entstehung hindeutet, das gemeinsame Erbstück aber so
indifferenter Natur war, dass sich aus ihm in den verschiedenen
Klassen selbständig theils ähnliche, theils auch sehr abweichende
Morpholog. Jahrbuch. 15. 20
306 Richard Semon
Gebilde entwickelt haben. Solche Bildungen bezeichnet man als
allgemein homolog. Hierher gehört die Muskulatur der Eehinoder-
men, die überall aus dem typischen Hautmuskelschlauch stammt, bei
Holothurien, Asteriden und Echiniden größtentheils verschiedene,
zum Theil aber auch einigermaßen übereinstimmende Wege der
Entwicklung eingeschlagen hat. Hierher gehört auch ein Theil des
Wassergefäßapparates und Nervensystems der Holothurien. Sollte es
sich herausstellen, dass die Primärtentakel der Holothurien denjenigen
der übrigen Klassen entsprechen, so würden die Körperwassergefäße
und Nerven der Holothurien eine den Wassergefäßen und Nerven
der übrigen Klassen nur allgemein nicht speciell homologe Bildung
vorstellen. Sollten die Sekundärtentakel der Holothurien den Primär-
tentakeln der übrigen Klassen im Speciellen entsprechen, so würde
das oben Gesagte für die Primärtentakel der Holothurien gelten.
Wie weit wir die Blutgefäßsysteme der verschiedenen Klassen
als allgemein oder speciell homologe oder auch bloß analoge (homo-
plastische) Bildungen aufzufassen haben, ist bei dem Stande unserer
jetzigen Kenntnisse noch unmöglich zu entscheiden. Das Dorsal-
organ, auf dessen Übereinstimmung in deh verschiedenen Klassen
zuerst H. Lupwie hingewiesen hat, ist wahrscheinlich als eine all-
gemein homologe Bildung zu betrachten.
Die vergleichende Anatomie scheint darauf hinzuweisen, dass
die Echinodermenklassen zwar zweifelsohne von einer gemeinsamen
Stammgruppe sich ableiten, dass aber diese Stammgruppe in ihrem
Gesammtbau noch ziemlich indifferente Verhältnisse dargeboten hat,
und dass sich die verschiedenen Klassen von diesem Ausgangspunkte
aus divergent entwickelt haben. Die Entwicklungsgeschichte scheint
die Auffassung zu bestätigen. Die Anschauung von einer frühen
Divergenz der Echinodermenklassen bricht sich mehr und mehr Bahn.
Beinahe gleichzeitig mit meiner Synaptaarbeit, in der ich sie aus-
führlich zu begründen versucht habe, erschien die oben eitirte Arbeit
von P. und F. Sarasin, die einen ganz ähnlichen Standpunkt ver-
tritt. Unsere Arbeiten stimmen in den Grundanschauungen sowohl
als in der Detailbetrachtung so gut überein, dass eine befriedigendere
Ergänzung zweier Arbeiten durch einander, von denen die eine mehr
von vergleichend anatomischen, die andere mehr von entwicklungs-
geschichtlichen Standpunkten ausgeht, kaum gedacht werden kann.
Freilich glauben P. und F. Sarasin die Stammgruppe in der Klasse
der Holothurien wieder zu erkennen. Sie stellen sich aber unter einer
Synapta ein so einfaches Geschöpf vor —- irrthümlicherweise, da ihnen
Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 307
entgangen ist, dass auch bei den Synaptiden wie bei den übrigen
Holothurien sich Sekundärausstülpungen in anderen Radien als die
Primärtentakel bilden, — dass die so vereinfachte Synapta fast auf
dasselbe herauskommt wie meine »pentactulaähnliche Stammform«.
Auch die Übereinstimmung der Echinodermen aller Klassen im Pen-
tactulastadium ist ihnen aufgefallen, nur bezeichnen sie jenes Stadium
nicht ganz korrekterweise als »Holothurienstadium «.
Auch Neumayr ist geneigt, eine sehr frühe Divergenz der Klassen
aus einfachen Stammformen anzunehmen, obwohl er sich dabei die
Echiniden und Asteriden linger und inniger verbunden denkt, als,
wie mir scheint, aus den Thatsachen hervorgeht. Für unberechtigt
halte ich die Anschauung, die Cystideen einfach mit jenen indiffe-
renten Stammformen zu identificiren. Von ihrer inneren Organisation
wissen wir nichts, und was wir vermuthen können, lässt in Bezug auf
das Wassergefäßsystem, bei den meisten auch auf die Muskulatur,
auf einseitig entwickelte Zustände schließen. Dass endlich, selbst
wenn wir nur das Skelet berücksichtigen, die Existenz unzwei-
deutiger oder auch nur wahrscheinlicher Übergangsformen nicht im
entferntesten bewiesen ist, habe ich mich bemüht, in einem Abschnitte
der vorliegenden Arbeit nachzuweisen.
207
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equiden-
gebisses,.
Von
Ernst Klever,
weil. stud. med. vet. des Dorpater Veterinärinstituts,
Herausgegeben von A. Rosenberg.
Mit Tafel XI—XIII.
Es ist allgemein bekannt, dass die unter dem Einfluss der
Descendenztheorie zu erhöhter Bedeutung gelangte Paläontologie
speciell für die Klasse der Säugethiere eine reiche, noch stetig sich
mehrende Fülle von phylogenetisch wichtigen Thatsachen zu Tage
gefördert hat.
Zu denjenigen recenten Säugethierformen, deren Stammesge-
schichte durch die Forschungen zahlreicher Paläozoologen nunmehr
als in ihren Grundzügen festgestellt gilt, gehört im Bereich der heu-
tigen trümmerhaften Reste der vormals so reich entwickelt gewesenen
Unpaarhuferordnung in erster Linie die in der Gegenwart so isolirt
dastehende, durch mannigfache Organisationsbesonderheiten ausge-
zeichnete kleine Gruppe der Equiden.
Das Urkundenmaterial, auf welches die Eruirung der Stammes-
geschichte sich stützt, bilden bekanntlich ganz vorzugsweise Skelet
und Bezahnung, und daher ist speciell die Dentition des Pferdes ein
Thema, womit, um einen Ausspruch von RÜTIMEYER! zu wiederholen,
die Paläontologie immer neu sich wird zu beschäftigen haben.
Bei den zwischen Phylogenese und Ontogenese bestehenden Be-
ziehungen ist das Interesse verständlich, welches die Untersuchung
1 RÜTIMEYER, 3. pag. 14.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 309
der Morphogenese dieser Dentition besitzt, und nur dem Zusammen-
treffen einer Anzahl ungünstiger Umstände ist es zuzuschreiben,
dass hierüber zur Zeit noch so gut wie Nichts bekannt ist, ob-
gleich von mancher Seite, vor Allem von RÜTIMEYER selbst!, das
Interesse, welches diese Frage darbietet, nachdrücklich erörtert und
die Beschaffung von Untersuchungsmaterial in Angriff genommen
worden ist. Der resignirte Ton, in welchem der genannte, hoch-
verdiente Forscher am letzteitirten Ort über den Stand der ganzen
Angelegenheit berichtet, sowie der geraume, seither verflossene Zeit-
abschnitt, ist Veranlassung geworden, durch Stellung einer Preis-
aufgabe zur Bearbeitung des noch immer offenen Themas aufzu-
fordern, und dieser Aufforderung habe ich um so bereitwilliger Folge
geleistet, je zuversichtlicher von vorn herein erwartet werden konnte,
ein Organismus, der beispielsweise im Beginn der Entwicklung seines
schließlich so hoch differenzirten Extremitätenskelets manche sehr
primitive Zustände aufweist, werde auch in seiner Odontogenese noch
mancherlei phylogenetisch bedeutsame Einzelheiten erkennen lassen.
Eine eingehende Untersuchung der Morphogenese des Equiden-
gebisses stößt, wie Eingangs bereits angedeutet, auf mehrfache sehr
erhebliche Schwierigkeiten ?.
Die wesentlichste derselben liegt in der Unmöglichkeit, frisches
Material in beliebiger Menge und aus jedem Stadium zu erhalten;
im Laufe von zwei Jahren (1886 und 1887) habe ich nur vier Em-
bryonen, von denen nur einer der Hauptvorbedingung für erfolgreiche
Fixirung vollkommen entsprach, erlangen können und bin im Übri-
gen auf die Bearbeitung älteren, zumeist in Alkohol konservirt ge-
wesenen Materiales, das zum Theil aus den zootomischen Instituten
der Thierarzneischulen zu München (Prof. L. Franck) und Berlin
(Prof. ©. MÜLLER) herstammte, angewiesen gewesen; nebenher sind
1 RÜTIMEYER, 3. pag. 4,
2 Auf manches allgemeine, in der Natur der Sache begründete Hindernis,
womit schon die makroskopische Untersuchung zu kämpfen hat, ist bereits
durch BoJanus (pag. 697) hingewiesen worden: »De dentium equinorum hi-
storia ... disserentem novaque addere cupientem, actum agere facile dicas.
Ea tamen est rerum in dentitione animalium ubertas, adeo abscondita vel fu-
gacia sunt formationum, per annorum spatia succedentium, vestigia, tam ope-
rosa demum longae phaenomenorum seriei indagatio, ut vel oculatissimos viros
singula passim effugiant.« cf. auch die Bemerkungen bei PoucHEr und CHA-
BRY, pag. 149, 150.
310 Ernst Klever
auch einige im hiesigen Zootomieum befindliche Frontalschnittserien
von mir benutzt worden.
Eine zweite Schwierigkeit ist technischer Natur: für die bei der
Zahnentwicklung in Betracht kommenden, zum Theil sehr lockeren
Gewebe scheint eine vollkommen zuverlässige Fixirungsmethode,
mit der am frischen Objekt Epithelabhebungen und Bildung von
Schrumpfungsräumen sicher zu verhüten wären, zur Zeit nicht be-
kannt zu sein, wie aus der Durchsicht der Tafeln zu den verschie-
denen Publikationen über Odontogenese! sich ergiebt. Als Fixir-
flüssigkeit habe ich ausschließlich ein Chrom-Pikrinsäuregemisch
benutzt und damit namentlich beim Embryo D, den ich allerdings
unmittelbar aus dem eben getödteten Thier erhielt, ein recht be-
friedigendes Resultat gehabt; bei erneuten Versuchen würden nament-
lich auch Chrom-Osmiumsäure?, Sublimat und Platinchlorid zu ver-
wenden sein.
Ein weiteres Hindernis wird durch den Umstand bedingt, dass
die Orientirung der embryonalen Zahnanlagen in frühen Stadien im
Allgemeinen erheblich von den späteren Lagerungsbeziehungen ab-
weicht, und dass die Werthe dieser Abweichungen für jede einzelne
Zahnanlage verschieden ausfallen; es kann desshalb z. B. ein fü-
taler Unterkiefer bei einer Schnittrichtung, die D, im Querschnitt
erscheinen lässt, D, im Längsschnitt getroffen zeigen. Die durch
diese Verhältnisse veranlassten Nachtheile werden, wie leicht er-
sichtlich, um so fühlbarer, je weniger Material überhaupt zur Ver-
fügung steht.
Schließlich ist namentlich für ältere Stadien, vom Misslichen
der Entkalkungsproceduren ganz abgesehen, schon die Größe der
Objekte ein die Untersuchung sehr erschwerendes Moment, da ge-
nauere Aufschlüsse natürlich nur von der Methode der Schnittserien
erwartet werden können.
In Betreff der Untersuchungsmethode wäre noch anzuführen,
dass die schnittfähig gemachten und meist in Lithion- oder Alaun-
karmin gefärbten Objekte (Kiefer resp. Kieferstücke) auschließlich in
Celloidin eingebettet wurden, welches Medium mir namentlich bei
der Untersuchung älteren Alkoholmateriales, wo die Schmelzorgane
total zertriimmert waren, während die Dentinkeime nicht erheblich
1 cf. z. B. ANNELL, Fig. 1, 2, 4; MORGENSTERN, Fig. 2, 15, 20—24, 27;
Bruyn, Fig. 1—3, 5, 6.
9
2 cf. SPEE, pag. 89, 90.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 311
geschrumpft und deformirt erschienen, die betreffenden Objekte so-
mit also noch durchaus der Bearbeitung werth waren, die wesent-
lichsten Dienste geleistet hat. Selbstverständlich ist besonders bei
voluminöseren Objekten thunlichst darauf geachtet worden, dass Ent-
‘wisserung wie Imbibition möglichst vollständig geschahen und dass
bei der Erhärtung des Celloidins die Bildung von Vakuolen in den
Gewebslücken vermieden wurde. Die Schnittserien wurden mit dem
großen THoma’schen Schlittenmikrotom hergestellt; das Aufkleben
der Schnitte, deren Stärke durchschnittlich 0,05 mm betrug, auf die
Objektträger wurde durch absoluten Alkohol, die Aufhellung durch
Origanumöl bewirkt, und sodann in Kanadabalsam eingeschlossen.
Als die komplieirtesten Zahngebilde des Pferdes beanspruchen
hinsichtlich der Verfolgung ihres Entwieklungsmodus das Haupt-
interesse naturgemäß die transitorischen und definitiven oberen
Backenzähne, also die Milchprämolaren (D), Prämolaren (P)' und
Molaren (M) des Oberkiefers, — dem selenozygodonten Subtypus
angehörende Prismenzähne, die hinsichtlich ihrer Konfiguration im
Allgemeinen so viel Übereinstimmung zeigen, dass für sie bekannt-
lich im Großen und Ganzen die Formel D = P = WM gilt?. Die
Formeigenthümlichkeiten der ausgebildeten oberen Backenzähne im
Allgemeinen, sowie die Umstände, welche für die differentielle und
seriale Diagnose der einzelnen Zähne einer jeden der genannten
Kategorien in Betracht kommen, sind in zahlreichen umfassenden
Untersuchungen eingehend erörtert worden und desshalb ist es nicht
erforderlich, die Ergebnisse dieser Analysen hier zu reprodueiren.
Über die Entwicklung dieser Zahngebilde ist, von Bemerkungen
1 Für obere wie untere D und P wird der Hrnser’sche, mit Recht trotz
mancher Einsprache (cf. z. B. Tuomas, pag. 459) immer weitere Verbreitung
findende Zählungsmodus (cf. HEnsEL, 1. pag. 78—80) angewendet werden.
Zugleich sei voraus bemerkt, dass im Allgemeinen die Unterscheidung oberer
Zähne von unteren einfach durch die Verschiedenheit im Zifferniveau, und nur
für Cd und C durch die Lage des horizontalen Striches erfolgen wird. (M3 =
dritter Oberkiefermolar, M3 = dritter Unterkiefermolar ; Cd = oberer, und Cd =
unterer Milchcaninus.)
2 ef. RÜTIMEYER (2. pag. 582—584) und KowALEvsKY (2. pag. 203, 204).
3 ef. vor Allem die Arbeiten von RÜTIMEYER (2. pag. 573—576, 648—650,
676, 677; und 3. pag. 10—12, 15—17, 19, 20); sodann namentlich HENSEL (1.
pag. 81—88, 90), Owen (1. pag. 573, 574; 2. pag. 340—342; 3. pag. 536, 537),
BURMEISTER (1. pag. 239—244; 2. pag. 49—51) und Branco (pag. 46—52, 55
—57); Einzelheiten auch bei BARALDI.
312 Ernst Klever
über noch nicht in Usur getretene »Keimzähne« mit nahezu definiti-
ven Formen abgesehen!, zur Zeit noch so gut wie nichts veröffent-
licht worden; die Notizen, welehe BArRALDI über frühere Entwick-
lungsstadien bringt, laufen auf die Angabe hinaus, die Form des
ursprünglich kugeligen Schmelzkeimes »prende presto il carattere
del dente futuro«?, — dann allerdings wäre es vergebliche Mühe,
sich mit Morphogenese der Zähne befassen zu wollen —: sodann
wird zur Schilderung dieser Form der schon häufig gebrauchte Ver-
gleich mit einem B benutzt, die Dürftigkeit der Baraupr'schen Be-
obachtungen ist mithin evident. In der vergleichend-odontogenetischen,
auch auf Equiden sich beziehenden Untersuchung von PoUCcHET und
CHABRY wird des Verhaltens der Oberkieferbezahnung überhaupt
nicht Erwähnung gethan*, welcher Umstand, beiläufig bemerkt, allein
schon darthut, dass den Verfassern die Verfolgung der Morphogenese
des Equidengebisses fern gelegen hat.
Aus mehrfachen, naheliegenden Gründen wäre es mir nicht
möglich gewesen, sämmtliche D, P und M gleich eingehend in Be-
zug auf ihre Entwicklung zu untersuchen. Hinsichtlich der Beant-
wortung der Frage, welcher der drei Zahngruppen das Vorrecht
gebühre, konnte es nicht zweifelhaft sein, dass zunächst und vor
Allem die D-Kategorie in Betracht zu kommen habe, da bekannt-
lich gerade das Milchgebiss, wie namentlich von RÜTIMEYER in seiner
grundlegenden vergleichend-odontologischen Arbeit? dargethan wor-
den, im Allgemeinen durch hochkonservative Higenthiimlichkeiten
sich auszeichnet, und desshalb bei allen Untersuchungen über Des-
cendenz in erster Linie Berücksichtigung erfordert. Mit Sicherheit
musste daher erwartet werden, dass transitorische Rekapitulationen
1 RÜTIMEYER, 2. und 3., passim; HANNOVER (pag. 851), BURMEISTER (1.
pag. 239, 240), GOUBAUX und BARRIER (pag. 712, 717—719), sowie BARALDI,
passim.
2 BARALDI, pag. 348.
3, Mittheilungen über die Entwicklung des definitiven Gebisses werden von
POUCHET und CHABRY (pag. 165) allerdings in Aussicht gestellt, diese Mitthei-
lungen sind aber bisher nicht erschienen und werden zudem wohl auch nur
Unterkieferzähne betreffen und auf Frontalschnitte basirt sein.
4 RUTIMEYER, 2. passim, cf. bes. pag. 634, 642, 643; auf eine Diskussion
der namentlich von THOMAS (pag. 451 sqq.) über das Milchgebiss entwickelten
Anschauungen kann nicht weiter eingegangen werden. Welches Interesse und
welche Tragweite odontogenetische Befunde unter Umständen besitzen können,
ergiebt sich, um ein konkretes Beispiel anzuführen, genugsam schon aus den
Erörterungen, welche an die hochinteressante Konstatirung einer transitorischen
Bezahnung bei Ornithorhynchus durch PouLTox geknüpft worden sind.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 313
aus der Stammesgeschichte am ehesten im Verlauf der Entwicklung
der D-Kategorie sich würden auffinden lassen.
Zuvörderst wirft die Frage sich auf, ob Thatsachen beobachtet
worden, die für die Kontroverse über die Herkunft des zygodonten
Typus, als dessen Specialisirung die selenozygodonte! Zahnform er-
scheint, von Belang wären.
Nachdem bereits Macrror die Ansicht vertreten, dass überhaupt
jeder Dentinkeim während einer gewissen Zeit nach bunodontem
Typus geformt sei?, haben bekanntlich besonders CoPE®, SCHLOSSER!
und Osporn® die Anschauung verfochten, dass der zygodonte Typus
kein primärer ist, sondern aus dem phylogenetisch älteren buno-
donten Typus sich herleitet; Außenwand wie Joche sind erst durch
Verschmelzung und Umformung von Höckern zu Stande gekommen;
der Jochzahn ist mithin ein Derivat des Höckerzahnes und speciell
für die Oberkieferbezahnung ist der Dreihöckerzahn als Grund- und
Ausgangsform anzusehen. Das Gewicht der Gründe für diese An-
schauungsweise wird man um so bereitwilliger anerkennen, als
neuerdings RÜTIMEYER selbst, im Anschluss an die Mittheilung seiner
Entdeckung, dass ehemals auch unter europäischen Ungulaten Tritu-
bereulie (Trigonodontie) repräsentirt gewesen, die betreffenden Um-
formungsvorgänge erörtert und die Wege aufgedeckt hat, auf denen
Trigonodontie in Zygodontie übergehen kann °.
So groß nun aber auch nach dem Vorausgeschickten die Wahr-
scheinlichkeit ist, dass ein Höckerzahnstadium sich werde nachweisen
lassen, so dispensirt sie doch keineswegs von der direkten Unter-
suchung ; es sind eben in Bezug auf Zahl und Anordnung der Hicker
außerordentlich verschiedene Kombinationen unter fossilen Säuge-
thieren verwirklicht gewesen? und auch innerhalb der weiten und
in mehreren Säugethierordnungen stark oder ausschließlich vertreten
gewesenen Formengruppe der Tritubereulie® ist so viel Spielraum
1 Obige Bezeichnung besitzt vor der von SCHLosSER (1. IX. pag. 252;
2. pag. 33) angewendeten den Vorzug, dass sie sich näher an die Terminologie
von RÜTIMEYR (2.) und KOWALEVSKY (2.) anschließt, als der Ausdruck »sele-
nolophodont« es thut.
2 MAGıToT, pag. 270—272.
3 CopE, 2. pag. 324—326, 4. passim und an zahlreichen anderen. Orten.
4 SCHLOSSER, 1. VIII. pag. 686, 2. pag. 100—102, 122, 123.
5 OSBORN, 1. pag. 242 und 2. pag. 1067 sqq.
6 RÜTIMEYER, 4. pag. 40, 41, 43, 48—51, 54—57, 60, 61.
7 ef. besonders Cope, 4. passim, und OSBORN, 1..passim.
8 OSBORN, 2. pag. 1068, 1078, 1079.
314 Ernst Klever
für Differenzirung gegeben, dass für jeden Einzelfall genaue An-
gaben des ontogenetischen Befundes ganz unerlässlich bleiben. Solche
Angaben zu machen, gestattet mein Material mir leider nicht: der
jüngste Embryo repräsentirt ein zu frühes Stadium!; einige andere,
etwas ältere Objekte kommen wegen durch Schrumpfungen bedingter
Entstellung der Dentinkeime? nicht in Betracht, und der Embryo D
zeigt bereits ausgeprägt-zygodonten Typus. Ich muss es mithin un-
entschieden lassen, ob ein bunodontes, an die Phenacodusbezahnung *
erinnerndes Stadium ontogenetisch vom Pferde durchlaufen wird
oder nicht.
Beim Embryo D, für den ich hinsichtlich der interessanten to-
pographischen Beziehungen der D-Kategorie auf die Fig. 2 ver-
weise, ist, wie eben erwähnt, der zygodonte Typus bereits deutlich
ausgeprägt und am vollständigsten in den Formverhältnissen des
Dentinkeimes von D? ausgesprochen; es ist desshalb zweckmäßig,
mit der Erörterung des Verhaltens der Anlage von D? zu beginnen.
Der betreffende Dentinkeim, der schon makroskopisch sich sehr deut-
lich markirt, hat einen erheblichen Umfang, durch den er nament-
lich D! bedeutend übertrifft; dagegen ist die Höhe der ganzen Zahn-
anlage noch sehr gering, denn die Niveaudifferenz der Fig. 1 a und
1 7 beträgt, auf den nicht vergrößerten Zahn bezogen, nur etwas
mehr als 1 mm.
Die Außenloben, besonders der vordere, zugleich höhere (Fig. 1 a),
sind von bedeutender Stärke und zum Theil mit einander zur Außen-
wand verschmolzen. Dass ein Vorjoch in früheren Stadien angelegt
1 Das betreffende Stadium (eine Frontalschnittserie), in welchem die
Schmelzorgananlagen von einer diffusen Bindegewebswucherung umschlossen
werden, bestätigt frühere, für andere Objekte gemachte Angaben von Dursy
und widerlegt die Anschauungen von Rosin und MAGıITor (III. pag. 30) und
LEGROS und Maairor (pag. 463—465), wonach der bereits ausgebildete Den-
tinkeim erst nachträglich die zur allmählichen Umwachsung des Schmelzorgans
bestimmten Bindegewebsschichten der späteren Zahnkapsel entsendet.
2 Nach Brunn (pag. 367, 381) ist die Zahnform in erster Linie durch das
Schmelzorgan bedingt, und eine allgemeine Funktion dieses letzteren. Auf
Grund meiner eigenen Erfahrungen kann ich mich nur der von HANNOVER
(pag. 841, 842) und WALDEYER (pag. 341, 342), sowie von DEBIERRE und PRA-
vaz (pag. 46, 50) vertretenen Anschauung, nach welcher der Dentinkeim das
hauptsächlichste formbildende Prineip darstellt, anschließen. Über zahlreiche
Mitosen im wuchernden Dentinkeim berichtet CANALIS (pag. 187, 188).
3 cf. Core, 4. pag. 438, 439, 488, 489; Taf. LVII 6 Fig. 1, Taf. LVII ¢
Fig. 1, Taf. LVII f Fig.’ 8; ScaLosser, 1. IX. pag. 252, 253; 2. pag. 11, 120,
123 und PAvLow, I. pag. 365, 371.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 315
gewesen, lässt sich nur aus dem Verhalten des Nachjochs folgern;
zur Zeit finden sich an seiner Stelle (cf. bes. Fig. 1 e bis 1 %) der rela-
tiv sehr starke vordere Zwischenlobus und der mächtige, kegelförmige
vordere Innenpfeiler, deren Spitzen beträchtlich divergiren (Fig. 1 d),
während die Basalpartien beider Gebilde um so mehr mit einander
vereinigt erscheinen, je tiefer das Querschnittniveau liegt (cf. Fig. 1 h
bis 1 A). Der vordere Zwischenlobus ist im Querschnitt eher abge-
flacht elliptisch als halbmondförmig, größtentheils mit dem vorderen
Außenlobus verschmolzen und nur an seiner Spitze wird er frei:
dem entsprechend ist auch die fast geradlinig verlaufende erste An-
lage der späteren vorderen Marke noch sehr seicht und in sagittaler
Richtung noch nach beiden Seiten hin offen (ef. Fig. 1 e, 1 f).
Das Nachjoch geht aus dem Bereich des vorderen Außenlobus
ab (Fig. 1 f, 1 g), ist verhältnismäßig schwach und niedrig und
stellt eine etwas gekrümmte Platte dar, wodurch die hintere Marke,
deren Vorderhorn gut ausgebildet ist (Fig. 1 f, 1 9), Halbmondform
gewinnt; nach rückwärts ist die betreffende Marke noch offen (Fig. 1 A,
1 7). Außerdem kommt es durch Zusammenfließen der Basis des
vorderen Innenpfeilers mit dem Nachjoch auch noch zur Bildung
einer vorderen inneren Marke (Fig. 1 4); hierauf soll später noch
etwas näher eingegangen werden.
Durch die relativ kolossale Entwicklung des vorderen Innen-
pfeilers und die schwache Ausbildung des Nachjoches wird der Ge-
sammtkontour des Dentinkeimquerschnittes nahezu dreieckig (Fig. 1 4
bis 1 4). Die tiefste Basalzone des Dentinkeimes, die als einheitliche
Masse erscheint, ist deutlich verjüngt (Fig. 1 2).
Das Interesse, welches die eben skizzirten Formzustände bean-
spruchen, wird ersichtlich, wenn man sich den Dentinkeimquerschnitt
der Fig. 1 A durch die Usurfläche eines gleichgeformten, bereits
funktionirenden Zahnes ersetzt denkt, und letzteren sodann mit D?
in Fig. 4 einerseits, und mit dem Zahn der Fig. 3 andererseits,
konfrontirt; das Resultat einer solchen Vergleichung kann nicht
zweifelhaft sein. Mit anderen Worten: würde die Zahnanlage, deren
Querschnitt in Fig. 1 % vorliegt, ihre derzeitige Konfiguration un-
verändert beibehalten, so müsste daraus ein Zahn resultiren, der
von derjenigen Form, die er im Lauf seiner Weiterentwicklung
faktisch erlangen wird (Fig. 1 4 und 4 betreffen eben einen und
denselben Zahn des Pferdes, D2), sehr erheblich abweicht, während
er den Formeigenthümlichkeiten des Zahnes der Fig. 3 in allem
Wesentlichen sich anschließt.
316 Ernst Klever
Aus den durch Fig. 1 veranschaulichten Beobachtungen ergiebt
sich somit, dass D? des Pferdes in einem gewissen Entwicklungs-
stadium mit den Molaren der älteren, noch vier relativ einfache P
besitzenden Paloplotherien! übereinstimmt.
D! und D® zeigen in auffallendem Grade die Eigenthiimlich-
keiten, die Schlusszähnen ausgedehnter Zahnreihen zukommen können;
an D! fehlt das Nachjoch, und der hintere Außenlobus steht an Um-
fang weit hinter dem vorderen zurück, während umgekehrt bei D?
das Nachjoch außerordentlich stark ausgebildet ist und an Masse
die Vorjochanlage bei Weitem übertrifft; der vordere Außenlobus
von D® erstreckt sich keilförmig nach vorn. D! ist etwa nur halb
so groß wie D?; das mit dem vorderen Außenlobus in kontinuir-
lichem Zusammenhange stehende Vorjoch von D! scheint fast ganz
dem Gebiet des vorderen Innenpfeilers anzugehéren. D3, dessen
Volumen nur wenig hinter D? zurückbleibt, zeigt die hintere Marke
bereits geschlossen; die Anlage seines Vorjochs ist, nach der Ge-
websbeschaffenheit zu schließen, erst kürzlich aufgetreten und scheint
gleichfalls vorzugsweise den vorderen Innenpfeiler zu repräsentiren.
Für spätere Entwicklungsstadien der oberen Milchprämolaren
beschränke ich mich auf Bemerkungen über die Befunde beim Em-
bryo e; letzterer, dessen Größe und Entwicklungsstufe aus der Fig. 7
beurtheilt werden kann, zeigt eine derartige Differenz in der Aus-
bildung der Anlagen von D! und D? (vgl. Fig. 8 mit Fig. 9), dass
hieraus dem Untersucher der Vortheil erwächst, an einem und dem-
selben Objekt zwei verschiedene Stadien beobachten zu können.
Der Größenunterschied der beiden Zahnanlagen ist schon makro-
skopisch leicht konstatirbar (ef. Fig. 7); in späteren Stadien über-
holt bekanntlich D! seinen Nachbar namentlich in der Sagittaldimen-
sion, und auch jetzt schon lässt sich nicht verkennen, dass die
Anlage von D! im Vergleich zu D? des früher besprochenen Sta-
diums vorwiegend in sagittaler Richtung ausgebildet ist; für den
vorderen Innenpfeiler, der bis in die Nähe seiner Spitze mit dem
vorderen Zwischenlobus verschmolzen erscheint, resultirt hieraus eine
mehr elliptische Form des Querschnittes (Fig. 8 &—f). Das an
seiner Basis sehr starke Nachjoch ist dem hinteren Außenlobus eng
angeschlossen und erscheint noch einheitlich; zur First hin isolirt
1 cf. bes. GAUDRY, 2.; seiner Fig. 3 auf Taf. X, die volle P-M-Reihe des
von ihm aufgestellten Paloplotherium codiciense zeigend, ist der in meiner
Fig. 3 kopirte Zahn, ein rechter M3, entlehnt.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 317
sich das Nachjoch von der Außenwand (Fig. 8 e, 5). Hinsichtlich
des Verhaltens der Markenbildung und anderen Details darf wohl
auf die Fig. S verwiesen werden.
Was D2 (Fig. 9 a—h) anbetrifft, so wäre. zunächst zu erwähnen,
dass der Gesammtumriss der ganzen umfangreichen Anlage nicht
mehr dreieckig, sondern nahezu pentagonal erscheint. Die Außen-
loben sind nur im Basaltheil der Zahnanlage noch sehr plump ge-
formt, während in der Richtung zu den Firsträndern hin das spätere
Relief der Außenwand sich schon ziemlich deutlich zu erkennen
giebt (vgl. Fig. 9 2 mit 9 d oder c). Der vordere Zwischenlobus ist
derart mit dem vorderen Außenlobus vereinigt, dass die vordere
Marke nur ein ganz seichtes Vorderhorn entwickeln kann (Fig. 9 0);
seine Firstregion ist durch einen weiten Abstand vom vorderen
Außenlobus getrennt (Fig. 9 a). Der an seiner Basis im Querschnitt
nahezu elliptische, noch immer relativ sehr mächtige vordere Innen-
pfeiler nimmt in der Richtung zur Spitze hin eine eckigere Form an,
zugleich isolirt er sich und seine Spitze liegt schließlich in beträcht-
lieher Entfernung vom vorderen Zwischenlobus (Fig. 9 a). Hinsicht-
lich des Nachjochs ist zu bemerken, dass dasselbe bereits in hin-
teren Zwischenlobus und hinteren Innenpfeiler differenzirt ist, die
zum Firstrande hin sich endlich völlig von einander trennen (Fig. 9 5;
ef. auch Fig. 5, wo der hintere Innenpfeiler von D® noch weit mehr
isolirt ist).
Das meiste Interesse beanspruchen die Marken; in den basalen
und mittleren Zonen der Zahnanlage sind drei, die vordere, die
hintere und eine vordere innere Marke nachzuweisen (Fig. 9 A—f);
die letztere, die schon frühzeitig angelegt wird (Fig. 1 4), ist vor-
zugsweise wichtig, da sie eine transitorische Bildung darstellt, wie
der Vergleich mit stark abgetragenen D? lehrt, für deren vorderen
Innenpfeiler die Tendenz, mit dem hinteren Zwischenlobus zusam-
menzufließen, sich nicht mehr beobachten lässt (ef. Fig. 4 "52" ]); zu-
gleich besitzt sie, worauf später noch zurückzukommen ist, auch
phylogenetisches Interesse. An der Erzeugung dieser Marken ist
der in den betreffenden Niveaus mit dem hinteren Innenpfeiler voll-
kommen verschmolzene hintere Zwischenlobus am meisten betheiligt;
verfolgt man denselben in der Richtung zur Zahnbasis hin, so er-
kennt man, dass er, immer mehr an Volumen zunehmend, Ausläufer
aussendet, die sich mit ihnen entgegenstrebenden Vorsprüngen des
hinteren Außenlobus, des vorderen Außenlobus in der Nähe der Ver-
bindungsstelle der beiden Außenloben, des vorderen Zwischenlobus
318 Ernst Klever
und des vorderen Innenpfeilers vereinigen (cf. Fig. 9 f) und da-
durch schließlich den vollkommenen Abschluss der Marken zu Wege
bringen (Fig. 9 g, 4).
Macht man nun wiederum die Annahme, das Querschnittsbild
der Fig. 9 g wäre durch Usur eines in Funktion stehenden Zahnes
erzeugt, so hätte man einen Equidenzahn, der durch außerordentlich
einfache, halbmondförmige vordere und hintere Marken ohne alle
Fältelung, bei überwiegender Ausbildung der einander zugekehrten
Hörner dieser Marken, sowie namentlich durch die Anwesenheit einer
vorderen Innenmarke ausgezeichnet ist, und in allen diesen Be-
ziehungen eine bemerkenswerthe Übereinstimmung mit den Zähnen
des Leıpy’schen Merychippus! erkennen lässt; in dem beobachteten
Verhalten liegt mithin eine empirische Stütze für die Anschauung
von SCHLOSSER? und CrAus?, dass Merychippus zu den direkten
Vorfahren der Pferdegruppe gehöre. |
Mit dem Hipparionzahn, wo bekanntlich die Markenfältelung
außerordentlich komplieirt werden kann, und wo der vordere Innen-
pfeiler bis zu sehr tiefem Niveau isolirt bleibt*, stimmt das be-
treffende Entwicklungsstadium von D? des Pferdeembryo nur in sehr
wenigen Beziehungen überein.
Die Anlage von D*? (Fig. 10 a—c), die gleichfalls eine vordere
Innenmarke, sowie einen isolirten hinteren Innenpfeiler (Fig. 10 a}
besitzt, zeichnet sich noch dadurch aus, dass sie einen kleinen
accessorischen Außenlobus entwickelt hat (Fig. 10 a). Letzterer Be-
fund bestätigt somit die Angaben von Lerpy® und LyDEKKER® über
den komplieirteren Bau von D> resp. P? bei Equiden, wobei indess
die offenbar sehr bedeutende Variationsbreite des betreffenden Ver-
haltens nicht außer Acht zu lassen ist; so gelangt nach Leipy in
seltenen Fällen auch noch ein accessorischer Zwischenlobus zur Aus-
bildung; in der LYyDEKKER’ entlehnten Fig. 5 meiner ersten Tafel
erscheint an D® eines Hipparion außer dem accessorischen Außen-
lobus besonders noch die accessorische Marke mit charakteristischer,
1 LEIDY, 2. pag. 292—302; Taf. XVII (cf. bes. Fig. 5 und 9).
2 SCHLOSSER, 2. pag. 14, 15.
3 CLAUS, pag. 834.
4 cf. namentlich MEvYER, Kaup, HENSEL (1), RÜTIMEYER (2), GAUDRY (1.
pag. 222, 230, 231 und 3. pag. 34, 37), Lerpy (2) und LYDEKKER (1).
5 LEIDY, 2. pag. 258.
6 LYDEKKER, 1. pag. 77.
7 ef. LYDEKKER, 1. Taf. XI Fig. 2.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 319
deutlich ausgeprägter Verschiedenheit in der Stärke des Schmelz-
bleches entwickelt; an anderen Objekten dagegen ist nahezu völlige
Reduktion zu konstatiren, es scheint sich somit D? resp. P3 analog
zu verhalten wie etwa JZ, von Bos in Bezug auf seinen Talon.
Über die Entwicklung von Dt, welcher Zahn keineswegs immer
ein »winziges Rudiment« oder »kleines Stiftehen« darstellt, wie
BAUME? angiebt, sondern manchmal noch relativ sehr stark und mit
komplicirter Marke versehen sein kann’, fehlen mir Erfahrungen;
die Anlage scheint relativ sehr spät zu erfolgen, welcher Umstand
indess noch nicht zum Schluss berechtigt, den in Rede stehenden
Zahn mit NEHRING! u. A. als P! anzusprechen.
Die Entwicklung der P- und M-Kategorie ist ununtersucht ge-
blieben; dass namentlich in Betreff der Molaren interessante Befunde
zu erwarten wären, ergiebt sich schon aus der Form der durch die
Anlagen von M* (beim etwa viermonatlichen Füllen) und M?3 (beim
etwa 1'/,jahrigen Füllen) im Kiefer erzeugten Usuren.
Trotz dieser sehr erheblichen Untersuchungslücken erscheint es
gleichwohl gerechtfertigt, einige bisher noch nicht erwähnte Schluss-
folgerungen aus dem für die D-Kategorie Konstatirten auch auf die
beiden anderen Zahngruppen zu übertragen, weil eben, wie Eingangs
bereits hervorgehoben, die Maxillarbezahnung des Pferdes, die tran-
sitorische sowohl wie die definitive, aus im Großen und Ganzen
identisch geformten Zahngebilden sich zusammensetzt. Verallge-
meinerungen liegen desshalb sehr nahe, denn Niemand z. B. wird
behaupten wollen, dass etwa der vordere Innenpfeiler eines P
oder M anders zu deuten wäre als der gleichnamige Bestandtheil
eines D; hinsichtlich dieser verallgemeinerten Schlussfolgerungen
gedenke ich mich übrigens im Wesentlichen auf einige Bemerkungen
über die Innenpfeiler als die in systematischer Beziehung wichtig-
sten5 Gebilde zu beschränken. :
1 ef. RÜTIMEYER, 1. pag. 133.
2 BAUME, pag. 219, 235.
® cf. HENSEL (1. pag. 86—88) und NEHRING (1. ag. 33; 2. pag. 48); vgl.
auch D4 in Fig. 5.
4 NEHRING, 1. pag. 33; 2. pag. 49; 3. pag. 91.
5 Betreffs der mannigfaltigen Zustände, die speciell der vordere Innen-
pfeiler der verschiedenen fossilen und recenten Equiden in Bezug auf seine
Form und auf den Grad von Isolirung aufweisen kann, cf. bes. HENSEL (1);
RÜTIMEYER (2. pag. 676; 3. pag. 11, 12, 16, 17, 21); Owen (4); BURMEISTER
(2); Gaupry (1, 3, 4); Lerpy (2, 3); MAJorR (1, 2); Cope (3. pag. 9, 10; 5.
pag. 1209); BRAnco und LYDERKER (1, 3). Die Extreme in dieser Beziehung
320 Ernst Klever
Aus meinen Beobachtungen ergiebt sich zunächst das Unzu-
treffende der von MAJor! und KOwALEVSKY? vertheidigten Anschau-
ung, der zufolge beide Innenpfeiler der Equiden recente Bildungen
darstellen und wonach speciell der vordere Innenpfeiler, der nach
KOWALEVSKY (pag. 220) »absolut gar nichts mit dem typischen Bau
des Zahnes zu thun hat«, bei Anchitherium noch gar nicht vorhan-
den ist oder höchstens als Basalwarze erscheint; an der namentlich
von OwEN? und GAuprY* vertretenen Deutungsweise ist mithin
durchaus festzuhalten. |
In den schärfsten Gegensatz zu den MAsor-KOWALEVSKY’schen
Ansichten treten die Anschauungen von OsBoRN?, gleichfalls vorzugs-
weise durch Untersuchung fossilen, allerdings noch weit umfassenderen
Materiales gewonnen; ihnen zufolge bildet der vordere Innenpfeiler,
der Protoconus nach der Osporn’schen Terminologie, gerade den phy-
logenetisch ältesten Bestandtheil des gesammten Zahnkörpers. Die
Befunde an D! und D? des Embryo D sind dieser Anschauung min-
destens nicht absolut ungünstig; positivere Anhaltspunkte wären
selbstverständlich nur von der Untersuchung jüngerer Stadien zu
erwarten.
Aus meinen Erfahrungen folgt ferner, dass es irrig wäre, mit
SCHLOSSER® sämmtlichen Equiden Innenpfeiler von gleicher Größe
zuzuschreiben. Die Größendifferenz ist vielmehr von vorn herein
vorhanden und ursprünglich sogar weit bedeutender als in späteren
Stadien; im Übrigen ist diese Differenz speciell bei Equus auch im
völlig ausgebildeten Gebiss noch so stark, dass von manchen Auto-
ren die Bezeichnungen »großer« und »kleiner« Innenpfeiler bevor-
zugt werden (WOLDRICH und WILCKENS berücksichtigen den hinteren
Innenpfeiler überhaupt nicht); CopE”? hat auf diese Differenz hin eine
repräsentiren einerseits die Hipparien mit bis gegen die Basis hin isolirtem
vorderen Innenpfeiler, dessen Querschnitt manchmal kreisförmig erscheint (cf.
DEPERET, pag. 188), und andererseits Formen wie Eq. namadicus (ef. LYDEK-
KER (1. pag. 93; Taf. XIV Fig. 3) und Eq. major? (ef. Leipy, 3. pag. 246;
Taf. XXXII Fig. 18), wo der mit dem vorderen Zwischenlobus fast in ganzer
Höhe verschmolzene vordere Innenpfeiler in sagittaler Richtung außerordentlich
stark entwickelt ist und recht erhebliche Fältelung aufweisen kann.
1 Magor, 1. pag. 109 und 2. pag. 7.
2 KOWALEVSKY, 2. pag. 220, 221, 264, 265.
3 OWEN, 3. pag. 537.
4 GAUDRY, 4. pag. 128, 129.
5 OSBORN, 1. pag. 242; 2. pag. 1072,
6 SCHLOSSER, 2. pag. 11.
7 CoPE, 4. pag. 715; 6. pag. 1073.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 321
Eintheilung der Familie der Equiden im engeren Sinne (nach Aus-
schluss von Hipparion und anderen, von Core den Palaeotherien
zugetheilten Geschlechtern), in Equus einerseits und Hippidion an-
dererseits vorgenommen.
In Bezug auf die Konfluenz des vorderen Innenpfeilers mit
Nachjoehbestandtheilen und die dadurch bedingte Bildung einer vor-
deren Innenmarke ! ließe sich erwarten, dass in seltenen Fällen die-
ser in der Regel transitorische Vorgang persistiren werde; ein der-
artiges Verhalten wäre als Rückschlag aufzufassen und mithin eben
so zu beurtheilen, wie wenn es sich etwa um eine nicht unter-
brochene Ulna oder Fibula handelte.
Was die Entwicklung der transitorischen Schneidezähne und der
Mileheaninen, der oberen sowohl wie der unteren, anbelangt, so
liegen mir hierfür hauptsächlich jüngere Stadien vor, die verhält-
nismäßig wenig Interesse darbieten. Aus der Fig. 6 lässt sich das
Verhalten ersehen, welches die Zwischenkieferregion des Embryo D
in dieser Beziehung zeigt; der Unterschied in der Größe und Aus-
bildung der einzelnen Schmelzorgananlagen ist relativ unerheblich,
obgleich der Ausbruch der einzelnen Zähne bekanntlich in bedeuten-
den Zeitintervallen erfolgt. Die Abstände der Anlagen von einander
sind verhältnismäßig groß; Cd liegt auf der Grenze zwischen Ober-
und Zwischenkiefer.
Besonders bemerkenswerth erscheint mir eine auch in Fig. 6
sichtbare, wie eine Schmelzorgananlage aus frühen Stadien sich aus-
nehmende Wucherung des Schmelzkeimes, welche vielleicht als die
rudimentäre, bald wieder schwindende Anlage eines atavistischen /d!
anzusehen ist.
Es wäre wünschenswerth, an geeignetem, gut konservirten Ma-
terial aus älteren Stadien diese Vermuthung einer näheren Prüfung
zu unterziehen; dass es hohes Interesse hätte, falls die eben er-
wähnte Deutungsweise als berechtigt sich herausstellen sollte, er-
t In Analogie von Bezeichnungen, wie »Palaeomeryxfalte« etc. könnte
man die vordere Innenmarke auch »Merychippusmarke« und die manchmal vor-
handene hintere Innenmarke »Hippidionmarke « nennen (cf. OWEN, 4, pag. 568,
572, Taf. LXXI Fig. 1, 4; und BURMEISTER, 2. pag. 59, 60, Taf. III Fig. 3, 4).
Hinsichtlich des gelegentlichen Auftretens dieser letzteren im Bereich des G.
Equus ef. z. B. Masor, 2. Taf. I Fig. 2 und Branco, pag. 50, 51, Taf. IV
Fig. 2 und Taf. V Fig. 3.
Morpholog. Jahrbuch, 15. 21
322 Ernst Klever
giebt sich schon aus den Betrachtungen von HENSEL! über das
Verhalten der Ineisivbezahnung bei Ungulaten im Allgemeinen.
In Betreff der Unterkieferbackzähne, deren für alle drei Kategorien
nahezu identische Konfiguration besonders von RÜTIMEYER? erörtert
worden ist, und die in Bezug auf ihre Entwicklung ebenfalls noch
so gut wie ununtersucht sind, habe ich gleichfalls nur die Entwick-
lung der D-Reihe berücksichtigen können und gedenke mich in Fol-
gendem vorzugsweise auf einige Bemerkungen über die Befunde
an D, zu beschränken.
Aus Fig. 12 ergeben sich Anhaltspunkte für die Bestimmung
der Größen- und Lagerungsverhältnisse, welche D, beim Embryo D
aufweist: sein Dentinkeim (cf. Fig. 11) besteht im Wesentlichen aus
zwei sehr plumpen, basalwärts mit einander verschmolzenen, sa-
gittal gerichteten Jochen. Das Vorjoch. dem ein Vorderhorn noch
völlig abgeht, besitzt bereits den vorderen Doppelpfeiler, während
am Nachjoch ein hinterer Doppelpfeiler noch nicht angelegt er-
scheint; Befunde, die nach den Ausführungen von RÜTIMEYER> über
die allmähliche Komplikation des zygodonten Mandibularzahnes er-
wartet werden konnten. Die Marken sind eng und seicht, die
Außenbucht ist relativ schmal und verläuft in schräger Richtung
nach vorn und medianwiirts.
D, in Unterkiefern, die entweder dem Embryo e oder einem
anderen Objekt von nahezu gleichem Alter angehören, charakterisirt
sich bereits durch starke Ausbildung in sagittaler Richtung; das
Vorjoch hat ein Vorderhorn entwickelt (Fig. 13 f—c); der vordere
Doppelpfeiler ist noch sehr symmetrisch und zeigt noch nicht die
dem G. Equus zukommenden Eigenthümlichkeiten, auf die RÜTIMEYER!
aufmerksam gemacht hat; das Nachjoch gliedert sich zum freien
Rande hin, vom hinteren Doppelpfeiler abgesehen, in drei Abschnitte,
von denen der die Verbindung mit dem vorderen Doppelpfeiler über-
nehmende Antheil sehr schmal ist und die geringste vertikale Aus-
dehnung besitzt (cf. Fig. 13 e—a). Der hintere Doppelpfeiler ist
ansehnlich entwickelt und von plumper Form (Fig. 13 A—a). Die
Eingänge der noch ganz ungefältelten Marken sind im Allgemeinen
! HENSEL, 3. pag. 530, 534, 535.
2 RÜTIMEYER, 2. pag. 596—602, 619, 624, 625, 652, 654, 657, 680; 3. pag. 14,
15, 19, 20; cf. auch HENSEL, 1. pag. 88—91; MAJOR, 2. pag. 104—110, 129
—132 u. A.
3 RÜTIMEYER, 2. pag. 596—602.
4 RÜTIMEYER, 2. pag. 652; Fig. 45.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 333
sehr weit und erst in tiefen Niveaus schließt sich zuerst die vordere
(Fig. 13 f, g) und noch weiter basalwärts auch die hintere, zugleich
tiefere Marke (Fig. 13 A) völlig ab, wobei indessen der Innenkontour
der Zahnanlage noch immer den Ort des Markeneinganges erkennen
lässt; der auch aus der Fig. 13 leicht ersichtliche Umstand, dass
auch in tiefen Niveaus der Abstand des Einganges zur vorderen
Marke vom Vorderrande des Zahnkörpers geringer ist, als die Ent-
fernung des Einganges der hinteren Marke vom Hinterrande des
Zahnes beträgt, gehört bekanntlich zu den Kriterien, die für die
richtige Orientirung ! tief abgetragener Zähne, wie solche z. B. von
Leıpy? und von RÜTIMEYER? abgebildet worden, in erster Linie in
Betracht kommen. (D, resp. P;, für die das in Rede stehende Ver-
halten unter Umständen nicht zuzutreffen braucht, sind bekanntlich
an anderen Eigenthümlichkeiten immer leicht erkennbar.) Die Außen-
bucht reicht sehr tief hinunter (Fig. 13 2) und ist weit und seicht;
vom Nachjoch ausgehende Falten in der Außenbucht und accesso-
rische Basalpfeiler* sind nicht vorhanden. An der Basis der: Zahn-
anlage stellt der Dentinkeim eine kontinuirlich zusammenhängende
Masse dar (Fig. 13 2).
Das älteste zur Untersuchung gekommene Stadium (Gesammt-
länge von D,_, etwa 36 mm) zeigt im Wesentlichen Formverhält-
! Aus der Nichtbeachtung des Verhaltens der Markeneingänge erklärt sich
einigermaßen ein eigenthümliches Versehen von Cops, der zwei, verschiedenen
Seiten angehörende Unterkieferbruchstiicke, ein rechtes mit Mı—3 und ein
linkes mit P—M,, mit einander zu einem Stück verbunden hat (cf. Corn, 1.
Taf. LXXV Fig. 2a; rechter M, und linker P, treffen zusammen). Nach Äuße-
rungen im Text (l. e. pag. 321), sowie nach der Art und Weise zu schließen,
wie in Fig. 2 der eitirten Tafel der defekte rechte M, ergänzt worden, hat
Corre das betreffende Compositum für einen linken Unterkiefer gehalten; in
diesem Falle wäre mithin kein einziger Zahn richtig bestimmt. — Es darf auf-
fallen, dass BRANCO (pag. 54) die Copn’sche Fig. 2 a eitirt, ohne sie in Bezug
auf ihre Zusammensetzung zu kritisiren; im Übrigen ist BrAnco’s Bemerkung,
die in Rede stehenden Zähne seien eigentlich ganz Hippidionähnlich (Corr hatte
sie einem Hipparion zugeschrieben), vollkommen zutreffend (cf. BURMEISTER, 2.
Patel Fig. 1).
POU BIDY, 24 Lat. XIX. big, 14, 15.
3 RUTIMEYER, 3. Fig. 20.
4 cf. HEenseL, 1. pag. 102, 103; RÜTIMEYER, 2. pag. 624, 655, 659—661,
Fig. 31, 29, 32, 28; Gaupry, 1. pag. 229, 230, Taf. XXXIV Fig. 6; 3, pag.
34; BRANCO, pag. 53, 57, 58; KokeEn, pag. 42, Taf. IV Fig. 11. Der acces-
sorische Basalpfeiler fehlt gelegentlich auch bei Hipparien, für deren Milchprä-
molaren er sonst charakteristisch ist; ein derartiges Verhalten erwähnt z. B.
DEPERET (pag. 189, Taf. II Fig. 3) für ein D, von Hipp. crassum.
21*
394 Ernst Klever
nisse, die mit denen der bereits durchbrechenden Milchprämolaren
schon nahezu identisch sind.
Aus dem Mitgetheilten folgt, dass, vom Verhalten des vorderen
Doppelpfeilers! abgesehen, keinerlei Formbesonderheiten vorliegen,
die als Wiederholungen der Merkmale von Hipparionzähnen? gelten
könnten.
Für D,, dessen meist stark verkümmerte Anlage HEnseEL * unter-
sucht hat, fehlen mir eigene Erfahrungen.
Einen Rückblick auf die mitgetheilten Beobachtungen werfend,
kann man, unter gebührender Hervorhebung des Umstandes, dass voll-
kommene Identität mit den zum Vergleich dienenden fossilen Formen
keineswegs behauptet werden soll, die Ergebnisse meiner Beobach-
tungen am geeignetsten durch die Angabe ausdrücken, das Pferd
durchlaufe während der Entwicklung der Milchprämolaren seines
Oberkiefers ein Paloplotherioid- und ein Merychippoidstadium.
Zugleich ergiebt sich eine Bestätigung der namentlich von Ly-
DEKKER* und von der PavLow5 gegen die herrschende Anschauung
über die Abstammung des Pferdes von Hipparion® geltend gemachten
Einwürfe.
Hierauf beschränken sich die Beiträge, die ich in phylogene-
tischer Beziehung zu der vielerörterten Frage nach der Stammes-
geschichte der Equiden liefern kann; im Übrigen verbietet sich
eine weitere Betheiligung an der Diskussion hierüber schon dess-
halb, weil, von den werthvollen Arbeiten von Leıpy abgesehen, die
Fachlitteratur über dieses hochinteressante, in erster Linie auf ame-
rikanisches Material basirte Thema noch immer relativ sehr arm ist;
Marsu speciell, der als der Hauptautor gilt, hat seinen Ausspruch’:
»The evolution of the horse . . . is to-day demonstrated by the
1 Elliptische Kontouren der Usurflächen des vorderen Doppelpfeilers zeigt
Hipparion mediterraneum im Milchgebiss (RUTIMEYER, 2. pag. 657), und nament-
lich Hipp. erassum auch in der definitiven Bezahnung, selbst bei tiefer Ab-
tragung (DEPERET, pag. 189).
2 ef. namentlich HENSEL, 1. pag. 102, 103; RÜTIMEYER, 2. pag. 651—
661; GAUDRY, 1. pag. 223; 3. pag. 34; Mayor und LYDEKKER.
3 HENSEL, 2. pag. 27.
4 LYDEKKER, 2. pag. 16.
5 PavLow, II. pag. 155 sqq.
6 KOWALEVSKY (1), Mars (4. pag. 500) und zahlreiche Andere.
7 MARSH, 5. pag. 356. '
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 325
specimens now known« bisher nur mit einigen vorläufigen Mitthei-
lungen! belegt, unter denen nur eine von wenigen und keineswegs
mustergültigen? Abbildungen begleitet ist; eine erfolgreiche Erörte-
rung zahlreicher, von LEıpy offen gelassener Fragen (Identität oder
Nichtidentitiit von Protohippus mit Merychippus; Existenzberechti-
gung ven Hypohippus, Anchippus und Parahippus und ihre Be-
ziehungen zu Anchitherium; Speeieskritik unter Berücksichtigung der
schon für die Diagnose von recenten Equiden bestehenden Schwierig-
keiten? etc.) wäre desshalb zur Zeit überhaupt nicht thunlich; zu-
dem darf erwartet werden, dass die in Aussicht stehende baldige
Publikation des Buches II der umfangreichen Untersuchungen von
Core hierüber, auf Grund eines offenbar außerordentlich reichhalti-
gen Materiales, manchen wesentlichen Aufschluss bringen werde.
Citirte Litteratur.
G. ANNELL, Beiträge zur Kenntnis der zahnbildenden Gewebe des Menschen
und der Siiugethiere. Biol. Unters. Herausgegeben von G. RETZIUS.
II. Stockholm 1882.
G. BARALDI, Aleune ricerche contribuenti alla conoscenza della tavola tritu-
rante o macinante dei denti mascellari negli Equidi. Atti Soc. tos-
cana sc. nat. resid. in Pisa; memorie, vol. VIII fase. 2. Pisa 1887.
R. BAUME, Odontologische Forschungen. Th. I. Versuch einer Entwicklungs-
geschichte des Gebisses. Leipzig 1882.
L. BoJAnus, Adversaria, ad dentitionem equini generis . . . spectantia. Nova
Acta Acad. Leop.-Carol. XII. 2. Bonnae 1825.
1 Marsu, 1—4.
2 Den Haupteinwand gegen die von MArsH (4. pag. 505) mitgetheilte, auch
von HUXLEY (pag. 76) wiedergegebene Zusammenstellung von Backenzähnen zur
Illustration der Ahnenreihe des Pferdes hat bereits MAvor (2. pag. 105) hervor-
gehoben: die betreffenden Ziihne sind fast alle zu stark abgetragen und haben
desshalb ihre Charaktermerkmale zumeist schon eingebüßt. Außerdem ist es
für solehe Darstellungen durchaus erforderlich, dass die zu vergleichenden Ob-
jekte einer und derselben Körperhälfte angehören, und es ist unstatthaft, wenn
unter lauter linksseitigen Zähnen plötzlich ein rechter (der Oberkieferzahn von
Anchitherium) erscheint.
3 Letztere namentlich von HENSEL (1. pag. 86, 107), GAupry (1. pag. 229),
RÜTIMEYER (3. pag. 25) und LYDEKKER (2. pag. 13 und 3. pag. 73) betont.
326 Ernst Klever
W. Branco, Über eine fossile Siiugethierfauna... Paläont. Abhandl. Heraus-
gegeben von W. Dames und E. Kayser. I. 2. Berlin 1883.
A. v. BRUNN, Über die Ausdehnung des Schmelzorganes und seine Bedeutung
für die Zahnbildung. Archiv für mikr. Anat. XXIX. 3. Bonn 1887.
H. BURMEISTER, 1. Anales del Museo publ. de Buenos Aires. T. I. Buenos
Aires 1864—1869.
2. Die fossilen Pferde der Pampasformation. Buenos Aires 1875.
P. CANALIS, Sullo sviluppo dei denti nei mammiferi. Anatomischer Anzeiger.
I. Jena 1886.
C. Cuaus, Lehrbuch der Zoologie. Vierte umgearbeitete und vermehrte Aufl.
Marburg und Leipzig 1887.
E. D. Corr, 1. Report upon the extinct vertebrata obtained in New Mexico
by partis of the exped. of 1874. Rep. up. U. S. Geogr. Surv. West
of the One Hundredth Meridian. Vol. IV. Paleont. Part II. Wash-
ington 1877.
2. On the trituberculate type of molar tooth in the mammalia. Proce.
Amer. Philos. Soc. XXI. Philadelphia 1884.
3. The extinct mammalia of the valley of Mexico. Ibid. XXII. Phila-
delphia 1885.
4. The vertebrata of the tertiary formations of the West. Book I.
Rep. U. 8S. Geol. Surv. Territ. Vol. III. Washington 1884.
5. Pliocene horses of Southwestern Texas. Amer. Naturalist. XIX.
Philadelphia 1885.
6. The Perissodactyla. Ibid. XXI. Philadelphia 1887.
CH. DEBIERRE et J. PraAvaz, Contribution 4 lodontogénie. Arch. de Physiol.
norm. et pathol. 3. ser. VIII. Paris 1886.
Cu. DEPERET, Description... des vertébrés fossiles du terrain pliocéne du Rous-
sillon. Ann. se. géol. XVII. Paris 1885.
A. Gaupry, 1. Animaux fossiles et géologie de l’Attique d’aprés les recherches
faites en 1855—1856 et en 1860 sous les auspices de Acad. des
Sciences. Paris 1862(—1867). Atlas 1862—1867.
2. Remarques sur les Paloplotherium. Nouy. Archiv. du Muséum.
Mém. T. I. Paris 1865. 5
3. Animaux fossiles du mont Léberon (Vaucluse). Etude sur les
vertébrés. Paris 1873.
4. Les enchainements du monde animal dans les temps géologiques.
Mammiferes tertiaires. Paris 1878.
A. GouUBAUX et G. BARRIER, De l’exterieur du cheval. Paris 1884.
A. Hannover, Über die Entwicklung und den Bau des Säugethierzahns. Nova
Acta Acad. Leop.-Carol. XXV. 2. Vratisl. et Bonnae 1856.
R. HEnseL, 1. Uber Hipparion mediterraneum. Abhandl. der Akademie der
Wissenschaften zu Berlin. 1860. Berlin 1861.
2. Zur Kenntnis der Zahnformel für die Gattung Sus. Nova Acta
Acad. Leop.-Carol. XXXVII. 5. Dresden 1875.
3. Über Homologien und Varianten in den Zahnformeln einiger Säuge-
thiere. Morph. Jahrb. V. Leipzig 1879.
Tu. H. Huxtey, In Amerika gehaltene wissenschaftliche Vorträge. Autorisirte
deutsche Ausgabe von J. W. SPENGEL. Zweite Auflage. Braunschweig
1882,
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 327
J. Kaur, Die zwei urweltlichen pferdeartigen Thiere, welche etc. Nova Acta
Acad. Leop.-Carol. XVII. 1. Vratisl. et Bonnae 1835.
E. Koxen, Uber fossile Säugethiere aus China. Paliiont. Abhandl. Heraus-
gegeben von W. Dames und E. Kayser. III. 2. Berlin 1885.
W. KOWALEVSKY, 1. Sur l’Anchitherium aurelianense Cuv. et sur l’'histoire
paléontologique des chevaux. Mém. de l’Acad. Imp. d. Se. de St.-
Pétersbourg. VII. ser. T. XX. No. 5. St.-Pétersbourg 1873.
2. Monographie der Gattung Anthracotherium Cuv. und Versuch einer
natürlichen Klassifikation der fossilen Hufthiere. Paläontographica
XXII. 3—5: Kassel 1873, 1874.
Cu. Lecros et E. Maarrot, Contributions 4 létude du développement des
dents I. Origine et formation du follicule dentaire chez les mammi-
feres. Journ. de l’Anat. et de la Physiol. 9. année 1873. Paris 1873.
J. Ley, 1. The ancient fauna of Nebraska. Smithson. contrib. to knowl.
VI. Washington 1853.
2. The extinct mammalian fauna of Dakota and Nebraska. Journal
Acad. Nat. Sc. Philadelphia. VII. sec. ser. Philadelphia 1869.
3. Contributions to the extinet vertebrate fauna of the Western Terri-
tories. Rep. U. S. Geol. Surv. Territ. I. 1. Washington 1873.
_ R. LyDEkker, 1. Siwalik and Narbada Equidae. Palaeont. Indica. Ser. X.
Vol. II. 3. Caleutta 1882.
2. Additional Siwalik Perissodactyla. . . Ibid. Vol. III. 1. Calcutta
1884.
3. Catalogue of the fossil Mammalia in the British Museum (Nat.
Hist.). Part II. London 1886.
- E. Maairor, Etudes sur les anomalies du systeme dentaire chez les mammiferes.
| Journ. de l’Anat. et de la Physiol. 10. année 1874. Paris 1874.
- F. Masor, 1. Nagerüberreste ... nebst Beiträgen zu einer vergleichenden Odonto-
graphie von Ungulaten und Unguiculaten. Paliiontograph. XXII. 2.
Kassel 1873.
2. Beitriige zur Geschichte der fossilen Pferde, insbesondere Italiens.
| Abhandl. der schweiz. pal. Gesellschaft IV (1877) und VII (1880).
Zürich.
0. C. Marsu, 1. Notice of new equine mammals from the Tertiary formation.
Amer. Journ. Se. 3. ser. VIJ. New Haven 1874.
. 2. Notice of new Tertiary mammals. IV, V. Ibid. IX, XII. New
| Haven 1875, 1876.
3. Introduction and succession of vertebrate life in America. Ibid.
XIV. New Haven 1877.
4. Polydactyle horses, recent and extinct. Ibid. XVII. New Haven
1879.
5. History and methods of palaeontological discovery. Ibid. XVIII.
New Haven 1879.
H. v. Meyer, Beiträge zur Petrefaktenkunde. Fossile Säugethiere. I. Fossile
pferdeartige Thiere. Nova Acta Acad. Leop.-Carol. XVI. 2. Vratisl.
et Bonnae 1833.
M. MORGENSTERN, Untersuchungen über den Ursprung der bleibenden Zähne.
{ Leipzig 1885.
A. NEHRING, 1. Über den sogenannten Wolfszahn der Pferde, im Hinblick auf
den genealogischen Zusammenhang der fossilen und lebenden Equiden.
328 Ernst Klever
Sitzungsberichte der Gesellschaft naturf. Freunde zu Berlin. Jahrg.
1882. Berlin 1882.
2. Einige nachträgliche Mittheilungen über den Wolfszahn der Pferde.
Ibid.
3. Fossile Pferde aus deutschen Diluvialablagerungen und ihre. Be-
ziehungen zu den lebenden Pferden. Ein Beitrag zur Geschichte des
Hauspferdes. Landwirthschaftliche Jahrbücher 1884. Berlin 1884.
H. Osporn, 1. On the structure and classification of the mesozoie mammalia.
Journ. Acad. Nat. Sc. Philad. sec. ser. IX. 2. Philadelphia 1888.
2. The evolution of mammalian molars to and from the tritubereular
type. Amer. Naturalist. XXII. New York and Philadelphia 1888.
R. Owen, 1. Odontography; or, a treatise on the comp. anat. of the teeth.
I. Text. II. Atlas. London 1840—1845.
2. On the anatomy of vertebrates. Vol. III. London 1868.
3. Description of the cavern of Bruniquel and its organie contents.
P. II. Equine remains. Philos. Transact. Vol. 159. London 1870.
4. On fossil remains of Equines from Central and South America re-
ferable to Eq. conversidens Ow., Eq. tau Ow. and Eq. arcidens Ow. Ibid.
M. Paviow, Etudes sur l’histoire paléontologique des Ongulés en Amérique et
en Europe. I. Groupe primitif de l’&oc&ne inférieur. II. Le développe-
ment des Equides. Bullet. Soc. Imp. Naturalistes Moseou. 1887 No.'2.
1888 No. 1. Moscou 1887, 1888.
G. PoucHEer et L. CHAgBry, Contribution 4 l’odontologie des mammiféres.
Journ. de l’Anat. et de la Physiol. 20. année 1884. Paris 1884.
E. B. Pounron, The true teeth . . . of Ornithorhynchus. Quart. Journ. Mier.
Se. XXIX. 1. London 1888.
Cu. RogBın et E. Maciror, Mémoire sur la genése et le développement des
follicules dentaires jusqu’a l’&poque de léruption des dents. Journ.
de la Physiol. de homme et des anim. III. Paris 1860. IV. Paris |
1861.
L. RürımEyeEr, 1. Die Fauna der Pfahlbauten der Schweiz. Basel 1861.
2. Beiträge zur Kenntnis der fossilen Pferde und zur vergleichenden
Odontographie der Hufthiere überhaupt. Verhandl. der naturf. Ges.
in Basel. Theil III. Heft 4. Basel 1863.
3. Weitere Beiträge zur Beurtheilung der Pferde der Quaternärepoche.
Abhandl. der schweiz. pal. Gesellsch. II (1875). Basel und Genf.
4. Über einige Beziehungen zwischen den Stiugethierstiiimmen alter
und neuer Welt. Erster Nachtrag zu der eocaenen Fauna von Eger-
kingen. Ibid. XV (1888). Zürich 1888.
M. SCHLOSSER, 1. Zur Stammesgeschichte der Hufthiere. Zoologischer Anzeiger.
VII, IX. Leipzig 1885, 1886.
2. Beiträge zur Kenntnis der Stammesgeschichte der Hufthiere und
Versuch einer Systematik der Paar- und Unpaarhufer. Morph. Jahrb.
XD. 1. Leipzig 1886.
SPEER, Uber die ersten Vorgänge der Ablagerung des Zahnschmelzes. Anat.
Anzeiger. II. Jena 1887.
O0. TmomaAs, On the homologies and succession of the teeth in the Dasyuridae,
with an attempt to trace the history of the evolution of mammalian
teeth in general. Philos. Transact. Vol. 178 B. London 1887.
Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 329
W. WALDEYER, Bau und Entwicklung der Zähne. Handbuch der Lehre von
den Geweben des Menschen und der Thiere. Herausgegeben von
S. STRICKER. I. Leipzig 1871.
M. WILckEns, Beitrag zur Kenntnis des Pferdegebisses mit Rücksicht auf die
fossilen Equiden von Maragha in Persien. Nova Acta Acad. Leop.-
Carol. LII. 5. Halle 1888.
J. WoLDprıchH, Beiträge zur Fauna der Breccien und anderer Diluvialgebilde
Österreichs, mit besonderer Berücksichtigung des Pferdes. Jahrbuch
der geol. Reichsanstalt. XXXII. Wien 1882.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XI— XIII.
Behufs leichterer Vergleichbarkeit mit den für die Vergleichung vorzugs-
weise in Betracht kommenden Abbildungen bei RÜTIMEYER, GAUDRY und LEIDY
- sind alle Objekte als rechtsseitige dargestellt worden, was einige Umkehrungen
erforderlich gemacht hat. Schnitte aus verschiedenen Horizonten einer und
- derselben Zahnanlage sind stets so geordnet, dass die der Usur am spätesten
unterliegenden Niveaus die Reihe beschließen. Die Fig. 2—5, 7 und 12 sind
in natürlicher Größe gezeichnet; für die übrigen, deren Kontouren mit einer
OBERHÄUSER’schen Camera lucida entworfen wurden, beträgt die Vergrößerung '9/;.
Die Zeichnungen rühren sämmtlich von stud. chem. Const. KLEVER her.
Wiederholt gebrauchte Bezeichnungen.
Ab Außenbucht, v.Ipf vorderer Innenpfeiler,
h.Alb hinterer Außenlobus, h.M hintere Marke,
v.Alb vorderer Außenlobus, v.M vordere Marke, '
Co Cementorgan (resp. innere Schicht v..M vordere Innenmarke,
J der späteren Zahnkapsel), md Unterkieferknochen,
h.Dpf hinterer Doppelpfeiler, Nj Nachjoch,
v.Dpf vorderer Doppelpfeiler, Sk Schmelzkeim,
h.H Hinterhorn der vorderen Marke, So Schmelzorgan,
h.H’ Hinterhorn der hinteren Marke, Vj Vorjoch,
v.H Vorderhorn der vorderen Marke, A.Zwlb hinterer Zwischenlobus,
v.H’ Vorderhorn der hinteren Marke, v.Zwlb vorderer Zwischenlobus.
h.Ipf hinterer Innenpfeiler,
Fig. 1 a—! Querschnitte durch die Anlage von D?; aus einer Flächenschnitt-
serie des Oberkiefers vom Embryo D. Niveaudifferenz zwischen 1 a
und 1 7 in Wirklichkeit etwas mehr als 1 mm betragend. Soh Hals
des Schmelzorgans. So’ Basalausläufer des Schmelzorgans (Epithel-
scheide HERTWIG’s).
330
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Ernst Klever, Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses.
2:
-1
co
Der der Fig. 1 A zu Grunde liegende Schnitt in natürlicher Größe.
D! im vorderen Außenlobus, D3 tief an der Basis getroffen. cn Na-
senhöhle.. mx Oberkiefer. 7.c.d Ramus communicans dorsalis der
Gesichtsvenen.
NM? von Paloplotherium codiciense Gaud.; Kopie aus Fig. 3 bei GAU-
DRY,.2.’ Val. X.
D? eines dreijährigen Pferdes; stark usurirt, P? bereits sichtbar. Vom
Schädel C 130 der zootomischen Sammlung. {’¢2/| Ort, wo es in
früheren Stadien zur Konfluenz des vorderen Innenpfeilers mit dem
hinteren Zwischenlobus gekommen war.
D?,4 von Hipparion antilopinum Fale. und Cautl.; Kopie eines Theiles
der (umgekehrten) Fig. 2 bei LYDEKKER, 1. Taf. XI. ace.Lb acces-
sorischer Lobus. acc. M accessorische Marke.
Theil eines Flichenschnittes der Zwischenkieferregion yom Embryo D.
a.pt.pl Art. pterygo-palatina. c.St Sreno’scher Knorpel. ep Epithel
des Atrium oris. mx Zwischenkieferknochen. /.s Oberlippe. So. Zd*?
Schmelzorgananlage eines rudimentären, bald wieder schwindenden
Id4?.
Flächenschnitt des Oberkiefers vom Embryo e in natürlicher Größe;
aus derselben Serie, welcher auch die Fig. 8—10 entnommen sind.
Im abgebildeten Schnitt das Schnittflächenniveau für D! höher ge-
legen als Fig. 8 a, für D? zwischen Fig. 9 6 und 9 ec fallend, für
D® in Fig. 10 ce wiedergegeben. pa Gaumenbein. Die anderen Be-
zeichnungen wie in Fig. 2.
a—f. Querschnitte durch die Anlage von D!; cf. das für die Fig. 7
Bemerkte.
a—h. Querschnitte durch D?.
a—c, Querschnitte durch D3. acc. Lb accessorischer Lobus.
In den Fig. S—10 sind die Bruchstücke der zertrümmerten Schmelz-
organe fortgelassen.
11 a—h. Querschnitte durch D;; aus einer Serie vom Unterkiefer des
12,
Embryo D. ep Epithel der medialen Fläche des Unterkiefers.
Schnitt aus der Serie des anderen Unterkiefers vom Embryo D; zum
Vergleich mit Fig. 11 so gezeichnet, als ob er derselben Seite ange-
hörte. c.md Can. mandibularis. ce. M Mecker’scher Knorpel. pt.i M.
pteryg. int.
Fig. 13 a—i. Querschnitte durch D,; aus einer Serie vom Unterkiefer des Em-
bryo e (?). Vk Vorderhorn des Vorjochs.
=
4
>
ornholog. Jahrbuch. BA.AV-
: = ee P ' 2
“apıt.-nl.
Ma)
nst.v Warner & Winter, Frankia tM.
Metin nr:
Morpholog: Jahrbuch. Ba NV ee
Z hAlb, vH Alb.
7H red. Mie. 9a ; : . IE eles an ur
zwi, |
, : vp.
nf hZwlb,
vil.
AM vie WIR
hdpf hZwib 10 a.)
rZwib
Rn E zwi
L In.
Ca vIn.
a7 ae
=f vewlb. wZwib
Vorl «WR. Engelmann
Morpholog Jahrbuch. Ba XV Lif’ XM.
’ TEC CDE
eye. SK.
ie : lt,
ADEN pM. So-
iM. Ab.
12724
75h. 4. % Df
AM, Ab.
SS x
tea. C.Klever. Verl. vWEln, Engelmann, Leipzig 7 Pronk fare.
i“
EEE Eee STE 2.0
Die Abdominalanhänge der Insekten
‚mit Berücksichtigung der Myriopoden.
Von
Dr. Erich Haase,
Privatdocent der Zoologie in Königsberg.
Mit Tafel XIV und XV.
Vorliegende Abhandlung enthält die Resultate erneuter und
erweiterter Untersuchungen über eigenthümliche Abdominalanhänge,
besonders der Thysanuren, und schließt als Begründung und theil-
weise Verbesserung die Ansichten ab, welche ich auf der Berliner
Naturforscherversammlung 1886 über die Verwandtschaftsbeziehungen
der Myriopoden aussprechen durfte.
Die Untersuchung zerfällt nach ihrem Gegenstande in zwei Ab-
theilungen, deren erste sich auf die weichen ausstülpbaren Ven-
tralsäckcehen bezieht, welche bisher besonders als »Segmental-
blasen« oder »Cruraldrüsen« bezeichnet wurden, während die zweite
vor Allem die beinstummelartigen Anhänge behandelt, die man wohl
allgemein als rudimentäre Abdominalfüße angesehen hatte, und die
ich Bauchgriffel nenne.
Während die zwei Haupttheile sich in die descriptiv-anatomische
Beschreibung, die Untersuchungen über die Funktion und die-
jenigen über die Morphologie der betreffenden Organe gliedern,
wurde innerhalb dieser Abschnitte eine Aufeinanderfolge der be-
sprochenen Ordnungen der Myriopoden und Insekten innegehalten,
welche ungefähr dem allgemein angenommenen System derselben
entspricht. So wird die Reihe mit den Myriopoden (Chilopoden,
Symphylen, Diplopoden) eröffnet, an welche sich die Synaptera
Morpholog. Jahrbuch. 15. 22
332 Erich Haase
(Thysanura, Collembola) anschließen, um zu den flügeltragenden
Insekten (Pterygota) überzuführen.
Eine phylogenetische Schlussbetrachtung sucht die einzelnen
Resultate unter einem Gesichtspunkte zu vereinigen.
Um Wiederholungen zu vermeiden, wurde die gedrängte Bher-
sicht der Untersuchungsergebnisse, besonders neuerer Forscher, den
eigenen Resultaten bei den einzelnen Formen in historischer Folge
vorangesetzt.
A. Die Ventralsäcke.
Mit diesem Namen belege ich die weichen bläschenartigen An-
hänge, welche an der Bauchseite besonders des Abdomens bei Myrio-
poden und Synapteren beobachtet wurden und von B. Grassi in
seiner letzten, die ganze Anatomie der Thysanuren umfassenden Ar-
beit! als »Segmentalblasen« bezeichnet werden.
I. Vorkommen und Bau der Ventralsäcke.
1) Symphyla (Fig. 1, 7, 10).
Bei Scolopendrella, der einzigen Vertreterin dieser eigenthüm-
lichen Myriopodenordnung, beobachtete A. MENGE?, der über Se.
immaculata Newp., ein wenige Millimeter langes Thierchen mit zwölf
Laufbeinpaaren, das von A. S. PACKARD in seiner neuesten Publi-
kation? immer noch zu den — Insekten gestellt wird, eine für die
Zeit ihrer Entstehung recht werthvolle Monographie lieferte, neben
den Füßen »nach innen zwei kreisförmige, auf der Oberfläche wie
gekörnelt aussehende Flecken«, die er für » Ansatzpunkte von Mus-
keln« hielt. Aus der]. c. Taf. II Fig. 7 und 10 p. gegebenen Dar-
stellung ersieht man, dass MENGE die von mir »Ventralsäcke« ge-
nannten Gebilde gemeint hat.
J. A. RypEr, der für unsere Gattung die Ordnung der Sym-
phyla* schuf, weil sie Charaktere der Myriopoden, Thysanuren und
1 B. Grassı, Anatomia comparata dei Tisanuri (Reale Acad. dei Lincei
1887. pag. 543—606) 1888. Mit 5 Taf.
2 A. MENGE, Myriapoden der Umgegend von Danzig. 1852. pag. 13—19.
Mit 2 Tafeln.
3 A. S. PACKARD, Entomology for Beginners. 1888. pag. 57.
4 J. A. RypeEr, Scolopendrella as the Type of a new order of Articu-
lates (Symphyla). American Naturalist. XIV. 1880. pag. 375.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 333
Insekten vereinige, scheint diese eigenthümlichen Gebilde selbst über-
sehen zu haben und hat auch in seiner späteren Publikation! MenGr’s
Angaben darüber nicht in seine theilweise Übernahme von des Letz-
teren Arbeit hineingezogen.
In einer besonderen Abhandlung über Scolopendrella beschrieb
erst J. Woop-Mason? als an allen beintragenden Segmenten mit Aus-
nahme des 1. und vielleicht auch des 2., 11. und 12. vorkommend.
»a pair of huge two-lipped apertures, surrounded by a circular wall,
the summit of which is defended by a circlet of moveable spines«.
Diese Öffnungen lässt er in Drüsen führen, welche den » Nephridien
von Peripatus und den Driisentaschen yon Machilis und Campodea
homolog seien «.
In seinem gediegenen Myriopodenwerk erwähnte R. LATZEL3 die
in Rede stehenden Bauchsäckehen als je ein »Paar, oft spaltförmig
geöffneter Wärzchen der Bauchschilde« und nannte sie in der Tafel-
erklärung »taschenförmige Organe von unbekannter Bedeutung«.
Der nächste Monograph der Gattung, B. Grassıt, fand, dass
die Bauchsäckchen, die er als vescicole ventrali oder segmentali be-
zeichnet, bei Sc. immaculata am 1. und 12. Beinpaar fehlen, am
2. und 11. vielleicht rudimentär vorhanden sind. Er nannte sie
ihrer Lage nach »interne ed alquanto posteriori rispetto alle zampe,
. . . posteriori ed alquanto interne rispetto alle pseudozampe«. Uber
ihren Bau giebt Grassi an, dass der distale, einziehbare Theil der
Säckchen aus glatter Cuticula »senza evidente ipoderma«, der nicht
einziehbare aus unebener Cuticula mit deutlicher Hypodermis besteht
und die Basis einfach »d’un strato di cellule grosse e piuttosto pi-
atte« gebildet ist. Dies Lager großer (drüsiger) Zellen erscheine
unterbrochen oder werde wenigstens sehr fein in einer gekrümmten
Linie, in welcher die Blase direkt mit der Leibeshöhle zu kommu-
nieiren scheine; »mentre nel resto della base, sui tagli, tra il eavo
della vescicola e la muscolatura del corpo s’interpone l’or descritto
1 J. A. Ryprer, The structure, affinities and species of Scolopendrella.
(Proceed. Acad. Nat. Sc. Philadelphia 1881.) pag. 79—86.
2 J. Woop-Mason, Notes on the structure, postembryonic development and
systematic position of Scolopendrella (Ann. Mag. Nat. Hist. 5. ser. XII. 1883).
pag. 61.
3R. LATZEL, Die Myriopoden der österr.-ungar. Monarchie. II. 1884. pag. 17.
Taf. Pig. 8 x.
4 B. Grassi, Morfologia delle Scolopendrelle (I progenitori degli insetti e
dei miriapodi. I.). Torino (1886). pag. 12—13.
22*
334 Erich Haase
strato cellulare in corrispondenza alla or indicata linea, la musco-
latura mostrasi direttamente a contatto con la cavita vescicolare«.
Da besondere Muskeln fehlten, müsse man annehmen, dass die Säck-
chen sich passiv durch Füllung mit Blut ausstülpten und durch Aus-
tritt des letzteren wieder zurückträten. — Am äußersten Ende der
Cuticula des Säckchens befände sich »una specie di bottone«, die
sich nicht selten stark färbte, so dass man an die Gegenwart eines
großen Kerns denken müsse.
Fast alle diese Angaben bedürfen der Berichtigung.
Um vorerst Klarheit über die Zugehörigkeit der Ventralsickchen
zu einem bestimmten Körpertheil zu geben, genügt eine kurze Schil-
derung des ventralen Hautskelets (vgl. Fig. 7).
Am ersten Körpersegment von Scol. immaculata Newp., die mir
als Hauptobjekt der Untersuchung diente, sind die Hiiften des nahe
an den Kopf herantretenden Laufbeinpaares scharf von der übrigen
Bauchfläche | abgesetzt, am Innenwinkel abgerundet zugespitzt und
einander bis auf einen Zwischenraum von nur 0,01 mm! genähert
(Bien
Bei diesem nahen Aneinanderrücken der Hüften kommt es nicht
zur Bildung einer scharf umschriebenen, besonders chitinisirten Ven-
tralplatte, sondern die intercoxale Sternalfläche wird nur von der
gewöhnlichen weichen Verbindungshaut gebildet, die vorn und hinten
nur faltig begrenzte Zwischenschilde darstellt. — Am zweiten Kör-
persegment ist das Hüftglied innen nicht mehr so scharf vom Kör-
per abgesetzt, sondern geht mit breiter flacher Basis allmählich in
die Rundung des letzteren über. In der Verlängerung der trichter-
förmigen Hauteinstülpung, an die sich die eine hufeisenförmige Figur
bildenden, nach hinten vorspringenden Apodemata ansetzen (Fig. 7
II ap.), welehe von RyDEr und Woop-Mason irrthümlich für Tra-
cheen angesehen wurden, verläuft über die Hüfte eine zarte Kerbe
hin. Diese schneidet nach innen eine lang ovale, etwas geschweifte
Platte ab, welche, obwohl ursprünglich zur Hüfte selbst gehörig,
doch als besondere Belegplatte über der Verbindung mit dem Rumpf
angesehen und als Episternum bezeichnet werden kann (Fig. 7 LJ ep.).
Am äußeren Hinterrande dieser Episternalplatte liegt eine mit dem
Basalende. der Hüfte noch innig verwachsene, flache, rundliehe Auf-
treibung (Fig. 7 ZZ s.), die wie die Episternalplatte mit einzelnen
! Die Angabe der Maße geschieht nach einem erwachsenen i oa vou
6 mm Länge.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 335
längeren Borsten besetzt ist. Am Querschnitt dieser Auftreibung
erkennt man unter der von der sonstigen Cutieula in nichts unter-
schiedenen Chitinhaut eine dichtere Anhäufung von Matrixzellen, von
denen wie gewöhnlich nur die Kerne durch Färbung hervortreten.
Am dritten Leibessegment, das dem Metathorax der Hexapoden
entspricht, tritt die bis zum elften herrschende Ausbildung der Co-
xalpartie schon in aller Bestimmtheit auf. Die Epimeren sind von
dem Hiiftstamm nach außen und hinten durch eine breite Furche
abgetrennt, und .bilden so eine selbständige Platte (Fig. 7 III ep.).
Der im zweiten Segment zuerst deutlich erkennbare beulenartige
Hüftanhang entwickelt sich vom dritten Rumpfgliede an zu einem
länglich runden, stark über die Hüftebene vorspringenden Säckchen
von 0,08 mm Länge und 0,036 mm Breite, das einer in der Mitte
eingestülpten Kappe gleicht. Die basalen Wände dieses Hüft-
siickchens werden von der gewöhnlichen, mit feinen Körnchen
besetzten Chitinhaut gebildet, während der ausgedehntere, nach
innen zurücktretende Boden aus glasklarer, zarter, vollkommen glatter
Chitinhaut besteht. Wenn die Wände gegen einander zusammen-
treten, wird die weiche Säckehenmitte fast vollkommen in den Leib
hineingedrängt und der Zugang zu ihr nur mehr durch einen schief
durchgehenden, am Vorderende dreieckig klaffenden Spalt bezeichnet,
über den sich noch die Borsten auf den Klappenrändern schützend
herüberlegen (Fig. 7 III sac.).
Soleh entschiedener Verschluss tritt besonders häufig bei Thieren
ein, welche lebend in heiße Glyceringelatine eingeschlossen wurden:
hingegen stülpen sich die Taschen als zart blasige Auftreibungen
bis zur Höhe der Kappenwände hervor, wenn man die lebenden
Thiere in erwärmten 50—70 %igen Alkohol wirft. Zur Untersuchung
des Baues der Coxalsickchen eignen sich solche Exemplare ganz
besonders. Die Zahl der erwähnten Borsten auf den Klappenrän-
dern beträgt bei jungen Thieren je drei, bei älteren je vier, und
wächst nach hinten zu allmählich bis zum drittletzten Segment.
An Schnitten durch das dritte Segment lässt sich der allmäh-
liche Übergang der Säckchenmitte (Fig. 10 med.) in die Taschen-
wände (Fig. 10 %.), eben so an der Chitincuticula als an der Matrix-
lage und ihrer fein längsgestreiften Basalmembran verfolgen. Die
Chitinhaut des Säckchens ist meist in der Längsachse des Körpers
fein gefältelt (Fig. 10 med.); als Beweis für ihre außerordentliche
Quellungsfähigkeit lässt sich anführen, dass sie sich oft mit Alaun-
karmin, ja selbst mit Hämatoxylin gleichmäßig intensiv färbt. Zu
336 Erich Haase
ihrer Matrixlage gehören ovale dicke Riesenkerne von 0,01—0,015 mm
Länge, die sich sehr stark färben (Fig. 10 ».g). Um diese Riesen-
kerne herum liegt ein aus tingirbaren, gelblichen, stark lichtbrechen-
den Körnchen bestehendes Plasma, das an den Inhalt von Drüsenzellen
erinnert. In keinem der verschiedenen Präparate ließen sich die
Grenzen der Zellen erkennen, zu welchen die Riesenkerne gehören;
es scheint hier somit wie bei den viel kleineren und flacheren Ker-
nen der gewöhnlichen Hypodermis ein Syneythium ausgebildet zu
sein. Im Inneren des ausgestülpten Säckchens liegt eine bedeutende
Blutmasse, welche durchaus mit der des Rückengefäßes überein-
stimmt. Dies Blut stammt besonders aus dem Lateralsinus und den
Bluträumen um den Bauchstrang, dringt in den Maschen des Binde-
gewebes bis zu den Hüftsäckchen durch und bewirkt, durch Leibes-
kontraktionen in dieselben hineingetrieben, die Füllung und das Her-
vortreten dieser zarthäutigen Taschen. Mit dem Blut tritt noch meist
ein Theil des darunter liegenden Fettkörpers in die Ausstülpung
hinein. — Sonst fanden sich noch manchmal scheinbar bindege-
webige, zarthäutige, kernarme Membranstränge, welche sich vom
Fettkörper bis an die distale Wand des Säckchens fortsetzten; von
Nerven wurde nur ein zarter, an den Rückziehmuskel verlaufender
Zweig nachgewiesen.
Das Einziehen des Säckchens geschieht mit dem Aufhören der
Wirkung der Bauchpresse und mit der damit verbundenen Rück-
strömung des Blutes, und wird durch die Zusammenziehung eines
sich einerseits an die innere Klappenhälfte, andererseits an die Ven-
tralfliche des Hüftstammes ansetzenden, 0,006 mm breiten, deutlich
quergestreiften Muskels (Fig. 10 m.) unterstützt, der auch den fast
vollkommenen Schluss der Wandklappen bewirkt.
Da sich neue Somite vor dem später dreizehnten Segment durch
von vorn nach hinten fortschreitende Sprossung einschieben, lässt
sich an unausgebildeten Thieren auch die allmähliche Entwicklung
der Hüftsäckchen verfolgen. Die ganze Einrichtung bestand an dem
zehnten Segment eines solchen Stückes mit zehn Beinpaaren in einem
flachen Buckel von ovaler Form (Fig. 8 sac.), der mit feinen Höcker-
chen besetzt war wie die übrige Haut, aber noch keine Borsten trug.
Einen ähnlichen Bau zeigen die Coxaltäschehen auch am zwölften
beintragenden Segment erwachsener Thiere (Fig. 1 XJZ), wo sie nur
flache, fein gekörnte, spärlich beborstete Auftreibungen der weichen
Verbindungshaut des Innenrandes der Hüften darstellen und den
Winkel zwischen den scharf vorspringenden Hinterecken der eben-
Die Abdominalanhänge der Insekten. 337
falls verkümmerten Episternen und der Basis der Coxalgriffel aus-
füllen. Im Querschnitt lassen sich aber auch bei ihnen 1—2 Riesen-
kerne der Matrix nachweisen, deren umgebendes Plasma allerdings
noch nieht die grobe Körnelung zeigt, die an den vorderen Seg-
menten auffällt.
An der ersten Anlage der Beinanhänge tritt das Endglied als
lang ovaler Stummel deutlich hervor (Fig. 8 ru), da die Gliederung
basalwärts vorschreitet; die erste Anlage der Coxalsickchen scheint
somit erst nach der Häutung und dem Hervortreten des fertig ge-
bildeten krallentragenden Beines zu entstehen.
Durch die von Anfang ausgesprochene Verkümmerung der Glie-
der des zu einem Sinnesapparat umgewandelten Beinrudimentes am
dreizehnten Segment bleibt hier die Anlage der Coxalsäckchen ganz
unterdrückt.
Auch bei Scol. nothacantha Gery. und Se. nivea Scop. entwickeln
sich Coxalsiickchen; bei letzterwähnter Art sind sie breiter als bei
Se. maculata, weiter geöffnet und mit spärlicheren Randborsten be-
setzt. Auch hier verkümmern sie schon am zwölften Segment.
Die von Grass behauptete Kommunikation der Hüftsäcke mit
der Leibeshöhle durch einen schmalen Schlitz kann ich nicht be-
stätigen, vielmehr ist die Verbindung mit den Bluträumen überall
neben dem schiefen Bauchplattenmuskel, der nach Grassı die Höh-
lung der Säckchen innen schließen sollte, weit und offen.
2) Diplopoda (Fig. 25—27).
Bei dieser Myriopodenordnung machte zuerst R. LATZEL auf
ausstülpbare Bläschen in der Unterordnung der Chilognathen auf-
merksam; so erwähnte er |. c. pag. 52 »drüsige Gebilde in den
Hüften der Beine« und führte pag. 172 an, dass bei den Chordeu-
miden »die meist langen Beine theilweise durchbohrte Hüften haben,
nur lange nicht so auffällig wie die Lysiopetaliden«. Von Lysio-
petalum bemerkte er, dass »das Hüftglied des 3.—16. Beinpaares
ausstülpbare Wärzchen (Drüschen?) besitze«. Bei Lys. degenerans
Latz. fehlten die Wärzchen; bei Lys. illyricum Ltz. seien sie lang
vorgestülpt; bei Lys. faseiatum Latz. säßen sie vom 3. bis zum
14. Beinpaar; bei Lys. carinatum Br. (und L. insculptum L. Koch)
kämen bis zum 16. Beinpaare »ausstülpbare weißliche Warzen« vor;
bei Lys. anceps Ltz. seien sie weniger deutlich.
338 Erich Haase
In der Familie der Polyzoniden erwähnte zuerst FR. MEINERT!
bei Polyzonium germanicum Br. in den Hüften gelegene, » zurück-
ziehbare Fortsätze« von ungefährer Länge des dritten Gliedes; die-
selben kommen nach R. Larze |. e. pag. 360 vom dritten Bein-
paare an vor und werden als »vorstiilpbare Haftwarzen« bezeichnet.
Bei Chordeumiden fand ich die von LATZEL erwähnten »durch-
bohrten Hüften« nur bei Männchen an dem zweiten Fußpaare des
Kopulationsgürtels und den zwei folgenden des nächsten Doppelseg-
mentes mehrerer Arten von Craspedosoma wieder. Bei Cr. Rawlinsii
Leach, wo sie frisch untersucht wurden, treten sie in den Hüften
der Beinpaare des achten Gürtels, die sich durch ihre dunkle Pig-
mentirung auszeichnen, als graubraune flache Einsenkungen auf, die
von einer weichen, am Rande radial gefalteten Haut überzogen sind
(Fig. 27 b). Am Innenwinkel der Hüfte tritt bei ganz geringem
Druck des Deckgläschens auf das frisch ausgelöste Bein eine schna-
belartig vorspringende, von fein gehöckerter Chitinhaut gebildete
Hautduplikatur vor, die in der Mitte von einem ziemlich weiten
Schlitz durchbrochen ist, und bei etwas stärkerem Druck quellen
diese Hautfalten bis zu 0,12 mm Länge als glashelle, von homogener,
äußerst zarter Chitinhaut gebildete Blasen hervor, die mit dicken,
drüsigen Epithelzellen ausgekleidet sind und im Inneren röthlich
glänzende Sekretkugeln, vielleicht fettartiger Natur, von 0,008 mm
Durchmesser führen. Bei allmählich verstärktem Druck tritt aus
dem vorgestiilpten Hüftsäckchen ein öliger Tropfen vor, den ich sich
bilden und vergrößern sah, obwohl ich an der krystallklaren Cuti-
cula keine Poren nachweisen konnte. An die Wand des Säckchens
setzen sich zahlreiche, bis 0,004 mm dicke, oft deutlich quer ge-
streifte Muskeln an.
Bei manchen der zur Brunstzeit (Mitte April) untersuchten Männ-
chen sprang bei dem Druck auf diese Hüfttaschen eine unregelmäßig
gestaltete, oft etwas gebräunte, ovale Masse von gummiartigem Aus-
sehen vor, die sich nur schwer zerdrücken ließ und in ihrem Inne-
ren zahlreiche bohnenförmige, sehr stark lichtbrechende Körperchen
von 0,0015 mm Länge enthielt, die ich für Spermatozoen ansehen
möchte, welche durch ein wohl schon theilweise in den Geschlechts-
ausführgängen gebildetes Sekret zu einer Samenpatrone vereinigt
sind (Fig. 27 a, sp). Eben solche Samenpatronen fand ich auch in den
1 Fr. MEINERT, Tilläg til Danmarks Chilograther (Polyzon. germanicum)
(Naturh. Tidsskr. 3. R. Bd. VJ. 1869—70). pag. 460.
Die Abdominalanhänge der Insekten, 339
Überträgern (ped. copulat.) eines während der Begattung getödteten
Männchens von Cr. Rawlinsii, sowie ebenfalls in einer Länge von
0,065 mm in den Hüftrudimenten des zweiten Kopulationsfußpaares
im siebenten Körpergürtel im Herbst getödteter Stücke von Cr. muta-
bile Ltz., var. fasciatum.
Von Lysiopetalum untersuchte ich leider nur Alkoholexem-
plare, so besonders von Lys. anceps Latz., einer Art, die in feuch-
ten Kellern Triests nicht selten ist. Hier sitzen die ausstülpbaren
Bläsehen in beiden Geschlechtern an den Hüften des 3.—16.. Bein-
paares und treten wie im Leben auch an den konservirten Stücken
meist deutlich vor, was die Coxalsäcke der Chordeumidenmännchen
nieht thun. Die ausgestülpten Säckchen waren an dem vierten Gürtel
bis 0,4 mm lang und 0,15 mm breit, während sie eingestülpt eine
spitze Tasche von 0,3 mm Länge bildeten; sie färbten sich mit
Pikrokarmin lebhaft roth.
Die Cuticula der Säckchen (Fig. 25) ist glashell, am distalen
Ende vollkommen glatt und ohne alle Poren; darunter liegt eine
dünne Hypodermislage, deren Kerne sich schwer färben und nur
0,002 mm lang sind. In den Sack tritt eine bedeutende Blutmenge
hinein, die in der Endhälfte eine leimartig durchscheinende, gelbliche,
zähe Substanz bildete, an der sich nur an dünneren Schnitten die
Zusammensetzung aus feinen Körnchen zeigte (Fig. 25 sang.); in der
Basalhälfte, wo sie grobkérniger und lockerer ist, finden sich in ihr
große Blutkörperchen zerstreut. Die Hüftsäcke werden durch ober-
flächlich gelegene Muskeln zurückgezogen, die aus 6—8 Strängen
von je 0,006 mm Breite bestehen, deutlich quergestreift sind und
meist von der Vorderseite der Hüften an das Ende des Siickchens
verlaufen (Fig. 25 musc.). Auch hier ließ sich ein bindegewebiger
Zellstrang an der Außenseite des Säckchens erkennen (Fig. 25 con7.).
Von den Tracheen (Fig. 25 ir.) gehen zwar einige zarte Äste in die
Hüften, in das Säckchen treten aber keine hinein.
Bei Lys. fasciatum Latz. aus Serbien sind die Säckchen von
deutlicherem Matrixbelage ausgekleidet, der 0,003 mm dick ist und
flache Kerne von 0,004 mm Länge enthält; die glasige Chitinhaut
ist sehr zähe und 0,001 mm dick. Durch eine mittlere Einkerbung
und den Ansatz der kräftigen Rückziehmuskeln an zwei Punkten der
Säckchen bekommen letztere in dem halb ausgestülpten Zustande,
wie sie das Alkoholmaterial zeigte, eine zweizipfelige Form.
| Bei einer Siphonophora-Art von den Molucken beträgt die
Länge des Säckchens, das vom dritten Beinpaar an sich auf den
340 Erich Haase
meisten Segmenten wiederfindet, bis 0,18 mm. Ähnlich wie bei
Lysiopetalum wird es von vier zarten Rückziehmuskeln durchzogen,
bildet die eingetretene Blutflüssigkeit eine gelbliche, zähe, gummi-
artige Masse mit wenigen größeren Blutkörperchen darin, ist die
Matrix schwach entwickelt, die Cuticula glasig und zäh. In der
Hüfte verlaufen viele Tracheen, von denen einige sogar in einer
Schleife die Basalhälfte des Coxalsäckchens durchziehen, doch sah
ich keine in letzterem sich verästeln.
Auch bei Polyzonium germanicum Br., das lebend unter-
sucht wurde, finden sich in den Hüften ausstülpbare Säckchen auf
der Mehrzahl der Segmente vom dritten Beinpaare an. Sie nehmen
die innere Hälfte des Hinterrandes der Hüfte ein und ihr mit glatter
glasklarer Cuticula bedeckter distaler Theil ist 0,025, der mit länge-
ren Dornen besetzte basale 0,04 mm hoch. Sie sind nur in geringem
Maße ausstülpbar und die Rückziehung wird durch 4—6 feine Muskel-
stränge besorgt, die von der Spitze des Säckchens an die Innenseite
der Coxalwand verlaufen (Fig. 26). Auch hier sind die Siickchen
mit Blutflüssigkeit gefüllt und vollkommen ohne Tracheen.
3) Thysanura (hierzu bes. Fig. 2—4).
In dieser Ordnung der Synaptera Pack. (= Apterygogenea Br.)
sind die Ventralsäckchen in höherem Grade ausgebildet, schon länger
bekannt und verdienen besondere Aufmerksamkeit.
In der Besprechung der einzelnen Gattungen ist stets folgende
Reihenfolge eingehalten worden: Campodea, Japyx, Nicoletia, Ma-
chilis, Lepismina, Termophila, Lepisma.
1) Campodea (hierzu Fig. 2, 11, 14—16).
Fr. MEINERT! beschrieb zuerst vom 2.—7. Hinterleibssegment
»eine taschenförmige Ausstülpung, die meist zurückgezogen sei und
desshalb übersehen wurde. Sie bestehe aus einer dünnen feinen
Haut und, wenn sie ausgestülpt sei, sehe man ihre Spitze mit einem
Drüsenhaufen angefüllt; auch ein Muskel befestige sich inwendig«.
In einer eingehenden Abhandlung giebt B. Grassi? über die
1 Fr. MEINERT, Campodeae, en familie af Thysanurernes orden (Nat.
Tidsskr. 3. R. II. Bd. 1864—1865). pag. 425.
2 B. Grassi, L'Japyx e la Campodea (Atti dell’ Acad. Gioenia Gi Sc. Nat.
Ser. 3%. vol. XIX. Catania 1886). pag. 52—53.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 341
Bauchsäckchen (vescicole addominali [segmentali]; an, dass sie sich
in dem Intersegmentalraum vom 2. und 3. bis zum 7. und 8. Hinter-
leibsringe finden und als Bläschen anzusehen sind, die weit mit der
Leibeshöhle kommunieiren, Blut enthalten und meist zurückgezogen
erscheinen. Ihre Decke bestehe aus ganz feiner Cuticula ohne Po-
renkanälchen. Am Ende fänden sich »cellule grosse, probabilmente
di natura ghiandolare«, an der Spitze »una cellula ovoidale che da
un prolungamento verso il centro della vescicola«; diese Verlänge-
rung gehe über in »una piccola massa lievemente granulosa e sparsa
di 203 nuclei (2 0 3 cellule pluripolari, adossate l’una all’ altra?)«; dass
diese Masse nervöser Natur ist, hält Grasst für sehr wahrscheinlich.
Weiter erwähnt er drei Längsmuskeln, die vom Ende des Bläschens
bis zum vorderen Segment verlaufen.
In einer wenig späteren Arbeit über Campodea beschrieb N. B.
Nassonow ! die Ventralsäckchen als »Abdominaldrüsen«, scheint die-
selben jedoch nur in ihrem eingezogenen Zustande kennen gelernt zu
haben, da er |. e. pag. 37 zugiebt, die Ausstülpung am lebenden Thier
nie gesehen und nur »auf Wirkung von Reagentien beobachtet zu haben,
welche die Kontraktion der Muskeln verursachen«. So ist es Nasso-
now denn auch entgangen, dass gerade die Einziehung der Ven-
tralsäcke ein Willensakt des Thieres ist. Wie Grass giebt auch
Nassonow das Vorkommen besonderer, sich durch ihre Größe be-
sonders auszeichnender Drüsenzellen »zwischen den Plattenepithelien «
an (vgl. seine Fig. 36 d). »Jede Drüse habe Birnform; das schmale
Ende könne nur auf dünnen Schnitten gesehen werden.... An
diesem schmalen Ende bilde die Chitinschicht eine Öffnung, durch
die das Exkret der Drüse einen Zugang in die Sackhöhlung habe.«
Das Resultat meiner Untersuchungen an derselben Art ist fol-
gendes:
Am lebenden Thiere sind die am Hinterrande der 2.—7. Bauch-
platte auftretenden paarigen Säckchen oft herausgestülpt, am abge-
flachten Ende meist in gekrauste Falten gelegt und schmutzig gelb-
braun gefärbt. An sehr großen Alkoholexemplaren aus Kärnthen,
die ich der Güte des Herrn Dr. R. LATZEL verdanke, war, von vorn
nach hinten zu an Intensität des Tons abnehmend, die Basis der
stark hervorgetretenen Sickchen schmutzig lauchgrün, ihre Mitte zart
olivengrün und ihr etwas wulstig übertretendes Endstück weißlich
gefärbt, was ich an norddeutschen Thieren nie bemerkt habe.
ı N. B. Nassonow, Zur Morphologie der niedersten Insekten, Lepisma,
Campodea und Lipura. 1887 (russisch).
342 Erich Haase
Am zweiten Hinterleibssegment sitzen die größten Abdominal-
säcke, welche bei Thieren von 6 mm Körpermaß selbst eine Länge
von 0,06 und eine Breite von 0,028 mm erreichen. Während die
Entfernung der Bauchsäcke von einander bis zum Hinterrande der
siebenten Abdominalplatte relativ gleich bleibt, nimmt ihr Durchmesser
allmählich nach hinten ab und beträgt am siebenten Hinterleibssegment
nur 0,018 mm. Die Form der vollkommen ausgestülpten Säckehen
ist walzenförmig, 2—4mal so lang als breit, von der Basis an
schwach verjüngt, vor dem Ende aber scheibenartig verbreitert.
Die Chitinhaut ist an der Endfläche sehr zart, glatt und fein
radial gefältelt, am Stamm fein gekörnelt; klappenartige Deckstücke
fehlen der Wand vollkommen. Unter der Cuticula liegen am Ende
des Säckchens meist 3—5 Riesenkerne bis zu 0,01 mm Durchmesser
(Fig. 15 ».g.), welche von Grassi und Nassonow als Drüsenzellen
angesehen wurden; die von Letzterem angegebenen »Ausführgänge«
muss ich mit B. Grassı bestreiten. Die Riesenkerne sind am Rande
(fast 0,001 mm breit) hell kontourirt, wie das auch an den gewöhn-
lichen Matrixkernen bei Scolopendrella vorkommt; es ist dies wohl
eine Wirkung der zusammenziehenden Eigenschaft des Alkohols.
Um die ovalen Riesenkerne herum erscheint das syneythiale Plasma
stärker lichtbrechend und mehr gelblich als das der gewöhnlichen
Matrixzellen, doch nimmt diese Eigenart des Plasma mit der Größe
der Kerne nach der Basis der Säckchen ab. Die Riesenkerne färben
sich mit Hämatoxylin und Alaunkarmin viel heller roth als die Kerne
der Matrix und erinnern darin an die Fettkörperkerne. Der nach
außen von der schwer erkennbaren Basalmembran begrenzte Hohl-
raum des ausgestülpten Sackes ist besonders mit Blut angefüllt, das
dicke, stark lichtbrechende, trüb blassgelbe oder gelbrothe Massen
koagulirter Körnchen bildet, in denen einzelne größere Blutzellen
herumschwimmen, und genau dem des Rückengefäßes gleicht. Hinter
dem »Blutpfropfen« liegen eingetretene Fettkörpermassen, deren am
frischen Thier mit ölartiger Flüssigkeit gefüllte Vakuolen sich an
Alkoholpräparaten entleeren und auf Schnitten leicht helle Kerne
vortäuschen können. An das Ende der Säckchen setzen sich die
schon von GrRassı erwähnten drei Muskeln an (Fig. 11 und 15), die
außerhalb von den geraden Längsmuskeln verlaufen und nahe dem
Vorderrande der Bauchplatte entspringen, zu welcher die Ventral-
säcke gehören. Der äußerste von diesen Muskeln (Fig. 15 »,) ist
0,005—0,007 mm breit, und bis zum Ende deutlich quergestreift;
an ihn setzt sich ein ziemlich starker Nervenast an. Die beiden
Die Abdominalanhänge der Insekten. 343
anderen Muskeln (Fig. 15 mg.) sind nur 0,003—0,005 mm breit und
färben sich zart rosa, doch lässt ihr grober Fibrillenbau und die
nahe ihrem basalen Ansatzpunkte deutlich auftretende Querstreifung
über ihre Natur keinen Zweifel. Das Matrixplasma ist an den etwas
verbreiterten Ansatzstellen der Muskeln ungewöhnlich dicht. Im
Inneren des Säckchens liegt ein schon von Grassi bemerkter und als
nervöses Element angesehener Zellstrang, dessen stark lichtbrechende,
wenn auch dünne Wandung an Tracheen erinnert (Fig. 15 cony.).
Derselbe besteht jedoch nur aus einem Bindegewebsstrange mit inne-
ren Kernen, wie solche häufig an den zipfelförmigen Endfortsätzen
der Fettkörperhülle auftreten. Der Strang erweitert sich in der
Mitte des Bauchsackes bis zu 0,008 mm; seine Kerne liegen an
dieser Stelle, oberhalb deren eine Gabelung in zwei dünnere Zweige
eintritt, zu 4—9 nahe bei einander, sind am oberen Ende eigen-
thümlich zugespitzt und bei Behandlung mit Alaunkarmin nur hier
gefärbt. Am Vorderende scheint der Strang sich mit der Fettkörper-
membran zu verbinden, während er am hinteren nach einigen Win-
dungen, die vielleicht bei der vollkommenen Vorstülpung der Säcke
ausgeglichen werden, in eine sich kapuzenartig an die Basalmem-
bran anheftende, mit einzelnen Kernen versehene Scheide übergeht.
So ist dieser Bindegewebsstrang wohl als inneres Gerüst für die
durch Blut ausgedehnten Ventralsäckehen anzusehen, auch ließ sich
in seinem Hohlraum durchaus kein besonderer Inhalt von Blut ete.
nachweisen.
Vom 3.—7. Abdominalringe werden die Säcke allmählich kleiner,
besonders schmäler, auch tritt die reine Blutfüllung mehr hervor.
Am Hinterrande des achten Bauchschildes liegen in der Mitte
zwei ovale, von vorn nach hinten konvergirende zartwandige Bläs-
chen, welche an allen Stücken unrein durchscheinend waren und
gerade über die unter und hinter ihnen liegende Geschlechtséffnung
hervorragten (Fig. 16). Diese Säcke sind im Inneren prall mit Blut
gefüllt, auch zeigen sie an ihrer nach vorn umgebogenen Außenseite
wie die Ventralsäcke der vorhergehenden Segmente einen starken,
sich an die Bauchplatte des achten Segmentes anlegenden Rückzieh-
muskel (Fig. 16 reir). Zwar fehlen ihnen die Riesenkerne, doch
treten letztere auch an den vorhergehenden Segmenten schon zurück.
So gehören wohl auch diese medianwärts gegen einander zusammen-
rückenden Blasen zu den Ventralsäcken, und ihre besondere Um-
bildung scheint besonders durch ihre Lage auf einem der letzten Seg-
mente und in der Nähe der Geschlechtsöffnung bedingt worden zu sein.
344 Erich Haase
An manchen Alkoholstücken, besonders bei erwachsenen Weib-
chen, sieht man über der Kuppe des Bauchsackes eine geronnene,
gelbliche, stark lichtbrechende klare Substanz, die, wie später bei
Machilis gezeigt werden soll, vielleicht auf geronnenes Serum zurück-
zuführen ist.
2) Japyx (Fig. 3, 17—19).
Von dem am meisten verbreiteten Vertreter der Gattung, J. so-
lifugus Hal., erwähnte Fr. MEINERT!, dass der Hinterrand des er-
sten Bauchschildes sich »vor den anderen durch ein Paar flache Vor-
sprünge jederseits einer mittleren warzenförmigen Vorragung unter-
schiede, die mit längeren Borsten besetzt seien«.
Weiter beschrieb B Grassi? bei derselben Art an der Bauch-
platte des ersten Abdominalsegmentes » papille speciali«, die in beiden
Geschlechtern gleich seien und aus einer mittleren und zwei lateralen
Erhebungen bestiinden; die letzteren seien kurz, breit und mit zahl-
reichen und längeren Haaren besetzt, die mittlere schmäler und mit
wenigen sehr kurzen Haaren versehen; an jede dieser drei Papillen
gehe ein Nervenstrang. Weiter beschreibt derselbe eine in manchen
Punkten abweichende Form aus Sicilien von 3,5—4 mm Länge, J.
Isabellae, die »per lo meno« am zweiten und dritten Abdominal-
ringe innerhalb der Bauchgriffel »Abdominal- oder Segmentalblasen
besitze, die denen der Campodeen ähnlich wären«.
In seiner größeren Arbeit über die Thysanuren wiederholt B.
Grassi? diese Angaben dahin, dass er für J. solifugus das voll-
kommene Fehlen, für J. Isabellae das Vorkommen von Bauchsäck-
chen am zweiten und dritten Abdominalsegmente bestätigt und für
letztere Art (wie für Campodea und Nicoletia) den wahrscheinlichen
Besitz eines Nervenfadens mit distaler Endigung, das Vorhandensein
einer sehr zarten Cuticula und sehr wahrscheinlich drüsiger Zellen
angiebt.
Mein Untersuchungsmaterial bestand aus leider wenigen und zum
Theil defekten Stücken mehrerer Arten.
Bei J. gigas Brauer aus Cypern, einer Art von 23—26 mm
Linge, tritt an der ganzen Bauchplatte des ersten Abdominalseg-
mentes jederseits des schmalen, etwas eingesenkten Mittelschildes eine |
1 Fr. MEINERT, Campodeae etc. (Nat. Tidsskr. 3. R. Bd. III. 1864—1865.)
pag. 418.
2 B. Grassi, lJapyx ete. (Catania 1886) pag. 18.
3 B. Grassi, Anatomia comparata dei Tisanuri. ([1887.] 1888.) pag. 38.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 345
flache Vorwölbung der Seitentheile auf (Fig. 19). Am Hinterrande
liegen jederseits des nur 0,125 mm breiten mittelsten Stückes, das
eine einfache dünne Duplikatur der Ventralhaut darstellt, drei scharf
begrenzte, von einer bindegewebigen Membran umschlossene Drüsen-
zellmassen (Fig. 19 gland.\, welche selbst in zurückgezogenem Zu-
stande den Plattenrand noch überragen und von einer schmalen
Ringfalte (@.) eingeschlossen sind. Die äußerste Drüsenmasse ist bei
0,25 mm Länge 0,135 mm hoch und an den Vorderecken abge-
rundet. Die mittlere bildet einen eher abgerundet rechteckigen
Körper von 0,23 mm Länge und 0,13 mm Höhe; die innerste ist
flach und quer gestreckt, 0,26 mm lang und nur 0,09 mm hoch.
Die beiden äußeren Drüsenmassen sind an ihrer freien Hinterfläche
sehr dicht, die innerste spärlicher mit starren, spitzen, gelben Börst-
chen besetzt, die bis 0,03 mm lang werden und deren an der mitt-
leren Masse gegen 100, an der äußersten über 200 vorkommen. Die
Drüsenzellen sind trübe durchscheinend, von gelblicher Farbe.
Jederseits des mittleren einfachen Bauchplattenstückes setzt sich
ein ganz oberflächlich gelegener Muskel an die dorsale Seite der
Hinterwand. Eben so tritt zwischen die innerste und über die mitt-
lere Drüsenmasse ein stärkerer, am vorderen Ansatz (im ersten
Drittel der Bauchplatte) in acht Stränge zerfallender und zwischen
die mittlere und die äußere Drüsenmasse ein noch kräftiger ent-
wickelter Muskel. Letzterer setzt sich in der Nähe des mittleren
Muskels in ebenfalls mehreren Strängen an und tritt wie der innerste
am hinteren Ende mit scharfer keilförmiger Zuspitzung an den Bauch-
plattenrand. Außer diesen Muskeln finden sich noch jederseits zwei
ca. 0,001 mm breite zarte längere Stränge, die über den stärkeren
Zügen vom vordersten Drittel der Bauchplatte gegen die zugespitzten
Köpfe der beiden äußersten Muskeln verlaufen; endlich liegt vor der
äußersten Drüsenmasse ein kurzer breiter, in der Mitte eingeschnürter
Stamm, der sich hinten in der Nähe der Drüsenhülle ansetzt. An
den äußeren der starken Längsmuskeln verläuft ein deutlicher Ner-
venstrang (Fig. 19, der innere nerv.).
Auch an der zweiten Abdominalplatte (Fig. 18) ist die nach
vorn einspringende Duplikatur des Hinterrandes noch 0,16 mm breit.
Leider war das untersuchte Stück, welches ich der Güte des Herrn
Prof. Dr. Fr. BRAUER verdanke, gerade an diesem Segment stark
macerirt, so dass sich nur noch das Vorhandensein einzelner der
im ersten Abdominalsegment nachgewiesenen Muskeln feststellen ließ.
So fand sich der schlanke, sich üher der äußeren Drüsenmasse
346 Erich Haase
ansetzende Strang wieder und eben so Reste des über dieser Masse
gelegenen und des innerhalb von ihr an den Plattenrand herantreten-
den Muskels. Sonst ließ sich nur eine in Verlängerung der äußeren
Drüsenmasse gelegene, ihr wohl entsprechende weichhäutige, mit
ganz glatter, zarter Chitinhaut bekleidete schwache, 0,1 mm breite
Vorstülpung der Intersegmentalhaut erkennen (Fig. 18 sac.), deren
Inhalt sich auf Längsschnitten als aus Fettkörper und Blutmassen
bestehend erwies und die somit ihrer Lage und ihrem Bau nach den
Bauchsäcken von Campodea gleichzustellen wäre.
Am dritten Abdominalsegment ist die Hinterrandsduplikatur der
Bauchplatte an den Seiten auf 0,03, in der Mitte auf 0,01 mm zu-
rückgegangen, um auf den nächsten Ringen allmählich ganz zu ver-
schwinden.
Bei J. solifugus Hal. liegt an der Bauchseite des ersten Ab-
dominalsegmentes jederseits eine durchgehende, 0,3 mm lange und
0,08 mm breite flache Vorwölbung, die durch einen 0,45 mm brei-
ten Raum getrennt wird. Auf jeder Vorwölbung stehen 20—30
lang spießförmige, bis 0,03 mm lange hohle Borsten. Eine ziem-
lich schwache Längsmuskulatur verläuft über der Mitte der Vor-
wölbung und außerhalb derselben an den Hinterrand der ersten
Bauchplatte, und so scheint die Beweglichkeit der letzteren sehr
gering zu sein.
Ber Bau der Drüsenmassen am ersten Hinterleibsringe von J.
gigas wurde an Längsschnitten untersucht (vgl. Fig. 17). Die auf
der Cutieula stehenden Härchen (se¢.) sind gelblich und bis zur Spitze
von einem weiten Kanal durchzogen, der scheinbar direkt in den
langen Hals einer einzelligen Drüsenzelle (gland.) übergeht. Die
Ausführgänge sind in der Mitte oft stark aufgeblasen, während sie
sich am Ende wieder bis zu 0,001 mm Durchmesser verschmälern.
Ähnlich lässt sich auch bei J. solifugus der Übergang des die
hohlen kurzen Haarstacheln durchziehenden Kanals in den dünnen,
0,02—0,03 mm langen Ausführungsgang einzelliger rundlicher Haut-
drüsen von 0,005—0,008 mm Durchmesser erkennen.
Bei einer kleinen Triestiner Form, die ich auf Grassrs J. Isa-
bellae beziehen möchte, liegt am Hinterrande der meisten Ventral-
platten innerhalb der beweglichen Griffel ein zarthäutiger, auf un-
bedeutende Erweiterungen der Intersegmentalhaut zurückführbarer
Sack. Auf Längsschnitten zeigte derselbe schwach entwickelte Rück-
ziehmuskeln, unter der zarten, am Ende manchmal fein gefältelten
Cuticula einzelne größere Kerne und im Inneren diehte Blutmassen
Die Abdominalanhänge der Insekten. 347
mit zerstreuten größeren Blutzellen. So weit das geringe Unter-
suchungsmaterial es erkennen ließ, scheint diese Einrichtung auch
am ersten Abdominalsegment und dann bis zum siebenten vorzu-
kommen, jedoch nur am zweiten bis dritten mehr entwickelt zu sein.
9)
3) Nicoletia.
Bei dieser interessanten, in gewisser Weise zwischen Campodea
und Machilis stehenden Gattung beschrieb zuerst NICOLET! an den
Hinterleibsringen innerhalb der Abdominalgriffel »un petit corps ves-
siculeux et ovale, faisant probablement partie des organes de la re-
spiration«; der Abbildung nach (l. e. Taf. V Fig. 10) reichen die
Bauchsäckehen bis zum achten Hinterleibssegment.
B. Grassı giebt in seiner kurzen Mittheilung über dasselbe Ge-
nus? leider nur an, dass die »vescicole segmentali« wie bei Cam-
podea und Machilis lägen und eben so gebaut seien, sowie dass sie
am ersten Abdominalsegment vielleicht fehlen, sicher aber? vom
zweiten bis achten Segment vorkommen und wahrscheinlich einen
eigenen Nervenfaden besitzen.
4) Machilis (Fig. 4, 20—24).
Bereits GuERIN* beobachtete, dass am ersten Abdominalsegmente
von M. maritima ein, am zweiten bis fünften jederseits zwei, am
sechsten rechts zwei, links ein, am siebenten bis achten jederseits
ein birnförmiges, ziemlich dickes, weißes Bläschen bervortrat.
Auch MEnGE> scheint die Abdominalsäcke von Machilis gesehen
zu haben, denn seine Behauptung »Exemplare von Machilis gefunden
zu haben, bei denen die Eier an den Hinterleibsanhängen befestigt
waren«, lässt sich nur dadurch erklären, dass er die ovalen weiß-
liehen Bauchsäcke für Eier angesehen hat, obwohl die Ähnlichkeit
mit Eiern überhaupt nur eine durchaus oberflächliche ist.
1H. NicoLET, Essai sur une classification ete. des Thysanoures (Ann. de
la Soe. Ent. de France 2. ser. V. 1847). pag. 353.
? B. Grasst, Cenni anatomici sul genere Nicoletia (I progenitori ete.
Mem. IV). (Bullettino della Soc. Ent. Ital. XVIII. 1886—1887). pag. 6.
3 B. Grassi, Anat. comp. dei Tisanuri etc. (1888). pag. 38.
4 GUERIN, Notes sur des organes semblables aux sacs branchiaux des
Crustacés inférieurs, trouvés chez un insecte hexapode (Ann. sc. nat. 2. ser.
Tome V. 1836). pag. 374.
5 A. MEnGE, Die Myriopoden ete. von Danzig (1851). pag. 18.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 23
348 Erich Haase
Weiter beobachtete J. Woop-Mason! das Austreten der Ventral-
siicke bei dem Eintauchen des Thieres in Alkohol und fand auch
zuerst einen mächtigen Rückziehmuskel, »der sich am distalen Ende
in wenigstens vier Zweige theilte, welche sich dann an die innere
Oberfläche des dünnen, glatten und zarten Epithelbelages« ansetzten;
die zurückgetretenen Blasen sollten sich nach außen durch einen
Porus öffnen, »der von einem am freien Rande mit Borsten besetzten
Chitindeckel geschützt seic. Bei M. maritima fand er am ersten,
sechsten und siebenten Abdominalringe je zwei, an den dazwischen
liegenden je vier Blasen, bei M. polypoda deren an jedem Ringe
höchstens zwei.
B. Grassi? erwähnte von den Abdominalsäcken nur, dass sie
» weit mit der Leibeshöhle kommunieiren« und durch Blutfüllung her-
vortreten; ihre Epithellage bestehe aus einer Schicht von Zellen, die
größer als die der Hypodermis und vielleicht drüsig seien; die Ein-
trittsöffoung der Säcke sei mit Haaren umgeben, doch fehle ihr der
von Woop-Mason angegebene Deckel.
Ausführlicher geht J. T. OUDEMANS in seiner Arbeit über Ma-
chilis, die unabhängig von der B. Grasst's entstand und wenig
später publieirt wurde, auf die »ausstülpbaren Bläschen« ein. Er
giebt ihre Zahl zu konstant 22 an, die am ersten Abdominalringe
wie am sechsten und siebenten zu je einem, an den dazwischen lie-
genden zu je zwei Paaren auftreten. Der Rückziehmuskel theilt sich
nach OUDEMANS in drei bis vier Bündel, welche sich an der mit
einer dünnen Hypodermis bekleideten Wand des »Bläschens« ein
wenig dorsal von dessen Spitze anhefteten, wodurch die mehr ven-
trale Neigung der gefüllten Säckchen erklärt werde. An den Seg- |
menten mit vier »Bläschen« liege der zu den innersten Bläschen
gehende Muskel über den anderen. Auch OuDEMANs erklärt das
ventrale behaarte Stück an der Basis der Säckehen, das beim Aus-
und Einstülpen vorwärts und rückwärts bewegt werde, für » weiter
nichts als den Übergang des Chitins der Bläschenwand in das Chi-
tin des Bauchschildes.«
1 J. Woop-Mason, Morphological notes bearing on the orig. of insects
(Trans. Ent. Soc. London 1879). pag. 158—160.
2 B. Grassi, Contribuzione allo studio dell’ anatomia del genere Machilis
(I progen. etc. Mem. III.). (Accad. Gioenia. Se. Nat. Catania. XIX.) 1886.
pag. 19.
3 J. T. OUDEMANS, Beiträge zur Kenntnis der Thysanura und Collembola
(Bijdragen tot de Dierkunde 1888 [holländ. Ausgabe. Juni 1887]). pag. 168.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 349
Vor Kurzem wiederholte S. JOURDAIN! an M. maritima einige
der erwähnten Einzelheiten wohl auf Grund eigener Beobachtungen,
aber ohne jede Litteraturangabe.
Nach meinen Untersuchungen stimmen die beiden Arten von
Machilis in Zahl, Bau ete. der Ventralsäcke durchaus überein.
Am Vorderrande der Ventralfläche des ersten Abdominalseg-
mentes liegt ein 0,08 mm hoher, hinten in einem Winkel von 140°
vorspringender unpaarer Schild (vgl. Fig. 24 se.int.). Jederseits des
letzteren tritt, durch einen durchgehenden medianen Spalt getrennt.
eine flach gewölbte Platte auf, die sich an den Seiten frei abhebt;
hinten vereinigen sich diese zwei Platten und bilden eine Duplikatur,
die fast die Hälfte der Segmentlänge einnimmt. Nahe den Platten
sitzen in der Duplikatur des Hinterrandes willkürlich zurückziehbare
Abdominalsäckchen, die sich ca. 0,4 mm weit? ausstülpen und gelb-
lich durchscheinend sind. Die distale Wölbung am freien Ende
derselben ist in der Mitte schmal und deutlich eingedrückt und an
diese Einsenkung, die der Ventralfläche zu gerichtet ist, setzen sich
drei stark quergestreifte Muskeln (vgl. Fig. 24 reir.med.) an. Jederseits
von diesen mittleren tritt ein außen schräg abgestutzter Muskel von
0,009 mm Breite an die Säckchenwand heran. Hinter dem Austritt
aus den Säckchen legen sich diese Muskeln hart an einander und
bilden so einen fast einheitlichen, von gemeinsamer bindegewebiger
Membran umgebenen Komplex, an den ein Nerv verläuft (vgl.
Fig. 24 nerv.).
Außer diesen sekundären und nur die Zurückziehung der Säck-
chen bewirkenden, finden sich noch zwei blassere und weniger scharf
quergestreifte Muskeln (vgl. Fig. 24 long.ventr), welche bisher über-
sehen wurden. Dieselben setzen sich an den Vorderrand und ent-
springen wie die vorher besprochenen nahe dem Hinterrande der
paarigen Bauchplatten; sie sind als die Vertreter der Bauchlängs-
muskeln anzusehen, die allerdings Zeichen von Unterdrückung be-
merken lassen, und werden von einem ziemlich kräftigen Nerven
versorgt.
In eingezogenem Zustande bildet jedes der Säckchen eine Tasche,
deren Ränder dem bei den Drüsenmassen von Japyx gigas erwähnten
1 S. JourDAIN, Sur le Machilis maritima (Compt. Rend. Tome 108. 1888).
pag. 623—625.
2 Dieses Maß ist nach Alkoholmaterial gemacht; an frischem sind sie
bedeutend größer.
23*
350 Erich Haase
Ringe entsprächen. An der Ventralseite ist der Rand in feine Spit-
zen ausgezogen, während die Dorsalseite eine Reihe von ca. 30—40
längeren, nach unten gekrümmten Gelenkborsten trägt, die bei voll-
kommenem Zurücktreten der Säckchen meist zwischen die Spitzen
des Ventralrandes fallen. Diese Versclilussborsten sind 0,04 mm
lang und an der Basis 0,002 mm breit, innen von einem feinen
Kanal durchzogen, sitzen einem engen Porus auf und stehen in
einem dreiseitigen weiteren Balge mit verdickten Wänden. An die
Borstenbasis tritt ein feiner Strang heran, der nicht vollständig ver-
folgt werden konnte, aber wohl im Zusammenhange mit kugeligen,
0,02—0,04 mm von ihr entfernten Kernen steht, die in Zahl und
Lage genau den Borsten entsprechen und von außen meist durch zwei
Chitinhautfalten eingeschlossen erscheinen. Diese Kerne sind 0,008 mm
dick, wovon das sich stark färbende Kernkörperchen '/, einnimmt,
und gehören wohl zu einzelligen Drüsen, die in die Haare münden,
aber verkümmert erscheinen: mit Nerven stehen sie nicht in Verbin-
dung. — Vom zweiten bis fünften Abdominalsegment bildet der un-
paare Bauchschild allmählich einen spitzeren Winkel und die paarigen
Platten tragen am Hinterrande jede zwei ausstülpbare Säcke (Fig. 24),
deren inneres Paar dem des ersten Segmentes entspricht und zugleich
größer ist als das äußere. Der Muskelverlauf gleicht dem im ersten
Abdominalsegment; höchstens tritt ein größerer Biindelzerfall der
seitlichen Rückzieher der Säckchen ein.
Am sechsten Hinterleibssegment tritt, wie am ersten, nur ein
Paar Bauchsäcke auf, die auch in der Vertheilung ihrer Muskeln
den anderen gleichen, doch sind die mittleren Längsstränge in nur
zwei Bündel zerfallen und entspringt der ganze Rückzieher aus nur
drei Wurzeln, die sich erst in der Mitte der Bauchplatte theilen.
Auch die zwei inneren Bauchplattenlängsmuskeln sind noch deutlich.
Wie im sechsten fehlt auch im siebenten Hinterleibsringe das
äußere Bauchsackpaar; die paarigen Bauchplatten treten hinten bogig
vor und bilden eine Art Klappe, da sie in der Mitte vollständiger
getrennt sind und durch besondere, zuerst am sechsten Hinterleibs-
segment auftretende Muskeln von einander entfernt werden können.
Zur Untersuchung der feineren Zusammensetzung der Bauch-
säckchen und ihres Inhaltes braucht man durchaus Exemplare mit
ausgestülpten Bläschen, und so wurden die lebenden Exemplare,
welche ich der Liebenswiirdigkeit des Herrn Dr. J. T. OUDEMANS
verdanke, meist in Flüssigkeiten von 40—50° Wärme getödtet, und
zwar besonders, wie OUDEMANS es angab, in 70%igem Alkohol,
Die Abdominalanhänge der Insekten. 351
außerdem aber auch in 0,01%iger Überosmiumsäure und starker
Goldcehloridlösung.
Auf der ventralen Säckehenwand bilden die Matrixzellen ein
ausgesprochenes Syneythium. In der sehr feinen und dünnen Plas-
mamasse heben sich flache längliche Kerne ab, die durchaus denen
der übrigen Körperhaut entsprechen (Fig. 20). Sie sind 0,0 1—0,012 mm
lang und 0,003—0,0045 mm breit und führen im Inneren meist zwei
sich stark färbende Kernkörper und nahe der Oberfläche ca. 20—30
Vakuolen. Diese Kerne liegen so nahe zusammen, dass ihre Länge
die gegenseitige Entfernung meist übertrifft.
Durch Ausbildung von Zellgrenzen ete. geht in den Siickchen
die Matrix der Bauchfläche ziemlich rasch in das Epithel der Rücken-
wölbung: über, welche gegen den Körper gerichtet und so vor äuße-
ren Verletzungen verhältnismäßig geschützt ist. Die Kerne dieses
Zellbelages (Fig. 21) sind in der Mittelfläche ganz kugelig und haben
einen Durchmesser von 0,006 bis höchstens 0,008 mm. Im Inneren
liegt meist nur ein rundes, sich stark färbendes Kernkörperchen. Um
die Kerne herum bildet das Zellplasma an den Osmiumpriparaten
(vgl. Fig. 22) durch übermäßige Kontraktion einen hellen Hohlraum,
indem es sich von dem Kerne geschlossen und gleichmäßig zurück-
zieht und mit letzterem nur durch feine Plasmanetze in Verbindung
bleibt!. Wie sich ebenfalls besonders an Längsschnitten der mit
Überosmiumsäure behandelten Säckchen, aber auch schon an den
bloßen Alkoholpräparaten erkennen ließ, bildet das 0,002 mm dicke
Zellplasma zur Fläche senkrechte, dicht gestellte Stränge (Fig. 22
str.), welche auf dem Schnitt wie Streifen, von der Fläche wie grobe
Körnelung erscheinen.
Die Entfernung der Kerne von einander beträgt meist 0,01 mm,
oft aber auch bedeutend weniger. Die Zellgrenzen sind unregel-
mäßig sechseckig und auch an frischen Thieren deutlich ; der Durch-
messer der Zellen, die oft zwei Kerne enthalten, beträgt meist bis
0,2 oder 0,3 mm.
Im Inneren der ausgestülpten Säcke erkennt man zarte, viel
verästelte Bindegewebsstränge, die sich von Wand zu Wand ziehen:
Nerven habe ich an den Epithelbelag nicht herantreten sehen. Die
Chitineutieula, welche die Außenhülle der Säckchen bildet, ist zart,
glasig und weich; an ihr ließen sich keine Poren nachweisen.
1 Die feinen Plasmanetze des Zellinhalts sind besonders schön nach der
Behandlung mit Alaunkarmin zu erkennen.
352 Erich Haase
5) Lepismina.
B. Grassı! erwähnt, dass Lep. pseudolepisma Gr., welche nur
an den drei vorletzten (7.—9.) Abdominalringen Griffel (Styli) trägt,
am ersten Hinterleibsringe »zwei Säckchen besitze, von denen er nicht
wisse, ob sie protraktil seien, die aber jedenfalls für den Segmen-
talblasen homolog gehalten werden müssten, mit denen sie große
Ähnliehkeit in der Struktur zeigten; ein vielleicht homologes Or-
gan läge noch innerhalb der Ventralgriffel des siebenten Hinterleibs-
ringes« (später? giebt Grassi für letzteres das achte Segment an).
An der L. polypodia Gr., zu der auch wohl die von mir ver-
glichene Triester Form gehört, fehlen die Ventralsäcke vollkommen;
ich vermuthe, dass dies auch bei Grassi’s L. pseudolepisma der
Fall ist und die »organi paragonabili alle veseicole« vielleicht drü-
siger Natur sind.
Bei Termophila und Lepisma fehlen die Ventralsäcke
durchaus.
4) Collembola (Fig. 4, 5, 28).
Der »Ventraltubus« der Collembolen sitzt bei allen bekannten
Arten am ersten Abdominalsegment und besteht aus einer unpaaren
köhre von oft beträchtlicher Länge, die sich am freien Ende meist
in zwei kürzere, oder sehr gestreckte (Smynthurus) zartwandige
Säcke auszieht.
Diese Säcke sind schon lange bekannt und bereits NicoLer?
bemerkte, dass sie innen mit »petites glandes fort nombreuses et
disposées réguliérement sur toute leur surface« besetzt sind.
Später fand v. OLFERs*, dass diese Säckchen, sobald sie zu-
rückgezogen sind, durch einen besonderen Klappenverschluss bedeckt
werden, der sich bei ihrem Hervortreten wieder öffnet; er fand auch
einen Muskel. der vom Rücken des Thieres entspringt und sich an
die Spitze des Säckchens ansetzt; bei Smynthurus sah er noch einen
zweiten Strang an die Säckchenmitte verlaufen.
1 B. Grassi, Altre ricerche sui Tisanuri (1887). pag. 20.
2 B. Grassi, Anatom. compar. dei Tisanuri etc. (1888). pag. 38.
3 NICOLET, Rech. pour serv. a l'hist. nat. des Podurelles. 1841. pag. 42.
4 E. DE OLFERS, Annotationes ad Anatomiam Pudorarum (Diss. inaug.
Berol. 1862). pag. 22.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 353
T. TULLBERG! untersuchte den Ventraltubus in den zwei wich-
tigsten Formen, bei Orchesella und Smynthurus.
Bei Orchesella erscheint derselbe nach TULLBERG in einge-
zogenem Zustande als eine weite haarige, in der Mitte längsge-
furchte Röhre, die sich mit einem abgesetzten Fußtheil von der
weichen Ventralhaut erhebt und an ihrem Ende. durch ein Paar
Klappen, die wohl nur als bewegliche Theile der Röhre aufzufassen
sind, geschlossen ist. Sobald die Wirkung der Rückziehmuskeln
aufhört und die Röhre sich mit Blut füllt, quellen unter den Klap-
pen zwei rundliche Blasen hervor, die mit feiner Cutieula bekleidet
sind und an ihrer Wand große Zellen führen. Die Rückziehmuskeln
bestehen jederseits aus vorderen und seitlichen Strängen, die sich
an die Klappen ansetzen, und einem an das Ende des Bläschens
herantretenden Bündel.
Die großen Zellen im Inneren des Sackes seien mit einem Ende
an dem Sarkolemm der Muskeln, mit dem anderen, distalen am
Säckchen befestigt. —
Für Smynthurus bestätigt TULLBERG im Allgemeinen die An-
gaben von v. OLFERS und erwähnt, dass die zurückgezogenen langen
und dünnen Säckchen im Inneren des Leibes jederseits des Darm-
rohres eine Schleife bilden und die beiden Rückziehmuskeln sich nahe
bei einander in der Rückenmittellinie befestigen. Auch hier bestehen
die Säcke nach TULLBERG »aus zwei Lagen«, die der Matrixschicht
und der über ihr liegenden Cuticula entsprechen; auf letzterer treten
halbkugelige Vorwölbungen auf. Die großen Zellen, die im Ventral-
tubus von Orchesella erwähnt wurden, hat TULLBERG bei Smyn-
thurus nicht wieder gefunden.
J. Lupsock’s Angaben über den Ventraltubus enthalten einige
Bemerkungen iiber die Mechanik desselben; so wird hervorgehoben?,
dass das Hervorstiilpen »nicht durch Muskelkraft erfolgen könnte
außer dureh die indirekte Einwirkung derjenigen Muskeln, welche
die Leibeshöhle zusammenziehen und so, den allgemeinen Druck
verstärkend, die zwei Fäden auspressten«.
In seiner Arbeit über Macrotoma plumbea beschrieb endlich
1 T. TULLBERG, Sveriges Podurider (Kongl. Sv. Vet. Ak. Handl. Bd. X.
No. 10). 1872. pag. 17—18. Mit Abbildungen.
2 J. LusBock, Monograph of the Collembola and Thysanura (Ray Society).
London 1873. pag. 93.
354 Erich Haase
SOMMER! im Ventraltubus die schon von TULLBERG erwähnten großen
Zellen als einzellige Hautdrüsen von 0,117 mm Länge mit zartem
eutieularen, 0,011 mm diekem Ausführungsgange, der sich an die
Oberfläche der »Haftlappen« verfolgen ließ, »wo er mit einer rund-
lichen Öffnung nach außen mündete«. Sommer ist noch der, wie
schon OUDEMANS bemerkte, irrigen Ansicht, dass die Muskeln des
Tubus die Ausstülpung desselben bewirkten.
Meine Untersuchungen, von denen hier nur einige Punkte be-
rührt werden sollen, erstrecken sich auf Vertreter der verschiedenen
Entwicklungshöhe des Ventraltubus: auf Podura, wo er nur eine
champagnerpfropfenähnliche Hervorragung bildet, die auf der End-
fläche durch eine seichte Längsfurche getheilt wird; auf Isotoma,
Orchesella und Tomocerus (Macrot.) plumbeus, wo sich die erste
Andeutung von Säckchen findet, die als blasige dünne Erweiterungen
der Endscheibe anzusehen sind, und auf Smynthurus.
Da die Funktion und damit auch der Bau des Ventraltubus den
Gegenstand einer besonderen Arbeit zu bilden bestimmt ist, sei hier
nur kurz erwähnt, dass dieser Anhang an seiner Basis von beborste-
ter Chitinhaut wie die übrige Bauchfläche bekleidet ist und dass ge-
wisse Theile derselben zwischen dem Basalstiel und der unbehaarten
krystallklaren Cuticula des meist eingezogenen, distalen Theiles bei
dem Zurückziehen der Säckchen durch eine gelenkartige Verbindung
sich gegen einander legen und als »Klappen« die Röhre schließen.
Diese Klappen sind oft lebhaft gefärbt und haben hinten ihre eigenen
Riickziehmuskeln. Die sehr starken Einzieher des Säckchens setzen
sich an die Mitte desselben an, während besondere, sich an die
Stielwände ansetzende Beuger und Strecker den ganzen Tubus in
allerdings geringerem Grade nach vorn und hinten bewegen. Außer-
dem findet sich im Hohlraum des Säckchens bei Macrotoma und an-
deren langgestreckten Formen noch ein durchgehender, bindege-
webiger Längsstrang. Innen ist der Tubus mit einer zarten, un-
deutlichen Hypodermis ausgekleidet, in der bei den langgestreckten
Formen wenig zahlreiche, oft sehr große einzellige Drüsen liegen,
die mit einem feinen Porus nahe der Mitte sich öffnen und nur bei
Smynthurus zu einer dichten Lage zusammentreten und jede inner-
halb einer halbkugeligen Cuticularauftreibung ausmünden. Die Drü-
sen schwärzen sich an Osmiumpräparaten intensiv.
1 A. Sommer, Über Macrotoma plumbea. Beiträge zur Anatomie der
Poduriden. (Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. XL. 1885.) pag. 692.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 355
Il. Funktion der Bauchsäcke.
M. GuErIN!, der Entdecker der Ventralsäcke, hielt diese bei
Machilis für Athmungsorgane »analogues & ceux quon trouve sous
labdomen de beaucoup de crustacés et qui sont places a la base
des fausses pattes abdominales«; derselben Deutung schloss sich
auch NICOLET an.
Nachdem Tu. v. SIEBOLD später die Tracheen von Machilis auf-
gefunden hatte, zog er daraus den Schluss?, dass den von GUERIN
für Respirationsorgane gehaltenen Säcken »eine andere Bedeutung
zukommen müsse«.
Die meisten Angaben späterer Beobachter beschränken sich
darauf, die Ausstülpbarkeit der Ventralsäckchen bei den einzelnen
Gattungen hervorzuheben. Bezüglich des Vorganges der Ausstülpung
sei hier auf die irrthümliche Vorstellung hingewiesen, welche mehrere,
besonders neuere Autoren sich von diesem einfachen Bewegungsakt
gemacht haben.
Vor Allem ist daran zu erinnern, dass die meisten Beobachter,
so z. B. auch Nassonow und J. Woop-Mason, den zurückgezogenen
oder eingestülpten Zustand der Säckchen für diejenige Form hielten,
in der hauptsächlich ihre Funktion in Thätigkeit trete und so über-
sahen, dass dann die Entwicklung der mächtigen Rückziehmuskeln
keine Erklärung findet. Aus der Annahme, dass die Funktion der
Ventralsäcke mit dem Invaginationszustande beginne®, erklärt es sich
auch, dass beide Forscher zu der Annahme getrieben wurden, die
bis vor Kurzem die herrschende war: dass wir es hier mit drüsigen
Organen zu thun haben, deren Sekret sich in die Einstülpungshöhle
ergösse und durch den Schlitz ausgeführt würde. Diese Deutung
wurde noch besonders durch eine Angabe J. Woop-Mason’s ge-
kräftigt!, nach der »die frisch ausgestülpten Säckchen von Machilis
mit einem Überzug von Flüssigkeit, dem Sekretionsprodukt der Drüse
1 Ann. sc. nat. 2. ser. Bd. V. 1836. pag. 374.
2 v. SIEBOLD und STANNIUS, Vergleich. Anatomie etc. I. 1848. pag. 620.
3 Meiner Ansicht nach beruht der Zustand, in welchem sich die Ventral-
blasen am konservirten Material erhalten, auf physikalischen Ursachen; so
quollen die Bläschen in allen benutzten Flüssigkeiten hervor, sobald dieselben
nur gehörig erwärmt waren, und ihr Vortreten ist somit wohl auf die Aus-
dehnung der Leibeshöhlenflüssigkeit durch die erhöhte Temperatur zurückzu-
führen.
4 J. Woop-MAson, Entomol. Notes etc. (1879). pag. 159.
356 Erich Haase
bedeckt seien«; »its microscopic appearance being precisely that of
an object examined under the microscope before the spirit from which
it has been taken has had time to evaporate from its surface, and
a minute drop of fluid being left upon a piece of glass applied to it«.
So wurden die Ventralsiicke denn von J. Woop-Mason als
»glandular pouches« bezeichnet und geradezu als »renal« oder »seg-
mental-organs« angesprochen, wofür derselbe 1. e. pag. 159 beson-
ders geltend machte, »dass bei Thysanuren keine MarLPpıGHr'schen
Gefäße entdeckt wären, Lepisma ausgenommen, wo die Blasen fehlten«.
Ähnlich wie Woop-Mason deutete auch Nassonow! die Ven-
tralsäcke von Campodea geradezu als Segmentalorgane, indem er vor
Allem für die exkretorische Deutung geltend machte, dass ihre re-
spiratorische Funktion noch nicht erwiesen sei.
B. Grassı betonte in mehreren seiner Arbeiten die Ausstülp-
barkeit und Rückziehbarkeit der Bauchsäcke und erkannte, dass das
Vortreten derselben durch das Einströmen von Blut, das Zurücktreten
durch die Wirkung der hineintretenden Muskulatur bedingt wird.
Über die Funktion der Säcke sprach er sich zuerst dahin aus, dass
sie »nicht gut im Dienste der Respiration stehen könnten, da sie
sich in Wirklichkeit nicht rhythmisch ein- und ausstreckten«: hielt
es aber auch für denkbar, dass sie dem Thiere »zum Anheften an
der Oberfläche der Steine« dienen könnten?.
Später wies er? die Deutung von Woop-Mason und Nassonow
energisch zurück, und hielt die von NICoLET, dass man die Bläs-
chen den Kiemen der Krebse vergleichen müsse, für viel einfacher.
Die ersten guten Beobachtungen über die Ventralsäcke am leben-
den Thier legte J. T. OUDEMANS in seiner gediegenen Arbeit über
Machilis* nieder. So beobachtete er, dass die Bauchsäcke bei dieser
Gattung vor Allem nicht als Haftapparate dienten, da sie nicht her-
vortreten, wenn das Thier sich z. B. bemüht, eine glatte Oberfläche
hinaufzukriechen. Hingegen fand er, dass die Säckchen hervor-
traten, wenn der Behälter, in dem sich die Thiere befanden, von
den Sonnenstrahlen so erwärmt wurde, dass sich erstere »in einem
! N. B. Nassonow, Welche Insektenorgane dürften homolog den Seg-
mentalorganen der Würmer zu halten sein? (Biolog. Centralblatt. VI. [1886]).
pag. 459—462.
2 B. Grassi, L’Japyx e la Campod. ete. (1886). pag. 53.
3 B. Grassi, Anat. comp. dei Tisanuri (1888). pag. 39.
4 J. T. OUDEMANS, Beiträge zur Kenntnis der Thysanuren ete. (1887).
1888. pag. 168—170.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 357
warmen, dampfgesättigten Raum (von + 30° C.) befanden«; in
kühler, feuchter Umgebung stülpten die Thiere nur zu 10% ihre
Siickchen aus; so wirkte die kalte Nässe auf sie wenig ein und
weitere Versuche ergaben denn auch das Resultat, dass die Bläs-
chen nicht dazu dienten, »Wasser aufzunehmen «.
Eben so fand OuDEMmANns, dass die Säcke nur austreten, wenn
die Thiere sich in vollkommener Ruhe befinden und dass sie bei
Beunruhigung zurückgezogen werden, also »ohne Zweifel keine Or-
gane der Selbstvertheidigung« sind. So hält er die Ventralsäcke
denn für Organe, »die eine in Hinsicht auf die Tracheen unterge-
ordnete Rolle beim Athmen spielen, in so fern als es verdünnte Stellen
der Haut sind, deren geringe Dicke eben einen Gasaustausch des
Blutes gestattet«.
Meine Beobachtungen an lebenden Thieren von Machilis können
die Angaben von OUDEMANS durchaus nur bestätigen und wenig er-
weitern. So beobachtete ich vor Allem schon vor Jahren, dass an
den warmfeuchten Septembertagen, an denen ich Mach. polypoda
bei Gogolin unter Steinen sammelte, viele Exemplare die Säckchen
unregelmäßig ausgestülpt hatten; dass dies willkürlich und oft un-
symmetrisch geschieht, so dass oft an einem Segment nur ein Bläs-
chen vortritt, hat auch Oupemans bemerkt. Sobald man die Thiere
in die Hand nimmt, treten die Bläschen zurück. Die durch einen
Nadelstich aus den Abdominalsäckchen vortretende Flüssigkeit ist,
wie schon OUDEMANS angiebt, Blut; ich habe in ihr nicht nur zahl-
reiche große Blutzellen und Körnchen gefunden, die genau denen
des Rückengefäßes entsprechen, sondern auch durch Eintrocknen-
lassen die gleichen Krystalle erhalten (Fig. 23 0), wie aus letzteren.
Die durch Verdunstung eines wässrigen Auszuges der MALrIGHT'schen
Gefäße erhaltenen harnsauren Salze (Fig. 23 c) haben eine viel
starrere, kaum verästelte Form, welche an eine auch im Harn des
Menschen vorkommende erinnert. — Eine Injektion in die Leibeshöhle
des lebenden Thieres mit der von A. KowALEvskyY! empfohlenen
Mischung von gleichen Theilen karminsaures Ammon und Indigo-
karmin färbte die Ventralsickchen tief roth, aber diffus.
Wenn man die Thiere in ein trockenes Reagensrohr setzt, treten
die Bläschen bei den Kletterversuchen eben so wenig vor als wenn
man dasselbe innen benässt?; hingegen stülpen sie sich oft aus,
’ Biolog. Centralblatt. IX. Nr. 2—4. 1889.
2 Damit widerlegt sich die vor Kurzem von 8. JourDAIN (Compt. Rend.
358 Erich Haase
sobald ihr feucht gehaltener Aufbewahrungsort von der Sonne ge-
troffen wird. Übt man auf die von einem Wachsringe zwischen
zwei Objektgliisern eingeschlossenen Thiere einen mäßigen Druck
durch Zusammenpressen des Ringes aus, so treten oft alle Säckchen
bis zu 1/, ihrer Länge hervor und sind dann in rhythmischen, sich
ungefähr jede halbe Sekunde folgenden Kontraktionen begriffen, die
man bequem unter dem Mikroskop beobachten kann. Bei den mir
zur Verfügung stehenden, durch tagelangen Transport schon ermatte-
ten Thieren konnte ich die Siickchen nie zum völligen Austritt brin-
gen, wohl weil ein zu großer Theil der Blutflüssigkeit während des
weiten Weges schon verdunstet war.
Die durch seitlichen Druck hervorgepressten Säckchen sind zu-
erst sehr blass und halbdurehsichtig klar, wie die freiwillig ausge-
stülpten, doch nehmen sie bei zunehmendem Druck bald eine mehr
bernsteingelbe Färbung an, die sich bis ins Orangegelbe steigert;
bei fortgesetztem Druck gelingt es endlich, aus ihnen einen Tropfen
Flüssigkeit auszupressen, die dünnflüssiger ist als Blut. Die mikro-
skopische Untersuchung derselben ergab, dass es sich um reines
blutzellenloses, aber körnchenhaltiges Serum handelte und die aus
der Verdampfung erhaltenen Krystalle des Coagulums glichen denen
des Körperblutes in der Struktur, waren jedoch viel “zarter und
stärker verästelt; wie jene bildeten sie eine, auf zwei auf einander
senkrechte Achsen zurückführbare Strahlenrosette mit verzweigten
Astchen (Fig. 23 a).
Die zu solchen Versuchen benutzten Thiere starben regelmäßig
nach kurzer Zeit; leider war ich nicht im Stande, zu erkennen, ob
das Serum durch feine Kanälchen der Säckchenwand hindurchge-
presst wurde. Wahrscheinlich hat Woop-Mason nur eine ähnliche
Beobachtung gemacht, denn an den Spuren der Bewegung frischer
ungestörter Thiere über Glasplatten habe ich weder ein Sekret nach-
weisen können noch auch die solches etwa secernirenden Poren in
der Cuticula überhaupt gefunden.
Die Funktion des drüsigen Epithels der Dorsalwand des Säck-
chens besteht vielleicht nur darin, durch Ausscheidung irgend einer
1888. Tome 108. pag. 64) ausgesprochene Ansicht, dass die Bauchsäcke viel-
leicht Wasser aufnehmen, »destine ä compenser les pertes que subissent ces
animaux, qu'on voit courir sur des surfaces exposées aux rayons les plus ar-
dents du soleil«; JOURDAIN beobachtete ebenfalls das plötzliche Austreten der
Siickchen, wenn man das Thier in »ein Glas mit feuchten Wiinden setzt«; die
Miteinwirkung der Wärme berührte er nicht.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 359
Flüssigkeit die Dorsalwand des Säckchens feucht zu erhalten; damit
würde auch die Streifenstruktur des Zellplasma ihre Erklärung finden.
An Schnitten durch das Säckehen habe ich außerhalb der Cuticula
niemals irgend ein Sekret gefunden.
Ähnliche Verhältnisse wie bei Machilis findet man bei Cam-
podea und Scolopendrella, nur sind die Beobachtungen hier schwieri-
ger. Von den in schwachem Alkohol getödteten Thieren hatten die
Campodeen meist regelmäßig die Ventralsäckchen vorgestülpt; von
Scolopendrella hauptsächlich die vollkommen reifen, Eier tragenden
Weibehen, die auch stets einen starken Blutsinus um die Geschlechts-
öffnung zeigen.
So sind die Bauchsäcke der Thysanuren schon ihrem Bau und
den Beobachtungen nach als Blutkiemen anzusprechen. Von
den Tracheenkiemen unterscheiden sie sich durch das Fehlen der
Tracheen in ihrem Inneren, von Gefäßkiemen durch das Fehlen der
Gefäße: sie sind also nur einfache dünnwandige Hautduplikaturen,
in welehen eine Cirkulation der Leibeshöhlenflüssigkeit stattfindet,
welche durch Bewegungen der Rückziehmuskeln willkürlich geregelt
werden kann. Hierbei findet der Gasaustausch besonders an den
zarteren und zugleich wohl feuchteren Stellen der Cuticula statt,
unter denen die eigenthümliche Matrix mit den Riesenkernen liegt,
die sich bei Machilis zu einem echten drüsigen Epithel entwickelt.
Ähnliche Verhältnisse wie bei den Thysanuren scheinen auch
bei den Symphylen und Chilognathen mit Coxalsäcken vorzukommen ;
bei letzteren scheinen die Siickchen meist in gewissem Grade aus-
gestülpt zu sein, wie die Durchsicht zahlreicher Alkoholexemplare
ergab, bei Scolopendrella sind sie häufiger zurückgezogen.
Über die Funktion des Ventraltubus der Collembola giebt es
viele, einander großentheils widersprechende Ansichten.
Schon DEGEER! stellte fest, dass derselbe beiden Geschlechtern
gemeinsam, aber in den Gattungen verschieden entwickelt ist. Nach
seinen sorgfältigen Beobachtungen nahm er an, derselbe sei bei den
Wasserpoduren bestimmt, die Feuchtigkeit an sich zu ziehen |. e.
pag. 15); bei Smynthurus diene er wegen seiner Klebrigkeit zum
Anhaften am Glase und hülfe wahrscheinlich auch beim Sprunge.
Ohne von diesen Angaben Kenntnis zu nehmen, sah P. La-
TREILLE den Ventraltubus als Kopulationsorgan an, was jedoch
! ©. DEGEER, Abhandlungen zur Geschichte der Insekten. VII. 1783
pag. 12, 15, 19—20.
360 Erich Haase
Nicoter! bald zurückwies, indem er selbständig beobachtete, dass
die Ventralsäcke bei Smynthurus beständig mit einer schleimigen
reichlichen Flüssigkeit befeuchtet sind, die von zahlreichen, regel-
mäßig vertheilten kleinen Drüsen geliefert werde. So glaubte er,
dass die Säckchen vermittels ihres Klebesekrets zum Anheften des
Thieres an einer glatten Fläche benutzt würden.
Einer ähnlichen Ansicht schlossen sich auch BOURLET, OLFERs,
LuBBock? und TULLBERG an: nur schreiben dieselben dabei den
Säckchen z. Th. noch eine saugende Wirkung zu.
REUTER hingegen erklärte, gesehen zu haben?, wie Smynthurus
und Isotoma das Wasser, das sich auf ihren Haaren befindet, mit
den Tarsalklauen abstreifen und alsdann mit Mund und Ventraltubus
aufsaugen; er spricht also eine ähnliche Ansicht, wie JOURDAIN
für Machilis, auch für diese Collembolen aus.
SOMMER endlich wirft die Frage auf, ob die Bedeutung der
Tubusdrüsen nicht die gleiche sei wie die der Bürzeldrüse der Vögel.
Ohne hier auf eine nähere Besprechung der Nebenfunktionen
der Ventralsäcke eingehen zu wollen, die den Gegenstand einer be-
sonderen Arbeit bilden wird, will ich nur hervorheben, dass nach
meinen Beobachtungen der Ventraltubus in der Ruhe wie in der
Bewegung zwar nicht rhythmisch, aber doch unregelmäßig eingezogen
und ausgestülpt wird. Das vollkommene Zurücktreten erfolgt ähn-
lich wie bei Machilis meist nur bei Beunruhigung des Thieres®.
Ein einfaches Experiment lässt die respiratorische Funktion des Tu-
bus deutlich selbst unter dem Mikroskop erkennen. Von der Be-
obachtung geleitet, dass die Collembolen diesen Bauchsack stets
ausstreckten, sobald sie in ein feuchtwarmes Röhrchen gesetzt wur-
den, brachte ich einzelne besonders kräftige Stücke von Tomo-
cerus plumbeus und Isotoma palustris zwischen zwei durch einen
Wachsring verbundene Objektträger und überließ sie so einige Zeit
der Einwirkung der trockenen Luft des Zimmers, bis die Thiere
Zeichen von Mattigkeit gaben. Nun ließ ich langsam mäßig &ı-
ı H. NICoLET, Recherches p. s. a l’hist. des Podurelles. 1841. pag. 42—44.
2 Siehe darüber die Litteraturangaben bei T. TULLBERG, Sveriges Podu-
rider (1872). pag. 18.
3 0. M. REUTER, Etudes sur les Collemboles. I—III. 1880. pag. 15—17.
4 Vielleicht lässt sich diese Beobachtung so erklären, dass die Thierchen
nicht »Wasser«, sondern Tropfen des öligen Sekretes, welches von den zahlreichen
Hautdrüsen geliefert wird, zusammenkratzten.
5 A. Sommer, Uber Macrotoma etc. (1885.) pag. 692.
6 Es erfolgt z. B. auch, wenn man das Thier unter Wasser taucht.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 361
wärmtes Wasser um den Ring fließen und durchstach letzteren fein,
so dass die Wasserdämpfe in die Wachszelle eindringen mussten. Durch
Schiitteln wurden die Thiere veranlasst, sich an den Wachsring zu
setzen, um so bequem im Profil beobachtet werden zu können. Nach
einiger Zeit gehen die Klappentheile des Tubus von einander und
der glasklare Sack quillt hervor, wie dies Fig. 28 zeigt. In der
ganzen Länge des Anhangs kann man jetzt die Schwingungen eines
feinen Mittelstranges und die starke, fast wirbelnde Strömung der
Blutkörperchen beobachten, die alle in einer Richtung, von hinten
nach vorn, den Tubus durchziehen, um sich dann in die vorderen
Ventrallakunen zu ergießen.
In einigen Fällen bildete das Thier aus den Tubusdrüsen erst
einen Sekrettropfen, der sich zwischen die zarte Wand der Säcke
und den Wachsring schob und den ich auch oft beobachtete, wenn
das Thier am Glase, z. B. eines Reagensgläschens, in die Höhe
kroch. Dies Sekret bildet verdunstet keine Krystalle, wie die bei
Machilis erwähnte Flüssigkeit, sondern eine krümelige Masse.
Übrigens können, wie ich wiederholt beobachtete, die Collem-
bolen auch ohne Hilfe des Ventraltubus am Glase in die Höhe klet-
tern und sogar im Fallen sich am Glase festhalten, und eben so
kommen sie nach dem Sprunge oft mit vollkommen eingezogenem
Tubus auf die Füße, was hier desshalb kurz erwähnt wird, weil
diese Beobachtungen dafür sprechen, dass die Hauptfunktion des
Ventraltubus als die eines Respirationsorgans anzusehen ist.
Eine weitere Stütze für die Richtigkeit dieser Deutung der Ven-
tralsäcke bietet der Vergleich mit den sonst physiologisch in Frage
kommenden Organsystemen des Körpers.
So fehlen die Marrıcarschen Gefäße eben so wie die Ventral-
säcke bei Japyx solifugus, während Campodea von ersteren zwar
nur sechzehn knospenartige Andeutungen, von letzteren aber sieben
ausgebildete Paare besitzt. So kommen bei Machilis und Nicoletia
Ventralsäcke und MarrıcHr'sche Gefäße zugleich in hoch entwickelter
Ausbildung vor und das Gleiche gilt für die Diplopoden mit nur
wenigen, aber sehr langen Harngefäßen. Eben so hat Scolopendrella
zwei sehr lange MarpıcHrsche Gefäße und stark entwickelte Ven-
tralsickchen; den Collembolen scheinen Harngefäße durchaus zu
fehlen, wie dieselben ja überhaupt durchaus sekundär rückgebildet
sind.
Anders gestaltet sich eine Zusammenstellung des Tracheen-
apparates mit den Ventralsäckchen.
362 Erich Haase
So hat Scolopendrella (Fig. 1) entwickelte Ventralsäckehen
vom letzten Thorakal- bis zum vorletzten Abdominalsegment. Da-
gegen ist das Tracheensystem stark verkümmert, denn es kommen
Stigmen nur mehr am Kopf vor und die von diesen ausgehenden
dünnen und schwachwandigen Tracheen ohne Spiralstreifung reichen
gerade bis an das Segment, an dem die Ventralsäckchen anfangen.
Es wird vielleicht durch die Entwicklungsgeschichte aufgehellt wer-
den, ob wir in den segmental angeordneten, eine hufeisenförmige
Figur bildenden Chitinspangen zwischen den Hüften Rudimente eines
früheren Tracheensystems erblicken dürfen.
Bei den Diplopoden mit Hüftsäckchen ist das Tracheensystem
ebenfalls etwas rückgebildet und werden, besonders bei Lysiopeta-
lum, ganze Lakunensysteme der Ventralseite von ihm nicht versorgt;
die Menge der zart quergestreiften langen und dünnen Tracheen-
äste ist viel geringer als z. B. bei den verwandten Chordeumiden.
Bei Lysiopetal. cognatum Latz. liegt das lochförmige Stigma
(Fig. 17 a) halb verdeckt von einer Hautfalte in einer runden, mit
wabenartig verbundenen Leistchen bedeckten Stigmenplatte von
0,17 mm Durchmesser. Es führt in einen Luftgang von 0,1 mm
Breite, der flach und an den Wänden mit schwachen Erhabenheiten
besetzt ist und sich bald in zwei Äste theilt. Von diesen verläuft
der kürzere quer, der längere nach oben und etwas nach hinten.
In die kolbenförmigen Enden dieser Gänge münden zahlreiche, sehr
feine Tracheen ein. die meist nur 0,003—0,005 mm dick sind und
keinen Spiralfaden aufweisen. In den großen, 0,5 mm langen Luft-
gang münden auch einzelne Tracheen, welche durch einen unver-
hältnismäßig breiten Matrixsaum eine bandförmige Gestalt und bei
0,003 mm weitem Lumen bis 0,012 mm Breite erreichen. Ähnlich
ist auch das Tracheensystem von Siphonophora gebildet, doch sind
die Luftgänge noch kürzer und die Tracheen weniger zahlreich.
Frisch konnte von Diplopoden mit Hüftsäckchen nur Polyzo-
nium germanicum Br. untersucht werden, eine in ganz Europa
verbreitete Form, welche besonders an feuchten Waldstellen unter
Moos gefunden wird. Ich traf sie mehrmals an Orten an, welche
so von Nässe durehdrungen waren, dass die Thiere fast im Wasser
lebten; an trockenen Orten habe ich sie nie beobachtet. Die runden
diekwandigen Stigmen (Fig. 26 stigm.) haben 0,012 mm im Durch-
messer und führen durch das einstichartige Trema in einen knotigen
Hauptstamm, von dem feine wenig verästelte Tracheen ohne Spiral-
faden in loser unregelmäßiger Anordnung über den Rücken verlaufen
Die Abdominalanhänge der Insekten. 363
und sich in der Ventralfläche fein aufreisern, um sich in die Beine
und an den Nervenstrang zu verlieren. Die unregelmäßige Verthei-
lung der Tracheen erinnert an die charakteristische Abbildung, welche
B. Grasst vom Tracheensystem der Nicoletia gegeben hat. Die ein-
zelnen Zweige sind 0,002—0,003 mm dick, ihre Wände wenig
elastisch und ihr Lumen fein: die zarten Reiser bilden oft lange
Schleifen.
Was die Thysanuren betrifft, so finden sich bei Campodea (Fig. 2),
wie schon MEINERT hervorhob und besonders PALMEN! bestätigte, nur
drei Stigmenpaare, die von MEINERT und später von B. Grassi den
drei Thorakalsegmenten, von PALMEN den letzten zwei Thorakal-
und dem ersten Abdominalringe zugerechnet werden. In der That
ist PALmEn’s Deutung die richtige, denn wie bei Machilis und Nico-
letia erscheinen auch bei Campodea alle Stigmen in der weichen
Pleuralhaut stark nach vorn gerückt, so dass sie von den Deck-
platten des vorhergehenden Segmentes umgeben sind.
Die Tracheen haben keinen Spiralfaden, sind desshalb wie die
von Scolopendrella wenig elastisch und bersten bei geringem Druck
aus einander. Diese Verkümmerung lässt sie daher auch bei beiden
Formen bald nach dem Einschluss in Glyceringelatine durch Ent-
weichen der in ihnen enthaltenen Luft farblos werden. Die Ver-
ästelung der Tracheen ist gering, auch bilden sie keine Anastomosen
mit einander. Die Hauptzüge. sind aus Fig. 2 leicht erkenntlich.
Wie dies oft bei verkiimmernden Organen der Fall ist, entwickeln
sich die Tracheen bei Campodea erst verhältnismäßig spät ?.
Bei Japyx solifugus gab B. Grassi? das Vorkommen von
elf Stigmenpaaren an, das auch ich selbständig! behauptet hatte.
Von diesen schrieb Grassı vier Paar den drei Thorakal- und sieben
Paar den ersten sieben Abdominalringen zu. Schon nach den zuerst
von GRASSI gegebenen genaueren Darstellungen ließ sich diese un-
gewöhnliche Vertheilung vermuthungsweise auf eine sekundäre Ver-
schiebung aller Stigmenpaare gegen den Thorax hin zurückführen.
! J. PALMEN, Zur Morphologie des Tracheensystems. Leipzig 1877. pag. 121.
? B. Grassı erwähnte ebenfalls (Anat. comp. etc. pag. 17), dass er bei
der eben geborenen Campodea und dem Embryo von Japyx keine Spur des
Tracheensystems finden konnte.
3 B. Grassi, Breve nota intorno allo svilluppo degli japyx. Catania,
Giugno 1884. (Sep.) pag. 9.
4 E. Haase, Das Respirationssystem der Symphylen und Chilopoden
(SCHNEIDER’s Zool. Beitr. Bd. 2. 1884). pag. 87.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 34
364 Erich Haase
So entspräche das erste, sicher nach hinten verschobene, weil hinter
dem ersten Beinpaar gelegene Stigma dem Prothorax, das zweite in
Höhe des zweiten Beinpaares gelegene dem Mesothorax und das
dritte unter dem Vorschilde des dritten Brustsegments liegende Stigma
dem Metathorax, wie auch Grassi annimmt. Das vierte Stigmen-
paar gehört dann aber dem Metathorax an. Dafür spricht schon der
Umstand, dass bei Machilis das Stigmenpaar am ersten Abdominal-
segment zwar fehlt, dass sich aber sonst wie bei Japyx sieben Stig-
menpaare finden, die deutlich zum 2.—8. Hinterleibsringe gehören.
Leider war es mir unmöglich, zu nochmaliger Kontrolle der An-
gaben Grassi’s frisches Material von Japyx solifugus von Neuem zu
untersuchen: mit um so größerer Freude benutzte ich daher die Ge-
legenheit, mich an Laugenpräparaten des Stückes von J. gigas über
die Vertheilung der Stigmata bei dieser Art genauer zu unterrichten
(vgl. Fig. 3). Auch hier finden sich elf Paare: das erste sitzt am
Hinterrande des Prothorax und gehört sicher zu diesem. Das zweite
sitzt hinter dem Beinpaar seines Segmentes wie das erste; das dritte
ist mehr gegen den Bauch gerückt und liegt dicht vor dem dritten
Beinpaar, wie das 4.—11. vor dem Vorderrande des 1.—8. Hinter-
leibsringes liegen. So sind alle Stigmata gegen eine Linie zwischen
Meso- und Metathorax verschoben. An Größe fallen unter den Stig-
men das erste und letzte auf, welche auch die einzigen sind, die
starke Tracheenstämme aussenden; die übrigen Luftlöcher sind wie
bei der vorigen Art durch zarte Längsanastomosen verbunden.
So zeigen diese beiden Arten die, so viel bisher bekannt, höchste
Zahl und zugleich einfachste Vertheilung der Stigmata unter den
Insekten, indem sich deren elf Paar finden, die den drei Thorakal-
und den ersten acht Abdominalsegmenten zuzuschreiben sind.
Bei J. Isabellae Gr. fehlen nach Grassı zwei Paare der für J.
solifugus angegebenen Stigmen, nämlich das zweite und vierte;
die Tracheen bilden zwar wie bei den übrigen Arten der Gattung
jederseits einen durchgehenden gemeinschaftlichen ventralen Längs-
stamm, jedoch zeigen sie ofienbar schon Spuren von Rückbildung.
Damit steht das Auftreten von Ventralsäckchen in Verbindung, welche
nach Grassi wenigstens am 2.—3. Abdominalsegment, nach meinen
Präparaten vielleicht an mehreren, aber nur unvollkommen ent-
wickelt sind. Bei J. solifugus, der wie J. gigas kräftige Luftröhren
besitzt, fehlen die Bauchsäckchen scheinbar ganz, während bei J.
gigas nur eine unbedeutende Anlage derselben am zweiten Abdominal-
segment erscheint, die kaum in besondere Thätigkeit treten dürfte.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 365
Bei Nicoletia kommen nach Grassı zehn Stigmenpaare vor.
die vom zweiten Brustringe bis zum achten Hinterleibsringe am
Vorderrande ihrer Segmente gelegen sind. Nach der von GRassI
gegebenen Abbildung sind die Tracheen auf der Dorsalseite zu star-
ken Längsanastomosen entwickelt, gehen aber schon, wie man an
dem unregelmäßigen Verlauf! besonders in der hinteren Thoraxhälfte
erkennt, in Rückbildung über, sind wenig verästelt, bilden keine
Längsstämme und stehen nur durch zarte Querkommissuren in Ver-
bindung, auch scheinen sie sehr zart zu sein. Bei Nicoletia finden
sich nun wieder ausgebildete Ventralsäcke vom 2.—8. Hinterleibs-
ringe.
Bei Machilis (Fig. 4) finden sich neun Stigmenpaare, die an
den zwei letzten Brustringen und am 2.—8. Abdominalsegment sitzen:
so ist der erste Hinterleibsring stigmenlos. Die Tracheen sind wenig
elastisch und dürftig entwickelt und zerfallen jederseits in einen
schwachen dorsalen und einen wenig verästelten ventralen Stamm,
bilden aber keine Längsanastomosen. Bei dieser Gattung sind die
Ventralsäckchen am höchsten ausgebildet, sowohl was Rückzieh-
muskulatur als was Epithelentwicklung betrifft. Zugleich treten sie
auch am ersten Abdominalsegment auf, wo sie in dieser zu Blut-
kiemen umgewandelten Form bisher sonst bei keinem Thysanuren
sicher nachgewiesen wurden.
Bei Lepisma und Thermophila, bei denen die Tracheen sehr
ausgebildet, ziemlich elastisch und zu ventralen Längsstämmen ver-
bunden sind, fehlen die Ventralsäckchen ganz. Bei Lepismina
pseudolepisma Gr. kommen nach Grassi am ersten und achten
Abdominalsegment zwei »ihnen vergleichbare Organe« vor, deren
Natur bisher jedoch noch nicht genügend festgestellt ist; bei der von
mir in Triest gesammelten Art von Lepismina mit zahlreichen Ab-
dominalgriffeln fehlt jede Spur der Ventralsäcke.
Bei den Collembolen sind mit Sicherheit von LUBBOCK und
TULLBERG Tracheen bisher nur bei Smynthurus erkannt worden.
Auch ich fand dieselben hier auf, kann jedoch die Ansicht der frühe-
ren Beobachter, dass sie am Kopfe liegen, nicht theilen: vielmehr
sind sie entschieden dem Vorderrande des Prothorax zuzusprechen
(Fig. 5). Die Tracheen sind fein spiralgestreift, sehr wenig ver-
ästelt und verlaufen als dünne Röhrchen besonders in je zwei schwa-
chen Büscheln nach vorn in den Kopf und nach hinten in die Brust
! Vgl. dazu die Abbildung Grassts (Anat. comp. dei Tisanuri [1888).
Taf. II Fig. 23).
24*
366 Erich Haase
und die Beine: ihre Matrix ist schwarzblau pigmentirt wie die Sub-
cuticularschicht der Kérperdecke. Bei allen übrigen untersuchten
Gattungen der Collembolen fehlt jede Spur von Tracheen (Fig. 6).
So drückt sich in der Korrelation der Entwicklung der Tra-
cheen mit der der Ventralsäckchen im Allgemeinen das Prineip aus,
dass die Ausbildung der letzteren mit der Riickbildung der ersteren
zunimmt. Dass dies Verhältnis nicht im Einzelnen stimmt, dass z. B.
Machilis die am stärksten entwickelten Ventralsäcke neben verhält-
nismäßig wenig reducirten Tracheen besitzt, lässt sich wohl auf das
srößere oder geringere Bedürfnis des respiratorischen Stoffwechsels
zurückführen. So sind die Ventralsäcke bei den beweglicheren
Formen relativ höher entwickelt, wofür unter den Collembolen die
besten Beispiele vorliegen. Denn die verhältwismäßig frei lebenden
Smynthuren, welche sehr gewandte Thiere und die besten Springer
unter den Poduren sind, besitzen außer dem allerdings schon ver-
kümmerten Tracheensystem noch einen gewaltig entwickelten Ven-
traltubus, während letzterer bei den übrigen ganz tracheenlosen
Gattungen im Allgemeinen mit der Abnahme der Beweglichkeit und
Sprunggewandtheit selbst eine Rückbildung eingeht.
Bei den Symphylen und Diplopoden können die Coxalsäckchen
vielleicht noch dazu dienen, bei der Begattung ein enges Zusammen-
halten der Thiere zu unterstützen, da sie einen Haftapparat bilden
können, wie sich dies auch am Ventraltubus der Collembolen leicht
beobachten lässt. Lässt man z. B. eine Orchesella am Glase in die
Höhe kriechen, so beobachtet man, dass in vielen Fällen der aus-
gestreckte Tubus dabei zu Hilfe genommen wird, indem er, in der
Mitte zurückgezogen, wie ein Saugbecher mit seinen Rändern die
Oberfläche des Glases berührt, wobei zugleich eine helle Flüssigkeit
von der Mitte ausgesondert wird.
Bei in Copula gefangenen Pärchen von Polyzonium beobachtete
ich, dass die Thiere dabei eine ganz gestreckte Haltung einnehmen
und die Hüften gegen einander pressen. Sonst reichen bei den
Laufbewegungen dieser Diplopoden die Hüftsäckehen nie bis an die
Bodenfläche, auch können die Thiere Glasflächen von 70° Neigung
nicht mehr erklimmen, was eher noch Craspedosomen gelingt.
Ein ähnliches Vorkommen einer Doppelathmung durch weich-
häutige sich mit Blut füllende Säcke neben der Tracheenathmung
wurde auch bei Insektenlarven beobachtet.
=
Die Abdominalanhiinge der Insekten. 367
So machte C. Cnux! darauf aufmerksam, dass bei den Lar-
ven von Eristalis besonders in reinem Wasser oft 20 Schläuche von
ca. 1 Linie Länge aus dem After hervorträten, die einen respira-
torischen Gasaustausch vermittelten, da sie längere Zeit nach dem
Hervorstülpen im Wasser flottirten. Diese Säcke sind Einstülpungen
des Mastdarmendes und von sechseckigen großkernigen Epithelzellen
ausgekleidet; an ihre Spitze heften sich ein oder zwei sehr kon-
traktile Muskeln und außerdem führen sie noch Tracheen.
Ähnlich fand Frırz MÜLLER? bei verschiedenen Larven von
Trichopteren, so besonders von Hydropsychiden, anale ausstülpbare
Blindsehläuche ohne Luftröhren. Bei einer Larve von Macronema
erschienen »die mit zartesten Luftröhren vollgepfropften Kiemen weiß,
die vier blutgeschwellten Afterschläuche grün«. Fr. MÜLLER beob-
achtete auch, dass die Afterschläuche sich hervorstreckten, sobald
die Kiemen still standen oder durch Schmutz verklebt waren; eben
so scheint es vor der Verpuppung zu sein, wo die Larve fast regungs-
los daliegt. — Nicht mehr reine Blutkiemen haben wir in den Fällen,
in welchen, wie z. B. bei den Larven von Itaura, »einige dürftige
Luftröhrenäste« auftreten.
Aus solehen Formen ergiebt sich dann durch höhere Entwick-
lung der Luftröhren eine Art von Tracheenkiemen, wie Fr. MÜLLER
sie neben den analen Luftlöchern als jederseits drei fingerförmige
Blindsehläuche bei Larven von Psychodiden fand, die an Felswänden
von Wasserfällen saßen. Diese Anhänge wurden im Wasser vor-
gestreckt und außer Wasser wieder eingezogen °.
Blutkiemen sekundärer und provisorischer Natur scheinen auch
die eigenthümlichen, in den letzten Jahren genauer untersuchten
Anhänge an dem ersten Abdominalsegment bestimmter mittlerer Ent-
wicklungsstadien am Embryo der Insekten zu sein.
Zuerst erwähnte H. RarHKe‘ an der Maulwurfsgrille eigenthüm-
1 ©. Cuun, Uber den Bau, die Entwicklung und physiologische Bedeutung
der Rectaldrüsen bei den Insekten (Frankfurt a. M. 1875). pag. 14—15.
2 Frırz MÜLLER, Larven von Mücken und Haarflüglern mit zweierlei ab-
wechselnd thätigen Athemwerkzeugen (Entomol. Nachrichten. XIV. Sept. 1888.
pag. 272—277).
3 Scheinbar ähnliche Verhältnisse einer Doppelathmung sind von A. GER-
STÄCKER auch bei Pteronareys und Diamphipnoa beschrieben worden, bei denen
die Tracheenkiemen aber nur als verkümmerte Reste der larvalen Anhänge
aufzufassen sind und neben den entwickelten Tracheen kaum mehr funktioniren
werden.
4 H. RATHKE, Zur Entwicklungsgeschichte der Maulwurfsgrille (Arch. für
Anat. und Physiol. 1844). pag. 30—32; dazu Taf. U Fig. 1—3.
368 Erich Haase
liche gestielte Scheiben, »die an der konvexen Seite eine große Zahl
von kleinen schwach gewölbten Vorragungen zeigen, deren jede in
der Mitte einen Nabel hat« (— es sind wohl kernhaltige Zellen ge-
meint —). Im Inneren vermisste RATHRE die Tracheen vollkommen,
dagegen fand er Räume, die Blut zu führen schienen. Er sah die
Organe als rein embryonale an und schrieb ihnen eine wohl respi-
ratorische Funktion zu, wofür »ihre oberflächliche Lage, ihr inniges,
wahrscheinlich durch einen klebrigen Stoff vermitteltes Anschließen
an die Eihaut und die sehr weiche Beschaffenheit ihrer Oberfläche«
sprechen. Eben so bemerkte er scharfsinnig, dass diese Embryonen
»viel Luft bedürften« und somit die große Eikammer, in der sie
niedergelegt werden, ihre Erklärung fände, zumal sie, »in der Erde
so aufbewahrt, verderben«.
Weiter erwähnte H. Ayers! in seiner Entwicklungsgeschichte
einer Grillenart, Oecanthus niveus, dass »die Funktion der Athmung
sich zuerst zur Zeit der Umrollung des Embryo bemerkbar mache«
durch das Auftreten von zwei gestielten, breit ovalen Körpern am
ersten Abdominalringe, die er geradezu als Kiemen (gills) bezeichnete.
Ihr Zellbelag besteht aus großen kernhaltigen Zellen; ihr Inneres
zeigt Höhlungen, die mit der Leibeshöhle in Verbindung stehen und
wahrscheinlich als Kanäle dienen, in denen die Blutflüssigkeit cir-
kulirt. — Ähnlich beobachtete W. Parren? an Phyllodromia germa-
nica, dass sich das embryonale Beinpaar am ersten Abdominalringe
in »pear-shaped structures« verwandle, die mit einem Stiel am Ab-
domen festsäßen, der am distalen Ende in einen feinen Gang aus-
liefe. Die Wand des Anhangs bestehe aus sehr hohen Ektoderm-
zellen; Mesodermelemente nähmen an seiner Bildung nicht Theil.
PATTEN verwarf die dem ähnlichen Anhange bei Gryllotalpa von
RATHKE gegebene Deutung wegen der großen Dicke der »ectodermic
walls«, glaubte vielmehr in ihm ein Sinnesorgan, vielleicht mit drü-
siger Natur, sehen zu dürfen.
Die wichtigsten Beobachtungen über diese Embryonalanhänge
am ersten Hinterleibssegment verdanken wir V. GRABER®. — Am Em-
bryo des Maikäfers treten an Stadien von 12—14 Tagen an den
! H. Ayers, On the development of Oecanthus niveus etc. (Mem. of the
Boston Soe. III. 1884). (Citirt nach V. GRABER.)
2 W. Parren, The development of the Phryganids with a preliminary
note on etc. Blatta (Quart. Journ. Mier. Soc. XXIV. 1884). pag. 596—597.
3 V. Grazer, Uber die Polypodie der Insektenembryonen (Morph. Jahrb.
Bd. XIII. 1888). pag. 586—615. Mit 2 Taf.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 369
meisten Abdominalsegmenten deutliche Spuren abdominaler Glied-
maßen auf, von denen nach wenigen Tagen nur noch das erste Paar
erhalten bleibt, welches stärker wächst als die typischen Beine und
länger, sowie besonders viel breiter als letztere wird. Diese An-
hänge sind sehr weich, ungegliedert und durch einen kurzen hohlen
Stiel am Körper befestigt. Fast alle Zellen ihres Belages, beson-
ders aber die an der Außenseite, sind sehr hoch, auch ihre Kerne
sind mehr als doppelt so groß als die des übrigen Ektoderms. Im
Inneren fand GRABER zahlreiche mesodermatische Zellelemente, aber
sonst weder Muskeln, noch Nerven, noch Tracheen und weist damit
die Deutung dieser Anhänge, welche PATTEN ihnen gegeben, zurück,
während er die RATHKE’s für eher zulässig erklärt. Kurz vor dem
Ausschlüpfen des Embryo aus der Eischale verkiimmern die An-
hänge.
Bei Hydrophilus bleiben sie nach GRABER »im Gegensatz zu den
eine mächtige Entfaltung erlangenden homologen Organen von Me-
lolontha in ihrem rudimentären Zustande«, während sie bei Gryllo-
talpa zu flachen taschenartigen, mit einem hohlen Stiel am Körper
hängenden Säcken werden und bis zum Ausschlüpfen des Embryo
erhalten bleiben.
Vor Kurzem untersuchte CHOLODKOVSKY! dieselben Anhänge bei
Phyllodromia germanica genauer und beobachtete, dass die Meso-
dermzellen später aus ihnen heraus in die Leibeshöhle auszuwan-
dern schienen, während die Ektodermzellen der distalen Blase sich
immer mehr streckten. Endlich liegen die Zellen so dicht an ein-
ander, »dass es gar keine Höhle im Inneren dieses Theiles der ver-
änderten Extremität giebt«. So sind diese ausgebildeten Anhänge
mit Ausnahme des hohlen Stielchens nach CHOLODKOVSKY ganz solid
und können nicht als Kiemen gedeutet werden, sind vielleicht —
mit PATTEN — »am ehesten etwaigen Sinnesorganen zu vergleichen.
Dieser scheinbare Widerspruch zwischen den Deutungen GRABER’S
und CHOLODKOvskKy’s wird vielleicht durch die verschiedene Lebens-
weise der besprochenen Arten gelöst, indem die kiemenähnlichen
1 N. CHOLODKOVSKY, Studien zur Entw. der Insekten (Zeitschr. für wiss.
Zoologie. Bd. XLVIII. 1889). pag. 93—94.
2 Durch die Güte des Herrn Dr. CHOLODKOVSKY hatte ich Gelegenheit,
ein seiner Fig. .10 entsprechendes Stadium von Phyllodromia zu vergleichen. Der
Sack scheint mir noch etwas hohl zu sein und die gelbliche, stark lichtbre-
chende Färbung des Plasma der Epithelzellen erinnert sogleich an die Bauch-
säckchen besonders von Campodea und eine, schon von H. RATHKE (s. oben)
berührte drüsige (sekretorische) Funktion dieses Epithels.
370 Erich Haase
Organe nur dann eine besondere Ausbildung zu erlangen scheinen,
wenn der Embryo in feuchter und vielleicht zugleich erwärmter Luft,
also unter denselben Bedingungen lebt, unter welchen die Ventral-
säcke der Thysanuren ausgestülpt werden.
Erst nach der Untersuchung eines größeren embryologischen
Materials haben wir Aussicht, Sicherheit über die Bedeutung dieses
blutkiemenähnlichen Anhanges am ersten Abdominalsegment zu ge-
winnen.
Ill. Morphologie der Ventralsacke.
Die morphologische Bedeutung der Ventralsäcke wurde zuerst
von J. Woop-Mason? berührt, welcher dieselben für »den Segmental-
organen homolog« erklärte, indem er sich besonders auf ihre regel-
mäßige Anordnung und das Vorkommen eines ähnlich liegenden
Schlitzes an der Unterseite der Füße von Peripatus stützte, der in
die Segmentalorgane führen sollte.
Eben so deutete NAssonow?, wohl besonders wegen ihrer seg-
mentalen Wiederholung, die Bauchsickchen der Campodea als den
Segmentalorganen der Würmer und damit den Speicheldrüsen- und
Geschlechtsausführgängen homolog, was er auch durch eine zum
Theil unrichtige schematische Darstellung zu illustriren suchte.
B. Grassi? hielt zuerst die Coxalsäcke von Scolopendrella für
den Schenkeldrüsen von Peripatus, die mittlerweile durch die treff-
lichen Arbeiten von MosELzey und E. Garrron an der Außenseite
der Nephridienöffnung nachgewiesen waren, homolog, bemerkte je-
doch, dass sie der Lage nach eher den Nephridien selbst entsprä-
chen. — Die gleiche morphologische Deutung vertrat auch ich in
meinem Vortrage auf der Berliner Naturforscherversammlung, den
ich später in Dresden ausarbeitete’, jedoch zog ich noch die Coxal-
drüsen der Chilopoden und die Hüftsäcke von Lysiopetalum und
Chordeumiden heran.
Zu einem ähnlichen Resultat kommt auch F. Erste auf Grund
seiner Untersuchungen über die Capitelliden. Ausgehend von den
parapodialen Spinndrüsen der Anneliden, denen er eine nahe Be-
ziehung zu den Borstendrüsen zuschreibt, führt Eısıs als diesen
1 J. Woop-Mason, Morphological Notes ete. (1879) pag. 159.
2 N. B. Nassonow, |. c. (Biol. Centralblatt. 1886). pag. 459.
3 B. Grassi, Morfolog. delle Scolopendrelle (1886). pag. 22.
4 E. Haase, Die Vorfahren der Insekten (Abhandl. nat. Gesellschaft » Isis «.
Dresden 1886). pag. 88.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 371
homologe Gebilde die Schenkeldrüsen von Peripatus und die Coxal-
drüsen! und Ventralsiickchen der Myriopoden und Thysanuren auf,
indem er scharfsinnig die »ausstülpbaren Säckchen .... als in
Rückbildung befindliche Hüft- oder Coxaldrüsen« an-
sieht.
Endlich spricht Grassı? in seiner letzten zusammenfassenden
Arbeit die Bauchsäcke als »rudimentäre oder etwas umgewandelte
Kiemen an«, die den Tracheenkiemen in ähnlicher Lage bei den In-
sekten entsprächen, eine Art »carattere miriapodico« wären und
» vielleicht auch« bei Peripatus vorkämen.
In der That ist es wahrscheinlich, dass die Ventralsäcke der
Symphylen, Chilognathen und Thysanuren auf weit verbreitete drü-
sige Bildungen zurückzuführen sind. Um nur die Antennaten zu
berühren, so liegen die verschiedenen Organe alle nahe der Bein-
wurzel an der Unterseite oder an entsprechenden Stellen der Bauch-
platten, auch scheint ihr Bau auf ein Schema zurückführbar, auf
eine Einstülpung der Chitinhaut, die über drüsigem Epithel liegt
und entweder als Coxal- oder Cruraldrüse dem Beine fest eingefügt
ist oder als Ventralsäckehen willkürlich durch Blutfüllung vorgestülpt
und durch Muskeln zurückgezogen werden kann.
Die Ausgangspunkte der Entwicklungsreihe finden sich nach
den Anneliden bei Peripatus und den Myriopoden. Bei P. ca-
pensis kommen die Cruraldrüsen in beiden Geschlechtern vor, wäh-
rend sie bei P. Edwardsii, ähnlich wie bei den Chordeumiden, auf
einige Segmente des Männchens derart vertheilt sind, dass sie auf
den letzten Prägenitalsegmenten meist zu je zwei an einem Beine
liegen. Die Drüsenschläuche sind hier oft mit einem homogenen
bräunlichen Sekret gefüllt. E. Garrron® erklärt diese Schenkel-
! Es sei hier kurz darauf hingewiesen, dass die meisten von EISIG er-
wähnten Drüsen der Myriopoden nicht als Homologa der Coxaldrüsen, sondern
nur als einfache Hautdrüsen aufzufassen sind. Dahin gehören die nur bei Geo-
philiden beobachteten Ventraldrüsen, dahin auch die z. B. bei Glomeris, der
die Wehrdrüsen fehlen, über die ganze Oberfläche des Hautpanzers zerstreuten
Klebdriisen. Was die Spinndrüsen von Scolopendrella betrifft, so kann ich sie
desshalb nicht für den Coxaldrüsen homolog erklären, weil ihr Ausführgang
nicht in einem Beine; sondern in den Cercis liegt; weiter ist es mir sehr
zweifelhaft, dass die Gespinste der Chordeumiden und Lysiopetaliden aus dem
Sekret von »Hüftdrüsen« kommen sollen.
2 B. Grassi, Anat. compar. dei Tisanuri (1888). pag. 39 und 58.
3 E. GAFFRON, Beiträge zur Anatomie und Histologie von Peripatus. II.
(A. SCHNEIDER’s zoolog. Beiträge. I. 3). pag. 158.
372 Erich Haase
a
drüsen für » Ektodermeinstiilpungen, welche sich mit dem zunehmen-
den Alter der Männchen an Zahl und Größe vermehren können«.
Unter den Chilopoden treffen wir Drüsen an der Basis der
Beine nur bei Formen, welche kürzere Extremitäten besitzen und
eine mehr unterirdische Lebensweise führen; so fehlen dieselben bei
den hochbeinigen Vertretern der Gattungen Scutigera und Cerma-
tobius durchaus. Bei Henicops und Lithobius kommen sie in Mehr-
zahl an den letzten vier (nur bei Lith. megaloporus aus Kalifornien
an den letzten fünf) Hüftpaaren in beiden Geschlechtern vor und
bilden meist eine Reihe, nur bei großen Lithobien sind sie zahl-
reich und unregelmäßig zusammengedrängt. Diese Hüftdrüsen bilden
sich erst mit dem Eintritt der Geschlechtsreife aus und werden nach
der nächsten Häutung allmählich frei; ihre Zahl ist meist am vor-
letzten Beinpaar am größten, am letzten und viertletzten am klein-
sten. — Bei den Chilopod. epimorpha, den Scolopendriden und Geo-
philiden ziehen sich die Hüften in den Leib zurück und an Stelle
der Coxaldrüsen treten zahlreich oder vereinzelt Drüsen in den hüft-
artig entwickelten Pleuren nur des letzten Beinpaares auf; diese
Pleuraldrüsen sind somit den Hüftdrüsen nicht streng homolog.
Die Hüftdrüsen der Lithobiiden erzeugen ein an der Luft zu
einem Gespinst erhärtendes Sekret, das nach der interessanten Be-
obachtung LATzer'’s! bei Lith. grossipes, wenn man ihn ergreift, in
Fäden austritt, die sich um die Analbeine wickeln, sonst aber wohl
besonders zum Auskleiden der unterirdischen Wohnräume dient und
in den einzelligen Drüsen bereitet wird, welche den weiten chitinösen
Ausführgang dicht gedrängt umgeben. Das Sekret ist besonders an
jüngeren Stücken von Lith. forficatus, die man lebend in 0,05 ige
Überosmiumsäure thut, leicht nachzuweisen, da es sich schnell
schwärzt (noch am lebenden Thier!) und dann gallertartig erschei-
nende Massen bildet, die das Drüsenlumen erfüllen und oft das Drei-
fache der Länge des Porus erreichen.
In den Ordnungen der Symphylen und Diplopoden kommen,
mit Ausnahme von Chordeumiden (s. oben pag. 338), keine Hüft-
drüsen vor, doch finden sich an ihrer Stelle vom dritten (Scolopen-
drella) oder vierten (Lysiopetalum, Polyzonium, Siphonophora) Seg-
ment an die geschilderten ausstülpbaren Säckchen in beiden Ge-
schlechtern. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass diese als Derivate
von Drüsen aufzufassen sind, welche ihre secernirende Funktion mit
! R. LATZEL, Die österr.-ung. Myriopoden. I. Chilopoden. 1880. pag. 34.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 373
der respiratorischen vertauschten, wie dies ähnlich von der Umwand-
lung von Hautdrüsen zu Tracheen angenommen wird. Auf die ur-
sprünglich drüsige Natur der Hüftsäckehen deuten wohl noch die
Riesenkerne in der Matrix derselben bei Scolopendrella und Cam-
podea.
Die rein drüsige Natur homologer Gebilde tritt uns, vielleicht
sekundär, unter den Thysanuren bei Japyx entgegen, wo bei J. gigas
und J. solifugus kompakte Drüsenzellhaufen auftreten, deren Sekret
sich in feine Hohlhaare ergießt. Dass ähnliche Organe, wie die
von Japyx, auch die Vorläufer der respiratorischen Säckchen sein
konnten, ergiebt sich schon daraus, dass letztere bei J. gigas an
derselben Stelle, wenn auch in unvollkommener Form, am zweiten
Abdominalsegment auftreten.
Die ursprünglich drüsige Natur der Bauchsäcke von Machilis
scheint, wie durch die eigenartige Matrixlage, so auch durch die
langen gereihten Haare an der Dorsalseite der eingestülpten Säck-
chen bezeichnet zu sein, die mit verkümmerten einzelligen Haut-
drüsen in Verbindung stehen.
Wie die Coxaldrüsen der Lithobiiden kommen auch die Ventral-
stickchen der Thysanuren manchmal in mehreren Paaren an einem
Segment vor; so besitzt Machilis vom 2.—5. Hinterleibsringe deren
zwei Paar und ähnlich sind auch die Drüsenmassen am ersten Ab-
dominalsegment von Japyx gigas in mehrere Lappen getheilt.
Wie zuerst J. Woop-Mason hervorhob!, ist die Entstehung des
Ventraltubus der Collembola auf die Verschmelzung eines Abdo-
minalsackpaares, wie sie bei Thysanuren auftreten, zurückzuführen,
und in Übereinstimmung damit ist auch bei den weniger rückge-
bildeten Formen die Bilateralität der Endsäckchen noch deutlicher
ausgeprägt.
Ob hingegen die eigenthümlichen provisorischen Respirations-
säcke am ersten Abdominalsegment der besprochenen Insektenem-
bryonen den Ventralsäcken der Thysanuren strikte homolog sind,
erscheint etwas zweifelhaft, da beide eher als sekundäre unabhängig
entstandene Anpassungserscheinungen an unausgebildete resp. rück-
gebildete innere Respirationsthätigkeit angesehen werden dürften und
die Entwicklung des Athmungsorgans für die Entscheidung morpho-
logischer Fragen bei Arthropoden von geringerem Werthe ist. Doch
ist es wahrscheinlich eine latente Vererbung, welche diese einander
1 J. Woop-Mason, Morph. Notes (1879). pag. 160.
374 Erich Haase
so durchaus analogen Bildungen an denselben Orten wieder ent-
stehen ließ.
B. Die Ventralgriffel.
Als Griffel (Styli) bezeichne ich die ungegliederten, starren fuß-
stummelartigen Anhänge an der Hüfte oder dem Hinterrande der
Bauchplatten gewisser Myriopoden, Thysanuren und Insekten, die
von B. Grasst »Pseudozampe« genannt werden. .
An die Behandlung der Griffel schließt sich die der Endan-
hänge, Raife (Cerci) des Afterstückes an, welche meist gegliedert
sind und in der Nähe des Afters entspringen!.
Zur Vervollständigung werden auch die äußeren Genitalanhänge
(Gonapophysen) und (in der morphologischen Betrachtung) die Schein-
füße (Pedes spurii) und andere sekundäre, besonders lokomotorische
Anhänge des Hinterleibes besprochen werden.
I. Vorkommen und Bau der Ventralgriffel.
1) Symphyla (Fig. 1, 7—9).
A. MENGE? beschrieb die Ventralgriffel von Scolopendrella als
»ein Paar zapfenförmiger, auf der Oberfläche behaarter Anhänge
neben der Einlenkung der Füße«.
Weiter behauptete Woop-Mason®, dass dieselben Anhänge der
Beine vollkommen unbeweglich zu sein schienen, nahm dies aber in
einer späteren Arbeit anscheinend wieder zurück, in der er sie
»movably artieulated« nannte und ibnen eine besondere Sternalplatte
zuschrieb. An jungen Thieren mit sieben Beinpaaren erwähnte der-
selbe, — was den späteren Beobachtern wieder entgangen ist, —
dass am Hinterrande des kurzen letzten Segmentes ein Paar konischer
. Fortsätze zwischen den borstentragenden Vorsprüngen und den End-
raifen sitze, die er — irrthümlich — für »die Knospen des künftigen
achten® Beinpaares« hielt.
1 Die Entomologie (vgl. H. Burmeister, Handbuch der Entomologie. I.
1832. pag. 120) unterschied bisher mit Unrecht diese beiden Anhänge meist
nach der fehlenden (Styli) oder ausgebildeten (Cerei) Gliederung, ohne auf die
wichtigen Unterschiede in der Lage derselben einzugehen.
2 A. MENGE, Die Myriopoden etc. (1857). pag. 15.
3 J. Woop-Mason, Entomol. Notes etc. (Trans. Ent. Soc. 1879.) pag. 156.
4 J. Woop-MAsox, Notes on the structure ete. of Scolopendrella (Ann.
Mag. Nat. Hist. 5. ser. XII. 1883). pag. 58.
5 Ebenda. pag. 62. Statt »eigth« muss es heißen »neunten Beinpaares «.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 375
R. Latzen! bezeichnete diese Ventralgriffel als »ungegliederte,
herabhängende und paarweise angeordnete Anhänge, Parapodien,
innerhalb und neben den Beinen«, »die zwischen den beiden vor-
dersten Fußpaaren nicht zu bemerken sind«?. Die Ausbildung dieser
Anhänge variire nach den Arten, so seien sie bei Se. nothacantha
äußerst kurz; bei Sc. immaculata trügen sie am Ende zwei ungleich
lange Borsten.
B. Grassi? erwähnt nur »besondere Nervenendigungen am Ende«
der Griffel; seine übrigen Angaben beziehen sich auf die morpho-
logische Bedeutung dieser Anhänge.
Nach meinen Untersuchungen an Scol. immaculata Newp. treten
die Ventralgriffel zuerst und unvermittelt am dritten Körpersegment
auf und erlangen dort eine Größe bis zu 0,07 mm. Sie sitzen
(Fig. 7 er.) innerhalb der Coxalsäckchen dem Grundstück der Hüfte
auf und müssen desshalb bei Scolopendrella als Coxalgriffel be-
zeichnet werden.
An der Basis beweglich eingelenkt, sind sie an ihrem läng-
lichen Stammtheile wie die härteren Chitinplatten kurz behaart und
am hinteren* Ende in eine lange spitze Borste von 0,013 mm Länge
ausgezogen (Fig. 9), der am vorderen Ende ein subapicales Sinnes-
haar gegenübersteht. In die Griffel tritt, wie schon Grassi erkannte,
ein feiner Nervenstrang bis zur Spitze hinein.
Die Länge der Griffel nimmt nach dem Körperende langsam zu,
.so beträgt sie mit der Spitze am sechsten Rumpfsegment 0,0°, am
achten schon 0,085 mm, auch werden die Griffel allmählich etwas
dicker und am Hinterrande gewölbter; zugleich tritt die vordere
Sinnesborste mehr zurück. Die größte Länge, 0,09 mm, erreichen
die Griffel am zwölften Rumpfsegment.
An die Griffel setzen sich nur wenige kurze Beugemuskeln an,
durch deren scharfe Kontraktion eine schwache Vorwärtsbewegung
erfolgt; in das Innere treten keine Muskeln.
Am dreizehnten Rumpfsegment, das kein eigenes Ganglion mehr
besitzt und so verkümmert ist, dass es von LATZEL nicht mehr als
Körperring angesehen wurde, sind die Basaltheile der Beine bei
1 R. LATZEL, Die Myriopoden etc. 2. Hälfte. Wien 1884. pag. 2.
2 R. LATZEL, Ebenda. pag. 17.
3 B. Grassi, Morfolog. delle Scolopendrelle (I progen. etc. Mem. Real.
Accad. Se. Torino. XXVII. 1886). pag. 9.
4 Diese Bezeichnungen der Lage entsprechen immer der am horizontal
vorwarts kriechenden Thiere.
376 Erich Haase
allen drei Arten sehr redueirt und als solche nur durch ihre Kon-
touren und einzelne schwache Muskeln bezeichnet. Der distale
Theil ragt in der Länge von 0.05 mm jederseits der hier ungewöhn-
lich breit und schildartig entwickelten Bauchplatte hervor und trägt
am abgerundeten Ende eine flache, von starren Borsten umstellte
Grube. In dieser sitzt über einem Porus eingelenkt ein am Grunde
zwiebelförmig verdicktes Sinneshaar (Fig. 5 sens.) von 0,12 mm
Länge, an das gangliöse Zellen herantreten, die mit einem starken,
vom (zwölften) Ganglienknoten des zwölften Rumpfsegmentes abgehen-
den Nerven verbunden sind. Die sensorische Natur dieser Einrich--
tung ist zuerst von J. MuHr!, ihre Homologie mit einem Beinrudi-
ment von B. Grassi? angedeutet worden. An jüngeren Thieren
lässt sich auch an diesem Segment, wie dies schon Woop-Mason
gesehen hatte, ein Coxalanhang nachweisen. An Stiicken von 2 mm
Körperlänge, besonders einer Triestiner, durch Zartheit der Cuticula
ausgezeichneten Form von Sc. immaculata, die erst zehn vollent-
wickelte Beinpaare besitzen, setzt sich das Endstück des Beinrudi-
ments mit dem Tastapparat von dem letzten Bauchschilde durch
einen Einschnitt noch deutlich ab und trägt innerhalb des letzteren
einen abgerundet dreieckigen Anhang von 0,035 mm Breite, der am
Hinterende innen in eine schlanke Spitze ausgezogen ist (Fig. 8 st.).
An reifen Thieren wird dieser Anhang reducirt und sein Fortsatz
durch die Bauchplatte des dreizehnten Segmentes, die durch die inter-
calare Sprossung nach hinten geschoben wird, ganz bedeckt, so dass
er durch Präparation freigelegt werden muss, um erkannt zu werden.
Bei Scol. nivea Scop. sind die ebenfalls am dritten Körperringe
zuerst auftretenden Coxalgriffel mehr abgerundet als bei voriger Art
und 0,03 mm lang. Am zehnten Ringe des untersuchten, nicht ganz
reifen Stückes waren sie 0,04 mm lang und liefen in zwei Dornen aus.
Hinter dem dreizehnten Rumpfsegment tritt noch ein besonderes
segmentartiges Afterstück auf, das die echten Rumpfmetamere hinten
abschließt. Dasselbe entspricht anscheinend zusammen mit dem drei-
zehnten Segment und der davor gelegenen Knospungszone dem Kör-
pertheile, welchen B. HArscHEX in der Entwicklung der Anneliden
als »Endstiick«? bezeichnet hat.
1 J. MUHR in »Zoologischer Anzeiger«. Nr. 75. pag. 59. 1881.
2 B. Grassi, Morfol. delle Scolopendrelle ete. (1886). pag. 10.
3 B. HATSCHER, Studien über Entwicklungsgeschichte der Anneliden (Ar-
beiten des zoologischen Instituts zu Wien. I. 1878), vgl. pag. 10, 77 und 112.
Die Abdominalanhänge der Insekten. ° 377
Am Afterstück sitzen weit über dem After jederseits der Steiß-
drüse! zwei plumpe unbewegliche Spinngriffel, die trotz ihrer be-
deutenden Größe und obwohl sie als Ausführgänge der gewaltigen
Spinndrüsen dienen, doch nur als Integumentalbildungen aufzufassen
sind, welche den Endraifen (Cerei) der Thysanuren entsprechen.
Ihr Bau ist dem der Coxalgriffel sehr ähnlich; so haben auch sie
eine längere gelenkige Borste am Innenrande, außerhalb deren ein
schmaler Einschnitt zum Ausführgang der Drüse führt.
2) Thysanura.
1) Campodea (Fig. 2, 11—14).
Abgesehen von einer bloßen Erwähnung durch P. Gervais? und
Nicotet? wurden die Ventralgriffel an der weit verbreiteten C. sta-
phylinus Westw. (= fragilis Mnt.) zuerst von Fr. MEINERT * beschrieben.
Nach demselben kommt am ersten Hinterleibsringe ein von den
Pleuren ausgehender taschenförmiger Anhang vor, der an seinem
Vorderrande mit einigen Borstenreihen besetzt ist; an den sechs
folgenden Segmenten hingegen stehe am Hinterrande der Bauch-
schilde jederseits ein konischer oder pfriemförmiger, beweglich ein-
gelenkter Fortsatz.
B. Grassı5 gab für den ersten Abdominalring das Vorkommen
von zwei großen seitlichen »Papillen« an, die bei den Männchen
durch eine »Haarzone« getrennt seien, welche den Weibchen fehle.
In der Tafelerklärung® zu den betreffenden Abbildungen auf Taf. IV
Fig. 6 und 16 bemerkte er dazu, dass die »Pseudozampe« die Form
großer gegliederter Papillen hätten und in den zwei Geschlechtern
nicht verschieden seien.
! Die bisher unerwähnte Steißdrüse besteht aus einer schalenförmig ge-
schlossenen Masse cylindrischer Epithelzellen, die von einer starken, soliden
Chitineinstülpung bekleidet wird und — irrthümlich — von A. MEnGE für den
Oviduet, von späteren Autoren für den After angesehen wurde. Sie kommt
von unseren Arten nur bei Sc. immaculata vor und findet sich schon bei ganz
jungen Thieren.
2 P. Gervais, Hist. nat. Ins. Apteres (Suites 4 Burron). T. II. 1844.
pag. 455.
3 H. NICOLET, Essai s. une classif. ete. des Thysanoures (1847). pag. 354.
* Fr. MEINERT, Campodeae ete. (1864—1865). pag. 425.
5 B. Grassi, L’Japyx e la Campodea etc. (1886). pag. 56.
6 B. Grassi, ibid. pag. 75.
378 Erich Haase
Nassonow erwähnte ebenfalls, wie MEINERT, dass sich »die
Extremitäten am ersten Segment in Form und Größe von den übri-
gen unterschieden«! und gab auf der Darstellung der Unterseite des
ganzen Thieres diese Verschiedenheit im Bau der Anhänge auch sehr
charakteristisch wieder. Weiter führte er an, dass die Bewegung
‘wohl der hinteren Ventralzapfen?) »nur vertikal durch zwei Mus-
keln« geschehe?, während B. Grassı?® nur einen Muskel beob-
achtete.
J. T. OuDEmans* stellte gleichfalls fest, dass die Anhänge am
ersten Abdominalsegment »eine andere Gestalt« als die folgenden
hätten und behauptete, dass sie »ohne Artikulation« festsäßen.
Nach meinen Untersuchungen findet sich am ersten Abdominal-
segmente5 in einer Linie mit den Hüften der Thorakalbeine (vgl.
Fig. 2 und 11) ein Paar besonderer Anhänge, die denen der folgen-
den Ringe nicht entsprechen. Sie liegen deutlich außerhalb der
Bauchplatte, die hier ziemlich stark gewölbt und besonders am
Hinterrande mit feinen Borsten besetzt ist, sind nach hinten und
außen gerichtet und schmiegen sich etwas an den Leib an (Fig. 14
ped.rud.). Auf der Ventralfläche zerfallen sie durch eine hinter der
Bauchplattenmitte liegende Querfalte, unter der eine zartere Gelenk-
haut zu erkennen ist, in zwei Glieder (Fig. 13). Das basale er-
innert an das Hüftglied der Thorakalbeine und nimmt über die
Hälfte des Anhangs ein. Am Außenrande konvex, bildet es an der
Innenseite mit dem distalen Gliede einen stumpfen Winkel: nach
vorn ist es in eine allmählich sich verflachende Ecke ausgezogen,
nach hinten unbedeutend verjüngt: am Außenrande springt es scharf
vor und ist von schwachen Vorwölbungen der Pleuralhaut begrenzt,
die, wie auf den entsprechenden Thorakaltheilen, einseitig gefiederte
Borsten tragen. Das freie distale Glied vgl. Fig. 13) ist von breit ova-
lem oder abgerundet viereckigem Umriss, am Rande oft gezähnelt, und
nimmt meist nach dem Ende zu an Dicke ab, so dass der Hinterrand
am frischen Thiere glasig durchscheint. Während auf der ventralen
1 Dasselbe zeigt schon die auch in die Lehrbücher von C. GEGENBAUR
und C. CLaus übergegangene halbschematische Abbildung von Campodea bei
J. PALmEx (Zur Morphologie des Tracheensystems. 1877. Taf. II Fig. 24).
2 N. B. Nassonow, Zur Morphologie ete. (1887). pag. 36.
3 B. Grassi, Anat. comp. dei Tisanuri ete. 1888. pag. 12.
4 J. T. OuDEMANS, Beiträge zur Kenntnis der Thysanuren etc. 1888.
pag. 160.
5 Sitzungsber. Ges. naturforsch. Freunde. Berlin 1889. pag. 24.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 379
Fläche nur vereinzelte, sehr dünne Borsten von gewöhnlicher Form
aufsitzen, stehen an der dorsalen (hinteren), dem Körper zuge-
richteten Fläche 20—30 eigenthümliche Haaranhänge, von denen die
der zwei äußersten Reihen von bedeutend längeren und dickeren
Borsten gebildet werden, die in kammförmiger Anordnung 0,01 mm
vom Hinterrande eingesenkt sind und sich, nach unten umgebogen,
noch 0,007 mm über letzteren fortsetzen. Diese Borsten sitzen einem
runden Balge mit erhabenen Ringwänden auf und in diesen tritt eine
Drüsenzelle hinein.
Im Inneren des basalen Anhangstheiles lassen sich sechs bis
acht schiefe, deutlich quergestreifte Muskeln nachweisen, die von
der Ventralplatte desselben Segmentes abgehen, gleich denen der
Thorakalbeinhüften in verschiedener Richtung verlaufen (vgl. Fig. 11)
und sich zum Theil noch an die Flächen des distalen Gliedes an-
setzen (Fig. 13 m.). Die Gewebslagen unter der ersten Bauchplatte
zeichnen sich durch ihren großen Reichthum an Bildungszellen und
durch das eigenartige Aussehen ihrer Parenchymmassen (vgl. Fig. 12)
aus. Sie nehmen auch in viel höherem Grade als die der übrigen
Segmente die Farbstoffe der Tinktionsflüssigkeiten auf, so dass das
erste Abdominalsegment an Schnittserien daran erkannt werden kann.
Es scheint hieraus hervorzugehen, dass sich die Ventralseite dieses
Segmentes auf einem besonderen Entwicklungsstadium befindet, das
ich für ein unterdrücktes, dauernd unfertiges halten möchte. So
lassen sich denn auch die Anhänge dieses Segmentes als rudimen-
täre, in der Entwicklung zurückgebliebene Beine erklären.
Dafür sprechen besonders ihre Größenverhältnisse bei Thieren
verschiedenen Alters. An ganz jungen Stücken von 1,8 mm Länge
tritt das Endglied des Anhanges durch auffallend reiche Kernfärbung
(mit Hämatoxylin) vor allen anderen Anhängen hervor; es erscheint
bedeutend schlanker als bei älteren Stücken und misst bei 0,065 mm
Länge nur 0,012 mm Breite; das Verhältnis zur Körperlänge ist also
für dies Glied ungefähr = 1: 27,7. — An einem jungen Männchen
von 3 mm Länge (vgl. Fig. 12) stellt sich dies Verhältnis wie
0,08:3 mm, d.h. = 1: 37,5. — An einem Männchen von 5,3 mm
Länge war dasselbe Glied 0,095 mm lang und 0,035 mm breit; an
einem Weibchen von fast 6 mm Länge war es 0,11 mm lang und
0,04 mm breit; die Länge des Gliedes verhält sich hier zu der des
Körpers ungefähr wie 1:55. — Bei dem zur Abbildung (Fig. 2)
benutzten großen Männchen von 6 mm Länge ist das Glied 0,12 mm
lang und 0,045 mm breit, was ein Verhältnis von 1: 50 giebt. —
Morpholog. Jahrbuch. 15. 25
380 Erich Haase
Dasselbe fand sich an dem größten, überhaupt untersuchten Stücke,
einem Weibchen von 7 mm Länge, an dem das Anhangsglied 0,14 mm
lang und 0,05 mm breit war.
Wenn nun auch das Verhältnis der Längenzahlen in gewissen
Grenzen variirt, zeigt es doch immerhin deutlich, dass mit dem zu-
nehmenden Körperwachsthum des Thieres die Anhänge des ersten
Abdominalsegmentes an Größe zurücktreten.
Am zweiten Abdominalsegment liegt außerhalb der Linie, in
welche die eben besprochenen rudimentären Beine fallen, ein zapfen-
förmiger ungegliederter Anhang, der zu den Abdominalgriffeln ge-
hört, auf einer kugeligen Duplikatur. Derselbe läuft am Vorderende
in eine eigenthümliche Sinnesborste aus, welche den für Campodea
charakteristischen, einseitig gefiederten Haaren gleicht. Unter der
Spitze der Griffel sitzt ein gerader Dorn und darunter wieder ein
einseitig meist einfach gegabeltes Haar. Die Abdominalgriffel sind
meist (in der Ruhe) schief nach hinten gerichtet, während das große,
nach vorn verlaufende Gabelhaar ihnen fast senkrecht aufsitzt (vgl.
Fig. 14 st.).. Von den Ventralsäcken sind die Griffel durch einen
schmalen Spalt getrennt.
Auf den folgenden Ringen wird der lappenförmige Basalvor-
sprung, dem die Abdominalgriffel aufsitzen, mehr und mehr reducirt,
während die Länge der letzteren zunimmt: so beträgt dieselbe am
zweiten Abdominalringe mit der Spitze 0,09 mm, am dritten schon
0,12 und wächst bis zu 0,15 mm am siebenten Segment, an dem
das letzte Paar sitzt. Im Inneren der Griffel liegen außer der star-
ken Hypodermis viele lose Zellen, die vielleicht Blutzellen sind,
auch spannen sich zarte bindegewebige Maschen durch den Hohl-
raum aus; in die Spitze tritt ein Nerv, während sich an die (vor-
dere) Ventralseite der beweglich eingelenkten Basis ein einfacher,
am Ansatz in zwei Bündel zerfallender Muskel ansetzt, der nahe
dem Vorderende der Bauchplatte desselben Segmentes entspringt.
Die Längsmuskulatur der Bauchplatten zerfällt in drei Stränge
und liegt innerhalb der Ventralsäckchen, wie sie auf den Thorakal-
platten innerhalb der Hüftwurzeln liegt (vgl. Fig. 11 m.long.ventr.).
An jungen Thieren treten die Ventralgriffel noch sehr zurück.
Während an den drei letzten (3.—10.) Abdominalringen keine
griffelartigen Anhänge vorkommen, sitzen hinter dem zehnten Seg-
ment auf dem fast unterdrückten Afterstück, das aber noch ent-
Die Abdominalanhänge der Insekten. 381
wickelte Analklappen trägt, über dem After in der weichen Verbin-
dungshaut nach oben verschoben, die langen, aus höchstens vierzehn
Gliedern bestehenden Endraife (Cerei, Schwanzfäden) auf. Die-
selben werden ähnlich wie die Abdominalgriffel durch zwei Muskeln,
einen äußeren geraden und einen inneren schiefen, bewegt, die nur
an die Kante des Basalgliedes herantreten; so sind die Glieder dieser
langen Anhänge starr und ohne durchgehende Muskelzüge, was auch
ihre auffallende Brüchigkeit erklärt. Wie die Antennen sind auch
die Endraife mit einzelnen gefiederten Tastborsten besetzt, die wie
auf den Fühlern nach dem Körper zu gerichtet sind. Am Endgliede
findet man ähnlich wie am Fühlerende ein besonderes Sinnesorgan,
das aus einer seitlich von zwei Ecken eingeschlossenen, Sinneszäpf-
chen tragenden terminalen Grube besteht.
Was das Vorkommen besonderer äußerer Genitalanhänge, Gon-
apophysen, betrifft, so ist nach B. Grassı! die Geschlechtsöffnung
von Campodea bei den Weibchen von drei Papillen umgeben, deren
unpaare die hintere ist, während bei den Männchen nur eine unpaare
Papille vorkommt, die sich stärker als die des Weibchens entwickelt,
und, da an ihrer Spitze die unpaare Genitalöffnung ausmündet, von
GRASSI später mit Recht als »Penis« bezeichnet wird.
Nach meinen Untersuchungen sind die äußeren Genitalorgane in
beiden Geschlechtern nach einem Typus gebaut. Beiderlei Ge-
schlechtsausführgänge münden ziemlich frei direkt hinter dem Hinter-
rande des achten Abdominalsegmentes aus; der des Männchens sitzt
einer kräftigen und harten Papille auf, die spitz ausgezogen ist und
den Penis darstellt. Unter und vor dem Genitalporus liegen in bei-
den Geschlechtern zwei blasenartige Erweiterungen der weichen Ver-
bindungshaut, welche von Grassi als »Papillen des Weibchens« be-
schrieben wurden. Dieselben sind aber, wie gezeigt wurde (vgl.
Fig. 16), wie die übrigen Abdominalsickchen gebaut. Somit fehlen
Gonapophysen bei Campodea noch durchaus.
2) Japyx (Fig. 3, 18, 19).
Während der Entdecker der Gattung, HaLıpayY?, das Vorkommen
1 B. Grassi, L’Japyx e la Campod. (1886). pag. 54.
2 J. Hauipay, Japyx, a new genus of insects etc. (Trans. Linn. Soc.
Vol. XXIV. 1864). pag. 444.
25*
382 Erich Haase
von Abdominalanhängen ausdrücklich leugnet, erwähnt Fr. MEINERT!
zuerst die Abdominalgriffel als »bewegliche Anhänge an der Unter-
seite der sieben ersten Abdominalringe, die zu sehr kurzen konischen
Borsten redueirt sind, von denen jede ein feines Haar an der Seite
trägt«.
Bei Beschreibung seines J. gigas giebt Fr. BRAUER? das von
B. Grassı mehrmals für seine Ansichten angeführte Merkmal an, dass
der 1.—7. Ring mit einem »dreigliedrigen« Anhange versehen sei.
B. Grasst® selbst führt aus, dass die »Pseudozampe« von Japyx
»beweglich, jedoch nicht Borsten vergleichbar sind, wie MEINERT
glaubte«, »ma risultano invece di vere prominence dell’ ipoderma
rivestito di cuticulac. An ihre Basis hefteten sich mehrere Muskeln
an; am Ende liefen sie in zwei Spitzen aus, was vielleicht auf ihre
ursprüngliche Zweispaltigkeit hindeute. — Weiter erwähnt Grassi
noch pag. 15 kleine Leisten (Creste), die der Insertion der Abdo-
minalgriffel entsprächen.
Nach meinen Untersuchungen an J. gigas, J. solifugus und J.
Isabellae sitzen die Griffel bei allen drei Arten an den ersten sieben
Abdominalringen, sind stets ungegliedert und nehmen nach hinten
unbedeutend an Größe zu. Sie sind von spitz kegelförmiger Ge-
stalt und im Inneren mit Matrixzellen ausgekleidet und mit Binde-
gewebsmassen, zwischen welche die Leibeshöhlenflüssigkeit tritt, wie
bei den verwandten Formen, gefüllt. Nahe ihrer Basis sitzt ein
eingelenktes, meist peitschenartig nach der Spitze geschwungenes
Sinneshaar (Fig. 18 sens.); ihre Wand ist sehr diek und bei J. gigas
von einzelnen Porenkanälen durchbrochen. So entsprechen sie in
ihrem Äußeren durchaus den echten Gelenkspornen (Calearia), wie
sie bei Insekten so häufig sind und auch bei Myriopoden auftreten.
In die Griffel tritt ein feiner, schon von GRASSI, ]. e. pag. 18, ver-
mutheter Nerv hinein. Quer vor die Sporne legt sich am Hinterrande
der Bauchplatte ein Chitinsehnenstück, das nach vorn in einen star-
ken inneren Chitinstab verläuft, der sich vor der Mitte der Bauchplatte
inserirt und unmittelbar derselben anschmiegt (Fig. 18 chit.. Am
äußeren Ende verläuft die Quersehne in einen unbedeutenden Ast.
An die Ventralseite der Basis der Abdominalgriffel setzt sich ein
Muskel (Fig. 18 musc.) an, der von der Bauchplatte entspringt.
1 Fr. MEINERT, Campodeae etc. /1864—1865). pag. 418.
2 Fr. BRAUER, J. gigas (n. sp.). (Verh. zool. bot. Ges. Wien 1869). pag. 556.
3 B. Grassi, L’Japyx e la Campodea (1886). pag. 28.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 383
Bei J. gigas umgreift die Quersehne ringartig die Griffelbasis;
der den Griffel bewegende Muskel ist ziemlich kurz. Der Griffelnerv
ist 0,004 mm dick. Am ersten Abdominalsegment ist der Abdominal-
griffel nur 0,18, am zweiten ist er 0,2, am siebenten schon 0,26 mm
lang. Die Farbe ist an der Spitze etwas grauweiß, dann folgen
undeutliche Binden, ein breites rostbraunes Mittelstück und eine
klare durehsichtige Basis: diese verschiedene Färbung war es wohl,
welche Fr. BRAUER verleitete, eine Mehrgliedrigkeit des Anhanges an-
zunehmen. An der Spitze sind einzelne Griffel manchmal tief ein-
geschnitten, doch kommt dies ganz unregelmäßig vor.
Bei J. solifugus sind die Griffel am ersten Ringe 0,06 mm lang,
am siebenten sind sie schon 0,095 mm lang und 0,025 mm breit.
Nach der verjüngten Spitze zu sind sie glasig, sonst ist die basale
Hälfte ähnlich wie bei voriger Art weißlich, die distale gelblich.
Am Ende findet sich meist ein undeutlicher Spalt, an der Basis ein
Peitschenhaar. Von den zwei Längschitinsehnen geht die innere
bis zur Hälfte der Bauchplatte, während die äußere kürzere und
schwächere geschlängelt am Außenrande derselben hinzieht. — Ähn-
lich entwickelt sind die Ventralgriffel bei J.? Isabellae.
Hinter dem zehnten Abdominalsegment treten an dem noch mehr
als bei Campodea verkümmerten Afterstück zwei gewaltige Endan-
hänge auf, welche die bekannte Zange (Forceps) bilden und durch-
aus den vielgliedrigen Schwanzfäden (Cerei) der Campodea entspre-
chen. An der Basis gerade abgestutzt, gelenken sie dorsal und ventral
in einer pfannenartigen Vertiefung nahe dem Außenrande mit den
Platten des zehnten Segmentes. Es tritt eine mächtige bilaterale
Muskulatur an ihre Basis heran, von der besonders ein innerer
Längsstrang und ein äußerer schiefer Muskel, der die Zange öffnet,
entwickelt sind; der innere schiefe Zangenschließer ist schwächer
entwickelt. An der Spitze der Zangenarme ist die dieke Cuticula
von Porenkanälen durchbrochen, deren Ausführgänge in flachen Gru-
ben liegen. In die Zange verlaufen starke Nervenstämme, deren
Endigung nicht verfolgt werden konnte, und zahlreiche Tracheen
hinein, auch wird sie von Blutströmen durchzogen.
Im Inneren der Genitaltasche (Atrium genitale) sitzen bei den
Weibehen nach B. Grasst! seitlich zwei Papillen auf, zwischen
1 B. Grassi, L’Japyx e la Campodea (1886). pag. 25—27,
384 Erich Haase
denen eine unpaare große und mehr einwärts zwei kleinere liegen.
Das Männchen hat nach Demselben ein glockenartiges vorstülpbares
Atrium, an dessen Innenwänden zwei tasterförmige Anhänge sitzen,
die bei dem Ausstülpen der Glocke nach außen vortreten. — Später
zog Grassı! die Angabe über die unpaare Genitalpapille des Weib-
chens zurück, indem er letztere der Mündung der Begattungstasche
zurechnete.
Nach meinen Untersuchungen an J. solifugus sitzen im Atrium
des Männchens zwei Papillen von 0,1 mm Länge, die seitlich mit
längeren feinen Haaren, oben mit dickeren gelben Borsten bedeckt
und etwas nach hinten gerichtet sind. Vor ihnen liegt, den Vor-
derrand des Atrium begrenzend, eine niedrige zitzenförmige Vorwöl-
bung, die ebenfalls lang beborstet ist und dem Penis von Campodea
entspricht. Jederseits von ihr liegt ein stark muskulöser, lang ovaler
Ductus ejaculatorius, deren feines Lumen in der Mitte der Vorwöl-
bung nach außen führt. Die Papillen entsprechen echten Hautdupli-
katuren und gehören, wie die Genitalöffnung, wohl dem Vorderrande
des neunten Segmentes an. Der Austritt des Penis kann nur durch
Blutfüllung erfolgen; besondere Rückziehmuskeln sind nicht ausge-
bildet. — Leider konnte ich kein Weibchen untersuchen.
An jungen Embryonen fehlten nach einer glücklichen Beobach-
tung B. Grassi’s? die Abdominalgriffel noch, während die Zange schon
in Gestalt zweier Vorragungen angelegt war.
3) Nicoletia.
Nachdem Gervais und NICOLET wie bei Campodea das Vorkommen
deutlicher »fausses pattes branchiales« am Abdomen erwähnt, giebt B.
Grassı? an, dass Abdominalgriffel vom zweiten bis inclusive neunten
Abdominalringe vorkommen und der zehnte Ring [oder vielmehr das
Afterstück!] drei sehr lange Anhänge trägt. An der Basis dieser
Anhänge enden Abdominalmuskelbündel, und der Passus: »mancano
musculi loro propri« ist wohl so zu verstehen, dass keine Muskeln in
die Anhänge hineintreten.
' B. Grassi, Anatom. compar. ete. (1888). pag. 31.
2 B. Grassi, Breve nota int. allo sviluppo degli Japyx. Sep. (Catania 1884).
pag. 9.
3 B. Grassi, Cenni anat. sul gen. Nicoletia etc. (1887). pag. 6.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 385
4) Machilis (Fig. 4 und 24).
Noch länger als die Abdominalsäcke sind bei dieser Gattung
die Ventralgriffel bekannt, denn sie werden schon von P. LATREILLE !
erwähnt; auch die griffelähnlichen Anhänge an den Mittel- und
Hinterhüften und ihre Ähnlichkeit mit den Anhängen des Abdomens
wurden von ihm schon beobachtet.
Abgesehen von einzelnen Erwähnungen verschiedener Autoren,
bezüglich deren ich auf die genauen Litteraturangaben bei J. T.
OUDEMANS? hinweise, wurden die Ventralanhänge auch von B.
GrASSI? besprochen, der für die Hüftsporne, deren Unbeweglichkeit
schon Woop-Mason behauptet hatte, einen besonderen Nervenfaden
angab.
J. T. OupEMANS bestätigt ebenfalls die Behauptung Woop-Ma-
son’s bezüglich der Hüftsporne und giebt genaue Maße der Länge
der einzelnen Griffel und Beobachtungen über ihre Funktionen am
lebenden Thier, die unten Berücksichtigung finden werden. Die
Beweglichkeit der Abdominalgriffel schreibt er der Anwesenheit eines
Streckmuskels zu, der den Coxalanhängen fehle und, am Vorderrand
des Bauchschildes entspringend, der Basis jedes Anhanges ange-
heftet sei.
Nach meinen Untersuchungen sitzen bei M. maritima Leach und
polypoda Linn., wie die Autoren bereits angaben, griffelartige An-
hänge an den zwei letzten Hüftpaaren und am Hinterrande der
Bauchplatten des 2.—9. Abdominalringes. Von diesen sind die an
den Beinen sitzenden unbeweglich, die am Abdomen sitzenden will-
kürlich durch Muskeln beweglich. An den Mittelhüften sitzen die
griffelähnlichen Anhänge mehr in der Mitte als an den Hinterhüften.
Sie sind 0,62 mm lang und über 0,11 mm dick und unterscheiden
sich von den Griffeln des Abdomens nur durch ihre mehr zapfen-
artige Einsenkung in die Coxa und das Fehlen der bei den letzteren
ausgebildeten Muskeln und der terminalen langen Stachelhaare, auch
sind sie an der Basis stärker eingeschnürt. Sonst gleichen sich alle
1 P. LATREILLE, De Yorganis. exterieure et comp. des Ins. d. l’Ordre d.
Thysanoures (Nouv. Ann. du Mus. d’Hist. nat. 1832). pag. 175.
2 J. T. Oupemans, Beiträge zur Kenntnis der Thysanuren etc. 1888.
pag. 156.
3 B. Grassi, Contrib. allo stud. dell’ anat. del gen. Machilis etc. 1886.
pag. 20,
356 Erich Haase
diese Anhänge in ihrer Form, ihrer Bekleidung mit Schuppen und
Borsten und ihrem Bau; auch ihr Hohlraum enthält außer der stark
entwickelten Matrix stets eine durchgehende Bindegewebsmasse, die
sich durch Ausläufer an die Innenwände anheftet, Blutkörper und
einen feinen Nervenfaden.
Die Abdominalgriffel sitzen über dem Hinterrande der paarigen,
durch einen medianen Spalt getrennten Ventralplatten (vgl. pag. 349
und Fig. 24) außerhalb der Bauchsäcke auf und gelenken mit der
Duplikatur dieser Platten derart, dass sie von einem Ringwall um-
fasst werden, der innen noch in einen kurzen Lappen ausgezogen
ist, und nach vorn und hinten beweglich sind. An der Ventralseite
setzen sich knapp an die Basis der Griffel starke, aus acht bis zehn
Bündeln bestehende, fast gerade vom Vorderrande der betreffenden
Bauchplatten verlaufende Muskeln an. An den ersten Segmenten
scheinen dieselben ausschließlich flach an der Ventralplatte hinzuziehen
und sich an die Ventralseite des Zapfens als Beuger anzusetzen
(Fig. 28 m.flex.); an den späteren Segmenten treten jedoch einzelne,
die auch außerhalb der geraden Züge entspringen und weniger ober-
flächlich verlaufen, an die Hinterseite der Zapfen (Fig. 28 m.ezt.),
bis an den letzten Ringen diese Streckmuskulatur sich am stärksten
entwickelt und die der Beuger überwiegt. An der allmählich ver-
jiingten Spitze der Abdominalgriffel sitzen lange glasklare und starre
Stachelborsten, von denen die längste die Verlängerung der Achse
und die vorderen eine Art Fahne bilden. Die Länge der Abdominal-
griffel nimmt von vorn nach hinten allmählich bedeutend zu, was
schon H. BuURMEISTER! erkannte; so beträgt sie am zweiten Abdo-
minalsegment 0,6, am vierten 0,62, am achten schon 0,75 und am
neunten gar 1,3 mm. Der zehnte Abdominalring ist ventral noch
mehr verkümmert als dorsal und trägt keine Anhänge.
Das Afterstück ist in so hohem Grade entwickelt, dass es von
JOURDAIN als elftes Segment angesehen wurde und zeigt denselben
Bau wie bei niedrig stehenden Insektenformen, denn es trägt über
der von drei Klappen umgebenen Afteröffnung eine schwanzförmig
verlängerte Afterdecke und seitlich davon zwei gewaltig entwickelte
Endraife. Sowohl die schwanzförmige Afterdecke wie die Cerci zer-
fallen in eine gewaltige Menge starrer Ringel und sind mit Schuppen
1 H. BURMEISTER, Handbuch der Entomologie. II. 1838. pag. 454.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 387
und in gewissem Abstande mit Sinnesborsten besetzt. Sie sind
gleichmäßig mit weiter Öffnung, wie die Griffel, der weichen Ver-
bindungshaut eingelenkt. Nach OvpEmans! tragen die ausnahms-
weise unverletzten Cerci an der Spitze einen kurzen Stachel, den
er am Mittelschwanz nie bemerkte. Ein unverletzter Mittelschwanz
eines 10 mm langen Thieres war nach Demselben 12,5 mm lang,
die Cerei je 5,5 mm.
Bei allen drei Schwanzanhängen treten die Muskeln wie bei den
Abdominalgriffeln nur an die Basis heran und keiner in das Innere
hinein: die Ungelenkigkeit der zahlreichen Ringel erklärt die große
Zerbrechlichkeit der Analanhänge.
Wie bei Nicoletia treten auch hier stark entwickelte äußere Gona-
pophysen auf. Sie bestehen bei den Weibchen aus vier, die Lege-
scheide bildenden Ventralanhängen des achten und neunten Abdominal-
ringes und umgeben die am Ende des achten oder eher, wie es die
Regel scheint, am Anfang des neunten Segmentes ausmündende Ge-
schlechtsöffnung. Die Gonapophysen des achten Segmentes ent-
springen an den längsgetheilten Bauchplatten jederseits des Innen-
randes und ihr Basaltheil entsteht, undeutlich von dem geringelten
Haupttheil abgesetzt, in der weichen Verbindungshaut an der Dorsal-
seite der Bauchplatten. Innerhalb dieses Basaltheiles setzt sich eine
starke kurze Muskulatur an, welche die Legescheidenhälften von ein-
ander entfernen hilft; denn wie J. T. OupEMANS wieder betonte, be-
wegt sich die ganze linke Hälfte gegen die rechte und umgekehrt, da
die über einander liegenden Scheidentheile in fester Führung verbun-
den, also nur in der Längsrichtung gegen einander verschiebbar sind.
Am neunten Abdominalsegment divergiren die zu einer unteren
Legescheidendecke ausgebildeten Bauchplattenhälften an der Basis
noch stärker als am achten Segment, und so entspringen die Stücke,
welche die dorsalen Legescheidentheile bilden, direkt zwischen ihnen
aus der weichen Verbindungshaut. In jeden Legescheidentheil tritt
ein sich an die Spitze ansetzender, an der Basis oft in mehrere
Bündel zerfallender durchgehender sehniger Längsmuskel ein, den
OupEMANS zuerst beobachtet hat und der zum Niederbeugen der
elastischen Legeröhre dient. Entgegengesetzt den oft verstümmelten
Schwanzfäden sind die Legescheidenenden stets intakt.
1 J. T. OupEMANS, Beiträge etc. (1888). pag. 155.
388 Erich Haase
Das Männchen zeigt eine schon von MEINERT! richtig angegebene
und von OUDEMANS? bestätigte Modifikation der Gonapophysen, in-
dem vom neunten Segment nur zwei vordere schlanke Deckklap-
pen entspringen und zugleich die Geschlechtsöffnung an die Spitze
eines zweigliedrigen Kolbens gerückt ist, dessen Entstehung wir
wohl auf besonders hohe Ausbildung einer ähnlichen Papille zu-
rückzuführen haben, wie sie den Penis bei Campodea bildet. Wie
die Penisröhre können auch die Deckklappen nach unten gebogen
werden, und zwar gehen bei letzteren die dies bewirkenden Mus-
keln schief an die Basis, während sie bei dem Penis das basale
Glied durchlaufen und sich an die Wurzel des distalen ansetzen.
Somit ist die Angabe Grassi’s*, dass »der Penis von vier kleinen
Anhängen, die evident den vier Ovipositoren des Weibehens homolog
seien, umgeben ist«, nicht zutreffend.
5) Lepismina.
In dieser Gattung scheint die Zahl der Abdominalgriffel nach den
Arten stark zu variiren. So erwähnt Grassi! Species mit zwei bis
drei Zapfenpaaren an den drei bis zwei vorletzten ([7.)8.—9.) Abdo-
minalringen und solche mit »zahlreichen« Paaren; eine mit L. poly-
podia Gr. wohl identische Form fand ich auch in Triest im Garten
der zoologischen Station. Bei derselben kommen Bauchzapfen schon
an den vorderen Abdominalsegmenten vor; sie sind gelblich, an der
Basis schwach eingeschnürt und am Ende allmählich verjüngt und
endigen in eine längere Borste; nach dem Körperende nehmen sie an
Länge allmählich zu; so messen die des siebenten Segmentes 0,16,
die des achten schon 0,2, die des neunten gar 0,4 mm.
Das Afterstück trägt bei Lepismina wie bei Lepisma und Ter-
mophila drei gegliederte lange Anhänge, die denen von Machilis
und Nicoletia durchaus entsprechen.
Jederseits der männlichen Geschlechtsöffnung am neunten Abdo-
minalsegment® liegt ein plumper kolbiger Anhang von 0,3 mm Länge,
1 Fr. MEINERT, Om kjönsorganerne og kjénstoffernes Udvickling hos Mach.
polyp. (Naturh. Tidskr. III R. Bd. VII. 1871). pag. 175—186.
2 J. T. OuDEMANS, Beiträge etc. (1888). pag. 209.
3 B. Grassi, Contrib. allo stud. etc. del gen. Machilis (1886). pag. 18.
4 B. Grassi, Altre ricerche sui Tisanuri (1887). pag. 7 und 8.
5 B. Grassi hat die Gonapophysen nicht genauer besprochen.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 389
an dessen abgerundeter Spitze einzelne kegelförmige Hohlhaare von
0,03 mm Länge sitzen, in welche dickwandige einzellige Drüsen
einmiinden. Bei den Weibchen finden sich vier Gonapophysen,
welche zusammen die einfache Legescheide bilden. Am neunten Seg-
ment entspringen die zwei dorsalen Rinnen, die, wie bei Machilis,
an der Basis von einem starken Chitinrahmen eingefasst sind und
eine Länge von 0,65 mm bei einer Breite von 0,16 mm erreichen.
Sie sind zungenförmig und tragen vor der Spitze am Innenrande
eine 0,08 mm lange Raspelfläche, die mit starken nach hinten ge-
richteten Zähnen besetzt ist. Vom achten Segment aus entstehen
zwei ventral gelegene, einfach behaarte Deckklappen, die den oberen
Apophysen an Länge gleichen, aber noch breiter sind.
6) Lepisma.
Bei Lep. sacharinum kommen nur an den zwei vorletzten Hinter-
leibsringen Abdominalgriffel vor, und zwar sind dieselben am achten
Segment 0,6, am neunten aber 0,8 mm lang. Von diesen Griffeln
nahm J. Luspock bekanntlich an, dass sie sich auf »stiff yellow
setae« zurückführen ließen, wie sie an den vorhergehenden Ringen
in Gruppen vorkommen, was jedoch J. T. OUDEMANS! mit dem Hin-
weise zurückwies, dass, »abgerechnet die Verschiedenheit der beiden
Gebilde«, diese Haare 1) »außer an den Seiten der Bauchschilde
auch noch in deren Mitte vorkommen und 2) dass sie auf den Seg-
menten mit den Anhängen eben so sich finden«.
An Gonapophysen wies Grassi? bei den Weibchen ähnlich wie
bei Machilis vier Ovipositoren nach, »von denen es ihm unmöglich
sei zu entscheiden, ob sie dem achten oder neunten Segment ange-
hérten«. Am achten Hinterleibsringe komme außer der gespaltenen
Bauchplatte noch ein kleineres unpaares dreieckiges Stück wie bei
Nicoletia vor; eben so sei der neunte Bauchschild getheilt und er-
innere so gleichfalls an Machilis. Vom Männchen erwähnt Grassi
nur, dass ihm die beiden Genitalanhänge, die bei Nicoletia vor-
kommen, fehlen.
Jede der vier Gonapophysen des Weibchens entsteht, wie ich
an einer großen Art aus Triest feststellen konnte, aus einer weiten
Halbröhre, die auf eine Hautduplikatur zurückzuführen ist und sich
1 J. T. OupEmans, Beiträge ete. (1888). pag. 158.
2 B. Grassi, Altre ricerche sui Tisanuri (1887). pag. 15—16.
390 Erich Haase
erst später zusammenschließt; die Legescheidentheile entspringen am
achten resp. neunten Segment wie bei Machilis.
7) Termophila.
Bei T. furnorum Royvelli kommen nach J. T. OUDEMANs dem-
nächst erscheinender Arbeit! vom 7.—9. Hinterleibssegment beweg-
liche Abdominalgriffel vor, von denen die hinteren stets länger als
die vorderen sind. Bei Männchen fehlt meist das Anhangspaar am
siebenten, selten auch das am achten Abdominalsegment; bei Weib-
chen fehlt höchstens das am siebenten. Es gelang OUDEMANS nach-
zuweisen?, dass die vorderen Paare nach verschiedenen Häutungen
allmählich zum Vorschein kommen, das hinterste also das älteste ist.
3) Collembola (hierzu Fig. 5 und 6).
Vom vor- oder drittletzten Abdominalsegment aus entsteht bei
den meisten Gattungen ein unpaarer Vorsprung in Gestalt einer
viereckigen Platte, die als Basalstiick (Manubrium) der Sprunggabel
bezeichnet wird und in welche starke Muskelziige hineintreten. Daran
setzen sich zwei kräftige Anhänge, die »Arme«, Rami, an, die am
Ende noch kürzere Zapfen, die »Endstücke«, Mucrones, tragen. Alle
diese Stücke zusammen bilden die Sprunggabel (Fureula).
Bei den Formen mit höher entwickeltem Sprungapparat wird
die Gabel vom lebenden Thier in der Ruhe nach vorn umgeschlagen
und in dieser Lage außer durch die Kontraktion der Beugemuskeln
noch oft durch den Widerstand des meist am dritten Segment liegen-
den leierférmigen, außen gezackten Häkchens (Hamulus) gehalten,
das zwischen den Armen vor das Manubrium tritt.
| Nach J. Luspock sind die Muskeln der Sprunggabel in ver-
schiedener Weise entwickelt. So kommen nach ihm bei Smynthurus
hauptsächlich starke Beugemuskeln vor, während bei dem weniger
gut springenden Tomocerus sich besonders ein »Hauptstrecker« (12),
der an das vordere Ende des dritten Abdominalsegmentes geht,
mehrere kleine Strecker (4, 5 und 10) und nur ein kräftiger Beu-
ger (8) findet.
1 In der Nederl. Tijdschrift for Entomologie. 1889.
? Zoolog. Anzeiger Nr. 311. 1889. pag. 353—356.
3 Dieser Strang ist als Beuger anzusehen, weil er sich an die Ventral-
seite des Manubrium ansetzt. — Die Zahlen beziehen sich auf Taf. LIX und LX
bei LUBBOCK (Monograph eic.), Ray. Soc. 1873.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 391
In der That sind die Muskeln der Sprunggabel aber auch bei
den langgestreckten Formen ähnlich wie bei Smynthurus entwickelt.
So finde ich bei Tomocerus und anderen Gattungen, dass die Beuge-
muskeln im Allgemeinen eben so stark ausgebildet sind, als die
allerdings stets zahlreicheren Strecker, was besonders durch die
Kraft, mit der die Gabel vom lebenden Thier nach vorn gezogen
werden muss, und die Elastieität der letzteren beim Aufschlagen
während des Sprunges seine Erklärung findet. Bei keiner der unter-
suchten Formen treten Muskeln in die Arme hinein; so sind auch die
Gabelspitzen (Mucrones) unbeweglich. Die Arme werden jederseits
durch eine starke, das Manubrium durchziehende Muskelmasse bewegt,
die aus 4—6 Strängen zusammengesetzt ist und sich an die Dorsal-
seite anheftet. Das zungenförmige Plattenstück vor dem Manubrium
ist besonders mit queren, sich jederseits der Mittellinie ansetzenden
Muskeln ausgestattet, wie wir sie bei Machilis an den letzten paari-
gen Bauchplatten auftreten sahen. — Die ungegliederten Analhäk-
chen, die besonders bei gewissen Lipuriden vorkommen, sollen im
vorletzten Abschnitt besprochen werden.
Gonapophysen fehlen den Collembolen durchaus.
Um auf die pterygoten Insekten überzugehen, so kommen bei
diesen lappenartige Hüftanhänge, welche denen von Machilis zu
entsprechen scheinen, so viel mir bekannt, in ausgebildeterer Form
besonders bei südamerikanischen Vertretern der Schabenfamilie der
Blaberiden vor, wo sie, wie bei der Thysanurengattung, nur an den
zwei letzten Beinpaaren sitzen. Von blattförmiger Gestalt, sind sie
mit der Hüfte kaum gelenkig verbunden, auch treten keine Muskeln
an sie heran!.
Am Abdomen finden sich unzweifelhafte griffelartige Anhänge
nur am vorletzten (9.) Hinterleibsringe und dies ausschließlich bei
Orthopteren. In der Terminologie als »Styli«c bezeichnet, kommen
sie in dieser Ordnung am Hinterrande der neunten Bauchplatte als
stets ungegliederte, aber beweglich eingelenkte und oft mit Muskeln
versehene Griffel nach L. FiscHER? bei Blattiden, Mantiden und vie-
len Locustiden vor, während sie bei Phasmiden, Grylliden und Acri-
diern fehlen, doch finden sie sich an geschlechtsreifen Thieren nur
1 Rudimente dieser Coxallappen finden sich noch bei vielen Schaben-
gattungen, so z. B. auch bei Phyllodromia.
2 L. H. FiscHEr, Orthopt. Europ. 1853. pag. 19—21,
392 Erich Haase
bei Männchen. Sie sind an der Oberfläche mit Borsten besetzt und
werden, wenigstens an jungen Thieren von Phyllodromia germanica,
von einem deutlichen Nervenstrang durchzogen; bei Blabera treten
durchgehende quergestreifte Muskeln bis zu ihrer Spitze in sie hinein.
Hinter dem letzten (bei den Orthopteren mit ursprünglicher Seg-
mentzahl wie bei den Thysanuren 10.) Segment des Abdomens liegt
das Afterstück, das auch bei vielen, besonders niederen Insekten
Endanhänge (Raife, Cerci) trägt, die meist über, seltener neben
oder unter dem After sitzen und zu denen oft noch ein unpaares
dorsales Afterschild hinzutritt. Die Raife sind bei den Orthopteren
meist deutlich gelenkig gegliedert und tragen zu besonderen Sinnes-
funktionen umgewandelte Borsten von manchmal eigenartigem Bau
(z. B. Corydia). Sie werden von einem starken Nervenstrange durch-
laufen und oft auch von Blutströmen durchzogen. Obwohl sie sehr
beweglich eingelenkt zu sein pflegen, treten doch Muskeln meist nur
an sie heran; einen durchgehenden Muskelstrang fand ich nur sel-
ten, so z. B. bei der riesigen südamerikanischen Blabera trapezoidea
Burm. Die Endanhänge sind den Cereis der Thysanuren durchaus
ähnlich und wie letztere oft vielringelig, so bei Blattiden und Man-
tiden; bei Phasmiden, Locustiden und Acridiern sind sie wie u. A.
auch bei Gryllotalpa ungegliedert, was ich für eine Verkümmerung
ansehe.
In den meisten älteren Insektenabtheilungen bleiben die Anal-
raife bis zur Imago, in jüngeren höchstens in der Jugendform er-
halten. So finden sie sich, um die von Fr. BRAUER in seinen geist-
vollen »Studien«! eingeführte Reihenfolge innezuhalten, bei sämmt-
lichen Dermapteren (Forficuliden), wo sie die Endzangen bilden. So
kommen sie bei Ephemeriden und Odonaten bis zur Imago vor;
eben so finden sie sich bei den Plecopteren (Perlariae) meist als zwei
sehr lange Fäden, die nach Braver |. c. pag. 122 als gegliederte
Anhange auch bei jenen Jugendformen auftreten, bei deren Imago
sie rudimentär werden oder fehlen (Nemura).
Von den Corrodentien scheinen sich Analraife (Cerei) nur bei
den Termiten erhalten zu haben, wo sie bei verschiedenen Formen
undeutlich zweigliedrig sind; auch BRAUER giebt 1. ce. pag. 363 an,
dass die Jugendformen der Corrodentien »oft mit kurzen Appendices
abdominales« versehen sind.
! Fr. BRAUER, Systematisch-zoologische Studien (Sitzungsber. der kais,
Akad. der Wiss. 1885). pag. 358.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 393
In der Abtheilung der Blasenfüße (Physopoda), welche den Über-
gang zu den Rhynchoten bilden, sind bisher! keine Endraife beob-
achtet worden.
Auch der Ordnung der Hemipteren scheinen Cerci vollkommen zu
fehlen; selbst an ganz jungen Wanzen (Pyrrhocoris) habe ich keine
Spur derselben finden können. Somit scheint diese Abtheilung sich
sehr weit vom Stammbaum der übrigen homomorphen Insekten ent-
fernt und die Cerei schon früh verloren zu haben.
Endlich kommen Analraife (Cerei) unter den Larven der Hymeno-
pteren in der Tenthredinidengattung Lyda vor, wo sie hinter dem
zehnten Abdominalsegment etwas unterhalb des Afters in den Seiten
sitzen. Diese Anhänge wurden von RATZEBURG? für Nachschieber
gehalten und, da sie mehrgliedrig sind, neben den Thorakalbeinen
als viertes Fußpaar angesprochen. Sie bestehen aus drei, z. Th.
beborsteten, scharf gegen einander abgesetzten und beweglichen Glie-
dern, deren terminales am dünnsten ist, und sind von geraden dich-
ten quergestreiften Muskelfasern und von Nerven bis zur Spitze durch-
zogen.
Bei den Imagines der Hymenopteren scheinen beiden Geschlech-
tern gemeinsame Analraife (Cerci) nur mehr ungegliedert vorzu-
kommen, sind aber bedeutend weiter verbreitet als bei den Larven,
was darauf hindeutet, dass die Form letzterer schon bedeutenden
Anpassungen unterworfen und somit viel weniger ursprünglich ist als
die der entwickelten Thiere. Analraife fanden sich bei allen unter-
suchten Formen der entwickelten Blattwespen, deren Hinterleib auch
stets aus neun deutlichen und einem undeutlichen zehnten Segmente
bestand; bei Cimbex variabilis sind sie keulenförmig, plump, lang
beborstet und 0,04 mm lang, bei Nematus salicis schlank und 0,025 mm
lang, bei Lyda kurz und beborstet; auch bei einigen großen Ichneu-
monen fand ich kurze, bewegliche und behaarte Analanhänge.
Bei den Larven und Imagines der Neuropteren, Coleopteren 3,
1 K. JorDAN, Anatomie und Biologie der Physapoden (Zeitschrift für wiss.
Zoologie. Bd. LXVII. 1888). pag. 541—617.
2 J. Tu. Cur. RATZEBURG, Die Forstinsekten. III. 1844. pag. 62. —
Die Larven von Lyda haben übrigens sechsgliedrige Brustbeine, indem der
bei verwandten Gattungen einfache Tarsus bei ihnen in zwei Glieder zerfällt.
3 Die Endanhiinge der Larve von Hydrophilus, welche nach A. Kowa-
LEVSKY'S Abbildung (Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Würmer und
Arthropoden [1871]. Taf. IX Fig. 19) scheinbar am Analstück entspringen, wer-
den weiter unten besprochen werden.
394 Erich Haase
Lepidopteren und Dipteren sind mir keine den Analraifen entsprechen-
den Anhänge mehr bekannt.
Gerade in der Unterklasse der pterygoten Insekten haben die
Gonapophysen ihre höchste Ausbildung gefunden und sind meist den
besonderen Eigenthümlichkeiten des Kopulationsvorganges oder der
Eiablage derartig angepasst, dass es kaum möglich ist, auf dieselben
allgemeiner einzugehen, zumal diese Anhänge oft nur als lokale
Chitinverstärkungen der Genitaltaschenwände anzusehen sind. So
wurden denn nur die verhältnismäßig genau erforschten äußeren
Gonapophysen der Acridier, der Locustiden, Odonaten und Hyme-
nopteren herangezogen, welche unten in dem Abschnitte über die
Morphologie der Ventralanhänge besprochen werden sollen.
Il. Funktion der Ventralgriffel.
Nach seinen Beobachtungen über den Eintritt eines Nerven in
die Ventralgriffel von Machilis etc. durfte B. Grassı! letztere eben
so als Tastorgane ansprechen, wie er nach der stark entwickelten
Muskulatur der Abdominalgriffel die Mitwirkung der letzteren zur
Stütze und Fortbewegung des Körpers annehmen musste.
Nach den interessanten Untersuchungen von OUDEMANS? kann
Machilis in der That eine Art hüpfender Bewegung dadurch aus-
führen, dass es »alle sechzehn Anhänge zugleich nach hinten streckt«;
außerdem werden die Griffel »auch fortwährend zur Stütze des Ab-
domens gebraucht und, während die Thiere laufen, fortwährend nach
vorn und nach hinten bewegt «.
Nach meinen Experimenten kann ich diese Beobachtungen nur
bestätigen. Beim Sprunge werden besonders die hinteren Griffel
durch Kontraktion der starken Strecker plötzlich nach hinten ge-
zogen, und so veranlasst das Aufschlagen der federnden Anhänge
einen Gegenstoß, der das Thier vorwärts schleudert; wahrscheinlich
wird diese Bewegung noch dadurch verstärkt, dass das Thier seinen
in der Ruhe gekrümmten Rücken während des Sprunges streckt.
Wenn man Thiere selbst aus einer Höhe von 1/; m schief auf
eine Platte schleudert, fallen sie regelmäßig auf alle sechs Füße zu-
gleich nieder.
1B. Grassı, Anat. comp. dei Tisanuri (1888). pag. 37.
? J. T. OupEMANS, Beiträge zur Kenntnis der Thysanuren ete. (1888).
pag. 156.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 395
Bei Campodea sind die Bewegungen der Abdominalgriffel von
denen des am ersten Segment befindlichen rudimentären Beinpaares
durchaus verschieden, denn während letzteres seitlich gegen den
Körper in schneller zitternder Bewegung ist, fahren die Griffel in
der Längsrichtung nach vorn und hinten. Berührt man eines der
Sinneshaare, zucken die Griffel meist energisch nach vorn.
Im Gegensatz zu den Abdominalgriffeln dienen die Endraife,
Cerci, besonders einer sensorischen Funktion, worauf die zahlreichen
an ihnen nachgewiesenen besonderen Sinneshaare etc. deuten.
Mit Ausnahme der ungegliederten unbeweglichen Analanhänge
von Scolopendrella, die fast nur als Ausführgänge der Spinndriisen,
und von Japyx, die als Haltezangen dienen, sind die Cerci bei den
Thysanuren in der Zahl, der Beweglichkeit und vor Allem der be-
sonderen Beborstung der Glieder derart den Fühlern derselben Gat-
tung ähnlich, dass man auch an eine ähnliche, wenn gleich minder
entwickelte Funktion der Analraife denken darf, was auch in ge-
wissem Maße für die Raife der Insekten gilt. Bei der blinden
Campodea sind die zwei Cerci am Ende noch mit einem besonderen
Sinnesorgan versehen und scheinen so in der That als hintere Fiihler
zu dienen; auch die Zangen des blinden Japyx haben noch ent-
wickelte Hautsinnesorgane, deren Reiz vielleicht als Reflex ihre Be-
wegung gegen einander zum Zweck der Vertheidigung hervorruft.
Bei den augentragenden Machilis scheinen die drei Endanhänge nur
in geringerem Maße zur Sinnesempfindung beizutragen, sind auch
meist theilweise verstümmelt.
Bei den Formen mit ausstülpbaren Ventralsäcken sind die Bauch-
griffel ohne Ausnahme stark entwickelt, was besonders bei Cam-
podea, Machilis und Nieoletia auffällt. Hier dienen sie wohl noch
nebenbei zum Schutz der Säckehen gegen Beschmutzung etc. durch
ein Anstreifen an den Boden. Am Hinterrande des achten Seg-
mentes werden sie bei Campodea durch große Fiederborsten ver-
treten!.
Die vortrefflichsten Springer unter den Synapteren sind unstreitig
die Collembolen, bei denen diese Vorwärtsbewegung dadurch ein-
tritt, dass zuerst die Beugemuskeln der Gabel erschlaffen und durch
die starke Kontraktion der Strecker noch der Widerstand des ela-
stischen Häkchens überwunden, jedenfalls aber die Sprunggabel
1 Bei den Diplopoden können die Hüftsäckchen wegen des hohen Ganges
der zahlreichen Laufbeine den Boden überhaupt nicht berühren, doch sind auch
hier oft die Hüften um sie herum besonders lang beborstet.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 26
396 Erich Haase
energisch nach hinten gezogen wird und mit den federnden Enden
auf den Boden aufschlägt. TH. v. SıeBoLp’s! Behauptung. dass die
Gabel in der Ruhe nach hinten ausgestreckt getragen werde, gilt
somit für das lebende Thier nicht, wohl aber sieht man diese Lage
oft an durch Alkohol konservirten Exemplaren. Nach dem Sprunge
kehrt die Gabel wieder in ihre frühere Lage (und über das Häk-
chen) zurück und fallen die Collembola auch stets wieder auf alle
sechs Beine zugleich nieder.
Über die Funktion der Cerci bei Periplaneta? verdanken wir
V. GRABER’s Experimenten den Nachweis, dass diese Anhänge bei
geköpften Thieren eine große Empfindlichkeit für Gerüche besitzen:
Thiere ohne Endraife (»Afterfühler« GRABER’s) reagirten auf die Wir-
kung von Rosmarinöl meist noch nicht nach sechzig, Thiere im Be-
sitz der Endgriffel aber schon nach zwei Sekunden.
Il. Morphologie der Ventralgriffel.
Die zuerst bei Machilis beobachteten beweglichen Abdominal-
griffel wurden von P. LATREILLE? als echte Hinterleibsbeine ange-
sehen; er schrieb also Machilis zwölf Paar Beine zu, »dont trois
thoraciques et neuf ventrales, mais rudimentaires«.
GrRVAIS bezeichnete diese Griffel im Anschluss an GUERIN‘ als
»fausses pattes abdominales«, wohl in Ansehung der Abdominalfüße
der Decapoden®.
H. BURMEISTER® bestritt wieder LATREILLE’s Deutung mit dem
Hinweise, dass diese Anhänge nach vorn an Größe abnähmen.
Ähnlich wie LATREILLE glaubte auch F. M. BaLrour’, dass die
»kleinen Vorragungen an mehreren der Abdominalsegmente verschie-
dener Thysanuren wahrscheinlich als rudimentäre Füße betrachtet
werden diirfen«.. In der That scheint besonders dieser Ausspruch
des genialen Embryologen obiger Deutung zur allgemeineren An-
nahme verholfen zu haben.
! Tu. v. SIEBOLD, Lehrbuch der vergl. Anatomie. I. 1848. pag. 565.
2 V. GRABER, Vergleichende Grundversuche über die Wirkung und die
Aufnahmestelle chemischer Reize bei Thieren (Biolog. Centrabl. V.). pag. 452.
3 Nouv. Ann. du Muséum. I. 1832. pag. 175.
4 Ann. sc. nat. V. 1836. pag. 374.
5 P. GervAIS, Hist. nat. Ins. Aptéres. III. 1844.
6 H. BURMEISTER, Handbuch der Entomologie. Bd. II. 1838. pag. 454.
7 F. M. Batrour, Handbuch der vergleichenden Embryologie (übersetzt
von B. VETTER). Bd. I. 1880. pag. 388.
ee
Die Abdominalanhänge der Insekten. 397
Von der Voraussetzung ausgehend, dass die Insekten von den
Crustaceen abzuleiten seien, deutete Woop-Mason ! die Coxalgriffel
an den zwei hinteren Hüftpaaren von Machilis geradezu als Exo-
poditen, die Hüftgriffel von Scolopendrella aber als Endopoditen
eines mehrästigen Anhanges. Die Abdominalgriffel von Machilis
hingegen sah er wieder für Exopoditen und die durch eine Mittel-
furche getrennte Bauchplattenduplikatur, an der die Griffel und die
Ventralsäcke liegen, als »coalesced basal joints«, als die Protopo-
diten des ganzen Anhanges, an. In Übertragung auf die homologen
Anhänge der Schaben erklärte er die Styli am neunten Abdominal-
segmente der Männchen eben so für Exopoditen wie die Endanhänge
(Cerei) des End- (nach ihm zehnten) Segmentes, während er die Penis-
klappen von Lepisma und die Legescheidentheile von Machilis und
homologe Anhänge der Blattiden als Endopoditen bezeichnete und
auch bei weiblichen Schaben (nach gütiger Mittheilung bei Periplan.
decorata Br.) pag. 167 den männlichen Styli durchaus homologe
Anhänge am neunten Hinterleibsringe beschrieb. Auf den Umstand,
dass die Beine von Scolopendrella außerhalb der Hüftgriffel liegen,
gründete er weiter die Hypothese, dass die Extremitäten der Myrio-
poden denen der Insekten nicht strikte homolog seien, vielmehr den
Hüftgriffeln von Machilis entsprächen.
Ähnlich stellte B. Grassı? die Ansicht auf, dass die Beine mit
den »Pseudobeinen« (= Hüftgriffeln) von Scolopendrella und die zwei
letzten Beinpaare von Machilis mit ihren Hüftgriffeln als »traceie
evidentic anzusehen wären, dass alle Anhänge »der primitiven Tra-
cheaten« wie bei den Crustaceen mehrspaltig waren.
In meinem schon berührten Vortrage suchte ich dann den Nach-
weis zu führen, dass im Gegentheil alle diese Anhänge der Myrio-
poden und Insekten auf einfache Extremitäten zurückzuführen seien.
dass die Coxalanhänge von Machilis und Seolopendrella spornartigen
reinen Integumentalgebilden entsprächen, und auch die Abdominal-
griffel der Thysanuren als solche gedeutet werden müssten.
Eines meiner damals für den geringen morphologischen Werth
dieser Abdominalgriffel angeführten Argumente, das Fehlen einer in
sie hineintretenden Muskulatur, suchte Grassı in seiner letzten Ar-
beit? zurückzuweisen, indem er hervorhob, dass u. A. auch die Cerci
1 J. Woop-Mason, Entomol. Notes (1879). pag. 156 und 158.
2 B. Grassi, Morfol. della Scolopendrella (1886). pag. 27.
3 B. Grassi, Anat. compar. dei Tisanuri (1888). pag. 38.
26*
398 Erich Haase
von Campodea, Lepismiden und Machilis keine solche Muskeln be-
säßen und dass die Abdominalgriffel nicht wie die Borsten das Pro-
dukt einer Hypodermzelle seien, sondern aus »connettivo (meso-
dermo) involto da ipoderma e da cuticula con peli ecc.« beständen.
Es sind dies aber, wie gezeigt werden soll, nur Unterschiede des
Grades, nicht des Wesens, zumal es echte Sporne giebt, so im
Schienenblättehen der Schmetterlinge, welche einen noch viel höher
entwickelten Bau aufweisen.
Über die morphologische Werthigkeit der Ventralgriffel der
Thysanuren selbst spricht sich Grassi in seiner letzten Arbeit! nur
ınehr dahin aus, dass er sie für »rudimenti delle zampe, non appena
in senso filogenetico« erklärt.
Um zuerst die Hüftgriffel zu besprechen, so sind dieselben bei
Scolopendrella durch kurze Beugemuskeln so weit nach vorn be-
weglich, dass sie eine zum Körper senkrechte Stellung einnehmen
können. — Hier dienen sie also schon besonderen Zwecken und sind
denselben durch die sekundäre Entwicklung ihrer Muskulatur an-
gepasst.
Die einfachste Form aller solcher spornähnlichen Anhangsgebilde
der Hüfte treffen wir wohl bei Chilopoden an, jedoch nur bei den
ursprünglicheren Formen mit geringer Segmentzahl (Chil. ana-
morpha).
So besitzen die größeren Arten von Lithobius an den hintersten
Hüften kurze kräftige Sporne, in welche natürlich auch die Leibes-
höhle sich fortsetzen kann, oft in Mehrzahl. Bei manchen Arten
kommt nur ein in der Mitte des Außenrandes sitzender starker Sporn
vor, der zu dem auffallend langen und auf der Oberfläche behaarten,
aber ebenfalls noch unbeweglichen Hüftsporn in der Mitte der Unter-
seite der Hüften von Seutigera überführt, in den ebenfalls Fett-
körpermassen ete. eintreten.
Bei Machilis sind die Hüftgriffel zwar ebenfalls gelenkig dem
Beine eingefügt wie bei den Symphylen, jedoch tritt keine sie be-
wegende Muskulatur an sie heran, was ‘ich, im Gegensatz zu Woop-
Mason, nicht als ein Zeichen vorgeschrittener Verkümmerung, son-
dern als einen Beweis für ihre geringe Entwicklung ansehen möchte,
zumal sich in der Hüfte durchaus kein Rudiment zu dem Hüftgriffel
gehender Muskeln nachweisen lässt. So hat man diesen Hüftgriffel
wohl nur für eine Spornbildung zu halten, die an der Außenseite des
! B. Grassi, Anat. compar. dei Tisanuri (1888). pag. 37.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 399
Gliedes nach vorn verschoben ist, wie dies mit dem Schienenblättehen
der Schmetterlinge an der Innenseite geschieht.
Wie auch Grassı bemerkt hat, gleichen nun die Abdominal-
griffel von Machilis auffallend den Anhängen der letzten zwei Hüft-
paare. Somit kann man auch erstere nur als Integumentalge-
bilde auffassen, und zwar als stark entwickelte spornähnliche Bor-
sten, in deren weites Lumen sekundär mesodermatische Elemente,
wie Fettkörper, Bindegewebe und Blutflüssigkeit eintreten können,
die aber ihrer ersten Anlage nach auf rein ektodermale Bildungen
zurückzuführen sind und wie die größeren Haargebilde (so z. B. die
Hautsinnesborsten von Japyx) ihre Entstehung einer Gruppe von Hy-
podermiszellen verdanken.
Dem letzten Paar der Abdominalgriffel! von Machilis durchaus
homolog sind die stets ungegliederten, als Styli bezeichneten An-
hänge an der neunten Bauchplatte vieler Orthopteren, die schon bei
dieser Ordnung rückgebildet erscheinen und bei den übrigen In-
sekten, so viel bekannt, fehlen.
Nach den Untersuchungen, die Herr Dr. N. CHOLODKOVSKY? über
die Entwicklung von Phyllodromia herausgegeben hat und die ich
mit seinen Präparaten vergleichen durfte, entstehen die Griffel am
neunten Abdominalsegment3 erst bedeutend nach der Anlage der
Beine, selbst noch der der Endraife, die vom Afterstück entspringen,
aus Hautpapillen und sind in beiden Geschlechtern ursprünglich
gleichmäßig entwickelt. Es gelang mir, sie auch bei Periplaneta
orientalis noch bei Weibehen des vorletzten Stadiums (ohne ausge-
bildete Flügelstummel) nachzuweisen, während sie bei den ganz ent-
wickelten vollkommen fehlen. — Diese Unterdrückung der Styli bei
den Weibehen wird dadurch veranlasst, dass die Genitalöffnung nach
vorn und zugleich in die Tiefe rückt, so dass sie unter die siebente
Riickenplatte zu liegen kommt und so neben der Verkümmerung der
letzten Bauchplatten erst recht die der Anhänge bewirkt.
Bei den Männchen von Phyllodromia bleiben die Griffel bis zur
vollkommenen Geschlechtsreife bestehen und sind an der durch links-
1 Bei Campodea und Japyx scheinen dieselben am 8.—9. Segment sekun-
där unterdrückt zu sein.
2 N. CHOLODKOVSKY, Studien zur Entwicklungsgeschichte der Insekten
(Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLVIII. 1. Taf. VII).
3 Vgl. desselben »Nachtrag«. Ibid. pag. 301.
4 E. Haase, Über die Zusammensetzung des Schabenkörpers (Sitzungsber.
Gesellschaft naturforsch. Freunde. Berlin 1889. pag. 133).
400 Erich Haase
seitige Rückbildung asymmetrisch gewordenen neunten Abdominal-
platte stets noch als ungleiche, knopf- oder lappenartige borsten-
besetzte Anhänge nachzuweisen!.
Bei Angehörigen stark modifieirter Schabengruppen, z. B. bei
Panesthia javanica, findet sich in beiden Geschlechtern nach Woop-
Mason? keine Spur der Griffel mehr vor.
In der Gryllidengattung Tridactylus sitzen nach der Angabe
BRUNNER’S? »vier Anhänge am zehnten Segment«, deren oberes Paar
„weigliedrig, das untere ungegliedert ist. Durch die Güte des Herrn
Hofrath v. BRUNNER durfte ich an Stücken verschiedenen Alters von
Trid. variegatus feststellen, dass alle vier Anhänge am Afterstück
aufsitzen, die oberen den Raifen entsprechen und am Basalgliede
auch die Befestigung der Sinneshaare in rosettenförmig gekrausten
Näpfchen wie andere Grylliden zeigen, während die unteren Anhänge
mit H. DE SAUSSURE {M&l. orthopt. II. pag. 214) als artikulirende
Fortsätze der Afterklappen anzusehen sind.
Auf die Umwandlung einer prägenitalen Bauchplattenduplikatur
mit daransitzenden Abdominalgriffeln, wie sie ähnlich bei Machilis
vorkommen, ist wohl die Sprunggabel (und vielleicht auch das Häk-
chen) der Collembolen zurückzuführen, welche bei Smynthuriden,
Tomocerus und Orchesella nach LuBBOcK am vorletzten, bei Podura
und Achorutes am drittletzten Segment auftritt. Dann entspräche das
unpaare Basalsegment (Manubrium) der plattenartigen Duplikatur und
die paarigen Arme den Griffeln, da z. B. zwar mehrere Muskeln
an das Basalstück, aber nur einer an die Arme und keiner in letztere
hinein tritt. —
Dass übrigens die Sprunggabel in der Familie der ‚Collembola
ursprünglich allgemein vertreten war, wird durch die Entdeckung
Ryper’s®, dass der Embryo von Anurida maritima am vierten Abdo-
minalsegment ein bald verschwindendes Gabelrudiment besitzt, sehr
wahrscheinlich gemacht. Zugleich gestattet die verschiedene Lage
der Gabel auch die bedingte Annahme der LugBock’schen Hypothese’,
1 Diese Griffel sind auch der Aufmerksamkeit von S. BREME (BREHM)
(Recherch. comp. des org. génitaux du Blatt. germ. et Periplan. orient. [Arb.
der entomol. Gesellschaft. St. Petersburg 1880. Russisch]) entgangen; derselbe
bezeichnet übrigens die Styli von Periplaneta unrichtig als Cerei.
2 J. Woop-Mason, Entomol. Notes (1879). pag. 167.
3 ©. BRUNNER V. WATTENWYL, Prodromus der europ. Orthopt. pag. 453.
4 J. Ryper, The development of Anurida etc. (Amer. Naturalist. 1886).
pag. 300.
5 J. Lusppocx, Monograph. etc. (Ray Soc. 1873). pag. 70.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 401
dass ursprünglich jedes Abdominalsegment der Collembolen ein Paar
Ventralanhänge (d. h. wohl Griffel) besaß.
Wie im Allgemeinen die frühere oder spätere Ausbildung eines An-
hanges oder Organes auch durch seine Entwicklungshöhe bedingt wird,
legen sich auch die Cerei am Embryo von Phyllodromia, wie CHoLop-
KOVSKY zeigte, verhältnismäßig früh als Auswüchse des »elften Seg-
mentes« (= Endstückes) an. Ihre Lage ist ursprünglich subanal und
fast ventral, doch rücken sie im Laufe der Entwicklung höher hin-
auf, bis sie endlich über dem After liegen: sie machen also eine
ähnliche Wanderung durch, wie die Fühler in Beziehung zur Mund-
öffnung.
Die Cerci, welche in keiner Hexapodengattung fehlen, die auch
Abdominalgriffel trägt, scheinen aber nicht bloß ihrer höheren Ent-
wieklung wegen am Embryo früher angelegt zu werden als die Griffel,
sondern überhaupt ältere Anhangsbildungen darzustellen, welche nur
jünger als die Abdominalbeine sind. In vielen Hinsichten nämlich
entsprechen den Endraifen die als »Furkalanhänge« bezeichneten,
ebenfalls oft langen und vielgliedrigen (Apus) Fortsätze am Telson
der Crustaceen, auf welche besonders C. Cnaus aufmerksam gemacht
hat. So wird es wahrscheinlich, dass diese Endanhänge sich in den
großen Arthropodenklassen auf fühlerähnliche Appendices des After-
stückes gemeinsamer annelidenartiger Vorfahren, zurückführen lassen
und vielleicht auch den Analfühlern recenter Polychaeten entsprechen.
Während Peripatus keine Analraife besitzt, sind unter den My-
riopoden Cerei bisher nur bei Scolopendrella nachgewiesen, wo sie
ungegliedert und unbeweglich, zum Ausführgang der Spinndrüsen
umgebildet und zugleich hoch über den After gerückt sind.
Unter den Thysanuren zeigt Machilis die höchste Ausbildung
des Afterstückes; hier finden sich die drei starken vielringeligen
Sehwanzanhänge, unter deren mittlerem noch ein spitzes Hautläpp-
chen sitzt, und zwei ventrale entwickelte Analklappen. Unter den
übrigen Thysanuren tritt das Afterstück bei Campodea und Japyx
so bedeutend zurück, dass es bisher von keinem Forscher unter-
schieden wurde. Immer zeigt es die beiden Endraife, die bei Cam-
podea schlank und vielgliedrig sind, während sie bei Japyx als
derbe Zangen fast den ganzen Raum zwischen den Dorsal- und
Ventralplatten des zehnten Hinterleibssegmentes einnehmen; bei
Campodea sind die unteren zwei Afterklappen noch entwickelt, wäh-
rend das obere Deckstück kaum hervortritt.
Als Rudimente der Cerci thysanurenähnlicher Vorfahren sind
402 Erich Haase
wohl auch die ungegliederten, aber beweglichen Häkchen am Hinter-
leibsende gewisser Collembola anzusehen, die sich allerdings nur bei
den schon rückgebildeten Formen der Lipuriden, so nach TULLBERG
l. e. in der Gattung Achorutes Templ., Xenylla Tullb. und einigen
Lipuren, vorfinden; bei Triaena Tullb. kommen sogar wie bei Ma-
chilis drei Endhäkchen vor. Bei den am meisten rückgebildeten
Formen, bei denen Ventraltubus und Sprunggabel zugleich verkiim-
mert sind, fehlen zumeist auch die Endhäkchen, so nach TULLBERG
bei Anurophorus, Anurida und Anura; nur Lipura ambulans L. und
L. armata Tullb. besitzen zwar keine Sprunggabel mehr, haben aber
nach TULLBERG noch starke Endhäkchen.
In ganz ähnlicher Weise wie bei Machilis entwickelt sich das
Afterstück auch bei den Larven und vielen Imagines niederer In-
sekten. Als Vergleichsmaterial diene z. B. eine Larvenform von
Libellula, an der das Afterstück durch Isolation als selbständiges
hinter dem zehnten Abdominalringe gelegenes »Segment« nachzu-
weisen ist. An diesem kann man fünf beweglich eingelenkte unge-
gliederte Anhänge unterscheiden, deren mittelster dorsaler der After-
decke, deren zwei seitliche dorsale und kurze den Endraifen, deren
zwei ventrale längere dick-dreiseitige in ihrer Lage unteren After-
klappen entsprechen dürften. Der mittlere dorsale Anhang lässt sich
nun mit Wahrscheinlichkeit als dem Mittelschwanz von Machilis ho-
molog ansehen und ihm entspricht wohl auch das Afterdeckstück der
Schaben, das bei Phyllodromia einen lang ovalen Lappen bildet, bei
Periplaneta quer halbmondförmig und hinten tief ausgerandet ist,
während die zwei unteren Afterklappen eine abgerundet dreiseitige
Gestalt besitzen.
Es ist überhaupt wahrscheinlich, dass diese Analanhänge bei allen
Insekten denen der Thysanuren homolog sind, denn sie kommen nur
bei Gattungen vor, welche sich unter den verwandten Formen durch
Einfachheit des Baues als die ursprünglicheren darstellen; z. B.
entsprechen sich die Zangen von Japyx und den Forfieuliden bis
auf Einzelheiten ihres Baues und ihrer Entwicklung.
Die Cerei der Blattiden bleiben nach CHOLODKOVSKY bis zum
Ende der Embryonalentwicklung einfach und gliedern sich erst nach
dem Verlassen des Eies. Dies spricht dafür, dass sie überhaupt in
der Abtheilung der Insekten einer allmählichen Reduktion unter-
worfen und zu Organen geringerer Bedeutung geworden sind. So
lässt sich denn auch schon eine absteigende Entwicklungsreihe die-
ser Raife aufstellen, die von ihrer deutlichen Zusammensetzung aus
Die Abdominalanhänge der Insekten. 403
19—9 Ringeln (Blabera, Corydia, Blatta, Phyllodromia) allmählich zu
ihrer Reduktion auf ein Glied (Panesthia) führt.
Alle Formen mit Analraifen zeichnen sich durch eine verhält-
nismäßig primäre Gliederung des Hinterleibes aus, denn Cerei sind
bisher nur bei Formen von Insekten und Myriopoden gefunden wor-
den, die zehn Abdominalringe besaßen. So fehlen sie eben so den
durch Elongation entstandenen vielgliedrigen Chilopoden und Chilo-
gnathen, wie den durch Koncentration des Hinterleibes ausgezeichne-
ten Vertretern der höheren Insekten, während sie bei Orthopteren
mit der ursprünglichen Zahl der Hinterleibsringe noch allgemein vor-
kommen.
Wie bei Machilis wandelt sich auch bei vielen niederen Insekten
das Afterdeckstück zu einem vielgliedrigen raifenähnlichen Anhange
um, der zwar meist von Tracheen durchzogen und von Blutmassen
durehströmt wird, aber nur selten eigene durchgehende Muskelzüge
besitzt. Solch aus drei Endfäden bestehender Schwanz findet sich
bei Ephemeriden manchmal bis zur Imago (z. B. Ephem. vulgata).
Während bei der Larve von Palingenia longicauda nach CORNELIUS!
“noch drei vielgliedrige Endanhänge vorkommen, deren seitliche länger
sind, ein Zustand, welcher sich in der Nymphe erhält, bleibt in der
Imago nur ein ungegliedertes behaartes Zäpfchen als Rest des Mittel-
anhanges zurück.
Unter den höheren Insekten mit Cereis (vgl. pag. 392—393
scheint kein mittlerer gegliederter Endfaden mehr vorzukommen.
Als besondere, nicht auf die Cerei zurückführbare Bildung sind
die am letzten Segment unterhalb des Afters liegenden Nachschieber
zu betrachten, welche nur bei Larven und zwar zuerst in der Ord-
nung der Neuropteren auftreten und z. B. bei den Phryganiden all-
gemein bekannt sind und den ein Gehäuse tragenden Larven dazu
dienen, sich in letzterem festzuhalten. Indem sie selbst nach
ZADDACH? aus einer starken seitlichen Vorwucherung der Bauchseite
des Segmentes entstehen, legen sich ihre Endhaken wie andere
stärkere Chitinbildungen an.
Während bei den Larven von Sialis die Bauchseite des zehnten
Abdominalsegmentes sich in einen langen, wohl als Tracheenkieme
fungirenden Endfaden auszieht, besitzen die ebenfalls frei im Wasser
! CORNELIUS, Beiträge zur näheren Kenntnis der Palingenia longieauda
(Elberfeld 1848) pag. 27.
? E. ZADDACH, Untersuchungen über die Entwicklung und den Bau der
Gliederthiere. 1854. pag. 56.
404 Erich Haase
lebenden Larven der in Corydaloides schon im Devon vertretenen
Gattung Corydalus, welche den Vorfahren der Phryganiden nahe
steht, am Körperende nach HALDEMAN! ebenfalls zwei Fortsätze, deren
jedem zwei bewegliche Krallen aufsitzen, welche der Larve bei von
vorn kommenden Störungen eilige Rückwärtsbewegungen ermöglichen.
Auch bei den landbewohnenden Larven der ebenfalls zu den
Sialiden gehörenden Gattung Raphidia kommen ähnliche Nachschieber
vor. Dieselben sitzen hinter der Bauchplatte des zehnten Segmentes
und treten als weiche Polster unter dem After hervor, sobald die
Larve Kriechbewegungen macht. Die Chitinhaut der Nachschieber
gleicht in der Struktur der den After begrenzenden Cuticula. Selbst
bei amputirten Thorakalbeinen vermochte die Larve noch vermöge
ihrer Nachschieber schnelle Rückwärtsbewegungen auszuführen.
Wie bei Raphidia finden sich auch unter den terrestrischen
Käferlarven nachschieberartige Bildungen, welche aus der Endein-
stülpung hinter dem zehnten röhrenförmigen, mit dem Afterstück
innig verschmolzenen Segment unter der Analöffnung hervortreten
und ebenfalls zur Bewegung dienen. Sie scheinen von landbewoh-
nenden Neuropteren ererbt zu sein und finden sich bei einer großen
Anzahl von freilebenden Larven, so besonders deutlich bei Tele-
phorus und vielen Lampyriden, bei Carabieiden, Staphyliniden und
Chrysomeliden. Auch sie dienen oft, wie dies zuerst bei den Lar-
ven von Opilo domesticus erwähnt wird?, zur Riückwärtsbewegung,
sind bei gewissen Heteromeren {Mycetocharis, Alleeula, Pentapbyllus)
besonders stark entwickelt und werden von SCHIÖDTE als »Verrucae
ambulatoriae annuli analis«? bezeichnet.
Zu ihrer Unterstützung dienen noch oft besondere fingerförmige
Haftschläuche, welche mit kurzen, körperwärts gerichteten Chi-
tinhäkchen besetzt sind und von kräftig entwickelten Rückziehmus-
keln durchzogen werden. Sie finden sich schon zu vier bei Panorpa
und scheinen besonders unter campodeiformen Larven der Käfer ver-
breitet. So kommen sie unter Carabieiden, von SCHIÖDTE als »Ver-
rucae scansoriae exsertiles« bezeichnet, zu vier bei Elaphrus, zu
ı S. S. HALDEMAN, History and Transformations of Corydalus cornutus
Memoirs Amer. Acad. New. Ser. vol. IV. Part I. Cambridge and Boston 1849).
pag. 159. Vgl. Taf. I Fig. 1.
2 CHAPUIS et CANDEZE, Catalogue des larves des Coleopteres. Liege 1853.
pag. 19.
3 J. G. SCHIÖDTE, De metam. Eleutherat. observ. (Nat. Tidsskrift. 1861
187);
TEE NE
Die Abdominalanhänge der Insekten. 405
zwei bei Dyschirius, Pterostichus, Anchomenus, Bembidion vor. Am
höchsten entwickelt fand ich die Haftschläuche bei einer riesigen
südamerikanischen Lampyridenlarve. Hier bildeten sie jederseits des
_ Afters unter der mit starken Chitinplatten bedeckten Rückenwand
des zehnten Ringes korallenförmige, dichotom verzweigte Massen
von der Länge des Segmentes, die sich aus je 20—30 Schläuchen
zusammensetzten, deren jeder von zwei gewaltigen, durch besonders
grobe Kästchenstruktur ausgezeichneten Retraktoren durchzogen und
von einer mit starken Widerhäkchen besetzten Chitinhaut bekleidet
war. |
Auch bei Staphyliniden sind die Haftschläuche weit verbreitet;
so erwähnt ScHIÖDTE deren je vier bei Stenus, Tachyporus, Philon-
thus, Xantholinus, Oxyporus (vgl. 1. c. Taf. XI Fig. 14), die sich
wohl auf dichotome Verästelung von zwei Schläuchen zurückführen
lassen. — Diese Lokomotionsorgane wurden 1826 anscheinend von
MAILLE zuerst bei Lampyrislarven als eine Art »houppe nerveuse«
genauer beschrieben, aber schon von DEGEER beobachtet!.
Dieselben Nachschieber haben sich vielleicht direkt von den Tri-
chopterenlarven auf die der Schmetterlinge vererbt und würden dann
ebenfalls dem zehnten Abdominalsegment zuzusprechen sein.
Schon KowALevsky bildete |. e. auf Taf. X Fig. 10 einen Em-
bryo von Sphinx populi ab, der zehn entwickelte Hinterleibsseg-
mente besitzt, an deren jedem eine knopfförmige Beinanlage auf-
tritt. Eben so giebt HATscHEr? für den Embryo der Goldafterraupe
an, dass er zehn Hinterleibssegmente besitzt, und dass sich außer-
dem noch ein Afterstück findet, in das sich die Anlage des Nerven-
systems nicht hineinerstreckt.
Hieraus ergiebt sich, dass man auch den Körper der Raupe als
aus zehn Hinterleibssegmenten bestehend anzusehen hat, von denen
die letzten meist derart undeutlich werden, dass man fast allgemein
die Nachschieber zum neunten Segment rechnete 3.
1 Vgl. J. 0. WESTwooD, Introduet. to the Mod. Classifie. of Insects. I.
1839. pag. 251.
2 B. HATSCHEK, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lepid. (Jenaische
Zeitschrift. X. 1876). pag. 130.
3 Diese Nachschieber fehlen, so weit aus der Litteratur zu ersehen ist,
nur wenigen Raupenformen; bei vielen Notodontiden z. B. dienen sie zwar
nicht mehr zur Lokomotion und sind daher meist plattenartig verkümmert
(Platypteryx) oder zu keulenfirmigen Anhängen (Stauropus) oder zu den lan-
gen, die rothen Schreckfiden bergenden Gabelästen umgewandelt (Harpyia),
fehlen aber keineswegs, wie das die meisten Fachwerke behaupten,
406 Erich Haase
Als eine eher selbständig erworbene Bildung hat man die wenig
entwickelten Nachschieber vieler Blattwespenlarven anzusehen. Zu-
gleich wird schon aus dem Vergleiche der Larve von Lyda mit der
von Nematus klar, dass die Cerei zu den Nachschiebern in keiner
Beziehung stehen, denn letztere sitzen bei Nem. salicis deutlich am
entwickelten zehnten Abdominalringe. dessen Dorsaldecke vom After-
stück durch eine Furche abgetrennt ist, während sich die Reste der
Cerci in den bereits von G. Zappacu! für Nematus als charakteri-
stisch hervorgehobenen »Afterspitzchen« erkennen lassen, die unter
der Afterdecke nahe dem Außenrande als weiche, zitzenförmige,
0,012 mm lange Hauterhebungen aufsitzen. Bei der Larve von
Lyda treten im Gegentheil die Cerci deutlich hervor, während die
Dorsaldecke des zehnten Hinterleibssegmentes mit dem Afterstück
verschmolzen zu sein scheint, hingegen sind die Nachschieber an
der Bauchplatte nicht entwickelt. Wir haben aber in diesen Larven
von Lyda und Nematus Formen vor uns, welche den Imagines
ähnlicher sind als alle übrigen Vorstufen der Hymenopteren und
Lepidopteren. Dafür spricht das (bisher erst bei Sirex nachge-
wiesene) Vorkommen von zwei wie bei der Imago offenen Stigmen-
paaren am Vorderrande des Meso- und am Metathorax?, deren letz-
teres allerdings ziemlich klein ist, aber mit dem Hauptlängsstamm
der Tracheen in freier Verbindung steht, und der Nachweis zahl-
reicher (ca. 50) kurzer Harngefäße bei der Larve von Lyda pra-
tensis, deren gleiche Zahl in der Imago sich wiederfindet?.
Da die Nachschieber stets in der Verlängerung der Thorakal-
beine liegen, erinnern sie auffallend an die Endbeine der Myriopoden
und von Peripatus. Doch können sie nur als den Brustbeinen ortho-
stiche, nicht als ihnen streng homologe Bildungen angesehen werden.
1C. G. A. BRISCHKE und G. ZADDAcH, Beobachtungen über die Arten
der Blatt- und Holzwespen (Schriften phys.-ök. Gesellschaft zu Königsberg.
XVI). pag. 41.
2 J. PALMEN giebt (Zur Morphologie des Tracheensystems. 1877. pag. 101)
an, dass die Stigmen am zweiten und dritten Thoraxringe der Blattwespen-
larven geschlossen seien, scheint also das erste, lange nachgewiesene Stigmen-
paar fiir prothorakal zu halten, wie er es bei den Raupen gedeutet hat. In der
That entspricht aber das erste Stigmenpaar auch der Raupen stets dem Meso-
thorax, da sich, wie bei ähnlichen Formen der Käferlarven, hinter ihm nur
ein zeitweilig geschlossener, zum Metathorakalstigma gehöriger Verbindungs-
Strang der Tracheenlängsstämme nachweisen lässt.
3 Dasselbe giebt E. SCHINDLER (Zeitschrift für wiss. Zoologie. XXX.
1878. pag. 638) für Lophyras und Tenthredo An.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 407
da sie bei ursprünglicheren Formen (Lyda) oft fehlen und ihr ab-
weichender Bau und ihre offenbar spätere Entwicklung sie als se-
kundäre Bildungen erscheinen lassen, zumal den unzweifelhaft älteren
Insekten ohne fastendes Puppenstadium (Ins. hemimetabola) Anhänge
am zehnten Hinterleibssegment durchaus fehlen.
Bei vereinzelten Larven der Neuropteren treten besondere abdo-
minale krallenlose Scheinfüße (Pedes spurii) auf, deren sich bei
Panorpa nach FR. BRAUER! acht Paar von kegelförmiger Form vor-
finden. — An Stücken, die ich der Güte des Herrn Prof. Dr. Fr.
BRAUER verdanke, fand ich, dass die Brustfüße selbst ziemlich
schwach und weichhäutig sind und dass die Scheinfüße am ersten
bis achten Abdominalsegment als spitzkegelförmige, undeutlich ge-
ringelte Hauterhebungen aufsitzen, die nicht genau in der Verlänge-
rung der Thorakalbeine liegen, sondern mehr nach der Mitte zu-
sammentreten, und zwar von letzterer nach hinten allmählich ab-
weichen, also sich umgekehrt verhalten wie die verkümmernden
Abdominalfüße polypoder Embryonen. So sind diese Scheinfüße
nicht einmal als denen der Raupen homotop anzusehen, sondern
scheinen eher auf höhere Entwicklung warzenartiger Höcker zurück-
führbar, wie sie zwischen den Basalgliedern der Thorakalbeine auf-
treten, zumal vor ihnen gelegene kleinere Papillen sich in derselben
Entfernung vom Thorax bis zum Abdomen hinab erhalten und in
der Verlängerung der Brustbeine selbst eine dritte Warzenreihe
außerhalb der Scheinfüße auftritt. — Ähnliche Scheinfüße kehren
nun, fast allgemein verbreitet, an den Schmetterlingslarven wieder,
wo sie an verschiedenen Hinterleibssegmenten vorkommen und wohl
nur bei Minirraupen fehlen?.
Sie bestehen aus einem breiten und flachen Basaltheil, der wie
das Hüftglied der Thorakalbeine allmählich in den Körper übergeht
und vorn und hinten von schiefen Muskeln bewegt wird, und einem
distalen Theil. Dieser trägt gekrümmte Chitinhäkchen, welche ent-
weder an seiner Außenseite stärker entwickelt sind (fast alle Macro-
lep.) oder einen gleichmäßigen, geschlossenen Kranz bilden (alle
Microlep.). und wird durch gerade verlaufende Muskeln bewegt.
Wie angegeben, trägt nach KowALEvsky der junge Keimstreif
des Pappelschwärmers zehn Paare von Abdominalstummeln, so dass
I Fr. BRAUER, Entwicklungsgeschichte der Panorpa communis (Sitzungs-
berichte math.-naturw. Klasse k. Akad. der Wiss. Wien 1851).
? Bei der Larve von Mieröpteryx fehlen auch die Thorakalbeine.
408 Erich Haase
vielleicht, um mit GRABER zu reden, »die an der Raupe an zwei
Stellen unterbrochene Reihe von Abdominalanhängen auf eine kon-
tinuirliche Reihe embryonaler und mit den Brustbeinen nahezu gleich-
alteriger, also wohl auch homologer Anlagen zurückzuführen wäre«!.
Eben so beobachtete TicHomIRoWw?, dass die Abdominalanhänge
schon sehr früh auf allen Bauchsegmenten, mit Ausnahme des ersten,
zum Vorschein kommen. — Dagegen fand V. GRABER! am Embryo
der Eichenglucke, dass Abdominalanhänge erst nach der Verschmel-
zung der Kopfsegmente und dann nur an den Segmenten auftreten,
welche »auch noch im Raupenstadium Stummeln tragen«.
Somit bedürfen diese sich widersprechenden Angaben Kowa-
LEVSKy’s und GRABER'S noch der Nachprüfung. Sollte sich in der
That ergeben, dass die Raupen als Embryonen an allen Hinterleibs-
ringen Beinanlagen besäßen, so hätten wir auch in dieser Form des
Insektenembryo nur eine Wiederholung der bei Orthopteren und Hy-
drophilus ete. nachgewiesenen Polypodie.
Für die sekundäre Natur der Scheinfüße der Raupen spricht die
schon früher von TH. GossEns? gemachte und von L. Knatz* wie-
derholte Beobachtung, dass die Raupen vieler Noetuiden in der
Jugend wie die Spannerraupen kriechen, weil einzelne Bauchfuß-
paare, z. B. die des dritten und vierten Abdominalringes, noch nicht
entwickelt sind. — Danach würden sich also die Scheinfüße in der-
selben Reihenfolge? wie die Abdominalgriffel von Thermophila von
hinten nach vorn, also umgekehrt wie die embryonalen Abdominal-
beine entwickeln. Übrigens spricht auch der Umstand, dass die
Scheinfüße an der entwickelten Imago nicht mehr nachweisbar sind.
während die Nachschieber doch wenigstens zu Afterdeckplatten wer-
den, für ihren geringen morphologischen Werth.
Bei den Larven der Blattwespen kommen Scheinfüße meist schon
vom zweiten bis zum siebenten (achten) Hinterleibsringe vor; der
neunte ist stets anhangslos, der zehnte meist mit den ‚schwächer als
bei den Raupen entwickelten Nachschiebern bewehrt. Diese Abdo-
Vgl. GRABER, Über Polypodie ete. (1858). pag. 610.
Vgl. CHOLODKOVSKY, Studien etc. (1889). pag. 97.
Ann. Soc. ent. France. Octobre 1868. — Vgl. dieselben.‘ 6. ser. Bd. VII
(1887—1888). pag. 388.
4 Zoologischer Anzeiger. IX. 1886. pag. 610—612.
5 Auch bei den Raupen von Saturnia Pernyi sind nach GossEns beim
Ausschlüpfen die zwei ersten Paare der Bauchfüße erst- halb so lang wie die
folgenden.
1
2
3
ERS
Die Abdominalanhänge der Insekten. 409
minalanhänge bestehen ebenfalls, wie bei den Raupen, aus einem
breiten hüftartigen Basalstück und einem Terminalanhange, der oben
scheibenartig abgeflacht ist und sich vor den Scheinfüßen der Raupen
besonders durch das Fehlen der Chitinhaken auszeichnet. Auch diese
Anhänge sind den Thorakalbeinen durchaus orthostich und homotop
und so entsteht wie bei den Raupen. eine Peripatus-ähnliche Leibes-
form. die scheinbar an primäre Vorfahren erinnert.
Zugleich zwingt aber das Vorkommen dreigliedriger, am After-
stück seitlich eingelenkter Cerci bei der Larve von Lyda zu der
Annahme, dass die Nachschieber bei den Blattwespenlarven wohl
selbständig aus der Umbildung ventraler Hervorragungen der Kör-
perwand entstanden und somit wahrscheinlich auch die Scheinfüße
in der Ordnung erworben, nicht erblich überkommen sind. Daraus
ergiebt sich zugleich die Möglichkeit, die Larve von Lyda als ur-
sprünglichste Form der Hymenopterenlarven auf campodeide Ent-
wieklungsstadien zurückzuführen und von ihr aus die Rau-
penform abzuleiten !.
Obwohl bei Lyda keine deutlichen Bauchfüße entwickelt sind,
so kann man ihnen entsprechende Integumentalerhebungen vielleicht
in zwei Querwülsten seben, welche am achten Segment besonders
deutlich sind (wie die Scheinfüße), in der Mitte desselben liegen und
sich vor den übrigen Falten durch größere Dicke und Glätte aus-
zeichnen; sie sind am zehnten Segment kaum entwickelt und werden
auch vom achten Segment nach vorn zu immer undeutlicher. Wie
ich an L. campestris beobachtete, dienen diese Schwielen auf glatten
Flächen auch in der That zum Kriechen.
Ähnliche Anhänge wie die »Bauchfüße« der Raupe finden sich
bei Käferlarven der Familie der Oedemeriden? an den vordersten
Hinterleibsringen, und zwar nach ScHiöptE? bei Nacerdes melanura
am dritten und vierten, bei Asclera coerulea am zweiten bis vierten
Segment. Sie liegen bei Asclera fast in einer Reihe mit den Tho-
rakalfüßen, besitzen eine Art Hüftwulst und zeigen am zugespitzten
! Der Umstand, dass die Cerei der Larve von Lyda aus mehreren (3) Glie-
dern zusammengesetzt sind, spricht für die von Fr. BRAUER (Systemat.-zool.
Studien etc. 1885. pag. 104 [340]) hervorgehobene und durch die Vielzahl der
MALPIGHI'schen Gefäße gestützte Verwandtschaft der Hymenopteren mit Or-
thopteren, die wohl direkt sein dürfte.
2 CHAPUIS et CANDEZE, Catal. des larves des Coleopteres. Liege 1853.
pag. 18 und 182.
3 Vgl. SCHIÖDTE, De metam. Eleuth. observ. Tab. XVI. pag. 541 ff.
(Naturh. Tidsskr. 3. R. Bd. XII. 1880).
410 Erich Haase
Ende von der Seite gesehen ca. vier Chitinzähnchen, auf der Fläche
von unten gesehen) zahlreiche kleine Chitinhöckerchen nahe dem
Hinterrande. Ihnen entsprechen aber auch an der Rückenfläche
ähnliche, wenn auch flachere, ebenfalls mit Chitinspitzen besetzte
paarige Wiilste, die sich bei Asclera über die ersten sechs, bei Na-
cerdes (nach SCHIÖDTE) über die ersten fünf Körperringe hinter dem
Kopf erstrecken. —
Weiter kommen ähnliche »Bauchfüße« an den Larven der Flie-
gengattung Eristalis und verwandter Gattungen, also ebenfalls an
sicher wenig ursprünglichen Formen vor.
Von diesen weichen lappenartigen Anhängen verschiedene, den
Beinen ebenfalls analoge, zum Theil sogar homostiche, aber nicht
homologe Bildungen sind auch die beweglichen starken Borsten,
welche an den Abdominalbauchplatten mancher Laufkäfer (Harpalus)
vorkommen und in der Systematik’ als »Ambulatorial setae« be-
zeichnet wurden.
Vielleicht entsprechen dieselben in etwas den Abdominalgriffeln
der Thysanuren, denn sie kommen in weiterer Verbreitung, so be-
sonders entwickelt bei Larven aus der Malacodermenfamilie der Lam-
pyriden, vor. Am neunten Segment (größerer südamerikanischer
Formen) sind sie meist verkümmert, doch finden sich ihrer vier am
achten Bauchschilde, und von diesen wiederholen sich die zwei äußer-
sten bis zur zweiten Bauchplatte hinauf. Bei indischen Lyeidenlarven
(Lycostomus) sind sie an denselben Bauchplatten entwickelt, bei Dri-
lus und Telephorus fehlen sie dagegen.
Auch außerhalb der Bauchfläche, in den Pleuren hinaufgerückt,
treten griffelartige Anhänge auf, die mit Beinanlagen in keine Ver-
bindung zu bringen sind. Dahin gehören vor Allem die bekannten
kurzen, mit Sinneshaaren besetzten Zapfen, die bei der Hydrophilus-
larve in den Pleuren der ersten sieben Hinterleibsringe sitzen und
mit dem Wachsthum der Larve verkümmern. Ähnliche Zapfen sind
bei Wasserkäferlarven weit verbreitet und dienen wohl oft noch be-
sonderen Zwecken: die Larve von Gyrinus? hat jederseits an den
ersten neun Hinterleibsringen einen ähnlichen Anhang’.
1 LECONTE and Horn, Classification Coleopt. North.-Amer. 1883. pag. 20.
2 Vgl. die trefflichen Abbildungen bei SCHIÖDTE, De metam. eleuth. ob-
serv. (Kopenhagen). I. 1861.
3 Hierher gehört auch der pag. 393 erwähnte, scheinbar vom Afterstiick
aus entstehende weiche, äußerlich geringelte und von einem Muskelstrange
durchzogene Endanhang der Hydrophiluslarve, welcher, wie der Vergleich mit
a Tee
Die Abdominalanhänge der Insekten. 411
Diesen beweglichen Anhängen scheinen bei verwandten Formen
unbewegliche Fortsätze genau entsprechen zu können.
Bei der Larve von Sialis treten an den ersten sieben Abdominal-
segmenten Tracheenkiemen auf, welche zwar vier- bis fünfgliedrig
sind und dadurch äußerlich an Beinanhänge erinnern, die aber zu-
gleich durch ihre Lage dicht an den Rückenplatten beweisen, dass
sie nur als sekundär den Zwecken larvalen Wasseraufenthaltes die-
nende Integumentalbildungen aufzufassen sind.
Wie die Kiemenfäden der Larve von Paraponyx den Pleural-
fäden der Hydrophiluslarve ähnlich gelegen sind, entsprechen nach
Hagen! die Fadenanhänge von Sialis Anhängen bei der Caloptery-
sidengattung Euphaea, die vom zweiten bis achten Segment vor-
kommen, kegelförmig und 4 mm lang sind. Schon diese stets außer-
halb der Beinreihe fallende, aber sonst so durchaus verschieden die
Pleuren oder den Rücken besetzende Vertheilung solcher Anhänge,
die zudem bei wasserbewohnenden Larven besonders stark entwickelt
sind, ist ein Beweis für ihren geringen morphologischen Werth.
Hierher gehören auch die bekannten, oft mehr als die Antennen
entwickelten Anhänge hinter der neunten Rückenplatte vieler Käfer-
larven, welche besonders bei Adephagen und Clavicorniern ausge-
bildet erscheinen und noch von ScHIöpTE als Cerci bezeichnet wur-
den. Diese Terminalanhänge (wie wir sie nennen wollen, weil
sie sich besonders am Körperende entwickeln) kommen unter den
Carabiciden nach ScHiöpreE als bewegliche ungegliederte Anhänge
bei Dyschirius, Notiophilus, Leistus, Nebria und Panagaeus vor, fin-
den sich auch bei den meisten Dyticiden (wo sie nur bei den For-
men mit verkümmertem neunten Abdominalsegment, wie Cybister,
und bei Haliplus fehlen), und den Gyriniden. Unter den Clavicor-
niern sind sie bei den Staphyliniden und Silphiden allgemein ver-
breitet und als oft stark verlängerte, zwei- bis dreigliedrige Anhänge
lange bekannt und ebenfalls der weichen Verbindungshaut unter der
neunten Rückenplatte eingelenkt; auch bei den Larven der Histeri-
den sind sie zweigliedrig, während sie den abgeleiteten Palpicorniern
mit verkiimmertem Körperende meist fehlen.
Diese Terminalanhänge der Käferlarven stellen wohl den Anal-
den Larven der verwandten Gattungen lehrt und wie es SCHIÖDTE |. ce. in der
Erklärung von Taf. II Fig. 20 bei Hydrophilus aterrimus ebenfalls angiebt,
dem neunten Hinterleibsringe zugerechnet werden muss und den Pleuralfäden
entspricht.
1 Zoologischer Anzeiger. 1880. pag. 160.
Morpholog. Jahrbuch. 15. :
tv
=I
412 Erich Haase
raifen analoge Sinnesapparate dar, welche den Bedürfnissen der mit
schwachen Fühlern versehenen, langgestreckten Larve besonders an-
gepasst erscheinen und auch bei den Imagines verloren gehen. Sie
sind bei vielen Formen auf festsitzende borstentragende Dorsalplatten-
fortsätze zurückführbar, die sich mit ihrer apicalen Tastborste er-
hoben, verlängerten, abschniirten, sekundär oft gliederten, und durch
Entwicklung besonderer Hautmuskeln gegen den Körper beweglich
wurden.
Analoge Einrichtungen treten unter den entwickelten Käfern auch
bei Staphylinen auf, dürfen aber ebenfalls keineswegs als Cerci be-
zeichnet werden, sondern sind, wie zuerst Fr. Stern! erkannte, als
besonders stark ausgezogene Pleuralschilde des achten Hinterleibs-
segmentes anzusehen 2.
Auch bei den raupenförmigen Larven von Panorpa kommen ent-
wickelte Terminalanhänge vor und zwar sitzt je ein Paar derselben
am Hinterende der achten und neunten Rückenplatte des Hinterleibes
und ein unpaarer Anhang auf der Mitte der zehnten Dorsalplatte.
Um noch die Morphologie der Gonapophysen zu besprechen, so
finden wir Vertreter dieser Anhänge nur bei Formen mit endständiger
Genitalöffnung, bei Chilopoden und Hexapoden.
Bei den Chilopoden sind sie an dem ausgebildeten Genitalseg-
mente der Chil. anamorpha deutlich entwickelt und stellen den
echten Beinen homologe, aber verkürzte und besonders umgewandelte
Anhänge des vorletzten, des Genitalsegmentes, vor. Besonders bei
den Weibehen von Lithobius in ihrer Einfachheit erhalten, lassen sie
sich noch leicht auf Laufbeine zurückführen, welche aus nur drei
Gliedern zusammengesetzt sind und noch eine theilweise segmental
angeordnete Muskulatur besitzen. Das basale Glied entspricht der
Hüfte und läuft am Innenrande in mehrere Sporne aus. Die männ-
lichen Genitalanhänge von Lithobius und die weiblichen von Seu-
tigera haben schon verschmolzene Hüften; endlich tritt an den männ-
lichen Anhängen von Scutigera das Basalglied zurück und bei den
! Fr. StEIn, Vergleichende Anatomie und Physiologie der Insekten. I.
Die weiblichen Geschlechtsorgane der Käfer. 1847. pag. 15.
2 Von diesen in beiden Geschlechtern vorkommenden Pleuralanhängen sind
die rein ventralen, wie STEIN nachwies, weit verbreiteten zapfenförmigen An-
hänge zu unterscheiden, welche sich nur bei den Weibchen aus der sekundär
getheilten Bauchplatte des neunten Abdominalsegmentes abschnüren und als
»Genitalpalpen« bezeichnet werden.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 413
kleineren Arten von Lithobius verkümmern die Anhänge der Männ-
chen ganz.
Bei den Scolopendriden ! tragen nur die Männchen der Gattung
Scolopendra als Rudimente der ursprünglichen Gliedmaßen anzu-
sehende, ungegliederte Genitalzapfen. — Von den Geophiliden kom-
men in beiden Geschlechtern gegliederte Anhänge nur bei der dem
Urtypus näher stehenden Gattung Mecistocephalus vor; sonst finden
sie sich als kurze Anhänge wie bei Scolopendra nur bei den Männchen.
Bei Campodea kommen keine Gonapophysen vor; die Genital-
öffnung ragt am Vorderende des neunten Abdominalsegmentes frei vor
und ist in beiden Geschlechtern nach demselben Typus gebaut, so
dass wir diese Verhältnisse wohl auch für die Urform der Thysa-
nuren annehmen müssen.
Bei Japyx finden sich im männlichen Geschlecht zwei, im weib-
lieben vier kurze Integumenterhebungen, an die keine Muskeln her-
antreten und die auch nicht gelenkig eingesenkt sind. Diese »Pa-
pillen« sind vielleicht den Gonapophysenanlagen der höheren Thysa-
nuren und Insekten homolog, zugleich scheint es aber bei dem offenbar
sekundär in den Leib zurückgetretenen Geschlechtsatrium wahr-
scheinlich, dass wir diese einfachen Erhebungen eher als Produkte
einer Verkümmerung früher ausgebildeterer Anhänge ansehen müssen.
Das dem Weibchen eigenthümliche Paar der Apophysen scheint dem
achten, das beiden Geschlechtern gemeinsame ist dem neunten Ab-
dominalsegment zuzurechnen.
Bei allen übrigen Gattungen der Thysanuren bildet sich bei den
Weibchen aus vier Integumentzapfen eine Legescheide aus. Dieselbe
besteht aus den Anhängen des achten Hinterleibssegmentes als den
vorderen und unteren und denen des neunten als den hinteren und
oberen Scheidenhälften, wozu noch meist eine äußere ventrale Deck-
scheide tritt, die von den Bauchplatten des neunten Segmentes ge-
bildet wird.
Auf diese äußeren Gonapophysen von Machilis lassen sich die
mancher Insekten als homolog zurückführen, wie es auch GrRAssI
für die genuinen Orthopteren zugab. Bei den meisten der ursprüng-
lichen Insektenformen beträgt die Zahl der Abdominalsegmente, wie
schon C. KRAEPELIN hervorhob?, zehn, an deren Ende das nicht mehr
als Segment zu betrachtende Afterstück sitzt.
E. Haase, Die Indo-austral. Myriopoden. I. Chilopoden 1887. pag. 12.
C. KRAEPLIN, Untersuchungen über den Bau, Mechanismus und Entwick-
217
1
2
414 Erich Haase
Am Weibchen von Blatta entstehen nun nach HuxLer! die vor-
deren Gonapophysen am achten, die hinteren gabeligen am neunten
Abdominalsegment aus »Papillen, die sich an der Sternalfläche der
Larve entwickeln«.
Durch das tiefe Hineintreten der Genitalöffnung in den Leib
wird eine sekundäre Verkümmerung der Legescheide der Blatti-
den bewirkt?, zumal sich unter der siebenten Bauchplatte die Marsu-
pialräume ausbilden. Bei der Kopulation sind die Gonapophysen
nach MıALL und Denny passiv und erhoben, um die im neunten
Segment gelegene Spermotheca frei zu lassen. — Die Genitalan-
hänge der Männchen lassen sich auf die der Thysanuren nicht zu-
rückführen, da sie nur eigenthümliche hakenartige Verstärkungen der
Chitinwand darstellen, die hauptsächlich zum Erweitern und Sperren
der weiblichen Genitaltasche dienen. Dahin gehören auch die von
ÜHOLODKOVSKY |. ce. (vgl. seine Tafelerklärung zu Fig. 15) dem
zehnten Hinterleibssegment zugeschriebenen Haken.
Gonapophysen, die den frei gelegenen Anhängen der Thysanuren
besser entsprechen, finden sich bei den Laubheuschrecken, bei deren
Weibchen nach Dewirz? zuerst einfache Fortsätze aus Imaginal-
scheiben der Bauchfläche des achten und neunten Segmentes ent-
stehen und sich dann von der Scheibe des neunten Hinterleibsringes
aus kleine innere Wiirzchen bilden, die zu den Hilfsscheiden werden.
Eine gleiche Anordnung zeigen auch die kürzeren Gonapophysen der
Weibchen von Phasmiden und Odonaten, von Psylliden, und nach
JorDAN* auch von der Physopodenabtheilung der Terebrantien.
Eben so entsteht der weibliche Legeapparat der Hymenopteren
lung des Stachels der bienenartigen Thiere (Zeitschrift f. wiss. Zool. XXIII.
1873). pag. 320 ff.
1 Tu. H. Huxtey, Grundzüge der Anatomie der wirbellosen Thiere. 1878.
pag. 359. Auch BRUNNER v. WATTENWYL bemerkte schon, dass die Legescheide
aus Verlängerungen der Sternalhaut entsteht (die morphol. Bedeutung der Seg-
mente etc. bei den Orthopt. 1876). pag. 7.
2 Dass diese mit Recht als sekundär aufzufassen ist, beweist die inter-
essante Entdeckung von CH. BRONGNIART (Compt. Rend. 1889. Februar.
pag. 252), dass die paläozoischen Schaben (Blattinarien und Mylacriden) eine
schlanke Legescheide von Hinterleibslänge trugen und somit wohl wie die Phas-
widen ihre Eier noch einzeln ablegten, während die recenten Blattiden sie be-
kanntlich in Packete vereinigen.
3 H. Dewirz, Über Bau und Entwicklung des Stachels ete. (Zeitschrift
fiir wiss. Zoologie. XXV. 1875).
4 K. Jorpan, Anatomie und Biologie der Plıysapoden (Zeitschrift für
wiss. Zoologie. Bd. XLVII. 1888). pag. 580.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 415
‘nach KRAEPELIN und Dewitz aus sechs Papillen, deren zwei sich
auf dem achten, vier (ursprünglich zwei) auf dem neunten Abdominal-
segment erheben; auch hier bilden sich die seitlichen Scheiden
später als die »Rinne« des neunten Segmentes. Was die Muskulatur
dieser Anhänge betrifft, so setzen sich nach Dewrrz die Muskeln
bei Apis »nur an die dem Körper inserirten vorderen Theile des
Stachels an, bei Locusta treten sie auch in die Legescheidenstücke«:
das Gleiche erwähnte ich auch für Lepisma beziehentlich Machilis.
Aus diesen Ausführungen lässt sich schließen, dass bei den
Insekten mit zehngliedrigem Abdomen die Geschlechtsöffnung ur-
sprünglich im Bereiche des neunten Segmentes liegt. Weiter ergiebt
sich auch, dass die Gonapophysen nicht, wie H. Dewrrz ]. e. pag. 195
und Huxrer |. e. pag. 370 es annehmen, als Homologa der echten Tho-
rakalbeine betrachtet werden dürfen, sondern nur als Integumental-
bildungen von etwas höherer Werthigkeit als die Griffel anzusehen
sind, die sich allmählich an der Basis abschnürten und in vielen
Fällen durchgehende Muskelzüge in sich aufnehmen, ihrer ersten
Anlage nach aber doch rein ektodermal sind. Diese Ansicht, welche
auch von Grassi vertreten zu werden scheint, wurde zuerst 1872
von ULJANIN ausgesprochen, der die Entwicklung der Gonapophysen
aus subeutanen Imaginalscheiben nachwies.
Unter den europäischen Orthopteren fehlen die Gonapophysen
nach FiscHer |. ce. nur bei Forficuliden, wo die weibliche Genital-
tasche bis unter die siebente Riickenplatte des Abdomens verlängert
ist, bei Gryllotalpa und bei Xya; bei den Weibchen der Acridier
treten vier kurze klappenartige Anhänge auf, deren hinteres Paar
wie bei den Blattiden, Mantiden ete. gegabelt ist.
Die zapfenförmigen Anhänge am Hinterleibsende der Männchen
gewisser Landwanzen, welche nach FIeBErR ! den Griffeln der männ-
lichen Orthopteren entsprechen sollen, sind diesen nicht homolog.
Sie bilden sich erst mit der Geschlechtsreife der Männehen aus und
stellen solide braune, durch Muskeln bewegliche Chitinhaken dar.
C. Phylogenetische Schlussfolgerungen.
Die neueren Arbeiten über Peripatus und Limulus haben es
wahrscheinlich gemacht, dass der Typus der Arthropoden zwar als
ein Ausläufer des großen Wurmstammes von annelidenähnlichen
1 F. X. FıEBER, Die europäischen Hemiptera. Wien 1861. pag. 9.
416 Erich Haase
Vorfahren abzuleiten ist, dass er sich aber an seiner Wurzel in zwei
große Äste spaltete, deren einer durch die Phyllopoden zu den
übrigen Krebsen und durch einen Seitenzweig zu den Arachniden
führte, während der andere durch myriopodenähnliche Formen die
Hexapoden ergab. Somit ist die Unterklasse der Tracheaten als
unnatürlich aufgegeben und sind Crustaceen und Arachniden von
vorn herein aus dem Gebiete nachfolgender Erörterungen ausge-
schlossen worden, während Peripatus wenigstens in den Bereich der
Spekulation gezogen wurde.
Diese aus Myriopoden und Hexapoden gebildete (wie die Mala-
copoden [Peripatus]), durch den Besitz nur eines Fühlerpaares
und ursprünglich ungetheilter Extremitäten gekennzeichnete
Arthropodengruppe lässt sich als die der »Antennata«! bezeichnen.
Die Entwicklung der Chilop. anamorpha schreitet nach dem
Verlassen des Eies in der Weise fort, dass die mit sieben Lauf-
beinpaaren ausgerüstete Jugendform (Pullus) allmählich durch inter-
calare Sprossung vor dem schon deutlich vorhandenen Ge-
nitalsegment neue Segmente erwirbt; diese bilden sich zuerst ven-
tral aus und entwickeln aus seitlichen Knospen allmählich geglie-
derte Beine, die also von vorn nach hinten entstehen. So sind die
Analbeine, welche am geschlechtsreifen Thier durch ihre Länge auf-
fallen und oft Art- oder Geschlechtskennzeichen tragen, von allen
Laufbeinpaaren die jüngsten; nur die ebenfalls einem Beinpaar ent-
sprechenden Genitalanhänge bilden sich erst nach ihnen aus.
Die interealare Entwicklung von Lithobius scheint der von CLAus
und HATSCHER als für die Sprossung der Anneliden und Arthropoden
typisch angenommenen Vermehrung der Segmente durch direkt ter-
minale Verlängerung des Leibes im Prineip zu widersprechen. Da
sich mit Sicherheit nachweisen lässt, dass die acht postembryonal
zu bildenden Segmente mit ihren Anhängen am Pullus noch nicht
derart angelegt sind, dass sie zu ihrer Ausbildung nur einer bloßen
Streckung, Füllung und Fortentwicklung bedürften, darf man viel-
leicht annehmen, dass hier das Endstück ursprünglich wie bei Po-
lygordius aus einer vorderen undifferenzirten Knospungszone und
hinterem Afterstiick besteht und dass die Geschlechtsöffnung mit
ihrem Segment sich sekundär schon zu einer Zeit ausbildet, in der
der Embryo noch lange nicht die volle Zahl beintragender Segmente
erreicht hat. Auf jeden Fall ist aber diese Knospungsart der Chilo-
! Siehe auch A. Lang, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. II. Abth.
pag. 291 und 439 (ausgegeben August 1889).
Die Abdominalanhänge der Insekten. 417
poden, welche sich modifieirt bei den Symphylen wiederfindet, eine
so ungewöhnliche, dass man schon desshalb die siebenbeinige Form
des Pullus der Lithobiiden als larval ansehen muss.
So empfiehlt es sich vielleicht eher, für die hypothetische Stamm-
form der Chilopoden eine Myriopodenform anzunehmen, die schon
eirea zwanzig Segmente mit Anhängen (abgesehen vom anhangslosen
Endsegment) besaß, wie man es an den erwachsenen Chil. anamorpha
findet. Von diesen Segmenten treten die ersten drei, welche die
Kiefer tragen und noch deutlich nachweisbar sind, zum Kopf zu-
sammen; von den übrigen achtzehn Rumpfsegmenten trat das erste
mit den zu Giftfüßen umgewandelten Beinen an den Kopf heran,
während das vorletzte die Genitalöffnung aufnahm und die verküm-
mernden, spät entstehenden Extremitäten desselben sich zu kurzen
Genitalanhängen umwandelten.
Die postembryonale Entwicklung der Chil. epimorpha (Scolo-
pendrid., Geophilid.) besteht nur in einer Ausbildung der Genital-
zapfen und anderer Merkmale der Geschlechtsreife, da der Embryo
das Ei mit der höchstmöglichen Zahl seiner Ringe und Anhänge
verlässt und, von der Mutter beschützt, nur noch ein längeres, zur
Ausbildung nothwendiges Ruhestadium durchmacht. Wie ich es schon
früher aussprach, halte ich diese Entwicklungsart für sekundär, wenn
auch das Verlassen des Eies im Besitz aller Anhänge noch vielleicht
den ursprünglichen Zustand der Vorfahren anzeigt. Diese Spekulation
ist natürlich nur richtig, so lange die von mir schon 1881' vertretene
Ansicht, dass die segmentreichen Formen der Chil. epimorpha von
Vorläufern der Chil. anamorpha abzuleiten sind, ihre Geltung behält.
Eine ähnliche Entwicklung wie die Chil. anamorpha macht auch
Scolopendrella durch, indem sich neue Segmente wie bei Litho-
bius zuerst ventral und von vorn nach hinten zwischen dem fertigen
vorderen und dem (letzten eölomatischen?)?2 Segment, das die langen
Sinnesanhänge trägt, einschieben, so dass auch hier das letzte Lauf-
beinpaar das jüngste und zugleich ebenfalls als Anhang zum vor-
letzten Segment zu rechnen ist. Die ersten Stadien der dem Ei
entschlüpften Scolopendrellen laufen schon wie bei den Chil. ana-
morpha schnell herum und scheinen noch weniger Beinpaare zu be-
1 E. Haase, Beitrag zur Phylogenie und Ontogenie der Chilopoden (Zeit-
schrift für Entomologie. N. F. Heft 8. Breslau 1881). pag. 108.
2 Bei Scolopendrella wird wegen der fehlenden terminalen Genitalöffnung
die Entscheidung besonders schwierig, ob dies (13.) Rumpfsegment mit den
Sinnesanhängen nicht zusammen mit dem terminalen Afterstück nur ein dem
Telson gleichwerthiges Körperstück bildet.
415 Erich Haase
sitzen als der Pullus von Lithobius. Während ich bei Scol. imma-
culata nie Thierchen mit weniger als acht Beinpaaren fand, erwähnt
R. LATZEL ! in seinem schönen Myriopodenwerk bei Scol. nivea Scop.
eine Form mit nur sechs Beinpaaren und einem Paar Beinknospen
am Ende.
Bei Lithobius nimmt die Zahl der Beine in der Weise post-
embryonal zu, dass man nach dem Stadium mit sieben Beinpaaren
zuerst eines mit einem größeren und zwei kleineren hinzutretenden
Beinknospen?, dann eines mit acht Beinpaaren und zwei kleineren
Knospen unterscheiden kann, dem ein weiteres von zehn Beinpaaren
mit zwei Knospen und endlich eines von zwölf Beinpaaren mit drei
knospenden Lauffußpaaren folgt. So vermehrt sich denn, abgesehen
von dem vierzehnbeinigen und dem letzten Stadium!, die Zahl der
Beine stets um zwei Paare?. —
Ähnlich ist auch die Vertheilung der Sprossungsstadien bei Scu-
tigera, wo man Formen mit sieben, mit neun, mit elf und mit drei-
zehn fertigen und jedes Mal zwei knospenden Beinpaaren kennt.
Bei Scolopendrella hingegen scheint, wie zuerst J. Woop-Mason
beobachtete!, stets nur ein neues Beinpaar nach dem anderen zu
entstehen, wenigstens kenne ich nur Formen, die hinter dem letzten
fertig gebildeten Paar ein Paar Knospen zeigten, und auch R. Larzen
hat nur solche erwähnt. —
Auch bei Seolopendrella haben wir wohl die postembryonale
Entwicklung (Anamorphose) als abgeleitet (larval) anzusehen und
dürfen somit vielleicht den Vorfahren der Symphylen, wie Scolopen-
drella selbst, drei an das Frontalstück herantretende Kiefersegmente
und dreizehn selbständige Rumpfsegmente zuschreiben, deren letztes
seine Anhänge in Sinnesorgane umbildete; dann beträgt die Zahl
der Abdominalsegmente bei Scolopendrella wie bei den Thysanuren
und den primitiven Insekten mit Ausschluss des Afterstückes zehn.
1 R. LATzeu, Die Myriopoden der dsterreichisch-ungarischen Monarchie.
II. 1884. pag. 14.
2 Diese oberflächlich als »Beinknospen« erscheinenden Anhänge sind in
der That schon das fertige Endglied der bei der nächsten Häutung frei wer-
denden ausgebildeten Beine; hinter ihnen liegen die Anlagen der im nächsten
Stadium auftretenden »Knospen« als von außen nicht erkennbare, nach innen
konvergirende, zugespitzte Erhebungen.
3 Auch an der Form mit zehn fertigen und zwei »knospenden« Beinpaaren
liegen hinter letzteren nur erst zwei echte Knospenanlagen.
4 J. Woop-Mason, Notes on the structure ete. of Scolopendrella (Ann.
and Mag. Nat. Hist. 5. ser. XII. 1883). pag. 63.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 419
Um noch kurz die Diplopoden zu berühren, so ist die Zahl
der Beinpaare, denen die der Bauchganglien ungefähr entspricht, bei
Polyxenus wie bei Scolopendrella 13, bei Glomeris 17—19, bei Po-
lydesmiden 29—31 und bei Chordeumiden mindestens 45; bei Ly-
siopetaliden, Juliden und Polyzoniden scheint sie stets noch höher
zu sein.
Für eine besonders nahe Verwandtschaft der Pselaphognathen
(Polyxenus) mit den Symphylen spricht außer der gleiehen Zahl (12
der Rumpfganglien auch die postembryonale Entwicklung. Nach
den Beobachtungen von FABRE, BODE und LATzEL!, die ich nur
bestätigen konnte, verlässt Polyxenus wie alle übrigen Diplopoden
das Ei als sechsbeiniger Embryo und erwirbt in jedem der ersten
drei folgenden Stadien je ein, in den späteren jedes Mal zwei und
nur im letzten wieder ein Beinpaar hinzu. Daraus folgt, dass erst
der fünfte bis achte Gürtel (Cingulum) von Polyxenus als Doppel-
segmente aufzufassen sind.
Ist somit durch Polyxenus die neuerdings besonders von J.
PACKARD bestrittene Verwandtschaft der Symphylen mit den Diplo-
poden unzweifelhaft erwiesen, so scheint doch durch B. Grasst’s
Bestätigung der schon von J. RyDER? gemachten Entdeckung, dass
die Genitalien bei Scolopendrella ähnlich wie bei allen Diplopoden
zwischen dem dritten und vierten Beinpaar ausmünden, zwischen den
Symphylen und zwischen den Chilopoden und Insekten mit hinterer
Geschlechtsöffnung eine unüberbrückbare Kluft zu bestehen, zumal
den Reproduktionsorganen mit Recht für die Erkenntnis der Ver-
wandtschaftsbeziehungen der Arthropoden die größte Bedeutung zu-
geschrieben wird.
Bisher ist weder bei Chilopoden und Insekten ein Anzeichen
gefunden worden, dass sie einmal eine Geschlechtsöffnung am Vor-
derende des Körpers besaßen, noch hat man bei Diplopoden Reste
terminaler Genitalausführungsgänge erkannt. Zwar suchte B. GRAssI®
für das Vorkommen solcher vorderen primitiven Geschlechtsöffnung
bei den Insekten »die verschiedene Behaarung der ersten Bauchplatte
in beiden Geschlechtern« von Campodea anzuführen, doch hat solch
! R. Larzet, Die Myriopoden der österreichisch-ungarischen Monarchie.
Il. 1884. pag. 73.
2 J. RyDEr, The structure, affinities and species of Scolopendrella (Proc.
Ac. Nat. Se. Philadelphia 1881). pag. 82 [vorher in »Scolopendrella as the type
of a new order of Articulates (Symphyla)«. (Amer. Naturalist. XIV. 1880)].
3 Zuletzt in Anat. comp. dei Tisanuri (1888). pag. 34.
420 Erich Haase
sekundär-sexueller Charakter, der an jedem Punkte des Körpers auf-
treten kann, noch weniger Bedeutung als die ganz sicher Neubil-
dungen darstellenden Samenüberträger am Vorderrande des Abdomens
der Libellenmännchen. Scheinbar findet sich aber, wie mit Vorsicht
angedeutet wird, bei Scolopendrella eine Besonderheit am Präanal-
segment, die an die Gonapophysen der Thysanuren erinnert, näm-
lich die auffallend starke Entwicklung eines inneren Anhangspaares
bei jungen Thieren, das vielleicht den Coxalgriffeln nicht homolog ist.
B. Grassi! hat die Verschiedenheit der Lage der Genitalöffnun-
sen damit zu erklären gesucht, dass er den Vorfahren der Arthro-
poden aus Segmentalorganen umgewandelte Genitalausführgänge zu-
schrieb, die ursprünglich auf mehrere Segmente vertheilt waren, sich
aber später bis auf das vordere und hintere Paar schlossen.
Nun findet sich bei denjenigen Insekten, die wir für die ein-
fachsten und ältesten ansehen müssen, so den meisten Orthopteren,
die Geschlechtsöffnung am neunten Abdominalringe, kann sich jedoch
von diesem bei nahe verwandten Formen sekundär nach vorn ver-
schieben; ferner kann bei weniger primitiven Ordnungen, so bei
Schmetterlingen, die Begattungsöffnung in einem besonderen Segment,
dem neunten, vor der Legeöffnung liegen. Zwar lässt diese Unbe-
ständigkeit der Lage der Genitalöffnungen die Deutung zu, dass die
Ausführgänge sich in jeder Ordnung oder sogar Familie einzeln aus
einem besonderen Paar der Segmentalorgane entwickelt haben, jedoch
scheint es natürlicher, für alle Insekten eine Urform mit zehngliedri-
gem Hinterleibe? anzunehmen, deren Genitalien sich im Bereiche
des neunten Segmentes öffneten.
Ähnlich wäre auch für Symphylen und die ihnen nahe verwand-
ten Diplopoden eine vielleicht durch das Mittel einer vorderen Kopu-
lationsöffnung entstandene, schließlich vollkommene Verlegung der
Genitalöffnung nach vorn anzunehmen, die ganz plötzlich eingetreten
sein kann. Denn die Verwandtschaft von Scolopendrella mit Chilo-
poden und besonders mit Thysanuren ist doch zu vielseitig ausge-
drückt, um nicht zur Annahme gemeinsamer Vorfahren zu nöthigen.
Somit dürfen wir vielleicht als Vorfahren der Myriopoden eine
Arthropodenform annehmen, welche sich von Peripatus durch mehrere
Punkte unterschied, die großentheils auf eine Héherentwicklung der
Organisation der Malacopoden, wie BLAINVILLE diese interessante
! B. Grassi, Anat. comp. dei Tisanuri (1888). pag. 34.
2 Hierzu tritt noch als elfter Ring das Afterstück.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 421
Arthropodenordnung bezeichnete, zurückzuführen sind. Der Leib
bestand wohl aus ungefähr eben so viel Segmenten wie bei Scolo-
pendrella und Polyxenus, und von den Ventralanhängen traten die
ersten drei Paare hinter den einfachen Tentakeln als Kiefer an den
Kopf heran. Eben so waren die Beine schon deutlich fünfgliedrig
und am Ende mit zwei gleichmäßigen Krallen besetzt, wie wir sie
bei Peripatus, Scolopendrella, den Thysanuren, vielen homomorphen
Insekten in allen Ständen und bei Imagines der Heteromorphen an-
treffen. Die Genitalöffnung war noch doppelt und befand sich im letzten
oder vorletzten Segment (nach Grassi zugleich hinter dem dritten Bein-
paar). In den Hüften der Beine lag eine ein gespinnst- oder leim-
artiges Sekret bildende Drüse; die Stigmata waren regelmäßig auf
jedes Segment paarweise vertheilt und fanden sich wohl auch noch
an den Segmenten des Kopfes theilweise erhalten. Als Ausstülpun-
gen des Enddarmes bildeten sich einzelne (zwei?) MALpicHI’sche Ge-
fäße aus, wie wir es noch bei Scolopendrella, den meisten Chilopo-
den und einigen Chilognathen antreffen. Die Segmentalorgane als
solche waren bis auf die zwei zu Speicheldrüsen und Genitalausführ-
gängen umgewandelten Paare verschwunden. Der Gliederung des
Leibes in dorsal weniger bestimmte gleichartige Segmente folgte
auch die Muskulatur, das Nervensystem und die Kammerung des
langgestreckten Rückengefäßes.
Von dieser oder mehreren ähnlichen Formen leiteten sich selb-
ständig die Chilopoden, die Symphylen und Diplopoden und die
Vorfahren der Hexapoden ab. So nahe die Chilopoden auch den
Hexapoden und besonders ihren Larven stehen, so weisen sie doch
in der Heranziehung des ersten Beinpaares an den Kopf, in der
meist asymmetrischen Entwicklung ibrer Genitaldrüsen, in ihren Ab-
dominalbeinen, in der ausgesprochenen Tendenz zur Vielgliedrigkeit
des Hinterleibes Unterschiede auf, obwohl sie mit den Larven he-
teromorpher Insekten die Bewaffnung der Beine mit einer Kralle
und mit den Imagines überhaupt die dorsale Lage der Genitaldrüsen
theilen.
Erst nach genauer Kenntnis der Entwicklungsgeschichte von
Seolopendrella wird es möglich sein, zu entscheiden, ob Symphylen
und Diplopoden nicht vielleicht eines Ursprunges sind, sicher sind
sie mit einander vor allen Abtheilungen der Arthropoden am näch-
sten verwandt.
Von dem Protodiplopodenstamm sind wohl auch die Pauropoden
durch theilweise Rückbildung abzuleiten, wofür eben so die Zahl
422 Erich Haase
ihrer Beinpaare als die Verkiimmerung ihrer Mundtheile, das Fehlen
der Augen, der Athmungsorgane etc. spricht. Auch die Entwick-
lung der Pauropoden erinnert wie die Lage der Geschlechtsöffnungen
an die Verhältnisse von Polyxenus und Scolopendrella.
Die Mundtheile von Scolopendrella sind denen von Campodea
sehr ähnlich und bestehen deutlich aus drei Gliedmaßenpaaren, von
denen das letzte allerdings plattenartig verkümmert ist, während das
erste Maxillenpaar noch typisch ausgebildete Laden trägt. Durch
engere Verschmelzung der beiden Maxillenpaare entsteht das Gna-
thochilarium der Chilognathen, das mit den Mundtheilen der Sym-
phylen so genau übereinstimmt, dass allen Myriopoden drei Paar
Mundanhänge zuzuschreiben sind. Allerdings ist die Verschmelzung
der Maxillenpaare bei den Chilognathen eine so innige, dass sie
schon am Embryo an einem Segment aufzutreten scheinen. Hier-
auf stützte sich denn auch die neuerdings allgemein angenommene,
erst von GRAssI und mir wieder zurückgewiesene Annahme!, dass
die Diplopoden nur zwei Paar Mundgliedmaßen wie die Arachniden
(und Peripatus) besäßen.
Die Beine der Myriopoden sind denen von Peripatus wohl ho-
molog und wie diese auf eine Modifikation der Parapodien anneliden-
artiger Vorfahren zurückzuführen. Ihrer embryonalen Entwicklung
nach treten sie wie die Insektenbeine als seitliche Knospen der
Leibeswand auf, an deren Bildung von Anfang an Mesodermelemente
Theil zu nehmen scheinen. Wie bei Peripatus sind auch bei Scolopen-
drella die Beine eines Paares noch durch weiten Zwischenraum ge-
trennt und mit den benachbarten Paaren durch gleichmäßige Ven-
tralhaut verbunden.
Mit der zunehmenden Härte des Chitinskelets, mit der steigen-
den Verschiebbarkeit der Hartplatten gegen einander und der durch
die schärfere Segmentbildung ausgesprocheneren Metamerie der Haut-
1 Diese Annahme wurde von SCHIMKEWITSCH (Ann. sc. nat. 1884) zur Be-
gründung einer eigenartigen phylogenetischen Anschauung über die Descendenz
der Arthropoden angewandt, indem er von Formen, welchen er zwei Kiefer-
paare und nahe Verwandtschaft mit Pauropus und (!) Peripatus zuschrieb, die
Chilognathen, dann durch Verlust der Antennen und Abdominalbeine die Arach-
niden und endlich als dritte Abtheilung mit drei Paar Mundanhängen die Chi-
lopoden, Thysanuren (mit Scolopendrella und den Collembolen!) und die In-
sekten entstehen ließ.
Schon Grassi wies diese nach ihm (Anat. comp. 1888. pag. 56) auch in
den mir unzugänglichen Archives slaves de Biologie, 1886, publieirten Anschau-
ungen treffend zuriick.
2 N HE
Die Abdominalanhänge der Insekten. 423
muskeln treten bei Chilopoden in dieser weichen Bauchhaut segmen-
tale unpaare Bauchschilde (Scuta) auf. Bei den kiirzeren und ur-
spriinglichen Formen der Chilopoden noch wenig entwickelt, bilden
sich die Bauchschilde mit der zunehmenden Segmentzahl allmählich
aus und erreichen endlich bei den gliederreichsten Geophiliden
den höchsten Grad der Breitenentwicklung eben so wie der Dif-
ferenzirung.
Bei den Diplopoden treten erst unter den kalkpanzerigen Chi-
lognathen zwischen den stärker als bei Scolopendrella gegen die
Mitte zusammenrückenden Beinen wetzsteinförmige Bauchschilde auf,
die entweder frei (Isobates, Glomeris, Chordeumiden, Polyzoniden)
oder sekundär mit den Pleuren zu einer Bauchspange verschmolzen
sind (Polydesmiden, die meisten Juliden).
Von einer nunmehr wohl ausgestorbenen Abtheilung der Myrio-
poden, die sich von den Symphylen durch Augen, den Besitz von je
einem Stigmenpaar an allen Segmenten des Körpers und hauptsäch-
lich die hinten ausmündende Geschlechtsöffnung unterschied, sind
die Thysanuren abzuleiten. Damit erlitten die Abdominalglied-
maßen eine allmähliche Reduktion, indem sie, wie dies in der Ent-
wicklung der flügeltragenden Insekten noch angedeutet ist, zuerst
am Hinterleibsende verschwanden, während sie an der Abdominal-
basis längere Zeit erhalten blieben. Sichere Rudimente des ersten
abdominalen Beinpaares bestehen, so viel nachgewiesen, an reifen
Thieren nur noch bei Campodea, wo sie in der Form den Embryo-
nalknospen dieser Anhänge gleichen und eine deutliche Gliederung
zeigen. Auch Japyx scheint noch Rudimente des ersten abdomi-
nalen Beinpaares zu besitzen, wenigstens deuten darauf die seitlichen
flachen Wölbungen der Ventralfläche hin, gegen die sich der medi-
ane Bauchschild deutlich abhebt. Diese paarigen Anlagen der Ex-
tremitäten des Hinterleibes scheinen nun von vorn nach hinten immer
enger mit den Medianschilden zu Bauchplatten zu verschmelzen,
womit zugleich die duplicaturenartige Ausbildung der letzteren ab-
nimmt.
Noch deutlicher als bei Japyx zeigt, wenn gleich sie durch
das starke Übergreifen der Dorsalschilder und die Unterdrückung
der Pleuralflächen in gewisser Weise beeinflusst erscheint, die Bauch-
seite von Machilis, dass die Vorfahren der Thysanuren einst pleo-
pod waren. Wie zuerst J. Woop-Masox! hervorhob, treten »echte
1 J. Woop-Mason, Entomol. Notes (Trans. ent. Soc. 1879). pag. 156 u. 158.
424 Erich Haase
Bauchschilde« bei Machilis nur am Vorderrande der Abdominalseg-
mente als hinten dreieckig vorspringende unpaare Platten auf: somit
bezeichnete er die paarigen, tief einspringenden Theile der Bauch-
decke, an welchen die bein- und die blasenartigen Anhänge sitzen,
geradezu als die erhaltenen »Hüften« der rudimentären Beine. —
Bisher hat nur B. Grasst! Bedenken gegen diese Deutung ge-
äußert, die sich besonders auf die vergleichende Morphologie des
Hautskelets stützen.
Sein Einwand, dass ähnliche Verhältnisse wie in dem vorn
zwischen die zweitheiligen Platten eingeschobenen dreieckigen Schilde
auch in der Y-förmigen Chitinsehne von Japyx gegeben seien, die
doch an den beintragenden Thorakalsegmenten läge, ist damit zurück-
zuweisen, dass beide Bildungen keineswegs als homolog betrachtet
werden dürfen. Bei Japyx liegen schief nach innen und hinten ver-
laufende, auf Muskeln zurückzuführende Chitinsehnen vor, die nach
dem Zusammentreffen mit einander noch eine Strecke vereint in das
folgende Segment eintreten, unter den Bauchplatten liegen und zum
Muskelansatz dienen, wie ich bei J. gigas erkannte. Die dreiecki-
gen Bauchschilde von Machilis hingegen finden sich ausgebildet nur
an den Abdominalsegmenten und sind unzweifelhaft freie Theile der
Ventralhaut?. Meiner Ansicht nach, die sich bei unserer vollkom-
menen Unkenntnis selbst postembryonaler Entwicklungsstadien dieser
interessanten Gattung auf das allerdings zweifelhafte Ergebnis einer
Untersuchung des Hautskelets und seiner Muskulatur stützt, liegt die
Wahrheit vielleicht zwischen beiden extremen Auffassungen.
Wie sich aus einer Vergleichung der auf einander folgenden
Thorakalsegmente ergiebt, lassen sich die dreieckigen Ventralschilde
am Vorderrande der Abdominalringe eher auf bloße Intersegmental-
schilde zurückführen, wie sie vor und hinter den echten Sternal-
schilden vorkommen. Dann wären ihre sie von den bilateralen
Bauchplatten trennenden »Furchen« nur Gelenkungsfalten, was auch
aus dem schwielenartigen und allmählich flach verstreichenden Rande
der Berührungsstellen geschlossen werden darf. In diesem Falle
wäre der mediane Abdominalschild selbst unterdrückt worden, denn
dass er vorhanden war, wird durch die verkümmerten geraden Längs-
muskeln am Innenrande der paarigen Bauchplatten bewiesen, die
denen yon Campodea entsprechen’.
1 B. Grassi, Contrib. allo stud. etc. del gen. Machilis (1886). pag. 22.
2 Vgl. Fig. 3 ap. und Fig. 11 m.yps. mit Fig. 24 Se.int.
3 Vgl. Fig 11 m.long.ventr. mit Fig. 12 m.long.ventr.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 425
So wären denn die Platten von Machilis, an denen die Ventral-
säcke und Griffel sitzen, wiederum als Produkt der Verschmelzung
von Beinrudiment und Bauchhaut anzusehen, bei dem durch den
tiefen Medianspalt eine Symmetrie, welche auf die paarigen Bein-
anhänge hinweist, sekundär hervortrat. An den letzten Bauchseg-
menten treten die Plattenhälften beweglich und weit aus einander,
was wahrscheinlich durch die starke Entwicklung der äußeren Ge-
nitalanhänge bedingt wurde.
Bei den übrigen von mir untersuchten Thysanuren finden sich
nur einfache ungetheilte Bauchplatten von oft bedeutender Wand-
stärke und sind keine Reste von Beinrudimenten nachzuweisen.
Aus diesen Ansichten über die allmähliche Reduktion der Abdo-
minalbeine erhellt auch, dass die beweglichen Griffel nicht als Ru-
dimente von Beinen, sondern nur als diesen analoge, aber nicht ein-
mal homostiche Neubildungen anzusehen sind, die wohl auf besondere
Entwicklung paariger Hinterrandsborsten auf den noch deutlich vor-
springenden Extremitätenresten zurückzuführen wären. In diesem
Falle, für den die postembryonale Entwicklung von Thermophila
spricht, wäre auch die an die Abdominalgriffel herantretende Mus-
kulatur nicht als von den ursprünglichen Extremitäten ererbt an-
zusehen, zumal mit der Rückbildung eines Anhanges die Muskeln
eher zu schwinden pflegen als die äußere Duplikatur selbst, sondern
ebenfalls als eine Neubildung oder als besondere Ausbildung von
Borstenmuskeln zu betrachten. Ihre höhere Ausbildung erhielten die
Bauchgriffel also erst allmählich, und zwar schritt dieselbe von hin-
ten nach vorn vor.
Es ist wahrscheinlich, dass die erste Funktion der Abdominal-
griffel rein sensorisch war und ihre lokomotorische sieh erst mit der
Ausbildung eigener Muskeln entwickelte. Die spätere Rückbildung
der Abdominalgriffel scheint vor Allem mit dem frühen und voll-
kommenen Schwund der Abdominalbeinreste, mit der Koncentration
und Reduktion der Abdominalsegmente, dem Verlassen der rein ter-
restrischen Lebensweise und damit endlich mit der höheren Ausbil-
dung des Insektentypus, der Erwerbung der Flugfähigkeit, zusammen-
zuhängen.
Von den Thysanuren sind die Collembolen wohl direkt abzu-
leiten und zwar vielleicht von Campodea-ähnlichen Vorfahren, denen
sie durch ihre Mundtheile und die unbewaffnete Genitalöffnung nahe
426 Erich Haase
stehen. Diese Protocollembola müssen aber noch Augen und minde-
stens prothorakale Stigmen besessen haben, da sich letztere noch
bei Smynthurus vorfinden.
Als Vorfahren aller geflügelten Insekten möchte ich eine
Form ansehen, die zugleich der Vorläufer der Thysanuren war und
vielleicht P. MayEr’s Archentomon entspricht. Zwar haben Fr.
MEINERT und Nassonow versucht, die bisher noch unsicheren Vor-
fahren der Hemipteren direkt auf Campodeen- oder gar Collemboien-
artige Vorläufer zurückzuführen, doch halte ieh, wie erwähnt, selbst
die Mundtheile dieser Synapteren erst für sekundär rückgebildet und
möchte die Hemipteren lieber von Formen ableiten, welche sich von
dem Stamm der Orthopteren1 schon weit entfernt haben und viel-
leicht den Vorfahren der Neuropteren näher standen; eben so wie die
Verwandlung der Hemipteren eine fast ursprüngliche zu sein scheint,
ist der Mangel der Analraife als sekundär anzusehen. Vor Allem
darf man die einheitliche Abstammung aller Pterygota (= Metentoma
Grasst) besonders wegen des gemeinsamen Besitzes der Flügel an-
nehmen, die nur in Folge sekundärer Verkümmerung fehlen.
Die Aufschlüsse, welche uns die Entwicklungsgeschichte der
Insekten über die Vorfahren derselben gegeben hat, weisen großen-
theils auf eine ursprünglich myriopodenartige Form mit vielen bein-
artigen Abdominalanhängen hin. —
So beschrieb A. KowALEvsky? in seiner ausgezeichneten. Arbeit
über die Entwicklung von Hydrophilus an den Embryonen dieses
Wasserkäfers zwei primitive Segmentfortsätze an den zwei ersten
Hinterleibsringen, welehe nach Art und Zeit ihrer Entstehung den
Thorakalgliedmaßen vollkommen homolog seien und von denen das
letzte Paar zuerst verschwände. Diese Angaben erweiterte K. Heı-
DER? dahin, dass man »zu einer gewissen Entwicklungsperiode an
sämmtlichen Hinterleibsringen Anlagen von Extremitäten-Rudimenten
erkennen könne«.
1877 beobachtete V. GRABER* am Embryo der Fangheuschrecke,
1 Die embryonalen Rückenstinkdrüsen der Wanzen (vgl. Jenaische Zeit-
schrift fiir Naturwiss. X. 1876. pag. 195) erinnern etwas an die Stinkdrüsen der
Schaben.
2 A. KOWALEVsKY, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden
Mém. de l’Acad. Imp. St. Pétersbourg 1871). pag. 35 ff.
® K. HEIDER, Uber die Anlage der Keimblätter von Hydrophilus piceus
(Abhandl. der k. preuß. Akad. der Wiss. Berlin 1886). pag. 42.
4 V. GRABER, Die Insekten. 1877. I. pag. 6. Fig. 1. Vgl. dazu Morph.
Jahrbuch. XIII. 1888. Taf. XXV Fig. 18.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 497
Mantis religiosa, das Vorkommen von Gliedmaßenrudimenten am er-
sten und zweiten Abdominalsegment. —
Weiter stellte H. Ayers! bei einer amerikanischen Grille, Oe-
canthus niveus, fest, dass bald nach der Gliederung des Keimstreifes
auch am Hinterleibe eine unbestimmte Zahl paariger Höcker ent-
steht, die der ersten Anlage der echten Thorakalbeine entsprechen. —
Ähnlich fand W. Parren? am Embryo von Neophylax coneinnus
Abdominalanhänge, die von der Mitte des Keimstreifes abgerichtet
seien, während die Thorakalbeine nach ihr konvergirten, an den er-
sten drei Hinterleibsringen. — Weiter entdeckte er an frühen Sta-
dien der Embryonen von Phyllodromia germanica (l. e. pag. 596)
»a number of abdominal appendages«, die aber mit Ausnahme des
ersten Paares schnell verschwanden.
Eben so stellte V. GRABER? am Embryo des Maikäfers fest, dass
die Anhänge des ersten Hinterleibssegmentes »den Brustbeinen voll-
kommen homolog sind«, wie sich besonders aus ihrer Lage zu den
Stigmen ergiebt; die Ansatzstelle der abdominalen Anhinge liegt
nach GRABER der Medianlinie näher als die der thorakalen, was er aber
mit Recht » kein Homologisirungshindernis« nennt, sondern aus der von
vorn nach hinten abnehmenden Breite des Keimstreifes erklärt. End-
lich stellte CHOLODKOVSKY |. ce. vor Kurzem fest, dass bei den Em-
bryonen von Phyllodromia zahlreiche Abdominalanhänge auftreten.
Erst V. GRABER® warf die Frage auf, ob in der That diese
Abdominalanhänge bei den verschiedenen Insektenformen einander
und weiter den Thorakalbeinen homolog seien und unterschied nach
dem Orte ihres Ursprunges an den Segmenten solehe, welche end-
ständig, solche, welche mittelständig, und solche, welche seiten-
ständig gebildet sind.
Nach den Ergebnissen unserer morphologischen Untersuchung
der Thysanuren muss man mindestens unterscheiden, ob die Anhänge
orthostich sind, d. h. in der Verlängerung der Thorakalbeine liegen,
! H. Ayers, On the development of Oecanthus niveus ete. (Mem. of the
Boston Soc. of nat. hist. Vol. III. 1884).
2 W. PATTEN, The development of Phryganids with a preliminary note
on the development of Blatta germanica (Quarterly Journ. Microsc. Se. XXIV.
1884). pag. 578. Taf. XXXVI A. 11.
3 V. GRABER, Uber Polypodie ete. (1888). pag. 596.
* Die einander widerstreitenden Angaben von BÜTSCHLI und Grassi über
die Entwicklung der Abdominalbeine bei der Biene seien hier nur erwähnt, da
sie noch der Nachprüfung zu bedürfen scheinen.
5 V. GRABER, Über Polypodie etc. (1888). pag. 611.
Morpholog. Jahrbuch. 15.
to
D
428 Erich Haase
wie bei Campodea das rudimentäre Beinpaar, ob sie außerhalb (ek-
tostich) derselben liegen wie die Griffel (Styli), oder innerhalb der-
selben (entostich), wie die Gonapophysen. So ergiebt es sich z. B.
aus der vergleichenden Betrachtung, dass man die Styli des neunten
Hinterleibssegmentes von Blatta nicht als Rudimente von Beinen,
sondern als Reste von Griffeln ansehen muss.
In der That scheinen die Abdominalanhänge nur bei wenigen
Formen den Thorakalbeinen streng homolog, d. h. gleichgebildet
und gleichgelegen, zu sein. Nach den Abbildungen zu schließen,
darf man für die Abdominalbeine am Embryo von Mantis, Phyllo-
dromia, Oecanthus, Hydrophilus und Melolontha diese Homologie
unbedingt zugestehen.
Andeutungen bilateraler Integumentverdickungen, wie wir sie
am ersten Abdominalsegment von Japyx trafen und auf Rudimente
mit dem Medianschilde verschmolzener Beinanlagen zurückführten,
scheinen hauptsächlich noch bei Schaben vorzukommen. So lassen
sich auch bei Phyllodromia germanica noch Reste der Zusammen-
setzung der Bauchplatten aus mehreren Stücken nachweisen. Wäh-
rend am ersten Abdominalsegment nur ein mittleres rundliches Bauch-
schildehen auftritt, das dem der Chilopoden etc. entspricht, finden
sich am zweiten Segment drei behaarte Platten, deren mittlere,
höher gelegene dem medianen Bauchschilde, deren seitliche aber
einer Verschmelzung aus den Beinrudimenten mit dem Ventralinte-
gument entsprechen und so an die paarigen Bauchplatten von Ma-
chilis erinnern. An der präparirten Bauchfläche eines fast reifen
Embryo lässt sich diese Zusammensetzung deutlich noch bis zum
siebenten, weniger deutlich bis zum neunten Abdominalsegment ver-
folgen. An erwachsenen Stücken hingegen bilden die drei Schilde
vom dritten Segment an eine solide Bauchplatte, welche von einer
aus Querrunzeln entstandenen feinen Querleiste durchzogen wird;
nur am zweiten Abdominalsegment erhält sich die Dreitheiligkeit
dauernd!. — Andeutungen einer ähnlichen Zusammensetzung lassen
sich auch an der zweiten Abdominalbauchplatte von Blabera und
Periplaneta auffinden.
So lassen sich denn auch am vollkommenen Insekt die Reste
einer früheren von myriopodenartigen Vorfahren ererbten Polypodie
nachweisen, während zugleich das Vorkommen von Abdominalgriffeln
! Vgl. E. Haase, Die Zusammensetzung des Körpers der Schaben.
(Sitzungsber. Ges. naturf. Freunde. Berlin 1889). pag. 128—136. Mit Fig.
Die Abdominalanhänge der Insekten, 429
am neunten Hinterleibssegmente zeigt, dass die Vorfahren der Pte-
rygoten zugleich den Thysanuren nahe standen, vor denen sie sich
als Protentoma besonders durch den Besitz dorsaler Hautduplika-
turen an den zwei letzten Thorakalsegmenten auszeichneten, die sich
zu den verschiedenen und zugleich so charakteristischen Fliigelformen
entwickelten, während sich mit der Umgestaltung der Mundtheile, der
Thorakalbeine und Rumpfsegmente die jetzt so scharf begrenzten
Abtheilungen ausbildeten, deren zu Anpassungen tief eingreifender
Art gezwungene Jugendformen nur zerstreute Spuren ihrer Vorge-
schichte zu bewahren vermochten.
Zusammenfassung.
1) Die Ventralsäckchen von Scolopendrella sind vom 3.—11.
Rumpfsegment entwickelt und als coxal zu bezeichnen. Durch Blut-
füllung ausgestülpt, werden sie durch einen besonderen Muskel ein-
gezogen; ihre Cuticula ist glatt, ohne deutliche Poren, die Kerne
ihrer Matrix sind sehr groß; die Verbindung mit der Leibeshöhle ist
nicht besonders ausgebildet.
2) Unter den Diplopoden kommen Hüftsäckchen ähnlichen Baues,
mit einfacherer Matrix und entwickelteren Rückziehern, in beiden
Geschlechtern vom dritten Beinpaar an bei Lysiopetalum, Polyzonium,
Siphonophora vor.
3) Bei Chordeumiden sitzen dieselben nur in geringer Zahl hin-
ter den Copulationsfüßen der Männchen und dienen als Samenbe-
hälter.
4) Bei Campodea kommen paarige, denen von Seolopendrella
sehr ähnliche Ventralsäckchen am Hinterrande der 2.—7. Bauchplatte
des Abdomens vor; sie werden von Muskeln und einem bindege-
webigen Strange durchlaufen. Der Cuticula fehlen deutliche Poren:
die Matrixschicht ist mit wenigen Riesenkernen versehen. Am Hin-
terrande des achten Abdominalsegmentes liegen zwei geringer aus-
gebildete Säckchen vor der Genitalöffnung.
5) Japyx solifugus besitzt am Hinterrande der ersten Bauch-
platte des Abdomens mit Drüsenhaaren besetzte Säckchen; bei J.
gigas zerfallen dieselben in mehrere Partien, von denen eine sich
an der zweiten Bauchplatte als Abdominalsiickchen wiederfindet, wie
solehe, von ähnlichem Bau wie bei Campodea, bei J. Isabellae häufiger
vorkommen. | | |
6) Bei Machilis liegt am Hinterrande der paarigen Ventraldupli-
28*
430 “ Erich Haase
katuren des 1.—7. Segmentes ein resp. zwei Paar von Abdominal-
säckchen mit stark entwickelter Muskulatur und anscheinend nicht
poröser Cuticula, deren Matrixbelag an der Dorsalseite ein drüsiges
Epithel mit Plasmastreifung bildet.
7) Der Ventraltubus der Collembola am ersten er TO
ment besitzt ebenfalls entwickelte Rückziehmuskeln, einen durch-
gehenden bindegewebigen Strang, im Inneren einzelne mit deutlichen
Poren ausmündende, ein Sekret aussondernde Drüsenzellen, und tritt.
durch Einströmen von Blut hervor.
8) Nach Beobachtungen an lebenden Stücken von Machilis und
Poduren treten die Abdominalsäcke nur bei vollkommener Ruhe des
Thieres und in feuchtwarmer Luft hervor; bei Poduren ließ sich
unter dem Mikroskop eine bedeutende und schnelle Durchströmung
des ausgestreckten Ventraltubus durch Blutflüssigkeit, in der Rich-
tung nach dem Vorderende des Körpers zu, verfolgen.
9) Beobachtungen über das Kriechen der Poduren an Glaswän-
den zeigen, dass der Ventraltubus dabei oft unthätig ist, wie die
Abdominalsiickchen in gleichem Falle stets bei Machilis.
10) Die Beziehungen der Ausbildung des Tracheensystems zu
der der Ventralsäckchen ergeben ebenfalls, dass letztere eine respi-
ratorische Funktion haben und als Blutkiemen anzusehen sind; die
Luftröhren fehlen bei den meisten Poduriden, sind verkümmert und
öffnen sich durch ein Stigmenpaar bei Smynthurus und Scolopen-
drella, durch drei bei Campodea; das Tracheensystem ist in Rück-
bildung begriffen bei Lysiopetalum, Polyzonium, und außerdem erst
wenig entwickelt bei Machilis; mit der Ausbildung der gemeinsamen
Längsstämme erfolgt die Rückbildung der Ventralsäckchen.
11) In den Abdominalsäckehen ließ sich kein Harnstoff nach-
weisen.
12) Die Stigmata von Campodea gehören zum 2.—4. Rumpf-
segment; die von Japyx gigas vertheilen sich auf die drei Thorakal-
und die ersten acht Abdominalsegmente, während Grassi bei J.
solifugus das Vorkommen von vier Stigmenpaaren am Thorax an-
gegeben hatte.
13) Die Ausbildung der Abdominalsäckehen wird außer durch
die Verkiimmerung der Tracheen auch durch die Höhe des Stoff-
wechselbedürfnisses bedingt.
14) Vielleicht dienen die beiden Geschlechtern gemeinsamen
Coxalsäcke der Diplopoden noch nebenbei als Haftorgane bei der
Copulation.
Die Abdominalanhinge der Insekten, 431
15) Zu den sekundären Blutkiemen gehören wohl auch die aus
dem ersten Abdominalbeinpaar entstehenden hinfälligen Blasenan-
hänge von Gryllotalpa, Melolontha ete., die in ihrem Bau durchaus
an die Abdominalsiickchen erinnern.
16) Wie auch Eısıg erkannte, sind die Coxaldrüsen von Litho-
bius wohl als den Cruraldrüsen von Peripatus homolog anzusehen
und ferner die Coxalsäckchen von Scolopendrella und den betreffen-
den Diplopoden und wohl auch die Abdominalsäckchen der Synaptera
aus verkümmerten ähnlichen Drüsen entstanden.
17) Die stummelartigen Ventralanhänge von Scolopendrella kom-
men am 2.—12. Rumpfsegment vor und sind als Hüftgriffel zu
bezeichnen. Am dreizehnten Rumpfsegment liegt ein später ver-
kiimmerndes, besonderes inneres Apophysenpaar. Die Hiiftgriffel
sind beweglich und von einem Nerven durchzogen.
18) Die Spinngriffel von Scolopendrella sind ganz unbeweglich
und entsprechen den Raifen (Cerci) der Insekten.
19) Bei Campodea ist das Anhangspaar des ersten Abdominal-
segmentes als rudimentäres Beinpaar anzusehen; die ektostichen Ab-
dominalgriffel nehmen vom 2.—7. Segment an Größe zu und sind
nur in der Längsrichtung beweglich. \
20) Campodea besitzt entgegen Grassi in beiden Geschlechtern
keine Gonapophysen.
21) Die gegliederten Analraife (Cerci) von Campodea erinnern
im Bau durchaus an die Antennen, doch tritt wie in die stets un-
gegliederten Abdominalgriffel aller Thysanuren keine Muskulatur in
sie hinein.
22) Die Abdominalgriffel von Japyx erinnern auffallend an ge-
wöhnliche Endsporne (Calcaria) der Beinglieder.
23) Die Abdominalgriffel von Machilis werden an den vorderen
Segmenten besonders von Beugemuskeln, an den hinteren von Streckern
bewegt. Nachweis der bisher übersehenen Bauchlängsmuskeln.
24) Der Mittelschwanz von Machilis entsprieht einer supraanalen
Verlängerung des Afterstiickes. — Die Gonapophysen der Männchen
bestehen, wie bereits OupEMANS gegen Grass angab, aus zwei
Klappen und einem zweigliedrigen Penis; letzterer ist auf eine Haut-
papille des neunten Abdominalsegmentes zurückzuführen.
25) Die Abdominalgriffel dienen besonders als Tastorgane und zur
Unterstützung der Lokomotion des Körpers, bei Machilis und (aus-
gebildet!) bei Poduren auch zum Springen. — Die Afterraife haben
eine ähnliche, wenn auch geringer ausgebildete Funktion wie die Fühler.
433 "Erich Haase
26) Abdominalgriffel kommen als denen der Thysanuren sicher
homologe Bildungen nur noch am Hinterrande der neunten Bauch-
platte des Hinterleibes von Orthopteren vor; sie verkümmern oft
schon im Laufe der Postembryonalentwicklung.
27) Analraife (Cerei) fanden sich außer bei Scolopendrella, allen
Thysanuren und einigen Collembolen, bei allen Orthopteren s. 1.
meist bis zur Imago, bei den Larven der Blattwespengattung Lyda,
bei den Imagines der Blattwespen und anderer Hymenopteren.
28) Die Larven. der (untersuchten) Blattwespen sind menotrem,
haben also noch die Stigmen der Imago vom 2.—11. Rumpfsegment;
auch die ebenfalls hohe Zahl der Marriıcur'schen Gefäße in der
Larve beweist, dass hier ein Übergang von dem ursprünglichen
campodeiformen Jugendstadium zur Raupenform vorliegt.
29) Die Nachschieber der Raupen gehören dem zehnten Abdo-
minalsegment an und sind wohl von den Trichopteren ererbt; die
Scheinfüße (Pedes spurii) des Hinterleibes sind den Thorakalbeinen
zwar homostich, aber als Neubildungen aufzufassen. Nachschieber-
artige Bildungen sind auch bei Käferlarven weit verbreitet und wie
die Haftschläuche und die dorsalen oft gegliederten, sensorischen
Terminalanhänge bisher bei der Imago nicht nachgewiesen.
30) Die Gonapophysen der Orthopteren s. str., Odonaten, vieler
Hemipteren und Hymenopteren sind denen von Machilis homolog.
31) Da die postembryonale Sprossungszone der Lithobien vor dem
Genitalsegment liegt, sind ihre segmentarmen jüngsten Stadien wie
bei Scolopendrella als sekundär erworbene Larvenformen anzusehen.
32) Myriopoden und Insekten haben einen gemeinsamen Ur-
sprung.
33) Die Symphylen stehen besonders den Diplopoden nahe; die
Pauropoden sind entgegen den Ansichten von SCHIMKEWITSCH als
niedere und zugleich verkümmerte Form von letzteren abzuleiten.
34) Die gemeinsamen Vorfahren der Chilopoden und Insekten
standen ersteren und den Symphylen zugleich nahe, besaßen aber
eine hintere Geschlechtsöffnung.
35) Die höheren Insekten (Pterygota) haben mit den Thysanuren
gemeinsame Vorfahren, die letzteren sehr nahe standen.
36) Die Abdominalgriffel sind nicht als Beinreste, sondern als
sekundäre, paarige Haargebilde aufzufassen, die sich aus rein sen-
sorischen erst zu Bewegungsorganen entwickelten.
37) Die Collembolen scheinen einen direkten Seitenzweig der
Thysanuren zu bilden und keine Urformen zu sein.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 433
38) Alle Pterygoten sind einheitlichen Ursprunges.
39) Die Bauchplatten des Hinterleibes der Hexapoden sind aus
der Verschmelzung der am Embryo angelegten Abdominalbeine mit
der ganzen Ventralhaut oder einem mittleren, dem Sternalschilde
der Brustsegmente (und der Rumpfsegmente der Myriopoden) ent-
sprechenden Schilde hervorgegangen, wie was an Machilis und Phyl-
lodromia nachweisen lässt.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. F. E. SCHULZE
und Herrn Prof. K. Moegıus in Berlin, in deren Instituten ich diese
Arbeit vollenden durfte, für ihr gütiges Entgegenkommen meinen
ergebensten Dank auszusprechen.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XIV und XV.
Auf Taf. XIV sind die eingezeichneten Tracheen blau, die in vorgestülptem
Zustande dargestellten Ventralsäckchen purpurroth gehalten, um die Correlation
ihrer Ausbildung zu veranschaulichen. — Die römischen Zahlen bedeuten die
Rumpfsegmente, und zwar entspricht Z7—III dem Thorax, IV— XIII dem Ab-
domen.
In allen Figuren bezeichnet:
an. After, nucl.. Kern,
ap. Chitinsehne (Apodema), retr. Riickziehmuskel,
cerc. Endraife, sac. Ventralsack,
conj. bindegewebiger Strang, st. Ventralgriffel,
coc. Hüftglied, stigm. Tracheendffnung,
m. Muskel, tr. Tracheen.
nerv. Nervenstrang,
Fig. 1. Scolopendrella immaculata von unten; er. Hüftgriffel; det. Ausführgang
der Spinndrüsen; ep. Episternalschild; or.gen.. Genitalöffnung; sens.
Sinnesorgan des, dreizehnten Rumpfsegmentes. Vergr. 2%/;.
Fig. 2. Campodea staphylinus-Männchen von unten; pen. Penisröhre; ped.rud.
rudimentäre Abdominalbeine. Vergr. 29/;.
434
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
9.
10.
11,
13.
14.
17
18.
19.
Erich Haase
Japyx gigas von unten; Tracheen halbschematisch; fre. Endgabel;
gland. Driisenmassen. Vergr. ®/jo.
Machilis maritima-Weibchen von unten; ant. Fühler; app.imp. unpaarer
Schwanzanhang des Afterstückes; cr. Hiiftsporne; palp.maz. Unter-
kiefertaster; palp.lab. Unterlippentaster; ovp. Legescheidenstiicke, inf.
unteres, sup. oberes. Vergr. 12/;.
Isotoma palustris von unten; ham. Häkchen (Hamulus) (zu klein wie-
dergegeben) ; brach. Arm; manubr. Grundstück; muer. Endstück der
Sprunggabel; ¢vwd. Ventraltubus in geringer Vorstülpung. Vergr. 2%.
Smynthurus fuscus von unten; Bezeichnung wie in voriger Figur.
Häkchen künstlich nach vorn umgelegt; Ventraltubus in höchster Vor-
stülpung. Vergr. %/,.
Scolop. immaculata. Thorax von unten; s. unentwickeltes, sac. ent-
wickeltes Hüftsäckehen; ep. und cr. wie in Fig. 1. Vergr. %/;.
Dieselbe; Endsegmente eines unreifen Thieres mit zehn entwickelten
Beinpaaren, von unten; embr.XI. hervorknospendes elftes Beinpaar ;
sens, Sinnesorgan des letzten Segmentes; app. innere Ventralanhänge
desselben. Vergr. 6/,.
Dieselbe; ein Hüftgriffel. Vergr. 25/..
Dieselbe; Coxalsäckchen des vierten Rumpfsegmentes, Querschnitt
(Alaunkarmin, Kanadabalsam wie Fig. 12, 15, 17, 25, 27 a); med. mitt-
lere fein längsgefaltete Siickchencuticula; %. kappenförmiger Basal-
theil des Säckchens; n.g. Riesenkerne. Vergr. 3%/;.
Dieselbe; Bauchseite mit eingezeichneten Muskeln; m.long.ventr. Bauch-
plattenlängsmuskel; m.sac. Muskeln des Säckchens; m.st. Muskeln des
Griffels; m.subg. Muse. subganglionaris (GRASSI); m.yps. Y-förmiger
Muskel des Thorax; ped.rud. rudimentäre Abdominalbeine. Vergr. 50).
Dieselbe; Flächenschnitt durch das erste Abdominalsegment eines
3 mm langen Stückes; form. Bildungsgewebe ; sonst Bezeichnung wie
in Fig. 11. Vergr. 1%/,.
Dieselbe; rechtes rudimentäres Abdominaibein des erwachsenen Thieres ;
set. Drüsenborsten an der Dorsalseite; Vergr. 140/,.
Dieselbe; Skizze nach dem Thier in Bewegung; Profilansicht der Hin-
terleibsbasis. Vergr. 42/;.
Dieselbe; Abdominalsack des zweiten Segmentes, Querschnitt; m.,
grob, m.a undeutlich quergestreifte Rückziehmuskulatur des Säck-
chens ; n.g. Riesenkerne. Vergr. 5/,.
Dieselbe; siebentes Abdominalsackpaar; von unten. Vergr. 300/,.
Japyx gigas; Längsschnitt durch die Drüsenmasse des ersten Abdo-
winalsegmentes; adp. Fettkirper; gland. einzellige Drüsen; det. ihr
Ausführgang, in die Hohlhaare, se¢., miindend; sens. Sinnesborsten.
Vergr. 760/,.
Lysiopetalum anceps. Stigmenplatte mit Öffnung (stigm.), den zwei
Luftgängen und den Tracheenästchen (fr.). Vergr. 60).
Japyx gigas; linke Ecke der Bauchplatte des zweiten Abdominalseg-
mentes; chit. Chitinsehne; sens. Sinneshaar. — Die punktirte Linie
zeigt die Ausdehnung der Duplikatur an. Vergr. /;.
Derselbe ; Unterseite des ersten Abdominalsegmentes; rechts sind -die
Driisenmassen fortgelassen, um den (punktirt gezeichneten) Chitin-
Tah XIV.
ı
ı
\ |
m !
'
THUC?.
\--Zrach.
FT MUCR.
i
——
ihsnst. EA Funke Leipzig.
ap
K
stigm2’ 2
stigms }
AM
?
< \
FI
fa \ ll
Tat XV.
manubr:
\
i a m brad
. i 17 THUN
i
is fl
st FUL r aa
S|
st Ik ir 4
ott Ir
ee
\ Siig
N =
std, 4 2
IND X
i 5
ot nth ae
2 = IA |
va Re a |
y N app. mp. Nr |
£ 4 vay manube. ||}
nina ~orp sup (MD) Are
RU
Will Engelmann
Lith Anstv.E.A Funke Leipzig
Ear | |
Sr, 1
se - |
My
Pane }
Barker FAHRT
Pam
LOH
‘E.Haase del.
Morpholog. Jahrb. Ba.AV, : Tak. XV.
— : = Te on — m t
Fig.7. (Dentn. - __ Fig.19.
!
|
rm
On Gland. sur mad. glandert. \| Senn
Fig.21.
N
=z 2) Ta m SSS SS
oe Verlag vWilh Engelmann w [expats ae
8, un A Zu Le Eh EU Ze — Be Den 2 ri Seen
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
20.
2
22.
23.
24.
25.
26.
27
28.
Die Abdominalanhänge der Insekten. 435
ring a. zu zeigen; musc. Griffelmuskel; chit. Chitinsehne; seut.ventr.
unpaares Bauchschild. Vergr. 35/;,
Machilis maritima. Hypodermis der Ventralfliiche der Bauchsäcke.
Vergr. /,. (Wie die beiden folgenden Figuren von lebend mit er-
wärmter Überosmiumsäure behandelten Thieren gewonnen.)
Dieselbe: Epithel der Dorsalfliche der Bauchsäckchen (durch unrich-
tige Wiedergabe der Zeichnung sind zwischen den Zellwänden fälsch-
lich Intercellularräume dargestellt worden). Vergr. /;.
Längsschnitt durch das in Fig. 21 dargestellte Epithel; str. Plasma-
streifung ; ewt. Cuticula. Vergr. 79/,.
Dieselbe; a. durch Verdampfung gewonnene Krystalle aus der durch
die Bauchsäckchen gewaltsam gepressten Flüssigkeit: 5. dieselben aus
dem Blut des Rückengefäßes; c. solche aus den MALPIGHI’schen Schläu-
chen. Vergr. ca. 200).
Dieselbe; viertes Abdominalsegment von unten; m.flex. Beuge-, m.ext.
Streckmuskeln des Griffels ; m.long.ventr. Bauchplattenlingsmuskel ; st.
Abdominalgriffel von außen, s£.int. dieselben im Flächenschnitt; retr.
med. mittlere Rückziehmuskeln; Se.int. Mittelschild. Vergr. %%/,.
Lysiopetalum anceps; Flächenschnitt durch das sechste Beinpaar des
Weibchens; troch. Schenkelring ; fem. Oberschenkel; sang. Blutmasse.
Vergr. ®%/,. (Schnitt nach Behandlung mit Essigsäure.)
Polyzonium germanicum; sechstes Beinpaar des Weibchens, nach dem
frischen Thier in Glycerin; scut.ventr. Mittelschild. Vergr. 50/,.
a. Craspedosoma Rawlinsii; Flächenschnitt durch das erste Beinpaar
des achten Gürtels des Männchens; por. Hiiftdriisenausfiihrgang; sp.
Samenpatronen. Vergr. 130/),. — b. Hüftdrüsenausführgang am ganzen
Bein von oben gesehen; trocken.
Isotoma palustris; ausgestreckter Ventraltubus, nach dem lebenden
Thier gezeichnet. Die Pfeile bedeuten die Richtung der beobachteten
Blutströmung; gland. einzellige Drüsen. Vergr. ®/,.
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens.
Von #
Dr. med. Carl Röse.
Mit Tafel XVI.
Als in der zweiten Hälfte des Mai 1888 meine Inauguraldisser-
tation: »Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Herzens« im Druck
erschien, ahnte ich nicht, dass Professor Born in Breslau gleichzeitig
über dasselbe Thema gearbeitet hatte.und am 22. Mai 1888 die
Hauptresultate in einem Vortrage bei Gelegenheit des Anatomen-
kongresses in Würzburg veröffentlichen würde. Erst im November
1888 nahm ich Gelegenheit, mit Professor BORN in brieflichen Mei-
nungsaustausch zu treten, nachdem inzwischen Born’s Untersuchungs-
resultate mehr skizzenhaft im »Anatomischen Anzeiger« veröffentlicht
worden waren. Es gelang mir nicht, aus diesen kurzen Aufzeich-
nungen ein klares Bild zu gewinnen über Born’s eigentliche An-
schauungen, sondern ich vermuthete irrig, Born wolle speciell die
Entstehung des Foramen ovale resp. des Limbus Vieussenii in der-
selben Weise erklären wie Roxiransky. Auf Grund vergleichend-
anatomischer Studien war ich indess zur Überzeugung gelangt, dass
meine eigene Darstellung von der Entstehung des Foramen ovale
nicht richtig sein könne und dass ein Septum intermedium nach Hıs
nicht existire.
Mit Spannung erwartete ich also das Erscheinen von Born’s
ausführlicher Arbeit. Und jetzt, wo dieselbe vor mir liegt, muss
ich bekennen, dass mir Born’s Darstellung von der Entwicklung des
Säugethierherzens, abgesehen von einigen Kleinigkeiten, mustergültig
erscheint. Während namentlich im Gegensatze zu den Darstellungen
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 437
von His Born’s Auffassungen mit den meinigen größtentheils über-
einstimmen, differirten wir bezüglich der Entstehung des Foramen
ovale. Ich nahm an, dasselbe sei eine sekundäre Hemmungsbil-
dung derart, dass im Anschluss an den Placentarkreislauf das ur-
sprüngliche Septum atriorum sich nicht wie bei Reptilien vollständig
schließe, sondern an einer Stelle offen bleibe. Born dagegen nimmt
zwar ebenfalls die Entstehung der Valvula for. oval. aus dem ur-
sprünglichen Septum atriorum — Sept. I — Septum superius an,
lässt dasselbe jedoch ringsum mit der Vorhofswand und den Endo-
thelkissen des Ohrkanales verwachsen. Erst durch eine sekundäre
Durehbrechung dieses Septums bilde sich das Foramen ovale.
Die Darstellung, welche Born von diesem Vorgange giebt, ist
im Großen und Ganzen richtig. Der Grund dafür, dass mir seiner
Zeit der typische Vorgang der sekundären Durchbrechung des Sep-
tum atriorum entgangen ist, beruht nicht, wie Born glaubt, auf
dem Mangel an plastischer Rekonstruktion der Schnittserien, sondern
vielmehr auf dem Mangel an hinreichendem Material gerade für
diese Entwicklungsperiode. Ferner ist es im embryonalen Herzen
bei starker Füllung oft sehr schwer, Gewebstheile und Blutzellen
aus einander zu halten. So kam es, dass ich bei einem meiner
Kaninchenembryonen in verschiedenen Schnitten zwar deutlich eine
Durchbrechung im Septum atriorum bemerkte,. dieselbe jedoch für
ein Kunstprodukt hielt.
Was Born’s Methode der Plattenmodellirung betrifft, so kann
dieselbe ja, wie Born’s neueste Arbeit beweist, vorzügliche Resul-
tate ergeben! Nur möchte ich davor warnen, wie es vielfach ge-
schieht, die aus einer solchen Rekonstruktion sich ergebenden Re-
sultate für absolut beweisend zu halten. Das beste Beispiel
dafür, dass man auch mit der vorzüglichsten Methode zu falschen
Resultaten kommen kann, liefert Hıs, der ja bekannterweise be-
züglich der Entwicklung der Vorhofssepta zu ganz irrthümlichen
Resultaten gekommen ist! Der Grund, wesshalb Hıs hierbei so weit
an der Wahrheit vorbei irrte, beruht wohl zum Theil, wie Born
richtig bemerkt, darauf, dass es schwer ist, gut erhaltene mensch-
liche Embryonen zu bekommen; andererseits glaube ich, dass Hrs
nicht im Stande war, sich von althergebrachten Anschauungen frei
zu machen und in den Fehler verfiel, hier und da nach seinem sub-
jektiven Ermessen seine Objekte zu modelliren. Eben hierin liegt
die große Schattenseite der Born’schen Methode, dass es sehr schwer
ist, besonders bei zarten Objekten völlig objektiv die einzelnen.
438 Carl Röse
Schnitte aufzuzeichnen. Hier kommt es oft vor, dass gerade an den
wichtigsten Stellen ein Schnitt misslungen ist, wie oft kommt es
dabei auf die Deutung einiger weniger Zellen an: und der subjek-
tiven Beeinflussung ist Thüre und Thor geöffnet!
Die vorliegende Arbeit verfolgt zunächst den Zweck, meine
jetzigen geläuterten Anschauungen über die Entwicklung des
Säugethierherzens wiederzugeben; eine ausführlichere vergleichend-
anatomische Abhandlung über denselben Gegenstand wird in Kürze
erscheinen. Da meine frühere Dissertation nicht Jedermann zu-
gänglich sein dürfte, so sei es mir gestattet, die Resultate jener
Arbeit wörtlich zu rekapituliren:
1) In dem aus zwei getrennten Anlagen entstandenen einheit-
lichen Herzschlauche bildet sich zuerst eine Abgrenzung zwischen
Ventrikel- und Vorhofstheil. der Ohrkanal mit den Atrioventricu-
larlippen, beim Menschen Anfang der dritten Woche, beim Kanin-
chenembryo von 2 mm Länge.
2) Als erste Scheidewandanlage bildet sich das Septum atriorum
und kurz nachher das Septum ventrieulorum; beim Menschen Anfang
der vierten Woche.
3) Ende der vierten Woche stülpt sich der Sinus reuniens in den
rechten Vorhof ein und ist von zwei Klappen eingefasst. Aus der
Valvula dextra entstehen die Valvulae Eustachii und The-
besii.
4) Die Valvula sinistra wird nicht zur Valvula foraminis ovalis,
sondern ist ein vergängliches Gebilde, dessen Spuren sich in
späteren Entwicklungsperioden mehr oder minder deutlich nach-
weisen lassen.
5) Das Septum intermedium entsteht aus der bindegewebigen,
jedoch an der Oberfläche mit einer dünnen, kontinuirlichen
Muskelschicht überkleideten Spina vestibuli, welche sich mit
den breiten Atrioventrieularlippen vereint, die in der Mitte mit ein-
ander verwachsen. Dabei entsteht die Trennung des Ostium veno-
sum; beim Menschen in der fünften Embryonalwoche.
6) Das Septum aorticum entsteht aus der vorderen linken
Längsleiste des Bulbus und scheidet als spätere Pars membranacea
die Ventrikel vorn, während hinten das Septum intermedium die
Trennung bewirkt. Anfang der sechsten Woche ist die Scheidung
zum Abschlusse gediehen.
7) An der vorderen und oberen Vorhofswand entsteht eine lei-
stenförmige Einstülpung, das Septum musculare, welches sich
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 439
zusammen mit dem an der vorderen und hinteren Wand sichelförmig
emporsteigenden Septum intermedium zu einem geschlossenen, ring-
förmigen Diaphragma, dem Annulus ovalis, gestaltet.
8) Das ursprüngliche Septum atriorum wird zu dem später
als Valvula foraminis ovalis bezeichneten Gebilde. In der
siebenten Woche ist das Septum bereits völlig entwickelt, doch lässt
sich mit Bestimmtheit annehmen, dass es schon früher, zugleich mit
dem Septum ventrieulorum, zur vollen Höhe seiner Entwicklung ge-
langt ist.
9) Die ursprünglich einheitliche Lungenvene theilt sich zweimal
dichotomisch und die vier dichotomen Aste werden zu den
sekundären Lungenvenen in der zwölften bis vierzehnten Woche.
10) Das Endstück des Sinus coronarius entsteht aus dem unter-
sten Theile des Sinus reuniens.
Von diesen zehn Sätzen muss meinen jetzigen Anschauungen zu-
folge der fünfte gänzlich gestrichen werden, der siebente bedarf
einiger Abänderung. Für die übrigen jedoch glaube ich auch jetzt
noch die Übereinstimmung mit Born aufrecht erhalten zu müssen!
Im Verlaufe der letzten Zeit wurde mir Gelegenheit, die Beutel-
thierserien Prof. SELENKA’s in Erlangen zu durchmustern, wobei
sich mir interessante Resultate ergaben. Von placentalen Säugern
standen mir außer den schon früher untersuchten Embryonen von
Kaninchen, Rind, Schwein, Maulwurf, Ratte noch zur Verfügung
solche von Mensch, Schaf, Katze, von den Edentaten Manis, Myr-
mecophaga jubata, Dasypus novemcinctus, Bradypus didactylos, so-
wie eine Serie Embryonen von Myotus murinus, die ich bei Herrn
Prof. KupFFEr einsehen durfte. Aus der Untersuchung aller dieser
Embryonen ergiebt sich mit ziemlicher Bestimmtheit, dass die Herz-
entwicklung in der Klasse der placentalen Säuger prineipiell in
derselben Weise vor sich geht.
Born geht zu weit, wenn er annimmt, bei allen Mammalia,
also auch bei den Monotremen und Marsupialien, finde sich
dieselbe Entwieklung. Bei den letztgenannten zwei Klassen finden
sich, wie wir sehen werden, einige Abweichungen.
Bezüglich der äußeren Form des Herzens in seinen verschiedenen
Entwicklungsstadien weicht Born nicht sehr weit von His ab, doch
machen Born’s Abbildungen einen mehr naturwahren Eindruck, wäh-
rend die Abbildungen und Modelle von Hıs bier und da etwas sche-
matisirt erscheinen! Doch möchte ich in dieser Beziehung, da ich
nicht selbst modellirt habe, kein maßgebendes Urtheil mir zutrauen. —
440 Carl Röse
Sehr richtig stellt Born die allmähliche Wanderung des Ohr-
kanals von ‚links her nach der Mitte des Herzens dar. — — — Be-
züglich der Entwicklung des Sinus venosus und seiner Klappen stim-
men meine Angaben mit denen Born’s genügend überein.
Wenn Born sagt: »Ich kann nicht zugeben, dass der Sinus
venosus in den jüngsten Stadien ganz in die Zwerchfellanlage ein-
gesenkt und von dieser glatt überzogen ist, vielmehr finde ich den-
selben immer nur mit seiner Unterfläche mit der Zwerchfellanlage
verwachsen«, so befindet er sich genau in Übereinstimmung mit
meinen Angaben pag. 9: »Es erscheint mir nicht ganz gerechtfertigt.
wenn His bei seinen frühesten Embryonen den Sinus reuniens unter
dem Zwerchfell gelegen sein lässt ete.«.. Der Name Sinus oder Sac-
cus reuniens von His erscheint mir eben so wie viele andere von
Hıs verwendete Bezeichnungen überflüssig. So weit es irgend an-
geht, soll man bei Benennung embryonaler Gebilde möglichst die-
selben Ausdrücke beibehalten, die schon lange in der vergleichenden
Anatomie gebräuchlich sind, und welche eben dadurch, dass sie ein-
mal dauernde Einrichtungen vorstellten, ihr Auftreten begründen.
Nun entspricht das fragliche embryonale Gebilde genau dem
Sinus venosus, wie wir ihn von den Cyclostomen an in der Verte-
bratenreihe finden. Genau dieselben Lageveränderungen und Rück-
bildungen des Sinus, wie sie Born in Übereinstimmung mit mir sehr
korrekt beschreibt, lassen sich, wie später ausführlich gezeigt wer-
den soll, in der phylogenetischen Reihe verfolgen! —
Bezüglich der allmählichen Einengung der Anfangs weiten Sinus-
mündung in den Vorhof durch die Muskelwand befinde ich mich
ebenfalls in Übereinstimmung mit Born.
Schon in meiner Dissertation schrieb ich: »Die Hıs’sche Lehre
von der Area interposita als eines rein bindegewebigen Feldes,
welches wie eine Platte in die hintere, der Muskulatur an dieser
Stelle entbehrende Vorhofswand eingelassen sei, halte ich nicht für
richtig ete. Eine Porta vestibuli und Area interposita, wie
sie His beschreibt, giebt es nicht und möchte ich vorschlagen,
diese Namen eben so wie Saccus reuniens aus der Terminologie zu
streichen! Die beiden Muskelplatten des Vorhofs haben sich nach
Born bis auf die kleine Stelle, wo die Lungenvene mündet, völlig
geschlossen. _ Das Bindegewebe, welches der geschlossenen
muskulösen Vorhofswand von hinten u - ist, ist das Lun-
Se aye GPE? (Herzgekröse).
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 441
Eine doppelte Mündung des Sinus, wie sie Hıs in einem
Stadium gesehen haben will, existirt normalerweise niemals!
Die beiden Sinusklappen entstehen bei der Einstülpung des
Sinus in den rechten Vorhof resp. bei der Verengerung der Sinus-
mündung derart, dass Sinuswand und Vorhofswand sich eine
Strecke weit an einander legen. — Born glaubt im Gegensatz zu
mir hervorheben zu müssen, dass die also entstandenen Sinusklappen
sehr bald ein selbständiges Wachsthum annehmen! Die Rich-
tigkeit dieser Anschauung habe ich nie bestritten, wenn ich auch
seiner Zeit unterlassen habe, sie besonders hervorzuheben. Speciell
beim Kaninchen und den niederen Säugern gewinnen die Klappen
bezüglich ihrer histiologischen Struktur bald ein mehr gleichmäßiges
Aussehen, indem die Herzmuskulatur ziemlich reichlich mit Binde-
gewebe durchsetzt ist. Beim menschlichen Embryo jedoch (Fig. 1)
ließ sich hinsichtlich der histiologischen Struktur noch im fünften
Monate die Entwicklung an der Valvula Eustachii deutlich verfolgen,
indem in ihrer ganzen unteren Hälfte das ursprüngliche Sinusge-
webe sich deutlich von der ursprünglichen Vorhofsmuskulatur ab-
grenzte (Fig. 1). Das Gewebe des Sinus besteht beim Menschen ur-
sprünglich eben so wie bei niederen Vertebraten aus einem Gemisch
von quergestreiften Herzmuskelzellen, andererseits von glatten Muskel-
und Bindegewebszellen, sowie von fibrillärem Bindegewebe. Später,
besonders nach der Geburt, schwinden die quergestreiften Elemente
mehr und mehr.
Beim Menschen lässt sich der ursprünglich dem Sinus ange-
hörige Theil des rechten Vorhofs histiologisch deutlich abgrenzen.
Dabei greifen dic beiderseitigen Gewebsbestandtheile oft fingerförmig
in einander. An diesen Stellen (Fig. 2) verlaufen häufig stärkere
Blutgefäße in der Vorhofswand. Die beiden Sinusklappen verschmel-
zen oben und unten mit einander. Das gemeinsame Stück vereinigt
sich unten mit dem Septum atriorum = Septum I. Die obere Ver-
einigungsleiste wurde von Hıs Septum spurium oder Pseudoseptum
genannt. Beide Namen erscheinen mir nicht zutreffend. Wenn das
besprochene Gebilde auch bei Säugerembryonen eine bedeutende
Ausbildung erlangt, so ist es doch im Grunde genommen nichts
weiter, als ein sich sehr frühzeitig und ausgiebig entwickeln-
der Musculus pectinatus. Derselbe ist schon bei Fischen vor-
handen, beim Krokodil noch sehr deutlich; bei den Vögeln und
Säugern bildet er sich entsprechend der Rückbildung der Sinusklap-
pen mehr und mehr zurück. Born ist gewiss im Rechte, wenn er
449 Carl Rise
diesem Muskel eine Funktion bei der Schließung der Sinusklappen
vindicirt, derart, dass durch seine Kontraktion die Sinusklappen bei
der Vorhofssystole gespannt werden. In späteren Embryonalstadien
werden die Sinusklappen funktionsunfähig und damit geht auch ihr
Spannmuskel in Rückbildung über, wird durchbrochen, wie beim
Kaninchen, oder atrophirt. Seine Überreste, die beim Menschen so-
wohl als bei Säugern in späten Embryonalstadien oft vor der Ein-
mündung der oberen Hohlvene zu finden sind, verwachsen entweder
mit der vorderen Vorhofswand oder mit dem Limbus Vieussenii.
Ob es nach alledem passend ist, diesen Muskel als eine falsche
Scheidewand zu bezeichnen, lasse ich dahin gestellt. Richtiger
dünkte mir, ihn seiner Funktion gemäß als »Spannmuskel der Biins-
klappen« zu benennen.
Bezüglich der weiteren Entwicklung des Sinus venosus und
seiner Klappen stimmen Born’s Angaben fast völlig mit den meini-
gen überein. Der Sinus wird, nachdem er von der unteren auf die
hintere Vorhofswand emporgewandert ist, mehr und mehr in den
Vorhof eingestülpt und seine Klappen erleiden dabei eine fortschrei-
tende Reduktion.
Den Raum zwischen den Sinusklappen und ihrem Spannmuskel
einerseits, dem Septum atriorum andererseits, bezeichnet Born als
Spatium interseptale sive intervalvulare. Korrekter würde der-
selbe wohl als Sp. intersepto-valvulare bezeichnet. Dieser
Raum, der bei niederen Vertebraten bis herauf zu den Monotremen
recht ansehnlich vorhanden ist, geht in der Säugerreihe allmählich
zurück. Beim Menschen verschwindet er sehr frühzeitig vollständig
bis auf geringe Spuren, wie Born sehr richtig nachweist.
Wie ich schon früher! bemerkte, ist es auffallend, dass frühere
Autoren bis auf Hıs inel. stets die linke Sinusklappe zur Valvula
foraminis ovalis werden lassen! Und doch hätte die einfache That-
sache, dass die linke Klappe hier und da deutlich neben der V.
for. oval. vorhanden ist, diesen Irrthum ausschließen können! —
Wie ich später zeigen werde, ist die linke Sinusklappe in der gan-
zen Familie der Edentaten noch vollständig vorhanden. Beim erwach-
senen Kaninchen habe ich sie ausnahmsweise einmal noch völlig
ausgebildet gefunden: ihre Spuren lassen sich jedenfalls in der
ganzen Säugerreihe bis zum Menschen mehr oder weniger bestimmt
nachweisen. Die linke Sinusklappe bildet sich in demselben Ver-
1 Tnauguraldissertation. pag. 11.
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 443
hältnisse zurück wie das Spatium intersepto-valvulare. So lange
dieses noch vorhanden ist, muss naturgemäß die linke Klappe, wenn
auch reducirt, so doch als freie Membran angetroffen werden. Mit
dem Verschwinden dieses Spatiums legt sich die Valvula sinistra an
das Septum atriorum an und verwächst mit seiner mittleren Partie
in voller Ausdehnung mit demselben. Seine oberen und unteren
Ausläufer dagegen verbinden sich mit denen des Limbus Vieussenii.
Somit wird ausschließlich durch die Reste der linken Sinus-
klappe der hintere Abschluss des Limbus Vieussenii
zum geschlossenen Ringe, zum Annulus erzielt. Auf
Schnitten durch diese Gegend bei menschlichen Embryonen und auch
hier und da bei Erwachsenen lässt sich dies Verhältnis deutlich
nachweisen!
Born nimmt an, dass der hintere Abschluss des Annulus ledig-
lich durch die dieke Wurzel der Valvula foraminis ovalis
gebildet werde. Diese dicke Wurzel ist aber kein homogenes, gleich-
artiges Gebilde, sondern entsteht eben durch Verwachsung des Sep-
tum atriorum mit der linken Sinusklappe. Auf Durchschnitten sieht
man stets, dass die Muskelelemente der Valvula for. oval. sich fast
ununterbrochen in die Muskulatur des linken Vorhofs fortsetzen.
Die die Umrandung des Annulus bildende sichelférmige Leiste ent-
hält natürlich auch quergestreifte Herzmuskelfasern; dieselben sind
jedoch durch eine breite Bindegewebsschicht deutlich von den Mus-
kelelementen des linken Vorhofs und der Valvula for. oval. ge-
schieden. — — —
In meiner ersten Arbeit nahm ich an, die hintere Umgrenzung
des Annulus werde durch die hintere Sichel des Sept. intermedium
nach Hıs gebildet. Nun existirt ein solches Gebilde, wie schon er-
-wihnt, gar nicht. Das Bindegewebe, welches His im Sinne hat,
gehört, wie ich mit Born vermuthe, zum hinteren Endocardkissen.
Mit der hinteren Umgrenzung des Foramen ovale hat es direkt nichts
zu schaffen. Es lässt sich späterhin als zusammenhängende Schicht
unter der Muskulatur in der Tiefe der unteren Umgrenzung des Fo-
ramen nachweisen. —
Fig. 3 zeigt von einem 5monatlichen menschlichen Fötus den
Theil eines Schnittes durch die Vorhöfe unterhalb der Einmündung
der Cava inferior. Man sieht links die Muskulatur des Septum
atriorum direkt in diejenige des linken Atrium übergehen. Der
halbkugelige Wulst bildet hier in der Umgrenzung des Foramen
ovale einen Theil des Annulus ovalis und besteht größtentheils aus
Morpholog. Jahrbuch. 15. 29
444 Carl Röse
den Resten der linken Sinusklappe, doch haben sich an dieser Stelle
schon Elemente vom unteren Ausläufer des muskulösen Septum II
oder Limbus Vieussenii beigemengt. In Folge dessen bietet sich
hier ein regelloses Gemenge von längs- und quergetroffenen Muskel-
zügen, von Sinusgewebe und Gefäßdurchschnitten dar. — Die Ab-
grenzung der verschmolzenen linken Sinusklappe vom Sept. atrior.
ist makroskopisch bald mehr bald weniger scharf markirt; oft finden
sich kleine Querfältchen, welche brückenartig sich über die Abgren-
zungsfurche hinüber erstrecken: das deutlichste Zeichen einer früher
stattgehabten Verwachsung. — — — — —
Von der rechten Sinusklappe erhalten sich beim Menschen
deutlichere Reste. Am frühesten schwindet der Theil zwischen der
Einmündung der Vena cava inferior und der nach vorn gerückten
V. cava superior dextra. Die Reste der Klappe verbinden sich hier
mit stärker entwickelten Mm. pectinati und bilden die von Hıs Tae-
nia sagittalis benannte Leiste als rechte Abgrenzung des ursprüng-
lichen Sinusraumes. Links von dieser Leiste fehlen, wie Hıs richtig
bemerkt, Mm. pectinati naturgemäß vollständig.
Der untere Theil der rechten Sinusklappe erhält sich längere
Zeit. Aus ihr entstehen die Valvulae Eustachii und Thebesii, indem
eine Bindegewebsleiste von hinten nach vorn, in den bis dahin ge-
meinsamen unteren Sinusraum vorwächst. Sobald diese Leiste den
freien Klappenrand erreicht hat, ist die Scheidung des restirenden
unteren Theiles der rechten Sinusklappe in die Valvulae Eustachii
und Thebesii, sowie die Trennung zwischen den Mündungen der
Cava inferior und Cava superior sinistra resp. V. coronaria cordis
vollendet. — Dieser Vorgang, den Born im Gegensatze zu His über-
einstimmend mit mir annimmt, lässt sich bei den Reptilien in seinen
Anfängen verfolgen und werde ich später eingehender darauf zurück-
kommen. —
Was die Entstehung des Foramen ovale anlangt, so habe ich
mich, wie schon erwähnt, abweichend von meinen früheren Anschau-
ungen im Großen und Ganzen zur Ansicht Born’s bekehrt. Nur in
einigen Kleinigkeiten weiche ich von dessen Darstellung ab. Bereits
in meiner ersten Arbeit habe ich im Gegensatze zu Hıs behauptet,
dass die Valvula foraminis ovalis aus dem ursprünglichen Septum
atriorum entstehe. Born ist bekanntlich zu derselben Anschauung
gekommen. Nun entspricht im Herzen der Säugethiere
einzig und allein die Valvula foraminis ovalis dem Vor-
hofsseptum der niederen Vertebraten bis herauf zu den
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 445
Sauropsiden. Das Septum II von Born oder der Limbus Vieussenii
ist eine ganz sekundäre Bildung, die zwar schon bei den Am-
phibien angelegt ist, jedoch erst bei den placentalen Säugern zu
größerer Bedeutung und Ausbildung gelangt.
Ich sehe also durchaus keinen Grund, wesshalb man neue Na-
men wie Septum I (Born) oder Septum superius (Hıs) erfindet und
für das eigentliche Vorhofsseptum nicht einfach Septum atriorum
_ oder höchstens Valvula foraminis ovalis sagt. Das Septum II von
Born bezeichnet man wohl am besten nach wie vor als Limbus
Vieussenii. Der Name Septum musculare, den ich in meiner
ersten Arbeit aufstellen zu müssen glaubte, ist dem gegenüber eben-
falls unnütz!
Hıs sagt über die Entstehung des Septum atriorum Folgendes:
»Indem die Rückenwand des Vorhofs durch den Gekröstheil der
Herzwurzel fixirt ist, die Seitentheile sich stark ausdehnen, entsteht
eine mediane Einziehung, die in der Folge zur scharfen Falte sich
ausbildet.«
Abgesehen davon, dass das Septum atriorum wenigstens bei
Säugern stets als solides, homogenes Gebilde und niemals
aus einer Einfaltung entsteht, wie z. B. die Sinusklappen oder der
Limbus Vieussenii, so kann ich mir absolut nicht vorstellen, wie so
das völlig passive, bindegewebige Herzgekröse die Vorhofsmitte der-
art am Wachsthume hindern könnte, dass dadurch eine Einfaltung
entstehen müsste! — Die Erklärung für die Entstehung des Septum
atriorum liegt eigentlich sehr nahe und erscheint selbstverständlich !
Trotzdem finde ich den betreffenden Gedanken in keiner der bis-
herigen Schriften ‘über diesen Gegenstand weiter ausgeführt. Die
Ursache der Entstehung des Septum atriorum beruht
in der Anpassung der Vertebraten an die Lungenath-
mung! Als erste Folge derselben ergiebt sich bei den Dipnoern,
wie später ausführlich dargelegt werden soll, durch Anpassung an
die nunmehr sich vorfindenden verschiedenartigen Blutsorten eine
gesonderte Einmündung der Lungenvene ins Atrium und in Ver-
bindung damit die Entstehung des Vorhofsseptums.
Es ist dies der erste Schritt in der kontinuirlichen Weiterent-
wicklung der Herzsepta, welehe erst im Herzen der Säugethiere zu
vollem Abschlusse kommt und die völlige Scheidung des Lungen-
kreislaufes vom Körperkreislaufe zur Folge hat. Im embryonalen
Leben der Säugethiere hat sich dies phylogenetische Causalverhältnis
erhalten, denn man findet stets die erste Anlage der Lunge kurz
29*
446 Carl Röse
vor oder doch gleichzeitig mit der Entstehung des Vorhofsseptums!
— Bei Säugern fand ich das Septum atriorum stets als solide
Leiste von vorn herein angelegt. Die ursprüngliche phylogenetische
Abstammung desselben aus einer Reihe netzförmig mit einander ver-
bundener Vorhofstrabekel hat sich also in der embryonalen Entwick-
lung bei Säugern nicht mehr erhalten. — Dies Septum nun, wel-
ches bei allen Anuren und Reptilien eine solide, undurchbrochene
muskulöse Membran darstellt, erleidet bei Vögeln und Säugern durch
sekundäre Anpassung an die fötalen Kreislaufverhältnisse Durch-
brechungen. Bei Vögeln ist diese Thatsache durch LinpEs schon
längst bekannt; bei Säugern ist sie erst durch Born ins rechte Licht
gestellt worden. Prineipiell ist zwischen den Durchbrechungen des.
Septum bei Vögeln und Säugern kein Unterschied; doch gestalten
sich die späteren Verhältnisse ganz verschieden. — Ein Foramen
ovale in der Form, wie es der Mensch hat, findet sich weder bei
Vögeln noch bei Monotremen und Marsupialien, sondern erst bei den
placentalen Säugern. -
Übrigens. darf man aus der gleichartigen Durchlöcherung des:
Septums bei Vögeln und Säugern nicht etwa auf eine nahe Ver-
wandtschaft dieser so verschiedenen Thierklassen schließen. Es
macht sich vielmehr hier wieder einmal die oft gefundene Thatsache
geltend, dass ganz unabhängig von einander eine nützliche Einrich-
tung in der Thierreihe zweimal entsteht! ! — Beim Menschen und
überhaupt bei Säugern findet sich nach Born im Gegensatze zu den
Vögeln regulär immer nur eine Durchbrechung. Mehrfache Durch-
löcherungen hält Born bei Menschen und Kaninchen für eine Ab-
normität. Ich glaube, dass Born hierin zu weit geht!
Bei Beutelthieren ist eine mehrfache Durchbrechung des Septum.
atriorum in ähnlicher Weise wie bei den Vögeln regelmäßig vor-
handen. Ein ausgebildeter Limbus Vieussenii existirt dort eben se
wenig wie bei den Monotremen, die sich hinsichtlich des Baues ihrer-
Vorhofsscheidewand gewissen Vogelgattungen sehr nähern.
Der Schluss der Löcher im Septum der Marsupialien geschieht
durch allmähliche Einengung derselben während des extra-uterinen
Lebens. Bei einem Opossumjungen von 16 mm Länge sah ich das.
Septum schon völlig geschlossen. Ich zweifle nicht, dass die Ent-
wicklung des Septum atriorum bei Monotremen in ganz ähnlicher
Weise sich vollzieht, wie dies Linpes beim Vogel beschreibt. Der
Bau des Septum beim erwachsenen Thiere weist wenigstens darauf
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 447
hin. Bei Schaf-, Rind- und Pferdeembryonen fand Brucu' regel-
mäßig eine vielfache, netzartige Durchlöcherung der Vorhofswand.
Auch beim Menschen ist schon wiederholt, z. B. von ROKITANSKY,
eine mehrfache Durchlöcherung des Septum atriorum gefunden
worden! Bei drei Rindsembryonen von 16, 28 und 37 mm Länge
finde ich ausgiebige, mehrfache Durchlöcherungen, ähnlich wie dies
Bruch darstellt, eben so bei einem Maulwurf- und zwei Kaninchen-
embryonen, wenn auch hier in viel geringerem Grade als beim
Rinde. Dieselben Verhältnisse ergeben sich bei Edentatenembryonen.
Nach alledem dürfte es doch wohl nicht richtig sein, mehr-
fache Durchlöcherungen als Abnormität zu bezeichnen.
Es wird Sache zukünftiger Forschung sein zu entscheiden, ob
in der Säugethierreihe der Vorgang einfacher Durchlöcherung, wie
ihn Born beschreibt, oder derjenige mehr- bis vielfacher Durch-
lécherung häufiger ist. Ich selbst möchte mich fast für Letzteres
‚entscheiden.
Im Prineipe ist ja der Vorgang ganz derselbe und beruht dar-
auf, dass während der Entwicklung im Ei oder Uterus die Schei-
dung der Ventrikel bereits so weit vorgeschritten ist, dass hier keine
genügende Kommunikation mehr stattfindet und so naturgemäß
sekundäre neue Kommunikationswege geschaffen werden müssen.
Wie schon erwähnt, wird dies bei Vögeln und Säugern in ganz
‚gleicher Weise erzielt mittels Durchbohrung des bis dahin soliden
Vorhofsseptums! —
Den oben angeführten Thatsachen zufolge dünkt mir Born’s
Darstellung von der Bandform des Septum atriorum auch für den
Menschen nicht als allgemein gültig. Richtig ist wohl, dass die
erste Durchbreehung meist hinten oben beginnt, jedoch niemals oder
‚doch selten so peripher, dass nicht ein geringer Rest vom Sep-
tumursprunge an der Vorhofswand sitzen bliebe. — Unter allen Um-
ständen halte ich es demnach auch in den Fällen, wo nur eine
‚einzige Durchbrechung besteht, für besser, nicht von einer Band-
form, sondern vielmehr von einer Ringform des Septums mit sehr
excentrisch sitzendem Loche zu reden. Wo dies Loch auch zuerst
aufgetreten sein möge, immer wandert es schließlich nach der vor-
deren Vorhofswand zu an seinen definitiven Platz, wo wir es noch
1 C. BRucH, Über den Schließungsprocess des Foramen ovale bei Men-
‚schen und Säugethieren. Abhandlungen der SENCKENBERG’schen naturforschen-
den Gesellschaft. Bd. IV. 1862—1863.
448 Carl Röse
bei der Geburt finden. Die Reste des Septum atriorum wachsen
nun entsprechend dieser Wanderung und der Größenzunahme der
Vorhöfe von allen Seiten wieder nach und umgrenzen das Foramen
ovale = Ostium II von hinten her in einer Bogenlinie.
Wenn mehrfache Durchlöcherung stattgefunden hat, so wird ent-.
weder das vorderste, größte Loch zum Foramen septi, oder es ver-
schmelzen einige größere Löcher mit einander, indess die anderen
durch Endocardwucherung sich schließen; oder es bleiben bis zur Geburt
mehrere Foramina septi atriorum dieht neben einander bestehen, Fälle,
welche bisher meist für anormal resp. pathologisch gehalten wurden.
Was die histiologische Struktur des Septum atriorum betrifft, so
besteht dasselbe in seiner Hauptmasse aus quergestreiften, zu beiden
Seiten vom Endocard überzogenen Herzmuskelzellen (Fig. 4 Sa).
Beim menschlichen Fötus aus dem fünften Monat setzt sich das En-
docard lediglich aus einer einzigen, höchstens doppelten Lage platter
Endocardzellen zusammen. Späterhin verdickt sich das Endocard
im Verhältnisse zur Muskulatur im Septum atriorum eben so wie in
der Vorhofswand. Es treten elastische Fasern auf und bilden
zu beiden Seiten der Muskelschicht mehr oder minder dicht gewebte
Netze. Die Muskelschicht selbst ist nicht mehr kontinuirlich zu-
sammenhängend, sondern besteht aus einzelnen Bündeln, zwischen
denen sich fibrilläres Bindegewebe entwickelt hat. Ab und zu findet
man Stellen, wo die elastischen Fasernetze, die im Allgemeinen
nicht zwischen die Muskelbündel eindringen, quer durch das ganze
Septum hindurch in größerer Breite mit einander in Verbindung
stehen (Fig. 6). Es handelt sich hierbei wohl meist um Stellen,
wo früher Durchbrechungen bestanden haben, die durch Wucherung
des Endocards und demnach auch der elastischen Fasern geschlossen
wurden. An der Stelle der postfötalen Verwachsung des Septum
atriorum mit dem Limbus Vieussenii fließen die elastischen Faser-
netze beider endocardialer Flächen breit in einander über.
Der untere Rand des Septum atriorum ist, wie ich bereits in
meiner Dissertation hervorgehoben und wie Born bestätigt hat, durch
eine Wucherung des Endocards kolbig verdiekt. Dieser verdickte
Rand wächst in die Tiefe des Ohrkanals zwischen die beiden Endo-
cardkissen hinein, verbindet sich mit ihnen und bewirkt resp. regt
dadurch die breite Verwachsung dieser Endocardpolster und damit
die Scheidung des Ohrkanals in die beiden Ostia atrio-ventrieu-
laria an! —
Bereits JULIUS ARNOLD hat, wie auch Born bemerkt, aus ver—
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 449
gleichend-anatomischen Gründen angenommen, dass der basale Theil
des Vorhofsseptums in ursächlichem Zusammenhang stehe mit der
Scheidung der Atrioventrieularostien.
In der That fand ARNOLD bei Zusammenstellung einer größeren
Anzahl pathologischer Fälle die wichtige Regel, dass bei Mangel
des basalen Theiles vom Septum atriorum stets ein Ostium veno-
sum commune sich vorfand, während bei Mangel des Ventrikel-
septums zwei Ostia venosa vorhanden sein können!
Die angeführten Annahmen ARNOLD’s kann ich aus eigener An-
schauung voll und ganz bestätigen. Die beiden Taschenklappen der
niederen Vertebraten, welche den Endocardkissen im Ohrkanale der
Säugerembryonen entsprechen, verwachsen erst von da ab mit ein-
ander, wo das Vorhofsseptum zwischen sie hereingewachsen ist,
nämlich bei den Reptilien. Dieses Herabwachsen des Septum geht,
wie ich bei Schlangenembryonen sah, stets der Verwachsung der
primären Atrioventrieularklappen voraus, eben so wie dies bei Vögel-
und Säugerembryonen der Fall ist. Rechnet man dazu noch die
oben angeführten Thatsachen der pathologischen Anatomie, so er-
giebt sich mit ziemlicher Sicherheit die Bestätigung des Satzes:
»Das Herabwachsen des Septum atriorum ist das causale
Moment für die Scheidung des einheitlichen Atrioventri-
eularostiums in die beiden sekundären.«
Früher nahm ich an, der Limbus Vieussenii entstehe durch Ver-
wachsung meines Septum musculare mit der vorderen Sichel des
Sept. intermedium von Hıs. Für das letztere Gebilde sah ich die
Endocardverdickung an, die sich von dem vorderen, nach Born obe-
ren Endocardkissen des Atrioventricularostiums in den Vorhof herein
erstreckt. Dieselbe verbindet sich jedoch schon mit dem Septum
atriorum bei dessen Herabwachsen und nicht mit dem Limbus.
Dieser entsteht vielmehr allein aus dem Gebilde, welches ich Sep-
tum musculare (= Septum II) genannt habe. Beide Namen sind über-
flüssig: ich glaube, man soll das Gebilde nach wie vor als Limbus
Vieussenii bezeichnen! — Ein eigentliches, mit dem Septum atrio-
rum oder der Valvula foraminis ovalis gleichwerthiges Septum
ist es in morphologischer Hinsicht nieht, sondern ein ganz sekun-
däres, bei Amphibien zuerst auftretendes, aber erst bei den placen-
talen Säugern Bedeutung gewinnendes Gebilde.
BORN spricht sich über seine Herkunft nicht näher aus. — Wie
ich schon in meiner ersten Arbeit darlegte, entsteht der Limbus
Vieussenii durch Einstülpung der medialen Vorhofswand direkt rechts
450 Carl Röse
neben dem Septum atriorum. Bewirkt wird diese Einschnürung,
wie sich auf Durchschnitten (Fig. 4 und 5) leicht nachweisen lässt,
durch den tief zwischen beide Vorhöfe sich einbettenden Truncus
arteriosus. —
Bei den placentalen Säugern allerdings gewinnt der Limbus
wohl sekundär ein selbständiges, wenn auch geringgradiges Wachs-
thumsvermögen, indem er hier als Hilfsapparat zur definitiven Schei-
dung der Vorhöfe herangezogen wird. Bei Kaninchen entsteht der
Limbus zuerst bei Embryonen von § mm Körperlänge. Mit Born’s
Angabe (pag. 312) stimmt dies genügend überein. Der Limbus ent-
steht zuerst an der vorderen oberen Vorhofswand und greift später
mit seinen Ausläufern auf die obere und speciell auch auf die untere
Vorhofswand über. — Entsprechend seiner Genese entsteht der Lim-
bus (Fig. 4) aus quergestreiften Herzmuskelelementen. Von der Aorta
her erstreckt sich mehr oder weniger tief ein Keil pericardialen
Bindegewebes hinein zum Zeichen dessen, dass diese jetzt in der
Tiefe liegenden mittleren Partien früher der Vorhofsoberfläche
angehörten (Fig. 4 und 5).
Der hintere Abschluss des Limbus Vieussenii zum Annulus
wird, wie schon erwähnt, bei placentalen Säugern durch Verwach-
sung mit den Ausläufern der linken Sinusklappe erzielt, welche
ihrerseits meist wieder dem Septum atriorum anliegt und mit ihm
verwachsen ist. Bei Edentaten, wo die linke Klappe als solche
regelmäßig zu persistiren scheint, lassen sich diese Verhältnisse sehr
gut verfolgen. Der untere Ausläufer der linken Sinusklappe gelangt
in manchen Fällen nicht vollständig zum Anschluss an den Limbus,
sondern vereint sich zuvor mit dem oben erwähnten bindegewebigen
Septum Sinus venosi. An solchen Stellen ist dann der Annulus
immer mehr oder weniger unterbrochen! —
An den Stellen, wo der Limbus mit dem Septum atriorum früh-
zeitig verwächst, zur Zeit, wo das Endocard noch sehr dünn ist,
ist diese Verwachsung eine so innige, dass die beiderseitigen Muskel-
züge direkt in einander überzugehen scheinen (Fig. 4). Dies ist
speciell an der oberen und theilweise an der vorderen Vorhofswand
der Fall. An der unteren Vorhofswand dagegen, zwischen den bei-
den Atrioventrieularostien, sind die beiderseitigen Muskelelemente
durch eine breite, aus der Tiefe aufsteigende, nach oben spitz keil-
förmig zulaufende Bindegewebsschicht getrennt, welche zum Annulus
fibrosus der Autoren gehört und speciell an den genannten Stellen
wohl von der früher erwähnten Endocardverdickung am freien Rande
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 451
des Septum atriorum herzuleiten ist. Das regellose Durcheinander
von Muskelgewebe und Sinusgewebe an den Verwachsungsstellen
mit den Ausläufern der linken Klappe ist schon oben kurz er-
wähnt! — — —
Was die Entwicklung der Lungenvenen betrifft, so sind meine
Angaben im Wesentlichen von Born bestätigt worden. Die zuerst
einfache Lungenvene entsteht sehr frühzeitig zugleich mit dem Sep
tum atriorum als feines kapillares Gefäß und mündet von Anfang
an links vom Septum, an der Stelle, wo die beiden Muskelblätter
des Vorhofs zuletzt sich schließen, in der hinteren unteren Ecke.
Es ist sehr schwer zu entscheiden, ob an dieser Stelle zwischen den
beiden Muskelblättern eine Spalte bleibt, wie Born dies annimmt;
oder ob auch hier die Muskelplatten völlig verwachsen und sodann
erst an der erwähnten Stelle der geschlossene Muskelbelag des
Vorhofs von der Lungenvene durchbrochen wird. Ich selbst möchte
mich nach Beobachtungen, die ich bei Myotusembryonen machte und
auch aus vergleichend-anatomischen Gründen lieber für letztere An-
sicht entscheiden.
Bezüglich der weiteren Entwicklung kann ich meine früheren
Angaben wiederholen! Die Lungenvene durchsetzt in schiefer Rich-
tung die Wurzel des Septum atriorum, so dass ihre Einmündung in
den linken Vorhof sich ureterartig gestaltet. Nach der Lunge zu
theilt sich der einfache Venenstamm doppelt diehotomisch.
Die vier diehotomen Äste werden zu den vier sekun-
dären Lungenvenen, indem der Stamm und die beiden Haupt-
äste einander und dem Vorhofe näher rücken und zuletzt ganz in
den linken Vorhof aufgenommen werden.
Ich halte es nicht für richtig, wenn Born bezüglich der defini-
tiven Entwieklung von wesentlichen Unterschieden zwischen dem
Menschen und Nagern redet. Meiner Meinung nach soll man nur
dann eine einheitliche Lungenvene annehmen, wenn ihr Stamm
außerhalb des Pericards, also bei äußerer Betrachtung ein-
heitlich erscheint! Dies ist nun bei Säugern nie der Fall! Immer
sind der Endstamm und zumeist auch die ersten Gabeläste ins Lu-
men des linken Vorhofs einbezogen. Ob nun die sekundären Venen
dicht neben einander münden in einen kurzen gemeinsamen Raum,
der früher Venenstamm war, jetzt aber in den Vorhof einbezogen
ist, oder ob dieser ursprüngliche Endstamm noch ausgedehnter in
den Vorhof einbezogen wird, indem die sekundären Venen aus ein-
ander rücken und auch die ersten Theiläste noch in die Vorhofswand
452 Carl Röse
einbezogen werden, das ist für die einheitliche Auffassung des gan-
zen Processes gleichgültig! Es giebt allerdings diesbezügliche Unter-
schiede zwischen Mensch und Kaninchen. Dieselben sind jedoch
nur graduell, nicht principiell, und es finden bei Säugern die
mannigfachsten Übergänge statt. So stehen die Fledermäuse be-
züglich ihrer Lungenvenen auf derselben Stufe wie Kaninchen, wäh-
rend die meisten Marsupialien, Affen u. a. sich mehr dem Menschen
nähern!
Richtig und dem Angeführten zufolge selbstverständlich ist die
Bemerkung von Born, dass beim Menschen der zwischen den Mün-
dungen der Lungenvenen liegende Raum der Mm. pectinati entbehrt
und ursprünglich Venenwand war, ähnlich wie rechts der Sinus-
-raum. Auch in der histiologischen Struktur dieser Theile spricht
sich ein ähnliches Verhalten aus. — — —
Bezüglich der Scheidung der Ventrikel und des Aortenbulbus
ist Born gleich mir zu wesentlich denselben Resultaten gekommen
wie früher Hıs. Einige Punkte hebt er diesem gegenüber mit Recht
schärfer hervor, so besonders den Punkt, dass sich das Septum ven-
trieulorum mit dem rechten Rande der verschmolzenen Endocard-
kissen und nicht mit dem »Septum intermedium« verbindet. Der
Anfang der Aorta kommt somit zwischen die beiden venösen Ostien
zu liegen und bildet einen schief von links nach rechts aufsteigen-
den kaminartigen Raum, der links von den verschmolzenen Endo-
cardkissen, rechts vom Bulbusseptum = Septum aorticum begrenzt
wird.
Das Ostium interventrieulare wächst ganz in der von BoRN be-
schriebenen Weise über das Niveau der Atrioventrieularostien empor;
sein Rest wird in den Ursprung der Aorta einbezogen und durch
die vom distalen nach dem proximalen Ende zu fortschreitende Ver-
wachsung der Bulbuswülste bindegewebig geschlossen. So ent-
steht die bekannte Pars membranacea septi ventrieulorum.
— Der Verschluss der Pars membranacea ist der Schluss-
stein in der definitiven Scheidung des primitiven ein-
fachen Herzschlauches in die vier sekundären Herz-
räume, wie wir sie bei Säugern und Vögeln finden. Bei Kaninchen
von 12! mm Körperlänge ist der Abschluss erreicht! Bei den Rep-
tilien ist dies noch nicht der Fall, selbst bei den hochentwickelten
Krokodilen fehlt der Abschluss des Restes vom Ostium interventri-
eulare, welches hier Foramen Panizzae genannt wird.
Über die Atrioventricularklappen habe ich in meiner ersten
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 453
Arbeit keine näheren Untersuchungen angestellt. Erst in letzter Zeit
versuchte ich dem Thema näher zu treten und kam dabei sowohl
auf Grund vergleichend-anatomischer als auch embryologischer Un-
tersuchungen zu ganz ähnlichen Resultaten wie GEGENBAUR! und
BERNAYS?. Es freut mich, dass auch Born im Gegensatze zu His
bezüglich dieses Punktes zu denselben Anschauungen gekommen ist.
Wie Hıs sich die sekundäre Verwachsung der Mm. papillares mit
dem freien Rande des eingestülpten Ohrkanales vorstellt, ist mir
nie recht klar geworden. Eine Einstülpung des Ohrkanales in der
Weise, wie His es beschreibt, existirt nicht, wie Born ganz richtig
bemerkt. Der Ohrkanal wird ganz passiv in den Ventrikel ein-
bezogen, indem dessen Wände rings herum ihn gewissermaßen über-
wachsen. Dadurch wird allerdings später eine Schicht pericardialen
Bindegewebes in die spätere Furche zwischen Vorhöfe und Ventrikel
einbezogen; mit der Bildung der Atrioventrieularklappen jedoch hat
diese direkt nichts zu schaffen.
Dieselben bestehen in ihren ersten Anfängen aus den Endocard-
wülsten, welche den Ohrkanal ringförmig ausfüllen. Nun findet eine
Differenzirung derart statt, dass besonders an zwei gegenüberliegen-
den Stellen die Endocardwucherung besonders stark hervortritt. Es
entstehen die beiden Atrioventricularlippen nach LinpEs, welche das
Ostium spaltförmig einengen. Man bezeichnet dieselben am besten
als ventrale (nach Born = obere) und dorsale (= untere). An
den beiden Enden des spaltförmigen Ostiums bleibt natürlich eben-
falls, wenn auch in geringerem Maße, die Endocardwucherung fort-
bestehen. Nach der Verschmelzung des dorsalen Kissens mit dem
ventralen haben wir nun zwei Ostia venosa und an der medialen
Seite jedes desselben je eine, aus Endocardwucherung bestehende
Klappe. Aus je zwei Hälften der früheren dorsalen und ventralen
Klappe sind nämlich nun zwei neue Klappen, eine linke und eine
rechte geworden, von denen die linke wie ein Vorhang über den Ur-
sprung der Aorta herabhängt und die Grundlage abgiebt zum medialen
Zipfel der Mitralis, die rechte wird zum medialen Zipfel der Tri-
euspidalis. —
Der laterale Zipfel der Mitralis, sowie die beiden lateralen der
Trieuspidalis haben ihre Anlage in dem verdickten Endocard des
! C. GEGENBAUR, Zur vergleichenden Anatomie des Herzens. Jenaische
Zeitschrift für Naturwissenschaften. Bd. II. 1876.
2 A. C. Bernays, Entwicklungsgeschichte der Atrioventricularklappen.
Morph. Jahrb. Bd. II. 1876.
454 Carl Röse
Ohrkanales, welches nicht mit zur Bildung der Atrioventricularlippen
verwandt wird und zu beiden Seiten des spaltförmigen Ostium venö-
sum commune liegt!. Born’s Anschauung von der Verwendung der
hinteren Bulbusleiste zu einem Mitralzipfel kann ich nicht billigen,
glaube vielmehr, dass der untere Theil des hinteren Bulbuswulstes
lediglich zur Bildung der Semilunarklappen verwendet wird.
Wir haben somit eine rein endocardiale, bindegewebige Anlage
der Atrioventrieularklappen, das Stadium I von Bernays. Die Ent-
wicklung der weiteren drei Stadien finden sodann ganz in der von
BERNAYS beschriebenen Weise statt.
Die Ventrikelhöhlen werden ausgedehnt auf Kosten der angren-
zenden Muskelbalken, welche nach und nach resorbirt werden. Die
Balken, welche mit den bindegewebigen Klappen zusammenhängen,
bleiben ausgespart und bilden die späteren Mm. papillares und Chor-
dae tendineae. Die Muskelbalken, welche in der horizontalen Ver-
längerung der Klappen rings um die Ostia liegen, bleiben als zu-
sammenhängende Platte bestehen. Der Blutstrom unterwühlt dieselbe
gleichsam mehr und mehr und würde sie in den Vorhof zurück-
drängen, wenn nicht überall aus der Tiefe die senkrecht darauf
gerichteten Papillarmuskeln Halt gewährten. Bei dieser Unterwüh-
lung der nunmehr größtentheils muskulösen Klappen werden natür-
lich sekundär durch Aneinanderlagerung Vorhofsmuskulatur, sowie
die Enden der zwischen beiden liegenden früher erwähnten pericar-
dialen Schieht mit in die Klappen einbezogen. Zuletzt folgt die
bindegewebige resp. sehnige Umwandlung der Muskelelemente in den
Klappen sowohl als auch in den Chordae tendineae.
Die früheren bindegewebigen Anlagen erhalten sich nach BER-
NAys am freien Klappenrande mehr oder minder regelmäßig als
kleine Knötchen. Ferner sind die beiden medialen Zipfel der Vae.
mitralis und trieuspidalis in ihren mittleren Partien größtentheils als
aus den primären bindegewebigen Klappen hervorgegangen zu den-
ken. Aus Muskulatur entstanden sind nur ihre Randpartien, die mit
den Papillarmuskeln zusammenhängen.
München, 8. Juli 1889.
1 Auf Grund neuerer Untersuchungen glaube ich jetzt annehmen zu
müssen, dass die erste Anlage dieser Klappenzipfel ausschließlich musku-
lären Ursprunges ist, also mit dem zweiten Stadium von BERNAYS beginnt.
Näheres hierüber folgt in einer demnächst erscheinenden größeren Arbeit.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 6.
Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 455
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XVI.
Schnitt durch die Valvula Eustachii, dicht unter der Einmiindung der
VY. cava inferior, von einem menschlichen Fitus aus dem fünften Mo-
nate.
Man sieht von links her das aus einem Gemisch von Bindege-
webe und Herzmuskelzellen bestehende Sinusgewebe, von rechts her
die Muskelwand des rechten Vorhofs zur Bildung der EusTacuti’schen
Klappe zusammentreten. Von w an bis zum freien Rande hatte die
Klappe selbständiges Wachsthum angenommen und ist dieser Theil
nicht durch Einstülpung entstanden wie der basale. HARTNACK 4.
Ocul. 1.
Schnitt durch dasselbe Herz, den eigenthümlich fingerförmigen Über-
gang von Sinusgewebe in Herzmuskelgewebe zeigend.
a Sinusgewebe, c Pericard,
b Blutgefäße, d Herzmuskelgewebe des Vorhofs.
HARTNACK 7. Ocul. 1.
Schnitt durch dasselbe Herz (Theil von Fig. 5).
Es ist der Ursprung des Septum atriorum mit dem anliegenden
Theile des Annulus Vieussenii resp. der linken Sinusklappe getroffen
an der Grenze von hinterer und unterer Vorhofswand. Nach links
geht die Muskulatur des Septum atriorum (S.a) direkt in diejenige
des linken Vorhofs iiber.
Das halbkugelige Gebilde bildet den Rest der linken Sinusklappe
und besteht aus einem regellosen Durcheinander von Sinusgewebe (d),
Gefäßen (db), längs- und querverlaufenden Muskelziigen (c’ ec). HART-
NACK 4. Ocul. 1.
Septum atriorum (S.a) beim Übergang in den Limbus Vieussenii (Z. V7)
unterhalb des Foramen ovale. Schnitt durch dasselbe Herz.
Die beiderseitigen Muskelzellen lagern sich direkt an einander
(bei uw). Bei Z.Vi erstreckt sich das Ende des pericardialen Binde-
gewebskeiles von der Aorta her in den Limbus herein. HARTNACK 7.
Ocul. 1.
Herzdurchschnitt eines fünfmonatlichen Menschenfötus unterhalb der
Mündung der Vena cava inferior und des Foramen ovale.
S.a Septum atriorum, R.Vh rechter Vorhof,
L.Vi Limbus Vieussenii, L.Vh linker Vorhof,
Va.s linke Sinusklappe, 4 Aorta,
Va.E Valvula Eustachii, P Pulmonalis.
Vergr. 4.
Schnitt durch das Septum atriorum (Valvula foraminis ovalis) von
einem 25jährigen Manne.
456 Carl Röse, Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens.
Man sieht die mittlere Muskelmasse nicht mehr zusammenhängend
wie beim jungen Fitus, sondern in einzelne theils längs-, theils quer-,
theils schiefverlaufende Bündel zerlegt, welche durch Bindegewebe
von einander getrennt sind. Dazwischen trifft man hier und da Ge-
fäßquerschnitte. Das Endocard ist beträchtlich verdickt und enthält
dichte Netze von elastischen Fasern, welche nach HERXHEIMER’s Me-
thode schwarz gefärbt sind. Diese elastischen Fasernetze dringen im
Allgemeinen nicht zwischen die Muskelbündel ein. Nur an einer Stelle
zieht ein breites Band elastischer Fasernetze quer durch die ganze
Breite des Septum von einem Rande zum anderen durch, An dieser
Stelle hat vielleicht früher eine Durchbrechung bestanden, welche
später durch Endocard ausgefüllt wurde. HARTNACK 4. Ocul. 1.
SS ma es na
Verlag Wilh. Engelmann ix Leipei. eee Raa ey
Über Entwieklung und Wachsthum der Schneide-
zähne bei Mus musculus.
Von
Dr. Friedrich Roetter,
prakt. Zahnarzt in Ansbach.
Mit Tafel XVII.
Kinleitung.
Der Bau und die Entwicklung der Schneideziihne ist schon öfters
als Gegenstand der Untersuchung behandelt worden und manche
Forscher hatten bei der Beantwortung dieser Frage Gelegenheit,
unsere Kenntnisse über diese Organe zu bereichern, indessen andere,
die Wichtigkeit der ontogenetischen Betrachtung verkennend, zu auf-
fallenden und unglaublichen Ansichten gelangten. Trotzdem in letzter
Zeit v. BRunN die widerspruchsvollen Angaben der Litteratur korri-
girt und ein den Thatsachen mehr entsprechendes Bild von der histo-
logischen Beschaffenheit des persistirenden Schmelzorgans der
Schneidezähne gegeben hat, erschien es mir doch angezeigt, die
Frage nochmals aufzunehmen und auf Grund eigener Beobachtung eine
Gesammtdarstellung, besonders auch der entwicklungsgeschichtlichen
Processe bei der Bildung der Schneidezähne zu entwerfen.
Die nachfolgenden Untersuchungen wurden auf Veranlassung des
Herrn Dr. FLEISCHMANN im zoologischen Institut der Universität Er-
langen im vorigen Jahre begonnen und während zwei Semester durch-
geführt.
Ich erfülle nur eine angenehme Pflicht, wenn ich Herrn Prof.
SELENKA, der mir in liebenswürdiger Weise die Hilfsmittel des zoo-
logischen Instituts zur Verfügung stellte, meinen innigsten Dank
ausspreche.
458 Friedrich Roetter
Besonderen Dank aber schulde ich Herrn Privatdocenten Dr.
FLEISCHMANN, der mir bei Bearbeitung dieses Themas unverdrossen
an die Hand ging und mit Rath und That meine Fortschritte über-
wachte. ,
Als Untersuchungsmaterial dienten zahlreiche Embryonen und
ausgewachsene Exemplare der weißen Maus {Mus musculus var. al-
bus) und der Waldmaus (Mus silvaticus), die für frühere Unter-
suchungen des Herrn Professor SELENKA gesammelt und im In-
stitute aufbewahrt waren. Dieselben waren in Pikrinschwefelsäure
konservirt und in Alkohol gehärtet worden. Ganze Köpfe älterer
Embryonen und ausgewachsener Thiere habe ich, bevor ich sie in
Schnittserien zerlegte, unter Vermeidung von allzu starker Diffusion,
in Wasser zurückgebracht und sie dann ein bis zwei Tage lang in
10%ige Salpetersäure gelegt, um sie nach der Angabe von RETZIUS
zu entkalken.
Nachdem die Säure ausgewaschen und die Objekte in Alkohol
übergeführt waren, wurden sie meist in Boraxkarmin durchgefärbt,
hierauf längere Zeit mit angesäuertem Alkohol behandelt und durch
allmähliche Steigerung des Alkoholgehaltes der Aufbewahrungsflüssig-
keit entwässert. Danach wurden sie in Toluol aufgehellt und in
Paraffin eingeschmolzen. Um Übersichtsbilder zu gewinnen, wurden
auch junge Zahnsäckchen frei präparirt und in Kanadabalsam ein-
geschlossen.
Da A. v. Brunn! die jüngeren Arbeiten von LOwE und GILLAVRY
einer eingehenden Kritik bereits gewürdigt hat, so erübrigt mir nur,
einen kurzen Rückblick auf die früheren Untersuchungen zu werfen,
bevor ich den Bericht über meine eigenen Befunde beginne.
Bereits 1835 hat RAscHuKow? ein innerhalb des Zahnfleisches
sitzendes Schmelzorgan nachgewiesen und 1837 vermuthete RETZıUS>,
dem hauptsächlich an den Vorderzähnen des Biber und Hasen die
Schmelzbedeckung des ganzen Zahnes auffiel, dass allen Nagern ein
persistirendes Schmelzorgan zukomme. Er sagt: »Es ist bekannt,
dass diese Zähne, besonders die Vorderzähne, die ganze Lebenszeit
! A. v. Bruny, Ausdehnung des Schmelzorgans und seine Bedeutung für
die Zahnbildung. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXIX.
2 J. RASCHKOW, Meletemata circa Mammalium dentium evolutionem. Vra-
tislaviae 1835.
3 Rerzius, Bemerkungen über den inneren Bau der Zähne mit besonderer
Rücksicht auf den im Zahn vorkommenden Röhrenbau. MÜLLER’s Arch. 1837.
pag. 542.
Uber Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 459
zu wachsen fortfahren, ohne sich im Alveolarende zu schließen, so
dass ein solcher Zahn, welcher in Folge einer fehlerhaften Richtung
nicht abgenutzt worden ist, mehrfach länger wird, als er zuerst aus
der Alveole hervorgekommen war. Die Schmelzbildung bei diesen
Zähnen geht so lange fort, als die Bildung des Zahnknochens, wor-
aus man den Schluss ziehen darf, dass der Schmelz sich nicht allein
innerhalb des eigentlichen Folliculus dentis bilde, sondern dass auch
ein schmelzbildendes Organ die ganze Lebenszeit hindurch auf dem
Boden der Alveole zu existiren fortfahren könne.
Späterhin machte Owen! auf das Schmelzorgan aufmerksam,
während ErpL? sich nur mit dem anatomischen Bau des fertigen
Zahnes beschäftigte.
KÖLLIKER® erwähnt des Schmelzorgans und des fortwährenden
Wachsthums der Pulpa der Schneidezähne der Nagethiere nur ganz
kurz und bemerkt, dass nach eigener Untersuchung beim Kaninehen
das Scehmelzorgan denselben Bau während des ganzen Lebens auf-
weise, wie vor dem Durchbruch des Zahnes, nur dass das Gallert-
gewebe fehle. Die eingehendsten Untersuchungen über dieses Thema
wurden von WENZEL? gemacht. In dieser außerordentlich genauen
Arbeit giebt derselbe im Allgemeinen die richtige Beschreibung der
später zu erörternden merkwürdigen Verhältnisse. Die abweichenden
Angaben, welche in den neueren Untersuchungen sich finden, er-
klären sich nur durch die Hilfe einer vervollkommneteren Technik,
als sie WENZEL zu Gebote stand.
I. Die Anlage der Schneidezähne.
Ich will gleich zum Eingang bemerken, dass die folgende Dar-
stellung sich nur auf die Schneidezähne des Unterkiefers bezieht,
um Verwechselungen und Schwierigkeiten der Bezeichnung zu ver-
meiden.
Als jüngstes Stadium der Zahnanlage finden wir in der Mund-
höhle der weißen Maus eben so wie bei der Entwicklung der Säuge-
thierzähne überhaupt, die Zahnfurche, welche als eine Einstülpung
1 Owen, Odontografy. pag. LXII und 399.
2M. ERDL, Untersuchungen über den Bau der Zähne bei den Wirbel-
thieren, insbesondere bei den Nagern. Abhandlungen der math.-pbysik. Klasse
der Akademie der Wissenschaften zu München. Bd. III. 1843.
3 KÖLLIKER, Mikr. Anatomie. Bd. II. 1852. pag. 117.
4 WENZEL, Untersuchungen über das Schmelzorgan und den Schmelz, in-
sonderheit bei den dauernd wachsenden Zähnen der Nagethiere. Archiv für
Heilkunde. 1868.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 30
460 Friedrich Roetter
des Mundhöhlenepithels entsteht. Dieselbe setzt sich aber hier, im
Gegensatz zur Zahnanlage anderer Thiere, nicht in die Furche fort,
von welcher aus sich die Backzähne entwickeln.
Die Schneidezähne der weißen Maus entstehen also aus einer
isolirten Epitheleinbuchtung, die an der vorderen inneren Seite des
Unter- bezw. Oberkiefers halbmondförmig gebogen liegt und den
Mutterboden für die beiden Schneidezähne darstellt. Vom Boden
dieser aus Ektodermzellen bestehenden Rinne senkt sich alsbald ein
(bezw. zwei) schmaler Fortsatz in das unterhalb liegende Binde-
gewebe der Unterkieferanlage herab, der als Schmelzkeim be-
kannt ist. Bei den Schneidezähnen wächst derselbe nicht gerade
in die Tiefe vor, sondern er ist schräg nach hinten und außen ge-
richtet. Ein Vergleich mit der Wachsthumsrichtung der Backzahn-
anlagen (s. Taf. XVII Fig. 1 und 2) zeigt bei diesen ein ähnliches
Verhalten. Man kann daher mit gutem Rechte behaupten, dass die
erste Anlage der Schneide- und Backzähne der weißen Maus in
völlig entsprechender Weise geschehe. Es existirt zwischen den
beiden Zahnarten, die später in auffallender Weise unterschieden
zu sein scheinen, bei der ersten Anlage eine bedeutende Ähnlichkeit
und ich werde im Verlauf der Darstellung nachweisen, dass sich
auch im weiteren Entwicklungsprocesse mannigfache Homologien
erkennen lassen.
Schon in dem frühen Stadium, wo vom Mundhöhlenepithel eine
ganz geringe Einsenkung gegen die Kieferanlage gerichtet ist, lässt
sich unterhalb derselben eine Verdichtung des Mesodermgewebes er-
kennen, indem dessen Zellen sich enger zusammendrängen und dieser
Stelle eine erhöhte Färbbarkeit verleihen; sie erscheint im Quer-
schnitte wie ein halbmondförmiger Hof. Das ist die erste Anlage
der Zahnpapille.
Der Schmelzkeim breitet sich über die Master zu-
nächst stempelförmig aus, um sie später als schalenförmige Be-
deckung zu umfassen. Nun wächst die Papille entsprechend der
Ausdehnung des Schmelzkeimes ebenfalls in die Länge und zwar
gegen den Kieferwinkel zu; weil jedoch ihre Wachsthumsenergie
bedeutend geringer ist als die des Schmelzkeimes, so wird sie durch
die rasche Ausbreitung des letzteren überholt und glockenförmig von
ihm überdeckt. So entsteht die Schmelzkappe.
WENZEL vermuthet, dass das embryonale Schmelzorgan nicht
wie bei anderen Zähnen den Zahnkeim, d. h. die Zahnpapille, von
allen Seiten her kuppelförmig überdecke, sondern sich nur an der
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 461
vorderen ventralen Seite vorfinde, d. h. an der Stelle, wo er am
ausgewachsenen Zahn das persistirende Schmelzorgan nachgewiesen.
Allein v. Brunn hat schon mit Bestimmtheit angegeben. dass der
Schneidezahn ein kappenförmiges Schmelzorgan mit gleichmäßiger
Ausbreitung an der vorderen und hinteren Fläche besitzt. Seine
Zeichnungen beweisen unzweifelhaft, dass der Schneidezahn hierin
nicht von der allgemeinen Regel abweicht.
Was nun die Zahnpapille betrifft, welche später die Dentinbil-
dung übernimmt und desshalb auch Dentinkeim genannt wird, so
zeigt sich ihre erste Anlage, wie oben erwähnt, als dunkler, glocken-
förmiger Hof um den Grund des Schmelzkeimes. Während nun ein
Theil, und zwar der mittlere dieser Anlage, papillenartig dem Schmelz-
keim entgegenwächst, wächst der äußere Rand der unten verbreiter-
ten Papille nach oben und umgiebt den Dentinkeim und das kuppel-
förmig sich über diesen ziehende Schmelzorgan mit einer Bindegewebs-
hülle, welehe das Zahnsäckchen nach außen abgrenzt. Nur zu
Anfang der Zahnbildung ist dieses Zahnsäckchen deutlich ausgeprägt ;
später, bei weiter vorgeschrittener Zahnanlage, lässt sich eine kap-
selartige Bindegewebslage um dieselbe nicht mehr deutlich abgrenzen.
Das Zahnsäckehen der Schneidezähne bewahrt auch weiterhin
seinen schräg nach hinten gerichteten Verlauf, der schon in der
ersten Anlage der Schmelzkappe erkennbar war. Es stellt einen
langen eylindrischen Schlauch dar, der gegen die Ventralseite kon-
vex gebogen ist, während seine konkave Krümmung aufwärts gegen
die Mundhöhle geöffnet ist. Da die äußere Bindegewebslage des
Säckchens das vordere Ende desselben nicht umgiebt, so bleibt es
‚hier durch einen schmalen Fortsatz, den Hals des Schmelzorgans,
mit dem Epithel der Mundhöhle in Verbindung. Während der Hals
des Schmelzorgans bei der Bildung der Backzähne etwas zur Seite
gedrängt und dünner wird, um beim Durchbruch zu Grunde zu gehen,
bleibt er bei den Schneidezähnen auch noch nach dem Durchbruch
derselben deutlich erhalten und vermittelt dann die Verbindung des
persistirenden Schmelzorgans mit dem Mundhöhlenepithel. Die unter-
halb des Halses liegende Spitze der Zahnanlage besitzt eine halb-
mondförmige Einbuchtung, welche wahrscheinlich = Anlage der
Krone bezw. der Kaufläche darstellt.
Das lange Zahnsäckchen liegt während früher Embryonalzeit
ausschließlich im Mesoderm der Unterkieferanlage auf der Jateralen
Seite des Unterkieferknorpels und ist nur durch ein schmales Binde-
'gewebsseptum vom Knorpel getrennt. Das Säckchen reicht im
30*
462 Friedrich Roetter
Unterkiefer etwa bis zum Winkel desselben, durchzieht also fast die
ganze Länge des Unterkiefers; im Oberkiefer hingegen ist es von
vorn herein bedeutend kürzer.
II. Die histologische Differenzirung der Zahnanlage.
Nachdem die Schmelzkappe die Papille allseitig umwachsen hat,
stellt sie eine ganz solide, eylinderförmige Hülle derselben dar,
welche aus mehrfachen Schichten ektodermaler Zellen besteht. Allein
bald treten neue Differenzirungen in dem Zellmaterial der Schmelz-
kappe auf und führen dahin, dass man deutlich drei verschiedene
Zellformen unterscheiden kann.
Die inneren an der mesodermalen Zahnpapille anstoßenden Zellen
verlängern sich zu schmalen, sechsseitigen Prismen und bilden von
nun ab das während des ganzen Lebens bestehenbleibende innere
Schmelzepithel. während die Elemente in der äußersten Schicht
der Schmelzkappe zu flachen Zellplättchen sich umgestalten, die als
äußeres Schmelzepithel bezeichnet werden. Zwischen äußerem
und innerem Schmelzepithel liegen als Füllmasse der soliden Schmelz-
haube mehrere Lagen von Zellen ohne besonders deutliche Schich-
tung, die ich kurzweg als Stützzellen bezeichnen will.
Das innere Schmelzepithel scheint in jüngeren Schmelzkappen
aus mehreren Lagen cylindrischer oder besser gesagt kegelförmig in
einander geschobener Zellen zu bestehen. Ich bin jedoch nicht ins
Klare gekommen, ob ein solches mikroskopisches Bild in Folge eines
schrägen Schnittes durch die gebogene Zahnanlage entsteht, oder ob
wirklich die Lage der Schmelzzellen im Anfang mehrschichtig ist.
Das äußere Epithel weist anfänglich Zellen von mehr oder we-
niger kubischer Form auf, deren Tendenz auf die Abplattung ge-
richtet ist. Je älter die Zahnanlage, desto platter erscheinen diese
Zellen.
Es ist bekannt, auch kann man dies auf Schnitten durch junge
Mausköpfe sehr leicht vergleichen, dass bei allen anderen Zähnen,
deren Schmelzoberfläche einmal in ihrer definitiven Größe angelegt
wird und sich nach dem Durchbruch des Zahnes nicht mehr ver-
srößern kann, die Stützzellen der Schmelzkappe eine Umformung
erleiden. Sie führt dahin, dass die epitheliale Ordnung derselben
vollkommen verloren geht und die Stützzellen selbst, durch Abschei-
dung von Flüssigkeit von einander getrennt, eine maschen- oder
wabenfirmige Anordnung erhalten. Von manchen Autoren wurde
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 463
dies Gebilde als Schmelzpulpa bezeichnet; im Allgemeinen hat man
diesen Process als gallertige Entartung des Schmelzorgans betrachtet
und das aus der Umwandlung entstehende Gewebe als eine besondere
Art, als Gallertgewebe aufgefasst. Es ist wahrscheinlich, dass die
besprochene Umwandlung der Schmelzstützzellen eine besondere phy-
siologische Bedeutung hat und vielleicht die sekretorische Thätigkeit
der eigentlichen Schmelzzellen unterstützt, indem sie denselben reich-
lich eiweißhaltige Flüssigkeit und Kalksalze zuführen. Wenn der
Zahn ausgebildet und dem Durchbruch nahe ist, verliert die Schmelz-
gallerte ihren Reichthum an Flüssigkeit und geht während des Durch-
bruches zu Grunde. Da die gallertige Entartung der Schmelzkappe
eine ganz allgemeine Erscheinung bei der Entwicklung der gewöhn-
lichen Schneide- und Backzähne ist, so wird dieser Process wahr-
scheinlich bei Bildung des Schmelzes eine sehr wichtige Rolle spielen.
In der Schmelzkappe der Schneidezahnanlage der Maus jedoch
tritt eine solche gallertige Umbildung nicht ein; der histologische
Differenzirungsprocess ist hier total verändert. Wohl lässt sich die
Ursache der Modifikation verständlich machen durch den Hinweis
auf die bedeutende Länge des Zahnsäckchens, die es ein für alle
Mal unmöglich macht, dass das ganze Schmelzorgan beim Durch-
bruch des Zahnes abgestreift werde. Denn da die Schmelzkappe in
der langen Kieferalveole. sicher geborgen ist, so ist sie den beim
Durehbruch des Zahnes erfolgenden mechanischen Störungen ganz
entzogen und kann zu einem dauerhaften Gewebe umgebildet wer-
den, das während des ganzen Lebens erhalten wird. Eine verglei-
chende Umschau in den Gewebsarten der Säugethiere lehrt ferner,
wie wenig ein stark mit Flüssigkeit infiltrirtes Gewebe, ähnlich dem
Gallertgewebe des Schmelzkeimes oder dem Gewebe des Nabel-
stranges den Bedingungen der Lebensprocesse im Säugethierkörper
entspricht. Aus diesen Gründen muss in dem persistirenden Schmelz-
organ der Nagezähne die Umbildung der Stützzellen in gallertiges
Wabenwerk unterbleiben.
Verfolgen wir nun näher die Differenzirung der Stützzellen in
einem Schneidezahnsäckchen, das fast die ganze Länge des Unter-
kiefers durchwachsen hat. An demselben ist ein merklicher Unter-
schied. in der Dicke der Schmelzkappe zu bemerken, da ihre dorsal
gebogene konkave Wand viel dünner geworden ist als die ventrale
konvexe Wandung. An der dorsalen Seite liegen zwischen äußerem
und innerem Schmelzepithel nur ein bis zwei Schichten von Stütz-
zellen, unten jedoch drei bis vier Lagen. Je älter die Schmelzkappe
464 Friedrich Roetter
wird, desto mehr verdünnt sich deren obere Wand, bis sie zu einer
einschichtigen Zelllage geworden, die nur schwer nachweisbar: ist.
Sie mag zunächst außer Acht bleiben, um nur die Differenzirungen
in der ventralen Wand der Schmelzkappe hervorzuheben. — Unter-
halb des inneren Schmelzepithels wird schon sehr frühe eine gute
epithelial geordnete Schicht von kubischen Zellen erkennbar, die
‘durch ihre stärkere Färbbarkeit ausgezeichnet sind. Fig. 5 illustrirt
diese Angabe.
Diese Schicht, welche ich kurzweg als kubisches Stütz-
epithel des Schmelzorgans bezeichnen will, bleibt definitiv er-
halten, so dass sie auch am bleibenden Schmelzorgan leicht nach-
zuweisen ist. Die Ausbildung des einschichtigen Stützepithels erfolgt
aber nicht bloß in der Schmelzkappe der Nagezähne, sondern es
lässt sich auch im Schmelzorgan der Backzähne bei der weißen
Maus eine entsprechende Zellschicht unterhalb der Schmelzzellen er-
kennen. Man hat dieselbe schon frühzeitig kennen gelernt und
Hannover! hat sie bereits als Stratum intermedium bezeichnet; seit-
dem wurde sie bei verschiedenen Säugethieren immer wieder be-
schrieben. Man darf sie desshalb als allgemein vorkommende Bil-
dung betrachten, die nur in der Stärke ihrer Entwicklung verschiedene
Modifikationen aufweist. Während nämlich in den Schmelzkappen
der Maus — mögen sie nun Back- oder Nagezahnanlagen überdecken
— stets nur ein einschichtiges Stratum intermedium vorhanden ist,
finden sich z. B. bei der Katze und beim Schaf mehrfache Zelllagen.
Aus dem allgemeinen Vorkommen darf man wohl eine wichtige
Funktion dieses Stützepithels ableiten. Zwischen demselben und
dem äußeren Schmelzepithel liegen immer noch mehrere Lagen von
Stiitzzellen. Eine Differenzirung in leicht erkennbare Schichten mit
epithelialer Ordnung tritt in jenen nicht ein, doch beherrscht jeden-
falls ein bestimmtes Gesetz die gegenseitige Lagerung in ihnen.
Obwohl ich darüber keine präcisen Angaben machen kann, muss ich
doch an dieser Anschauung festhalten, da, wie sich später zeigen
wird, bestimmt geformte Theile des Schmelzorgans aus den in Rede
stehenden Stützzellen hervorgehen. — Entsprechend der fortschrei-
tenden Entwicklung des Schneidezahnes, besonders seines Wachs-
thums in die Dicke, nimmt die Stärke der Stützzellenlage ab. Ihre
weitere Umbildung muss jedoch im Zusammenhange mit dem Schick-
sal des äußeren Schmelzepithels betrachtet werden.
1 HANNOVER, Die Entwicklung und der Bau des Säugethierzahnes. Nova
Acta Acad. Caes. Leop. Nat. Curios. 1856.
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 465
Schon oben habe ich die platte Form der Zellen im äußeren
Schmelzepithel hervorgehoben und bemerkt, dass jene sich an älteren
Schmelzkappen immer mehr abflachen. Unterdessen verändert sich
auch die Gestalt des gesammten äußeren Epithelblattes an der Ven-
tralseite. Während dasselbe in frühem Entwicklungsstadium als
glatte zellige Membran das cylinderférmige Schmelzorgan umhiillte,
erheben sich in späterer Zeit kleine Falten und Leisten (s. Taf. XVII
Fig. 3) auf derselben, welche: der Schmelzkappe bei oberflächlicher
Betrachtung ein gebuchtetes Aussehen verleihen. Ein Vergleich mit
den nebenliegenden Backzahnsäckchen lässt den gleichen Vorgang
auch an diesen erkennen. Dort ist besonders oberhalb der Krone
die äußere Epithelwand stark gefaltet und in ihre Faltenräume sieht
man mesodermales Gewebe eindringen (vgl. KÖLLIKER, Entwicklungs-
geschichte des Menschen und der höheren Thiere. 1879. pag. S16).
Man darf vielleicht in der Gestaltveränderung der äußersten Zelllage
des Schmelzkeimes einen histologischen Vorgang erblicken, der die
Grundlage für eine bessere Ernährung der Schmelzpulpa und da-
durch für eine raschere Funktion der Schmelzzellen selbst liefert.
Jedenfalls wird durch die Faltenbildung die Oberfläche der Schmelz-
kappe bedeutend vergrößert und einer reichlicheren Umspinnung der-
selben durch Blutgefäße Gewähr geleistet.
Unterhalb des gefalteten äußeren Schmelzepithels liegt die vor-
hin besprochene Lage der Stützzellen. Diese erhalten ebenfalls mehr
flache Formen und folgen dann in schmiegsamer Weise den Faltun-
gen der äußeren Epithelmembran, indem sie sich deren Falten und
Buchten anlegen. Der Faltungsprocess wirkt darum auch auf die
Ordnung der äußeren Stützzellen und ruft an ihnen eine leisten-
förmige Zusammenlagerung hervor.
Die Schmelzkappe dieses Entwicklungsstadiums besteht, um kurz
zu rekapituliren:
1) aus dem eylindrischen Schmelzepithel, das an der Zahnpapille
ansteht;
2) dem darunter liegenden einschichtigen kubischen Stiitzepithel ;
3) den in Leisten zusammengeschobenen äußeren Stützzellen;
4) der gefalteten äußeren Schmelzepithellage.
III. Die Ausbildung des persistirenden Schmelzorgans.
Die Schmelzkappe bildet um die mesodermale Zahnpapille einen
allseitig geschlossenen cylindrischen Mantel, der bis an den Grund
466 Friedrich Roetter
derselben reicht. Wenn der Zahn jedoch das mittlere Maß seiner
Größe erreicht hat, zeigen sich die Zellenlagen der Schmelzkappe,
welche dorsal die Zahnpapille bedecken, nicht so dicht zusammen-
gedrängt und nicht zu so bedeutender Größe entwickelt als die
Schmelzzellen auf der ventralen Seite, wo später das persistirende
Schmelzorgan sich befinde. Während sich ventralwärts das innere
Schmelzepithel zu langen Cylinderzellen differenzirt, unterbleibt dor-
sal der gleiche Sonderungsprocess; es mangelt von Anfang an den
auf der dorsalen Seite der Papille gelegenen Zellen die eylindrische
Gestalt, und die weitere Entwicklung in der dorsalen Wand der
Schmelzkappe führt zu einer weitschichtigeren Lagerung und Ver-
kleinerung der Zellen. Darum entsteht, sobald man ältere Zahn-
säckchen oberflächlich studirt, der Eindruck, als sei die ganze dor-
sale Hälfte der Schmelzkappe geschwunden, während die ventrale
Hälfte in hohlrinnenartiger Form bestehen geblieben sei, um in ihre
Funktion als lebenslänglicher Schmelzbildner einzutreten. v. Bruny
giebt an, dass sowohl an der hinteren wie an den Seitenflächen des
Schneidezahnes das Schmelzepithel, mit Ausnahme des am weitesten
nach hinten gelegenen Theiles, vom Bindegewebe durchwachsen
werde, welches vom Knochen bis zur oberflächlichen Schicht des
neugebildeten Dentins gehe und die Verbindung beider herstelle.
Er hebt diesen Durchwachsungsvorgang ganz besonders hervor, weil
eine einzige Analogie sich nur noch bei der Bildung des Corpus
luteum im Eierstock zwischen epithelialen Granulosazellen und dem
Bindegewebe des Follikels nachweisen lasse. Genauere Beobachtung
zeigt jedoch, dass eine solche Auffassung nicht festgehalten werden
kann. Da sich in der dorsalen Wand der Schmelzkappe die innerste
Lage nicht zu Cylinderzellen differenzirt, welche die Funktion der
Schmelzbildung übernehmen könnte, so erfolgt auch die übrige histo-
logische Umbildung in etwas anderer Weise als an der ventralen
Seite und führt schließlich zu einem morphologisch verschiedenen
Endresultat. Die Verschmälerung der dorsalen Schmelzkappe er-
folgt hauptsächlich dadurch, dass ihre Zellen immer platter werden
und so dünnere Zelllagen erzeugen. Es herrscht — ich möchte dies
besonders hervorheben — in der dorsalen Wand der Schmelzkappe
die gleiche Tendenz zur Abplattung, die oben schon an der ven-
tralen Wand der Kappe nachgewiesen wurde, und der einzige Unter-
schied im Verlauf des gleichen Processes an den beiden verschie-
denen Regionen ist nur der, dass in der unteren Wand zwei Zelllagen
unter seine Herrschaft gebracht werden, nämlich das äußere Schmelz-
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 467
epithel und die äußeren Stützzellen, während an der oberen Wand
der4ganze Zellbestand abgeflacht wird. Dadurch erfolgt auch eine
Änferung der Anordnung der Zellen, denn die früher dichter ge-
dıfingten eylindrischen Zellen werden in Folge der seitlichen Aus-
shnung, welche ihr Plasmaleib durch die Abplattung erfährt, weiter
us einander geschoben. Als Endresultat erscheint die Schmelz-
kappe an der Dorsalseite zu einer dünnen Hülle der bereits mit Den-
tin umlagerten Zahnpapille zusammengedrückt, während sie an der
ventralen Seite rinnenförmig verdiekt, das persistirende Schmelzorgan
darstellt. In gleichem Maße, wie sich nun auf der Oberfläche der
Papille durch die Thätigkeit der Odontoblasten Dentin ablagert, ver-
dünnt sich die dorsale Wand der Schmelzkappe, bis schließlich nur
noch eine einschichtige Lage platter Zellen an die frühere Gegen-
wart einer Schmelzkappe auf der dorsalen Seite erinnert.
Dieser Darstellung zufolge kann von einem Durchwachsen des
dorsalen Theiles durch Bindegewebe in der Weise, wie es v. BRUNN
annimmt, nicht die Rede sein. Ich möchte bemerken, dass der
exakte Nachweis der abgeplatteten dorsalen Schmelzkappe nicht
leicht gelingt, da ich selbst lange Zeit mich von deren dauernder
Erhaltung nicht überzeugen konnte, obwohl ich aus theoretischen
Gründen deren Anwesenheit auch am ausgebildeten Zahn längst for-
dern musste. Letztere sollen in einem späteren Kapitel über das
Wachsthum der Schneidezähne erörtert werden.
Auf Grund meiner Beobachtungen kann ich mit Entschiedenheit
die Behauptung vertreten, dass bei den dauernd wachsenden Zähnen
der Nagethiere die ganze Schmelzkappe während des Lebens er-
halten bleibt.
Es erübrigt nur noch den Bau des funktionirenden Schmelzorgans
zu beleuchten (s. Taf. XVII Fig. 4). Dasselbe liegt während des
ganzen Lebens der konvexen Wand des Schneidezahnes an und be-
sitzt den gleichen Aufbau aus vier Schichten, dem inneren Schmelz-
epithel, dem kubischen Stützepithel, den Stützzellen und dem äußeren
Schmelzepithel, welche sich bereits frühzeitig in der embryonalen
Schmelzkappe ausbildeten.
Das innere Schmelzepithel besteht aus einer einschichtigen Lage
von langgestreckten, prismatischen Zellen, deren Basis breiter ist als
die obere, den Schmelz abscheidende Fläche. Indem die Zellen mit
ihren Flächen dicht an einander liegen, gewinnt das ganze Schmelz-
epithel eine radiale Ordnung seiner Elemente, d. h. die Zellen
stehen alle konvergirend auf der Schmelzfläche des Schneidezahnes.
468 Friedrich Roetter
Der ovale Zellkern. liegt im unteren Drittel der Zelle nahe der
Basis. - HE
Durch genauere Untersuchungen ist die ältere Anschauung, dass
die Schmelzprismen direkt durch Umwandlung der ‚Schmelzzellen,
welche verkalken sollen, entstehen, direkt widerlegt. Es bedarf
kaum besonderer Erwähnung, dass im persistirenden Schmelzorgan
der Schneidezähne mit Leichtigkeit diese Beobachtung gemacht wer-
den kann. Denn auf wohlgelungenen Schnitten sieht man deutlich
je einer Schmelzzelle ein Schmelzprisma aufsitzen, das als Sekret
derselben entstanden sein muss. Und die Kontinuität der Schmelz-
zellenlage lässt sich durchs ganze Organ sicher nachweisen.
Unterhalb derselben liegt eine zweite epitheliale Lage von kubi-
schen Zellen, das kubische Stützepithel, auf welchem die Schmelz-
zellen direkt aufsitzen. Dasselbe dient wahrscheinlich der Ernährung
der Schmelzzellen, vielleicht auch als Mutterboden für die Zellen,
welche als Ersatz abgenutzter Schmelzzellen in die Schmelzzellenlage
eingefügt werden müssen. Dass das kubische Stützepithel eine ge-
wisse Rolle für die Funktion der Schmelzzellen habe, schließe ich
desshalb, weil dasselbe, wie oben erwähnt, auch als Grundlage der
Schmelzzellenschicht in der Schmelzkappe der Backzähne sich nach-
weisen lässt; auch seine Erhaltung während des ganzen Lebens
spricht für diese Auffassung.
Außer den eben besprochenen zwei Schichten waren in dem
embryonalen Schmelzorgane noch zwei andere deutlich zu. unter-
scheiden, aber in dem fertigen Organe gelingt die Trennung der-
selben nicht mehr; ich muss darum die Stützzellen und das äußere
Schmelzepithel im Zusammenhang betrachten und ich werde der Ein-
fachheit halber ihre Masse als Lage der Stützzellen bezeichnen.
Während der Differenzirung der Schmelzkappe konnte man
gleichzeitig zwei verschiedene Processe der histologischen Umbildung
unterscheiden: die inneren an die Papille stoßenden Zellen blieben
in zwei epitheliale Lagen geordnet, hingegen die peripher gelegenen
Zellen unter Abflachung ihres Zellleibes die Ordnung verloren und
einer Gruppirung zu Leisten oder Falten unterthan wurden. Durch
die Abplattung der Zellen muss natürlich die äußere Wand der
Schmelzglocke ganz bedeutend dünner erscheinen. Dies springt be-
sonders in die Augen, wenn man die enorme Länge der Schmelz-
zellen und auch die ansehnliche Größe der Zellen des kubischen
Stützepithels vergleicht. Allein dieser Zustand ist kein bleibender,
die zeitweilig abgeplatteten Zellen nehmen wiederum an Volumen zu
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 469
und zeigen dann im persistirenden Schmelzorgan volle kubische Ge-
stalt. Dadurch sind die Unregelmäßigkeiten der äußeren Oberfläche
der Schmelzglocke, die im mittleren Stadium ihrer Entwicklung eine
nicht sehr bedeutende Höhe erreichten, viel auffallender geworden
und man darf beim ausgebildeten Schmelzorgan wirklich von »Stütz-
leisten« sprechen, die der Unterseite der Stützepithelzellen aufsitzen
und in das Bindegewebe der Alveolenhöhle eintauchen. Diese Stütz-
leisten sind (vgl. Fig. 4) ungefähr 3—5 Zellen hoch, 2—3 Zellen
breit. Ihr Verlauf ist unregelmäßig gekrümmt und ihre gegenseitige
Entfernung scheint durch keine strenge Regel bestimmt zu sein.
Auf dem Querschnitte treten sie als ungleich geformte Zapfen ent-
gegen, deren mannigfaltige Form auf den unregelmäßigen Verlauf
der Leisten zurückschließen lässt. In die Zwischenräume zwischen
den Leisten greift Bindegewebe ein nebst unzähligen feinen Blut-
kapillaren. Man kann desshalb in der stärkeren Ausbildung der
frühzeitig angedeuteten äußeren Falten der Schmelzkappe die bessere
Entwicklung einer Einrichtung erblicken, die für die Ernährung des
Schmelzorgans von hoher Bedeutung ist.
Die oben geschilderte histologische Struktur des persistirenden
Sehmelzorgans lässt sich nicht durch dessen ganze Länge verfolgen;
sowohl an seinem vorderen wie am hinteren Ende findet sich ein
etwas modifieirter Bau. Am Vorderende geht das Schmelzorgan
in die Schleimhaut der Mundhöhle über, deren abgeplattetes Epithel
eine ansehnliche Strecke in die Alveole selbst hereingreift. Eine
scharfe Grenze zwischen den beiden Epithellagen lässt sich nicht
erkennen, vielmehr geht das Schmelzorgan unter Verkürzung der
Schmelzzellen und Abnahme seines Dickendurchmessers ganz all-
mählich in das geschichtete Plattenepithel über. Die Zone, an der
alle histologischen Bestandtheile des Schmelzorgans deutlich ausge-
bildet sind, liegt tief in der Alveolenhéhle. Hart am Grunde der
Papille verliert das Schmelzorgan seine typische Gliederung, da seine
Zellen in einer an die frühere embryonale Anlage erinnernden Stel-
lung verharren und der Umschlagsrand der Schmelzkappe auch bei
alten Thieren erhalten bleibt. Letzterer umgreift als allseitig ge-
schlossener Ring die Papille sowohl an der ventralen wie dorsalen
Hälfte, ist jedoch an der Dorsalseite schwächer entwickelt als ven-
tral. Von demselben geht wahrscheinlich im späteren Leben des
Thieres die Vergrößerung des Zahnsäckchens aus, die mit dem
Wachsthum der Kiefer nothwendig wird.
470 Friedrich Roetter
IV. Das Dentin und Alveolarperiost.
In den vorhergehenden Abschnitten bin ich auf die Ausbildung
des Dentins, welches ja die größte Masse des Schneidezahnes aus-
macht, nicht näher eingegangen, da ich hier keine bemerkenswerthen
Verhältnisse fand, sondern nur Vorgänge, die dem längst bekannten
Process der Zahnbeinbildung vollkommen analog sind.
Erst nachdem die Papille eine größere Länge erreicht hat, diffe-
renziren sich ihre Randzellen zu längeren, cylindrischen Formen,
welche wie eine epitheliale Lage das unterliegende Blutgefäße und
Nerven führende Bindegewebe umhüllen. Dann beginnt die Ab-
lagerung von Kalk und so ist der Anstoß zur Ausbildung der Den-
tinröhrchen gegeben.
Der zuerst verknöchernde Theil wird wohl immer die Spitze
des Zahnes sein, weil dieselbe am ersten mit der Außenwelt in
Berührung tritt. Während sich nun die Dentinbildung von hier aus
peripherisch nach hinten erstreckt, greift sie am Vorderende der Pa-
pille bis zur Achse und macht die Zahnspitze solid.
Das Zahnsiickchen umgeben schon in früher Zeit die verästelten
Mesodermzellen der Unterkieferanlage in dicht gedrängter Stellung,
Jedoch ohne dass ein bestimmtes Gesetz der Ordnung zu walten
scheint. Später entfernen sich die Mesodermzellen weiter von ein-
ander und in den größeren Maschen liegen nun zahlreiche Blutge-
fäße. Die Bindegewebszüge verlaufen nicht peripher um das Zahn-
säckchen, sondern sind parallel der Längsachse desselben gerichtet.
Sie stehen an seiner dorsalen Fläche auffallend dichter als an der
ventralen: dieses Verhalten wird während des ganzen Lebens ge-
wahrt. Von den beiden seitlichen und der dorsalen Fläche des
Schneidezahnes bezw. von der hier persistirenden platten Zellmem-
bran der Schmelzkappe ziehen die Periostfasern straff gespannt und
dieht gedrängt in schräger Richtung zur knöchernen Wand der Al-
veole. Unterhalb des bleibenden Schmelzorgans jedoch werden die
Bindegewebsfasern von keiner bestimmten Ordnung beherrscht, son-
dern verwirren sich zu einem wabenartigen Geflechte mit großen
Maschenräumen, in welche theils die Stützleisten des Schmelzorgans,
theils unzählige kleine Blutgefäße sich einbetten. So liegt das
Schmelzorgan auf einem weichen, nachgiebigen Polster, dessen Ela-
stieität je nach dem Grade der Blutfüllung wechseln kann.
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 471
V. Allgemeine Betrachtungen über das Wachsthum
der Nagezähne.
Für das fortwährende Wachsthum der Schneidezähne sind bis-
her mehrfache Einriehtungen bekannt geworden, die sich klar bereits
in der histologischen Struktur der Zahnanlage aussprechen, nämlich
eine offene Wurzel, ein persistirendes Schmelzorgan, die bis nahe
an die Krone reichende Zahnpapille und im Grunde der Zahnpapille
der ringförmige Umschlagsrand der Schmelzkappe, die straffen Peri-
ostfaserlagen an der oberen Seite des Zahnes und das weiche Binde-
gewebspolster unter dem Schmelzorgan. Auf Grund der Kenntnis
dieser anatomischen Einrichtungen glaubte man die ungeschwächte
Regenerationsfähigkeit der Zähne verständlich machen zu können:
allein es soll hier ausdrücklich bemerkt werden, dass damit noch
lange nicht das volle Verständnis der am Zahn stattfindenden, leben-
digen Wachsthumsvorgänge errungen ist. Denn es ist noch nicht
nachgewiesen, an welchen Punkten innerhalb der Alveole die Pro-
cesse verlaufen, durch welehe neue Theile dem vorschiebenden Zahn
angefügt werden. Nach dem anatomischen Befunde kann man wohl
vermuthen, dass die Schmelzzellen des Schmelzorgans nahe dem
Umschlagsrande eine mehr erhöhte Thätigkeit äußern, als ihre dem
Alveolenrande benachbarten Genossinnen, dass also die Schmelzdecke
des Nagezahnes nahe seiner Wurzel gebildet werde. Diesen Schluss
leite ich aus der hocheylindrischen Form der Schmelzzellen am Grunde
des Schmelzorgans ab. Hingegen müssen die Odontoblasten sowohl
am Wurzelende wie auf der Spitze der Papille mit besonderer Energie
begabt sein; denn um das Vorrücken des Schneidezahnes innerhalb
der Alveole zu verstehen, muss man eine durchgreifende Verknöche-
rung der Papille unterhalb der Schneide und die Anfügung neuer
Odontoblasten am Grunde der Zahnpapille annehmen. Ferner muss
man die straffen Periostfaserlagen an der dorsalen und ventralen
Seite des Zahnsäckchens und die gebogene Form des Zahnes selbst
berücksichtigen. Es bedarf darum noch viel eingehenderer Unter-
suchungen, um das Problem des fortwährenden Wachsthums der
Schneidezähne einer vollständigen Lösung zuzuführen. Ich will zum
Schluss noch verschiedene Punkte hervorheben, welche hierbei eine
größere Beachtung verdienen.
v. Brunn ist der Ansicht, dass die Schmelzkappe nur die Ma-
trize für die Form des Zahnes darstelle und leicht zu Grunde gehen
472 Friedrich Roetter
könne, wenn sich die Odontoblasten auf der Zahnpapille zurecht
gelegt haben. Er giebt an, dass von der Schmelzkappe eine Ver-
längerung, die er mit Hertwic »Epithelscheide der Zahnwurzel«
nennt, in die Tiefe wachse und das Bindegewebe der Pulpa umhülle.
Da sich dann erst in der letzteren die Odontoblasten differenziren,
so bestimme die Epithelscheide die Form der Wurzel. Die Epithel-
scheide wird nach seiner Angabe später vom Bindegewebe durch-
wachsen, so dass der tiefste Theil derselben seinen Zusammenhang
mit dem Schmelzepithel der Krone einbüßt und sich ohne Grenze in
das neugebildete Alveolodentalperiost verliert. Unterdessen ist das
Wachsthum der Epithelscheide in das Gewebe des Kiefers weiter-
gegangen, bis sie die eigentliche Wurzelspitze erreicht hat. Nun
ist die Form der Zahnwurzel fertig gebildet und die Epithelscheide
schwindet gänzlich. Diesen Vorgang hat v. Brunn nicht nur bei
der Ratte, sondern auch bei Hund, Katze und Kalb beobachtet. Er
glaubt in demselben eine verbreitete Erscheinung gefunden zu haben
und schließt daraus auf ein gleiches Verhalten der Schmelzkappe
an den Schneidezähnen der Ratte zurück. Ich habe bereits in der
vorhergehenden Darstellung darauf hingewiesen, dass ich der von
v. Brunn geäußerten Meinung nicht beistimmen kann und ich will
jetzt zeigen, dass die Annahme von der Persistenz der ganzen
Schmelzkappe unbedingt nothwendig ist, um das dauernde Wachs-
thum der Schneidezähne zu verstehen.
Zunächst wird wohl ohne Widerspruch zugegeben, dass man
für die Formgestaltung des Zahnes nicht einseitig die ektodermale
Schmelzkappe verantwortlich machen kann; denn die Dentinbildung
an der Zahnpapille ist doch auch von großer Wichtigkeit für den Bau
des Zahnes und für die Behauptung, dass die Ordnung der Odonto-
blasten zu einem epithelähnlichen Lager durch den Einfluss der
Schmelzkappe geschehe, liegt kein zwingender Grund vor. Auch
erfolgt die Dentinbildung an der dorsalen Hälfte des Schneidezahnes,
nachdem die Schmelzkappe sich hier längst zu einer flachen Mem-
bran abgeplattet hat. Es scheint mir darum kein Grund vorhanden,
der Zahnpapille nicht eine eben so wichtige Rolle bei der Zahnent-
wicklung zuzusprechen, wie sie dem Schmelzorgan zugestanden wird
und man wird der Wahrheit wohl näher kommen, wenn man beide
Theile der primitiven Zahnanlage von gleicher Bedeutung für die
Ausbildung des fertigen Zahnes erachtet. |
Indem ich mich jetzt zur Besprechung der Frage wende, welche
Wichtigkeit die Erhaltung der ganzen Schmelzglocke während: des
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 473
Lebens für das Wachsthum der Schneidezähne besitze, will ich nur
kurz an bekannte Thatsachen erinnern. — Bekannt ist!, dass der
Schneidezahn der Nagethiere stets so stark nachwächst, als er vorn
an der Krone abgenutzt wird. Wird nun die Abnutzung durch Ent-
fernung des gegenständigen Zahnes unterbrochen, so wächst der
eine Zahn ungehindert ins Unbestimmte fort und ragt dann in un-
seheurer Bogenkrümmung aus dem Maule hervor, ein schöner Be-
weis für die wundervolle Correlation der im Ober- und Unterkiefer
einander entgegenstehenden Nagezähne. Der Schneidezahn wächst
also fortwährend mit einer bedeutenden Energie, die nur durch die
stetige Abschleifung von Schmelz und Dentin an der Zahnspitze dem
Beobachter unter normalen Verhältnissen nicht so stark in die Augen
fällt und ihn erst, nachdem die Möglichkeit der Abnutzung durch
den Bruch eines Gegners verschwunden ist, durch ihre Größe in
Erstaunen setzt. Daraus erhellt, wie ungestört sich der Nagezahn
innerhalb der Alveole und auf dem Schmelzorgan verschieben kann.
Mit dieser Thatsache ist aber die Vorstellung unvereinbar, dass
der Schneidezahn an seinen nicht mit Schmelz bedeckten Flächen
direkt mit dem Periost verwachsen sei. Denn dann müsste der nach
vorwärts gerichteten Bewegung des Zahnes, welche wohl hauptsäch-
lich durch die Verknöcherung der Odontoblasten an der Spitze und
Proliferation neuer Dentinzellen am Grunde der Papille bewirkt wird,
ein kräftiger Widerstand von Seiten der Periostfasern entgegenge-
setzt werden, der entweder zu einem Stillstand des Wachsthums
oder zu einer Zerreißung der Periostfaserschichten führen müsste.
Beide Möglichkeiten lassen sich jedoch in Wirklichkeit nicht beob-
achten. Desshalb scheint mir die Darstellung, die v. Bruny über
die Befestigung des Zahnes innerhalb der Alveole gegeben hat, nicht
annehmbar. Der dorsale Theil der Schmelzkappe muss, wenn auch
in modifieirter Form, erhalten bleiben, damit sich an demselben die
Periostfasern inseriren und der Schneidezahn innerhalb der Schmelz-
kappe langsam vorgeschoben werden kann. Desshalb steckt er in
einer, nur am vorderen und hinteren Ende offenen Röhre, d. h. der
modifieirten Schmelzkappe, die an der dorsalen und lateralen Fläche
1 Vgl. A. FRIEDLOWSKY, Über Missbildungen von Säugethierzähnen.
Sitzungsber. der k. Akad. der Wissensch. Bd. LIX. 1. Abth. Märzheft 1869.
CLAAS MULDER, Over het Buitengewoon Uitgroeijen van de Snijtanden
bij verschillende Knaagdieren. Versl. en Meded. kon. Akad. v. Wetensch. XVI.
Amsterdam 1863.
474 Friedrich Roetter
durch Periostfasern mit der Knochenwand der Alveole fest verbunden
und frei in deren Hohle aufgehangen ist.
Die untere Seite des Zahnsäckchens ist nur von einem weit-
maschigen Bindegewebe umlagert, das als weiches Polster fiir das
persistirende Schmelzorgan dient, dorsal und lateral setzen sich die
Periostfasern an. Die Befestigung des Nagezahnes in der Alveole
ist also eine sehr lockere und scheint Verschiebungen des Zahnes
und dadurch Druckwirkungen nicht zu hindern; allein die Gefahr
wird abgehalten durch die starke Krümmung des Zahnes, deren Be-
deutung immer wieder hervorgehoben werden muss. Nach GIEBEL's!
Untersuchungen besitzt der obere Schneidezahn eine Krümmung,
welche dem größeren Abschnitt eines kleineren Kreises, und der
untere Zahn eine Beugung, die dem kleineren Abschnitt eines größe-
ren Kreises entspricht. Krause? hat, wahrscheinlich gestützt auf
die Untersuchungen von RYMER JONES?, diese Angabe dahin prä-
cisirt, dass die Nagezähne in Wahrheit das Stück einer Spirale dar-
stellen, die erst beim Auswachsen der Zähne unter pathologischen
Verhältnissen besonders deutlich zu Tage trete. In der spiraligen
Krümmung wie in der Länge des Nagezahnes sind nun mechanische
Momente gegeben, welche es verhindern, dass durch die Thätigkeit
der Zähne Druckwirkungen innerhalb der Alveole auf einzelne Be-
zirke des Schmelzorgans in störender Weise sich geltend machen.
Beide garantiren also die ruhige Lage und das ungestörte Wachs-
thum der Zähne und lassen auch die scheinbar lockere Befestigung
derselben verständlich werden.
Wie ich schon oben bemerkte, ist die Form der Nagezähne auch
davon abhängig, dass sie stets auf einander treffen. Sobald durch
den Verlust eines Schneidezahnes dies unmöglich wird, schleift sich
das freie Ende des gegenüberstehenden Zahnes zu einer Spitze ab
und wächst in rückwärts gerichteter Beugung aus dem Kiefer her-
aus. Da nun die Schneidezähne eine schräg nach hinten gerichtete
Kaufläche besitzen, die sich stetig abschleift, so kann diese Form
des Vorderendes nur gewahrt werden, wenn die unteren Schneide-
zähne alternirend entweder vor oder hinter den oberen eingreifen.
Diese Variation der Bewegung ist durch die Gestalt der Gelenkfläche
bezw. des Gelenkkopfes des Unterkiefergelenkes ermöglicht.
1 GIEBEL, Beiträge zur Osteologie der Nagethiere. Berlin 1857.
2 W. Krause, Anatomie des Kaninchens. Leipzig 1868. pag. 146—147.
3 RYMER Jones, Topp’s Cyclopaedia of anat. and physiol. 1852. vol. IV.
pag. 385 (war mir leider nicht zugänglich).
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 475
Aus dieser Zusammenstellung wird wohl klar geworden sein,
dass das Problem, welche Momente bedingen das andauernde nor-
male Wachsthum und die Form der Nagezähne, noch weit von seiner
Lösung entfernt ist.
VI. Über den morphologischen Werth der Nagezähne.
Die vorhergehenden Untersuchungen haben gelehrt, dass der
Schneidezahn in seiner Entwicklungsgeschichte nicht die gleiche
Sonderstellung einnimmt, wie sie ihm nach seinem anatomischen
Bau zugewiesen werden muss. Er theilt mit den Anlagen der Back-
zähne den schräg nach hinten gerichteten Verlauf der Schmelzkappe;
in dieser differenziren sich eben so wie bei den Backzähnen der
weißen Maus und den Zähnen anderer Säugethiere inneres und äuße-
res Schmelzepithel und das Stützepithel oder Stratum intermedium.
Während das letztere bei anderen Säugethieren mehrfache Zelllagen
besitzt — bei der Katze zähle ich mit Sicherheit drei Schichten —
findet sich bei dieser Maus nur eine einfache Lage. Die übrige
Masse der Stützzellen unterliegt jedoch bei den Nagezähnen nicht
der bei anderen Zähnen gewöhnlichen Umbildung in ein waben-
artiges Gallertgewebe, sondern wird — und das ist der hauptsäch-
lichste Unterschied — in der ursprünglichen Schichtung erhalten.
Die Schmelzkappe der Nagezähne, die nach der äußeren Form
von anderen Zahnanlagen sich wesentlich unterscheidet, bleibt also
in einer nur wenig veränderten, an frühe embryonale Ver-
hältnisse anknüpfenden, histologischen Struktur während
des ganzen Lebens erhalten.
Erhellt nun durch die Entwicklungsgeschichte, dass mehrfache
Analogien zwischen Back- und Schneidezähnen im Gebiss der Nage-
thiere bestehen, so muss man genauer zusehen, ob nicht noch eine
tiefer gehende Verwandtschaft zwischen den beiden Zahnarten sich
nachweisen lasse. Dabei wird es nützlich sein, an dieser Stelle
daran zu erinnern, dass bereits seit langer Zeit bei etlichen Familien
der Rodentia Backzähne bekannt sind, die keine Wurzel bilden und
eine weit geöffnete Pulpahöhle besitzen. Das sind die Nager mit
Blätterzähnen, von denen ich nur die Familie der Hasen, Meer-
schweinchen und Wiihlmiiuse anführen will. Es finden sich in der
Litteratur zerstreut Angaben, dass diesen Blätterzähnen die Fähig-
keit zukomme, durch länger dauerndes Wachsthum die abgemahlenen
Theile der oberen Kaufläche wieder zu ersetzen; allein ein genauerer
Morpholog. Jahrbuch. 15. 31
476 Friedrich Roetter
Nachweis wurde für die Behauptung nicht erbracht, welche aus dem
anatomischen Befunde einer offenen Wurzelhöhle allein abgeleitet
wurde. Eben so ward bereits mehrmals betont, dass Backzähne mit
geschlossenen Wurzeln diesen Ausbildungszustand erst in einem re-
lativ späten Lebensalter erreichen, also längere Zeit nach der Ge-
burt zu wachsen vermögen.
Es entsteht nun die Frage, ob die oben angeführten Ansichten
älterer Forscher, wie es bei der Exaktheit ihrer Untersuchung zu
erwarten ist, sich mit den modernen Hilfsmitteln bestätigen lassen,
und wir werden das Ergebnis der Untersuchung als bekräftigend be-
trachten, sobald der Nachweis gelungen ist, dass bei den wurzel-
losen Backzähnen der Nagethiere ein persistirendes Schmelzorgan
vorhanden ist; denn nach der vorhergehenden Darstellung kann man
sich nur unter dieser Voraussetzung ein länger dauerndes Wachs-
thum der Backzähne denken.
Solche Überlegungen veranlassten mich, dem Bau der Baekzähne
eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und schon die ersten
Querschnitte ergaben ein Resultat, welches überzeugend für die
Richtigkeit des Gedankenganges sprach. Die Backzähne von Arvi-
cola amphibius Desm., der Schermaus und vom Lemming, Myodes
lemmus Pall., besitzen wirklich innerhalb ihrer Alveolen ein persi-
stirendes Schmelzorgan, das den mit Schmelz bedeckten Seitenflächen
der Backzähne innig anliegt. Bekanntlich bestehen die Backzähne
der Wiihlmiiuse (Arvicolidae) aus ziekzackförmig gebogenen Schmelz-
lamellen, oder besser gesagt, die Backzihne sind aus mehreren drei-
seitigen, mit Schmelz bedeckten Prismen zusammengesetzt. An letz-
teren liegt eben so wie bei den Schneideziihnen ein wohlausgebildetes
Schmelzorgan, das einen gleichen histologischen Aufbau erkennen
lässt: lange eylindrische Schmelzzellen, das unterliegende Stiitz-
epithel und die unregelmäßig verlaufenden Stützleisten. Nur das
unterhalb des ganzen Schmelzorgans liegende, weitmaschige Binde-
gewebspolster ist bei den Backzähnen wenig entwickelt. Ferner
wird niemals der ganze Backzahn von einem allseitig geschlossenen
Schmelzorgan umhüllt, sondern nur enger begrenzte Theile seiner
Seitenflächen. Auch diese Thatsache entspricht vollständig den am
Nagezahn bestehenden Verhältnissen; hier wie dort verliert an genau
bestimmbaren Flächen das Schmelzepithel seine Funktion als Schmelz-
bildner und dient als dünne Membran abgeplatteter Zellen einzig der
Insertion der Periostfasern. Am Grunde der Alveole ist eben so
deutlich der Umschlagsrand der Schmelzkappe erhalten geblieben.
Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 477
Durch diesen Nachweis scheint sich eine bedeutsame Homologie
zwischen den Schneide- und Backzähnen der Nagethiere zu ergeben.
Denn da bei gewissen Arten nicht nur die Schneidezähne, sondern
auch alle Backzähne mit der Fähigkeit ausgestattet sind, die abge-
nutzten Theile ununterbrochen zu ersetzen, so liegt die Annahme
nahe, dass die Nagezähne im Allgemeinen nicht die ihnen früher
eingeräumte Sonderstellung verdienen. Sie würden so nur als be-
sonders stark entwickelte Glieder eines ursprünglichen Gebisses er-
scheinen, dessen sämmtliche Zähne sich fortwährend regeneriren
konnten.
Ich muss mir jedoch die Erörterung dieses Gedankenganges ver-
sagen, weil meine Untersuchungen sich nicht auf genügend viele
Arten erstrecken konnten. Andere Ursachen, die in meiner beruf-
lichen Stellung begründet sind, zwangen mich, die mir lieb gewor-
dene Arbeit früher aufzugeben, als es meiner Neigung entsprach.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XVII.
Fig. 1. Längsschnitt durch die Anlage des Schneidezahnes von Mus musculus
(Unterkiefer). Vergr. 37/,; a Schmelzkappe, 5 Zahnpapille, v Epithel-
leiste des Vestibulum oris, % knorpelige Anlage des Unterkiefers.
Fig. 2. Längsschnitt durch die Anlage eines Backzahnes von Mus musculus
(Unterkiefer). Vergr. 37/,; a Schmelzkappe, 5 Zahnpapille, % knor-
pelige Anlage des Unterkiefers, o verknöcherndes Gewebe des Unter-
kiefers.
Fig. 3. Längsschnitt durch die Wand einer Schmelzkappe des Schneidezahnes
von Mus. musculus. Die Lage der Schmelzzellen ist nicht gezeichnet,
nur die Stützzellen und das äußere Schmelzepithel, welches durch
Faltung die Stützleisten entstehen lässt. Vergr. 10/;.
Fig. 4. Querschnitt durch das persistirende Schmelzorgan des Schneidezahnes
von Mus musculus (Oberkiefer). Vergr. °83/,; s Schmelzzellen, st Lage
des kubischen Stiitzepithels, 7 Stützleisten, 6 Bindegewebe mit vielen
Blutgefäßen.
Fig. 5. Längsschnitt durch den’ Umschlagsrand einer Schmelzkappe des
Schneidezahnes von Mus musculus. Vergr. 150%/,; 5, Bindegewebe der
Papille, 5 Bindegewebe des Zahnsiickchens, U Umschlagsrand der
Schmelzkappe, st Stützepithel, das sich eben differenzirt, s Lage der
Schmelzzellen.
Bemerkungen über den Carpus der Proboseidier
und der Ungulaten im Allgemeinen.
Von
G. Baur.
Mit 1 Figur in Holzschnitt.
Herr K. Ant. WEITHOFER! hat über den Carpus der Probosci-
dier einige wichtige Bemerkungen gemacht. Schon vor vier Jahren
bin ich zu ganz ähnlichen Resultaten gekommen, als ich die Extre-
mitäten der Ungulaten bearbeitete; meine Resultate sind aber bisher
nicht publieirt worden. Nur über das Centrale habe ich eine kurze
Notiz gegeben; ich vermuthete, dass man es bei Embryonen von
Elephas, Tapir, Rhinoceros und Hippopotamus noch antreffen werde.
Diese Vermuthung ist z. Th. bestätigt worden. Als ich im Mai
letzten Jahres Straßburg besuchte, zeigte mir Herr Dr. DÖDERLEIN
eine vordere Extremität eines jungen Elephas indicus, bei wel-
chem das Seaphoideum ganz deutlich aus zwei knöchernen Elementen
bestand, die suturös mit einander verbunden waren. Diese reprä-
sentirten Radiale und Centrale. Das Centrale ist also beim jungen
Elefanten ein isolirtes Element is. Figur?).
1K. A. WEITHOFER, Einige Bemerkungen über den Carpus der Pro-
boscidier. Morph. Jahrb. 1888. pag. 507—516.
2 Morph. Jahrb. Bd. X. 1885. pag. 456.
3 Die hier dargestellte Figur giebt die Umrisse einer Zeichnung, welche
Herr Dr. D6pERLEIN auf Herrn Baur’s Veranlassung zur Benutzung in vor-
stehender Mittheilung an den Herausgeber der Jahrbücher eingesendet hat. Der
begleitende Brief sagt, dass das Centrale der Proboseidier »bei jungen Thieren
als besondere Verknöcherung auftritt im distalen Theile desselben einerseits,
von welchem auch das Scaphoideum entsteht. Später ist das Centrale nicht
mehr wahrnehmbar, da es vollständig mit dem Scaphoideum verwächst. Das
VerlagvWih.Engelmann in Leipzig,
LshAnstvEAFunkeLepzig
Bemerk. über den Carpus der Proboseidier u. der Ungulaten im Allgem. 479
Später konnte ich an einer Serie jugendlicher Elefanten in
Brüssell verfolgen, wie sich dieses Centrale weiter entwickelt. Es
verschmilzt vollkommen mit dem »Scaphoideum «.
Ich verdanke die Erlaubnis der Untersuchung dieser Befunde
der Liebenswürdigkeit des Herrn L. Dotto. Bei dem jüngeren
Exemplar ist die Sutur zwischen Centrale und Radiale noch ganz
deutlich sichtbar. Bei dem älteren Exemplar ist die Sutur ver-
schwunden, aber das Centrale ist dennoch leicht zu bestimmen.
In Amsterdam hatte Herr Prof. M. WEBER die große Freund-
lichkeit, mich den Carpus eines Fötus von Hippopotamus untersuchen
zu lassen. Ich habe vergessen, die Maße zu nehmen; so viel ich
mich erinnere, war der Fötus von der Größe eines neugeborenen
Schafes. Hier fand ich kein freies Centrale, das ganze Scaphoideum
bestand noch aus Knorpel und derselbe ließ nicht erkennen, dass er
zwei Elemente enthielt. Ob bei jüngeren Embryonen von Hippo-
potamus ein Centrale nachweisbar ist, weiß ich nicht; ich möchte
es aber bezweifeln, denn schon bei den Phenacodontidae, den
ältesten Ungulaten, ist keine Spur desselben mehr zu finden. Es
ist schon lange im Scaphoideum aufgegangen, dessen vorderen und
inneren (radialwärts gelegenen) Fortsatz es darstellt.
im hiesigen (Straßburger) Museum befindliche Original zu der Zeichung ist von
Herrn Dr. PFITzwER bereits demonstrirt und beschrieben worden (Tageblatt
der 60. Vers. d. Naturf. und Ärzte zu Wiesbaden. 1887. pag. 251). Außer-
dem stelle ich auf den Wunsch von Herrn Dr. Baur fest, dass bei diesem
Exemplar das Intermedium (Lunare) mit dem Carpale 2 (Trapezoid) keine
Berührungsfläche besitzt und dass das Intermedium eben so wie das Ulnare
(Pyramidale) nur eine einzige distale Gelenkfläche zeigt für das Carpale 3
(Magnum) bez. für das Carpale 4 (Unciforme'«.
480 G. Baur
Herr PritzNeR! hat in der 60. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte in Wiesbaden (21. September 1887) das Centrale
beim jungen Elefanten demonstrirt; außer dem Exemplar, das mir
Herr Dr. DÖDERLEIN gezeigt hatte, legte er den Carpus eines etwas
größeren afrikanischen Elefanten vor, der dasselbe zeigte.
Unter allen Ungulaten war das Centrale bis dahin nur bei Hyrax
aufgefunden worden; die Entdeckung desselben bei Elephas durch
Dr. DÖDERLEIN ist von sehr großer Bedeutung für die Genealogie
dieser Gruppe.
Da das Scaphoideum des erwachsenen Elefanten ganz ähnliche
Verhältnisse zeigt wie bei den Amblypoda, so muss auch bei diesen
dasselbe aus den beiden Elementen »Radiale« und »Centrale« bestehen,
und so bei allen übrigen Ungulaten von den Phenacodontidae auf-
wärts. Dass das Centrale schon seit sehr alter Zeit im Scaphoideum
aufgegangen sein muss, beweist das Scaphoideum vom Schwein,
welches auch bei den jüngsten Embryonen, wo Knorpel eben zur
Entwicklung kommt, nur aus einem einzigen Stück besteht.
Vom Centrale hat WEITHOFER nicht gesprochen, ich komme nun
auf seine Auseinandersetzungen zurück.
Er giebt an, dass bei Mastodon Arvernensis, Elephas me-
ridionalis, E. antiquus, E. africanus das Lunatum (Inter-
medium) zum Theil auch mit dem Trapezoid (Carpale 2) artikulire ;
dasselbe kann ich für Mastodon giganteus? und Mastodon Humboldtii*
behaupten.
Beim jungen E. africanus findet WEITHOFER diese Artikulation
noch stärker entwickelt wie beim erwachsenen, auch hierin kann ich
demselben vollkommen beistimmen. Bei E. Indicus greift das Lu-
natum nur ganz wenig auf das Trapezoid über. Junge Thiere dieser
Species konnte WEITHOFER nicht untersuchen, und auch mir fehlt
das Material dies zu thun. Wie diese Verhältnisse bei dem jungen
Thier in Straßburg sich verhalten, ergiebt sich aus der obigen Mit-
theilung des Herrn Dr. DÖDERLEIN.
WEITHOFER betrachtet den Carpus von E. Indicus als sekundär
taxeopod; er nimmt also an, dass die Ahnen von E. Indicus ähn-
1 PFITZNER: in Anat. Anzeiger. II. Jahrg. 25. Nov. 1887. Nr. 25.
2 JoHN C. WARREN, Description of a skeleton of the Mastodon giganteus.
Boston 1852. Plate XI.
3 G. BURMEISTER, Annales del Museo Publico de Buenos Aires. Entrega
cuarta. Buenos Ayres 1867. Pl. XIV fig. 5.
Pe:
Bemerk. über den Carpus der Proboseidier u. der Ungulaten im Allgem. 481
liche Verhältnisse zeigten wie die übrigen Proboscidier, dass das
Intermedium das Carpale 2 zum Theil überlagerte.
Dieser Punkt ist von großer Wichtigkeit und es ist nothwendig,
etwas näher hierauf einzugehen.
Die Artikulationsweise des Intermedium mit Carpale 2 kommt
einzig und allein bei den Proboseidiern vor, eine Tendenz: hierzu
ist bei den Dinoceraten vorhanden und kommt als individuelle Eigen-
thümlichkeit zuweilen vor.
Bei allen übrigen Säugethieren legt sich das Centrale oder Cen-
trale + Radiale zwischen Intermedium und Carpale 2.
Wie ist nun dieses eigenthümliche Verhältnis entstanden’?
Ich gehe von Hyrax aus, da diese Form den ursprünglichsten
Carpus zeigt. Bei Hyrax liegt das Centrale in der Verlängerung des
Radiale, das Intermedium ist wie bei allen übrigen Säugern ohne
Berührung mit Carpale 2. Eine derartige Form müssen wir als
Urform der Ungulatenextremität betrachten'!.
Es können nun zwei Möglichkeiten eintreten:
1) Dieses Verhältnis bleibt, es kommt jedoch zur Verschmelzung
von Radiale und Centrale (Amblypoda, Condylartra, Diplartra).
Seaphoideum ist also mit Trapezoid in Verbindung.
2) Das Centrale wird durch Ausdehnung des Intermedium und
Carpale 2 radialwärts verdrängt. Zuerst trägt das Carpale 3 allein
das Intermedium, später nimmt auch noch ein Theil des Carpale 2
daran Theil; zugleich verschmilzt das Centrale mit dem Scaphoi-
deum. Hierdurch entsteht der Carpus der Proboscidier.
Bei den Proboseidiern selbst kommt es wieder zu einer Rück-
entwicklung, indem das Carpale 2 das Bestreben zeigt, sich wieder
außer Verbindung mit Intermedium zu setzen (E. africanus).
Wir müssen annehmen, dass die Proboseidier sich außerdem
direkt aus den Taxeopoden (in der alten Fassung Cope’s) oder einer
zwischen Taxeopoden und Amblypoden gelegenen Gruppe entwickelt
haben. Sie bilden einen sehr alten Seitenzweig der Ungulaten, der
sich schon vor den Phenacodontidae von denselben entfernt hat; dies
beweist vor Allem die Anwesenheit des Centrale bei jugendlichen
Formen, welches weder bei den Condylartra noch bei den Embry-
onen der Diplartra bisher nachgewiesen werden konnte.
Ich schließe mich der Ansicht ScHLOssER’s an, indem ich nicht
im Stande bin, die Amblypoda als Zwischenstufe der Condylartra
1 Bei Typotherium scheint das Centrale bereits mit Radiale verwachsen.
482 G. Baur, Bemerk. iiber den Carpus der Proboscidier und der Ungulaten.
und Diplartra zu betrachten. Auch ist es mir nicht möglich, die
Amblypoda als eine Seitenlinie zwischen Condylartra und Diplartra
zu betrachten. Ich halte es für richtiger, die Amblypoda als einen
Seitenzweig der Taxeopoda (in der früheren Fassung) anzusehen,
der den Proboseidiern näher stehen würde als den Condylartra.
Corr! betrachtet die Condylartra als die Ahnen sämmtlicher
Säugethiere mit Ausnahme der Monotremata und Marsupialia. Diese
Ansicht scheint er auch heute noch festzuhalten (Am. Nat. July 1888.
pag. 663). TOoPINARD? geht sogar so weit, dass er die anthropoiden
Affen direkt von den Condylartra ableitet.
Beides ist ganz unhaltbar. Die Phenacodontidae und die Con-
dylartra im Allgemeinen stehen den Diplartra am nächsten, speciell
den Perissodactylia und müssen als Ahnen derselben betrachtet wer-
den, und nur dieser allein. Wie konnten sie die Ahnen der mit
einem freien Centrale versehenen Lemuria, Primates, Hyracoidea ete.
sein, wenn sie kein freies Centrale mehr besaßen. Wir können
doch unmöglich annehmen, dass sich das Centrale de novo vom Sca-
phoideum losgelöst habe.
Die Condylartra stammen von Formen ab, welche ein freies Cen-
trale im Carpus besaßen, und diese mögen vielleicht auch noch die
Ahnen anderer Säugethiergruppen gewesen sein.
New Haven, Conn., 4. December 1888.
1 E. D. CopE, On the evolution of the Vertebrata, progressive and retro-
gressive. Americ. Naturalist. April 1885. pag. 347.
2 Les dernieres étages de la Généalogie de homme. Revue d’Anthropo-
logie. Mai 1888.
Bemerkungen über den M. flexor brevis pollieis
und Veränderungen der Handmuskulatur.
Von
C. Gegenbaur.
Der kurze Beuger des Daumens des Menschen ist seit längerer
Zeit Gegenstand einer Diskussion, die sich wesentlich um die Frage
bewegt, ob unter dem radialen Kopfe noch ein zweiter oder ul-
narer ihm zuzurechnen sei, d. h. ob von der am ulnaren Sesam-
bein der Artic. metacarpo-phal. des Daumens sich inserirenden Mus-
kulatur eine Portion als ulnarer Kopf des Flexor brevis betrachtet
werden könne. Der Stand dieser Frage hat durch FLEMMING!
und CuNnNInGHAM? vor Kurzem eine auch das Geschichtliche um-
fassende Darlegung gefunden. Indem ich darauf hinweise, will ich
hier nur das Endergebnis näher ins Auge fassen, um daran einige
Bemerkungen anzuknüpfen. Wie FLEMMING begründet, ist die Frage
des Umfanges der als »Flexor brevis« zu bezeichnenden Muskulatur
nicht aus der Wirkung des Muskels, also nicht von der physiologi-
schen Seite anzufassen, sondern liegt ausschließlich auf morpho-
logischem Boden. Auf diesem ist CUNNINGHAM durch ausgedehnte
vergleichend-anatomische Untersuchungen zu einer Bestätigung der
vor längerer Zeit von BiscHorr gegebenen Deutung gelangt. Von
den vier Portionen, welche theils in radialer, theils in ulnarer In-
sertion dem Flexor brevis zugeschrieben und von FLEMMING mit A,
B, C, D bezeichnet wurden, ist nur eine (A) ihm zugehörig. B, C
sind nach CunninGHAM morphologisch unwichtige Komponenten, und
D gehört dem Adductor an, wie er schon von Anderen, auch von
mir, dem Adductor beigezählt wurde. Aber eben die letztgenannte
Portion hat unter Ausbildung des Adductor einen ulnaren Kopf des
1 Anat. Anzeiger. II. Nr. 3 und Nr. 9.
2 Anat. Anzeiger. II. Nr. 7.
484 C. Gegenbaur
Flexor brevis überlagert, der in primitiveren Zuständen neben dem
radialen Kopfe /A) besteht. Dieser zweite Kopf des Flexor brevis
(HENLE’s Interosseus volaris primus) ist also in veränderte Verhält-
nisse getreten. Der Muskel, welcher schon von vorn herein eine
andere Insertion besitzt, hat weder Ursprung noch Lage des Bauches
mit dem anderen Bauche (A) gemein, ist völlig von ihm getrennt. Man
kann also vor Allem nicht von ihm als von einem bloßen »Kopfe «
des Flexor brevis sprechen, wenn er auch von einem mit dem an-
deren gemeisamen Bauche sich ableitet. CUNNINGHAM selbst giebt
an, dass man zur Darstellung dieses Muskels den äußeren Kopf des
Interosseus dorsalis I. von seinem Ursprunge lösen und zurückschla-
gen müsse. Von einer volaren Abgrenzung des Muskels spricht er
nieht. Der Muskel ist hier auch gar nicht so deutlich gesondert,
dass man ihn leicht abgrenzen könnte. Auch Brooks! ist der Mei-
nung, dass der Muskel häufig nieht zu unterscheiden sei. So finde
auch ich das Verhältnis und muss den von CUNNINGHAM angegebenen
Zustand, wo der Muskel vom Metacarpale I entspringt, als den sel-
teneren betrachten. Häufiger sind es Portionen des Adduetor die
dort liegen, die man in verschiedenem Grade selbständig darstellen
kann und von denen eben so gut möglich ist, dass sie jenen ver-
lorenen Muskel vorstellen.
Wir haben es also hier mit einem Muskel zu thun, der nicht bloß
rückgebildet ist, sondern auch seine ursprüngliche Verbindung mit
einem anderen Bauche aufgegeben hat, indem er von demselben ab-
gedrängt wurde. Dagegen ist er enger mit einem anderen Muskel,
dem Adductor, verbunden, wenn er nicht ganz verschwunden ist.
Durch diesen Vorgang wird nun auch der Weg gewiesen für die
Behandlung dieser Muskulatur. Wir werden da, wo eine Geschichte
des Muskels zu geben ist, mit Bischorr und CUNNINGHAM auch für
den Menschen einen ursprünglichen Flexor brevis pollieis annehmen,
der in zwei Bäuche sich theilte. Aber der ulnare Bauch ist im
Verschwinden begriffen, verdrängt, oder dem Adductor angeschlossen,
während der radiale sich erhielt und ausbildete. Damit hat dieser
ein Recht erworben, ausschließlich als Flexor brevis zu gelten. Wo
es sich um eine Darstellung des thatsächlichen Befundes handelt, da
wird der Muskel als einköpfig zu behandeln sein. Wenn dieser
Flexor brevis noch von der Tiefe der Hohlhand einen, wahrschein-
lich aus dem Adductor stammenden Kopf als Zuwachs empfängt, so
171.21.»
Bemerk. über d. M. flexor brevis pollieisu. Veränderungen d. Handmuskulatur. 485
geht daraus hervor, dass diese Muskulatur in einer weiteren Ver-
änderung begriffen steht. Die Portionen B und C, welche Cun-
NINGHAM für morphologisch unwichtig erklärt, sind es nur in dem
Sinne, dass sie nicht vergleichend-anatomisch deutbar sind. Aber
sie beurkunden (besonders die konstantere Portion B) einen neuen
Sehritt der Umgestaltung und eben desshalb sind sie mir wichtig.
Für bedeutende Veränderungen in dem Gebiete der palmaren
Muskulatur spricht auch das Schwanken der Inneivation, welches
erwiesen zu haben das Verdienst von CUNNINGHAM und Brooks!
ist. Indem ich die Wichtigkeit dieser Thatsachen anerkenne, kann
ich doch keineswegs die Meinung von Brooks theilen, welcher in
jener Verschiedenheit des Verhaltens der Nerven nur eine durch
diese zu Stande gekommene Veränderung sieht, an welcher der
Muskel selbst keinen Antheil habe. Er nennt es ein Dogma, die
Nervenversorgung eines Muskels für unveränderlich zu halten und
glaubt mich in diesem Dogma befangen, wobei er meine Meinung
gar nicht zu kennen scheint. Oder hat er wirklich die Vorstellung.
dass bald dieser bald jener benachbarte Nerv oder auch zwei der-
selben in einen Muskel einwachsen könne, und ihn so sich unter-
than mache? Und doch kann nur diese oder eine ähnliche Vor-
stellung dazu führen, die Zusammengehörigkeit des Muskels zum
Nerv in Abrede zu stellen!
Jene Variationen der Innervation, wie sie Brooks von den
Lumbricales und anderen Muskeln der Hand beschrieb, sehe ich
nicht als Zeugnisse der Werthlosigkeit der Bestimmung der Mus-
keln nach dem Nerven an, vielmehr als den Ausdruck von Ver-
änderungen in der Muskulatur selbst. Brooxs fasst es als
ein Übergreifen des einen Nerven in das Gebiet des anderen auf, als
einen Wettstreit zwischen zwei Nerven, wobei das Kampfobjekt
Muskeln sind. So sieht bei oberflächlicher Betrachtung die Sache
auch aus, wenn man den Muskel nicht als den Endapparat der
motorischen Nerven gelten lässt. Anders muss sie da erscheinen,
wo die letztere Vorstellung für begründet gilt. Ein Muskel, wel-
cher in einem Falle von einem anderen Nerven innervirt wird, als in
einem anderen Falle, wird auch materiell ein anderer Muskel sein,
wie immer er auch in allen übrigen Punkten mit dem ersten Fall
übereinkommt. BROOKS hat durch den Nachweis von Nervencondo-
minaten, ohne es zu beabsichtigen, einen sehr werthvollen Beitrag
1 Journal of Anat. and Phys. Vol. XX. pag. 641. Vol. XXI. pag. 575.
456 C. Gegenbaur
für jene Veränderungen geliefert. Darauf aufmerksam zu machen
ist der Zweck dieser Mittheilung, denn es liegen hier Beispiele vor,
wie sie einleuchtender kaum gedacht werden können. Wenn z. B.
der Lumbriealis III in einem Falle vom N. ulnaris, im anderen vom
N. medianus, in einem dritten von beiden zugleich innervirt ist, so
wird das nicht die Regel bildende Condominat dadurch zu er-
klären sein, dass eine Portion des Lumbricalis II dem dritten sich
angeschlossen hat. Bildet sich die Ulnarisportion nicht mehr aus, so
wird der Muskel dem Medianusgebiete zugehören. Von Bedeutung ist,
dass diese Schwankungen nur an den Grenzen bestehen, also da,
wo bereits in der Anlage der Muskeln ein Überwandern von einem
Gebiete ins andere, eingeleitet durch partielle Anschlüsse, günstige
Bedingungen finden muss, wie denn ja diese Muskeln an ihren Ur-
sprungsstellen oft innige Verbindungen unter einander aufweisen.
Man kann gegen diese Thatsachen verschiedene Stellungen ein-
nehmen, man kann sie als »Abnormitäten« bezeichnen und nicht
weiter auf eine Erklärung eingehen. Versucht man aber eine Erklärung,
so ist diese entweder darauf zu gründen, dass man einen nicht zum
Muskel gehörigen Nerven in den Muskel einwachsen lässt, oder dass
man den Muskel von dem benachbarten her einen Zuwachs ge-
winnend sich vorstellt; durch welchen Zuwachs auch ein neuer Nerv
dem Muskel hinzukommt. Dann haben wir den Muskel aus zwei
Portionen entstanden, einer alten und einer neuen, deren jede einem
besonderen Nervengebiete angehört. Der haploneure Muskel ist ein
diploneurer geworden, wie dieses Verhältnis von FÜRBRINGER tref-
fend bezeichnet worden ist (op. i. e.).. Wägen wir beide Erklärungs-
versuche gegen einander ab, so finden wir den einen mit einer
nicht klar erwiesenen, sondern auch ganz unverständlichen Annahme
rechnen, jener, dass der Nerv in einen ihm von Anfang an fremden
Muskel eingewachsen sei, während der andere Versuch die Ver-
schiebung einer Muskelportion in Anspruch nimmt. Der erste Ver-
such kann sich auf keine einzige Thatsache stützen. Die ihm zu
Grunde liegende Annahme ist wie aus der Luft gegriffen; der zweite
hat sichere Thatsachen zur Unterlage, denn Lageveränderungen von
Muskeln oder Muskelportionen sind sicher gestellte Vorgänge, be-
züglich deren ich nur an G. RuGe’s Untersuchungen über die Mus-
kulatur des Fußes erinnern will.
Ich sehe also hier keinen gesetzlosen Zustand, kein Spiel des
Zufalls, welehes einen und denselben Muskel bald dem einen, bald
dem anderen Nerven zuführt, sondern eine Bewegungserscheinung in
Bemerk. über d.M. flexor brevis pollicis u. Veränderungen d. Handmuskulatur. 487
der Muskulatur der Hand. Wo dieser Zustand waltet, da ist, wie
ich Brooks gern zugebe, die Innervation zur Bestimmung des Mus-
kels nicht geeignet, aber nur so lange, als die Kenntnis der Va-
riation ihr erstes Stadium nicht iiberschritten hat. Wo eine ein-
gehendere Prüfung Hand anlegte, da ist auch jene Variation erklärbar
geworden, und dann gelangt auch die Bedeutung der Innervation zu
ihrem Rechte.
Wie fiir die Lumbricales so bestehen auch fiir den Flexor bre-
vis die Bedingungen fiir eine Variation in der Innervation in der
klarsten Weise. Wir sehen ihn (A) sehr allgemein durch einen
tieferen Ursprung verstärkt (B), der selbst wieder ein Bündel (C)
nach dem ulnaren Sesambeine abgeben kann, welches damit dem
Adductor sich anschließt. So ist ihm das Ulnarisgebiet nahe ge-
rückt. In 19 Fällen sah Brooks den Flexor brevis (4 + D) vom
Medianus und Ulnaris versorgt, in 7 vom Medianus allein, und nur
in 5 allein vom Ulnaris. Ist hierin nicht eine Regel zu ersehen,
die ihre Ausnahme neben sich führt? Aber auch den Weg zur
Erklärung der Ausnahme, durch die Prävalenz der auch sonst dem
Flexor brevis zugetheilten Bestandtheile des Ulnarisgebietes, welche
zu den herrschenden Bestandtheilen des Flexor brevis geworden
sind.
Die Annahme eines gesetzlosen Zustandes in diesen mannig-
faltigen Befunden braucht weder nach den Ursachen derselben zu
suchen, noch auch nach dem in der Gesammterscheinung sich aus-
drückenden Vorgange und dem Wesen desselben. Von all diesem
absehend, wird man die geänderte Innervation nur als eine neue
Bahn betrachten, auf welcher ein und derselbe Nerv jetzt seinem
Muskel zugeht. Ob die bezüglichen Nervenfasern im Medianus,
oder ob sie im Ulnaris verlaufen, oder in beiden zugleich: für die
Innervation eines Lumbricalis ist es dasselbe. Gewiss ganz eben
so, wie es etwa für die arterielle Blutversorgung eines Körper-
theiles einerlei sein mag, ob die betreffende Arterie von diesem oder
jenem Aste oder Stamme sich abgezweigt hat. Wenn wir aber
nichts, was da im Organismus entstand, als zufällig und folglich
auch nicht als gleichgültig ansehen, so sind auch jene Verschieden-
heiten der Nervenbahn als der Ausdruck einer gesetzmäßigen Ver-
änderung zu betrachten. Wie unbedeutend sie erscheinen mögen,
so müssen sie unsere Beachtung erregen, denn sie zeigen uns den
Weg, auf welchem der Organismus zu Umgestaltungen gelangt.
Das ist selbst dann unverkennbar, wenn man nur die Nerven aus-
483 C. Gegenbaur
schließlich beachtet und die Beziehungen der Muskulatur ganz bei
Seite lässt.
Die in den besprochenen Befunden gegebenen Thatsachen lassen
sich nach der Verschiedenheit der Objekte, Muskel oder Nerv von
einem doppelten Gesichtspunkte aus betrachten. Bei der exclusiven
Betrachtung der Muskeln zeigen sich uns wohl Variationen, allein
es besteht doch im Ganzen eine größere Übereinstimmung, als wenn
wir auch die Innervation mit in Betracht ziehen. Bei der Prüfung
der Nerven dagegen tritt uns viel mehr hervor. Wir sehen da ein
Nervengebiet sich ausdehnen auf Kosten ‚eines anderen, und er-
kennen darin eine tiefergehende Veränderung. Die Verknüpfung
beider Betrachtungsweisen wird jedoch am meisten förderlich, weil
dadurch die Variation sowohl am Nerv als auch am Muskel ver-
ständlich wird als ein Produkt einer Bewegung oder Verschiebung,
welche in den fraglichen Theilen vor sich ging. Ob dieser Vor-
gang der in der Hohihand vom Ulnaris versorgte Muskulatur an die
Stelle vom Medianus innervirter setzte, eine tiefere Bedeutung hat,
ist vorerst nicht sicher bestimmbar. Sicher ist nur, dass er eine
Veränderung vorstellt, indem in der Theilung der beiden Nerven in
die radiale und ulnare Hälfte der Lumbricales der primitivere Be-
fund liegt, eben so wie in der Versorgung der Ballenmuskeln des
Daumens durch den Medianus. Somit bestehen also hinsichtlich
der inneren Bedeutung jenes Zustandes mehrfache Möglichkeiten,
von denen ich nur eine näher ins Auge fassen will, nachdem durch
M. FÜRBRINGER die sämmtlichen hierher gehörigen Fragen eine ge-
dankenvolle und erschöpfende Erörterung erfahren haben !.
Mit Bezug auf den Körpertheil, welcher nun jene Veränderungen
darbietet, ist es von Belang zu berücksichtigen, dass die beregten
wechselvollen Zustände keineswegs die einzigen sind, die wir dort
antreffen. Auch in anderen Theilen der Muskulatur der Hand waltet
ein großer Reichthum von Variationen. So bezüglich des Abduet.
poll. longus und Ext. poll. brevis, ferner im Befunde der Strecksehnen
der Finger und deren Verbindungen unter einander, dann auch be-
züglich der Muskulatur des Kleinfingerballens, dazu dann noch die
zahlreichen Variationen, wie sie von vielen Autoren an anderen Mus-
keln als meist seltenere Vorkommnisse beschrieben sind. Im Ganzen
kann wohl behauptet werden, dass außer der mimischen Muskulatur
' Im allgemeinen Theile der Untersuchungen zur Morphologie der Vögel.
Bd. II. Amsterdam 1888. pag. 896 ft.
Bemerk. über d. M. flexor brevis pollicis u. Veränderungend. Handmuskulatur. 489
des Antlitzes keine andere so zahlreiche und auch tiefer
greifende individuelle Schwankungen zeigt, als jene der
Hand. Die Erwägung der funktionellen Verhältnisse dieses Organs
lässt zwischen diesen und den anatomischen Veränderungen einen
Zusammenhang annehmen, indem man die letzteren von funktionellen
Änderungen ableitet. So wird es wahrscheinlich, dass in der Mannig-
faltigkeit des Gebrauchs eben so mannigfaltige Veränderungen in der
Muskulatur entstanden, von welchen für jetzt noch fraglich bleibt,
ob sie progressiver Natur sind oder nur rein individuelle Bildungen
vorstellen.
In wie weit der Anpassung hier eine Rolle zukommt, dürfte
nachzuweisen eine neue und wohl nicht undankbare Aufgabe sein.
.. 24 / > i r
Peri tie une ab ney (eS RPA AG THE
bt bade folate) ante teh Grains Ryo a
eh per) cae) Sere LOW ERTIN NT atates a Pete ee
a ri i ‘ “ira peestememetet de 1
. o N io. ai
rn SN oA eT A Oa ree eK ‘aunt iia
u ale [beter Ua OAC -9
2 2 r iR. h ts b 2 h
errs ad) Casanstty aba disb ESTER STUART 0 1117312 5,171 K By |
4
si) : er ara baren ? ne ree BREI EL 22 0 ; eit ae
dia (COUR as aed) ein iii
etic at Wii) <b FL capi fide “iti
I art 22 ibiue heal „Alter iin Aa
sehen tavend
vtgeue il
neha de
iT) Taco oes bin
te wage de
Se Mahe he
et TE Som
et
0 (ote? hese 4
Ne
?
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere.
Von
Prof. Dr. Georg Ruge
in Amsterdam.
Mit Tafel XVIII—XXI.
I.
Riickbildung der nicht ausgestofsenen Eierstockseier bei Amphibien.
Die hier niedergelegten Beobachtungen beziehen sich auf Vor-
gänge, welche an der Peripherie und im Inneren von reifenden oder
gereiften, aber im Ovarium verbleibenden und daher unbefruchteten
Eizellen sich abspielen. Der zu schildernde Process führt zu einer
allmählichen Lösung des ganzen Eiinhaltes und zu einer gleichzeitig
vor sich gehenden Resorption desselben. Als Ergebnis von kompli-
eirten Vorgängen tritt uns das Eliminiren von lebensunfähigen Ele-
menten aus dem Körper entgegen. Der Vorgang ist an sich ein
normaler physiologischer und, wie es scheint, ein bei den Wirbel-
thieren an die Reifezeit der Eier im Eierstock oft direkt sich an-
schließender, periodisch sich wiederholender. In so fern dieser nor-
male Process mit dem völligen Verschwinden von einstmals leben-
digen, aber ihres Berufes verlustig gegangenen Bestandtheilen des
Organismus abschließt, ist derselbe in Bezug auf die zu Grunde
gehenden Eizellen ein pathologischer zu heißen. Der vom Stand-
punkte des Gesammtorganismus jedoch normal verlaufende und zu
einem guten Ziele gelangende Process beginnt mit dem Momente,
in welchem das reifende, das reife oder aber der Reifung nahe Ei,
an seiner Keimstätte zurückbleibend, in allen vitalen Eigenschaften
Morpholog. Jahrbuch. 15. 32
492 Georg Ruge
Einbuße erleidet und dann auch bald sichere Zeichen des Absterbens
kund giebt. In diesem Moment zeigen sich die Elemente der Um-
gebung der Eizelle, welche den Eifollikel aufbauen helfen, für forma-
tive Processe regsamer als während der Reifezeit des Ovulum, um
dieses vermöge ihrer neu erhaltenen Gestaltungsenergie allmählich
ganz zu Grunde zu richten. Man gewinnt hieraus die Vorstellung.
dass eine lebhafte Tendenz des Aufhebens des einmal bestandenen
Gleichgewichtes vorliege, indem Zellen im Organismus die überall
wechselseitig abhängige formative Thätigkeit in dem ihnen darge-
botenen ersten günstigen Augenblicke auch zu bethätigen suchen.
Der Organismus verhält sich zu den von ihm erzeugten Keimpro-
dukten, sobald sie zur rechten Zeit aus ihm nicht ausschieden, wie
zu Fremdkörpern, welche für die Zellen ihrer Umgebung das Ob-
jekt der Zerstörung werden; er vollzieht das in einer Weise, welche
mit manchen pathologischen Processen in großer Übereinstimmung
sich befinden mag.
Die Rückbildung von Eiern im Ovarium erweckt im angegebenen
Sinne Interesse. Es wird durch Einzelheiten erhöht, welche an an-
dere histologische Vorgänge anknüpfen und für uns ein Urtheil über
falsche Meinungen bereiten. Die histologischen Befunde in diesem
Aufsatze sind es zum Theil, welche auch eine weitere Perspektive
eröffnen, indem sie z. B. die Geschichte des Eifollikels der Säuge-
thiere zu beleuchten vermögen; denn über die Entstehung von Be-
standtheilen des Graar’schen Follikels erhalten wir Aufschluss durch
den Vergleich der Rückbildungsvorgänge von Ovarialeiern der nie-
deren Formen mit den normalen Reifungszustäinden am Graar’schen
Follikel der Säugethiere. Fernerhin giebt uns der einmal genau
erkannte histologische Vorgang der Eirückbildung das Recht, streng-
stens gegen die Lehre vom Parablasten aufzutreten, in so weit die-
selbe aus den unser Thema streifenden Beobachtungen sich aufbaute.
Unsere Untersuchungen erhalten dadurch einen höheren morphologi-
schen Werth und befreien sich vom Vorwurf, nach dieser Richtung
hin einen verlorenen Posten darzustellen.
Als ich vor etwa drei Jahren die Bearbeitung dieses Gegen-
standes aufnahm, legte ich die Untersuchungen nach Maßgabe der
ihnen zugesprochenen Bedeutung an und hoffte, so manche Fragen
erschöpfen zu können. Daran wurde ich durch andere Arbeiten,
welche fertig gestellt wurden, wie durch Verlassen des Ortes, an
welchem unter steter Anregung manche Pläne reiften, verhindert.
So blieben diese Untersuchungen nach raschem Aufschwunge fast
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 493
zwei Jahre wieder liegen. Die Ruhepause möchte jedoch durch das
Herandrängen von neuem Anderen allzu sehr ausgedehnt werden.
So fühlte ich mich denn veranlasst, hier wenigstens Einiges des seiner
Zeit Abgeschlossenen zusammenzustellen und in der Hoffnung zu
veröffentlichen, durch neues Material zur Vertiefung einiger Fragen
beizusteuern.
1. Rückbildungsvorgänge am Ovarialei von Siredon pisciformis.
In dem Ovarium eines im December getödteten Thieres fielen
neben großen und kleinen, vollkommen normal aussehenden Eiern
solehe auf, welche die Größe des gereiften Eies besaßen, aber durch
den Besitz eines mit bloßem Auge erkennbaren engen Gefäßnetzes
an ihrer ganzen Oberfläche von den ersteren sich unterschieden.
Außerdem erschienen Elemente, die wohl ihrem ganzen Verhalten
nach ebenfalls als Eier anzusprechen waren und zwischen jenen zer- ,
streut lagen, aber durch eine röthlich graue, oft ins Bräunliche über-
gehende Färbung und durch eine große Unregelmäßigkeit der Ober-
fläche einen abnormen Habitus darboten. Diese letzteren waren in
allen Größen vertreten. Oft konnten an Stellen der Innenwand des
eröffneten Ovarium nur kleine prominirende Körper bei besonderer
Aufmerksamkeit wahrgenommen werden. Andere nahm man bei
Lupenvergrößerung und noch andere erst an mikroskopischen Schnit-
ten wahr.
So waren im Ovarium zwei Typen von Eiern vertreten, von
denen der eine auch bei mikroskopischer Untersuchung aus Stadien
des reifenden normalen Eierstockseies bestehend sich ergab. Den
Reifungsprocess dieser Elemente habe ich untersucht. Die Mitthei-
lungen von O. SCHULTZE über den gleichen Gegenstand lassen es
überflüssig erscheinen, auf letzteren ausführlich einzugehen. Der
andere Typus umfasst erstens die Eier von normaler Größe mit
peripherem Gefäßnetz und zweitens diejenigen, welche sich durch
abnorme Färbung und durch Unregelmäßigkeiten ihrer Gestalt her-
vorthun. Sie sind nicht mehr sphärisch, oft langgezogen oder mit
Vorsprüngen und Einsenkungen versehen. Alle diesem Typus zu-
gehörigen Eier sind abgestorben und einem Reduktionsprocesse be-
reits verfallen. Je kleiner die Elemente dieser Gattung sind, um
so weiter ist der Reduktionsprocess vorgeschritten, so dass wir bei
dem Zusammenhalten der Erscheinungen an den größeren bis zu
den kleineren Elementen eine Übersicht über den fortlaufenden De-
32*
494 Georg Ruge
struktionsprocess gewinnen. Da kleinere Elemente in der Regel nicht
den Beginn, sondern ein Endstadium der Rückbildung ‘aufweisen, so
schließen wir, dass die kleineren Eier dieser Gattung einstmals groß,
reife, oder der Reife wenigstens nahe stehende Eier waren, was wir
für die großen Elemente aus guten Gründen annehmen. Die genaue
Zeit des intensiven, an den aus dem Ovarium nicht ausgestoßenen
Elementen sich abspielenden Rückbildungsprocesses vermag ich nicht
anzugeben. Die Wahrscheinlichkeit liegt jedoch vor, dass im Eier-
stocke die sich rückbildenden Eier aus mehreren Reifungsperioden
versammelt sind, dass der Rückbildungsprocess fortwährend, aber in
verschiedener Intensität spielt. Die letzten Residuen der Eier sind
derartig organisirt, dass deren völlige Entfernung aus dem Körper
rasch nicht gut sich vollziehen kann, dass sie desshalb lange Zeit
nachweisbar bleiben.
Einen Überblick über die Formen und den Bau der abgestorbenen,
sich rückbildenden Eier gewinnt man aus den auf Tafel XVIII be-
findlichen Figuren. An ihnen fallen recht wesentliche Dinge auf. Da
eine Reihe verschiedener, z. Th. weit aus einander liegender Stadien
sewählt wurden, die der Figurenzahl nach auch im Grade der Rück-
bildung auf einander folgen, so betrachten wir sie auch nach ein-
ander.
Auf den Figuren 1 und 2 findet man die Abbildungen von dem
Aufbau zweier Eier, wie sich derselbe an den für die mikrosko-
pische Untersuchung hergestellten Schnittpräparaten zu erkennen
giebt. Die Größe der Eier entsprach ungefähr derjenigen von ge-
reiften Elementen. Die abgebildeten Schnitte entstammen etwa der
Mitte fortlaufender Serien. Die Eier sind mit A und B bezeichnet.
Das Ei A der Fig. 1 zeigt eine annähernd kreisrunde Gestalt, ist
jedoch an mehreren Stellen durch kleinere und größere Einbuch-
tungen von normalen Eiern verschieden. Die ursächlichen Momente
für die Unregelmäßigkeiten der Oberfläche liegen einerseits in der
Umgebung, d. i. außerhalb des Eies, andererseits sind sie in der
Nachgiebigkeit des Eiinhaltes zu suchen. Letztere ist als die Folge
des Absterbens des Eies zu betrachten und gestattete der Nachbar-
schaft einen mechanischen Einfluss auf das Ei, der sich in Druck-
stellen zu erkennen giebt. So sieht man am Ei rechts und links
oben zwei ausgedehntere Impressionen, welche unschwer auf die
zwei pigmentirten Nachbarkörper zu beziehen sind. Im Inneren des
Eies A befindet sich reichliches Dottermaterial, welches, das Cen-
trum ausfüllend. von der Peripherie durch eine mehrschichtige
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 495
Epithellage abgedrängt bleibt. Die Dotterelemente sind wie im nor-
malen ausgereiften Ei geformt. In diesem Punkte stimmt also Ei 4
mit einem normalen reifen Ei völlig überein. Es unterscheidet sich
aber dadurch völlig von diesem, dass es bei sorgsamem Durchfor-
schen der ganzen Schnittserie auch nicht die zartesten Spuren eines
Eikernes zu erkennen giebt. Dass ein Keimbläschen einstmals vor-
handen war, ist nicht zu bezweifeln; dies deutet ja auch der Dotter
an, den wir als ein Reifungsprodukt eines auch mit dem Keimbläschen
versehenen Eies kennen. Die Art des Verlustes des Keimbläschens
konnte ich trotz eifriger Nachforschungen an vielen dem Ei A ent-
sprechenden Elementen nicht ermitteln. Das von Siredon pisciformis
mir zu Gebote stehende Material enthielt kein günstiges Stadium für
diese Zwecke. Das Keimbläschen verschwand; statt seiner finden
sich im Dotter eine große Anzahl zelliger Elemente, welche, mit
Kern und hellem Körper versehen, auf allen Schnitten der Serie an-
getroffen werden. Auf der Figur A wird man unschwer die den
Dotter durchsetzenden Zellen erkennen. Sie erwiesen sich schon
bei geringer Vergrößerung als von sehr verschiedener Größe. Klei-
nere Elemente liegen dem Centrum des Eies benachbart. Größere
Zellen liegen dicht beisammen an der Peripherie des Dotters, um
an vielen Stellen der Eioberfläche ganz kontinuirlich in eine, zwei
bis drei Zellenlagen besitzende Epithellage überzugehen. Der kon-
tinuirliche Zusammenhang der frei im Dotter lagernden Elemente
mit dem Epithellager entscheidet ohne Weiteres nicht das Fragliche
über eine Herkunft der freien Zellen vom geschlossenen Epithele
oder des Epithels von den ersteren aus. Von Bedeutung bleibt
aber immerhin der Zusammenhang, wie er uns auf Fig. 1 entgegen-
tritt.
Das mebrschichtige Epithellager umgiebt die ganze Ober-
fläche des Eies und erscheint daher auf den Schnittpräparaten als
ein Ring. Die Zellen des Epithels sind ansehnlich; sie gehen gegen
den Dotter hin in solehe mit gewölbter Oberfläche über, denen die
im Dotter frei liegenden Zellen in verschiedenster Weise anzulagern
pflegen. Da die peripheren Dottertheile zwischen die Zellen ein-
greifen, so ergiebt sich nach dem Entfernen der letzteren ein Bild,
wie es die Fig. 8 uns vorführt. Die Oberfläche des Dotters ist
hier gezackt, mit vielen verschieden großen Buchtungen versehen, in
denen einzelne Zellen und Zellenkomplexe lagerten. Das mehr-
schiehtige Epithellager ist an dem Eie A an der nach oben an der
Figur gekehrten Hälfte der Umgebung hell, während es am ent-.
496 Georg Ruge
gegengesetzten Pole dunkel pigmentirt erscheint. Es entspricht die
Vertheilung des Pigmentes genau derjenigen im reifen Ei von Sire-
don piseiformis. In gleicher Weise sind die dem pigmentirten Theile
des Epithels benachbarten freien Zellen im Dotter mit Pigment im-
prägnirt, während ein Gleiches von den Nachbarzellen des un-
pigmentirten Epithellagers nicht gilt. Da das Ei A der Größe und
dem Dotter nach einem normalen reifen Ei entspricht, ein solches
aber die Pigmentlage auf einen und zwar den animalen Pol vertheilt
zeigt, so scheint daraus hervorzugehen, dass der animale Pol am
Eie A der Fig. 1 sich durch den Pigmentreichthum noch verräth,
fernerhin dass ein Theil des Pigmentes von der Oberfläche durch
die freien Zellen im Dotter entfernt und in das Innere des Eies
transportirt wurde. Solches ergiebt sich bei der Beurtheilung des
einen uns vorliegenden Zustandes. Im Inneren des Eies A nimmt
man nun. außerdem noch zellige Elemente wahr, welche sich schon
bei schwacher Vergrößerung durch den Besitz mehrerer Kerne aus-
zeichnen, die, weit entfernt vom Epithellager, ihre Herkunft nicht
ohne Weiteres verrathen. Dem ganzen Habitus nach sind sie ver-
schieden von den mehr peripheren, an das Epithel angrenzenden
Elementen.
Das Ei ist von einem kontinuirlichen einschichtigen Platten-
epithel umgeben, welches jenem erst erwähnten mehrschichtigen
Epithel ganz dicht anliegt. Dieses platte Epithel, welches ©.
SCHULTZE Innenepithel nennt, ist durch die Nachbarschaft von Blut-
sefäßen ausgezeichnet, welche unter ihm abgeplattet liegen, zu-
gleich aber an die oberflächlichen Zelllagen des hohen mehrschich-
tigen Epithels angrenzen. Auf der Fig. 1 nimmt man oben und
unten je einen Gefäßdurchschnitt von platter Gestalt wahr. Die Ge-
fäße sind gegen die Oberfläche vorgebuchtet; auf der linken Seite
des Eies findet sich ein Gefäß vor, welches konvex gegen das
mehrschichtige Epithel sich einbuchtet. Da einem normalen Ei der-
artige Gefäße nicht zukommen, so betrachten wir die Blutgefäße,
welche innigere Beziehungen zum Eiinhalte aufweisen, als von
außen gegen diesen vorgedrungen. Sie werden vielleicht früher als
die von der Oberfläche entfernteren Gefäße vorhanden gewesen sein,
wie sie auch am Ei A in den beiden platten Blutgefäßen angetroffen
werden. Der Zutritt der Gefäße zum Ei ist überall da ermöglicht,
wo dieses mit dem Bindegewebsgerüst der Ovarialwand zusammen-
hängt. Die Blutgefäße sind der Oberfläche des reifenden oder ge-
veiften Eies ursprünglich fremd und sind demgemäß, da wir das Ei A
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 497
mit Produkten der Reifung versehen finden, an diesem als neuge-
bildete anzusehen. Je tiefer die Gefäße gegen den Eiinhalt ein-
greifen, je älter sind sie.
Die vom Ei A aufgezählten Eigenschaften sind in verschiedenem
Maße auch Besitzthum aller derjenigen untersuchten Elemente von
Siredon piseiformis, welche am wenigsten von normalen sich unter-
scheiden.
An anderen, bereits größeren Veränderungen ausgesetzt gewe-
senen Ovarialeiern fallen die äußeren Formverhältnisse stärker ins
Auge. Die sphärische Gestalt ist durch eine unregelmäßige, ge-
streckte oder hier und da gebuchtete ersetzt. Dies ist z. B. am
Ei B der Fig. 2 erkennbar, welches der Länge nach durchschnitten
ist. An diesem Ei sind alle vom Ei A beschriebenen Bestandtheile
unschwer wieder zu erkennen. In dem Vorhandensein reichlicherer
Blutgefäße an der Peripherie bestehen Unterschiede zwischen beiden
Eiern. Aber auch in der Lagerung der Gefäße traten Veränderun-
gen ein. Man erkennt sie wie früher noch mit platten Wandungen
versehen; an mehreren Stellen hingegen sind die Gefäße gegen das
Ei ausgebuchtet und ragen z. Th. in das mehrschichtige hohe Epi-
thel hinein, z. Th. verdrängten sie dasselbe sogar. Die mächtigste
Gefäßschlinge befindet sich auf der Fig. 2 oben links; sie ragt fast
bis an die Dotterrinde (x). Die mehrschichtige Epithellage ist hier
schärfer gegen den Dotter abgesetzt. Es fehlen die reichlichen, frei
in den Dotter ragenden Zellen. Dieser Zustand kann als ein Vor-
stadium des am Ei A auftretenden betrachtet werden.
Eier, welche makroskopisch als weiter rückgebildete deutlich
durch Einschrumpfen ihrer Oberfläche sich zu erkennen geben, zei-
gen im Baue wesentlich die Eigenschaften der Eier A und B. Nur
findet man an der Oberfläche einen reicheren Gehalt an Blutgefäßen,
welche auch tiefer in die mehrschichtige Epithellage und selbst in
den Dotter allenthalben eindringen. Der Dotter füllte sich mit
einem größeren Reichthum an zelligen Elementen, die ebenfalls den
Zusammenhang mit dem peripheren Epithel beibehielten.
Bei noch weiter vorgeschrittener Rückbildung der Ovarialeier
findet man die an der Oberfläche sich äußernde Schrumpfung im Ein-
klange mit der Verminderung des Dottermaterials. Neue Momente
drängen sich hervor, in so fern die unter dem Plattenepithel gelegene
mehrschichtige Zelllage als eine geschlossene Epithelialmembran all-
mählich verschwand und gleichzeitig ihrer reichen Blutgefäße ver-
lustig ging, welche mehr in die Tiefe rückten. Im Dotterinneren
498 Georg Ruge
finden sich an Stelle vereinzelter Zellen Gruppen von Elementen.
Diese treten namentlich gegen das Centrum des Eies dicht gedrängt
auf. Diese Zellgruppen im Inneren des Eies sind zuweilen von
reichlichen Pigmentschollen umgeben, welche auch an Zellen ge-
knüpft sein können. Die Zellengruppen haben den Dotter verdrängt
und liegen dann an helleren Stellen ohne Dotterplättehen. Von diesen
Plätzen pflegen an weit redueirten Eiern helle Straßen auszugehen,
welche, oft verzweigt, gegen die Oberfläche des Eies hinziehen, in
welchen .hinwiederum oft Zellen zu finden sind. Es fehlen dann
also stellenweise die schon im Ganzen verminderten Dotterelemente
vollkommen. Sie sind, wie wir einem jeden Befunde entnehmen, aus
dem Ei verschwunden. Hierbei spielten, wie wir sehen werden, die
im Ei vorhandenen Zellen eine hervorragende Rolle. Ovarialeier,
welche auf diesem Stadium der Rückbildung sich befinden, gewinnen
nach Maßgabe ihrer Schrumpfung eine engere Beziehung, etwa wie
kleinere unreife Eizellen, zur Wandung des Ovarium und erscheinen
nach und nach als unbedeutende, in die Ovarialhéhle ragende Vor-
sprünge der Hülle.
Auf der Fig. 3 findet sich der Querschnitt eines in der Rück-
bildung weit vorgeschrittenen Ovulum abgebildet, welches mit sehr
unregelmäßiger Oberfläche ausgestattet, von der Wand in die Innen-
höhle des Ovarium hineinragt. Das einschichtige Plattenepithel geht
von der Wandung des Eierstockes direkt auf die Oberfläche des Eies
über. Die Umschlagestellen des Epithels liegen so weit aus ein-
ander, dass ein großer Theil des Eies in die Ovarialwand hinein-
bezogen ist. Der Dotter hat seine Gestalt eben so wie das ganze
Ei verändert; seine Peripherie ist mit unregelmäßigen Vorsprüngen
versehen, hier und da gegen die Umgebung verwischt. Zwischen
Dotter und dem oberflächlichen Plattenepithel befindet sich eine
breite helle, auch unregelmäßige Zone, welche mit vielen, verschie-
den weit von einander entfernten Zellen erfüllt ist. Auch finden
sich hier Pigmentschollen, frei liegend oder an Zellen gebunden.
Von der hellen Zone führen ins Dotterinnere helle Stränge, mit
Zellen angefüllt, in einen centralen zellreichen hellen Herd. Auch
hier sind Pigmenthaufen in und um die Zellen wahrnehmbar. Ge-
fäßschlingen werden in solehen Eiern hier und da, aber nicht häufig
mehr gefunden. Sie bilden sich bis zu einem gewissen Höhepunkt
aus und darauf zurück. Der Ausbildungsgrad ist dabei immer vom
Dottervorrath abhängig.
Dass wir es bei diesem unförmigen, atypischen Gebilde wirk-
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 499
lich mit einem Ei zu thun haben, geht aus dem Zusammenhalten
mit anderen, weniger weit veränderten Elementen hervor, welche
im Inneren durch Zellen und Blutgefäße vollkommen organisirt sind
und wohl auf der Höhe des Rückbildungsprocesses stehen. Diese
Stadien bieten noch anderweitiges Interesse und sollen bei anderer
Gelegenheit ausführlicher besprochen werden. Ferner legen aber
der Dottergehalt, die Lage im Ovarium und andere Faktoren Zeug-
nis für die Einatur der geschilderten Elemente ab.
Durch die Anwesenheit von Dotterresten lassen sich noch weiter
rückgebildete Eier ohne Schwierigkeiten erkennen. So finden sich
auf der Fig. 4 drei Schnitte (7, ZZ, III) durch ein Ei abgebildet,
von denen Schnitt Z und ZZ Dottermassen aufweisen. Dieselben ver-
halten sich ähnlich wie am Ei C (Fig. 3), in so fern sie mit einem
centralen Zellenherd erfüllt sind und von dem oberflächlichen Platten-
epithel durch eine helle, zellenerfüllte Zone getrennt bleiben. Der
Schnitt 7 zeigt uns das Ei D frei im Binnenraum des Ovarium lie-
send, der Schnitt ZZ dasselbe in Verbindung mit der Ovarialhiille,
an der noch eine ziemlich genau bestimmbare Grenze gegen das
Nachbargewebe besteht. Auf Schnitt /Z7, welcher den Rand des
Elementes traf, ist die Grenze zwischen Ei und Nachbartheil schwer
bestimmbar.
Auf der Fig. 6 findet man im Ei X, welches von der Ovarial-
wand in die Höhle vorspringt, Reste von Dottermassen, in dessen
Innerem central eine helle, ungefärbte Materie sich vorfindet und
Zellen peripher von dieser sich zeigen. Eine helle Zone ist an der
Oberfläche dieses Eies nicht mehr nachweisbar.
Durch die Anwesenheit von Dotterresten lassen sich Theile des
Ovarium als rückgebildete Eier erkennen, welche viele andere Eigen-
schaften von normalen Elementen einbüßten und vielleicht nur noch als
in die Ovarialhöhle hineinragende Prominenzen eine Deutung als Eier
zulassen. Im Ei F der Fig. 1 ist ein solches Element dargestellt. Dotter-
reste befinden sich gegen die Basis zu, mit welcher das Ei der Wandung
des Kierstockes anlagert. Der Körper ist von einem einschichtigen
Plattenepithel kontinuirlich überzogen. Der ganze langgestreckte Kör-
per ist mit Pigmentschollen durchsetzt, die theilweise dicht um den
Dotterrest und auch in diesem sich vorfinden. Ist nach der einen
Seite hin der Dotter als specifischer. Bestandtheil des Eies zu be-
trachten und weist er in so fern z. B, auch auf die Natur der als
»Ei« F bezeichneten Körper hin, so kann hinwiederum die Anwesen-
heit von Pigmentschollen als ein Diagnosticon für ein verändertes
500 Georg Ruge
Ei darum nicht bezweifelt werden, weil wir das normale reife Ei
als die Bildungsstätte des Pigmentes kennen und weil wir dasselbe
in den als degenerirte Eier sicher anzusprechenden Ovarialtheilen
vorfinden, weil wir das Pigment an anderen Stellen des Ovarium
aber vermissen. Man gewinnt so aus der Thatsache, dass Pig-
mentschollen stets in den rückgebildeten und gereift gewesenen Eiern
vorhanden sind, die Vorstellung, dass bei der Resorption des Ei-
inhaltes das Pigment, einen sehr langen Widerstand bietend, sich
bis in späteste Perioden des Reduktionsprocesses erhält. So werden
wir denn auch, falls diese Meinung zu Recht besteht, keinen An-
stand nehmen, die ähnlich dem Ei F geformten Theile im Ovarium
als rückgebildete Eier anzusprechen, trotzdem auch die letzten Dotter-
reste als sichere Merkmale für die Einatur verschwanden. Solche
in die Ovarialhöhle einragenden Körper finden sich auf Fig. 1 dar-
gestellt und sind als Ei G und H bezeichnet. Plattenepithel um-
giebt die keulenförmigen Körper, Pigmentschollen und zerstreute
Zellen durchsetzen das Innere.
Noch kleinere pigmentirte Ovarialkörper verdecken die Einatur
mehr und mehr; sobald sie ein wenig in den Binnenraum des Ova-
rium einragen, ergiebt sich für sie noch eine Anknüpfungsmöglich-
keit an Formen wie an die Eier @ und H. Auf der Fig. 5 sind
zwei auf einander folgende Schnitte durch ein solches Ei (E) dar-
gestellt. Die pigmentirten Stoffe sind hier mit dem Einschrumpfen
des Eikörpers in die Ovarialwandung hineinbezogen, so dass wir
selbst in der Umgebung des prominirenden Abschnittes des Eies E
Pigment wie abgetrennt wahrnehmen können. Da mit der Eirück-
bildung bis zu kleinen pigmentirten Anhängen der Ovarialhiille für
die Umgebung Platz geschaffen wird, so erklärt sich, dass die Ent-
wicklung, das Reifen neuer Eier in der Nachbarschaft degenerirter
Eizellen begünstigt wird. Ein solches reifendes Ovulum treffen wir
rechts vom Ei Ean. Auch Blutgefäße, verschieden stark entwickelt,
können die nächste lokale Beziehung zu den Eiresiduen eingehen.
Links vom Ei E findet sich ein derartiges größeres Gefäß.
Bilden die Eikörper sich noch weiter zurück, so ergeben sich
Zustände, in denen unter Verlust der Prominenz des Eies in das
Ovarialinnere die letzten Pigmentschollen in der Wandung liegen
bleiben und zellige Elemente in der Nachbarschaft in verschiedenem
Grade jene ersteren umgeben. So sind es also die Pigmentschollen,
deren Anwesenheit auf Reste, auf den ursprünglichen Sitz von Eiern
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 501
hindeuten. In diesem Sinne sind, wie ich glaube annehmen zu dür-
fen, die als Ei Z der Fig. 6 und als Ei N der Fig. 4 bezeichneten
Stellen der Ovarialwand zu beurtheilen.
Mit einer Auflösung des ganzen Eiinhaltes bis auf den Pigment-
gehalt wird die Existenz des Eies allmählich aufgehoben. So muss
ein Verhalten sich einstellen, in welchem das Pigment nicht mehr
als Bestandtheil eines Eies im Ovarium besteht, obschon es solches
war, sondern zu einem einfachen Bestandtheile der Ovarialwand
wird. Als ein solcher ist das Pigment beeinflusst durch die in letzterer
sich entwickelnden Elemente. Sind es neue reifende Eier, so können
sich dieselben in den Pigmentresten ausdehnen und allmählich selbst
mit einem Hofe von Pigmentschollen umgeben sein. Gleiches er-
fahren die im Pigmente sich ausbildenden Blutgefäße. Auf der
Fig. 7 sieht man ein junges normales Ei durchschnitten, dessen
ganze Peripherie von größeren und kleineren Pigmentschollen an-
gefüllt ist. Auf der Fig. 5 enthält die nach oben gerichtete Wand-
hälfte eines großen Blutgefäßes Pigmentreste.
Man könnte nun wohl auch so weit gehen zu behaupten, dass
überall da, wo im Ovarium von Siredon pisciformis größere Pigment-
schollen sich vorfinden, auch die Stellen gereifter, nun aber zu Grunde
gegangener Eier bezeichnet sind. Ich huldige dieser Ansicht, ohne
Einwänden direkt entgegentreten zu können; denn warum sollten
nicht auch Pigmentschollen auf andere Weise entstehen? So lange
aber ein anderer Entwicklungsmodus nicht nachgewiesen ist, darf
unsere Meinung bestehen. So deuten wir denn auch die Pigment-
schollen, welche sich im Epithel von degenerirenden Eiern sich oft
vorfinden, als letzte Residuen eines älteren rückgebildeten Eies, so
dass an der Oberfläche der einen Generation Andeutungen einer
früheren noch vorhanden sind.
Der Process der Riickbildung von gereiften Ovarialeiern voll-
zieht sich, wie es bei schwacher Vergrößerung sich offenbarte, in
der beschriebenen Weise. Diese Reduktion ist von einer Resorption
des Eiinhaltes begleitet. Da dieser hauptsächlich aus Dottermaterial
besteht, und derselbe sich allmählich mit zelligen Elementen erfüllt,
so drängt sich die Vermuthung auf, dass ‚letztere mit dem Ver-
schwinden des Dotters zu thun haben. Das wird um so wahr-
scheinlicher, als nach und nach im Dotter hellere Straßen entstanden,
die wahrscheinlich von weicheren Bestandtheilen erfüllt sind. Dass
aber der Dotter in der That eine Art von Erweichung erleidet, geht
502 Georg Ruge
daraus hervor, dass derselbe in weiter redueirten Eiern nicht mehr
aus getrennten Dotterplättchen besteht, dass diese vielmehr: zu einer
gemeinsamen Masse verschmolzen sind. Dieser Process leitet sich
in kleineren Distrikten bereits in weniger weit in der Reduktion
vorgeschrittenen Eiern ein. Bestimmte chemische Eigenschaften ver-
bleiben dabei der Dottersubstanz. So vermag man z. B. die letztere
stets durch Behandlung der Schnitte mit Bleu de Lion nachzuweisen.
Andere Hilfsmittel mögen an Güte jenem Farbstoffe gleichkommen,
welcher für unsere Zwecke sich als zuverlässiges Reagens erwies.
Die mikroskopische Untersuchung unserer Objekte giebt be-
friedigenden Aufschluss auch über feinere Entwicklungsvorgänge.
Da dieselben mannigfaltiger Art sind, sondern wir sie von einander
und behandeln zuerst
a. Vorgänge an der Peripherie des Eies.
Eiepithel. Das sich rückbildende Ei von Siredon pisciformis ist
jeder Zeit, wie wir sahen, von einem einfachen Plattenepithel abge-
grenzt. Unter demselben findet sich eine mehrschichtige Zelllage,
welche in frühen Stadien dicht um das Ovulum einen epithelialen Cha-
rakter trägt. Es handelt sich zuvörderst darum, die Herkunft dieses
mehrschichtigen Epithels um das Ovulum festzustellen. Diese Frage
findet bis zu einem gewissen Grade durch die Befunde bei Siredon
eine sichere Lösung, vor Allem durch das Studium der Schnittserien
durch Eier, an denen das mehrschichtige Epithel stellenweise vorhan-
den ist. Die Entwicklung zu einem mehrschichtigen Epithel vollzieht
sich nämlich an der ganzen Oberfläche nicht gleichmäßig, so dass
neben den fertigen Zuständen auch indifferente sich auffinden lassen.
Solche sehen wir auf den Fig. 9, 10 (4—7), 11, 12, 13 ete. mit
allen möglichen erkennbaren Übergangszuständen abgebildet, aus
welchen sich folgende Vorstellung aufbaut. Unter dem einschich-
tigen platten Epithel befindet sich eine Lage von Zellen, welche
peripher z. Th. einen platten Charakter tragen und dann entweder
in einer Lage, oder stellenweise in mehreren Lagen sich vorfinden.
Zum Theil erscheinen diese Zellen von größerem Höhendurchmesser
und besitzen dann eine abgeplattete Oberfläche und eine gegen den
Dotter einragende unregelmäßige konvexe Fläche. Wiederum findet
man Stellen, an welchen platte Elemente an der Oberfläche und
höhere in der Tiefe sich. befinden, wobei man den Eindruck eines
genetischen Zusammenhanges beider erhält. Derartige Zustände
wird man unschwer aus den Fig. 10, 11, 12, 13, 14, 17, 20 und
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 503
anderen erkennen. Mit der allmählichen Höhenzunahme der Ele-
mente stellt sich ein Zustand ein, welcher einen scharfen Gegensatz
zwischen ihnen und den Elementen des Epithels, dessen Ursprung
wir eruiren wollen, mehr und mehr verschwinden lässt: © Auf der
Fig. 9 (Z und JZ) haben die oberflächlichsten Zellen bereits ihre
platte Form mit einer hohen Gestalt vertauscht und senken sich mit
Fortsetzungen zwischen die hohen, dem Dotter auflagernden Zellen
ein. Auf der Fig. 17 sieht man die oberflächlichen Elemente den
platten Charakter bewahren, während tiefere, mehr aufgeblähte Ele-
mente im Übergange zu den dem Dotter auflagernden Zellen sich
nachweisen lassen. Auf der Fig. 15 ist linksseitig eine scharfe
Grenze oberflächlicher und tieferer Zellen nicht erkennbar. Auf
Fig. 10 (7) sind oberflächliche und tiefe Elemente stellenweise durch
eine der Oberfläche des Eies parallel verlaufende Kontour schärfer
abgegrenzt; während etwa in der Mitte eine in das Dotter- oder
Eiepithel (so wollen wir nunmehr die dem Dotter benachbarte
Zelllage bezeichnen) einragende Zelle die scharfe Grenze aufhebt.
Auf Fig. 10 (4) ist letztere schärfer ausgesprochen: aber die aus
mehreren Zellschichten zusammengesetzte oberflächliche Lage lässt
an den tieferen Elementen noch einen hellen großen Leib erkennen,
den die peripherischen nicht besitzen. Die Fig. 10 (3) hingegen
zeigt bei scharfer Abgrenzung der äußersten Zelllage gegen das
Dotterepithel in diesem noch oberflächliche Zellen mit kleinem Leib,
durch welchen sie an die Übergangszellen erinnern. —
Halten wir alle diese Zustände zusammen und wägen wir sie
in Bezug auf ihre Genese ab, so spricht sich das Urtheil dahin aus,
dass die unter dem einschiehtigen Plattenepithel des Eies befind-
liche Zelllage durch Wucherung mehrscehiehtig wurde und durch
Vergrößerung der tiefen Zellen ein hohes Dotterepithel hervorgehen
ließ, welches sich allmählich scharf absetzt. Das der Rückbildung
anheimfallende Ei erweist sich bald mit einer dreifachen Zelllage,
deren jede Selbständigkeit aufweist, umgeben: 1) einem oberfläch-
lichsten einschichtigen Plattenepithel; 2) einer darauf folgenden Lage
von einer Zelle oder mehreren über einander liegenden platten Ele-
menten; 3) einem großzelligen, den Dotter berührenden Dotter- oder
Eiepithel. Alle drei Lagen wird man auf den Fig. 10 (5 und 6),
12, 13, 14 und 20 zu unterscheiden vermögen. Die mittlere Schichte
birgt auf Fig. 12 und 13 mehrere Zellen über einander, auf den
Fig. 10 (5, 6, 7) und 14 nur eine Lage von Elementen. Da letzterer
Zustand an den Stellen mit wohl ausgebildetem Dotterepithel der
504 Georg Ruge
normale zu sein scheint, so schließen wir, dass die Vergrößerung
des Dotterepithels die mittlere Lage beeinflussend zu einer ein-
schichtigen zu reduciren im Stande sein kann.
Es erscheinen an den Elementen der mittleren Lage Zeichen,
die auf Rückbildung hindeuten mögen, die sich in Zerklüftungen
der Kerne, in direkter Kerntheilung äußern. So erkennt man im
Stadium des engeren Zusammenhanges der mittleren Zelllage mit
dem Dotterepithel (Fig. 9 Z und JZ) alle Zustände von Kernzerfall.
Bei J liegt links ein eingeschnürter, chromatinreicher Kern, bei J/
findet man links, dem großen Kernleibe anliegend, wohl auch noch
zugehörig, mehrere Kerntheile, rechts einen in vier Theile zerfallenen
Kern, welche durch feine Fäden zusammenhängen: bei Z und J/ wird
man auch Zellen mit mehreren Kernen erkennen, welche ein weiteres
Stadium der Kernspaltung vorstellt. Solche Zustände treten in allen
Stadien der Eirückbildung auf. Es neigen die Elemente der mitt-
leren Schicht schon frühzeitig zum Kernzerfalle hin, der uns in allen
Formen entgegentritt. Auf Fig. 10 (3) sind auf dem Schnitte drei
Kerne einer Zelle getroffen, auf Fig. 11 fünf kleine Chromatin-
kugeln; auf Fig. 15 werden alle Abspaltungszustände gefunden.
Da trotz der Kernspaltung in späteren Phasen keine Verdickung der
mittleren Schicht, vielmehr eine Einschrumpfung eintritt und oft nur
eine Lage platter Zellen übrig bleibt, so schließen wir daraus auf
eine Rückbildung der mittleren Zone. Auch die Erscheinung, dass
keine indirekte Kerntheilung mit nachfolgender Zelltbeilung bei den
Befunden von Siredon erkennbar ist, lässt den Verlust vitaler Eigen-
schaften an den Elementen der mittleren Lage der Eihülle vermuthen.
Die obersten Zellen des Dotterepithels zeigen nicht selten
Übereinstimmung mit den in den Elementen der mittleren Lage sich
abspielenden Vorgängen. So erkennt man auf der Fig. 10 (3) in
zwei oberflächlichen Dotterepithelzellen beginnende und beendigte
direkte Kernspaltungen. Auf Fig. 20 sind sogar tiefere Elemente
des Dotterepithels mit mehreren, sechs Kernprodukten erfüllt; sie
deuten auf frühzeitiges Aufgeben normaler Eigenschaften dieser Ele-
mente hin.
Das Dotterepithel des sich rückbildenden Eies nimmt aber im
ganzen Großen, nachdem es von der mittleren Lage sich abgrenzte,
eine rasche Ausbildung. Fast alle Abbildungen der Taf. XVIII
und XIX legen Zeugnis dafür ab. Wir sehen den Zellleib sich
vergrößern, Anfangs nach allen Richtungen wachsen, um dann eine
kubische Form anzunehmen (vgl. Fig. 10 5, 13, 16, 25). Der Kern
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 505
schwillt an, wird elliptisch oder sphärisch und zeigt dann meist
eine schöne Struktur und Ansammlung von Kernkörperchen. Die
weitere Größenzunahme der Elemente des Dotterepithels vollzieht
sich allmählich gegen den Dotter hin. Die Zellen werden hoch und
ragen mit plumpen, buckligen Vorsprüngen in den Dotter hinein.
Solche Zustände wird man aufs schönste auf den Fig. 10 (6 und 7)
und 12 wahrnehmen können. Die einzellige Epithellage geht bald
in eine mehrschichtige über. Es verlassen einzelne Zellen die Ober-
fläche und rücken gegen den Dotter. Anfangs liegen sie noch zwi-
schen den tiefen Theilen der oberflächlichen Zellen (Fig. 10 3, 12,
13), darauf lösen sie sich weiter und weiter los und können dann
selbst eine eigene, dem Dotter unmittelbar auflagernde Schieht re-
präsentiren (Fig. 16). So bilden sich zwei oder mehrere Zelllagen
aus; die Zellen der tiefsten sind dann kleiner und unregelmäßig
gegen den Dotter geformt, während die oberflächlichen Zellen hoch
und gegen einander abgeplattet sind. Es findet im Dotterepithel
sicherlich neben dem Wachsthum auch eine Vermehrung der Ele-
mente statt. Man sieht Zellen mit mehreren Kernen. Auf Fig. 19
trägt eine Zelle zwei Kerne mit schöner Struktur. Auf der Fig. 14
ist eine Zelle dargestellt, welche durch die Kontour gleichmäßig ab-
gegrenzt ist, im Inneren aber drei Abtheilungen zeigt, welche z. Th.
abgegrenzt erscheinen; zwei von diesen Zellabtheilungen enthalten
je einen Kern mit Strukturen und Kernkörperchen. Die andere Zell-
abtheilung zeigt den Kern auf dem nächstfolgenden Schnitte der
Serie. Ich halte den ganzen Komplex für ein nach der Theilung
des Kernes auch in verschiedene Zellleiber zerfallendes Element.
Auf der Fig. 11 a finden wir zwei in einer Zelle neben einander
liegende Kerne, welche gegenseitige Abplattung und feine Strukturen
zeigen. Ob es sich bei der Vermehrung der Dotterepithelien um
direkte oder indirekte Kerntheilung handelt, entscheiden unsere Be-
obachtungen nicht; doch wird eine Annahme von indirekter Kern-
theilung unwahrscheinlich, in so fern eine jede hohe wohlentwickelte
Zelle einen großen Kern mit schönen Strukturen enthält und niemals
Kernabschnürungen, wie diese bei direkter Theilung vorkommen,
aufweist, wohl aber in einer Zelle zwei Kerne mit schönen Struk-
turen sich vorfinden.
Die Beziehungen der tiefen Zellen zum Dotter werden inten-
siver, indem diese allmählich vom Epithelverbande sich ablösen und
dann völlig vom Dotter umgeben werden; sie sind dann in letzteren
hineingerückt. Diese intravitellinen Elemente nahmen ihre Ent-
506 Georg Ruge
‘stehung also jenseits des Dotters und erscheinen erst nach dem
Tode der Eizelle und dann noch verhältnismäßig spät als Bestand-
theile des Dotters. Die Fig. 1, 2, 11 und 16 sprechen für die Ab-
kunft der intravitellinen Zellen vom Dotterepithele. Ich beschränkte
mich auf diese wenigen Abbildungen, welche für die Herkunft der
intravitellinen Zellen zeugen. Für die ausgesprochene Ansicht sind
aber auch die übereinstimmenden Strukturen der intravitellinen Ele-
mente mit den Zellen aus dem Verbande des Eiepithels anzuführen.
Die intravitellinen Zellen gelangen nach und nach tiefer in den
Dotter hinein und werden schließlich an allen Stellen vorgefunden.
Aber nicht alle im Dotter vorkommende Zellen stammen vom hohen
Dotterepithel her.
Bevor die Struktur und die reichlichen Umbildungen der vom
Dotterepithele herstammenden Zellen dargestellt werden, handele
es sich um die Herkunft der anderen, im Dotter vorkommenden
Elemente. Sie stammen aus den Blutgefäßen. Den Beweis hier-
für liefern uns die Schnittserien und die folgenden Beobachtungen
an ihnen.
Blutgefäße der sich rückbildenden Eier.
Alle Blutgefäße treten von denjenigen Stellen zur Oberfläche
des Eies, an welchen dieses mit den Wandungen des Ovarium zu-
sammenhängt. Sie gelangen unter das einschichtige platte Epithel
und nehmen Platz in der mittleren Zellschicht oder der mittleren
Eihülle, um in dieser in verschiedenem Maße an das hohe Dotter-
epithel sich anzulehnen. Solche Zustände finden sich auf den Fig. J,
2, 10 (2), 16, 21, 22, 23, 29, 31 bildlich dargestellt. Auf den
Sehnitten sind die Gefäße durch ihren Inhalt jedes Mal unschwer
zu erkennen.
Verfolgt man an mehreren sich weiter rückbildenden Eiern mit
den wohlentwickelten drei Zelllagen der Oberfläche ganze Schnitt-
serien, so erkennt man, dass die Blutgefäße allmählich mächtiger
werden und dann in das gleichzeitig sich vergrößernde Dotterepithel
hineinragen, sich oft in einen Zellleib einstülpen. Man findet auf
der Fig. 25 eine Serie von acht Schnitten abgebildet (Z’—VIIT).
Auf Schnitt J liegen drei Gefäßschlingen dicht bei einander; sie
hängen theilweise zusammen. Auf Schnitt ZZ und den folgenden
erkennt man zwei getrennte Gefäße a und J. Bei Schnitt JV sind
beide Gefäße tief zwischen die Elemente des Dotterepithels, fast bis
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 507
zum Grunde derselben eingedrungen. Ein ähnliches Verhalten ist auf
Schnitt V ausgesprochen; denn auch hier hängen beide Gefäße (a und 4)
noch mit der mittleren Schicht zusammen. Auf Schnitt VJ sind
beide Gefäßschlingen in oberflächliche und tiefe Theile gespalten.
Dieser Zustand gilt für das Gefäß a auch an den Schnitten VII
und VIII, während an denselben vom Gefäß 4 nichts mehr wahr-
nehmbar ist. Die tiefen Theile vom Gefäße « werden auf Schnitt
VII und VIII kleiner und kleiner, um auf den folgenden Schnitten
ganz verloren zu gehen. Sie erreichen also die Oberfläche nicht
wieder, sondern sind als Gefäßsprossen aufzufassen, welche in oder
zwischen die Epithelzellen hineinragen und hier blind endigen. Da-
mit hängt die eigenthümliche Erscheinung zusammen, dass sich in
der Umgebung der tiefen Gefäße vereinzelte oder mehrere bei ein-
ander liegende Zellen sich vorfinden, deren Übereinstimmung mit
Blutkörperchen durch Größe und durch das Verhalten zum färbenden
Reagens auffällt. Es handelt sich sowohl um rothe als auch um
weiße Blutkörperchen, die sich vom Gefäße abtrennten und frei in
oder zwischen Epithelzellen zu lagern kamen. Nach unten vom
tiefen Theile des Gefäßes 5 erkennt man auf Schnitt VJ vier der-
artige Zellgebilde frei in einer Epithelzelle liegen; zu einem der-
selben gehört ein deutlich erkennbarer Zellleib (links). In der Um-
sebung des tiefen Theiles des-Gefäßes « finden sich rechts und
links je ein Element, während die Gefäßschlinge selbst nur zwei
Elemente in sich birgt. Weiter entfernt von durch den Schnitt ge-
troffenen Gefäßen weist das Epithel noch Kerne auf, welche in Über-
einstimmung mit denen von Blutkörperchen sich finden. Unter Ge-
fäß & des Sehnittes 4 liegt eine kleine Zelle mit kleinem ovalen
Kerne und hellem Leibe; unter dem Gefäße « des Schnittes JZ er-
kennt man einen isolirt in einer Epithelzelle befindlichen Kern,
welcher in Größe und Färbung durch das Reagens mit dem Kern
eines Blutkörpers übereinstimmt. Auf Schnitt /ZI finden sich unter
Gefäß a in einer Zelle drei derartige stark tingirte Kerne, in der
links benachbarten Epithelzelle ein Kerngebilde. Auf dem Schnitte V
sind derartige als zu Blutkörperchen gehörige Kerne in den links
vom Gefäße «a befindlichen Epithelzellen erkennbar. Ein Gleiches
trifft für Schnitt VZ zu, an dem die eine Zelle, mit deutlichem Kerne
und Leibe versehen, die Eigenschaften eines rothen Blutkörperchens
trägt.
Mein Urtheil über jene kleinen Zellkörper, welche in allen
wesentlichen Punkten von den großen Dotterepithelzellen sich unter-
Morpholog. Jahrbuch. 15. 33
508 Georg Ruge
scheiden, geht dahin, dass sie aus Blutgefäßschlingen, welche in
das Dotterepithel sich einsenkten, herstammen, dass sie Blutzellen
sind, welche nach dem Verlassen der Gefäßröhren durch weitere
selbständige Lagerungsveränderungen das Epithel allmählich durch-
setzen. Als Beleg für diese Meinung möge die gegebene Schilde-
rung der Zustände dienen, welche uns an der Schnittserie (Fig. 25)
entgegentreten und welche alle Entwicklungsphasen der Durchwach-
sung des Dotterepithels mit Blutzellen aufweisen.
Die Dotterepithelzellen leisten den sieh ausbildenden Gefäßen
der Eioberfläche keinen Widerstand; sie werden zur Seite gedrückt.
so dass die Gefäße zwischen den Epithelzellen gefunden werden.
Die Gefäßschlingen können aber auch in einen Zellleib hineinwach-
sen, so dass dann eine Zelle wie vascularisirt erscheint. Man nimmt
dies auf der Fig. 34 wahr: sie stellt das Gefäß z des Eies B (Fig. 2)
bei starker Vergrößerung dar. Die Gefäßschlinge erfüllt fast voll-
kommen den mächtig aufgetriebenen Leib der einen Zelle des Dotter-
epithels, welche in die Quere fast vierfach so groß ist wie ihre
Nachbarn. Der Zellleib umgiebt die Peripherie der Gefäßschlinge.
Gegen den Dotter zu findet sich der wandständige etwas abgeplattete
Zellkern. An der Gefäßschlinge findet sich rechts unten gegen den
Zellleib eine Endothelzelle.
Eine Anbahnung dieses Verhaltens erkennt man an einem
Schnitte, der auf Fig. 21 abgebildet wurde. Rechts vom Blutgefäße
liegt eine Zelle m mit großem Kern und kleinem Leibe. Der Kern
zeigt eine feine Struktur; der Leib ist unregelmäßig und findet sich
links von der Stelle, an der ein Blutkörperchen in den Leib einer
Dotterepithelzelle hineinragt. Dieses Blutkörperchen gehört einem
oberflächlichen Gefäße zu, erscheint aber von diesem abgesondert,
nachdem es in die Epithelzelle sich eindrängte. Es lässt sich aller-
dings nicht aussagen, ob das Körperchen (m) noch im Blutstrom sich
befand oder aus demselben ausschied. Es ist aber möglich, dass
dasselbe in die Epithelzelle eingekeilt ist und den Weg der Aus-
wanderung aus dem Gefäße antrat, wie diesen die Elemente an der
Serie der Fig. 25 vollendet haben. Sicherlich ist durch das Körper-
chen die Stelle angegeben, an welcher eine Gefäßschlinge die Ober-
fläche der Epithelzelle nachgiebig fand. Dem Verhalten der Kern-
struktur nach ist das Blutkörperchen ein weißes, wie der Vergleich
mit der Fig. 22 zeigt, auf welcher ein rothes und ein weißes, aus
einem Gefäße herstammendes Körperchen abgebildet wurde.
An vielen anderen Orten findet man nun in unmittelbarer Um-
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 509
gebung von Gefäßen Zellen, welche einen von den Dotterepithel-
zellen ganz verschiedenen Charakter tragen und als weiße aus den
Gefäßen ausgetretene Blutkörperchen zu deuten sind. Eine solche
Zelle findet sich auf Fig. 29 (w.A) im Anschluss an die rothen
Blutzellen eines Gefäßes; sie ragt aber nach links zwischen Dotter-
epithel und die mittlere Zellenlage des Eies ein. Mit körnigem
Plasma versehen ist der Zellleib aufgetrieben; in ihm finden sich
vier rundliche Kerne mit großen Chromatinkörnern und heller Kern-
substanz. Die unmittelbare Nachbarschaft der Zelle zum Blutgefäß
lässt an der Natur derselben als Blutzelle Zweifel nicht wohl auf-
kommen; die Einschiebung der Zelle zwischen Elemente des Dotter-
epithels spricht für die Annahme, Cass die Blutzelle das Gefäß zu
verlassen im Beginne steht. Die Ansammlung von vielen Kernen in
der Zelle deutet auf Veränderungen hin, welche das freiwerdende
Element betreffen. Auf den Fig. 22 und 23 findet man die mit
w.K bezeichneten Zellen noch in der Nähe der Gefäße, aber es tritt
hier bereits zwischen beiden eine Zwischenschicht auf, welehe den
vollendeten Austritt anzeigt. Auch hier ist der Zellleib aufgetrieben
und zwischen Eiepithelzellen eingekeilt. Der Zellleib enthält körniges
helles Material und in diesem mehrere Kerne, welche in Fig. 23 zu
vier, in Fig. 22 zu fünf beisammen lagern. Alle Kerne zeigen
größere Chromatinkörperchen: sie sind gleich groß in Fig. 23, von
sehr verschiedener Größe in Fig. 22.
Lässt man einmal die Deutung der beschriebenen, mit w.A be-
zeichneten Zellen als Blutkörperchen zu, so wird man auch zustim-
men, die entfernt von Gefäßschlingen zwischen den Dotterepithelien
liegenden unregelmäßig gestalteten Zellen mit hellem Zellleibe und
mit mehreren Kernen als Blutzellen aufzufassen, welehe ihren ur-
sprünglichen Platz veränderten. Die Übereinstimmung solcher Ele-
mente mit den erst aufgeführten leuchtet an Elementen ein, welche
wir auf Fig. 23 (w. X“) vorfinden. Ein etwas vergrößerter Zellleib
mit fünf runden Kernen zeichnet hier die Zelle aus. Die auf den
Fig. 30 und 31 dargestellten Zellen (w.A(®, sind durch Lage und
Bau mit den anderen zu identifieiren.
Verändern aber Blutzellen so weit ihre Lage, so sind wir auch
nicht überrascht, sie die Grenze des Dotterepithels überschreiten
und in die Dottermasse eintreten zu sehen. So wenigstens sind
die intravitellinen Zellen, welche durch Größe und inneren Bau mit
den im Dotterepithele noch steckenden Blutkörperchen übereinstim-
men, als aus letzteren hervorgegangen zu deuten. Auf der Fig. 16
33”
510 Georg Ruge
erkennt man im Dotter zwei Zellarten, von denen die großen mit an-
sehnlichem Kerne als losgelöste Dotterepithelzellen, die kleineren mit
hellem Leibe und einer Menge von Kernen aber als Blutkörperchen
aufzufassen sind. Auf derselben Figur findet man letztere Zellen
sogar an allen drei Stellen: 1) im Dotterepithele (Eiepithele), 2) an
der Grenze von diesem und dem Dotter, 3) im Dotter selbst.
Diese Darstellung involvirt also die Vorstellung, dass
der Dotter der sich rückbildenden Eier mit zwei Zellarten
durchsetzt wird. Die eine der letzteren stammt aus dem
Blute, die andere vom Dotterepithele, also vom Eifollikel
selbst her. Diese beiden Zellarten lassen sich in ferneren Stadien
ihrer Umbildung stets gut von einander unterscheiden.
Die Elemente der mittleren Zone der Eiperipherie, der mittleren
Eihülle, mit hellem Leibe und mehreren Kernen, sind zum Theile
sicher von den Zellen der mittleren Lage herleitbar (Fig. 9 [J und 77],
10 [3], 12), zum Theile aber sind sie auf ausgetretene Blutzellen
zurückführbar (Fig. 23). Die Herkunft anderer Zellen an der Ei-
peripherie vermag ich aus deren Natur nicht zu erkennen, da die
Destruktionsvorgänge an den beiden Zellarten zu gleichen Zuständen
hinzuführen scheinen. Derartige, betreffs der Herkunft zweifelhafte
Elemente birgt z. B. die Fig. 18. Hier finden sich alle möglichen
Formen neben einander. Eine helle runde Zelle mit großem runden
Kerne lagert neben einer mit fünf kleinen Kernen. Unter der erste-
ren und der erkennbaren Pigmentscholle lagert, an das Dotterepithel
anschließend, ein abgeplattetes Element mit fünf kleinen Kernen.
b. Vorgänge im Inneren der Eizelle.
Veränderungen der Blutzellen. Die normalen Zellen
sind mit einem großen runden Kern versehen, der ein grobmaschiges
Chromatinnetz besitzt. Die aus den Gefäßen ausgetretenen Blut-
körperchen sind meist mit einer größeren Anzahl kleinerer Kerne
erfüllt. Wir trafen deren bis zu fünf an. Die Kerne konnten
sleich oder ungleich groß sein, dicht beisammen liegen oder von
einander getrennt sein. Man trifft neben sphärischen Kernen lang-
gestreckte an. Auf der Fig. 33 ist die obere der vier Zellkerne
langgestreckt biskuitförmig. Die leichte Einschniirung deutet eine
beginnende Theilung durch Abschnürung an. Eine beginnende
Abschnürung von Theilen des ganzen Kernes sehen wir auf Fig. 28,
wo die starken Chromatinfäden die Lappung bezeichnen. An der
~
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 511
Zelle (w.K(®) der Fig. 30 ist der Zerfall in drei Kerne durch-
geführt, wenn schon die Kernprodukte noch dicht beisammen la-
gern. Die Zustände der Fig. 31, 22, 23 ete. schließen sich daran
an. Die Kernprodukte in den Blutzellen können im Dotter-
epithele noch eine weitere Spaltung eingehen. Dies erfahren wir
aus der Abbildung 32, welche uns zwei dicht bei einander im
Dotterepithele eines Eies befindliche Blutkörperchen vorführt, von
denen das unten gelagerte mit einem Kerne, das oben gelagerte
mit einer großen Anzahl von kleinen und kleinsten Chromatinkugeln
erfüllt ist. Der helle Zellleib behielt seine Einheitlichkeit, Form
und Größe bei. Eine direkte Kerntheilung leitet uns also hier zu
einem Stadium hin, in welchem wir das Wesen der normalen Zelle
in hohem Grade alterirt sehen. Zu einer Vermehrung ausgewan-
derter Blutkörperchen durch Zelltheilung kommt es dabei nicht, so
weit wir es nachweisen können. Es wird nach den gegebenen
Sehilderungen und anderen vorliegenden Beobachtungen ein jeder
Versuch scheitern müssen, die für Blutkörperchen angesehenen Zel-
len etwa als die Bildner des »Dotterepithels« zu betrachten, wie dies
früher geschehen ist (siehe unten).
Sind die Blutkörperchen in die Dottermasse eingedrungen, so
unterscheiden sie sich durch ihre Kleinheit und ihren Kernreichthum
oft sehr deutlich von den in den Dotter eingedrungenen Epithel-
zellen (vgl. Fig. 16). In der Dottermasse machen die Blutkörper,
so fern sie ihren großen runden Kern besitzen, die geschilderte
Kernspaltung durch. So finden sich also auch im Dotter alle mög-
lichen Formzustiinde. Die Veränderungen schreiten hier aber noch
weiter fort; sie scheinen mit einer vollständigen Auflösung des
Kernes oft zu enden. Während dieses Vorganges nimmt der Zell-
körper zuweilen Stoffe seiner Umgebung auf und wird dann z. B.
mit Pigment- und Dotterplättchen erfüllt gefunden. Indem der Zell-
leib im Dotter anschwellend sich wieder zu runden vermag, erhält
er nicht selten gerade durch den Besitz von vielen Kernprodukten,
Dotterkérnchen und Pigment eine überaus große Ähnlichkeit mit den
kleineren, im Dotter veränderten Abkömmlingen des Epithels. Es
finden sich selbst Elemente vor, denen man schlechterdings die Epi-
thel- oder Blutkörpernatur nicht anzusehen vermag.
Noch nach einer anderen Richtung vollzieht sich die Umwand-
lung der Blutkörper im Dotter. Oft findet man in letzterem freie
Kerne, welche sphärisch gestaltet und von Dotterplättehen allseitig
umgeben sind. Ihrer Größe und ihrem Chromatingehalt nach stimmen
512 Georg Ruge
sie mit den Kernen von weißen Blutzellen überein. Dadurch, dass
man in der Umgebung solcher Kerngebilde zuweilen noch undeut-
liche Reste von Zellkontouren erkennt, die in der Größe mit denen
von weißen Blutzellen übereinstimmen, wird die Deutung der freien
Kerne im genannten Sinne befestigt. Achtet man aber keinen Be-
fund zu gering, so schließt sich durch sie allmählich ein Kreis, wel-
cher alle erwähnten Übergangsformen jener Reihe enthält. Neben
freien großen sphärischen Kernen mit größeren Chromatinballen
findet man auch solche als Kerne anzusprechende Elemente, aus
welchen färbbare Substanzen verschwanden und dann oft nur noch
eine blasse Kontourlinie erkennen lassen. Denkt man sich auch
diese verschwunden, so müssen helle kugelige Bläschen überbleiben,
denen man die Kernnatur ohne die Kenntnis der anderen Formen
wohl schwerlich zusprechen würde.
Nach meiner Ansicht handelt es sich also um zwei Arten der
Umwandlung von Blutzellen, welche aber beide zur Destruktion der-
selben hinführen. Die eine Art beruht darin, dass zuerst der Kern
sich nach und nach vollständig zerklüftet und der Zellleib längere
Zeit intakt bleibt, um erst später undeutlich zu werden und zu ver-
schwinden. Die andere Art der Destruktion leitet sich durch Zu-
grundegehen des Zellleibes ein, woran eine Rückbildung des Kernes
sich anschließt.
Die hier vorgetragene Anschauung möge durch direkte Beob-
achtungen bekräftigt werden. Ich stellte auf den Fig. 35—52 Be-
funde zusammen, welche ich zu einer Entwicklungsreihe rechne.
Die Möglichkeit eines Irrthums hier oder da muss aber zugegeben
werden, da auch von Seiten der Epithelzellen im Dotter ähnliche
Bilder geliefert werden. Das beste Korrigens bleibt aber auch hier
das durch Übung geschärfte Urtheil.
Der Zerfall des Kernes bei erhaltener Zellkontour
ist auf den Fig. 35—43 und einigen folgenden zu sehen. Auf der
Fig. 36 erkennt man eine Zelle aus der Dotterrinde mit stark ein-
geschnürtem Kerne; auf Fig. 35 ist eine Zelle der Dotterrinde mit
zwei Kernen versehen. Auf der Fig. 37 sind Zellen in vielen Sta-
dien des Kernzerfalles dargestellt. Rechts oben liegt ein Element
mit halbmondförmigem und eingeschnürtem Kerne: daneben sind
Zellen mit zwei, drei, vier, sechs und mit vielen Kernen zu er-
kennen. In dem einen Elemente mit vier Kernen ragen die Spitzen
letzterer centralwärts noch gegen einander. Auf der Fig. 38 voll-
zieht sich an der rechts gelegenen Zeile die Einschniirung, die an
r
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 513
der linken drei Kernbildungen hervorgehen ließ. Stets sind die
Chromatinballen gut erkennbar. Auf Fig. 39 ist eine Zelle aus
dem Inneren des Dotters abgebildet. Ihr Kern ist in vier Theile
zerfallen, welche aber noch an einer kleinen Stelle zusammenhängen.
Die Fig. 40—42 führen ähnliche Zustände vor. Die links lagernde,
aus der Dotterrinde stammende Zelle der Fig. 45 zeigt neben großen
Kernen, von denen der eine stark eingekerbt ist, zwei kleine Kern-
chen. Die rechts lagernde, aus dem Inneren des Dotters herstam-
mende Zelle der Fig. 44 enthält vier Kerne, welche reichliche Chro-
matinballen enthalten. Drei Kerne hängen durch lange zarte Chro-
matinfäden noch unter einander zusammen. Auf Fig. 43 ist eine
Zelle der Dotterrinde abgebildet, an weleher der Kern in sehr viele
Theile zerfiel, die sich zum Theile durch einen geringen Gehalt an
chromatischer Materie auszeichnen. So sind denn einige Theilstücke
abgeblasst und mit undeutlicher Kontour versehen. Der allmähliche
Zerfall des Kernes in stets kleinere Theile ist das Zeichen einer
Destruktion der ganzen Zelle. Mit dem Schwinden des Chromatin-
gehaltes aus den Kernprodukten müssen diese nach und nach heller
und daher auch undeutlicher werden. Schließlich werden Zellleiber
mit hellem Inhalte übrig bleiben müssen, wie sie nicht selten an
den verschiedensten. Stellen des Dotters angetroffen werden. Auf
der Fig. 11 z. B. erkennt man drei derartige dieht beisammen lie-
gende helle, von einer deutlichen Kontour begrenzte Elemente (m).
Für die Rückbildung von Blutzellen im Dotter mit Vorangehen
der Riickbildung des Zellleibes. welchem der Kern später
folgt. findet man auf den Fig. 45—52 Belege. An der rechts lagern-
den Zelle der Fig. 45 ist der einheitliche große, sphärische Kern
mit reichlichem Chromatin erfüllt, welches die ganze Oberfläche
überzieht. Der Zellleib ist in seinen Kontouren nur schwach, und
zwar durch seinen Pigmentgehalt hauptsächlich angedeutet. Dotter-
plättchen drangen in die Zelle ein und reichen in ihr bis zur Kern-
membran. Auf der Fig. 46 blieb der Zellleib dadurch erkennbar,
dass die von der Zelle aufgenommenen Dotterplättchen konfluirten
und an der Zellperipherie sich schärfer von den extracellulären Dotter-
körnern absetzten. Der Kern spaltete sich während der jenseits von
ihm vor sich gehenden Veränderung in mehrere Theile, von denen
drei auf dem Schnitte erkennbar sind. Auf der Fig. 47 ist an der
rechts liegenden Zelle keine Spur einer Kontour mehr erkennbar.
Der in zwei Theile gespaltene Kern ist von Dotterplättehen um-
geben, von denen die nächstliegenden wohl einst in der Zelle selbst
514 Georg Ruge
sich befunden haben mögen. Auf der Fig. 45 sind drei im Dotter
dicht neben einander gelagerte Zellen dargestellt, von denen Zelle 1
ihre Kontour bewahrte, an welche breite Dotterschollen dicht an-
grenzen. Im Inneren befinden sich drei chromatinhaltige Kerne, von
denen der rechts gelagerte gelappt erscheint. An der Zelle 2 sind
die Kontouren theilweise ganz verwischt, theilweise aber durch die
an sie angrenzenden Dotterstraßen noch markirt. Der Zellkern ist
in sehr viele, an Größe und Form verschiedene Theile zerfallen.
Auf der Fig. 49 sind aus der Dotterrinde zwei Kerne abgebildet.
von denen der eine sphärisch, der andere länglich gestaltet ist.
Beide besitzen neben reichlicher heller Substanz auch Chromatin-
ballen, welche im Inneren z. Th. netzförmig, z. Th. zu größeren
und kleineren Kugeln angeordnet sind und eine dünne einheitliche
periphere Zone bilden. Beide Kerne liegen frei und sind gleich-
mäßig von Dotterplättehen umgeben; sie verloren ihren Zellleib.
Diese freien Kerne lassen sich von Zellen ableiten, wie wir sie auf
Fig. 45 vorfanden. Die Fig. 50, 51 und 52 geben ebenfalls frei
im Dotter gefundene Kerne wieder, von denen der Kern 5 der
Fig. 50 sich durch reichen Chromatingehalt auszeichnet. Am Kerne
der Fig. 51 ist das Chromatin auf die Peripherie beschränkt, um
hier eine kontinuirliehe Kontourlinie zu bilden, von weleher in das
helle Innere vielfach kleine buckelförmige Einragungen ausgehen.
Am Gebilde der Fig. 52 ist das Chromatin nur noch als hellrother
Kernsaum erkennbar, welcher einen völlig hellen Kerninhalt ein-
schließt.
Weitere Zustände von Veränderungen an freien Kernen habe
ich bei Siredon pisciformis nicht wahrgenommen. Dass aber Kerne,
wie die der Fig. 52, dem Untergange geweiht sind, ist wohl nicht
zu bezweifeln. — Eine merkwürdige Form von freiem Kerne fand
sich dicht neben einem runden freien Kerne. Die Fig. 50 giebt sie
wieder (a). Formen, welche an diese sich anreihen ließen, habe
ich nicht wahrgenommen.
Die hier beschriebenen Zellen theilen als ausgewanderte Blut-
zellen auch die Fähigkeit, in das Innere Substanzen ihrer Umgebung
aufzunehmen. Diese bestehen in Dotterelementen und in Pigment-
körnchen, welche letzteren aus dem animalen Pole des reifenden
Kies herstammen. Pigmentkörnchen sah ich in den Zellen, die nach
meinem Urtheile aus dem Blute herstammen, immer nur in geringen _
Mengen, am reichlichsten wohl in der Zelle der Fig. 45 (rechts).
Dotterplättchen hingegen dringen oft in sehr reichlichem Maße in
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 515
den Zellleib ein. Man findet sie in allen möglichen Quantitäten in
den Zellen der hierauf bezüglichen Figuren. Auf Fig. 42 enthält
das w.K bezeichnete Element etwa sieben kleine blau gefärbte
Dotterkugeln. Wenige finden sich auch im links gelagerten Ele-
mente der Fig. 47 und 45. Reichliche Ansammlungen zeigt die
mittlere Zelle der Fig. 41 und die rechte der Fig. 45, wo die Dotter-
plätteben den Kern fast vollständig umschließen. Mit dem Zugrunde-
gehen des Zellleibes werden Dotterelemente allmählich bis an die
Oberfläche der Kerne auch von ursprünglich nicht mit ihnen erfüllten
Zellen vordringen müssen. Die Fig. 48 zeigt in ganz frappanter
Weise, wie am Elemente 3 die Dottersubstanz sich des hellen Raumes
bemächtigt, der früher Zellleib war. Von Interesse ist die Umwand-
lung der Dotterplaitchen. welche in die Zellen eindrangen. Anfangs
in kleinen Körnchen oder Plättchen aufgenommen (Fig. 42, 45, 47),
seben wir diese allmählich zu größeren Schollen (Fig. 41, 44) zu-
sammenfließen. Indem solche wiederum sich vereinigen, bilden sie
sroße unregelmäßige Körper, an denen die ursprünglichen Formen
vollkommen verwischt sein .können. Sie behalten aber die Fähig-
keit bei, sich mit Bleu de Lion zu färben. Solche konfluirten Dotter-
schollen weisen die Zellen der Fig. 46 und 48 (Zelle 1 und 3) auf.
Das Zusammenfließen von Dotterkugeln, wofür alle Schnitte Belege
abgeben, konnte nur durch ein Erweichtwerden der früher scharf
abgesetzten festeren Plättchen zu Stande kommen. Das Erweichen
aber müssen wir dem Einfluss des Protoplasma der Blutzellen zu-
schreiben.
Darin äußert sich denn auch eine bedeutungsvolle Seite der in
den Dotter eindringenden Blutkörper. Sie füllen sich, bevor
sie selbst dem Untergange geweiht sind, mit Dotterma-
terial, erweichen denselben und bereiten ihn dadurch in
dem sich rückbildenden Eie für die Resorption vor.
Die Erscheinung, dass die weißen Blutzellen nur selten mit
Pigmentstoffen erfüllt sind, ist oft ein recht zutreffendes Unterschei-
dungsmerkmal von den in den Dotter eingedrungenen Epithelzellen,
die wir mit Pigment oft vollgepfropft finden. Die Thatsache selbst
erklärt sich wohl daraus, dass die Epithelzelien, bevor Blutkörper
ihre Heimat verlassen und in die Eizelle eindringen konnten, des
Eipigmentes sich bemächtigten. Dottermassen hingegen fanden alle
in das Innere des reifen Eies eintretenden Zellen in Fülle vor. Da-
her die Möglichkeit der Aufnahme derselben von Zellen ganz ver-
schiedener Herkunft.
516 Georg Ruge
Alle Processe, welche wir an den ausgetretenen Blutkörperchen
sich abspielen sahen, treten in großem Maßstabe an den Zellen
hervor, welche wir vom Eiepithele herleiten.
Veränderungen der Zellen des Eiepithels im Inneren
des Dotters.
Die mannigfaltigen Veränderungen an den vom Epithele her-
stammenden Zellen sind auf den Fig. 53—S0 bildlich dargestellt.
Aus ihnen ist auch unschwer die Kontinuität der Processe zu er-
kennen, welche die folgende Darstellung ausführt.
a) Aufnahme von Pigment.
Mit der Zunahme der Zellen des Eiepithels an Größe und an
Zahl bemächtigen sich die am animalen Eipole gelegenen Elemente
alles hier befindlichen Pigmentes. Das Ei ist dann an einem Pole
von einem dunklen, am anderen von einem hellen gewucherten
Epithel umgeben (Fig. 1). Es geht auf diese Weise die Haupt-
masse des in Körnchenform vorbandenen Pigmentes aus dem Ei-
inneren in das Eiepithel über. Die Pigmentkörnchen findet man in
den kleineren Epithelzellen noch verhältnismäßig gleichmäßig durch
den ganzen Inhalt zerstreut, wie die Fig. 10 (/—4) es zeigt. Mit
der Zunahme des Volumens der Epithelzellen ordnet sich das Pig-
ment zu netzförmigen Strängen um, in deren Maschen helles,
gleichartiges Zellmaterial sich vorfindet. Man vergleiche die Fig. 10
(6 und 7), 11, 21, 34. Diese Anordnung ist eine Folgeerscheinung
der Veränderungen des Zellleibes, dessen Protoplasma durch An-
sammlung von hellen Bläschen zwischen sich netzförmig sich ge-
staltet. Das lehren die pigmentfreien Stellen von Elementen oder
die pigmentfreien ganzen Zellen (vgl. Fig. 12, 14, 19). Die An-
ordnung des Pigmentes bleibt vom Protoplasma abhängig. Die ur-
sprüngliche gleichmäßige Vertheilung des Pigmentes macht häufig
einer Ansammlung von Körnchen zu dichten Haufen Platz; dann
entstehen Pigmentschollen, welche schon in der Netzform des Pig-
mentes an vielen Stellen sich bemerkbar machten (Fig. 11).
Mit dem Abspalten der Zellen vom Eiepithele gelangt das durch
sie aufgenommene Pigment wieder in das Innere des Eies hinein
und wird, an die Zellen geknüpft, in allen Schichten des Dotters
vorgefunden. In diesen intravitellinen Zellen findet man das Pig-
ment wieder in allen Zuständen der Anordnung vor, selten gleich-
mäßig vertheilt (Fig. 54, 55, 57), meist netzförmig angehäuft, wobei -
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 517
die Maschen von hellen Bläschen erfüllt sind (Fig. 53, 59, 60, 62.
63, 64 ete.); oft ist das Pigment zu schwarzen Schollen zusammen-
geballt (Fig. 59, 73 und 44 links). Kann man durch den Besitz der
Zellen von Pigment auf deren Herkunft zurückschließen, so kann
man in gleicher Weise folgern, dass da, wo im Inneren des Dotters
Pigmenthaufen angetroffen werden, sich abgelöste Epithelzellen einst
vorfanden. Gingen daher auch die Zellen selbst spurlos zu Grunde,
so deutet doch oft noch das Pigment auf sie hin. Auf der Fig. 75
(rechts) finden sich solche Stätten von Pigment frei im Dotter, hier
allerdings noch in einer helleren Zone, die einem früheren Zell-
territorium entspricht. Das Pigment erweist sich als ein wider-
standsfähiger Körper; es überdauert die Elemente, welche es ins
Innere aufnahmen; es überdauert die Zeit der Rückbildung des
Kies. Es kann mit ganz verschiedenen Generationen von Zellen
immer wieder in Beziehung kommen und von diesen vielleicht wie-
der aufgenommen werden, nachdem es eine Zeit lang frei gewesen
war. Je kleiner dabei das sich rückbildende Ei wird, um so näher
rücken die Pigmentkörner zusammen und bilden dichte schwarze
Schollen. Als solche finden sie sich zeitenweise wieder an Zellen
ganz kleiner rückgebildeter Eier gebunden, oder sie liegen in diesen
frei. Das Vorhandensein von Pigmentschollen konnten wir ja als
letzte Residuen degenerirter Eier aufführen. Auf der Fig. 81 ist
ein rückgebildetes Ei von der Größe des Eies H (Eig. 1) bei stär-
kerer Vergrößerung dargestellt. Große schwarze Pigmentschollen
erfüllen hier ganz die vergrößerten Zellen, in denen zuweilen der
Kern erkennbar blieb. Andere Zellen enthalten geringere Mengen
Pigmentes, einige gerade noch Spuren, oder aber gar keine erkenn-
baren Mengen mehr (Fig. 81 a—c). Auch auf der Fig. 5 sind ein-
zelne derartige pigmenterfüllte Zellen aus dem Ei E dargestellt.
Dieser Befund ist doch nur so zu deuten, dass neue Zellen im Eie
sich allmählich wieder des mit dem Zellenuntergange frei gewordenen
Pigmentes bemächtigen, da wir wohl eine Aufnahme von Pigment-
körnchen ins Innere der Zellen, aber nie eine Abgabe aus der Zelle
wahrnehmen können. Ob sich nun der ganze Pigmentstoff des ge-
reiften normalen Eies in einem solchen reducirten Ei der Fig. 81
noch aufgespeichert findet, ist unmöglich zu entscheiden. Späterhin
findet, wie ich glaube, eine Verminderung des Pigmentes statt. Es
wäre von Interesse, nachzuweisen, wo das am früheren Platze nicht
mehr vorhandene Pigment geblieben ist. Trotz eifriger Nachfor-
schungen konnte ich den Modus des Eliminirens von Pigment aus
518 Georg Ruge
dem Eie nicht erkennen. Dass der Bestand an Pigment später eine
starke Abnahme erfährt, stimmt mit der Thatsache überein, dass,
je mehr die Eier degenerirt sind, desto weniger Pigmentballen an
deren Stellen sich vorfinden. Wir durften ja Eingangs dieser Ab-
handlung alle Stellen mit ganz geringen Pigmentanhäufungen als
Stätten von einstmals normalen Eiern betrachten. Die Pigment-
massen reduciren sich aber schließlich bis auf kleine Schollen,
welche in der Peripherie eines anderen bereits der Rückbildung ver-
fallenen Eies (Fig. 18, 26) sich erhalten können. Dem Einwurfe,
dass in den kleineren und kleinsten Pigmentmassen nicht völlig aus-
gereifte und doch der Rückbildung anheimgefallene Eier ihre frühere
Stätte verrathen, dass diese unreifen Eizellen die nachweisbare
Menge Pigmentes überhaupt nur produeirten, ist indessen schwer
zu begegnen, da uns vor der Hand alle sicheren Anhaltspunkte
fehlen. Der Einwurf mag um so berechtigter erscheinen, als that-
sächlich auch bei Amphibien Eier sich rückbilden, welche den Reife-
zustand nicht erreichten. Ein Gleiches ist auch für die Säugethiereier
nachgewiesen (PFLÜGER). Vor der Hand halte ich, falls wirklich das
Pigment sich vermindert, weder die Annahme für begründet, dass
es Wanderzellen forttragen, noch dass es einfach in die Blutgefäße
übergeht. Das Pigment ist als das Produkt der reifenden Eizelle
anzusehen; es kann nicht angenommen werden, dass es als fertiges
Material derselben zugetragen wird. Sollte es nicht dem lebendigen
Inhalte der Zellen des Eiepithels gestattet sein, das Produkt einer
Zelle wieder zu zerlegen? Was wir hier von dem so äußerst wider-
standsfähigen Pigmente nicht nachweisen können, erfahren wir an
einem anderen wohlgeformten Stoffe des reifenden Eies, an den
Dotterplättchen.
2) Aufnahme von Dotterplattchen und Zerlegen
derselben durch intravitelline Zellen des Eiepithbels.
Bereits in den ersten Stadien des an das Absterben des Eies
gekniipften Anschwellens der Eiepithelzellen sehen wir Dotterplätt-
chen ins Innere der letzteren übergehen. Diese Dotterplättchen sind
von verschiedenster Größe und Form. Meist erscheinen sie rund
oder eiförmig, während sie die Gestalt von Platten nicht aufweisen
(vgl. O. ScHuLtze). Sie liegen unregelmäßig neben einander, an
der dem Eie zugekehrten Zone der Epithelzellen (Fig. 10 [7, 3, 4, 5)).
Die Zunahme der Dotterplättchen an Zahl hält in den Epithelzellen
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 519
gleichen Schritt mit derjenigen des Volumen der letzteren. Die
Lage der Dotterplättehen beschränkt sich anfänglich auf die dem
Dotter zugekehrte Zone der Epithelzellen, wie dies unter anderen
die Fig. 10 (6 und 7) und 11 vorführen. Ein völliges Durchsetzen
der Zellen mit Dotterplättchen bis an die äußere Peripherie ist als
ein späterer Zustand zu deuten, der indessen nicht als regelmäßiger
später Befund aufzufassen ist.
Der dottergefüllte Zustand der Epithelzellen setzt voraus, dass
die vom reifenden Eie für sich geschaffenen, für feste Stoffe unzu-
lässigen Schutzapparate, die uns in der Dotterhaut z. B. entgegen-
treten, eine Veränderung, eine Rückbildung erlitten, dass die Mem-
branen der Epithelzellen nicht allein für flüssige Stoffe, durch deren
Aufnahme ihr Wachsen gefördert sein mochte, sondern auch für
grob geformte Bestandtheile durchgängig wurde. Vermögen wir
aber Dotterplättchen aus dem Eie in die Epithelzellen übergehen zu
sehen, so dürfen wir mit noch höherem Rechte annehmen, dass
schon früher nicht geformte Theile des Eies in die Eizellen über-
traten und mit zur Volumszunahme, zum raschen Wachsen dieser
beitrugen. Diese Annahme ist in gewisser Weise begründbar, in so
fern das ganze Ovulum durch seine Hüllen unter einem gewissen
äußeren Drucke sich befindet, in so fern das Wachsen der Epithel-
zellen auf Kosten der Eizelle erfolgen muss, sollte nicht das Ganze
eine Volumszunahme erfahren. So dürfte denn das Wachsen der
Epithelzellen nicht allein den überhandnehmenden Blutgefäßen, son-
dern auch auf die Einbuße des abgestorbenen Eies an flüssigen
Substanzen zuzuschreiben sein.
Die weiter sich vergrößernden Epithelzellen sehen wir mit kol-
benartigen, plumpen Fortsätzen in den einschrumpfenden Dotter sich
einschieben (Fig. 10 6 und 7). Da, wo die Epithelzellen sich ver-
mehren und mehrschichtig werden, erscheinen die tieferen Elemente,
auch wenn sie noch im Verbande mit den oberflächlicheren sich be-
finden, mehr oder wenig gleichmäßig mit Dotterplättchen durchsetzt
‘Fig. 11 und 15). Erfolgte die Ablösung tieferer Zellen aus dem
Epithelverbande, so durchdringen sie mit Dotter und auch mit Pig-
ment gefüllt allmählich das ganze Ei.
Die verschieden großen Dotterplättchen erscheinen in den Epi-
thelzellen der Form nach Anfangs unverändert; sie bleiben meist
scharf kontourirt. Man vergleiche z. B. die Fig. 10, 11, 53, 60, 62.
Dieser Zustand macht jenem Platz, welchen wir auch innerhalb der
Blutzellen wahrnahmen. Die Kontouren der Dotterplättchen werden
520 Georg Ruge
unregelmäßig, zackig und oft undeutlich. Die eckige Form kann
dadurch zu Stande gekommen sein, dass die Plättehen durch eine
chemische Umänderung weniger konstant sich verhalten. Diese Ver-
änderung Kann bereits in den oberflächlichen Epitbelzellen erfolgt
sein. So ist die eine Zelle der Fig. 10 (7) mit gegen einander ab-
geplatteten Plittchen erfüllt. In den tieferen Epithelzellen und
namentlich in den freien Dotterzellen nimmt man allmähliches Kon-
fluiren von erweichenden, in Bleu de Lion aber noch prägnant sich
färbenden Dotterelementen wahr. Die Fig. 56, 61, 65, 66 bieten
hierfür Belege. Die Konfluenz endigt damit, dass über große Strecken
eine allmählich immer weniger intensiv sich färbende Masse auftritt.
welche auf Fig. 80 in der Epithelgrenze liegt; während diese Um-
bildung auf den Fig. 74 und 75 in Zellen des Eiinneren vor sich
ging, welche letzteren selbst in der Auflösung begriffen sind. Rechts
an der Fig. 75 nimmt man alle Stadien einer Dotterauflösung wahr,
die mit einer Verflüssigung zu endigen scheint. Dieser die Dotter-
elemente beherrschende Process ist stets an Zellen geknüpft, an
Blutzellen, wie wir früher sahen, oder an Zellen des Eiepithels.
Wo der Dotterlösungsprocess sich vorfindet, ohne dass intakte Zellen
nachweisbar sind, finden wir die Zellen selbst im Zustande der De-
struktion oft vor. So kann das scheinbare Fehlen von den die
Dotterplättehen lösenden Zellen trügerisch sein; es muss vor vor-
eiligen anderen Schlussfolgerungen warnen. Als sichere Reste der
zu Grunde gehenden Zellen mit erweichtem Dottermateriale finden
wir auf der Fig. 75 die Pigmentmassen, welche hier noch auf dem
Felde erscheinen, an welches sie an Zellen geknüpft in den Dotter
gelangten. Die Zellen aber lösten sich auf, nachdem sie thätig
waren bei der Bewältigung der für den Organismus fremd gewor-
denen festen Eisubstanzen.
Nicht selten findet man nach der Konfluenz von erweichten
Dottermassen kleinere Dotterplättchen in diese erweichten Herde
aufgenommen. Dies giebt sich aus der verschiedenen Färbung zu
erkennen. Auf der Fig. 78 und 79 habe ich zwei Zellen mit sol-
chen Dotterballen abgebildet, welche im Inneren reichliche Mengen
von Dotterpliittchen mit einer größeren Affinität zum blauen Farb-
stoffe besitzen.
Sind die Dotterplittchen verflüssigt, so steht ihrer Resorption
jedenfalls nichts mehr im Wege. Dass hierbei die Blutgefäße der
Umgebung des Eies eine Rolle spielen, ist nicht von der Hand zu
weisen.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 521
Die Auflösung und die Resorption des Dottermateriales ge-
schieht stetig, aber langsam; denn wir vermögen Reste vom Dotter-
materiale noch in ganz winzigen rückgebildeten Eiern nachzuweisen
(Fig. 1 [Ei F], 3 und 4). Da nachweisbar schon in den ersten
Phasen der Rückbildung der Eier die den Dotter zerlegenden Ele-
mente bald selbst zu Grunde gehen, so wird der Vermuthung Raum
gegeben, dass viele Zellgenerationen behufs vollständiger Auflösung
des passiven Materiales ins Feld geschickt werden und untergehen.
Das weist auf einen regen Lebensprocess hin, der mit dem Ab-
sterben vieler Theile im Organismus aufs engste verknüpft ist.
Analoge, das Zugrundegehen reichlicher Bestandtheile des Körpers
bedingende Bildungsvorgänge sind uns unter Anderen von Drüsen,
vom Knochengewebe ete. bekannt.
Die hier so äußerst günstig zu Tage tretenden Erscheinungen
vermögen wohl auch Streiflichter zu werfen auf die Art des Zer-
legens von Dotterelementen bei der normalen Entwicklung, auf die
Bedeutung der Zellen des Entoderms beim Aufnehmen und bei der
Verflüssigung der präformirten festen Nahrungsbestandtheile der sich
entwickelnden Eier mit partieller Furchung. Nach dieser Richtung
scheinen mir die Untersuchungen von Hans VIRCHOwW!, KOLLMANN?
und Anderen von größter Bedeutung zu sein. Zugleich können
unsere Beobachtungen als Zeugnis gegen alle die aufgetauchten
Meinungen gelten, welche den Elementen des Dotters eine höhere
formative Bedeutung zuschreiben, da solche nicht zu Tage tritt.
y) Gestalt der Zellenveränderungen am Kerne der
intravitellinen Epithelzellen.
So lange die Elemente im Epithelverbande angetroffen werden,
sind sie unregelmäßig gestaltet, Anfangs abgeplattet (Fig. 10), wäh-
rend sie später an Höhe zunehmen, um schließlich langgestreckt
neben einander zu lagern (Fig. 11). Oft zeichnen sie sich aber,
reichliche helle, wohl flüssige Substanzen ins Innere aufnehmend,
durch Anschwellungen des Leibes aus, wodurch eine große Un-
1H. Vırcmow, Beobachtungen am Hühnerei über das dritte Keimblatt
im Bereiche des Dottersackes. VırcHmow’s Archiv. Bd. LXI. 1874.
2 J. KoLLMANN, a) Intracelluläre Verdauung in der Keimhaut von Wirbel-
thieren. Receuil zoologique suisse. I. pag. 259—289. 1 Taf. b! Der Rand-
wulst und der Ursprung der Stützsubstanz. Archiv für Anatomie und Ent-
wieklungsgeschichte. Jahrgang 1884. pag. 341—435. Taf. XVI—XVIIL.
522 Georg Ruge
regelmäßigkeit im Verbande unter einander hervorgehen muss (Fig. 14).
Die periphere Oberfläche der Zellen bleibt plan (man vergleiche z. B.
Fig. 10 (4 und 5), 13, 16, 25 ete.); gegen den Dotter springen die
Zellen indessen mit kolbigen Vorsprüngen vor. Die Zellen runden
sich hier, einem todten Körper gegenüber, ab. Am Epithele mit
zwei Zelllagen tritt die Tendenz der Abrundung gegen den Eidotter
schärfer hervor (Fig. 11, 15 ete.). Abgelöste und ins Innere ein-
gedrungene Elemente nehmen die Kugelform an. Belege hierfür
geben die Fig. 53—78. Die Zellen sind Anfangs von einer deut-
lichen, zarten Membran umgeben, welche auch die sphärischen in-
travitellinen Elemente meist deutlich gegen die Dottersubstanzen ab-
grenzt. Je weiter die Zellen vom Mutterboden sich entfernen, um
so undeutlicher wird die Zellmembran. Man vergleiche die Fig. 56,
55, 59, 62, 63 und ‚andere. Das Zarterwerden der Zellmembran
muss einerseits einen freieren Austausch des Zellinneren mit der
Umgebung gestatten, andererseits hängt es aber mit einem Ab-
sterben der Zelle selbst zusammen, was sich durch die Veränderun-
sen am Kern und dann durch den Verlust der Zelle an einer schar-
fen Kontourlinie gegen die Umgebung äußert. Beide Erscheinungen
bedingen sich gegenseitig, sie hängen zusammen, werden aber für
sich geschildert werden müssen. Auf Fig. 60 ist die Zellkontour
nach unten hin verwischt; die Dotterplättehen scheinen hier in den
Zellleib einzudringen. Die Zelle der Fig. 64 zeigt nirgends mehr
eine scharfe, aber dennoch eine erkennbare Abgrenzung; an vielen
Stellen drangen Dotterplättchen ins Zellinnere ein. Auf der Fig. 74
ist thatsächlich jede Spur einer Zellmembran verschwunden; aber
die helle Stelle im Dotter lässt noch auf den Umfang der Zelle
schließen. An der Fig. 75 rechts ist die Zellgrenze vollkommen
aufgehoben ; Dotterplättchen drangen verschieden weit in das helle
Feld ein, das einer Zelle entsprach. Hier ist eine Zelle im Eiinneren
aufgelöst, zu Grunde gegangen, und wären nicht Pigmentstoffe im
Zellterritorium noch erhalten, so wäre es schwer, an die frühere
Anwesenheit einer Zelle zu denken, da auch vom Kerne jegliche
Spuren verschwanden. Es wäre nutzlos, auch solchen, sicher be-
stehenden Plätzen im Eie nachzuforschen, an welchen noch weitere
Verwischungen der intravitellinen Epithelzellen vorliegen.
Das Zugrundegehen der Epithelzellen im Dotter wird oft durch
Veränderungen am Kerne eingeleitet. Dieselben endigen mit dem
völligen Einschmelzen aller erkennbaren Kernstoffe. Eine gegen-
seitig abhängige Zeitfulge des Verschwindens der. Kernbestandtheile
:
|
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 593
und desjenigen der Zellkontouren scheint nicht zu bestehen; denn
wir sehen, dass auf den Fig. 65 (2) und 73 die Zellgrenzen wohl
noch, aber Kerntheile nicht mehr vorhanden sind. (Das Gleiche gilt
für die ganze Schnittserie durch die Zelle.) Andererseits sehen wir
auf der Fig. 66 und 72 Kerne im veränderten Zustande, welche
einem abgrenzbaren Zellleib nieht mehr zugehören.
Veränderungen der Kerne beruhen in einer Kernauflösung,
einer Karyolyse, wie sie FLEMMING! an den Granulosazellen des
GrAAFschen Follikels des Kaninchens in vortrefflicher Weise be-
schrieb. Der Process ist ein normaler. Dass er mit Veränderungen
am Kerne von Zellen unter abnormen, krankhaften Bedingungen
übereinstimmt, ist ein Beweis für das Ineinandergreifen von nor-
malen und pathologischen Vorgängen. Die Karyolyse wird wahr-
scheinlich in dem Momente eingeleitet, in welchem der Kern der
Zelle abgestorben ist. Dann können aber die Rückbildungen nicht
mehr vom Kerne selbst ausgehen, sondern sie müssen durch die
Umgebung bedingt sein. Das verhält sich eben so mit der ganzen
degenerirenden Eizelle. Der Kern wird zu einer passiven Materie, und
als solche mag er einer gewissen Regellosigkeit der Umbildung ver-
fallen können. So erkläre ich mir die Mannigfaltigkeit der hierauf
beziehbaren Bilder, wie sie auf den Fig. 53—75 wiedergegeben
wurden. Es wird vielleicht später einmal möglich sein, verschie-
dene Formen der Karyolyse zu unterscheiden. Die am Siredoneie
gefundenen Zustände vermag ich in zwei Gruppen einzureihen.
Die Gruppirung soll jedoch keinen Anspruch auf eine Allgemein-
gültigkeit erheben; sie wurde hier vornehmlich aus Rücksicht einer
bequemeren Darstellung gewählt (vgl. ARNOLD).
Der normale lebendige Kern ist sphärisch oder oval (Fig. 19,
21, 22 ete.) und findet sich in dieser Gestalt in den Zellen des
Epithelverbandes vor. Er besitzt eine zarte, aber deutliche Mem-
bran, ein feines Kernnetz und eine sehr variable Menge von Kern-
körperchen. Alle färbbaren Bestandtheile sind zart oder scharf
tingirt. Bei der einen Art von Karyolyse kann die Gestalt des
Kernes ohne große Veränderungen längere Zeit beibehalten werden.
So erscheint uns der Kern in der Dottersubstanz auf der Fig. 72
und in ähnlicher Weise der auf Fig. 58. Das Kerninnere erscheint
1 W. FLEMMING, Uber die Bildung von Richtungsfiguren in Säugethier-
eiern beim Untergange Graarscher Follikel. Archiv für Anatomie und Phy-
siologie. Anatomische Abtheilung. 1885. pag. 221—244. Taf. X und XI.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 34
524 Georg Ruge
wesentlich verändert, in so fern es eine reiche Menge von sehr stark
gefärbten gröberen Netzen und rundlichen Körperchen erkennen lässt.
in so fern die Kernmembran nicht mehr zart, sondern an vielen
Stellen verdickt ist und mit den intensiv gefärbten Kugeln und
Netzen zusammenhängt. Daran lässt sich eine auf Fig. 68 dar-
gestellte Form anreihen; es findet sich hier im Kerne eine Gruppe
von intensiv gefärbten größeren und kleineren Körpern, deren peri-
pher gelagerten eine ovale Grenzkontour erkennen lassen, die an
einer Stelle (oben) nur noch als zarte Linie besteht. Es scheinen
sich hier alle färbbaren, vielleicht auch vermehrten Kernstoffe zu-
sammengeballt und mit der Kernmembran innigst sich verbunden zu
haben. Die helle Kernsubstanz entbehrt an den Stellen der zarten
Kernmembran wohl des strengen Abschlusses gegen den eigentlichen
Zellleib. Aus diesem Zustande mag der auf den Fig. 55, 67, 75
und 74 hervorgegangen sein. Zum Hervorbringen dieser Befunde
müssen wir uns die früher bei einander liegenden Chromatinkörper-
chen aus einander gewichen vorstellen, damit dieselben sich darauf
in der ganzen Zelle ungeordnet haben verbreiten können. So fin-
den sich große Klumpen (Fig. 67) neben den kleinsten Chromatin-
körnehen vor, welche letzteren nun, ohne ferneren engeren Zusam-
menhang mit etwas organisch Einheitlichem, einschmelzen und dann
Befunde schaffen, in denen die Zelle keinerlei nachweisbare Kern-
bestandtheile mehr aufweist (Fig. 65 [2] und Fig. 75 [rechts]).
Eine andere Form der Karyolyse scheint durch Formverände-
rungen des Kernes eingeleitet zu werden; sie ist aber mit ähnlichen
inneren Destruktionen der geschilderten Art gepaart und ist von
einer Verlagerung der Kerntheile in der Zelle begleitet. Auf der
Fig. 56 ist ein abgeplattet ovaler und mit Fortsatzbildung versehener
Kern, welcher der Zellmembran anliegt, zu sehen. Sein Inneres be-
steht aus peripheren dicken Chromatinstreifen, die einen hellen In-
halt mit kleineren Chromatinkörpern umschließen.
Auf der Fig. 59 zeigt der Kern eine halbmondförmige Gestalt:
er ist erfüllt von einem noch zusammenhängenden, peripher gelegenen
Chromatingerüst, in welchem hellere und intensiv gefärbte Stellen
wahrnehmbar sind. Eine ähnliche Gestalt hat der Kern der Fig. 63:
sein Inneres zeichnet sich durch ein feineres Chromatingerüst aus,
dessen periphere Anschwellungen mit der Membran verschmolzen
sind. Auf Fig. 64 ist der Kern getheilt, von ähnlichem Gefüge.
Einige Chromatinkugeln sind. bereits in: den. Zellleib übergetreten.
Auf anderen Figuren treten Verästelungen der Kerne in sehr ver-
Zu
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 525
schiedenem Grade auf. Einleitungen hierzu lassen die Fig. 61, 19
und 66 erkennen. Die merkwiirdigsten Kernverästelungen nimmt
man an den Fig. 60 und 62, auch 66 (rechts) wahr. Immer. be-
sitzen diese Kerngestalten intensiv gefärbte Chromatinballen - und
heller rosa tingirte Massen. An den Verzweigungen des Kernes
erfolgte hier und dort eine Diskontinuität (Fig. 60), wodurch ähnlich
wie bei der anderen Art der Karyolyse Chromatinkörnchen durch
den Zellleib zersprengt wurden. Auch hier wird allmählich durch
weitere Abspaltungen das Schicksal des Kernes in einem völligen
Einschmelzen aller seiner Bestandtheile im Zellleib zu suchen sein,
welch letzterer aber auch seinerseits, wie wir sahen, seine Selb-
ständigkeit aufzugeben pflegt. Aus der Abbildung von zwei Zell-
kernen auf der Fig. 19 entnehmen wir, dass die Karyolyse bereits
an Zellen im Epithelverbande vor sich zu gehen vermag.
Fassen wir alle Instanzen zusammen, welche die Veränderungen
der Zellen im Inneren des sich rückbildenden Eies ausmachen, so
können wir die daraus sich aufbauende Vorstellung kurz dahin for-
muliren, dass die Zellen zunächst mit der Aufnahme von vorhan-
denen Dotterplättchen, darauf mit dem Erweichen derselben in ihrem
Zellinneren betraut sind; dass sie nach dieser Leistung selbst zu
Grunde gehen und aufgelöst werden, um im resorptionsfähigen Zu-
stande gemeinsam mit dem erweichten Dottermateriale höchst wahr-
scheinlich aus dem Eie entfernt zu werden.
Verliefe hier die Zellauflösung nicht so deutlich, und wären
nicht die Vorgänge am Kerne nur in der angegebenen Weise zu
verstehen, so könnte man wohl auf den Gedanken kommen, das
Endstadium, das Stadium der Vertheilung von feinen Chromatin-
körnchen, als den Beginn eines progressiven Processes aufzufassen
und denselben fälschlich aufwärts bis zum normalen Kernverhalten
zu verfolgen. Daraus dürfte sich dann die Lehre der freien Kern-
bildung eine neue Stütze hernehmen, die ihr aber von dieser Seite
her thatsächlich nicht zukommt.
Die Zellen, welche in das Ei eindringen, verfallen in den frühen Stadien
der Eirückbildung einem Degenerationsprocesse. Dieser spielt sich an den
Kernen und an dem Zellleibe ab. Es degeneriren im. Eidotter zwei Arten von
Zellen; sie stammen entweder aus dem Blute oder vom Follikelepithele her.
Der Degenerationsprocess von Zellen ist bekannt; auch verschiedene Sorten der
Degeneration am Kerne sind bekannt geworden. Es geht aus den exakten
34*
526 Georg Ruge
Untersuchungen J. ARNOLD’s! hervor, dass der Modus der Kernrückbildung
an Wanderzellen vom Frosche ein gleicher ist wie an den in das Ovulum von
Amphibien eingedrungenen weißen Blutzellen. Auch ARNOLD beobachtete, dass
die Kerne degenerirender Wanderzellen, indem in ihnen die Körnchen und
Fäden verschwinden, allmählich erblassen, ihre Membran verlieren und dann
verschwinden wie bei der anämischen Nekrose; während an anderen Wander-
zellen die dunkleren Kerne sich mit rundlichen und eckigen Körperchen füllen,
welche auch der Kernmembran aufliegen und durch Bälkchen vereinigt sein
können. Es kann nun ein Zerfall dieser Körperchen in viele Kugeln eintreten
oder aber eine allmähliche Verkleinerung und Abblassung der Körperchen sich
einstellen. Beide Formen, wie sie ARNOLD beschreibt, stimmen im Wesent-
lichen mit den hier geschilderten Kerndestruktionen der Blutzellen überein.
Die Kerndegeneration an den Follikelepithelzellen im Eie scheint sich hin-
gegen mit der an den Wanderzellen erkannten nicht vollständig zu decken, da
hier die Theilprodukte der Kerne durch den Zellleib zerstreut und in ihm dann
aufgelöst werden. Ganz übereinstimmend mit dieser Weise der Auflösung der
Kerne finde ich die Beschreibung FLEMMING’s? vom karyolytischen Processe an
den Zellen der Membrana granulosa von GRAAF’schen Follikeln des Kaninchens.
Aber dennoch wird man diese Art des Kernzerfalles als eine nucleäre Dege-
neration bezeichnen müssen, als welche ARNOLD den einen Vorgang bei den
Wanderzellen betrachtet.
Die bisher geschilderten feineren Vorgänge spielen sich in voll-
ster Lebendigkeit ab, so lange die Eizelle in frühen Stadien der
Rückbildung sich befindet. Nach und nach lässt der ganze kom-
plieirte Process, welcher die Resorptionsfähigkeit der festen inneren
Bestandtheile des Eies einleitete, an Energie nach. Dabei organisirt
sich jedoch meistens das Ei gleichzeitig derartig, dass es von Blut-
gefäßen und mannigfachen Zellformen vollkommen durchwachsen
wird und dann einen wohlgeordneten Körper darstellt. Die Anord-
nung des Inhaltes ist bei Siredoneiern verschieden. Die Verschieden-
heit scheint von dem Reifegrade abzuhängen, in welchem das Ei
der Rückbildung entgegenging. Enthielt das Ei wenig festes Dotter-
material, so nehmen die eindringenden Zellen gemeinsam mit Blut-
gefäßen oft den ganzen Inhalt ein. Blieben hingegen von dem
reichlich vorhanden gewesenen festen Dottermateriale größere zu-
sammengeflossene Massen erweichter Substanz zurück, so sieht man,
1 JuLıus ARNOLD, Uber Theilungsvorgänge an den Wanderzellen, ihre
progressiven und regressiven Metamorphosen. Archiv für mikr. Anatomie.
Bd. XXX. Heft 2. Taf. XII—XVI.
2 FLEMMING, Über die Bildung von Richtungsfiguren in Säugethiereiern
beim Untergang Graar’scher Follikel. Archiv für Anatomie und Physiologie.
1885. pag. 221—244. Taf. X und XI.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 527
wie z. B, auf Fig. 3 und 4, 82 und 83, Zellgruppen bei einander,
in deren Umgebung sich, wieder an Zellen gebunden, Pigmenthaufen
vorfinden. Diese Zellgruppen lagern dann an helleren Plätzen zwi-
schen den dunkleren festeren Dotterresten. Helle verzweigte Straßen
führen dann von den Zellgruppen aus zur Oberfläche des reducirten
Eies. Auch Blutgefäße werden im Eiinneren angetroffen. Man darf
annehmen, dass die von Dotter umgebenen Zellgruppen (vgl. Fig. 82,
83) auch in dieser Zeit noch mit dem weiteren Zerlegen des bereits
zusammengeflossenen Dotters betraut sind. Das wird, obgleich nicht
direkt nachweisbar, wie zur Zeit des Bestehens des Dotters aus
Plättehen, um so wahrscheinlicher, als man in der Umgebung der
Zellen die Dottermasse überall wie angefressen wahrnimmt (Fig. 83).
Im Inneren älterer Abortiveier wird auffallender Weise nur selten
und zuweilen gar kein Zellzerfall mehr wahrgenommen. Anstatt
dessen lassen sich an den Kernen der eingewanderten Zellen aber
alle möglichen Zustände von Abschnürungen, d. h. von direkter
Theilung oder Fragmentirung wahrnehmen, welche, so könnte man
meinen, nur in langsamem Tempo wiederholen, was in frühen Sta-
dien der Rückbildung rapid verläuft. Dann wären die beobachteten
Zustände direkter Kerntheilung als degenerative Vorgänge zu deuten,
und die nach dem Typus der Fragmentirung entstandenen Riesen-
zellen wären dann als progressive Bildungen nicht aufzufassen.
Gegen eine solehe Annahme ohne den zugleich beigegebenen Beweis
wehren sich ARNOLD’s Beobachtungen auf das lebhafteste. Nach
‚diesem Forscher können Wanderzellen mit ovalen Kernen ja wohl
einer degenerativen Metamorphose, wie eine jede Zelle auf der Höhe
ihrer Entwicklung, z. B. Eizellen mit Kernspindeln (FLEMMING) ver-
fallen; es sind aber die polymorphen vielkernigen Zellen zur Thei-
lung, zur Erzeugung neuer Elemente, zur progressiven Metamorphose
befähigt. ArnoLp’s Forschungen mahnen hier zur größten Vorsicht
in Deutungen von Beobachtungen. Hier müssen an Stelle von Deu-
tungen die Thatsachen selbst treten. Da wir aber das Schicksal
-der Zellen mit reichlichen Kerntheilungen nicht verfolgen konnten,
begnügen wir uns mit den Mittheilungen von direkten Kerntheilungen
der Zellen, welche in weit vorgeschrittenen, rückgebildeten Eiern
gefunden werden. Da die eigenartigen, oft komplieirten Kernfiguren,
die der Fragmentirung vorausgehen, hinlänglich bekannt sind, so
machen die Abbildungen eine genaue Beschreibung unnöthig. Sehr
- verschiedene Zustände dieser Art von Kernvermehrung in den Zellen
‚findet man neben den Fig. 82 und 83 getreu wiedergegeben. Man
528 Georg Ruge
sieht dort normale runde. Kerne abgebildet, dann, durch alle mög-
liehen Zwischenformen vermittelt, Zellen mit mehreren Kernen, die
bis zu sechs angetroffen werden und sich durch Größenunterschiede
von einander sehr wesentlich unterscheiden. Der zuweilen nur schwer
wahrnehmbare Zellleib. ist, wie auch die Abbildungen lehren, äußerst
unregelmäßig kontourirt. Oft ist vom Zellleib um den getheilten Kern
gar nichts wahrnehmbar gewesen. Der Inhalt des Zellleibes erscheint
andererseits fein granulirt. An die direkte Kerntheilung dieser Ele-
mente habe ich nie eine Zelltheilung sich anschließen sehen, was
natürlich nicht gegen eine solche sprechen kann. Da aber auch
weitere Zerfallszustiinde des Kernes mir nicht entgegentraten, so
kann die Vermuthung, dass diese Zellen zur Zerlegung des Dotters
dienen und dabei in gleicher Weise, aber langsamer wie in den
ersten Stadien der Eirückbildung sich auflösen, durch die Beobach-
tung nicht. befestigt werden. Wir verlieren hier den Maßstab für
eine sichere Beurtheilung des Wahrgenommenen, weil die Reihe
nicht mehr vollständig ist.
Der Riickbildungsprocess der Eier im Ovarium von Siredon
pisciformis ist, wie ich glaube, bis auf wenige Punkte klar gelegt.
Über die Struktur- und Texturverhältnisse von Eiern in den mitt-
leren Stadien der Rückbildung gedenke ich späterhin einige Punkte
von Interesse mitzutheilen. Durch den Besitz von Pigment im reifen
Eie und durch die Größe aller zelligen Elemente eignete sich Sire-
don zum Ausgangspunkte für das eingehende Studium vieler Ver-
hiltnisse. Was an wichtigen Fragen hier unbekannt blieb, suchte
ich an dem reichlicher zu Gebote stehenden Materiale von Sala-
mandra maculosa klarzulegen. Es gelang vor Allem, bei diesem
Thiere die Stadien, mit denen die Eirückbildung anhebt, aufzufinden,
ferner einige wichtige ergänzende. Beobachtungen zu gewinnen und
Mittelstadien des degenerirenden Eies aufzufinden, welehe im Zu-
sammenhange mit denen von Siredon pisciformis histologische Einzel-
heiten an anderer Stelle bringen mögen.
2. Rückbildungsvorgänge am Ovarialeie von Salamandra maculosa.
In gleicher Weise -wie die mit der Einbuße formativer Eigen-
schaften einhergehenden Veränderungen an den in den Dotter ein-
gedrungenen Zellen bei Siredon pisciformis sich an der Zellperipherie .
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 529
und am Kerne geltend machen, sind von mir am. Ovarialeie des
Erdsalamanders an entsprechenden Stellen Veränderungen wahrge-
nommen, welche als Merkmal des Todes der Eizelle gedeutet werden
müssen. Wenn schon nur wenige diesbezügliche Beobachtungen vor-
liegen, so lässt sich doch das vorher entworfene Bild von jenem
Destruktionsprocesse am Eie ergänzen.
a) Vorgänge an der Oberfläche des Eifollikels.
Diese betreffen die das Ei umgebenden Zellhüllen, welche am
gereiften Objekte aus drei Lagen bestehen. Die an den außerhalb
der Eizelle, an deren Hüllen sich abspielenden Vorgänge führen
solche, an der Oberfläche der Eizelle selbst erkennbare mit sich:
diese endigen mit dem Eindringen von Fremdzellen in den Dotter,
woraus ein allmähliches Durchwachsen desselben mit Zellen resultirt.
Dies Verhalten bei Salamandra maculosa stimmt fast völlig mit dem
bei Siredon piseiformis überein, so dass wir es hier füglich über-
gehen dürfen.
Um im Anschlusse an die normalen Verhältnisse bequem die
regressiven Vorgänge an den Umhüllungen des Ovarialeies vorführen
zu können, stellte ich auf den Fig. 84—91 einige Entwicklungs-
stadien der Eihüllen dar. Man erkennt auf der Fig. 84 drei frei in
der Wand des Eierstockes liegende Eizellen, in deren Peripherie
allenthalben kleinere Zellen schon derartig sich gruppirten, dass sie
eine innige Zugehörigkeit zu den Eizellen verrathen. Mit dem Reifen
einer jeden dieser Eizellen würde eine Anschwellung derselben im
Stroma der Ovarialwand nothwendig verbunden sein, welche das
Ei allmählich mit den beiden freien Flächen der Wand in Berührung
bringen muss. Die eine Fläche würde dann dem vergrößerten Eie
mit ihrem Peritonealepithele, die andere mit dem den ovarialen
Lymphraum auskleidenden Epithele, welches O. ScuuLrze als
Innenepithel bezeichnet, eine Hülle zukommen lassen. So würde
ein Zustand hervorgehen müssen, wie ihn die Fig. 85 uns vorführt.
Auch hier befindet sich zwischen Ei und dem beiderseitigen Platten-
epithele jene aus dem Stroma der Wand stammende Zelllage (welche
nach NussBaum bei Anuren vom Keimbliischen herstammen soll),
welche sich im Vergleiche mit der Fig. 84 stärker abplattete und
das Ei inniger umhüllt. Die epitheliale und die Stromahülle bleiben
an stärker gereiften Eiern stets erkennbar. Man wird sie auf den
Fig. 86 und 87 wahrnehmen. Die das Ei nnmittelbar berührenden
530 Georg Ruge
Stromazellen vermehren sich späterhin, um auf diese Weise einen
kontinuirlichen Zellverband um das Ei zu Stande kommen zu lassen.
So bauen sie bald eine Art Epithel, Eiepithel oder Follikelepithel
um das Ei auf. Sie lassen aber auch frühzeitig, wie es scheint,
Elemente hervorgehen, welche sich zwischen die zwei primitiven
Hüllen einschieben und dann eine mittlere Lage schaffen. Es soll
die Möglichkeit aber nicht als ausgeschlossen erachtet werden, dass
die flächenhaft abgeplatteten Zellen dieser Schicht auch vom Binde-
gewebe der Ovarialwand sich direkt herleiten. In dieser mittleren
Lage entstehen nach und nach feinste, von O. ScHuLTzE bei den
Urodelen als stärker entwickelte Elemente denn bei den Anuren
wahrgenommene Fibrillen, welche zunehmen und die mittlere Eihülle
zeitenweise als die mächtigste erscheinen lassen. Die Fig. 88 führt
uns die mittlere Lage in ihrer ersten Anlage vor; die Fig. 89, 90
und 91 zeigen sie uns in voller Entfaltung. Hier ist das Eiepithel
scharf gegen die mittlere Hülle abgegrenzt und gewann die bekannte
regelmäßige Anordnung seiner Zellen. Zwischen ihnen und der Ei-
zelle findet sich bald als Grenzschicht das zarte Oolemma, die Dotter-
haut, ein, welche ich in gleicher Weise wie O. SCHULTZE als eine
einfache strukturlose Membran erkannte. Eigenartige Umordnungen
in der Rindenschicht der Eizelle endigen mit der Ausbildung einer
radiär gestreiften Zone des Eiinhalts, welche als der Ausdruck eines
geregelten Systems reicher Straßen für das Ernährungsmaterial ins
Eiinnere gelten mag. Auch O. ScHuLtze hält die radiäre Zone für
die periphere umgewandelte Dotterschicht. Auf diese streng radiär
gestreifte Schicht folgt eine auf Schnitten fein granulirt erscheinende
Lage, in welcher ebenfalls eine streifige, parallel gefügte Anordnung
des Eiinhalts erkennbar ist. Die Fig. 89—91 geben das nur kurz
angedeutete Verhalten wieder.
Das reifende, mehr und mehr anschwellende Ei buchtet sich
von der Ovarialwand allmählich in den inneren Lymphraum des
Ovarium vor, den wir natürlich auch ohne Anwesenheit von Lymph- ~—
zellen einen Lymphraum heißen (vgl. O. SchuLtze), und behält bald
nur noch an einer kleinen Oberflichenstrecke den Zusammenhang
mit der Ovarialwand. Von dieser Stelle aus kann das Ei Blutgefäße
erhalten; von dieser Stelle aus überzieht das »Innenepithel« die von
lymphatischer Flüssigkeit umspülte prominirende größte Strecke der
Eioberfläche (vgl. O. Scuuurtze). Das Peritonealepithel, welches eine
Zeit lang das Ei ebenfalls zu berühren vermochte, kann dies zu
Gunsten des Innenepithels ganz aufgeben, um so mehr, als sich
a s
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 531
zwischen Ei und Peritonealepithel reichliches Bindegewebe mit Ge-
fäßen für das reifende Ei zu entwickeln pflegt. An einer kleinen
Strecke indessen kann auch an reifen Eiern das Peritonealepithel
als Überzug bestehen bleiben.
So erhält denn ein jedes Ei im Laufe seiner Reifung drei Zell-
lagen als Hüllen, von denen die äußerste als plattes, einschichtiges
Innenepithel die Eiverbindung mit der Ovarialwand an einer Stelle
übernimmt, von denen die mittlere Lage, mit Zellen und Fibrillen
versehen, Bindegewebscharakter trägt und als Bindegewebe zum
Träger der sich reichlich entwickelnden Gefäße des abgestorbenen
Eies wird. Die innerste Zelllage erscheint als Ei- oder Follikel-
epithel. Je größer die reifende Eizelle wird, um so mehr werden
die drei, Zellen tragenden Hüllen auf Kosten des wachsenden Dotters
abgeplattet und unansehnlicher. Die mittlere Lage büßt an großen
normalen Eiern am meisten an Selbständigkeit ein; sie regt sich
aber sofort nach dem Absterben der Eizelle wieder, um dann um so
lebenskräftiger ihr Dasein erkennen zu lassen.
Über die Genese der Eizelle und die Elemente der Umhüllungen des Eies
bringe ich hier keine eigenen Beobachtungen; dieselbe hat mit dem hier be-
handelten Thema direkt nichts zu thun. Doch legen auch diese Untersuchungen
gegen mancherlei irrige Vorstellungen Zeugnis ab, so gegen die Bemühungen,
die Wanderzellen als die Bausteine der Eizellen und deren Umhüllungen zu
preisen. Sollte man doch z. B. überall Front machen gegen Wagnisse wie das
von VALAORITIS!, der die Eizellen von Leukocyten herleitet. Vor den un-
stäten Wanderzellen muss gewarnt werden, wenn es sich um die Bildungs-
geschichte der normalen Eihüllen handelt. Diesbezüglich glaube ich auch,
gutes Recht zur Annahme zu haben, dass manche der von O. SCHULTZE? als
normal beschriebenen und abgebildeten Entwicklungsstadien der Eihüllen von
abgestorbenen, sich rückbildenden Wintereiern entnommen sind, dass darin die
Ursache eines Irrthums liegt. Die Beschreibung von zarten, blassen, unter der
Follikelhaut gelagerten Zellen ohne Membran und mit spitzen Fortsätzen, durch
welche anastomotische Netze entstehen, lässt sich so gut auf die in ein dege-
nerirendes Ei eingedrungenen Elemente beziehen, zumal da in ihnen stark licht-
brechende, den kleinsten Dotterkörnchen gleichende Körnchen wahrgenommen
wurden. Diese Vermuthung berechtigt, jenem Autor nicht in Allem, was diesen
Punkt angeht, zuzustimmen, zumal die eigenen Beobachtungen auf dem ver-
trauten Gebiete lückenlose zu sein scheinen. Es ist nicht ohne Interesse, zu
sehen, wie 0. SCHULTZE in der schwierigen Frage, die er eingestandenermaßen
nicht zu entscheiden vermochte, an Beobachtungen, welche Hıs an Eiern von
1 E. VALAORITIS, Uber die Oogenesis beim Landsalamander. Zoologischer
Anzeiger. 1879. pag. 597—599.
2 0. SCHULTZE, Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung des
Amphibieneies. Erste Abhandlung. Zeitschritt für wissenschaftliche Zoologie.
Bd. XLV. 2. 1887. pag. 181. Fig. 8 und 9.
532 Georg Ruge
Knochenfischen anstellte, erinnert. His! glaubte seiner Zeit, dass die an jun-
gen Eiern fehlende, einer Membrana granulosa vergleichbare Zellschicht an
großen Eiern in Form von Leukocyten auftrete. Das geschärfte Urtheil des-
jenigen Forschers, welcher die gleichzeitige Anwesenheit von reifenden und
sich rückbildenden Eiern in einem jeden Eierstocke kennt, wird bei His’
Schilderungen (l. e. pag. 29) und Abbildungen (Tafel IV Fig. 28) sofort an sich
rückbildende Eier denken, welche bereits einer Invasion von Zellen ins Innere
ausgesetzt waren. Ob diese Zellen im Inneren des Eies von Salmo salar nun
Leukocyten sind oder gewucherte Elemente des Eiepithels, kann ja gleichgültig
sein. Jene Beobachtungen von Hıs werden aber nicht mehr beweisen können,
dass die Granulosa von Leukocyten abgeleitet werden muss (l. c. pag. 36).
Dafiir müssten untrüglichere Dokumente beigebracht werden. Dass kernhaltige
Zellen im Salmeie vorkommen können, hatte Hıs nachgewiesen. Diesen That-
bestand wird man aber, wie die hier niedergelegten Beobachtungen lehren, als
regressive Vorgänge am Ovarialeie zu deuten haben. Auch wird man, wie ich
glaube, Vorsicht walten lassen müssen, die Beobachtungen von intravitellinen
Kernen oder Zellen zur Entstehung der Membrana granulosa zu verwerthen.
Ob Kerngebilde vom Keimbliischen zur Oberfläche des Eies sich forthewegen,
oder von dieser ins Innere der Eizelle eindringen, ist nicht immer leicht zu
entscheiden. Wenn es aber feststeht, dass letzteres an abgestorbenen Eiern
vorkommt, so darf man Misstrauen gegen bestehende Ansichten hegen, nach
welchen aus zellenartigen Körpern im Dotter des Wirbelthiereies ein Epithel
an der Oberfläche des Eies, die Membrana granulosa entstehen soll. Etwa er-
neute Untersuchungen über diesen Gegenstand werden, um falschen Deutungen
zu entgehen, mit dem Processe der Eirückbildung zu rechnen haben. Ein
sichereres Fundament scheinen indessen die diesbezüglichen Angaben von Nuss-
BAUM? zu haben. Nach diesem Autor findet bereits in frühen Entwicklungs-
perioden von Anuren (Rana fusca und Rana esculenta, Bufo cinereus, Bombi-
nator, Pelobates fuscus und Alytes obstetricans) und von Knochenfischen am
Kerne der Eizellen maulbeerförmige Abschniirungen statt. Ein Kerntheil soll
sich zum Kerne der Eizelle entwickeln, während die anderen, vielfachen Kern-
produkte sich um die Eizelle lagern und das Eiepithel bilden. Ein gleicher
Vorgang wiederholt sich nach NussBAuM auch bei der Eiregeneration des er-
wachsenen Thieres. Die betreffende maulbeerförmige Kerntheilung und die ihr
nachfolgende Bildung der Membrana granulosa aus Produkten der Mutterzelle
habe ich bei erwachsenen Urodelen nicht wahrnehmen können. Auch die
eigenen Beobachtungen über die Bildung der Hüllen der Eizelle vermag ich
mit NUSSBAUM’s Angaben vor der Hand nicht in Einklang zu bringen.
Das beobachtete früheste Stadium der dem Untergange ver-
fallenen Ovarialeier bei Salamandra maculosa zeigte an einigen
Stellen der Peripherie der Eizelle nur sehr geringe Abweichungen
vom normalen Verhalten der Eihüllen und der Dotterrinde. Das
betreffende Ei besaß einen Durchmesser von 2,2—2,5 mm; es war
1 W. His, Untersuchungen über das Ei und die Eientwicklung bei Kno-
chenfischen. Leipzig. 1873. Mit 4 Tafeln.
2 NUSSBAUM, Zur Differenzirung des Geschlechts.im Thierreich. Archiv
für mikr. Anatomie. Bd. XVIII. fe
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 533
auf Schnitten fast überall kreisrund. Sein Inneres findet man mit
Dotterplättehen durchweg erfüllt. So deuten denn die Größe des
Eies und das Vorhandensein jener letzteren auf den bald oder sogar
schon erreichten Reifezustand des Eies hin. Das Keimbläschen war
völlig verschwunden (diese Aussage stützt sich natürlich auf die
Durchmusterung der ganzen Schnittserie), so dass die Lebensfähig-
keit des Kies sicher schon lange erloschen war.- Dafür spricht auch
der Umstand, dass die ganze Dottermasse fast gleichmäßig mit Zellen
erfüllt war, welche sich nachweisbar noch in jüngster Zeit vom Ei-
epithele loslösten, wobei auch die Möglichkeit besteht, dass Blut-
zellen aus den in der mittleren Eihülle reichlich aufgetretenen Ge-
fäßen ins Innere einwanderten. An einigen Stellen zeigte sich an
der Oberfläche das auf Fig. 92 wiedergegebene Verhalten. Jegliche
feinere Strukturen an der Dotterrinde sind hier verschwunden. Es
fehlt die radiär gestreifte Zone; statt ihrer erreicht eine gleichmäßig
fein granulirt aussehende Masse das Eiepithel, welches nicht mehr
durch eine scharfe, homogene Dotterhaut gegen’ die Eizelle sich ab-
grenzt. Diese Grenzmembran ist eben so wie die radiäre Dotter-
rinde verschwunden. Das Eiepithel berührt dadurch die Dotterrinde
unmittelbar. Ein ähnliches Schicksal ereilte die Grenze von Ei-
epithel und der mittleren Eihülle: die normale Grenzzone ist als ein-
heitliche, scharfe Linie wohl noch zu ahnen, aber nicht mehr deut-
lich ausgeprägt. Das Epithel hat an Höhe aller seiner Elemente
gewonnen, was namentlich an den Kernen sich kund thut. Diese
Eigenschaften mögen zusammen wohl als die charakteristischen er-
sten Merkmale dafür zu gelten haben, dass die Eizelle abgestorben
ist. Ich möchte dies etwa folgendermaßen begründen. Die feinen
regelmäßigen radiären Strukturverhältnisse der Dotterperipherie stell-
ten sich zur Zeit ein, in welcher das Ei behufs seiner Reifung einem
regen Stoffwechsel unterlag. Am reifenden Ei erhielten die Hüllen
ihre Prägung und wurden dabei durch die mächtig vorhandene Ei-
zelle auf ein Minimum reducirt. Die feinen Strukturverhältnisse
mussten ihre Bedeutung einbüßen und daher verschwinden, sobald
das Ei abstarb. Das Eiepithel, dem, so lange der Eizelle alles Nah-
rungsmaterial zugeführt wurde, im Wachsen bald Einhalt geboten
war, musste mit dem Absterben des Ovulum Nahrungsmaterial fiir
sich im Übermaße finden und durch dasselbe zum Wachsen an-
geregt werden. Dieser nutritive Reiz würde hier also aus Reduk-
tionserscheinungen-an der Eizelle hervorgehen und in progressiven
Processen in der Umgebung der letzteren seinen Ausdruck finden.
534 Georg Ruge
Es bedingen sich so gegenseitig der Tod des einen und das Auf-
leben der anderen Elemente; das letztere bewirkt direkt das frei
werdende Nahrungsmaterial. Andere Momente brauchen wir zur
Erklärung der geschilderten Thatsachen nicht herbeizuziehen. Der
formative Reiz ‚äußert sich fernerhin im Wachsthum und in der
rapiden Vermehrung der Zellen der mittleren Eihiille. Die Fig. 92
zeigt als Beleg hierfür mehrfach zwei runde Kerne neben einander
in einem Zellleibe und Abschnürungszustände der Zellkerne in der
mittleren Zone. Alle Theilungsfiguren an den betreffenden Kernen
dieses Eifollikels deuten auf direkte Kerntheilung hin. Sicher treten
aber in dieser mittleren Zone auch indirekte Kerntheilungen auf,
wie wir aus der von einem anderen Objekte entnommenen Fig. 96
wahrnehmen.
Bei der Durchmusterung der Oberfläche desselben Eies finden
sich an vielen Stellen die dem Einwachsen von Zellen ins Innere
vorausgehenden Wucherungen des Eiepithels, die an einem anderen
Objekte noch schöner hervortraten. Eine später genauer zu er-
wähnende Bedeutung erhält das Ei, von dem die Fig. 92 entnommen
ist, noch dadurch, dass es fast gleichmäßig von eingewanderten
Zellen durchsetzt ist. Es unterscheidet sich hierdurch von dem Eie,
dessen Struktur in den Fig. 23—98 sich zu erkennen giebt. Dieses
letztere Ovulum (Fig. 93) besitzt nahe seinem Centrum ein sphärisch
gestaltetes Keimbläschen. Das übrige Innere besteht aus an Schnit-
ten körnig erscheinendem Materiale, das fein granulirt als dünner
Hof das Keimbläschen umgiebt, grob granulirt den anderen Theil
bis zur Oberfläche erfüllt. Es werden auf allen Schnitten der Serie
die Dotterplittchen vermisst. Desshalb deuten wir, da noch keiner-
lei Anzeichen einer vor sich gegangenen Resorption dieser Elemente
vorliegen, die Eizelle als ein ungereiftes, aber als ein der Rück-
bildung verfallenes, weil sich erstens in seinem Inneren eingewan-
derte Zellen vorfinden, zweitens weil das Eiepithel in allen Stadien
der Wucherung wahrgenommen wird, und weil drittens die Ober-
fläche des Eifollikels reichlich, wie bei sich rückbildenden Elemen-
ten, vascularisirt ist. Alles sind untrügliche Zeichen der Rückbil-
dung. Das betreffende Objekt erweitert unsere Vorstellung in so
feın, als wir erfahrungsgemäß durch es auch nicht gereifte Eier-
stockeier dem Untergange verfallen sehen, in so fern wir wahr-
nehmen, dass in der Eiperipherie der Reduktionsprocess bereits weit
vorgeschritten zu sein vermag, ohne dass das Keimbläschen zu
Grunde ging.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 535
Im Vergleiche dieses Objektes (Fig. 93) mit demjenigen, dessen
Oberfläche auf Fig. 92 dargestellt ist, fällt die Thatsache auf, dass
bei ersterem trotz des stärker als beim letzteren gewucherten Ei-
epithels das Innere nur äußerst spärlich mit Zellen durchsetzt ist,
während beim Ei der Fig. 92 eine gleichmäßige Durchwachsung des
Inneren erfolgte. Aufschluss über diese Erscheinung geben solche
Eizellen, welche im frühen Stadium der Dotterplättchenbildung sich
rückbildeten. Ein solches Objekt findet sich auf der Fig. 98 ab-
gebildet. Man findet hier im Inneren eine aus feinen Netzen zu-
sammengesetzte, granulirt erscheinende Masse. Der Peripherie zu
lagert auf der linken Eihälfte eine dunklere körnige Materie, welche
fast nur aus Dotterplättchen besteht. Letztere sind aus mir unbekann-
ter Ursache im Ei zusammengeballt nur in bestimmten Distrikten des
Dotters zu finden. Ausschließlich an die Summen von Dotterele-
menten sind die in das Ei eingedrungenen Zellen gebunden; sie
durchsetzen die zusammenliegenden Dotterplättchen. Ein gleiches
Verhalten gilt für alle Theile des Eies und für andere Objekte aus
ähnlichen Stadien der Reife. Mag man die eigenthümliche ungleich-
mäßige Vertheilung der Dotterplittchen im Eie erklären wie man
wolle, für uns gewinnt doch die Thatsache der alleinigen Durchwach-
sung der Dotterplättchen durch eingewanderte Zellen eine höhere
Geltung. Denn wir bringen sie damit in Übereinstimmung, dass.
sich rückbildende Eier ohne Dotterplättchen nur spärliche, an Dotter-
elementen reiche Rückbildungseier aber viele eingewanderte Zellen
besitzen. Wir folgern daraus, dass die Dotterelemente die Ein-
wanderung der Zellen begünstigen. Ist das aber richtig, so reicht
für die allzu starke Wucherung des Eiepithels und die etwa auch
einwandernden Blutzellen die früher von uns angenommene Ursache
allein nicht mehr aus; denn es wird nicht allein durch größeren
Nahrungszufluss nach dem Tode der Eizelle ein formativer Reiz auf
die lebensfähigen Elemente der Peripherie ausgeübt werden, sondern
auch vom Dottermateriale muss irgend ein Reiz ausgehen, der, viel-
leicht von chemischer Natur, bewirkt, dass wuchernde Elemente vor-
züglich es selbst aufsuchen. Auf keinen Fall darf die ganze Erschei-
nung des Eindringens der Zellen ins Ei, des Zerlegens des Dotters
durch die Zellen ete. so aufgefasst werden, dass die Eindringlinge
von vorn herein mit jenen Aufgaben betraut waren, dass im Hinblicke
auf das Absterben von Eiern diese mit einem Epithele sich um-
gaben ete., dass die Natur mit diesem den Zweck hat erfüllen
wollen, welchen die wuchernden Elemente thatsächlich für den
536 Georg’ Ruge
Organismus haben. Die Anschauung indessen mag zu Recht be-
stehen, welche jenen so zweckmäßig verlaufenden Process durch
von außen kommende, zwar nicht näher gekannte Reizerscheinungen
auf das Eiepithel zu Stande gekommen sein lässt, welche aussagt,
dass mit dem Absterben der Eizelle der formative. Reiz auf deren
benachbarte Elemente übertragen und das einst bestandene Gleich-
gewicht dadurch aufgehoben werde. Das zu Tage tretende Über-
gewicht der einst im Wachsthum zurückgehaltenen Elemente über
die zu Grunde gegangene Eizelle erscheint als ein herrliches Bei-
spiel für den wechselseitigen stetigen Kampf der Elemente im Or-
ganismus. Dass dieser Kampf im Eierstocke ein äußerst reger ist, ist
in so fern nicht wunderbar, als wir den verschiedenartigsten Ausdruck
reichlieher Neubildung gerade in diesem produktiven Organe wohl
erwarten dürfen.
Nach diesen Betrachtungen kehren wir zu den Veränderungen
zurück, welehe sich an den Hüllen des sich rückbildenden Eies vom
Salamander abspielen. Das auf den Fig. 93—97 abgebildete Objekt
besitzt ein Epithel, an welchem alle Zustände sich finden, die das
Verhalten auf der Fig. 92 mit den von Siredon piseiformis kennen
gelernten Stadien verknüpfen, so dass eine Lücke in der Beobach-
tung bier nicht mehr besteht. Auf der Fig. 93 ist das Eiepithel
streckenweise aus platten und, wie es an Schnitten scheint, nicht
direkt an einander schließenden Zellen zusammengesetzt, also etwa
einem Stadium der normalen Hüllen entsprechend, welches die Fig. 87
oder 88 darbieten. An anderen Stellen liegen die Elemente in einer
Lage dicht beisammen, ‚während an noch anderen Orten das Epithel
mehrschichtig geworden ist. Hier sieht man Elemente sich abspalten
und.ihren Mutterboden verlassen. Bei starker Vergrößerung ist das
einschichtige, noch ziemlich scharf abgegrenzte Epithel auf Fig. 95
dargestellt. Es zeigt der getheilte Kern einer Zelle die beginnende
Proliferation an. Auf der Fig. 94 erkennt man neben der Vermeh-
rung ein allmähliches Wachsthum der dicht beisammen liegenden
Elemente. Damit in Verbindung steht eine undeutlicher ‘werdende
Abgrenzung des Eiepithels gegen den Dotter, sowie gegen die mitt-
lere Eihiille. Auf Fig. 96 ist die Vermehrung der Zellen der mittleren
Eihülle an den Kerntheilungsfiguren erkennbar; auf der Fig. 97
sind sowohl das Eiepithel als auch die Elemente der mittleren Hülle
gewuchert. Das Epithel verlor seine scharfen Kontouren vollständig,
so dass die Grenze zwischen beiden Hüllen nicht mehr erkennbar
ist. An mehreren Stellen drangen Zellen. gegen den Dotter vor,
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 537
dessen Oberfläche dadurch unregelmäßig gestaltet ist. Nach rechts
geht an der Fig. 97 das gewucherte Epithel in fast normales über,
das sich durch eine Grenzmembran noch gegen die Eizelle abge-
setzt zeigt. |
Über das Schicksal des Keimbläschen absterbender oder ab-
gestorbener Eier bringen die Beobachtungen an Eiern von Salaman-
dra maculosa nur wenige Aufschlüsse. Sie beziehen sich auf das
Keimbläschen des sich rückbildenden Ovulum der Fig. 93. Der
Eikern ist hier wie auf den anderen Schnitten der Serie von runder
Gestalt. _Er ist von einer zarten, aber deutlichen Membran überall
abgegrenzt. Sein Inneres erscheint an den Dauerpräparaten ‚von
einer äußerst fein granulirten Materie eingenommen, welche peripher
bis dieht unter der Kernmembran eine größere Anzahl verschieden
großer bläschenartiger Kernkörperchen enthält. Diese färbten sich
mit Karmin leicht röthlich. An einer Stelle der ‚Oberfläche des
Keimbläschens (Fig. 93 rechts unten) erkennt man eine reichere An-
häufung von in Bleu de Lion bläulich sich färbenden größeren und
anderer, durch Karmin stark roth tingirten kleinsten Körnchen.
Auf der Fig. 98 sieht man zwei Stellen der Peripherie des Keim-
bläschens bei stärkerer Vergrößerung abgebildet. Bei 5 erscheinen
die Verhältnisse derartig, dass die rechts und links unter der Mem-
bran befindlichen röthlichen Körperchen allmählich eine mehr bläu-
liche Färbung annahmen, um schließlich größere blaugefärbte Ballen
zu formen, zwischen denen stark roth gefärbte Körnchen als Knoten-
punkt eines unregelmäßigen Chromatinnetzes auftreten. Der ganze
Habitus dieser sich rückbildenden Eizelle, noch im Besitze des Keim-
bläschens sich befindend, lässt der Vermuthung Raum, dass dieses
ebenfalls im Zustande der Riickbildung sich befinde. Wenn: schon
die Abweichung vom normalen Zustande klar zu Tage liegt, so wird
man doch erst nach der Verfügung ‘über reichere Beobachtungen
dieses Gegenstandes genauer darzulegen vermögen, welchen Gang
der regressiven Metamorphose das Keimbläschen absterbender Ei-
zellen einschlägt. Dieser wird je nach dem Ausbildungsgrade des
die Rückbildung antretenden Keimbläschens im Eie verschieden sein.
Vorläufig bleiben uns: alle Übergangsformen zwischen dem: normalen
und dem abnormen Keimbläschen des Salamandereies noch unbe-
kannt. |
Beobachtungen von Ovarialeiern, wie sie auf der Fig. 93 dar-
gestellt sind, hätten denjenigen, welche früher nach der Herkunft
eines Nebenkeimes im reifenden Eie suchten, willkommen erscheinen
533 Georg Ruge
müssen. Denn in dem Eie mit scheinbar normalem Keimbläschen
wären anderswerthige Zellen thatsächlich gefunden. Auch heut zu
Tage muss davor gewarnt werden, die hier geschilderten Beobach-
tungen zu Gunsten anderer als der angegebenen Anschauungen her-
anzuziehen, da erstere in jeder Weise als Stadien desjenigen Pro-
cesses sich verrathen, welchen dieser Aufsatz behandelt. Es darf mit
einem gewissen Rechte diese Untersuchung gegen die Lehre vom
Parablasten ins Feld geführt werden, da dieselbe sich irrthümlich
auch aus Beobachtungen aufbaute, welche mit den vorgeführten über-
einstimmen. Auch muss es einleuchten, wie Ovarialeier von der auf
Fig. 93 dargestellten Struktur leicht der Vorstellung Nahrung ver-
leihen können, dass die Membrana granulosa sich aus Elementen
aufbaue, welche, vom Keimbläschen losgelöst, den Dotter durch-
setzen, um so allmählich die Peripherie zu erreichen. Ich will mich
hier jedes Urtheils über die so gedeuteten anderen Beobachtungen
enthalten, jedoch diese vor gleichen Deutungen schützen.
Eine letzte Erscheinung, die am Ovarium von Salamandra ma-
eulosa zu beobachten war, bezieht sich auf die späteren Phasen
der Eiresorption. Es ließen sich hier noch deutlicher als bei Sire-
don zwei Formen von rückgebildeten Eiern unterscheiden. Die eine
stimmt überein mit der bei Siredon beobachteten, welehe Fig. 3
und 4 wiedergeben. Hier finden sich im Inneren äußerst unregel-
mäßig geformter Eier zusammengeballte Dotterreste, welche von
Zellen durchsetzt sind. Auf Fig. 99 und 100 sind zwei, dem Ende
der Rückbildung nahe liegende Stadien abgebildet. Die zweite Form
tritt uns in Eiern entgegen, welche der Dotterplattchen entbehren,
im Inneren eine Zeit lang, fein körniges Material bergen, welches
von stark gewuchertem, mehrschichtigem hellen Dotterepithele um-
geben wird. Bemächtigte sich das letztere der centralen Eitheile,
so bestehen diese Eiformen fast ausschließlich aus hellen Elementen,
welche in mancherlei Zuständen der Rückbildung angetroffen werden.
Blutgefäße der Oberfläche können in verschiedenem Grade in das
Innere der Eizelle ebenfalls eingedrungen sein; dann sind sie als
Schlingen oder weite Kapillaren zwischen reichlichen Zellgruppen hier
anzutreffen. Die Oberfläche aller Eiformen birgt unter dem Platten-
epithele eine aus der mittleren Eihülle hervorgegangene, an Zellen
und Gefäßen reiche Zone. Die dotterhaltenden Eier mögen aus sol-
chen, welche ausgereift oder der Reifung nahe waren, die dotter-
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 539
losen Objekte aber mögen aus unreifen Eiern hervorgegangen sein,
wie wir sie im Anfangsstadium auf der Fig. 93 sahen.
Die Zwischenstadien, welche die dotterhaltigen Eizellen während
der Auflösung vom Anfang (Fig. 98 und 1) bis zum Ende (Fig. 3,
99 und 100) durchlaufen, zeichnen sich eben so wie bei Siredon
piseiformis durch die unregelmäßigste Gestalt der zeitenweise durch
Zellen und Blutgefäße völlig organisirten Objekte aus. Man nimmt
in ihnen außer den Dotterresten helle reichlich gewucherte Epithel-
zellen, sehr zahlreiche Blutgefäße und mit diesen wahrscheinlich
eingedrungene, spindelförmige und verästelte Bindegewebszellen wahr.
Das Bild ist durch die große Mannigfaltigkeit der Anordnung aller
dieser Theile oft ein recht atypisches und bildlich ein schwer dar-
stellbares. Diese Zwischenstadien bieten nach der histologischen
Seite hin noch größeres Interesse; auf sie werde ich an anderer
Stelle zurückkommen.
Die Rjickbildung der weiblichen Keimprodukte von Amphibien
findet nach den vorgeführten Befunden bei Salamandra maculosa
und bei Siredon piseiformis in der Weise statt, dass dem Absterben
der Eizelle die Wucherung der Gefäße, deren Umgebung und die
Proliferation der Elemente der Eihüllen auf dem Fuße folgt, dass
in zweiter Instanz ein Durchwachsen der abgestorbenen Eizelle mit
Elementen, welche vom Eiepithel oder aus den Gefäßen stammen,
erfolgt, dass in dritter Instanz die Invasionsherde von Zellen mit
der Erweichung des Dotterinneren betraut werden, welcher durch
die das Ei durchsetzenden Gefäße darauf entfernt wird. Auf diese
Weise schrumpft die Eizelle nach und nach ein und ist schließlich
nur noch am Besitze der am schwersten resorbirbaren Stoffe, Pig-
ment und Dottermassen erkennbar. Es ergiebt sich die gewichtige
Thatsache, dass niemals die Eizelle allein, sondern der ganze Ei-
follikel an der Rückbildung Antheil nimmt. Dies ist von Wichtig-
keit, weil auch bei anderen Wirbelthieren stets der ganze Eifollikel
durch das Absterben des Ovulum in Mitleidenschaft gezogen wird,
und weil hieraus eine gewisse Einheitlichkeit der Vorgänge bei ver-
schieden gebauten Eifollikeln zu erkennen ist.
An der Hand der gewonnenen Resultate ist es lohnend, Um-
schau zu halten, in wie weit im Eierstocke der übrigen Abtheilungen
der Wirbelthiere erfahrungsgemäß die gleichen Processe sich perio-
disch wiederholen. Zahlreiche Forschungen stellte ich nach dieser
Richtung vor Jahren an. Die hier mitgetheilten Beobachtungen bil-
Morpholog. Jahrbuch. 15. 35
940 Georg Ruge
den einen Theil derselben. Es lockte, die Veröffentlichung dieser
Untersuchungen vorauseilen zu lassen, da hier fast in schematischer
Schönheit dasjenige auftritt, was bei den anderen Abtheilungen oft
in schwerer erkennbarer Weise, was je nach dem komplieirteren
Baue des Eifollikels in schwerer zu deutender Art sich vollzieht.
Den gleichen Process der Rückbildung des ganzen Eifollikels habe
ich bei den Reptilien, Vögeln und den Säugethieren studiren können.
In dem Gewinne, alle vorher bekannten und selbst kennen gelernten
diesbezüglichen Vorgänge nach einem einheitlichen Gesichtspunkte
haben beurtheilen lernen, liegt ein gewisser Fortschritt, der die
Publikation anderer interessanter Beobachtungen berechtigt erschei-
nen lässt.
Seit dem Anfange der sechziger Jahre haben Autoren ihr Augen-
merk häufig auf Zustände gerichtet, welche in den Rahmen des vor-
geführten Rückbildungsprocesses des Eifollikels gehören. Mancherlei
Deutungen sind jenen Beobachtungen zugeschrieben, und zähe hat
man diese auch als Dokumente für die jetzt verfallende Hypothese
vom Nebenkeime oder Parablasten herangezogen. Am eklatantesten
sind in dieser Beziehung die schon öfters beleuchteten Irrwege, die
LINDGREN ! (1877) eingeschlagen hat. Aus schönen Beobachtungen
an den einer regressiven Metamorphose verfallenen Säugethiereiern.
welche im Inneren mehrere aus der Membrana granulosa herstam-
mende Zellen aufwiesen, schloss LINDGREN auf einen progressiven
Process und bezeichnete die das Ei verzehrenden Zellen als die
zweifellosen Vermehrer des Dotters und des Eiinhaltes (pag. 368),
als die Bildner des Nebenkeimes der reifenden Eizelle. Die besagte
Schrift, in welcher auch der Irrthum verzeichnet steht, dass die
Richtungskörper FR. MULLER’s eingewanderte Granulosazellen seien
und wahrscheinlich dem Nebenkeime der Vögel entsprechen (vgl.
RAUBER, |. ce. pag. 7), wird, wie ich glaube, als Belegstiick für die
Parablasthypothese mit Recht niemals mehr vorgeführt werden dür-
fen. Während die in ihr niedergelegten Thatsachen ihren Werth
behalten, sind viele, das Urtheil des Forschers betreffenden Aus-
sprüche von Unvorsichtigkeit und falschen Schlussfolgerungen ge-
tragen. LINDGREN bezeichnete Hıs’ Lehre vom Parablasten als »re-
formatorisch«, während die Wege, welche dieselbe einschlug, jetzt
1 Hy. LINDGREN, Uber das Vorhandensein von wirklichen Porenkanälchen
in der Zona pellucida des Säugethiereies und über die von Zeit zu Zeit statt-
tindende Einwanderung der Granulosazellen in das Ei. Archiv für Anatomie
und Entwicklungsgeschichte. Bd. I. 1877. pag. 334—380. Taf. XVI.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 541
vielfach als Irrwege gekannt sind. Es liegen hier aber keineswegs
Anderungen einstmals allein herrschender Anschauungen vor; denn
es wurde bereits, nachdem einige Forscher Ähnliches vorher aus-
gesprochen hatten, im Jahre 1861 durch GEGENBAUR! der auch jetzt
noch unbestrittene Beweis der organischen Einheit der Eizelle, welche
die Lehre vom Parablasten aufhebt, geführt (man vgl. hierüber vor
Allem auch H. Lupwia’s Arbeit: Über die Eibildung im Thierreiche.
Würzburg 1874). Dass das Urtheil dieses Autors gering angeschlagen
wurde, mag seltsam sein; aber sehr schwer zu verstehen ist es, wie
LINDGREN bei seinen Untersuchungen durch die als vortrefflich er-
wiesenen Beobachtungen und Deutungen PFLÜGER’s? vor Missgriffen
wenigstens nicht gewarnt wurde. PFLÜüGER beschäftigte sich bereits
1863 wie LINDGREN 1877 mit dem gleichen Objekte, mit dem Säuge-
thiereie. PFLÜGER beobachtete nicht allein das Zugrundegehen, die
Auflösung von Eifollikeln, wovon Vieles noch mehr wird zu Ehren
kommen, sondern er sprach auch mit der vollsten Bestimmtheit aus,
dass im Eierstocke unzählige Eier zu Grunde gehen müssen (man
vgl. pag. 75 und 76 der Abhandlung). Ja PrLüGEr beschrieb zu-
treffend die Art, nach welcher die Eizellen aufgelöst werden. Der
lösende Faktor für das Ei ward in Zellen gefunden, welche dem
Dotter an verschiedenen Stellen aufsaßen, »etwa wie ein Pilz dem
Organismus, auf welchem er schmarotzt«. PFLÜGER beobachtete be-
reits die Herkunft der Zellen; denn »an verschiedenen Stellen sieht
man mit ausgezeichneter Klarheit die Zellen der Membrana granu-
losa durch die Zona pellucida Fortsätze schicken«, um dann all-
mählich in das Ei einzudringen. PFLÜGER erkannte in dem bereits
bei 4—10 Monate alten Katzen sich vollziehenden Lösungsprocesse
die Thatsache, dass eine im Grunde krankhafte Erscheinung als
nothwendiges Glied in das Bereich des gesunden Lebens sich ein-
füge (l. e. pag. 77). Jenen Beobachtungen über den zu Grunde
gehenden Graar’schen Follikel mag, wenn schon das Wesentliche
erforscht zu sein scheint, noch Manches hinzuzufügen sein, wie z. B.
FLEMMING? neuerdings den feineren Vorgang an den zerfallenden
! C. GEGENBAUR, Uber den Bau und die Entwicklung der Wirbelthier-
eier mit partieller Dottertheilung. Archiv für Anatomie, Physiologie und wiss.
Medicin. Jahrgang 1861. pag. 491—529. Taf. XI.
. 2 PFLÜGER, Uber die Eierstöcke der Säugethiere und des ee
Leipzig, Basalt. 1863. Mit 5 Tafeln.
3 W. FLEMMING, Uber die Bildung von Richtungsfiguren in Säugethier-
eiern beim Untergange GRAAF'scher Follikel. Archiv für Anatomie und Phy-
siologie. Anat. Abtheilung. 1885. pag. 221—244. Taf. X und XI.
35”
542 Georg Ruge
Zellen der Membrana granulosa des ausgereiften und nunmehr der
regressiven Metamorphose verfallenen Eifollikels schilderte. Erweisen
sich PFLÜGER’s Angaben über den degenerirenden Eifollikel der Säuge-
thiere aber heute noch als grundlegend, so durfte man über die-
selben nicht leichthin hinweggehen.
Die von His! 1873 aufgedeckte Thatsache, dass zu Zeiten leb-
hafter Thitigkeit im Ovar der Knochenfische viele Leukocyten vor-
handen sind, welche auch in das Ei eindringen, wurde vom Au-
tor selbst und später von LINDGREN in der oben angegebenen
Weise für die Begründung der Lehre vom Parablasten dahin ver-
werthet, dass die eingewanderten Zellen die Dotterelemente her-
vorgehen lassen. Diese und ähnliche Deutungen, die des sicheren
naturwissenschaftlichen Beweises entbehren, haben in gleicher Weise
die oben angegebene Beurtheilung zu erfahren; denn bei den mei-
sten Abtheilungen der Wirbelthiere finden wir thatsächlich nur die
der Rückbildung anheimgefallenen Eier mit fremden Elementen, seien
es Leukocyten oder Granulosazellen, versehen. Bevor wir daher den
Fischen eine Ausnahmestellung einräumen, bedarf es untrüglicher
Beweise.
Bonnet? und SEHLEN? fügten gleich anderen Forschern den
seit PFLÜGER bekannten Thatsachen neue Beobachtungen über die
Rückbildung der Ovarialeier bei Säugethieren hinzu. Auch in der
Deutung der beobachteten Eirückbildung bis zur völligen Auflösung
oder Verkalkung als eines physiologischen Processes schloss sich
Bonner eng an PFLÜGER an. Auch durch den Nachweis der ge-
waltig großen Anzahl der oft dem Untergange verfallenen Eier wer-
den PrLüger’s Angaben bekräftigt. Unter 441 Eiern mit geschich-
teter Granulosa bei einer Hündin wurden z. B. nur 37 Eier intakt
befunden, während Bonner die anderen in Übereinstimmung mit
WAGNER, v. Brunn und ScHuLin als sich rückbildende auffasst.
So finden wir uns hier mit Bonner im vollsten Einklange. Bei der
Beurtheilung einiger anderer Befunde jedoch schlugen SEHLEN und
1 W. His, Untersuchungen über das Ei und die Entwicklung bei Knochen-
fischen. Leipzig 1873. Mit 4 Tafeln.
2 R. Bonnet, Beiträge zur Embryologie der Wiederkäuer, gewonnen am
Schafei. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 1884. pag. 170—
230. Taf. IX—XI.
3 D. v. SeHLEN, Beitrag zur Frage nach der Mikropyle des Säugethier-
eies. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Jahrgang 1882.
pag. 33—52. Taf. V.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 543
BonnET einen schon vorher von RAUBER! angedeuteten Mittelweg
ein, den wir nicht betreten möchten. Bonner erachtete einige mit
Zellen erfüllte Eier als normale und erwies sich der Ansicht nicht
ganz abhold, die eingewanderten Zellen als Futter für die Eizelle
anzusehen. SEHLEN sprach sich vorher in ähnlichem Sinne aus:
nach ihm könnten vielleicht die eingewanderten Granulosazellen eine
Bedeutung für das Wachsthum und die Ernährung gewinnen, wie
WALDEYER, STRICKER, His annahmen und LINDGREN ‚dies befür-
wortet. Bonner sah demgemäß wohl die Lehre vom Parablasten
durch seine Beobachtungen nicht bestätigt, da die Immigranten ja
von der Eizelle aufgefressen werden, ohne die organische Einheit
der Eizelle aufzuheben; aber er bekannte sich doch bedingt zur An-
sicht RAUBER’s {pag. 13—14 der eitirten Abhandlung), dass Leuko-
cyten zur Ernahrung des normalen Wirbelthiereies dienen können.
BonNET sah sich hierzu veranlasst, da er Ovarialeier beim Hunde
und Kaninchen mit normalen Keimbläschen, mit normaler Membrana
granulosa und zugleich im Besitze von Immigranten beobachtete,
welche z. Th. im Zustande der Auflösung sich befanden. Es er-
scheint hier die Frage berechtigt, ob die an diesen Eiern normal
aussehenden Bestandtheile nicht nur den Schein des Normalen trugen,
ob sie in Wirklichkeit nicht schon hochgradige, wenn schon noch nicht
erkennbare Veränderungen eingingen; denn es ward durch diese Ab-
handlung die Thatsache bekannt, dass erstens ein Ovarialei noch im
Besitze seines Keimbläschens zu sein vermag. aber doch schon Zei-
chen des Absterbens oder gar des Todes zeigt, dass zweitens das
Zugrundegehen der im degenerirenden Eie befindlichen Elemente
(sowohl Blutkörperchen als auch Granulosazellen) eine ganz gewöhn-
liche normale Erscheinung ist, welche in dem Erweichen des Dotter-
materiales ihren Endzweck besitzt. Aus diesen Gründen lassen sich
die von BonNET verwertheten Befunde ungezwungen in unserem
Sinne als frühe Stadien der Eirückbildung deuten, und bevor wir
dem Einbürgern einer neuen Lehre über die Ernährung der Eizelle
Gewähr leisten, wird der Beweis dafür zu liefern sein, dass neben
der, sicherlich auf die Ausbildung der feinsten und geregeltesten
Einrichtungen basirenden Ernährungsfähigkeit der reifenden Eizelle
dieser auch die Fähigkeit zukäme, feste Massen aufzunehmen und
zu verdauen. Versuchen wir uns nur in die komplicirten und
1 A. RAUBER, Über den Ursprung der Milch und die Ernährung der
Frucht im Allgemeinen. Leipzig 1879. Mit 2 Tafeln. pag. 1—48.
544 Georg Ruge
wunderbar geordneten Wachsthumsvorgänge der Eizelle der Wirbel-
thiere zu vertiefen, so muss uns auch die Vorstellung des Fütterns der
Eizelle mit zufällig hier oder dort auftretenden Elementen als eine
wenig verständliche erscheinen. Ich neige der Ansicht hin, dass
für das Reifen der Eizelle auf andere Weise gesorgt wurde, dass
das lebende normale Ei sich ganz energisch gegen jegliche Ein-
dringlinge wehrt, welche ihm nur Beschwerden in der Verdauung
bereiten würden. FLEMMING’s sorgsame Beobachtungen liefern für
mich den Beweis, dass, was wir vom Amphibienei wissen, auch ge-
reifte Eizellen bei Säugethieren sich zurückzubilden vermögen. Es
muss auch erwogen werden, dass das Wirbelthierei mit dem Oo-
lemma versehen ist, welches wohl das Eindringen flüssiger Nah-
rungsstoffe in das lebende Ei gestattet, sich aber sofort mit dem
Absterben der Eizelle verändern muss, bei dem Amphibieneie sogar
rasch verschwindet, und dann allen möglichen Zellen den Eintritt
gestattet. Man wird sich daher vielleicht dahin äußern dürfen, dass
das Oolemma mit dem Momente, in welchem es Leukocyten oder
dergleichen durch sich wandern lässt, wie das ganze Ovulum nicht
mehr normal sei.
Eine andere Ansicht mag hier, so weit sie auf unser Thema
Bezug nimmt, Erwähnung finden. Ein Vertreter der Lehre von der
freien Kernbildung interpretirte die Befunde aus BonneEt’s erwähnten
Untersuchungen. DAviporr! ist der Meinung, dass die von BonNET
als Phasen der Auflösung gedeuteten Kernzustände in der Eizelle
von Säugethieren in umgekehrter Weise als Phasen von Kernbil-
dungen gedeutet werden dürften (vgl. pag. 526). Ein zur Vertretung
dieser Ansicht erforderlicher Beweis liegt nicht vor, so dass auch
eigentlich kein Grund besteht, diese Meinung zu widerlegen, was
übrigens alle dargelegten Beobachtungen am Amphibieneie, welche
nach meinen Erfahrungen im Wesentlichen mit denen am Säuge-
thiereie übereinstimmen, besorgen würden. Es ist von dieser Seite
her die Lehre von der freien Kernbildung nicht zu begründen.
Einen richtigen Ausgangspunkt für die Beurtheilung der be-
obachteten und, wie es scheint, in den Kreis der Eirückbildung
fallenden Thatsachen fand auch v. TÖRÖK (Archiv für Anatomie und
Entwicklungsgeschichte. 1882. pag. 33—52. Taf. V) nicht. Bei
! M. v. Daviporr, Über freie Kernbildung in Zellen. Ein Vortrag, gehalten
in der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu München am 22. Jan.
1887.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 545
Siredon sollen nämlich Zellkerne aus Dotterplättchen hervorgehen,
und Kerne unter Umständen zu vollständigen Zellen sich umbilden.
Neben diesen wundersamen Dingen lesen wir unter Anderem auch,
dass die Dotterplättchen als diejenigen Formbestandtheile der Thiereier
anzusprechen seien, welche im Sinne Darwın’s die specifischen Cha-
raktere des Mutterorganismus in vereinfachter, gewissermaßen la-
tenter Form auf das Eiprotoplasma übertragen. Ich gehe auf diese
Dinge nicht näher ein; denn wo sollte man anfangen, Einspruch zu
erheben, wo die gangbarsten Anschauungen über die Bedeutung der
Bestandtheile der Eizelle, ohne durch Beweise zu widerlegen, miss-
achtet werden. Denn das ist doch wohl sicher jetzt eine gangbare
Anschauung, dass die Dotterplättehen Nährmaterial vorstellen, welches
das Ei in sich selbst ablagert, um in den ersten Phasen der Ent-
wicklung zum Organismus mit Nährstoff versehen zu sein!
Eine eigenartige andere Bedeutung schrieb BEDDARD! (1886)
den am Ei der Dipnoer beobachteten Erscheinungen zu. Die Be-
obachtungen selbst müssen als vortreffliche bezeichnet werden. Sie
führen uns Veränderungen der Eizelle vor, welche in fast allen
Punkten mit den vorgeführten Thatsachen am Amphibieneie über-
einstimmen. Desshalb deuten wir auch die von diesem Forscher
beschriebenen und abgebildeten Befunde als verschiedene Stadien
der Eirückbildung; während BEDDARD annimmt, dass das Ovar
von Lepidosiren zwei Eiarten enthalte, welche nach einem verschie-
denen Entwicklungsmodus sich bilden. Ist die eine Art von Eiern
einer Zelle gleichwertbig und stellt sich dieselbe dem Amphibien-
eie an die Seite, so ist die andere Eiart das Produkt einer Ver-
schmelzung von einer Anzahl ursprünglich getrennter Zellen, was
auch für Ceratodus in gleicher Weise gelte. Die Dotteransammlung
im Eie geht nach BEDDARD so vor sich, dass Zellen des Eiepithels
mit Dotterplättchen erfüllt, welches sie aus den Gefäßen der Eiperi-
pherie entnehmen, in die Eizelle vorrücken, um sich hier aufzulösen.
die Dotterplättchen aber dem Eie einzuverleiben. Die diesen Aus-
führungen zu Grunde liegenden Beobachtungen entsprechen, wie man
1 F. E. BEDDARD, a) The ovarian ovum of Lepidosiren (Protopterus).
Zoologischer Anzeiger. Nr. 225. pag. 373—575. — b) Note on the ovarian
ovum in the Dipnoi. Zoolog. Anz. Nr. 236. pag. 635—637. — Observations
of the ovarian ovum of Lepidosiren (Protopt.). Proceedings of the Zoological
Society of London. May 4. 1886. pag. 272—292. Plate XXVIII—XXIX.
— ce) Observations on the Devolopment and Structure of the Ovum in the
Dipnoi. Proceedings of the Zoological Society of London. December 7. 1886.
pag. 505—527. Plate LII—-LIV.
546 Georg Ruge
leicht erkennen wird, den unserigen. Unsere Interpretation » der
Thatsachen indessen ging dahin, die gewucherten, mit Dotterplätt-
chen sich füllenden, das Ei durchsetzenden und in ihm sich auf-
lösenden Zellen des Eiepithels als Faktoren anzusehen, welche die
abgestorbene Eizelle vernichten. Für fast alle wichtigen Stadien
der Rückbildung des Amphibieneies hätten wir an Ort und Stelle
kongruente vom Eie der Dipnoer aus Brpparp’s Abhandlung an-
führen können. Und so dient uns letztere auch als ein wichtiger
Beleg für die weitere Verbreitung des Eirückbildungsprocesses in der
Reihe der Wirbelthiere. Wie konsequent sich BEDDARD in der dem
Thatbestande gerade entgegenstehenden Deutung verhält, geht auch
daraus hervor, dass er in älteren Entwicklungsstadien der einen
Eiart Keimbläschen und doppelt kontourirte Dotterhaut glaubt wahr-
nehmen zu müssen, während er an den jüngeren Stadien das Keim-
bläschen vermisste. Diese jüngeren Stadien sind eben weiter vor-
geschrittene degenerirte Eier, die des Keimbläschens verlustig gingen.
Ein tieferer Einblick in den Degenerationsprocess der Eier ist aus
BEDDARD’sS Schriften nicht zu gewinnen.
Noch eine andere der vielen denkbaren Erklärungen für die mit
Zellen erfüllten Eier fand ihre Vertretung. So erklärt Heaps! z. B.,
da er im Eie des Maulwurfs niemals Zellen hatte wahrnehmen
können, die von LINDGREN, SEHLEN und H. VircHow beobachteten
Befunde als abnorme (l. e. pag. 170). PFLÜGER indessen hatte be-
reits den Process der Eiriickbildung als einen normalen physiologi-
schen bezeichnet, der sich also auch an normalen, allerdings abge-
storbenen Eizellen abspielt. Den schlagendsten Beweis, dass normale
aber abgestorbene Eier mit Zellen erfüllt sein können, bilden neben
anderen auch unsere und FLEemmine’s Beobachtungen. Nur in so
fern können die Eier mit Zellen als abnorme gelten, als sie ab-
sterbend oder abgestorben von normalen lebenden sich unterscheiden,
an ihnen hingegen kein abnormer Gang der Entwicklung oder der
Reifung wahrzunehmen ist, was jener Autor aber wohl hat aus-
drücken wollen.
BALBIANIs (Lecons sur la generation des Vértébres) Annahme,
dass der Dotterkern im Säugethiereie von einer Zelle der Membrana
granulosa herstamme, mag einen thatsächlichen Hintergrund besitzen.
1 WALTER Heaps, The development of the Mole (Talpa Europea), the
Ovarian Ovum and Segmentation of the Ovum. Quarterly Journal of Micro-
scopical Science. Vol. 26. New Series. pag. 157—174. Plate XI.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 547
Die Beobachtungen selbst hingegen mögen in das Kapitel fallen,
welches die nach dem Absterben der Eizelle eintretende Wucherung
des Eiepithels behandelt.
Es bleibt uns die Aufgabe übrig, einiger Autoren zu gedenken,
welche im Anschlusse an REINHARD (1847) und an PFLiGErR (1863)
ihre eigenen, unser Thema streifenden Untersuchungen am Eierstocke
von Wirbelthieren in richtiger Weise erklärten und dadurch ein
werthvolles Material zum Aufbaue der Lehre vom periodischen, phy-
siologischen Degenerationsprocesse an den Produkten eines wichtigen
Organs lieferten.
G. R. WaGENER! trat 1879 gegen LINDGREN’S Ansicht auf: er
beobachtete eine große Anzahl zu Grunde gehender Eier bei Säuge-
thieren (pag. 188). Den Zerstörungsprocess nahm WAGENER an Eiern
von der ersten Entwicklung bis zur vollständigen Ausbildung wahr.
Die vorhandenen Granulosazellen, welche durch die Zona pellucida
eindringen, werden den allem Anscheine nach oft noch normalen
Eizellen verderblich. An sicher regenerirenden Eizellen jedoch treten
Veränderung der Form auf; die sphärische Gestalt wechselt mit einer
ovoiden. Das Oolemma kann sich erhalten, aber auch verschwinden.
Der Keimfleck ist an Rückbildungseiern nicht mehr vorhanden.
v. Brunn? bestätigte im vollen Maße die Angaben älterer Au-
toren und des vorher Genannten, indem er beim Hunde Eizellen
durch eindringende Zellen sich rückbilden sah. Ob die Immigranten
als Granulosazellen oder Leukocyten zu deuten sind, blieb uner-
wiesen. Nachdem sich die eingewanderten Zellen endothelartig zwi-
schen dem Oolemma (Zona radiata) und dem Dotter einnisteten, sieht
man den letzteren schwinden, an dessen Stelle dann die Eindring-
linge treten. Gleichzeitig mit dem Verschwinden des Dotters fällt
die Zona zusammen. Diese kann vor der Einwanderung der Zellen
durch sie bis auf unbedeutende Reste verschwunden sein; sie kann
sich aber auch bis zur vollständigen Auflösung des Dotters als zu-
sammengefaltete Membran erhalten. (Nach meinen Erfahrungen er-
hält sich das Oolemma jedes Mal am längsten beim Säugethiereie,
und zwar in fast gleicher Stärke wie im Stadium des Eitodes, so
dass ich die Rückbildungseier mit zarter Zona pellucida als nicht
1G. R. WAGENER, Bemerkungen über den Eierstock und den gelben Kör-
per. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 1879. pag. 175—200.
Taf. VII—VIII. a0
2 A. v. Brunn, Zur Kenntnis der physiologischen Riickbildung der Eier-
stockseier. Göttinger gelehrte Anzeigen. 1880. pag. 155—156.
548 Georg Ruge
ausgereifte erachten möchte. Ich kenne indessen die Schwierigkeit,
diese Annahme streng zu erweisen.)
v. Brunn! (1882) beschreibt in eingehendster Weise die vor-
züglich beim Sperlinge beobachteten Rückbildungsprocesse der nicht
ausgestoßenen Eierstockseier. Auf die Übereinstimmung der Follikel-
rückbildung der Vögel mit derjenigen bei den Säugethieren werden
wir aufmerksam gemacht; auf die volle Übereinstimmung mit dem
hier von den Amphibien Beschriebenen deuten uns v. Brunn’s Ab-
bildungen und Beschreibungen hin. Die Schilderung der verschie-
denen Phasen, wie die der Wucherung und die aus ihr hervor-
gehende Mehrschichtigkeit des Eiepithels, des allmählichen Zugrunde-
gehens des Epithels, des Eindringens von mit dem Zerlegen des
Dotters betrauten weißen Blutkörperchen in das Ei erinnert uns ganz
an die vom Amphibieneie geschilderten Zustände. Auch mit den
letzten Stadien der Eirückbildung macht uns v. BRUNN vertraut.
Nach ihm verwandeln sich die eingewanderten Zellen zu Binde-
gewebe, welches sich mit der Follikelwand derart vereinigt, dass
die Stelle des Follikels nur noch durch eine dichtere, kernreichere
Bindegewebsmembran angedeutet bleibt. Trotz mancher verbesse-
rungsfähigen Einzelheiten der Schilderung hat die Abhandlung v.
Brunn’s als maßgebend zu gelten; führt sie uns doch den ganzen
Process der Eirückbildung auch in einer anderen Abtheilung als bei
den Säugethieren vor. Über die Zeit der Eirückbildung beim Sper-
linge giebt der Autor an, dass dieselbe während der ganzen Thätig-
keit der Keimorgane, aber auch vor- und nachher, bei älteren Thieren
von Anfang März bis Mitte November, am energischsten während der
Eiablage und während der Brut- und Pflegezeit stattfinde.
Mit voller Entschiedenheit nahm auch ScHuLım? (1881) den von
PFLÜGER behaupteten Stand und in anderen Fragen einen modernen
Standpunkt ein. Er weist die Ansicht der Entwieklung der Dotter-
elemente aus Granulosazellen (Hıs, LINDGREN) zurück, unter An-
derem desshalb, weil LinpGrEN die Granulosazellen in großen Eiern
beobachtete, während Dotterelemente bereits in kleineren Eizellen
angetroffen werden. Nach SchuLın werden von den letzteren die
Dotterelemente wahrscheinlich selbst gebildet. Auf der Fig. 22 bildet
ı A. v. Brunn, Die Rückbildung nicht ausgestoßener Eierstockseier bei
den Vögeln. Beiträge zur Anatomie und Embryologie als Festgabe für JAKor
HENLE. Bonn 1882. pag. 1—8. Taf. 1.
2 K. Scuurın, Zur Morphologie des Ovariums. Archiv für mikr. Anat.
Bd. XIX. 1881. pag. 442—512. Taf. XXII—XXIV.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 549
der Autor ein Säugethierei im Stadium der Rückbildung ab, dessen
Keimbläschen nur noch eine homogene elliptische Scholle ist. Auf
der Fig. 23 finden wir ein Ei ohne Dotter, mit abgeplatteter Zona,
welche von vielen Nagelzellen durchbohrt und mit Granulosazellen
im Inneren versehen ist. SCHULIN bestätigt auch die schon von
WALDEYER (Eierstock und Ei. Leipzig 1870) gemachte Beobach-
tung, dass die Zona sich lange zu erhalten vermag, fand beim Ka-
ninchen ganze Ballen von Zonae als Reste rückgebildeter Eier
(Fig. 24a), Ähnliches beim dreijährigen Mädchen (Fig. 14) und
konnte selbst an Follikeln mit mehreren Eiern bisweilen degenerirte
neben gut entwickelten wahrnehmen.
WALDEYER! erklärte 1883 den Versuch LinpGREN’s, die ein-
wandernden Zellen am Säugethierei als Nebenkeime zu deuten, für
verfehlt. SEHLEN (1882, l. c.) und Bonner (1884, 1. e.) beobachteten
bei Säugethieren Rückbildungen von Eiern und deuteten dieselben
als solehe. Die mit einer gewissen Reserve ausgesprochene Ansicht,
dass die in das Ovulum eingedrungenen Zellen auch zur Ernährung
dieser hätten dienen können, fand oben Erwähnung. Dass, wie
SEHLEN behauptet, die zu gewissen Zeiten in der Zona pellucida
auftretenden, mit Fortsätzen der Granulosazellen erfüllten Poren-
kanäle fähig sind, Spermatozoen aufzunehmen, kann, sobald die
letzteren bis zum Eie vorzudringen vermögen, zugestanden werden.
Völlig können wir indessen jenem Autor nur darin zustimmen, dass,
sobald der Austritt des Eies aus dem Follikel nicht zu Stande kommt,
Granulosazellen in das Innere des Eies eindringen, um hier eine
regressive Metamorphose nach PFLÜGER und WAGENER zu bewirken,
die mit der Lösung und Aufzehrung des Eies endigt. Mehrere Ei-
zellen, an denen v. SEHLEN Porenkanäle im Oolemma beschrieb,
dürfen, wie ich glaube, nur als abgestorbene beurtheilt werden:
denn an ihnen wurde das Keimbläschen nicht mehr wahrgenommen.
Die aus der Darstellung sich ableitende Thatsache, dass gerade
an einem solchen Eichen eine größere Zahl doppelt kontourirter,
breiterer Kanälchen in der Zona gefunden wurden, erweckt die sich
schon früher uns aufdrängende Meinung, dass hier abnorme Zustände
des Oolemmas vorliegen, wie sie sich als Folgeerscheinungen der
degenerativen Metamorphose der Eizelle einstellen mögen. Nach
dem Ausbildungsgrade der sicher normal präformirten Porenkanälchen
1 W. WALDEYER, Archiblast und Parablast. Archiv für mikr. Anatomie
Bd. XXII. pag. 1—77. 1 Holzschnitt.
350 Georg Ruge
in der Zona wird es aber stets schwer sein, zu unterscheiden, ob
normale oder absterbende Eier uns vorliegen, und so mögen sich denn
unter den vielen von v. SEHLEN mit Oolemmakanälchen beschriebenen
Befunden auch normale Gebilde vorfinden. Wo indessen Granulosa-
zellen bis zur Dotteroberfläche vordrangen, dürften wohl immer de-
generirende Eizellen beobachtet sein.
Es kann in Hinsicht auf die mannigfaltigen Beobachtungen
über die Rückbildung von Ovarialeiern bei Wirbelthieren keinem
Zweifel unterliegen, dass der Vorgang ein weit verbreiteter ist.
Verwerthet man aber auch andere in der Litteratur sich findende
Befunde, welche bei etwaiger Beurtheilung auf den Degenerations-
process bezogen werden müssen, so stellt sich schon jetzt heraus,
dass derselbe für alle Wirbelthierabtheilungen Geltung hat. Wenn
zum Schlusse hier noch der Versuch gemacht wird, eine kurze dies-
bezügliche Zusammenstellung zu geben, so lassen wir uns bei dem
Heranziehen der anders gedeuteten Beobachtungen Anderer von der
Überzeugung leiten, dass sich die Anfangsstadien der Eirückbildung
sicher durch den Inhalt des Eies mit eingewanderten Zellen ver-
rathen. Bei der Beurtheilung weiter vorgeschrittener Stadien leisten
uns, so meine ich, die Beobachtungen am Amphibienei Gewähr.
1) Fische. Knochenfische. Die Beobachtungen von Hıs
über intravitelline Zellen im Ei vom Salm (l. e. pag. 29 und Fig. 28
der Taf. IV) können im Vergleich mit anderen, sicher erkannten Zu-
ständen, auf die Rückbildung der betreffenden Eier bezogen werden.
Ransom fand bei Gasterosteus Ähnliches wie His beim Salm. Auch
Emer hat Ähnliches an Eiern von Knochenfischen beobachten
können (Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. VIII).
Dipnoi. Die in den Arbeiten von BEDDARD niedergelegten
Untersuchungen sind ein sprechendes Beispiel für die Riickbildung
von Eiern bei Lepidosiren und Ceratodus.
2) Amphibien. Außer den von mir dargestellten Thatsachen,
welche zum Ausgangspunkt des ganzen Aufsatzes dienten, finde ich
nur spärliche Anzeichen wahrgenommener Eirückbildungsstadien.
Eine Beschreibung vom Dotterepithel einiger Eier von Rana fusca
bei ©. Schutze (l. e. pag. 181 Taf. XI Fig. G) deute ich in diesem
Sinne. Am Follikelepithel sah ScHuLTtzeE eine Menge zarter blasser
Zellen, ohne erkennbare Membran, aber mit vielen zierlichen spitzen
Fortsätzen, welche anastomosirend ganze Netze entstehen ließen. An
Zr
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 551
Wintereiern war dieser Zustand noch.deutlicher erkennbar. Hier
enthielten Zellkörper und Fortsätze oft stark lichtbrechende Körn-
chen. die ganz den kleinsten Dotterkörnchen glichen. Durch die be-
treffende Wahrnehmung wurde ScHULTZE an His’ Beobachtungen beim
Salmei erinnert, während wir den Befund mit den beim Salamander
beobachteten Zuständen direkt vergleichen dürfen. Das Ei von Rana
fusca würde einem Rückbildungsstadium entsprochen haben, in wel-
chem das Follikelepitbel gewuchert und bereits mit Dotterelementen
erfüllt war.
Für die urodelen Amphibien ist der Rückbildungsprocess der
Eier sicher nachgewiesen; für die Anuren bestehen Angaben, die
wahrscheinlich auf einen solchen beziehbar sind.
3) Reptilien. An Eiern von Schildkröten, Eidechsen und
Schlangen fand ich verschiedene Stadien, welche in Übereinstimmung
mit solchen der Rückbildung am Amphibienei sich erkennen ließen
und dadurch auch für diese Abtheilung den gewünschten Nachweis
liefern. Ermer (M. Schuutze’s Archiv Bd. VIII) beobachtete bei
der Ringelnatter und der glatten Natter, dass Zellen des Follikel-
epithels in kurzen Abständen von einander durch die Zona ein-
drangen und zwar mit Fortsätzen, welche stumpf im Eiinhalt endigten.
Diese Zustände, welche LINDGREN seiner Zeit für sich verwerthete,
sind vielleicht auf Anfangszustände der Eirückbildung zu beziehen.
4) Vögel. Die maßgebenden Forschungen von v. BRUNN am
Spatzenei erhoben es zur Thatsache, dass in dieser Wirbelthierklasse
Eirückbildungen in periodischer Wiederkehr bestehen. Auch ich
habe ein reiches Beobachtungsmaterial über die Eidegeneration vom
Sperling und von der Goldammer aufzuweisen. Außerdem ist mehr-
fach die Anwesenheit von Kernen oder Zellen im Vogelei konstatirt
worden, deren Anwesenheit die Rückbildung des Eies dokumentirt.
5) Bei den Säugethieren ist der Rückbildungsprocess der Ei-
zellen überhaupt zuerst klar erwiesen worden. Mit der Lehre von
demselben ist der Name PFLÜüGEr’s innigst verknüpft. Es giebt nur
wenige Abtheilungen in dieser Wirbelthierklasse, über welche noch
keinerlei diesbezügliche Beobachtungen vorliegen. Die gekannten,
denen ich noch einige hinzufügen kann, deuten auf eine große Über-
einstimmung des Rückbildungsprocesses der Eizelle hin. Gemäß dem
verschiedenen Baue des Eifollikels der Säugethiere und der anderen
Wirbelthiere besteht in dem Process der Degeneration des ganzen
Follikels eine nicht unwesentliche Differenz, die aber, wie ich glaube,
keine fundamentale ist, aber von sich aus Licht über die Morpho-
552
Georg Ruge
logie des Graar’schen Follikels zu verbreiten im Stande ist. Eine
Zusammenfassung aller dieser Punkte gedenke ich demnächst zu
geben.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XVIII—XXI.
Die Fig. 1—83 beziehen sich auf degenerirende Eier von Siredon pisci-
formis, die Fig. 84—100 auf solche von Salamandra maculosa.
Fig.
Siredon pisciformis.
i—7. Darstellung verschiedener Stadien sich rückbildender Eier in Durch-
schnitten. Ei 4 und B zeigen periphere Blutgefäße und ein mehr-
schichtiges Eiepithel, welche den von Zellen durchsetzten Dotter
umschließen. — Ei C und D sind unregelmäßig kontourirt, im Inneren
mit Dotterballen, Pigment und Zellen versehen. — Im Ei £, F, G, H
der Fig. 1 und 5 sind bis auf geringe Mengen von blau gefärbtem
Dotter im Eie F hauptsächlich die Pigmentschollen erhalten. — Im
Ei K der Fig. 6 deuten Dotterreste auf die Einatur hin, im Ei J, Z
der Fig. 6, im Ei M der Fig. 7 und im Ei N der Fig. 4 zeigen nur
noch die Pigmentanhäufungen den ursprünglichen Sitz gereifter und
nun degenerirter Eier an.
8. Unregelmäßige Dotteroberfläche des Eies A nach Entfernung des Ei-
epithels. Man erkennt die lakunären, von den Zellen des Eiepithels
angenagten Räume.
9. Zwei Schnitte durch die Eioberfläche, mit Zellen in den Eihüllen,
deren einige eine direkte Kerntheilung zeigen.
. 10 (1—7). Sieben verschiedene Schnitte durch das wuchernde, mit Pig-
ment und Dotterpliittchen sich füllende Eiepithel des Eies A (Fig. 1).
. 11. Schnitt durch das hohe, Pigment und Dotter haltende Eiepithel, deren
tiefe Zelllagen sich abspalten, um in sphärischer Gestalt in den Dotter
einzudringen. Bei m befinden sich einige helle, kernlose Elemente.
. 12—14. Verschiedene Zustände des Eiepithels und der nach außen von
ihm befindlichen Eihüllen.
. 15—16. Zwei Schnitte von verschiedenen Stadien der in das Eiinnere ein-
wandernden Zellen des Eiepithels.
. 17. Darstellung einer in den Dotter eindringenden kleineren, mit mehreren
Kernen versehenen Zelle.
. 18. Lebhafte Kerntheilung der Zellen der mittleren Eihülle, welche einen
Pigmenthaufen enthält, der als Rest eines rückgebildeten Eies zu
deuten ist.
. 19. Kerntheilung und andersartige Kernmetamorphosen in den hohen Zellen
des Eiepithels.
Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere. 553
Fig. 20—23. Schnitte durch das Eiepithel, an denen das Eindringen von Blut-
körperchen durch das Eiepithel bis in den Dotter erkennbar ist.
Fig. 24. Oberflächliche Zelle des Eiepithels mit Pigment, normalem Kern und
den Produkten eines zerfallenen Kernes.
Fig. 25 (7—-VIII). Serienschnitte durch die in die Tiefe eindringenden Blut-
gefäße a und 6 aus der Eioberfläche. Allenthalben erkennt man Ab-
spaltungen von Blutzellen.
Fig. 26. Pigmentscholle in der mittleren Eihülle.
Fig. 27. Zellen der mittleren Hülle mit großen Kernen, in deren Innerem Netze
bildende Chromatinballen enthalten sind.
Fig. 28—33. Schnitte durch das Eiepithel. Blutkörperchen mit Kerntheilung
und in verschiedenen Phasen des Eindringens ins Eiinnere.
Fig. 34. Schnitt durch ein Gefäß aus der Oberfläche des Eies BP. Die Gefäß-
schlinge x buchtete sich in eine mit Pigment und Dotter erfüllte hohe
Epithelzelle ein und verdrängte deren Kern bis an die Zellmembran.
Fig. 35—52. Die verschiedensten Zustände der Veränderungen von in den
Eidotter eingedrungenen Blutkörperchen. Die Veränderungen bestehen
1) in Aufnahme von Dotterplättchen, die im Inneren der Zellen kon-
fluiren, 2) im Auflösen und vollständigen Verschwinden des Leibes
der Zellen, so dass nur noch die Kerne übrig bleiben (Fig. 49), und
3) im Zerfalle und im Auflösen der Kerne der Blutzellen.
Fig. 53—75. Ähnliche Veränderungen von Aufnahme und Zerlegen von Dotter-
plätteben durch die in das Innere des Dotters eingedrungenen Zellen
des Eiepithels. Veränderungen am Zellleibe dieser Eindringlinge endi-
gen mit völligem Schwinden desselben (z. B. Fig. 69 und 75 rechts);
Veränderungen am Kerne endigen mit dessen Zerfall in kleinste Chro-
matinkugeln, welche zerstreut im Zellterritorium eine Zeit lang noch
nachweisbar bleiben (Fig. 74 etc.), später aber ganz verschwinden
(z. B. Fig. 73 und 75 rechts). Verlor eine Zelle sowohl ihre Kon-
touren als auch ihren Kern, so vermag man ihre Anwesenheit zu-
weilen noch durch die restirenden Pigmenthaufen nachzuweisen (Fig. 75
rechts).
Fig. 76—80. Darstellungen von der Art des Zusammenfließens von Dotter-
plättchen zu größeren unregelmäßigen Ballen in Zellen aus dem Ei-
epithelverbande und aus dem Eiinneren.
Fig. 81. Schnitt durch ein auf Fig. 1 bei schwacher Vergrößerung dargestelltes
Ei H. Man erkennt hier die immer noch an Zellen gebundenen mäch-
tigen Anhäufungen von körnigem Pigment. Außer den pigmenttra-
genden Elementen kommen im Inneren kleinere, indifferentere vor,
welche sich aber allmählich von Neuem der Pigmentkérnchen bemäch-
tigen (a—d).
Fig. S2—83. Darstellung eines Stückes der Oberfläche des Eies C (Fig. 3) bei
stärkerer Vergrößerung und einer großen Anzahl von Zuständen direkter
Kerntheilungen an den Zellen aus dem Inneren desselben Eies und
von Objekten aus ähnlichen Rückbildungsstadien.
Salamandra maculosa.
Fig. s4—91. Durchschnitte durch die Hüllen verschieden großer, reifender
Ovarialeier. Es sind die sich entwickelnden Eihüllen dargestellt
Georg Ruge, Vorgänge am Eifollikel der Wirbelthiere.
ju) |
on
oe
worden, welche sich allmählich auf drei vervollständigen. Man er-
kennt auf Fig. 90 und 91 die das Ei unmittelbar umgebende Zelllage,
das Eiepithel, nach außen von ihm die mittlere Eihülle, bestehend
aus vereinzelten Zellen und aus faserigen Elementen zwischen diesen,
zu äußerst ein plattes Epithel, das dem die Ovarialkammer abschließen-
den Epithele entstammt.
Fig. 92. Durchschnitt durch die Eihüllen eines abgestorbenen gereiften Ovarial-
eies. Es sind eine starke Wucherung in der mittleren Eihülle und die
Erhebung der Zellen im Eiepithele erkennbar. Der Dotter ist von
Zellen durchsetzt. (Das Keimbläschen des betreffenden Eies war be-
reits verschwunden.)
ig. 93. Schnitt durch ein der Rückbildung anheimgefallenes Ovarialei. In
ihm fehlen jegliche Spuren von Dotterpliittchen. Im Inneren ist das
runde, von einer helleren Dotterzone umgebene Keimbläschen erhalten.
Spärlich zerstreute Zellen dringen in das Ei ein. An allen Stellen
der Eiperipherie erkennt man Blutgefäße. An verschiedenen Stellen
ist das Eiepithel gewuchert, während an anderen Orten platte Zellen
in einer Lage erhalten sind. Das Eiepithel ist von den verschie-
denen Stellen auf den
. 94—97 bei starker Vergrößerung dargestellt. In Fig. 95 erkennt man
Kerntheilung von Epithelzellen, in Fig. 94 das sich vermehrende und
an Höhe zunehmende Eiepithel; dasselbe ist in noch höherem Maßstabe
auf Fig. 97 ausgesprochen, wo man auch ein lebhaftes Eindringen
von Elementen in den Dotter wahrnimmt.
Auf der Fig. 96 ist die indirekte Kerntheilung der Zellen der
mittleren Eihülle erkennbar, auf Fig. 97 die Zunahme der Elemente
dieser Zone und die nähere Berührung der Elemente des Eiepithels
und der mittleren Hülle. Auf
Fig. 98 erkennt man in a und 5 je ein Stückehen der Oberfläche des Keim-
bläschens der Fig. 93 bei starker Vergrößerung. Die Membran (WM)
umschließt äußerst fein granulirtes Material, an dessen Peripherie
kleine, durch Karmin roth gefärbte Bläschen vorkommen; diese neh-
men gegen eine Stelle der Oberfläche des Keimbläschens an Größe zu
und, unregelmäßige Formen zeigend, nahmen sie allmählich durch
Bleu de Lion eine blaue Färbung an. Zwischen diesen Ballen (Schn.b)
erkennt man ein Netz feiner Chromatinfiiden mit größeren Knoten-
punkten.
Fig. 98. Schnitt durch ein abgestorbenes Ovarialei ohne Keimblaschen. Das
Eiepithel ist zu einer zweischichtigen Lage geworden. Das Eiinnere
ist erfüllt von unregelmäßigen Haufen von Dotterplättchen, welche
die Peripherie des Eies innehalten und reichliche Mengen von einge-
drungenen Zellen bergen. Der übrige Inhalt besteht aus einer feinen
netzförmig angeordneten Masse.
Fig. 99—100 stellen zwei verschieden große rückgebildete Eier dar, welche mit
Resten von Dottermassen erfüllt sind, die ihrerseits hellere, erweichte
und dunklere festere Zonen erkennen lassen, an deren erstere reich-
liche Zellen gebunden sind. Nach außen vom Dotterkerne blieb die
mittlere Eihülle erkennbar, eben so das abschließende Plattenepithel.
x
=
=
Fi
og
x
&
N
=
:
1.8
RS
&
4
Morpholog. Jahrbuch. Ba XV : uf
Fig 10. 3° Kia
a)
Dolterreste
L -
Carry Frege gez. Volv WR Engel
Blutgetiss
Re
Rx IB
SS
Fig. 34.7? EiB.
Fig 51°
Blutgetiss
as 2
~ 1732
‚®
Vert. Wik Angelmann, Lewexiy. Lith Anstvivener hinter,
—
Tat XX.
S
itt
\ se =
Fig.358.
Fig. 49.30
en
Tat XX
Morpholog. : Jahrbuch. Bd. XV
Fig. 73
Fig. 70.
z
Fig.71.
.
r 2
Fig.63
Fig. 54.9
30
%
Fig.40. =
S30 a
?
54 Fig 48
3 |
\ (oan ®
\ &
Fig. 56. 1 .
nr
Fig. 68.5
Fig. 80.7?
a
Gefass
Fig. 97. 38°
Fig. SG. Et 05 Mm.
Ts Ne —Periton. pith.
S EM
ed Au Datterreste
x
_. Dotter
Fig. 100.38
ae as
oo an - => ERS”
—
Über den epithelialen Theil der sog. Blutdrüsen
in der Schwimmblase des Hechtes (Esox lueius).
Von
Dr. Alexander Coggi,
Assistent am zoolog. Institut der Universität Bologna.
Mit Tafel XXII.
In der Schwimmblase des Hechtes lassen sich nach Ursprung
und Anordnung ihrer Blutgefäße zwei Abtheilungen unterscheiden.
Im hinteren Theil, welcher gewöhnlich 11/,—1*/; em hinter der
Mündung des Luftganges anfängt, verzweigen sich die Blutgefäße
stern- oder baumförmig von mehreren Punkten ausstrahlend zwischen
den Wandungen der Blase. Im vorderen Theil verlaufen sie
fächerförmig von einem einzigen Centrum aus, welches der Mündung
des Luftganges entspricht, und verbreiten sich nach hinten bis zur
Grenze der anderen Abtheilung. Ferner bezieht der hintere Theil
sein Blut aus der Aorta durch segmentale Gefäße, die von den Ar-
teriae intercostales entspringen, und ergießt es wiederum in die
Cardinalvenen. Der vordere Theil erhält von der Arteria coeliaca
einen Ast, welcher in der Nähe der Luftgangmündung zwischen die
Häute der Blase eindringt und sich daselbst in vier Zweige theilt;
indem sich diese wiederum in feinere Zweiglein theilen, bilden sie
eben so viele Fächer von Blutgefäßen; das venöse Blut verfolgt in
umgekehrter Richtung einen gleichen Weg und ergießt sich in das
Pfortadersystem.
Diese Abgrenzung zweier Abschnitte der Hechtblase, welche
sich durch die Vertheilung ihrer Gefäße und, wie weiter gezeigt
werden soll, durch den Bau ihrer Wandung unterscheiden lassen,
Morpholog. Jahrbuch. 15. 36
556 Alexander Coggi
verdanken wir der kürzlich erschienenen Arbeit von H. K. Cornine!;
sie scheint früher von Niemand bemerkt worden zu sein und
wurde jedenfalls früher nicht so genau und ausführlich beschrieben.
Als JOHANNES MÜLLER? für die Wundernetze der Schwimmblase die
bekannten vier Typen aufstellte, berücksichtigte er beim Hecht nur die
Gefäßfächer des hinteren Theiles und rechnete sie seinem zweiten
Typus zu. Als ich vor zwei Jahren das verschiedenartige Verhalten
des Schwimmblasenepithels der Knochenfische zu den Wundernetzen
untersuchte?®, sah ich beim Hecht nicht mehr, als was bereits
J. MÜLLER beschrieben hatte. Da ich nicht bemerkte, dass der vor-
dere Abschnitt der Schwimmblase sich in der feineren Struktur und
der Gefäßvertheilung vom hinteren unterscheidet, so dehnte ich die
Wahrnehmung, dass das Epithel des hinteren Theiles über die
Wundernetze unverändert hinzieht, irrthümlich ohne Weiteres auf
die ganze Schwimmblase aus.
Es ist also Cornine’s Verdienst, nachgewiesen zu haben, dass
in der Schwimmblase des Hechtes zwei Arten rother Körper bestehen.
Im hinteren Abschnitt sieht man Wundernetze, welche dem 2. Typus
MULLER’s entsprechen: die Verästelung der Blutgefäße geschieht un-
mittelbar unter dem einfachen Blasenepithel, ohne dass letzteres
irgend welche Veränderung zu erleiden hätte. Im vorderen Abschnitt
findet statt, was DE LA Rocue für die Physostomi abdominales im
Allgemeinen kaum andeutete und ich für Scopelus und Gonostoma
nachwies: nämlich die Anwesenheit von rothen Körpern des 3. Typus
MüLter’s im vorderen Theil der Blase in der Nähe der Öffnung des
Luftganges. In den rothen Körpern des 3. Typus lassen sich in der
Regel ein arterielles und venöses Wundernetz und eine mehr oder
weniger ausgedehnte Scheibe von stark gefäßhaltigem, geschichtetem
Pflasterepithel scharf unterscheiden. Diese Epithelscheibe bildet mit
dem arteriellen und venösen Wundernetz den sogenannten »rothen
Körper« oder die »Blutdrüse«. Der epitheliale Theil derselben (oder
manchmal das ganze Organ) wird von deutschen Autoren als »zelliger
Saum« bezeichnet; ich habe ihn »Epithelkörper« genannt.
. Beim Hecht bildet, wie oben bemerkt wurde, jeder der vier
Aste der Blasenarterie einen Gefäßfächer mit sekundären Gefäßbün-
! Beiträge zur Kenntnis der Wundernetzbildungen in den Schwimmblasen
der Teleostier. Morph. Jahrb. Bd. XIV. pag. 1—53 (Juli 1888).
” Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. Abhandl. Akad. Berlin. 1839.
3 Coaar, Intorno ai corpi rossi della vescica natatoria di alcuni Teleostei.
Mittheil. Zoolog. Station Neapel. Bd. VII. pag. 381 (September 1887).
Über den epithel. Theil d. sog. Blutdrüsen in der Schwimmblase d. Hechtes. 557
deln; dem entsprechend theilt sich der Epithelkörper in vier gegen
ihre Grenzen dünner erscheinende Lappen, was am besten bei Be-
trachtung der Blasenwand im durchfallenden Lichte sichtbar wird.
Was nun die Beziehungen dieses Epithelkörpers zum inneren Epithel
der Blasenwand angeht, so weicht die Schilderung CornınG's be-
deutend von den Resultaten meiner früheren Arbeit über die Physo-
elysti und einige Physostomi, sowie meiner hier mitzutheilenden
neueren Untersuchungen über die Schwimmblase des Hechtes ab.
Auf Querschnitten durch die Blasenwand unterscheidet CORNING
von außen nach innen folgende Schichten: 1) eine fibröse Schicht von
straffem Bindegewebe; 2) eine Schicht lockeren Bindegewebes;
3) eine als Gefäßschicht bezeichnete Lage, bestehend aus einer Schicht
cirkulärer glatter Muskelfasern und aus einem einfachen Platten-
epithel, welches die Blasenhöhle abgrenzt. In einem Feld, das dem
vorderen rothen Körper entspricht, ist diese Struktur folgenderweise
modifieirt: im lockeren Bindegewebe verlaufen die Arterien und Ve-
nen des Wundernetzes, gestützt durch ein Gerüst von glatten Muskel-
fasern; nach innen folgt der »zellige Saum«, gebildet von 8—10
Lagen großer Zellen, welche gegen das hintere Ende des rothen
Körpers hin allmählich zu einer einzigen Lage reducirt werden, die
wiederum plötzlich aufhört. Diese zellige Schieht wird dann nach
innen von derselben Gefäßschicht wie die übrige Innenfläche der
Blase überzogen. Aus dieser Schilderung des Baues der Blasen-
wände des Hechtes folgert CoRNInG mit vollem Recht, dass DE LA
RocueE den »zelligen Saum « unrichtig als »renflement de la membrane
interne « betrachtete, eine Meinung, »deren Unrichtigkeit Jon. MÜLLER
nachgewiesen hat«. Er fügt dann hinzu: »vielmehr liegt, wie Jou.
MÜLLER richtig bemerkt, die innerste Plattenepithelhaut über den
Blutdriisen «. |
Schnitte, welche aus bestimmten Stellen der Schwimmblasenhaut
gefertigt worden sind, beweisen, dass letzterer Satz unrichtig ist;
ich verweise auf die drei beigefügten Figuren. In Fig. 1 sind die
Schichten, aus welchen der vordere Theil der Schwimmblase besteht,
im Längsschnitt dargestellt. Im unteren Theil der Figur erscheinen
sie gerade in derselben Ordnung, wie sie Cornine@ beschreibt: in a
die äußere fibröse Haut; in 0 die mittlere Schicht aus lockerem
Bindegewebe, mit vielen durch die Behandlung der Präparate ver-
ursachten Spalträumen und mit den Gefäßen des Wundernetzes (r m);
in ce die zellige Schieht; in d die Muskelschicht; in ¢ das einschich-
tige Pilasterepithel. Gegen die Mitte der Figur ändern sich die Be-
as
558 Alexander Coggi
ziehungen der einzelnen Theile schon etwas, indem die Muskelschicht
allmählich nach außen abweicht und sich in die zellige Schicht (den
sog. zelligen Saum) hineinschiebt, um sich endlich in ihrer Mitte zu
verlieren. Es folgt nun eine Strecke des Schnittes, auf welcher die
beiden unveränderten Bindegewebsschichten vom Lumen der Blase
nur noch durch eine dicke, mehrschichtige, äußerst gefäßreiche Epi-
thellage getrennt sind (in der Abbildung sind nur wenige Gefäße
dargestellt); diese Lage bildet die Summe der in einander direkt
übergehenden zelligen Schicht und Plattenepithels. Weiter nach
vorn entsteht so zu sagen die Muskelschicht von Neuem mitten in
dem Epithelkörper und nähert sich dann nach und nach der inneren
Oberfläche, von der sie endlich wieder nur durch ein einfaches
Plattenepithel getrennt bleibt. — Die Lücke in der Muskelschicht,
welche dem abgebildeten Präparat entspricht, findet sich in der
ventralen Wand der Blase, 6—7 mm von ihrem vorderen Ende.
Auf dünneren Schnitten kann man bei stärkerer Vergrößerung
genauer sehen, wie jene Unterbrechung der Muskelschicht stattfinden
mag. Auf Fig. 2 ist ein Stück des Epithels mit dem zugehörigen
Theil des lockeren Bindegewebes im Längsschnitt abgebildet. Die
Zeichnung ist eben so orientirt wie Fig. 1. Die Muskelschicht liegt
beinahe in der Mitte der Dicke des Epithels und endigt nicht plötz-
lich und scharf, sondern etwas unregelmäßig; dies kann bereits auf
dem abgebildeten Schnitt erkannt werden, in welchem die Muskel-
schicht in zwei Schichten getrennt erscheint; es tritt aber noch viel
klarer hervor, wenn man Schnittreihen vergleicht. An ihrer äußer-
sten Grenze ist die Muskelschicht etwas dünner und'endigt mit wenigen
Fasern, welche sich’zwischen die Epithelzellen und Blutgefäße verlieren.
Nun frage ich: darf jene Strecke des »zelligen Saumes«, wel-
cher sich in Fig. 1 zwischen beiden *, oder in Fig. 2 von x nach
oben ausdehnt, anders denn als Verdickung des Epithels gedeutet
werden? Mir scheint keine andere Deutung zulässig. Dasselbe ist
noch bestimmter der Fall für das verdickte Epithel, welches nach
innen von der Muskelschicht liegt, wo letztere zwar anfängt, sich
von der Innenfläche der Blasenwand zu entfernen, aber noch nicht
unterbrochen ist; eine solche Stelle ist auf Fig. 3 dargestellt. Dass
die Muskelschicht in die Tiefe rückt, hat seinen Grund darin, dass
die abgeplatteten Epithelzellen in höhere Zellformen übergehen,
welche sich weiter vermehren und auf einander schichten, indem
Blutgefäße zwischen sie eindringen. Heißt aber das nicht eine Ver-
dickung des Epithels?
“h bs
Y r
= ee
= i
8 ;
RK Fig:
=
eal
pe
Le r
‘ Geo da
=
oe
> pe
7 :
o>
FI
=
er =
E a =
2 | ra
; I =
% : |
; ug
2 \
A
; \
\ ‘
k \
‘
| h
1 \
mM. C d
F
|
{
Über den epithel. Theil d. sog. Blutdrüsen in der Schwimmblase d. Hechtes. 559
Nehmen wir nun an, die einfache Verdickung des Epithels sei
ein erstes Stadium in der Bildung der Blutdrüsen der Hechtschwimm-
blase; es folge darauf die Unterbrechung der Muskelschicht durch
die wuchernde Epithelmasse, welche sich dann unter der Muskel-
schicht flächenhaft noch weiter ausbreite. Ob die Sache sich wirk-
lich so verhält, was kaum bezweifelt werden kann, wird die Onto-
genie lehren, wozu mir aber das Material fehlt. Der Grad jener
Ausbreitung der Epithelmasse d. h. des zelligen Saumes unter der
Muskelschicht, selbst bis über die Grenze der oberflächlichen Epithel-
verdickung hinaus, ändert aber an der morphologischen Bedeutung
jenes Gebildes überhaupt nichts. Dadurch glaube ich nachgewiesen
zu haben, dass der »zellige Saum« der sog. Blutdrüsen in der
Schwimmblase des Hechtes wirklich ein mit dem inneren Epithel der
Blase zusammenhängendes und von einer Verdickung desselben her-
rührendes Gebilde ist.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XXII.
In allen drei Figuren sind Längsschnitte der Hechtschwimmblase darge-
stellt. Auf Fig. 1 (35:1) ist die ganze Wandung der Schwimmblase abgebildet;
auf Fig. 2 (280 :1) nur der Epithelkörper mit dem zugehörigen Theil des locke-
ren Bindegewebes; auf Fig. 3 (380:1) der Theil des Epithelkörpers, welcher
innerhalb der Muskelschicht liegt und die Blasenhöhle abgrenzt.
Für alle drei Figuren gültige Bezeichnungen:
a äußere fibröse Haut,
b lockeres Bindegewebe mit den Gefäßbündeln rm,
e Epithelkörper,
d Muskelschicht,
e einschichtiges Pflasterepithel,
v Gefäße in dem Epithelkörper,
* und x Stellen, wo die Muskelschicht endet.
Die Entwicklung der Feder und ihre Beziehungen
zu anderen Integumentgebilden.
Von
H. R. Davies.
Mit Tafel XXIJI—XXVI.
Diese Arbeit hat erstens den Zweck, eine eingehendere und
exaktere Darstellung von der Entwicklung der Feder zu geben, als
das bis jetzt geschehen ist, zweitens den, erschöpfend darzustellen,
welche Beziehungen zwischen der Feder und anderen Horngebilden
bestehen und welches Licht daraus auf die Phylogenie dieser Ge-
bilde geworfen wird.
Diese Arbeit wurde im anatomischen Institut zu Heidelberg unter
der Leitung des Herrn Geheimrath Prof. GEGENBAUR ausgefiihrt,
und ich ergreife an dieser Stelle gern die Gelegenheit, Herrn Prof.
GEGENBAUR meinen tiefsten Dank auszusprechen, für den freund-
lichen Rath und die liebenswürdige Unterstützung, die er mir wäh-
rend der Dauer der Arbeit angedeihen ließ.
Bevor ich meine eigenen Untersuchungen darstelle, gebe ich einen
kurzen historischen Überblick über die die Entwicklung der Feder
betreffende Litteratur, was um so mehr nöthig ist, als die genauen
Beobachtungen früherer Forscher oftmals von den Nachfolgern wider-
sprochen oder übersehen wurden.
Historischer Überblick.
MALPIGHIUS und POUPART scheinen die Ersten gewesen zu sein, welche ihr
Augenmerk auf die Entwicklung der Feder gerichtet haben. Ihre Beobachtungen
wurden im letzten Decennium des 17. Jahrhunderts veröffentlicht.
4 2 DD u
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 561
MArpigurus! unterscheidet die Integumentbildungen der Vögel in »pili,
plumae et pennae«. Die Feder (penna) entwickelt sich, wie er beschreibt, in
einer »vagina« oder einem »involucrum« unter der Mitwirkung eines »Folliculus«,
welcher die »auctivam materiam pennae« versorgt. Die Theile der Feder treten
rings um die tiefere Partie des »Follieulus« auf, in dessen Boden das »vas um-
bilieale« miindet. Nachher vertrocknet der »Follieulus« an seinem oberen Ende
und lässt eine Reihe von Häuten »membranas, loculos vacuos« hervorgehen.
Der »Calamus« besteht aus einer knorpeligen Substanz, »qua exterius pro-
babiliter tota astula investitur et in exterioribus partibus laciniata plumulas
efformat«. Der Autor scheint geglaubt zu haben, dass die »pili« ihren Ursprung
in demselben Balg nehmen, wie die »pennae«, und bloß der zuerst gebildete
Theil der letzteren sind. Er sagt: »In tenellis igitur avibus columbis et
pullis gallinaceis nuper ortis pili sublutei emergunt quasi a folliculo racematim
erumpentes.« — »Erumpent autem evidenter ab apice tubuli, seu vaginae, in
quo inchoamentum pennae custoditur.« — »Ulteriori vegetatione, hiante vaginae
apice, erumpunt extremitates plumularum cum continuatis pilis.« Zahlreiche
Figuren erläutern die verschiedenen Stadien,
Poupart’s Beschreibung habe ich nicht gesehen; aber nach dem von
Cuvier gegebenen kurzen Auszug zu urtheilen, scheint er nicht so weit gegangen
zu sein wie MALPIGHIUS.
TIEDEMANN? (1810) nennt wie MAtpıGHIUS die Dunen Haare, welche, wie
er sagt, »bündelweise aus der Haut hervorstehen und in einem Säckchen sitzen,
welches den Anfang oder die Scheide der Feder zu enthalten scheint. — Wie
die Feder nach und nach wächst, fallen die Haare aus«. Zwischen den Haaren
und den erst gebildeten Strahlen der Feder beobachtete er keinen Zusammen-
hang. Er spricht von der Marrıgurschen »vagina« wie von einer Scheide und
von dessen »Folliculus« als von einem »gallertartigen Cylinder«. Der »Bart«
der Feder wird rings um den Cylinder herum entwickelt und im Inneren der
Scheide, dagegen wird die Spule aus der Scheide selbst gebildet, welche » ver-
härtet — und so ein Stück mit dem Schaft bildet, dessen Keim er zuvor ent-
hielt«. Das ist unstreitig ein Versehen.
TIEDEMANN, offenbar unter dem Einflusse der damaligen Naturphilosophie,
vertrat die Annahme einer vegetabilischen Natur der Feder. So sagt er:
»Ferner zeigt sich der große Einfluss des Lichts auf die Vögel in der Bildung
ihrer Bedeckungen, der Federn, die vegetabilischer Natur sind und aus der
Haut hervorwachsen, wie die Pflanzen aus der durch die Sonne beleuchteten
Erde. — Endlich zeigt sich die pflanzenartige Natur der Federn auch darin,
dass sie wie die meisten Pflanzen eine jährliche Metamorphose durchlaufen,
dass sie nämlich jährlich aufkeimen, aufwachsen, verwelken und ausfallen.«
MEcKEL3 (1815) beschrieb die Entwicklung der Dunenfeder als ein Strahlen-
biischel innerhalb einer hornigen Scheide und wies nach, dass die Bildung der
definitiven Feder vor der Vollendung der Dunen beginnt. Wenn die definitive
Feder durch die Haut hervorbricht, bildet die Dune ihre Spitze, fällt aber
bald ab.
1 Opera posthuma. Londini 1697.
2 TIEDEMANN’s Zoologie. Bd. if.
- 3 »Über die Federbildung.« Arch. f. Physiologie von REIL & AUTENRIETH.
Bd. XI.
562 H. R. Davies
Die Entwicklung der definitiven Feder beginnt mit einem Lymphtropfen,
welcher am Boden des Hautkanals (d. h. Federfollikels) abgesondert wird. Um
diesen Lymphtropfen bildet sich eine Membran. Das so gebildete »Bläschen «
»erhält Polarität« und wächst empor. Die Membran bildet eine »hörnene
Scheide«, auf deren Innenfläche eine Schicht von »Kiigelchen« bald gebildet
wird. Mittels der »polarischen Strömung« und »galvanisch-lebendiger Thätig-
keit« werden diese Kiigelchen in die zur Bildung der verschiedenen Theile der
Feder nöthige Lage gebracht. Die »hörnene Scheide« wächst gleich einer
Pflanze von ihrem Boden empor, wobei sie die Theile der Feder in der Reihen-
folge, wie sie entstanden, mitnimmt. Endlich berstet die »hörnene Scheide« und
die Theile der Feder breiten sich aus.
Die erste Ablage der Kügelchen bildet das, was MECKEL den »schwarzen
Fleck« nennt. Dieser »schwarze Fleck« zieht sich nach oben gegen einen
Punkt bin und lässt auf diese Weise ein längliches Gebilde auf einer Seite
der »hörnenen Scheide« entstehen, welches er als Spina bezeichnet. Längs
den Seiten der Spina erscheinen nun zwei schwarze Längsstreifen, welche spä-
ter von zwei »leichten durchscheinenden Linien« überdeckt werden. Diese
zwei Linien oder Leisten sind nur an die Ränder der Spina befestigt; aus
ihnen entsteht der Schaft, indem sie einwärts wachsen, an Dicke zunehmen,
und endlich »einander von beiden Seiten her berühren und so mit dem Schafte
eine geschlossene Höhle bilden, welche man bei ausgewachsenen Federn bis an die
Spitze hin verfolgen kann. In der Mitte verwachsen nun beide Leisten, jedoch
so, dass immer noch die Spur der ehemaligen Trennung als eine Furche auf
der unteren Fläche des Schaftes sichtbar bleibt«. Die Spina ist der obere aus-
gedehnte Theil des Kiels, an welchem die zwei Leisten des Schaftes befestigt
sind. Unten, wo der Kiel »eine geschlossene Höhle« bildet, kann man noch
»die spitzen Anfänge der Leisten durch die Substanz des Kiels durchschimmern «
sehen.
Endlich »die Sulze stirbt allmählich bis zur vorderen Spitze des Kiels ab
und bildet durch ein plastisches Phänomen des erlöschenden Lebens die regel-
mäßig zellige Gestalt der Seele«. »Ihre Entstehung hat ihren Grund in dem
periodischen Typus des Lebens, — die Zellen der Federseele deuten Tages-
perioden an.«
MEcker’s Beschreibung zeigt einen entschiedenen Fortschritt in Vergleichung
zu der seiner Vorgänger; und wenn auch die Art, in welcher er den Ursprung
des Federkeims darstellt, etwas sonderbar erscheint, so ist doch seine Beschrei-
bung von der Bildung des Schaftes sehr genau.
DurrocHer's (1819) Beschreibung scheint der MALPIGHTschen sehr ähnlich
zu sein. Er nannte den MarriGHrschen »Folliculus« »un bulbe«, und setzte
fest, dass er sei eine »papille de la peau plus ou moins grossie«, und ferner
er sei »revétu d’un epiderme, qui se deséche et se détache par le contact de
l'air; ce qui produit les calottes, qui le surmontent«.
DE BLAINVILLE (1822) versuchte die Ähnlichkeit im Wachsthum der
Haare und dem der Federn zu zeigen. Beide, sagt er, enthalten einen »bulbe
producteur« und eine »partie produite«.
Was ich von den Auffassungen DUTROCHETs und DE BLAINVILLE'S be-
richtet habe, stammt von Fr. Cuvier, welcher dieselben klar legte, um sie
dann desto besser angreifen zu können. :
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 563
Fr. Cuvier! (1825) ließ die Feder immer in einer »capsule productrice «
sich entwickeln, die aus der Spitze einer »papille dermique« »par le fait d’une
sorte de creation nouvelle« hervorwächst. Er bestreitet, dass der »bulbe«
DUTROCHETs und DE BLAINVILLE’s als eine »papille dermique« angesehen
werden könne. Seine »capsule productrice« besteht aus einer »gaine (d. h.
Scheide)« und einem System von Hüllen, innerhalb deren die Theile der in
Entwicklung begriffenen Feder »se deposent comme dans un moule«. Diese
Hüllen sind die »Membrane striée externe«, welche die Scheide auskleidet, die
»membrane striee interne«, welche den »bulbe« oder die »partie centrale de la
capsule« bedeckt und eine Reihe von »Cloisons transverses«, welche die beiden
ersteren verbinden und die »barbes« der in der Entwicklung begriffenen Feder
von einander trennen. »Le bulbe,« sagt F. CUVIER, »paroit donner directement
naissance 4 toutes les autres parties de ce systeme, comme 4 toutes les parties
de la plume«. Er beschreibt die Bildung des Schaftes etwa in der »MECKEL-
schen« Art und zeigt, wie »dans les plumes a tige tubuleuse la portion anté-
rieure du bulbe est entierement séparée de la postérieure«, indem der vordere
Theil in den Schaft eingeschlossen wird. Die Feder wird durch Absonderung
und Ablagerung gebildet. Es ist kaum nöthig zu bemerken, dass die Ansichten
DUTROCHET's und DE BLAINVILLE’s über die Beschaffenheit des »bulbe« exakter
waren.
BURMEISTER?, dessen Werk 1840 erschien, sagt nichts von Nestlingdunen,
giebt aber eine gute Beschreibung der Entwicklung der definitiven Feder. Er
beschreibt eine junge Feder, welche als ein cylindrisches Gebilde vollkommen
in einer Hauttasche liegt und am oberen Ende spitz sei. Dieses Gebilde
besteht aus zwei in einander gelegenen »Bälgen« Der äußere ist bloß eine
Hülle (Scheide, Vagina, gaine), in der die Feder gebildet wird. Der innere
enthält die Matrix, eine gallertartige Flüssigkeit, welche den »Herd« darstellt,
in dem der »Bildungsstoff der Feder« aus dem Blute herausgeschafft wird. Der
innere entspricht dem MaArPrıGHTschen »Folliculus« und dem DUTROCHET'schen
»bulbe«. Zwischen den beiden Bälgen befindet sich eine dünne, feinkörnige
Schicht. Sie besteht aus dem Bildungsstoff, der von der Matrix bereitet wird.
Die Feder entwickelt sich aus dieser Schicht. Die tieferen Theile des »Federn-
stoffs« bestehen bloß aus einer Masse von Körmern oder Kernen, während
weiter oben jeder Kern von einer Zellsubstanz umgeben ist. Noch weiter oben
zeigt der Federnstoff eine schwache Streifung, deren einzelne Streifen nach
oben laufen und gegen die Spitze hin immer deutlicher werden.
Wenn die Spitze der jungen Feder aus ihrer Tasche herausgewachsen ist
und über die Haut hervorragt, so fällt die Hülle ab und legt die oberen Enden
der Streifen bloß, wie »einen Pinsel feiner Strahlen«. Diese Strahlen wachsen,
indem sie beständig neue Zellen an ihrem Grunde zusetzen. Bald erscheint
einer von ihnen stärker als die anderen, die er auf sich trägt. Dies ist
dann der erste Anfang des Schaftes oder Kiels, wie ja BURMEISTER entgegen
MECKEL einen Unterschied zwischen diesen beiden Theilen macht. Doch scheint
er vom Schaft »als einem Ganzen« noch dieselbe Vorstellung wie MECKEL ge-
! »Observations sur la structure et le développement des plumes.« Mém.
du Museum d’Hist. nat. T. XIII. pag. 327—371.
2 „System der Pterylographie« von NırscH, nach dessen Untersuchungen
verfasst von HERMANN BURMEISTER. Halle 1840. pag. 6.
564 H. R. Davies
habt zu haben. So sagt er: »Der Schaft ist gewissermaßen eine Verlängerung,
mit Verdickung verbunden, des oberen Randes der Spule an seiner äußersten
Stelle.« Der innere Follikel, welcher die Matrix enthält, besteht aus einer
»eigenthümlichen Haut«. - Sobald die Theile der Feder fertig und in die Höhe
gewachsen sind, trennen sie sich von dieser »Haut«, der sie bis dahin fest an-
lagen. Diese Haut lässt nachher jene trockenen Hautgebilde entstehen, welche
über dem oberen Ende der Matrix gefunden werden.
NITSCH untersuchte zwar nicht die Entwicklung der Feder; jedoch haben
einige seiner Angaben über die Nestlingdunen und ihre Beziehung zu den
darauf folgenden definitiven Federn große Bedeutung. Ich führe seine eigenen
Worte hier an: »Das Dunenkleid der jungen eben ausgebrüteten Vögel besteht
lediglich aus bald abfallenden dunenartigen oder borstenförmigen Fortsätzen,
welche auf den Spitzen der zuerst gebildeten Äste einer Kontourfeder oder so-
gar einer Dune aufsitzen. Weder Dunen noch Haare sind diese Gebilde. «
Weiter sagt er: »Bei Dromaeus ist diese Dune Anfangs eine wahre vollstän-
dige Feder, welche auch in demselben Balge steckt, aus dem hernach die Kon-
tourfeder hervorwächst.« — »Am Grunde hat jede Dune eine kleine Spule, mit
deren nnterem, offenem und zerspaltenem Ende die äußersten Spitzen der nach-
folgenden Kontourfedern, sowohl der Schäfte als auch ihrer Äste verwachsen
sind.« ’
RECLAM! (1846) versuchte, wie es scheint, zum ersten Male, die Entwick-
lung der Dune zu verfolgen. Ihm erschienen sie als kleine Vorragung (» Emi-
nentia«) auf der Haut. Sie wachsen in die Höhe und werden nach oben spitz.
Im Centrum besitzen sie von kernhaltigen Zellen eine Pulpa, in die am Grunde
Blutgefäße eintreten. Wenn die Vorragungen eine bestimmte Länge erreicht
haben, werden sie durch die erwähnten Blutgefäße in Längs-»Striae« einge-
theilt; dabei entspricht die Zahl der gebildeten »Striae« der Zahl der Strahlen
an der zukünftigen Dunenfeder. Das ganze Gebilde liegt in einer »Scheide«
von Epidermzellen. Wahrscheinlich meinte RECLAM, dass aus der ganzen
Epidermis der »Eminentia« nur die Vagina hervorginge, während an der. Innen-
fläche derselben die Theile der Feder entstünden, wo sie ja von der Pulpa ab-
geschieden seien. Wenn Alles fertig entwickelt ist, berstet die »Scheide« und
die »Plumulae« breiten sich aus. Jede Pluma ist an ihrem Grund in einem
Follikel befestigt, welcher eine Einstülpung des allgemeinen Integuments vor-
stellt. Die Plumae iiberwachsen die ganze Oberfläche des Körpers, wobei sie
zahlreicher als die Pennae sind, die an ihre Stelle treten. Da wo die Pennae
entstehen, erscheinen sie am Grunde der Plumae. Der Follikel, welcher die
Basis der Pluma enthielt, wird zum Follikel der Penna; aber es entwickelt
sich eine neue Pulpa und Vagina. Wenn die Penna herauswächst, treibt sie
mit ihrer Spitze die Pluma in die Höhe.
Die Angaben von STUDER über die Beziehung der Dune zu der definiti-
ven Feder bieten nur eine Wiederholung der RECLAM’schen.
In Recram’s Beschreibung der Entwicklung der definitiven Feder findet
sich nichts Bemerkenswerthes. Er konstatirt, dass die Pulpa eine durchsich-
tige Flüssigkeit, »Cytoplasma«, produeirt. In derselben entstehen durch Ver-
diehtung gewisse »Cellularum primitiae«, die er »Corpuscula molecularia« nennt.
! »De Plumarum pennarumque evolutione.« Disquisitio -microscopica.
Lipsiae 1846.
N
Die Entwick]. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 565
Diese kleiden den Innenraum der »Vagina« aus und lassen die Kerne hervor-
gehen, welche sich in die zur Bildung der verschiedenen Theile der Feder
nöthigen Lagen vertheilen.
ScHRENK’s! Dissertation »De formatione plumae«, 1847 veröffentlicht,
habe ich leider nicht gesehen.
Remak2 (1855) war der Erste, der über die Entwicklung der Dunenfedern
hinreichend Licht verbreitete. Er beschreibt ein »Federrohr«, dessen Wände
mit der Oberhaut zusammenhängen, und eine »Grundmasse«, die Blutgefäße
enthält und die von der Unterhaut geliefert wird. Dann legt er Werth auf den
Umstand, dass die Feder in den Wänden des Federrohres sich entwickelt, d. h.
aus dem Hornblatte.
Er beschreibt die Bildung von Längsleisten auf der Innenfläche der Feder-
rohrwände, welche in die »Pulpa« vorragen. Damit beginnt ein Process, durch
den der innere und dickere Theil dieser Wände sich in eine Anzahl von pa-
rallelen Säulen spaltet, das sind die Strahlen der zukünftigen Dunenfeder,
wogegen der äußere und dünnere Theil als eine zusammenhängende »Scheide«
um das Ganze zurückbleibt. Er behauptet, dass die Funktion der Pulpa nur
darin bestehe, Nährstoffe den verschiedenen, sich selbständig im Hornblatt ent-
wickelnden Theilen der Feder zuzuführen. Auf die Entwieklung der nachfol-
genden Feder geht ReMAK kaum ein; er begnügt sich vielmehr damit, auf eine
allgemeine Ähnlichkeit der Feder mit der Dune hinzuweisen. Jedoch was er
über die Beziehung der Dunen zu der darauffolgenden definitiven Feder sagt,
ist werth, wörtlich angeführt zu werden: »Beiden wird, so lange sie dessen
bedürfen, Nahrungsstoff durch eine und dieselbe gefäßhaltige Pulpa zugeführt,
welche allmählich von der Spitze des embryonischen Federfähnchens bis zum
Kiel der bleibenden Schwungfeder herab sich zurückzieht.«
Diese letzte Behauptung scheint von allen späteren Autoren übersehen
oder nicht gewürdigt worden zu sein, und in unseren heutigen Lehrbüchern
wird auf der Autorität STUDER's (s. unten) irrig behauptet, dass eine neue
Papille gebildet werde, aus welcher die definitive Feder hervorgehe.
Von der ausgezeichneten Darstellung ReMAK’s wenden wir uns zu der
eben so irrigen wie unsinnigen, die ENGEL? (1856) gegeben hat. Seine Zu-
sammenfassung ist kurz folgende: »Die Feder wächst daher nicht von ihrer
Pulpa aus, nicht dadurch, dass an der untersten Stelle der Pulpa immer neue
Zellen entstehen, — — — sondern die an der Spitze befindlichen Knospen ver-
gréBern sich fortwährend durch Quertheilung, und immer ist es die Endknospe
der Feder, welche zur weiteren Verlängerung wesentlich beiträgt.«
HoLLAND* (1864) beschreibt einen Federkeim, der in einem Lymphtropfen
entsteht, welcher von den Blutgefäßen in einen kleinen Raum zwischen Cutis
und Epidermis getrieben wird. Diese Lymphe versieht sich mit einer membran-
artigen Bedeckung, und oberhalb derselben entspringt ein Federbalg. Der
1 »De formatione plumae.« Dissert. Inaug. Mitau 1846.
2 Ros. Remax, Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere.
1855.
3 Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wissenschaften. Math.-naturw. Kl.
Bd. XX. 1856.
4 »Pterologische Untersuchungen.« Journal fiir Ornithologie. XII. Jahrg.
1864,
566 H. R. Davies
Federkeim wächst aus in den Federbalg, und von hier an ist HoLLAND’s Be-
schreibung genau dieselbe wie die BURMEISTER’s, nur dass er BURMEISTER'S
»Federnstoff« »Pigmentflüssigkeit« nennt. Seine Beschreibung von der Bildung
des Schaftes, die eine Art von Verbesserung der MECKEL’schen Darstellung ist,
verdient vielleicht Beachtung. Die »Pigmentflüssigkeit« lässt » Längsstreifen«
hervorgehen, welche den »Dornfortsatz der Spule« oder die »Spina calami«
bilden und »Querstreifen«, welche deren »Äste« sind. »Der Follieulus« (innerer
Balg BURMEISTER's) »liegt auf der Innenseite des Dornfortsatzes von den Quer-
streifen und später von der Spule umschlossen und beginnt von seiner Spitze
an eine feuchte Masse, das nachherige Mark, auf den Dornfortsatz abzulagern,
und zwar in zwei Leisten, an jeder Seite des Dornfortsatzes eine. — Diese
Längsleisten nähern sich durch fernere Ablagerung mehr und mehr und stoßen
endlich an einander und verwachsen, doch so, dass die Spur ihrer früheren
Trennung äußerlich an den Furchen am Schaftbauche sichtbar ist, innerlich an
einem gelblichen, vom Grunde der Furche bis zum Dornfortsatz reichenden
Häutchen, welches man zwischen den Leisten mitunter bei deren Trennung ge-
wahrt. Dasselbe rührt wahrscheinlich von Theilchen des Follieulus her, die mit
zwischen getrocknet sind.«
Die Fortsetzung der Spulenhöhlung in den Schaft, welche in vielen
Schwungfedern deutlich ausgesprochen ist, nennt er »Markkanal« (Canalis me-
dullaris) und beschreibt ihre Entwicklung folgendermaßen: »Die Leisten (auf
den Seiten des Dornfortsatzes) wachsen zusammen, doch so, dass sie den
Rückentheil des Follikels von seinem Bauchtheil ab- und ins Innere hinein-
schnüren« (vgl. Cuvier’s Darstellung). HOLLAND scheint zu meinen, dass die
Feder auf zwei verschiedenen Wegen gebildet werde; so sagt er: »Der Über-
zug des Markes, die äußere Schaftsubstanz, wird nun entweder auch wieder
vom Follieulus abgesondert oder sie wird von der flüssigen klebrigen Masse
der Pigmentflüssigkeit ähnlich wie die Spule und der Überzug des Fahnentheils
gebildet« (d.h. die Pigmentflüssigkeit erstarrt zur Scheide etec.).
HoLuANpD’s Darstellung von der Bildung des Schaftes entspricht jener von
MECKEL und Cuyipr. Die Ansichten aller drei scheinen mit der Behauptung
BURMEISTER’s übereinzustimmen, dass der Schaft ein lang ausgezogener Theil
des oberen Spulenrandes ist.
Im Jahre 1869 gab STIEDA! eine Wiederholung der REMAR’schen Beschrei-
bung, mit der er seine eigenen Beobachtungen über die Puderdunen verglich.
Nur auf eine seiner Angaben will ich aufmerksam machen, nämlich folgende:
»Die Zellenlagen, die der Papille zunächst liegen, betheiligen sich nicht an der
Bildung der »Fäden« (d. h. Theilen der Puderdunen), sondern unterscheiden
sich als eine Art Papillenepithel von den anderen Zellen.« Dieses »Papillen-
epithel« ist zweifellos dasselbe Gebilde, welches BURMEISTER als die Haut be-
schrieb, welche die Wand seines inneren, die Matrix enthaltenden Follikels bil-
det, und welches DUTROCHET »epiderme du bulbe«, »ce qui produit les calottes«
nannte.
Die Entwicklung der definitiven Feder beschreibt STIEDA ganz irrig. Er
führt eine »Hauptpapille« und eine »Nebenpapille« an, welche neben einander
aus einem »tieferen, gemeinschaftlichen Abschnitt emporwachsen«. Um den
beiden Papillen gemeinschaftliehen Abschnitt bildet sich der Kiel der Feder
1 »Bau und Entwicklung der Feder.« Petersburger medieinische Zeitschrift.
Bl. RVs 1870:
EEE EEE EEE eS N.
de
u N Eu aS eee eee
Die Entwick. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 567
(d. h. die Spule), um die Nebenpapille der Schaft, um den oberen Abschnitt
der Hauptpapille die Fahne«. Dies hätte SriepA kaum schreiben können,
wenn er die Darstellungen MECKEL's, CuvIER’s oder HOLLAND’s gekannt hätte.
Im Jahre 1870 veröffentlichte StIEDA! eine vollständigere Beschreibung
des Baues der Puderdunen bei der Rohrdommel. Ich würde darüber nicht be-
richten, wenn nicht eine Behauptung KLEE's mir Anlass gäbe, dahin gehend,
dass die sogenannten Puderdunen nur definitive Federn in einem frühen Ent-
wicklungsstadium seien, und dass der Puder aus der Hornscheide entstehe,
wenn letztere in Stücke zerfalle. Es ist fast unmöglich, das von STIEDA
beschriebene Gebilde als eine in der Entwicklung begriffene definitive Feder
anzusehen. Nur daraus könnte man es folgern, dass nach ihm an der Basis
jedes der »Fäden«, in welche sein sogenannter Schaft sich schließlich zertheilt,
kleine Zellanhäufungen sich finden, welche eine fettige Degeneration erfahren.
Das sind die Zellen, von denen er den Puder ableitet, also vom degenerirten
Gewebe der Feder selbst, und nicht von der Hornscheide.
GApDow spricht in seiner eben veröffentlichten Beschreibung der Feder in
Bronn’s? »Klassen und Ordnungen des Thierreichs« von dem untersten cylin-
drischen Theile der Puderdunen wie von einer Spule. Dieser Ausdruck ist dem
Worte Schaft vorzuziehen ; aber streng genommen existiren nach den bisherigen
Darstellungen weder Schaft noch Spule.
Im Jahre 1870 veröffentlichte SAMUEL? eine Reihe von Untersuchungen
über die Regeneration der Feder, auf die wir später zurückkommen werden.
Seine kurze Beschreibung der Entwicklung ist, wo sie Neues bieten will, sehr
unrichtig.
PERNITZA# (1871) vervollständigte, wie er selbst sagt, REMAR’s Darstellung
durch Beschreibung desmikroskopischen Baues verschiedener Theile. Er giebt Zeich-
nungen von Schnitten durch künstlich gehärtetes Gewebe. Den dickeren, inneren
Theil der Wände des REmAR’schen Federrohrs nennt er die Keimschicht und zeigt,
wie dieselbe mit der MALPIGHTschen Schicht der Epidermis zusammenhängt. Da-
gegen steht der äußere dünnere Theil, welcher die Hülle bildet, mit den zuerst
entstandenen hornigen Schichten in Zusammenhang. PERNITZA giebt uns die
erste annähernd genaue Vorstellung darüber, wie die Nebenstrahlen entstehen.
Sie werden, sagt er, von den Grenzzellen der leistenartigen Erhebungen ge-
bildet, in welche die Keimschicht sich zertheilt, während die Centralzellen
zurückbleiben, um die Strahlen zu bilden. Nach PERNITZA entstehen die Leisten
nicht durch Entwicklung »leistenförmiger Vorsprünge«, wie REMAK meinte,
sondern durch Entwicklung von »Längseinkerbungen«. PERNITZA verfolgte das
Schicksal der Papille oder der Pulpa nicht weiter; er sagt: »Ist einmal das Feder-
chen fertig, so werden Papille und Epithelialhülle überflüssig, sie verschwinden
beide «.
1873 veröffentlichte SrupER® eine Arbeit über die Entwicklung der Feder.
! »Über den Bau der Puderdunen der Rohrdommel.« Archiv f. Anat. und
Physiol. 1870.
2 Bd. VI. Abtheilung IV. Vögel. 23. u. 24. Lieferung.
3 »Uber Regeneration«. VircHow’s Arch. f. pathol. Anat. Bd. L. 1870.
4»Bau und Entwicklung des Erstlingsgefieders, beobachtet am Hühn-
ehen.« Sitzungsberichte der Wiener Akad. 1871.
5 »Die Entwicklung der Feder.« Inaug.-Diss. Bern 1873.
568 =: H. R. Davies
Die Wände der Dunenpapille, sagt er, sind Anfangs nicht dicker, als die Epi-
dermis der übrigen Haut. Sobald aber die Papille in die Höhe wächst, er-
scheint zwischen den Cylinderzellen der MALPIGHI' schen Schicht und den flachen,
zuerst entstandenen Hornzellen, eine Schicht runder Zellen, welche von den
ersteren herstammen. Diese runden Zellen vermehren sich rasch längs gewisser
Linien, stülpen die Cylinderzellen einwärts in die Pulpa und erzeugen auf den
inneren Wänden der Papille eine Reihe von Längsfalten. Dieser Vorgang be-
ginnt am Scheitel, und die Falten setzen sich allmählich nach unten fort. Der
nächste Fortschritt besteht darin, dass die Cylinderzellen allmählich sich nach
dem peripheren Ende jeder Falte verbreiten, und zwar zwischen den kugeligen
Zellen, welche den Körper der Falte bilden und der äußeren Hornschicht,
welche die »Hornscheide« hervorgehen lässt. Dadurch wird jede Leiste kuge-
liger Zellen vollständig in einen Cylinder von Cylinderzellen eingeschlossen.
Wenn die Pulpa atrophirt, verhornen die Cylinderzellen und bilden die »Rin-
densubstanz« jedes Strahles, während die kugeligen Zellen die »Marksubstanz«
bilden. Jedoch findet die Verhornung der Wände am Grunde der Papille statt,
ehe die Faltenbildung so weit vorgeschritten ist; so ist hier eine cylindrische
hornige Spule gebildet im Zusammenhang mit den Strahlen der Dune. Auf die
StrupEr’sche Beschreibung der Faltenbildung und des Theiles, welcher von den
Cylinderzellen eingenommen wird, werden wir spiiter einzugehen haben.
Seine Darstellung von der Entwicklung der definitiven Feder zeigt einen
entschiedenen Fortschritt gegen jede friihere Beschreibung, obgleich er die Bil-
dung des Schaftes nicht beriicksichtigt. Der Follikel der embryonalen Dune
vertieft sich betriichtlich, und eine neue Papille entsteht an seinem Grunde,
wächst empor und treibt mit ihrer Spitze die Spule der Düne in die Höhe. Die
Wände dieser neuen Papille bestehen aus einer äußeren Schicht von platten
Hornzellen, einer mittleren, dieken Schicht von kugeligen Zellen und einer in-
neren von Cylinderzellen. Zwischen den Cylinderzellen und der centralen Pulpa
findet er eine strukturlose Membran, welche nach seiner Meinung derjenigen
entspricht, welche BIESIADECKI als konstantes Gebilde zwischen der MALPIGHI-
schen Schicht und der Cutis beschrieben hat. In seiner späteren Arbeit er-
kannte STUDER Zellen in dieser Membran. Die Falten entstehen eben so wie
bei der Dune, jedoch wird bald eine viel größer als die übrigen. Diese ist die
in. der Entwicklung begriffene Rhachis. In den Falten der definitiven Feder
schwindet die centrale Achse der runden Zellen und wird zu einer kleinen
Masse, welche im innersten Rande (d. h. gegen die Pulpa zu) der Falte liegt.
Wenige Cylinderzellen: genügen, diese Masse zu umgeben und bilden die Rin-
densubstanz, während die übrigen die sekundären Strahlen oder Nebenstrahlen
bilden.
1876 gab KERBERT! eine Beschreibung von der Pinguinfeder, welche nach
ihm ein Verbindungsglied zwischen der Feder und der Schuppe darstellen soll.
Nach KERBERT unterscheidet sich diese Feder von anderen durch das Fehlen
eines wahren Schaftes; der scheinbare Schaft, welcher kurz und breit ist, soll
bloß aus verschmolzenen Strahlen zusammengesetzt sein. Jedoch liegt die
hauptsächliche Eigenthümlichkeit dieser Feder darin, dass die Pulpa niemals
gänzlich atrophirt, sondern inmitten des basalen Theils der Spule zeitlebens
zurückbleibt. Weiter beschrieb er, -dass, sobald die Pulpa abstirbt, aus den
! »Über die Haut der Reptilien und anderer Wirbelthiere.« Arch. f. mikr.
Anat. Bd. XIII. 1876.
a >
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 569
Epidermiszellen ihrer’oberen Wand eine Reihe von queren, hornigen
Scheidewänden hervorgehe, welche die Höhlung der Spule in eine Reihe von
Kammern theilen.
1878 beschrieb auch STUDER! die ern, Tau der Pinguinfedern. KER-
BERT’s Befund, dass die Pulpa nicht vollkommen atrophirt, glaubte er durch
den Umstand zu widerlegen, dass die Pinguine wie andere Vögel sich mausern.
Er zeigte, dass der Schaft eben so wie bei anderen Vögeln entwickelt wird,
und dass er demnach nicht aus verschmolzenen Strahlen zusammengesetzt sei.
Er widersprach auch der KERBErRT'schen Beschreibung der queren hornigen
Scheidewände in der Spule. Er selbst beschreibt letzteren Vorgang so, dass
nach Resorption der Pulpa die obersten Schichten des Gewebes vertrocknen,
von Zeit zu Zeit abgesondert werden, und auf diese Weise eine Reihe von
über einander gelagerten Kappen hervorbringen; dieselben liegen jedoch frei
innerhalb der Höhlung der Spule und sind in keiner Verbindung mit ihren
Wänden.
Wir werden später Gründe erfahren, die vermuthen lassen, dass beide
Beobachter theilweise Recht, theilweise Unrecht hatten.
STUDER sagt ferner, dass schließlich die Pulpa vollkommen atrophire und
die Feder ausfalle. Er beschreibt auch die Entwicklung einer Pinseldune bei
dem Pinguin; diese Beschreibung stimmt in allen wichtigen Punkten mit seiner
früheren Beschreibung dieser Gebilde bei dem Hühnchen und der Taube überein.
1884 gab Lworr? eine sehr unvollständige Beschreibung der Entwicklung
der definitiven Feder. Nur auf einen Punkt darin will ich eingehen, nämlich
auf folgenden: Das Gewebe, welches die »Seele« bildet, wurde herausgekratzt;
dann zeigte sich unter dem Mikroskop, dass es zum größten Theil aus elasti-
schen Fasern bestehe, unter welchen verästelte Bindegewebs- und Hornzellen
liegen. Daraus wird geschlossen, dass die Seele die ausgetrocknete Pulpa
vorstelle!
Da ich auf die Arbeit Krar's3 (1886) später öfters verweisen muss, will
ich hier bloß die Punkte erwähnen, in denen.er von den früheren Beobach-
tern abweicht.
Wie KERBERT beschreibt er die erst gebildete hornige Schicht des Embryo
als die »Epitrichialschicht«. Die hornige Scheide der embryonalen Dune, sagt
er, wird von dieser Schicht gebildet. Die Richtigkeit der Sruper'schen Dar-
stellung der Faltenbildung durch eine Vermehrung von Epidermzellen stellt er
in Abrede und giebt an, dass am Scheitel der Papille, wo die Epidermzellen
aufgehört haben irgend welche Thitigkeit auszuüben, die nun passiven Wände
gespalten werden, anscheinend durch Zellkeile der Cutis. Die so gebildeten
Spalten breiten sich allmählich nach unten aus und theilen auf diese Weise
die Wände der Papille in eine Anzahl von parallelen Längsleisten. Die Be-
schreibung des Ursprungs der sekundären Strahlen .und der Horn- und Mark-
zellen der primären Strahlen ist ähnlich der Sruper's und wird später noch
erörtert werden.
1 „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Feder.« Zeitschrift für wissen-
schaftliche Zoologie. Bd. XXX. 1878.
2 „Beiträge zur Histologie des Haares, der Borste, des Stachels und der
Feder.« Bull. de la soc. imp. des natural. de Moscou. 1884.
3 Zeitschrift für Naturwissenschaften. Bd. LIX. Halle 1886.
570 H. R. Davies
KLEE zeigt, wie, anstatt einer neuen Papille, welche aus dem Grunde des
Dunenfollikels hervorgeht, — so beschrieb es STUDER — die Dunenpapille
selbst tiefer in die Haut wächst, um die definitive Feder zu bilden. Somit
haben, wie REMAK feststellte, die Dune und die nachfolgende definitive Feder
»eine und dieselbe gefäßhaltige Pulpa«. Die Spaltung der Papillenwände, welche
die Strahlen bilden soll, erfährt eine Unterbrechung in der Gegend der Spule,
aber geht sofort weiter unterhalb dieser Gegend, um die Rami (Äste) der defi-
nitiven Feder zu bilden. Dies erklärt, warum die obersten und zuerst ent-
standenen Aste im Zusammenhang mit dem Grunde der Dunenspule gefunden
werden.
Der Schaft, weleher Anfangs von den Ästen (Rami) nicht zu unterscheiden
ist, wird immer dieker in dem Maße, als diese Äste sich mit ihm verbinden;
um dieselbe Zeit bekommt er eine »Ausbuchtung« auf der ventralen Fläche.
Darauf sehen wir, dass »auf dem Grunde der Hohlrinne eine feine Spalte sich
hinzieht, die bis zum Centrum des Schaftes führt und sich dort zu einer kleinen
Röhre erweitert«. — »Gewebstheile der Cutis drängen sich leistenförmig in den
Spalt hinein.« — »Nahe der Spule erweitert sich diese Röhre so bedeutend, dass
an der Übergangsstelle die Cutispapille ganz in dieselbe hineintritt und auf
diese Weise in die Spule gelangt.«
Diese Darstellung KLeE’s würde vielleicht den Bau des vollendeten Schaftes
erklären; aber, wie wir später sehen werden, geht in der That die Entwicklung
des Schaftes in den von MECKEL, CUVIER und HOLLAND angedeuteten Grenzen
vor sich. Nach KLEE stirbt der obere Theil der Pulpa in der Gegend des
Schaftes ab. »In diesem todten Zustand stellt er sich als ein Strang von röth-
licher Farbe dar, der, wie aus der Natur des zum Aufbau verwandten Binde-
gewebes hervorgeht, sehr leicht zerreißbar ist. Am freilebenden Vogel wird
in Folge dessen dieser obere Theil sehr bald verloren gehen.«
Somit scheint KLEE die Bildung der häutigen Fachräume MALPIGHTs, die
»Calottes« DUTROCHET's, nicht beobachtet zu haben. Jedoch innerhalb der
Spule beschreibt er »einen Verhornungsprocess« der äußersten Cutisschicht,
welche »eine ziemlich homogene Lage bildet«. Da KLEE oft beobachtet hat,
dass die Spulen der alten Federn fest mit den Spitzen der neuen Federn ver-
wachsen, sagt er: »Die Einheit der Papille ließ sich für den ersten Federwechsel
ganz unzweideutig nachweisen, für die spätere Mauser mit größter Wahrschein-
lichkeit annehmen.«
STUDER und KLEE nehmen also, eben so wie anscheinend REMAK und
PERNITZA an, dass die ganze Epidermis einschließlich der Schleimschicht zu
Theilen der Feder verhorne. STIEDA andererseits behauptet, dass die innerste
Zellenlage der Epidermis ein Papillenepithel bilde. DUTROCHET sprach von
einer »Epiderme«, welche den »Bulbe« überdeckte, nachdem sämmtliche Theile
der Feder gebildet waren. KERBERT spricht gleichfalls von der Epidermis,
welche die Pulpa überdeckt und die Seele hervorgehen lässt; BURMEISTER end-
lich beschreibt eine »Haut« zwischen Matrix und Pulpa.
Ich hoffe nachweisen zu können, dass das, was STUDER und KLEE nur
für eine Grenzschicht der Cutis hielten, in Wirklichkeit epidermaler Natur ist.
Ich darf diesen Überblick nicht abschließen, ohne zu erwähnen, dass die
Kontinuität der Pulpa in den nachfolgenden Federn von JEFFRIES! beobachtet
1»The Epidermal System of Birds.« Proc. Boston Society Nat. Hist.
Volo Xo, 24883.
> Part
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 571
zu sein scheint, wenn er auch anscheinend diesem Befunde keine Bedeutung
zuschrieb. So sagt er: »as a feather on an adult bird is a successor or conti-
nuation of the down feather, the two may be regarded as representing the em-
bryology and development of the feather«, und dann »the first step towards
the formation of a new feather is the growth of the old papilla, which, after
the perfection of the previous feather shrinks to a small mass at the base of
the feather«. JEFFRIES, dessen Arbeit im Übrigen oberflächlich ist, giebt eine
kurze, aber schöne und genaue Beschreibung der Entwicklung des Schaftes.
Da er aber den sich entwickelnden Schaft in Schnitten beobachtet, so spricht
er doch von den » Längsleisten« MECKEL’s und HOLLAND’s wie von Falten, welche
von den Seiten des Schaftes herumwachsen »and finally meeting complete the
wall of the shaft on the inner side«. Um auf die Bedeutung der von STUDER
und KLEE vertretenen Ansicht hinzuweisen, nämlich dass die MALPIGHT'sche
Schicht eine Verhornung erfährt, führe ich folgende Bemerkung JEFFRIES’ an,
‘welcher selbst sich zu dieser Ansicht bekennt: »The under surface of the vane
and shaft is the inner surface of the epiderm, which in all other cases in the
vertebrates is in connection with the cutis vera«. Ich hoffe diese Ansicht als
irrig zeigen zu können.
Nach Abschluss des obigen Überblickes kam mir eine kurze Notiz des
Herrn Dr. R. ZANDER! »Über das Gefieder des afrikanischen Straußes« zur
Kenntnis. ZANDER beobachtete einen Strauß während der Mauser, aber die
verschiedenen Entwicklungsstadien, welche er beschreibt, sind genau das, was
man auch bei einer Taube oder einem Huhn während der Mauserzeit finden kann
und in keiner Weise dem Strauß eigenthümlich, wie er anzunehmen scheint.
Ferner sagt er, dass während bei den Carinaten die Federseele sich von der
Spule aufwärts in den Schaft fortsetzt, und nur einen kleinen Fortsatz nach
außen durch den sogenannten oberen Nabel entsendet, sie bei dem Strauß
überhaupt nicht in den Schaft übergehe, sondern ganz an seiner Unterseite liege,
wie sie auch bei diesem Vogel den Schaft an Dicke übertreffe.
Dieser Unterscheidung zwischen den Federn dieser beiden Gruppen muss
ich widersprechen. Bei allen in Entwicklung begriffenen Federn liegt die Seele
zuerst an der Unterseite des Schaftes, und ob sie diesen letzteren an Dicke
übertrifft oder nicht, hängt nur von dem Stadium ab, bis zu welchem die Ent-
wicklung der Feder fortgeschritten ist. Wie ein Theil der Pulpa in die un-
teren Theile des Schaftes eingeschlossen wird, und wie die Bildung der Feder-
seele innerhalb des Schaftes später vor sich geht, das wird im Verlauf dieser
Arbeit beschrieben. Aber bei vielen Federn der Carinaten ist der Schaft fast
bis dahin solid, wo die Spule beginnt und der obere Theil der Federseele liegt
auf der Unterseite des Schaftes bis sie abfällt. ZAnDER's Beobachtungen
scheinen mir also vielmehr zu zeigen, dass es in der Entwicklungsweise der
Federn der Ratiten und Carinaten keinen fundamentalen Unterschied giebt.
Untersuchung.
1. Die Entwicklung der Erstlingsdune.
In der bis dahin halb durchsichtigen Haut des in Entwicklung
begriffenen Taubenembryo zeigen sich am fünften Tage runde weiße
1 Separatabdruck a. d. Schriften der physik.-Gkonom. Gesellschaft zu Königs-
berg i. Pr. XXIX. Jahrg. 1888.
Morpholog. Jahrbuch. 15. 31
572 H. R. Davies
Flecke. Diese Flecke sind die ersten Anzeichen der zukünftigen
Nestling- Dunen. Die Reihenfolge ihres Auftretens und ihre Ver-
theilung über die Hautoberfläche sollen später beschrieben werden.
Zur Zeit des Auftretens dieser Flecke besteht die Epidermis aus
zwei Schichten: einer oberen, dünnen von etwas abgeplatteten Zel-
len, der sogenannten »Epitrichialschicht« und einer unteren dicke-
ren von mehr cylindrischen Zellen, der sogenannten Schleimschicht.
Im Durchschnitt der Haut erblickt man zu dieser Zeit zuerst einige
Gruppen von Dermazellen, die in regelmäßigen Abständen von ein-
ander dicht unterhalb der Epidermis liegen. Über jeder dieser Zell-
gruppen zeigt die Epidermis eine deutliche Verdickung, an deren
Bildung beide Schichten sich betheiligen. Die Verdickung in der
Schleimschicht tritt auf in Folge einer seitlichen oder vielmehr hori-
zontalen Zellvermehrung; jedoch verbreitert sich dabei die Fläche
nicht entsprechend, innerhalb deren die Zellvermehrung stattfindet.
Desshalb werden die Zellen auf dieser Fläche dicht an einander ge-
presst, und dadurch schmäler aber höher. Eine andere Folge dieser
Zellvermehrung ist eine etwas unregelmäßige Anordnung der Zellen,
indem die einen ein wenig über, die anderen ein wenig unter das
frühere Niveau getrieben werden; sogar die ganze untere Fläche
der Schleimschiebt kann leichte Falten bilden, welche nach unten
gegen die Zellen des Derma vorspringen. Auch sind wenige zer-
streute intermediäre Zellen zwischen der urspünglichen Schleim-
schicht und der »Epitrichialschicht« aufgetreten. Die Verdiekung in
der »Epitrichialschicht« rührt daher, dass ihre Zellen sich in dieser
Region vermehren und kubischer werden als auf der übrigen Haut-
oberfläche (s. Fig. 1). Diese Verdickungen der Epidermis und des
Derma bilden die oben erwähnten Flecke!.
Man könnte meinen, dass das nächstfolgende Stadium der Ent-
1 KLEE sagt: »Gegen Ende des fünften Tages beginnt jener Wucherungs-
process, der unter den bedeckenden Plattenzellen — dem Epitrichium — die
Lage der Epidermis immer mehr verdickt, bis sie wie ein zu weit gewordener
Mantel zur Faltenbildung neigt, als deren Produkt wir die Entwicklung der
Feder anzusehen haben.« Ich konnte in diesem Stadium keine solch allge-
meine Neigung der Epidermis zur Faltenbildung bemerken. Die Verdickungen
werden auf bestimmten kleinen Flächen gebildet, und jede von ihnen lässt eine
Federpapille in der unten beschriebenen Weise entstehen.
Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich hier bemerken, dass ich
immer in dieser Beschreibung die centrale Dermamasse der Federpapille Pulpa
nenne; den Ausdruck Papille habe ich nur in Bezug auf das ganze Gebilde ge-
braucht, mit anderen Worten gleichbedeutend. mit dem Wort Federkeim.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 573
wieklung durch einen nach oben gerichteten Druck des Derma ver-
anlasst sei. Jedenfalls, sei es vom Druck beeinflusst oder nicht,
wölbt sich der verdickte Theil der Epidermis nach außen und die
dabei entstandene Vertiefung wird von rasch sich vermehrenden
Dermazellen ausgefüllt. So entsteht die sogenannte Papille oder der
Federkeim als eine winzige, runde Warze auf der Hautoberfläche.
Die vordere Wand dieser Warze wächst jetzt rasch, bis die
ganze Warze so zu sagen rückwärts geneigt ist und der Punkt,
welcher zuerst den Scheitel bildete, jetzt rückwärts und etwas nach
oben gerichtet ist. Zu derselben Zeit beginnen die Schleimschicht-
zellen besonders in der Gegend des Scheitels neue Schichten von
Zellen zu bilden, welche auf diese Weise die Epidermis der Papille
verdicken (siehe Fig. 2). Sobald die Krümmung ihren Höhepunkt er-
erreicht hat, tritt ein schnelles und gleichmäßiges Wachsthum an
allen Seiten der Papillenwände auf, wodurch unsere rückwärts um-
gebogene Warze in ein langes cylindrisches Gebilde (siehe Fig. 3)
umgewandelt wird.
Hand in Hand mit der Vermehrung der Epidermiszellen, welche
das oben beschriebene Wachsthum verursacht, geht eine Vermehrung
der Dermazellen, die den Innenraum der Papille einnehmen, so dass
dieser während der ersten Entwicklungsstadien von einer dicken Masse
eng an einander geschobener Zellen ausgefüllt wird. In dieser Masse,
der sogenannten Pulpa, verlaufen die Blutgefäße. Das Wachsthum des
Federkeimes, so weit es von der Zellvermehrung bedingt wird, scheint
vollständig an oder nahe an seinem Grunde stattzufinden. Über der
ganzen Hautoberfläche bildet die Schleimschicht noch eine einzige
Zelllage, abgesehen davon, dass einige zerstreute Intermediärzellen
zwischen dieser Schicht und der Epitrichialschicht aufgetreten sind.
Eine kleine Strecke weit vom Grunde ist die Schleimschicht des im
Wachsthum begriffenen Federkeimes unbedeutend dicker als die der
Haut, jedoch nehmen die Intermediärzellen allmählich an Zahl zu, bis sie
im obersten Teil dieser Gegend schließlich zwei Schichten herstellen !.
\ Wir müssen von nun an zwischen der tiefsten Schicht der Schleim-
schichtzellen, der sogenannten »Cylinderzellen«-Schicht, und den
Schichten. der »Intermediärzellen« oder, wie SruDER und KLEE sie
! Die hier entstandenen Intermediärzellen bilden eine zusammenhängende
Schicht um den Federkeim herum unmittelbar innerhalb der Epitrichialschicht.
Sie ' nehmen fast ‘gleich von Anfang an eine etwas abgeplattete Gestalt an,
welche sie leicht von den später nach innen von ihnen ‚gebildeten unterscheidet.
Diese abgeplatteten Zellen- bilden die zukünftige Federscheide. -
or%
ol
574 H. R. Davies
nannten, »Rundzellen«, unterscheiden, welche zwischen der erst-
genannten Schicht und der Epitrichialschicht liegen. Während der
Entwicklung der Feder nehmen, wie wir sehen werden, die Zellen
der untersten Schicht selten eine cylindrische Gestalt, dagegen oft
eine dieser entgegengesetzte an; jedoch ist es schieklich, den
gewöhnlich auf sie angewandten Ausdruck zu gebrauchen. Sogar
in der Haut des Taubenembryo können diese Zellen kaum eylinder-
förmig genannt werden.
An dem obersten Theil der oben erwähnten dünnwandigen Portion
der Federkeimwände begegnen wir einer ungeheuer raschen Pro-
duktion von Intermediärzellen, bis die Federkeimwände fast auf ein-
mal ihre volle Dicke erreichen. Aber das findet nicht gleichmäßig
im ganzen Umkreis des Federkeimes statt, sondern so, dass eine An-
zahl Verdiekungen auf der Innenfläche dieser Wände, mit einer ent-
sprechenden Zahl von Höhlungen zwischen ihnen, gebildet werden.
Eine Vermehrung der Cylinderzellen innerhalb ihrer eigenen Lage
findet auch statt, so dass diese Lage sich aufwärts auf der Innen-
fläche dieser Verdickungen fortsetzt.
Dieser Process beginnt zur Zeit, da die rückwärts gebogene
Warze zuerst eine cylindrische Gestalt annimmt, oder mit anderen
Worten, wenn nur die äußerste Spitze des Federkeims gebildet ist ;
und da jeder Abschnitt des Federkeims, sobald als er gebildet ist,
durch die ununterbrochene Erzeugung neuer Abschnitte unter ihm
in die Höhe getrieben wird, so ist es leicht zu verstehen, wie diese
Verdickungen Serien von parallelen Längsleisten bilden, welche längs
der Innenwände des Federkeimes verlaufen und durch eben so viele
parallele Längsfurchen von einander getrennt sind.
1 STUDER sagt, dass zuerst die Epidermis der Federpapille nicht dicker sei
als die der Haut. Er giebt sehr schöne Zeichnungen von der Pinguindunenpapille
in dem Stadium, wo sie eine bedeutende Länge erreicht hat und stellt ihre
Wände als eine einzige Lage von cylinderförmigen Schleimschichtzellen, um-
geben von abgeplatteten Hornzellen dar. Vom Hühnchen sagt er: »Die Pa-
pillen zeigen am achten Tage an ihrem Ende eine Anzahl runder Zellen zwi-
schen der Cylinderzellenlage und der Hornhaut«. Und darauf: »Dass die stark
sich vermehrenden runden Epidermiszellen die Cylinderzellenschicht in Falten in
die Cutispulpa sich eindrücken lassen, und zwar beginnt diese Faltenbildung an der
Spitze und lässt die Falten nach unten allmählich verstreichen. Meine Beobach-
tungen zeigen andererseits, dass die Epidermis der Papille von Anfang an dicker
ist als die der Haut, dass die Falten oder Leisten mit der Papille wachsen und
dass die Intermediärzellen, welche die Masse dieser Falten oder Leisten bilden,
vollständig von Zellvermehrung der Cylinderzellenlage herstammen. Meine Be-
obachtungen widersprechen gleichfalls KLEE’s Beschreibung der Spaltenbildung.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 575
Das Pulpagewebe nimmt die Furchen eben so wie die centrale
.Höhlung des Federkeimes ein. Wenn wir Fig. 3 betrachten, so be-
obachten wir, dass die Pulpahöhlung aus einer stärkeren basalen
Portion besteht, da wo die Federkeimwände dünn sind, und einer
dünneren oberen Portion da, wo die Federkeimwände ihre volle
Dicke erreicht haben. Diejenigen Cylinderzellen, welche die starke
basale Portion begrenzen und theilweise überdecken, sind es, welche
den Federkeim produciren. Das Wachsthum der Epitrichialschicht
aber findet durch eine unabhängige Vermehrung der Epitrichial-
zellen innerhalb ihrer eigenen Lage statt.
Die Art und Weise, auf welche die Längsleisten der Federkeim-
wände entstehen, wird in Fig. 4 zur Genüge erläutert. Diese Figur
stellt einen Querschnitt in der Linie AB der Fig. 3 dar und zeigt
in schiefen Schnitten durch die Federkeimwälle einige dieser Ver-
diekungen in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung. Nach außen
sehen wir die Epitrichialschicht, darauf eine Lage von Intermediär-
zellen, gegen zwei Reihen hoch, welche ununterbrochen um den Feder-
keim herum sich erstrecken und welche, wie erwähnt, ihren Ursprung
in einer Gegend nehmen, wo die Bildung der Verdickungen oder Leisten
noch nicht begonnen hat. Darauf kommen wir zu den Längsleisten
selbst, welche größtentheils aus Intermediärzellen bestehen, aber
nach innen von Cylinderzellen begrenzt sind, die eine ununterbrochene
Lage über den Leisten und Gruben bilden. Im Centrum schließlich
finden wir die Pulpa. Zuerst reichen die Gruben nicht vollkommen
bis zu den äußersten zuerst gebildeten Lagen von Intermediärzellen
(d. h. diejenigen, welche die Federscheide entstehen lassen) ; aber ver-
folgen wir eine Serie von Querschnitten nach oben, so finden wir,
dass die Cylinderzellen eine seitliche Vermehrung erfahren und sich
allmählich weiter nach außen zwischen die Leisten erstrecken, bis
alle sekundär gebildeten Intermediärzellen in die eine oder andere
Leiste geschoben werden und die Cylinderzellen für die Zukunft mit
der äußersten zuerst gebildeten Schicht in Berührung kommen.
Also beruht die Bildung der Längsleisten auf zwei Processen:
erstens auf einer rascheren Erzeugung der Intermediärzellen in einigen
Theilen der Cylinderzellenlage und zweitens auf einer später ein-
tretenden, nach außen gerichteten Ausbreitung der Cylinderzellenlage
Einige Schnitte in der Nähe des Grundes durch die im Wachsthum begriffenen
Dunenpapillen beim Hühnchen oder der Taube zeigen in einer unverkennbaren
Weise die Bildung dieser Leisten.
576 H. R. Davies
zwischen den Intermediärzellen in denjenigen Theilen, wo die Er-
zeugung der letzteren weniger schneil stattgefunden hat’.
Der Federkeim wird so vom Grunde aus aufgebaut, bis er nahezu
seine volle Länge erreicht hat, jedoch trägt, wie wir später sehen
werden, zu diesem Längenwachsthum wesentlich noch ein anderer
Process bei, der schon in den obersten Theilen der Papille vor sich
geht. Nun äußert sich die Thätigkeit der in Vermehrung begriffenen
Schleimschichtzellen am Grunde des Federkeimes in einer neuen
Richtung. Bis jetzt war die Folge der Vermehrung dieser Zellen ein
Aufwärtswachsen des Federkeimes über die Hautoberfläche; von nun an
zeigt sich die Folge ihrer Vermehrung in dem nach unten gerichteten
Wachsthum des Federkeimgrundes in die tieferen Schichten des Derma.
Man mag in gewissem Sinne berechtigt sein, von diesem Ein-
wachsen als von einer Einstülpung der Schleimschicht zu reden;
Jedoch muss man sich dabei stets vergegenwärtigen, dass die Epitri-
chialschicht und die äußersten Lagen der Epidermis von der Haut-
oberfläche unmittelbar nach oben in die äußere Oberfläche des Feder-
keimes ‚übergehen, und nicht an dem Einwachsen Theil nehmen.
Somit wird hier keine Federtasche gebildet, wie es einige frühere
Beobachter beschrieben haben, wenn man nicht die leichte Vertiefung
hinter dem Federkeime (siehe Fig. 6) so nennen will?.
Untersuchen wir einen Längsschnitt durch dieses Stadium, wenn
das Einwachsen die in Fig. 6 dargestellte Tiefe erreicht hat, so
finden wir, dass die durch das Einwachsen entstandene Streeke durch
zwei Zelllagen sich abgrenzt, die basal in einander übergehen. Die
eine Lage, welche an der äußeren Seite der Einwucherung liegt,
! Es ist wichtig, diese beiden Processe aus einander zu halten, weil bei dem
Hühnchen der zweite Process eine bedeutend wichtigere Rolle spielt als bei
der Taube, und weil in der Entwicklung der definitiven Feder, wie wir später
sehen werden, der zweite Process fast vollkommen den ersten verdrängt.
In dem Dunenfederkeim des Hühnchens erreichen die epidermalen Wände
eine beträchtliche Dicke, ehe der Process der Leistenbildung begonnen hat.
Jedoch wenn er beginnt, geht er in derselben Weise vor sich, wie bei der
Taube, abgesehen davon, dass hier weniger Intermediärzellen noch erzeugt
werden müssen und dass der Raum, durch welchen die Cylinderzellenlage sich
ausbreiten muss, zwischen den bereits gebildeten Intermediärzellen größer ist
(s. Fig: 5).
2 STUDER sagt, dass der Grund der Dune sich allmählich in die Haut ein-
senkt und so eine Federtasche bildet. KLEE scheint keine Längsschnitte ge-
macht zu haben und erwähnt die Federtasche gar nicht. Weder beim Hühn-
chen noch bei der Taube konnte ich solche Federtaschen finden, wie sie von
STUDER beschrieben und abgebildet wurden.
ee
ee Fi ee ne
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 577
besteht zum größten Theil aus einer einzigen Reihe von Zellen und
hängt mit der Schleimschicht der Haut zusammen. Dieses ist die
Schleimschichtlage des zukünftigen Federfollikels. Die andere Zellen-
lage, welche auf der Innenseite der Einwachsung liegt, besteht von
Anfang an aus mehr als einer Zellreihe. Diese Lage hängt mit der
Schleimschicht des Federkeimes zusammen. Zwischen der äußeren
und inneren Lage erscheint in geringer Entfernung von der Umschlag-
stelle jener Lagen eine dritte Zelllage, welche Anfangs eine einfache
Reihe von etwas abgeplatteten und ausgezogenen Zellen erkennen
lässt; weiter nach oben aber besteht sie aus einigen Reihen und
geht schließlich in die äußeren Lagen der Epidermis über, wo die
lezteren sich von der Haut auf den Federkeim erstrecken. Die Zellen,
welche diese Lage bilden, scheinen Anfangs von der im Wachsthume
begriffenen basalen Umschlagstelle herzustammen; zu beiden Seiten
dieser erstentstandenen Zellen gesellen sich später andere von der
inneren und äußeren Schleimschichtlage der Einwucherung. Die
Zellen dieser Centrallage besitzen bald das Aussehen von Hornzellen.
In einer »Vorläufigen Mittheilung«’ sprach ich von dieser Schicht
als von einer »einheitlichen kontinuirlichen Schicht verhornter Zellen«,
um damit darauf aufmerksam zu machen, dass zu dieser Zeit noch
_ keine Andeutung von der Höhlung des zukünftigen Federfollikels vor-
handen sei, obgleich bereits die Wände derselben gebildet sind.
Die Form der Pulpahöhlung und der Federkeimwände ist im
Allgemeinen dieselbe wie vorher, der Federkeim wird noch durch
diejenigen Cylinderzellen produeirt, welche die stärkere untere Por-
tion jener Höhlung begrenzen. Dieser Theil liegt aber jetzt unter
der Hautoberfläche und kommt mit dem Fortschreiten des Wachs-
thums noch tiefer zu liegen. Die longitudinalen Verdiekungen oder
Längsleisten der Federkeimwände nehmen allmählich an Größe ab,
in dem Maße, als sie sich unter das Niveau der Haut erstrecken.
Unterdessen haben weitere Veränderungen in der Epidermis und der
Pulpa der oberen Theile des Federkeimes stattgefunden.
In einem rasch wachsenden jungen Federkeim auf dem Stadium,
welches Fig. 3 darstellt, besteht die gesammte Pulpa aus einer ho-
mogenen Masse dicht an einander gedrängter Dermazellen. Wie
jedoch das Wachsthum weiter fortschreitet, wird das Gewebe der
Pulpa nach dem Scheitel zu immer lockerer, die Intercellularräume
weiter und die Bluteapillaren immer größer, bis schließlich dieses
Gewebe aus einem Netzwerk fein verästelter Zellen besteht, welche
1 Dieses Jahrbuch. Bd. XIV. pag. 369.
578 ; H. R. Davies
mit einander durch zarte protoplasmatische Fortsätze verbunden sind
und zwei oder drei größere Capillaren umschließen. In gewissen
Stadien erscheint die ganze obere Hälfte des Federkeimes von Blut-
körperchen erfüllt, während wir in den unteren Abschnitten des Feder-
keimes nur zwei oder drei kleine Gefäße durch eine dichte Masse
von Dermazellen verlaufen sehen (siehe Fig. 6, 7, 8).
Hand in Hand mit den Veränderungen in der Pulpa gehen solche
in den Epidermiswänden des Federkeimes.
In den frühesten Entwicklungsstadien in der Dunenpapille waren,
wie wir sahen, die Zellen der Epitrichialschicht über der Papille
viel zahlreicher und kubischer als an irgend einer anderen Stelle.
Während des Wachsthumes der Papille verlieren sie bald ihre Würfel-
form. werden platter und breiten sich aus, bis endlich die Kerne weit von
einander liegen (weiter als an der Hautoberfläche) und bloß durch
dünne Fäden vertrockneter oder verhornter Zellsubstanz mit einander
verbunden sind. Gegen das Ende der Entwicklung bleibt die Epi-
trichialschicht nur in Fetzen zurück, welche durch das Wachsthum
der darunter liegenden Theile abgerissen werden: und ehe der Vogel
das Ei verlässt, ist sie meist abgestreift worden (vergleiche die
verschiedenen Figuren).
Obgleich auf diese Weise die Epitrichialschieht in der ersten
Zeit an der Zellvermehrung Antheil nimmt, welche die Dunenpapille
hervorbringt, so hört doch ihre Thätigkeit früher auf als die der dar-
unter liegenden Theile und niemals scheint sie eine vollkommene
Umhüllung um den ausgewachsenen Federkeim zu bilden. Wenn wir
bedenken, wie weit entfernt die Epitrichialschicht von der Nahrungs-
quelle liegt, so können wir uns nur verwundern, dass ihre Zellen so
lange Zeit in Vermehrung begriffen sind.
Indem wir nun zu den Intermediärzellen übergehen, muss daran
erinnert werden, dass wir sie bereits unterschieden haben in solche,
welche eine kontinuirliche äußere Lage unmittelbar unterhalb der Epi-
trichialschicht bilden und in solche, welche den Körper der Längsleisten
bilden. Die Zellen der äußeren kontinuirlichen Schicht, welche die
Federscheide der Dunen zu bilden bestimmt sind, nehmen fast gleich
von Anfang an die abgeplattete Gestalt der gewöhnlichen epider-
malen Hornzellen an. Gegen das Ende der Entwicklung ist die Feder-
scheide außerordentlich dünn und besitzt ein homogenes strukturloses
Aussehen!.
! Zuerst wird die Federscheide von zwei oder sogar drei Zellenlagen
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 579
Die Veränderungen in den Epidermiswänden, welche die Pulpa
umgeben, finden in den die Leisten zusammensetzenden Zellen statt.
Jede Leiste besteht an ihrem Grunde aus einer Masse von In-
termediärzellen, welche nach der Peripherie hin von Zellen umgeben
sind, welche die Federscheide bilden sollen, hingegen an allen anderen
Seiten sind sie von einer Cylinderzellenlage begrenzt. Höher nach
oben beginnen diese Intermediärzellen sich in die Länge zu strecken,
in einer der Längsachse des Federkeimes parallelen Richtung. Die
Längenzunahme jeder Zelle geschieht nicht auf Kosten ihrer Breite
sondern rührt von einem Wachsthum in der Zellsubstanz her. Die Breite
nimmt während dieses Processes nur wenig ab. Die feinen Ausläufer
der Zellen scheinen durch Intercellularsubstanz mit einander ver-
bunden zu sein, und so verursacht die Längenzunahme der einzelnen
Zellen ein entsprechendes Längenwachsthum des ganzen Federkeimes!.
Am deutlichsten sieht man die Wirkung dieser Längenzunahme darin,
dass die Kerne, welche an der Basis der Leisten von wenig Zell-
substanz umgeben dicht an einander liegen, in den oberen Gegenden
derselben weit von einander zu liegen kommen, da wo die große
Masse jeder Leiste aus Zellsubstanz besteht (vgl. Fig. 6, 8, 9).
Die Veränderungen, welche zu derselben Zeit in der Cylinder-
zellschicht stattfinden, sind ebenfalls beachtenswerth. Wie wir ge-
sehen haben, erstreckt sich diese Schicht aufwärts innerhalb des
wachsenden Federkeimes und begrenzt die Leisten und Rinnen an
ibrer Innenseite. Die Zellen scheinen jedoch nur passiv nach oben
getragen zu werden und wenn die Intermediärzellen an Länge zu-
nehmen, werden die Cylinderzellen ausgestreckt, bis schließlich diese
Sehicht wenig mehr als ein mit Kernen punktirtes Protoplasma-
häutchen? bildet, welches die Intermediärzellenleisten von dem Pulpa-
gebildet, und ist von merklicher Dicke. Schließlich aber ist sie nicht einmal
ein Drittel so dick. Die Dickenabnahne kann der großen Längenzunahme zu-
geschrieben werden, welche die Federscheide erfahren muss, um das Wachs-
thum der einwärts gelegenen Theile zu ermöglichen (s. unten).
KLEE bildet die Federscheide der Dunenfeder als ausschließlich aus der
Epitrichialschicht bestehend ab. Dem ist nicht so.
1 Lworr sagt, dass die Hornzellen in der Rindensubstanz der Feder mit
einander durch ihre verjüngten Enden verbunden sind: »die Verbindungsflächen
sind uneben und mit äußerst feinen Fortsätzen wie mit Zähnchen versehen «.
2 Es scheint die Cylinderzellenschicht in etwa, diesem Stadium gewesen
zu sein, welche STUDER für die sog. homogene Grenzschicht hielt, und welche
ihm die Zellnatur dieser Grenzschicht bewies. Eine solche Grenzschicht habe
ich bei der Dunenfederpapille nicht beobachten können.
580 H. R. Davies
gewebe scheidet. Zu derselben Zeit breitet sich die Cylinderzellen-
schicht allmählich zwischen den Intermediirzellen jeder Leiste
und der Federscheide aus {siehe Fig. 7), bis die Intermediärzellen
jeder Leiste durch das Dazwischentreten der Cylinderzellenschicht
von den Intermediärzellen der Federscheide vollkommen getrennt
werden. Auf diese Weise entstehen aus den ursprünglichen Längs-
leisten eine Anzahl von Säulen von Intermediärzellen. Jede dieser
Säulen ist in eine dünne Zellenlage eingeschlossen und durch dieselbe
an die Wände der Federscheide befestigt in derselben Weise, wie der
Verdauungskanal an die Körperwände durch das Peritoneum. Somit
erstreckt sich die Pulpahöhlung fast vollkommen um diese Säulen
herum, welche nichts Anderes sind als Strahlen der zukünftigen
Dunenfeder.
Es wurde bemerkt, dass die Veränderungen in den Epidermis-
wänden des Federkeimes Hand in Hand mit den bereits beschriebenen
Veränderungen im Bau der Pulpa gingen. Die nahen Beziehungen
zwischen der Längenzunahme der Intermediärzellen und der Er-
weiterung im Intercellularraum des Pulpagewebes fallen sofort dem
Auge auf. Das Pulpagewebe könnte gleich der Cylinderzellenlage
scheinbar ausgebreitet werden durch das Wachsthum der Intermediär-
zellen. In der That scheinen die Bilder, welche während dieses
Stadiums sich darbieten, die Ansicht zu rechtfertigen, dass die Ver-
mehrung der Pulpazellen nur in einem bestimmten Bezirk in der
Nähe des Grundes des Federkeimes stattfindet, weleher dem Bezirke
der Epidermiszellvermehrung entspricht, und dass die Schnelligkeit
der Zellvermehrung in der Pulpa und Epidermis gleich ist. Dies
würde erklären wesshalb, so lange das Wachsthum des Federkeimes
vollkommen von der Zellvermehrung bedingt wird, die Pulpa überall
aus einer Masse eng an einander gepresster Zellen besteht, wesshalb
dagegen, sobald dieses Wachsthum durch das Längenwachsthum der
Intermediärzellen bedingt wird, das Pulpagewebe, in der Gegend, wo
diese Zunahme stattfindet, entsprechend lockerer wird.
Welches auch der Weg sei, auf dem diese Lockerung des Pulpa-
gewebes zu Stande kommt, so muss doch die Rolle, welche sie spielt
von außerordentlicher Wichtigkeit sein, da sie die Möglichkeit gewährt,
dass die in Entwicklung begriffenen Strahlen zu einer Zeit mit Plasma
versorgt werden, wo die wachsenden Zellen einen großen Anspruch
auf Nahrungsmaterial machen. Hier sehen wir die wirkliche Funk-
tion der Pulpa als eines nutritiven Organs in vollkommener Thätigkeit.
Alle diese Veränderungen, das Wachsthum der Intermediärzellen,
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 581
die Ausbreitung der Cylinderzellen und des Pulpagewebes und die
Trennung der Intermediärzellensäulen von der Federscheide, beginnen
am Scheitel und schreiten allmählich nach unten gegen den Grund fort.
Noch ein anderer Process muss durchgemacht werden, ehe die Inter-
mediärzellensäulen zu Dunenstrahlen werden. Das ist die Verhornung.
In die Details dieses Processes bin ich nicht eingegangen, aber nach
Lworr, welcher die Entwicklung der Hornzelle in der Rindensubstanz
der Feder beobachtete, würde es scheinen, dass eine Streifung in den
in Verhornung begriffenen Zellen auftritt, zuerst an den beiden Enden
und dann fortschreitend zur Mitte. Der »Streif« zeigt eine in Ent-
wicklung begriffene »Fibrille« an, in welche die völlig ausgebildeten
Hornzellen bei Behandlung mit Kalilauge zerlegt werden können.
Somit besteht nach Lworr die Verhornung in einer Differenzirung
des Zellprotoplasmas in eine Anzahl von parallelen Hornfibrillen,
welche durch eine Zwischensubstanz fest mit einander verbunden
bleiben, und in deren Mitte der Kern seine Lage beibehalten kann.
Wir müssen jetzt etwas zurückgehen, um den Entwicklungsgang
in demjenigen Theil des Federkeimes zu untersuchen, welcher un-
mittelbar unterhalb der Hautoberfläche liegt. Es muss daran erinnert
werden, dass die Längsleisten, sobald sie sich in den Federkeimgrund
erstrecken, an Umfang abnehmen. Die Grenze, bis zu welcher diese
Verkleinerung stattfinden kann, ist großem Wechsel unterworfen ;
jedoch in dem Falle, welchen wir als typisch betrachten können,
verschwinden die Leisten vollkommen; und wenn die Verhornung
diesen basalen Theil des Federkeimes erreicht, dann wird ein kurzer
horniger Cylinder gebildet, welcher mit dem Grunde der Strahlen
in Zusammenhang steht. Dieses eylindrische Gebilde ist die soge-
nannte Spule. An ihrer Bildung nehmen alle Zelllagen Theil, welche
von der Schleimschicht der Feder stammen, sowohl die äußeren, welche
denjenigen entsprechen, die oben die Federscheide bilden, als die
inneren, welche denjenigen entsprechen, die oben die Strahlen bilden;
nur die Cylinderzellenlage bleibt unverhornt um die Pulpa herum.
Solch’ eine typische Dunenspule ist jedoch bei der Taube nicht
sehr häufig. Gewöhnlich verschwinden die Leisten nicht vollkommen,
obgleich sie eine bedeutende Verminderung ihrer Größe erfahren.
So ist es bei den gutentwickelten Dunen, welche den Kontourfedern
des Rückens vorangehen. Hier sind die Leisten durch die ganze
Spule gut erkennbar (siehe Fig. 10), jedoch werden sie hier nicht
von einander oder von der Federscheide getrennt, dagegen bei den
Dunen, welche den Schwungfedern vorangehen, ist dieser Process
582 H. R. Davies
weiter fortgeschritten und die Leisten werden vollkommen in Säulen
zerlegt, obgleich diese Säulen mehr oder weniger lose mit ihren
äußeren Flächen an die Federscheide befestigt bleiben.
Wenn die Spitzen der Dunenfedern ihre vollkommene Entwick-
lung erlangt haben, beginnt die Cylinderzellenlage sich hinter
und zwischen die Strahlen zurückzuziehen und indem dieser Process
von oben nach unten fortschreitet, bildet bald die Cylinderzellenlage
zusammen mit der eingeschlossenen Pulpa eine einfache eylindrische
Säule, welche ganz innerhalb des Strahlenkreises liegt. Das Pulpa-
gewebe ist zu dieser Zeit sehr dünn, und wird augenscheinlich all-
mählich absorbirt; wenn die Verhornung der Federscheide und der
Strahlen zu Ende geht, so scheint die Cylinderzellenlage sich gänz-
lich von denselben zu trennen und in Folge gewisser, ihr inne-
wohnender Elastieität zusammenzuziehen, bis sie nicht mehr dem
Widerstand entgegentreten kann, welchen das eingeschlossene Pulpa-
gewebe ausübt. An einem Punkte jedoch, zwischen je zwei Strah-
len, bleibt die Cylinderzellenlage mit der Federscheide durch aus-
gezogene Zellfortsätze verbunden, wie diese im Querschnitt erscheinen
(s. Fig. 11). Diese Zellfortsätze sind aber in Wirklichkeit Längs-
lamellen. So wird durch diese Lamellen der Raum zwischen der
Pulpasäule und der Federscheide in eine Reihe von Längsabtheilungen
getheilt, deren jede von einem Strahle eingenommen wird. Das ist
der Anfang eines Processes, welcher zu einer vollkommenen Zurück-
ziehung der Pulpa und der Cylinderzellenlage, d. h. der ganzen
Cutispapille vom Federkeim führt.
In den oberen Theilen des Federkeimes konnte ich diesen Pro-
cess nicht ganz genügend verfolgen, da er kurz vor dem Verlust
der Federscheide mit beträchtlicher Geschwindigkeit vor sich zu
gehen scheint. In der Gegend der Dunenspule aber ist der Process
leicht zu verfolgen, weil er erstens langsamer von statten geht und
zweitens die Cylinderzellenlage während der Zurückziehung bedeu-
tend an Dieke zugenommen hat. Hier wird eine Reihe von konischen
hornigen Kappen gebildet, jede unterhalb und theils innerhalb der
anderen, und an ihren Spitzen durch eine hornige Faser mit einan-
der verbunden (s. Fig. 12). Diese Kappen scheinen auf folgende
Weise zu entstehen: Das Pulpagewebe wird fortwährend am ober-
sten Ende absorbirt, und-die Cylinderzellenlage, welche eine gewisse
Elastieität besitzt, zieht sich gleichmäßig zusammen. Wie sie sich
zusammenzieht. nimmt sie an Dicke zu und wie sie an Dicke zu-
nimmt, beginnt sie an ihrer Oberfläche eine Lage von Zellen zu
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 583
bilden, welche bald das Aussehen von verhornenden Zellen annehmen.
Die Steifheit dieser oberen verhornenden Schicht gebietet eine Zeit
lang der weiteren Zusammenziehung der Cylinderzellenlage Einhalt;
aber wenn die obere Schicht fertig ist, trennt: sich die untere von
ihr ab. und zieht sich wieder zusammen, zuerst rasch — bis das
Gleichgewicht zwischen der Elastieität der Cylinderzellenschicht und
dem Widerstand des Pulpagewebes wieder hergestellt wird — und
dann langsamer, bis sie wieder einen gewissen Grad von Dicke er-
reicht hat und der Process von Neuem sich wiederholt.
Die Cylinderzellenlage trennt sich zuerst von den Seiten der
Spule ab und dann von der Innenfläche der Hornkappen, von unten
nach oben, bis sie schließlich nur durch einen ausgezogenen proto-
plasmatischen Fortsatz mit der Unterfläche des Scheitels der eben
vollendeten Kappe verbunden ist. Dieser Fortsatz lässt die hornige
Faser hervorgehen, welche die Spitzen der auf einander folgenden
Kappen verbindet. Die Höhlung unterhalb jeder Hornkappe scheint
zuerst mit Plasma erfüllt zu sein, welches später allmählich ver-
dunsten muss. Auf diese Weise werden von Zellen der Cylinder-
zellenschicht die hornigen Gebilde erzeugt, welche über der sich zu-
rückziehenden Pulpa auftreten und in der Spule die sogenannte
Federseele aufbauen. Die Zellen der Cylinderzellenschieht werden
während der Zusammenziehung, welche diese Schicht erfährt, aus
ihren Stellen verdrängt und so lassen sie diese Gebilde entstehen
und nicht etwa dadurch, dass sie neue Zellen produciren.
Mit dem Rückzuge der Pulpa und der vollendeten Verhornung
aller Theile nimmt die Entwicklung der Nestlingdunen ein Ende.
Bald nach dem Ausschlüpfen fällt die Federscheide ab, die
dünnen hornigen Gebilde, welche durch die sich zurückziehende
Cylinderzellenlage gebildet wurden, fallen weg und die Strahlen
breiten sich über die Hautoberfläche aus. Zur selben Zeit scheinen
die äußeren Epidermisschichten der Haut, welche mit dem Grunde
der Federscheide in Zusammenhang stehen, abgeworfen zu werden,
und es erscheint ein Spalt auf dem äußeren Ende der einheitlichen
kontinuirlichen Schicht verhornter Zellen, welche die mittlere Lage
der Einsenkung des Federkeims bildeten. Dieser Spalt erstreckt
sich nach unten und lässt die Höhlung der Federtasche hervorgehen.
Damit schließt die Entwicklungsgeschichte der Nestlingdunen bei der
Taube.
Bei dem Hühnchen sind die einfachen hornigen Strahlen der
Taube durch komplieirtere Gebilde ersetzt, welche aus einer Rinden-
584 | H. R. Davies
und einer Marksubstanz bestehen und mit Nebenstrahlen versehen
sind; und bei der Ente ist die Sache noch komplieirter, indem einige
Strahlen in der Nähe ihrer Basis mehr oder weniger mit einander
verbunden werden und einen kurzen und dünnen Schaft bilden. Wie
diese Veränderungen entstehen, soll später behandelt werden. Jetzt
gehen wir zu der Entwicklung der definitiven Feder über.
2. Die Entwicklung der definitiven Feder.
Das in die Haut eingesenkte Ende des Dunenfederkeimes kommt.
nach Bildung der Dunenspule, nicht zum Abschluss, sondern indem
es sich erweitert und eine größere Pulpahöhlung umschließt (s.
Fig. 12) schreitet es immer tiefer in die Schichten des Derma. Dadurch
wird — noch vor dem Verlust der Dunenfederscheide oder dem
Rückzuge der Dunenpulpa — der definitive Federkeim als ein
nach unten gerichteter Fortsatz des Grundes des Dunenfederkeimes
gebildet. Somit hängen die Wände des definitiven Federkeimes mit
den Wänden des Dunenfederkeimes und die Pulpa des definitiven
Federkeimes mit der Pulpa des Dunenfederkeimes zusammen.
Der definitive Federkeim ist von Anfang an breiter als jener
der Dune. Nachdem die nach unten gerichtete Einsenkung die
Dunenspule gebildet hat, erweitert sie sich und lässt die eingeschlos-
sene Pulpahöhlung fortwährend an Größe zunehmen. Wenn jedoch
die Grenze des nach unten gerichteten Wachsthums erreicht ist,
nähern sich die Ränder der »wachsenden Krempe« einander noch
einmal, bis schließlich nur eine verhältnismäßig schmale Öffnung am
Grunde des Federkeimes zurückbleibt. Diese Öffnung ist der »Um-
bilicus« oder »Nabel« und durch ihn gehen die Blutgefäße, welche
in der Pulpa sich in Capillaren auflösen und die wachsende Feder-
papille mit Nahrung versehen'!. Somit ist die Gestalt des definitiven
Federkeimes zu dieser Zeit die eines Kegels mit abgerundetem Grunde
(s. Fig. 13).
Wir erinnern uns, dass die wachsende Krempe, wie sie sich
nach unten erstreckte, um die Dunenspule zu bilden, drei Zelllagen
hervorgehen ließ. Während sie jetzt weiter nach unten aus-
wächst, um den definitiven Federkeim zu bilden, behält sie noch
dieselben drei Lagen bei. Sobald mit dem Verlust der Dunenfeder-
1 Die Blutgefäße der Pulpa stehen weder bei dem Dunenfederkeim noch
bei dem definitiven Federkeim in irgend einer bestimmten Bezteiung zu dm
Längsfurchen, wie manchmal behauptet worden ist.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 585
scheide der Spalt in der mittleren Schicht der Hornzellen auftritt,
so erstreckt er sich schnell nach unten und trennt so die Wände
des definitiven Federkeimes von dem, was wir jetzt als Federfollikel
zu unterscheiden haben. Das Auftreten des Spaltes erfolgt bei der
Schwungfeder ungefähr dann, wenn die zur Bildung des definitiven
Federkeimes entstandene Einsenkung ihre Grenze erreicht hat. Der
Federfollikel wird also von der äußersten Lage, die sich von der
wachsenden Krempe ableitet, und der äußeren Hälfte der mittleren
Lage gebildet. Erstere bildet die Schleimschicht des Follikels und
hängt oben mit der Schleimschicht der Haut und unten mit der
Schleimschicht des Federkeimes zusammen. Letztere bildet die Horn-
schicht des Follikels und hängt oben mit den Hornschichten der
Epidermis der Haut und unten mit der in Entwicklung begriffenen
Federscheide zusammen (vgl. Fig. 13).
Die innere Hälfte der mittleren Schicht der Einsenkung, jene
welche die Federscheide bildet, ist jedoch nicht vollkommen durch
den Spalt von der äußeren Hälfte getrennt, welche einen Theil des
Follikels bildet; aber beide sind während der frühen Entwicklungs-
stadien locker durch Hornfasern mit einander verbunden (s. Fig. 14).
Diese scheinen von der Oberfläche des Follikels abgerissen zu wer-
den, während der Federkeim nach oben wächst. In der späteren
Entwicklung scheint die Federscheide immer vollständiger von dem
Follikel getrennt zu werden, bis schließlich die glatte äußere Ober-
fläche der Spule nicht die geringste Verbindung mehr mit den Wän-
den des Follikels zeigt. Somit entsteht der Federfollikel nicht, wie
man vermuthete‘, als eine einfache Einstülpung, sondern es entsteht
zuerst eine solide Einsenkung, in welcher die Höhlung des Follikels
Anfangs als ein einfacher Spalt auftritt. Sogar dann ist die Tren-
nung des Follikels von dem Federkeim einige Zeit noch unvoll-
kommen, und nur zum Schlusse der Entwicklung finden wir einen
vollkommen abgegrenzten Follikel.
Der Dermaüberzug des Follikels, der Federbalg, entsteht auf
folgende einfache Art. Sobald sich die Einsenkung zur Bildung der
Dunenspule und des definitiven Federkeimes nach unten ausdehnt,
drängt sie die »Pars papillaris« des Derma vor sich her, welche auf
diese Weise eine Tasche bildet, in welche die Einsenkung vom ersten
Anfang an eingeschlossen ist. Die Zellen, welche diese Tasche zu-
sammensetzen, lassen in der die Dunenspule umgebenden Gegend
Fasern hervorgehen, welche fast ausschließlich eirkulär angeordnet
sind (s. Fig. 10, 12); dagegen sind gegen das tiefere Ende des Feder-
586 - H. R. Davies
follikels die Fasern mehr in Längsrichtung angeordnet. Der Feder-
balg ist an seinem untersten Ende von Blutgefäßen durehbohrt,
welche nach dem Umbilicus gehen. Die Folge also der nach unten
gerichteten Einwachsung ist die Erzeugung des Federfollikels und
die Verlegung des Grundes der in Entwicklung begriffenen Feder in
eine beträchtliche Tiefe unterhalb der Hautoberfläche.
Nach der Beschreibung des Federfollikels können wir uns zu
dem Federkeim wenden, welcher von ihm eingeschlossen wird. Wir
haben gesehen, dass die Längsleisten sich nach unten in die Ein-
senkung des Keimgrundes der Dunenfeder erstrecken. In der Gegend
der Dunenspule nimmt der Process der Leistenbildung in einem größeren
oder geringeren Grad ab, oder kann sogar gänzlieh aufhören; aber
sobald wir die Spitze des definitiven Federkeimes erreichen, finden
wir ihn noch einmal in vollem Gange. Wie erwähnt, ist die Art
der Leistenbildung im definitiven Federkeim verschieden von der,
die wir bei der Dune gesehen haben. In der Dune sind die Wände
am Grunde des Federkeimes dünn und die Leisten erscheinen als
Verdickungen dieser Wände. Im definitiven Federkeim dagegen be-
kommen die Wände auf einmal, unmittelbar über der wachsenden
Krempe, eine bedeutendere Dicke, und wenn wir von diesem engen,
basalen Theil des Federkeimes unmittelbar um den »Umbilicus«
herum, zu dem direkt darüber gelegenen breiteren Theil übergehen,
so finden wir diese dieken Wände in eine Anzahl von Parallelleisten
getheilt.
Die Leisten werden auf folgende Weise gebildet: Die Cylinder-
zellen erfahren eine Vermehrung in horizontaler Richtung (d. h. in
der Ebene des Querschnittes durch den Federkeim) und bilden eine
Reihe von parallelen Falten, welche sich nach außen zwischen die
Intermediärzellen erstrecken. Zu derselben Zeit werden die Inter-
mediärzellen in eine Reihe von parallelen Gruppen getrennt, wobei
jede Gruppe zwischen je zwei Falten der Cylinderzellenlage liegt.
Ob die Intermediärzellenlage von den Falten der Cylinderzellenlage
zerlegt wird oder ob die Cylinderzellenlage sich bloß zwischen den
Intermediärzellen ausbreitet, während diese letzteren sich in Gruppen
anordnen, lasse ich dahingestellt. Wahrscheinlich ist das Letztere
die richtigere Auffassung.
Kehren wir zurück zu dem Punkt, wo die Dunenspule in die
Spitze der definitiven Feder übergeht. Zuweilen gehen die Leisten,
welche oben die Dunenstrahlen hervorgehen ließen, nach unten direkt
in diejenigen Leisten über, welche die obersten der definitiven Feder-
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 587
strahlen! oder Äste bilden. Wenn wir bei einer in Entwicklung be-
griffenen Schwungfeder, welche gerade die Dune aus der Haut in
die Höhe hebt, die Hornscheide abkratzen, welche die Wurzeln der
Dunenstrahlen zusammenhält und damit den oberen Theil der defi-
nitiven Federscheide, dann sehen wir gewöhnlich, dass hier und da
zwei oder drei Dunenstrahlen an ihren Wurzeln verschmolzen sind
und dass dieser verschmolzene Theil wieder in eine Anzahl von de-
finitiven Federstrahlen sich auflöst, gewöhnlich in eine größere als
die Zahl der Dunenstrahlen beträgt, welche ihn bildeten. Auch
findet man leicht einen einzelnen Dunenstrahl, welcher sich in
zwei definitive Federäste theilt. Sogar bei vollkommener Ver-
schmelzung der Dunenstrahlen und Bildung einer typischen Spule
kann man oft sehen, dass diese sich an ihrem tieferen Ende in vier
oder fünf große Theile auflöst, welche erst allmählich sich zertheilen,
um die definitiven Federäste zu bilden. Wir können thatsächlich
jeden Übergang wahrnehmen zwischen der typischen eylindrischen
Dunenspule und der direkten Fortsetzung der Dunenstrahlen in eine
gleiche Anzahl von definitiven Federästen (s. Fig. 13, 14).
An der unterhalb der Region der Dunenspule beginnenden Er-
weiterung des definitiven Federkeimes bemerken wir, dass die Fort-
setzungen der Leisten, sobald sie diesen breiteren Theil erreichen,
sich nicht gleichmäßig über dessen Oberfläche ausbreiten, sondern
auf eine Seite der Federkeimwände übergehen, so dass sie auf der
entgegengesetzten Seite einen von Leisten freien Raum lassen. Die
Seite, auf welche die Leisten sich ausdehnen, bildet die obere oder
äußere Seite der zukünftigen Feder und soll kurz als die dorsale,
die entgegengesetzte als ventrale Seite bezeichnet werden.
Im Centrum der dorsalen Oberfläche beginnen die Leisten mit
einander zu verschmelzen und lassen so die Spitzen des Schaftes
entstehen?. Zu derselben Zeit werden neue Leisten auf der ven-
! Einige Autoren, unter Anderen KLEE, sprechen von den Strahlen und
Nebenstrahlen der Dunenfeder, wenden aber auf diese Gebilde bei der defini-
tiven Feder die Ausdrücke Aste resp. Strahlen an, wie sie von Nirscu ge-
braucht wurden. Dieser doppelte Gebrauch des Ausdrucks »Strahlen« führt
zu Verwechselung; da aber der Ausdruck Dunenstrahlen so allgemein ge-
braucht ist, so schlage ich vor, zur Bezeichnung der »Rami« die Ausdrücke
»Strahlen« und »Äste« als Synonyma zu wählen und zur Bezeichnung der
»Radii« » Nebenstrahlen« zu brauchen. Bei der Identität der Gebilde der Dune
und der definitiven Feder liegt kein Grund zum Gebrauche verschiedener Aus-
drücke vor.
2 Die oberste Spitze des Schaftes wird bei der Taube wie auch bei Dro-
Morpholog. Jahrbuch. 15. 38
588 H. R. Davies
tralen Seite gebildet und von nun an erscheint fortwährend auf dieser
Seite eine Anzahl von neuen Leisten, während dem entsprechend auf
der dorsalen Seite mehr und mehr Leisten in die centrale Leiste
übergehen, welche den in Entwicklung begriffenen Schaft darstellt.
Anstatt nun wie bei der Dune einen Längsverlauf zu nehmen, be-
giebt sich jede Leiste schief abwärts und geht dabei allmählich in
spiraligem Verlauf von der ventralen Wand auf die dorsale Seite
über, bis sie den Schaft erreicht. Jede Leiste ist am schmalsten an
der ventralen Wand, wo sie beginnt und wird allmählich größer, so
wie sie sich abwärts und dorsalwärts wendet.
Wir betrachten jetzt jene Veränderungen in jeder Leiste, welche
zur Differenzirung der Intermediärzellen in Rinden- und Marksub-
stanz und zur Bildung der Nebenstrahlen oder Radii führen. In
jedem Querschnitt eines definitiven Federkeimes sind die Leisten
nicht nur zahlreicher als die Leisten in einem entsprechenden Schnitt
eines Dunenfederkeimes, sondern auch schmaler und höher. Anfangs
bestehen diese Leisten aus einer Masse gleichartiger Intermediär-
zellen (s. Fig. 17) aber bald zeichnen sich die äußersten dieser Zel-
len auf jeder Seite einer Leiste vor den übrigen dadurch aus, dass
sie hoch und eylinderförmig werden (s. Fig. 19). Nach kurzer Zeit
werden diese hohen cylindrischen Intermediärzellen von den übrigen
durch zwei Längsfurchen getrennt, welche mit ihrem Querschnitt
die äußere Hälfte oder, über zwei Drittel jeder Leiste einnehmen
(s. Fig. 19). Längs des inneren Randes jeder Leiste wird diese
äußerste Intermediärzellenschicht nicht von den tieferen Zellen ge-
trennt und ihre Zellen werden auch nicht eylindrisch. Somit können
wir von jeder Leiste sagen: sie hesteht aus einem Körper, welcher
an seinem inneren Ende am dicksten ist und gegen die Federscheide
hin etwas dünner wird und aus zwei Flügeln, die am innersten
dicksten Ende des Körpers befestigt sind. Der Körper bildet einen
Strahl oder Ramus der in Entwicklung begriffenen Feder und die
die Flügel zusammensetzenden Zellen die Nebenstrahlen oder Radii.
Die am meisten central gelegenen Intermediärzellen, welche den
Körper jeder Leiste bilden, vergrößern sich jetzt und lassen eine
doppelte Reihe äußerst breiter, unregelmäßig geformter Zellen ent-
stehen (s. Fig. 20). Diese Zellen scheinen auf einander einen Druck
auszuüben und jede erhält allmählich eine mehr oder weniger poly-
maeus und der Ente von zwei gleichwerthigen Leisten zusammengesetzt (s.
Fig. 15)
g. 15).
nn tives
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 589
gonale Gestalt, wobei ihre Wände sich eng jenen der benachbarten
Zellen anlegen. Endlich scheint das Protoplasma sich an der Peri-
pherie der Zellen anzusammeln, so dass jede Zelle ein hohles Gebilde
darstellt, dessen Inneres wahrscheinlich mit Flüssigkeit erfüllt ist.
Jetzt beginnt ein Verhornungsprocess in der jede Zelle abschließen-
den Protoplasmalage und nach der Vollendung dieses Processes sind
die einander anliegenden Wände der Nachbarzellen nicht mehr deut-
lich von einander unterscheidbar. Jeder Zellraum ist jetzt von
den ihm zunächst liegenden durch eine anscheinend homogene Horn-
scheidewand getrennt. An den Stellen aber, wo drei dieser Scheide-
wände sich treffen, bleiben oft schmale Intercellularräume und an
diesen Punkten sehen wir die anscheinend homogenen Hornscheide-
wände sich in zwei Schichten scheiden. Ihr Aussehen lässt darauf
schließen, dass sie in Wirklichkeit aus zwei verschmolzenen oder
eng einander anliegenden Lagen bestehen, mit möglichst wenig
Intercellularsubstanz. Auf diese Weise wird die Marksubstanz des
Strahles gebildet; sie hat ihren Namen von der Ähnlichkeit mit der
Marksubstanz der Pflanzen.
Die mehr peripher liegenden Intermediärzellen, welche den Kör-
per der Leiste bilden, wandeln sich allmählich in abgeplattete Horn-
fasern um und bilden die sogenannte Rindensubstanz. Da, wo die
Rindensubstanz in die Marksubstanz übergeht, erkennen wir Über-
gangsformen, welche zeigen, dass die Markzellen stark modificirte
Hornzellen sind (s. Fig. 20). Die Modifikation besteht in einer be-
deutenden Größenzunahme des centralen Raumes, welcher in ver-
hornten Zellen den Kern enthält, zusammen mit einer Veränderung
in der Gestalt der Zelle.
Unterdessen sind die Intermediärzellen, welche die »Flügel« zu-
sammensetzen, immer tiefer und tiefer gerückt, was dadurch zu
Stande gebracht wird, dass die inneren Ränder jeder Zelle einwärts in
die Höhlung der Furche wachsen (s. Fig. 20). Der Kern behält
seine ursprüngliche Lage bei und scheint von jetzt an an dem äuße-
ren dickeren Rande der Zelle zu liegen. Während seines Wachs-
thums biegt sich der innere Rand allmählich um, so dass der durch
das Einwachsen gebildete Theil der Zelle schließlich auf der dem
Centrum des Federkeimes zugekehrten Seite konkav wird.
Diejenigen Zellen in jedem »Flügel«, welche dem Befestigungs-
punkt an dem »Körper« zunächst liegen, sind zuerst senkrecht zu
der Seite der Leiste gerichtet. Aber sie verändern allmählich ihre
Lage, bis schließlich jene Zellen, welche dem »Körper« zunächst
38*
590 H. R. Davies
liegen, mit der Seite der Leiste vollständig parallel sind. Diese
Lageveränderung scheint von einer Abplattung des inneren Leisten-
randes herzurühren. Hier muss auch erwähnt werden, dass einige
der Zellen am Außenrande jedes »Flügels« nicht, wie die übrigen,
sich verändern, sondern ihre frühere runde Gestalt behalten.
Während dieser Veränderung verlieren die in die Tiefe gewach-
senen abgeplatteten Zellen, welche die Flügel zusammensetzen, all-
mihlich ihre Verbindung unter einander; jede dieser Zellen entspricht
dem Querschnitt eines besonderen Nebenstrahles Die Zelle am
Befestigungspunkte jedes Flügels liegt am Grunde eines Neben-
strahles, wo derselbe sich mit dem Strahl vereinigt; dagegen liegen
die äußersten Zellen des Flügels, welche, wie bemerkt, rund bleiben,
an den Spitzen anderer Nebenstrahlen, die weiter unten in den
Strahl übergehen (s. Fig. 22, 23).
Fig. 24 stellt schematisch die Ausbreitung der Nebensttähllen
dar, wenn die Strahlen frei werden. Dagegen zeigt Fig. 25 einen
Strahl einer vollkommen entwickelten Feder!. Wir sehen jetzt, dass
die vertieften Zellen, welche den Basaltheil jedes Nebenstrahles zu-
sammensetzen, ein plattenartiges Gebilde darstellen, welches der
Luft Widerstand bieten soll; dagegen lassen die Zellen an der Spitze,
welche im Querschnitt rund aussehen, ein stiibchenartiges Gebilde
entstehen; dieses hat zur Aufgabe, sich mit den gleichartigen stäb-
chenförmigen Enden der Nebenstrahlen des anliegenden Strahles zu
verbinden und hierdurch die innige Verbindung herzustellen, welche
wir zwischen allen Theilen der Feder vorfinden. Wie diese stäb-
chenartigen Enden der Nebenstrahlen mit einander verbunden wer-
den, ist leicht zu erklären. Wie in Fig. 25 gezeigt, entwickeln die
Zellen an den äußeren Enden der Nebenstrahlen der vorderen Reihe
— das sind die gegen die Spitze der Feder gerichteten Nebenstrah-
len — abwärts gerichtete Fortsätze mit hakenförmigen Enden, die
sogenannten »Häkchen«. Wenn die Nebenstrahlen sich ausbreiten,
kreuzen die stiibchenartigen Enden jeder vorderen Reihe diejenigen
der hinteren Reihe des vorhergehenden Strahles in rechten Winkeln;
dabei gehen jene der vorderen Reihe über die der hinteren hinweg.
Die Häkchen der vorderen Reihe werden jetzt zwischen die stäb-
chenartigen häkchenfreien Enden der hinteren Reihe eingefügt und
! Meine Beobachtungen über die Entwicklung der definitiven Feder wur-
den hauptsächlich an den Schwungfedern von Kanarienvögeln gemacht. Die
früheren Entwicklungsstadien wurden aber auch bei der Taube beobachtet.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 591
umfassen diese. Auf diese Weise werden beide Reihen der Neben-
strahlen fest mit einander verbunden.
Die Zellen, welche Strahl und Nebenstrahl zusammensetzen,
wachsen, abgesehen davon, dass sie, wie wir eben gesehen haben,
ihre Form verändern, auf dieselbe Weise in die Länge, wie die Zellen
der Dunenstrahlen. Dieses Wachsthum der Aste scheint dadurch
bewerkstelligt zu werden, dass die Spitzen sich gegen einander
pressen und sich längs der ventralen Wand der Federscheide auf-
wärts erstrecken. Die Cylinderzellenlage erstreckt sich zwischen
die in Entwicklung begriffenen Leisten, bis sie die Federscheide er-
reicht und manchmal, aber nicht immer, scheint sie sich zwischen
die Leisten und die Federscheide auszudehnen wie bei der Dune.
Die Zellen, welche die Leisten und diejenigen, welche die Feder-
scheide bilden sollen, sind deutlich von einander verschieden, selbst
vor dem Beginne der Leistenbildung; und die Intermediärzellen der
in Entwicklung begriffenen Strahlen und Nebenstrahlen trennen sich
bald von denjenigen, welche die Federscheide bilden. Daher braucht
möglicherweise hier nicht wie bei der Dune die Cylinderzellenlage
sich zwischen jene Theile auszubreiten.
Nachdem wir den Entwicklungsgang in dem oberen Theil des
Federkeimes so weit verfolgt haben, wenden wir uns dem Wachs-
thum des ganzen Federkeimes zu. Dabei erinnern wir uns, dass
die Cylinderzellenlage auf ihrem oberen Ende eine Reihe von Horn-
kappen entstehen lässt, sobald die Pulpa sich von der fertigen
Dunenfeder zurückzog. Gegen das untere Ende der Dunenspule
werden eine oder zwei starke Hornquerwände gebildet, mehr oder
weniger fest mit den Wänden der Spule in Verbindung (s. Fig. 13, 14).
Unter der untersten dieser Querwände behält die Pulpa ihre Lage,
indem der Resorptionsprocess sistirt scheint. Jetzt beginnt das Auf-
wärtswachsen des definitiven Federkeimes.
Dieses geschieht zuerst bei den Schwungfedern einige Tage nach
dem Verlassen des Eies und die größeren Kontourfedern der ver-
schiedenen »Fluren« erscheinen nur ein wenig später. Wenn diese
definitiven Federkeime etwas in die Höhe gewachsen sind, sehen
sie wie Stacheln aus, wobei jeder Stachel auf seiner Spitze eine
Dunenfeder trägt.
Das Wachsthum des definitiven Federkeimes schreitet genau in
derselben Weise fort wie das Wachsthum der Dune, nämlich durch
Zellvermehrung an seinem Grunde; hierbei kombinirt sich eine Zell-
vermehrung der Epidermis mit dem Wachsthum des Federrohres und
592 H. R. Davies
eine gleichzeitige Zellvermehrung des Derma sorgt für das entspre-
chende Wachsthum der Pulpa (Papille). Aber so weit ich beob-
achten konnte, erreicht die Pulpa nie die volle Länge der definitiven
Feder, wie es bei der Dune der Fall ist!.
Wenn man von einem der oben erwähnten Stacheln, sobald er
eine Länge von etwa drei Zoll (bei der Taube) erreicht hat, die
Federscheide abstreift, welche seine äußere Wand bildet, dann kann
man sehen, dass die Pulpa nicht mehr bis zur Spitze reicht. Das
Innere dieser Spitze wird jetzt von ein oder zwei Hornkappen ein-
genommen von derselben Art wie die, welche wir bei der Dunen-
spule kennen lernten. Unter der untersten dieser Kappen finden
wir die Pulpa als einen, bei konservirten Objekten weißen Strang.
Von den obersten Theilen der Feder, da, wo die Verhornung aller
Theile vollendet ist, kann dieser Pulpastrang leicht abgelöst wer-
den, aber wenn wir sie weiter abwärts verfolgen, wird ihre Ver-
bindung mit den Theilen der Feder immer inniger. Sie kann manch-
mal von dem Federrohr in ihrer ganzen Länge abgezogen werden,
aber wenn das geschehen ist, ist die Cylinderzellenlage von den
Intermediärzellen getrennt und beide, Federrohr und Pulpa, sind
durch diesen Vorgang mehr oder weniger zerrissen worden.
Die Pulpa scheint also sich ziemlich bald von der Spitze der
Feder zu trennen, und den Process des Rückzuges und der Horn-
kappenbildung noch einmal zu beginnen. Das Gewebe der Pulpa
scheint an ihrem oberen Ende resorbirt zu werden, während es an
ihrem unteren noch aus in Vermehrung begriffenen Zellen zu-
sammengesetzt ist.
Während der Entwicklung der Strahlen und Nebenstrahlen neh-
men die Leisten an Dicke zu und in Folge dieser Zunahme werden
die zwischen den Leisten befindlichen, von der Pulpa eingenommenen
Räume entsprechend verkleinert und die Cylinderzellenlagen auf den
Seiten der benachbarten Leisten werden eng an einander gebracht.
Schließlich zieht sich, wie bei der Dune, die Cylinderzellenlage aus
dem Raum zwischen den vollendeten Strahlen zurück, lässt jedoch
hierbei eine Anzahl Zellen zurück (s. Fig. 20, 23). Hier möchte
1 Hingegen behauptet KLEE, dass es ihm gelungen sei, »ganze Federn
mit der ihrer Länge entsprechenden Pulpa zu konserviren«. Aber wie ich
schon in dem historischen Theil dieser Arbeit aus einander gesetzt habe, hat
KLEE eine ganz irrige Meinung von dem Verhalten des oberen Theiles der
Pulpa und scheint diesem Punkt nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt zu
haben.
DE ug
’
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 593
ich nieht unerwähnt lassen, dass zu dieser Zeit die Cylinderzellen
bei der definitiven Feder viel zahlreicher sind als bei der Dune.
Das mag damit zusammenhängen, dass die hornigen Gebilde, welche
diese Zellen hervorbringen, über der sich zurückziehenden Pulpa bei
der definitiven Feder eine viel wichtigere Rolle spielen und viel
stärker gebaut sind als bei der Dunenfeder.
Die durch die Cylinderzellenlage! zwischen den Strahlen zurück-
gelassenen Zellen verhornen allmählich und lassen eine Reihe von
Hornscheidewänden entstehen. Diese Scheidewände sind locker mit
der Federscheide an ihren äußeren Enden verbunden und vereinigen
sich an ihren inneren Enden fest mit den Hornkappen, sobald letz-
tere gebildet werden.
Die Absorption des Pulpagewebes, die Zusammenziehung der
Cylinderzellenlage und die Bildung von Hornkappen auf der oberen
und äußeren Fläche der letzteren findet eben so statt, wie wir es
für die Dunenspule beschrieben haben. Jedoch die hornige Faser,
welche, wie wir sahen, die Spitzen der Hornkappen bei der Dunen-
spule mit einander verbindet, wird nicht mehr gebildet und diese
Gebilde sehen jetzt aus wie eine Reihe umgekehrter flachbodiger
Becher, die wenig über einander gestülpt sind. Das gestreifte Aus-
sehen der Wände dieser Becher scheint von den oben erwähnten
Scheidewänden herzurühren, welche ihnen immer anhaften ?.
Die Spitze der Feder ist jetzt vollständig, und bald beginnt die
Federscheide unmittelbar unter dem Grunde der Dune in Stücke zu
zerfallen. Dieses wird wahrscheinlich durch die Bewegung des Vo-
gels verursacht oder sogar direkt durch seinen Schnabel. Die Äste
breiten sich jetzt aus und die Hornkappen fallen ab. Die Dunen
jedoch behalten für einige Zeit ihre Lage bei, wegen ihres direkten
! Ich bezeichne die Cylinderzellenlage als diejenige Epidermiszellenlage,
welche sich unmittelbar der Pulpa anlegt. Die im Inneren der Feder ent-
standenen Horngebilde scheinen ganz aus Zellen zu bestehen, welche einen
Platz in dieser Lage besaßen, die aber in Folge der fortwährenden Zusammen-
ziehung der Lage von ihrem Platze verdrängt wurden. Dann verhalten sie
sich wie Intermediärzellen und verhornen.
2 Diese Scheidewände sind zweifellos die von F. Cuvier als »Cloissons
transversales« bezeichneten Gebilde. Seine »Membrane striée interne« muss
der Hornschicht entsprechen, welche die Wände der oben beschriebenen Becher
bildet. Wie oben erwähnt, scheinen die Cylinderzellen sich nicht immer zwi-
schen die Strahlen und die Federscheide auszudehnen. Auf der Ventralfläche
jedoch, d. h. um die Spitzen der Strahlen herum, wird oft eine Anzahl Zellen
in dieser Lage gefunden. Diese letzteren könnten dann der CuviEr'schen
»Membrane striee externe« entsprechen.
594 H. R. Davies
Zusammenhanges mit den obersten Asten. Auf einigen der unter
den größeren Federn liegenden definitiven Halbdunen können die
Erstlingsdunen noch gefunden werden, wenn die Taube einige Mo-
nate alt ist. So habe ich im Monat December drei verschiedene
Federn über einander gefunden, eine definitive Halbdune, die eine
Erstlingsdune auf ihrer Spitze trug und die selbst aus der Haut her-
vorgehoben wurde durch eine zweite im Wachsthum begriffene de-
finitive Feder.
Die Federscheide ist auf der Dorsalfläche der Feder, besonders
über dem Schaft, viel dieker als anderswo. Das rührt wahrschein-
lich davon her, dass die Dorsalfläche der in Entwicklung begriffenen
Feder die am meisten exponirte Fläche ist und dass die Federscheide
hier leichter zerrissen werden kann, bevor die eingeschlossene Feder
vollkommen entwickelt ist.
Wenn einmal das Abfallen der Hornscheide beginnt, so geht es
mit dem Wachsthum der Feder gleichmäßig fort. Obgleich also die
Hornscheide an ihrem Grunde in demselben Maße wie die Feder
selbst und während der ganzen Dauer des Federwachsthums wächst,
so fallen doch von nun an ihre Wände immer in einer gewissen
Höhe über der Haut in Stücke. Das rührt wahrscheinlich vom Ver-
trocknen her. Jedoch hat SAMUEL gezeigt, dass die Feder eines
Vogelflügels noch eingeschlossen in die Federscheide ihre volle Länge
erreichen kann, wenn die Nerven des Flügels durchschnitten und
der Flügel dadurch bewegungslos gemacht ist. Die Höhe, in wel-
cher die Federscheide normalerweise in Stücke zerfällt, ist bei den
verschiedenen Vögeln sehr verschieden; so z. B. fällt bei Steatornis
die Federscheide in der Höhe der Haut in Stücke und die Strahlen
der definitiven Feder scheinen direkt aus der Haut herauszuwachsen.
Wir verfolgen jetzt die Entwicklung des Schaftes nach seiner
Länge und beobachten, wie er in die Spule übergeht. Zunächst
kann auf Querschnitten die Leiste (oder die beiden verschmolzenen
Leisten), welche den oberen Theil des Schaftes bilden wird, von den
anderen Leisten unterschieden werden nur durch ihre etwas bedeuten-
dere Größe (s. Fig. 15). Bald jedoch gehen Veränderungen vor sich,
welche die Entwicklung dieses Gebildes etwas komplieirter machen.
Sobald der Schaft größer wird, kann er nicht mehr wie die
Strahlen durch bloße Theilung der Federkeimwände gebildet wer-
den. Die Cylinderzellen auf dem Theile des Federkeimes, wo der
Schaft in Bildung begriffen ist, vermehren sich fortwährend und
lassen immer neue Intermediärzellen entstehen, nachdem jede andere
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 595
Zellvermehrung auf dieser Höhe aufgehört hat. Wenn die tieferen
diekeren Theile des Schaftes in Bildung begriffen sind, können wir die
Cylinderzellen sich noch vermehren sehen, um die Ventralfläche des
Schaftes darzustellen in einer Höhe, in der die dorsale Schaftfläche und
die Strahlen bereits der Verhornung unterliegen (s. Fig. 20). Wie also
der Federkeim aufwärts wächst, bildet sich allmählich der Schaft als
eine Verdiekung auf seiner dorsalen Wand: und so wird die dorsale
Schaftfläche auf einer niedrigeren Höhe gebildet und befindet sich
immer auf einem vorgerückteren Entwicklungsstadium als die ventrale.
Die nächste Veränderung besteht darin, dass die Seiten des
Schaftes schneller und früher wachsen als der mittlere Theil und
auf diese Weise entstehen zwei Längserhebungen mit einer Ver-
tiefung dazwischen. Bald darauf wird der mittlere Theil ausgefüllt
und der Schaft bekommt seine abgerundete Gestalt. Eine weitere
Veränderung zeigt sich jedoch, indem der mittlere Theil nicht mehr
vollständig bis zur Höhe der Seiten ausgefüllt wird, sondern eine
kleine Vertiefung auf der ventralen Fläche des fertigen Schaftes zu-
rückbleibt. Dieses ist die sogenannte Hohlrinne, die in den unteren
Theilen des Schaftes tiefer und weiter wird.
Eine Vergleichung der Fig. 19, 20, 26 wird die Entwicklungs-
weise klar machen. Fig. 26 ist eine etwas schematische Darstel-
lung eines Federkeimes, der längs seiner Ventralfläche geöffnet ist
und dessen Pulpa entfernt ist. Wir sehen die beiden Seiten des
Schaftes auftreten und allmählich in die Tiefe und Dicke zunehmen
im Verhältnis, wie sie in die Höhe steigen. Schließlich wird der -
Raum zwischen ihnen ausgefüllt mit Ausnabme der verhältnismäßig
schmalen Hohlrinnengrube. Fig. 19 ist ein Querschnitt in der Höhe,
wo die Seiten des Schaftes sich zuerst zu entwickeln beginnen.
Fig. 20 stellt einen anderen Querschnitt durch denselben Federkeim
weiter oben dar, wo die Seiten vollständig entwickelt sind, wo aber
die centrale Masse der Markzellen noch nicht vollkommen ausge-
bildet ist. Die Cylinderzellen — und hier verdienen sie ihren Na-
men — welche den Schaft hervorbringen, lassen zuerst runde Inter-
mediärzellen entstehen und diese wandeln sich sekundär entweder
in Mark- oder in Rindensubstanzzellen um. Auf diese Weise wird
eine centrale Masse von Marksubstanz gebildet, die von allen Seiten
von Rindensubstanz eingeschlossen ist. Zu beachten ist, dass der
äußere Theil der dorsalen Schaftwand im Bau verschieden ist von
der übrigen Rindensubstanz. Die Zellen, welche sie zusammen-
setzen, lassen während des Verhornungsprocesses eine anscheinend
596 H. R. Davies
homogene strukturlose glasige Masse entstehen. Das ist die »Spina
calami« früherer Beobachter. Die übrige Rindensubstanz zeigt ein
mehr lockeres fibröses Aussehen.
Bevor wir in der Betrachtung der weiteren Veränderungen fort-
fahren, welche während der Entwicklung der tieferen Theile des
Schaftes auftreten, wollen wir einige Schnitte durch die basale Wachs-
thumsregion eines solchen Federkeimes untersuchen, wie er in Fig. 26
schematisch dargestellt wird.
Fig. 16 zeigt einen Schnitt in der Gegend des Umbilieus. Die
anscheinende Dicke der Wände rührt theilweise davon her, dass sie
hier schräg einwärts gegen den Umbilicus laufen und desshalb in
dem Querschnitt etwas schräg getroffen sind. Wir beobachten, dass
hier schmale aber zahlreiche Lederhautpapillen sich unregelmäßig
zwischen die Epidermiszellen erstrecken. Gehen wir weiter auf-
wärts, so verschwinden die Papillen und die Pulpa wird an allen
Seiten von der Fläche der Cylinderzellenlage eben begrenzt. Die
Leisten treten zuerst an den beiden Seiten des Federkeimes auf,
indem sie einen ventralen und dorsalen Raum frei lassen (s. Fig. 17).
Weiter aufwärts treten mehr und mehr Leisten auf, ventral und
dorsal, bis wir zu einer Höhe kommen, welche Fig. 18 darstellt,
wo die Leisten sich über den ganzen Umfang ausbreiten und hier
ist es, wo die erste Anlage des Schaftes auftritt. Der Grund,
wesshalb die Leisten zuerst auf den lateralen Wänden des Feder-
keimes angetroffen werden, scheint der zu sein, dass sie sich unten
- zuerst schnell und dann immer langsamer entfalten, jedenfalls nicht
so schnell als die Federkeimwände nach aufwärts wachsen. Somit
beschreibt die nach unten wachsende Basis jeder Leiste, ehe sie den
Schaft trifft, eine Kurve, wie in Fig. 26 dargestellt wird; und dess-
halb treffen wir, wenn wir eine Reihe von Querschnitten aufwärts
verfolgen, zuerst solche Leisten, welche nur die Hälfte ihrer vollen
Länge erreicht haben.
Eine Andeutung der Federfollikelhöhlung beobachten wir am An-
fange der Schnitte, nur weiter nach oben erscheint sie uns als ein Spalt
in der einheitlichen kontinuirlichen Schicht von verhornenden Zellen,
welche zwischen der Schleimschicht des Follikels und der Schleimschicht
der Feder liegen. Möglicherweise hat KLEE durch diesen Zusammen-
hang zwischen Feder und Follikel sich irre führen lassen, und so die
Schleimschichtlage des Follikels als eine Epitrichialschieht beschrieben
und abgebildet; das ist um so eher möglich als er dem Federfollikel
keine Aufmerksamkeit geschenkt zu haben scheint. Jedenfalls konnte
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 597
ich die Bildung einer Epitrichialschicht im Zusammenhang mit der
definitiven Feder nirgends beobachten. Wenn wir die Beziehung der
Federscheide zu den Wänden des Follikels betrachten, so sehen wir,
dass unmöglich die ganze Federscheide in eine Epitrichialhülle ein-
geschlossen sein kann. Die Federscheide der Dune hängt größtentheils
mit den äußersten Epidermislagen der Haut zusammen. Jedoch steht
sie theilweise mit denjenigen Hornzellen in Verbindung, welche die
äußerste Lage der Dunenspule bilden. Wenn wir diese letztgenannte
Lage weiter abwärts verfolgen, so finden wir, dass sie sich allmäh-
lich in Fasern zerlegt, welche auf die Seite des Follikels übergehen
und so kommt sie auch endlich mit den äußeren Epidermislagen der
Haut in Zusammenhang. Dasselbe geschieht im höheren oder ge-
ringeren Grade bei der Entwicklung der definitiven Feder, bis die
Bildung der Spule beginnt; mit anderen Worten, die äußersten Lagen
der Federscheide setzen sich allmählich in Fasern fort, welche auf
die Seite des Follikels übergehen. Wenn dann eine zweite Epitri-
chialschicht gebildet wäre, müssten wir erwarten, dass sie unter
den untersten der Dune angehörigen Lagen auftrete und dass sie an
einem gewissen Punkte auf den Federfollikel sich zurückschlage. Das
habe ich jedoch nie beobachten können.
Dass die Bildung jener zusammenhängenden Fasern während
der späteren Entwicklungsstadien ausbleibt, scheint daher zu kommen,
dass die wachsende Krempe jetzt ausschließlich die innerste der
drei Lagen hervorgehen lässt, d. h. nur Zellen, welche an der
Federbildung Theil nehmen, und ferner davon, dass die Federscheide
durch die äußersten dieser Zellen gebildet wird.
Wir kehren jetzt zur Betrachtung des Schaftes zurück. Ver-
folgen wir die Entwicklung seiner tieferen Theile, so beobachten wir,
dass er größer und breiter wird und dass ein immer größerer Theil
der Federkeimwände von ihm auf Kosten der Strahlen eingenommen
wird. Wir beobachten ferner, dass die Ausbildung der beiden
Seiten jener der centraleren Partien mehr und mehr vorangeht, bis sich
schließlich die zwei Seiten ventral treffen, ehe der mittlere Theil
ausgefüllt ist (s. Fig. 27 A). Hierdurch entsteht eine deutliche Furche
an der ventralen Hälfte des Schaftes. Diese ist jedoch in Wirklich-
keit durch Hornfasern eingenommen, welche durch die sich zurück-
ziehende Cylinderzellenlage gebildet wurden und ist ventral durch
den hornigen Überzug der ventralen Schaftfläche abgeschlossen.
In den tiefsten Theilen des Schaftes wird dieser Process immer
ausgeprägter und wenn wir uns der Spule nähern, wird die Pulpa
598 H. R. Davies
in zwei Theile getheilt durch die beiden Seiten des Schaftes, welche
sich in der Mittellinie treffen. Diese Seiten springen jetzt von den
Lateralwiinden des Federkeimes ab und der Querschnitt der Spina
calami erscheint jetzt als Halbkreis (s. Fig. 27). Die Vereinigung
dieser beiden Seiten des Schaftes findet natiirlicherweise von oben nach
unten statt und so wird die Pulpa entzwei geschnitten wie durch die
zwei sich einander niihernden Blitter einer Schere.
Wenn wir den Process noch weiter abwiirts verfolgen, finden wir,
dass die zwei Schenkel des Schaftes mehr und mehr ventral auf
den Federkeimwänden liegen und einen fortwährend zunehmenden
Theil der Pulpa einschließen. Fig. 27 C zeigt einen Schnitt un-
mittelbar über dem Beginn der Spule. Gerade darunter gehen die
wenigen zurückbleibenden, sogenannten Afterstrahlen, welche sich
nicht mit dem Schaft vereinigen, direkt in die Spule über. Von
nun an treffen sich die zwei Schenkel des Schaftes nicht mehr in
der Mittellinie, und in Folge dessen wird die Pulpa nicht mehr in
„wei Theile getheilt. Jedoch noch eine kurze Strecke können die zwei
Seiten des Schaftes abwärts verfolgt werden auf die ventro-lateralen
Wände der Spule, die sog. Markschenkel der Spule (s. Fig. 27D),
aber allmählich nehmen sie ab und verschwinden schließlich. Man
darf nicht meinen, dass die Spina calami der einzige Theil des
Schaftes sei, welcher direkt mit den Wänden der Spule zusammen-
hängt. Überall ist hier ein dünner horniger Überzug über die Innen-
fläche des Schaftes gebildet, d. h. auf der Fläche, welche der Pulpa
anliegt. Dieser überkleidet die innerhalb des Schaftes gebildete
Höhle und bedeckt auch seine Ventralfliiche. Mark- und Rinden-
substanz, welche die große Masse des Schaftes zusammensetzen,
werden bei der Spule nicht weiter entwickelt und dieser innere hor-
nige Überzug vereinigt sich mit der äußeren, homogenen, glasigen
Lage, welche oben die Spina calami bildete und jetzt einen voll-
ständigen Cylinder, den Calamus, darstellt. Eine Federscheide wird
nun nicht weiter gebildet', aber alle Intermediärzellen, welche in
diesem Theil auftreten, bilden zusammen einen starken, durchsich-
tigen Horneylinder. Auf diese Weise entsteht der basale Theil der
Feder, die Spule.
Beide Theile der Pulpa, der innerhalb des Schaftes und der
ventral zu ihm gelegene, ziehen sich nach unten zuriick und lassen
! Der Punkt, an welchem die Federscheide in Verbindung mit der Spule
tritt, ist immer an dem oberen Ende der Spule zu erkennen, wo der obere
Theil der Federscheide sich abgewandt hat.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 599
hornige Kappen entstehen; und ähnliche Gebilde werden innerhalb
der Spule gebildet und setzen die sogenannte Federseele zusammen.
Anfangs sind die Kappen, welche die Seele bilden, an die Wände
der Spule befestigt, aber nach einiger Zeit ziehen sie sich zusammen
und trennen sich von jenen Wänden. Gegen den Grund der Spule
hin gehen diese Kappen allmählich in starke, hornige Querscheide-
wände über, wie wir sie in der tieferen Partie der Dunenspule be-
obachtet haben und unter deren untersten bleibt die Pulpa zurück,
indem der Process der Zurückziehung und der Resorption aufhört!.
Das verjüngte Aussehen des Grundes der Dunenspule ist bloß
die Folge davon, dass der Federkeim ganz bis an seinen Grund
hinunter verhornt ist, und dass der Federkeimgrund, wie erwähnt,
von einem frühen Stadium der Entwicklung an verjüngt ist.
Unter der vollständig entwickelten Feder bleibt eine Cutis- oder
Hautpapille (d. h. eine aus Derma und Epidermis bestehende Pa-
pille) zurück. Diese verhält sich ruhig, bis zur Mauserzeit, wächst
dann anfwärts, lässt eine neue Feder entstehen und schiebt die alte
heraus (s. Fig. 28). Damit schließt die Entwicklung der definitiven
Feder.
3. Über die Aufeinanderfolge und räumliche Vertheilung der Federn.
Es wurde gezeigt, dass die Federn nach einander als die Pro-
dukte einer Anzahl von persistirenden Cutispapillen entstehen. Eine
jede solche Papille entsteht zuerst auf der Hautoberfläche und bildet
hier die Dunenfeder, bald darauf sinkt sie unter die Haut in einen
Federfollikel und lässt hier, vermuthlich während des ganzen Lebens
des Vogels, eine Folgereihe von definitiven Federn entstehen. Damit
tritt uns die Frage entgegen, ob alle definitiven Federn auf gleiche
Weise entstehen, d. h. Nachkommen der Dunenfedern seien, oder ob
sich Federn auch unabhängig von den Dunen bilden.
Man kann leicht zeigen, dass allen Schwungfedern, Steuerfedern
und den größeren Kontourfedern der verschiedenen Fluren, Dunen
vorangehen, da man sie alle mit einer Dunenfeder auf ihrer Spitze
aufsprießen sehen kann. Wenn ferner die Zahl der Dunenpapillen —
zu einer Zeit, wo sie zwar deutlich ausgeprägt, aber noch nicht so lang’
sind, dass sie nicht mehr leicht gezählt werden könnten — auf einem
bestimmten Hauttheil festgestellt werden, wie z. B. auf der dorsalen
1 In der Spule der definitiven Feder, wie in der Spule der Dunenfeder
hängen diese Kappen mit einander zusammen.
7
600 H. R. Davies
Halsfläche der Taube, so findet man, dass ihre Zahl annähernd der
der definitiven Federn entspricht, welche den entsprechenden Theil
der Haut bei der ausgewachsenen Taube einnehmen. Es scheint also
kaum zweifelhaft zu sein, dass alle Kontourfedern der verschiedenen
Federfluren die Nachfolger von Dunen sind. Dasselbe kann man
sagen von den oberen Deckfedern des Flügels, aber einige der un-
teren Deckfedern scheinen auf den ersten Blick von dieser allge-
meinen Regel eine Ausnahme zu bilden. In den zwei Reihen, welche
zunächst den Schwungfedern stehen, kann man bei jungen Nest-
lingen kleine Dunen an den Stellen wahrnehmen, die später von
jenen Deckfedern eingenommen werden. Aber diese Dunen fallen
gewöhnlich, wenn auch nicht immer, ab, ehe die nachfolgenden
definitiven Federn auftreten. Das ist jedoch leicht erklärlich und
deutet darauf hin, dass die Verbindung zwischen dem Grunde der
Dunen und der Spitze der definitiven Federn aufgehoben wird, ehe
das Aufwärtswachsen der letzteren beginnt. Somit wäre in diesem
Falle das Wachsthum der Feder verspätet oder besser gesagt, nicht
in demselben Maße wie sonst beschleunigt worden.
In der dritten Reihe der unteren Deckfedern sind die Dunen
entweder äußerst rudimentär oder werden augenscheinlich überhaupt
nicht gebildet; und längs der Stelle, auf der später eine vierte Reihe
von sehr kleinen Federn auftritt, kann man an den Nestlingen nie
eine Spur von Dunenfedern beobachten. Dennoch kann man die
Plätze der in Entwicklung begriffenen Federfollikel als kleine Flecke
angedeutet finden, wenn man die Haut sorgfältig mit einer Lupe
untersucht. Auch hier treten bei jungen Embryonen Dunenpapillen
auf, wie überall anderswo, nur später als über der übrigen Haut;
diese Papillen aber wachsen nur kurze Zeit; um dann in ihrer Ent-
wicklung inne zu halten. Wenn der Vogel ausgebrütet ist, gehen
diese rudimentären Papillen zu Grunde.
Fig. 29 zeigt einen Längsschnitt durch eine solche rudimentäre
Papille kurze Zeit vor dem Ausbrüten und durch die Einsenkung
an ihrem Grunde, welche den definitiven Federfollikel entstehen lässt.
Wir sehen somit die Papille aus einer soliden Zellmasse bestehen,
deren äußerste die Epitrichialschicht ist und ferner, dass das ganze
Gebilde mit den äußersten Epidermislagen der Haut zusammenhängt.
Es könnte scheinen, dass eine solche Papille zuerst auf die gewöhn-
liche Weise, aber langsam wachse, und dass ungefähr zu der Zeit,
da die Einsenkung am Grunde beginnt, die Pulpa anfängt, sich
zurückzuziehen. Die Cylinderzellenlage lässt dann eine solide Masse
j
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 601
von Epidermiszellen entstehen, welche das Innere der Papille aus-
füllen. An dem Halse des Follikels sind diese Zellen lockerer an-
geordnet und einige von ihnen zeigen Spuren von Degeneration.
Fig. 30 zeigt einen Schnitt in derselben Region bei einer Taube,
welche ungefähr vor S—10 Tagen ausgeschlüpft ist. Wir sehen,
dass die rudimentäre Papille zusammen mit den obersten Epidermis-
lagen, an welche sie befestigt war, abgeworfen worden ist und dass
die Pulpa sich an den Grund des Follikels zurückgezogen hat. Der
Follikel selbst ist auch länger als vorher und hat eine etwas spirale
oder korkzieherartige Gestalt gewonnen. Diese Korkziehergestalt
zusammen mit der Thatsache, dass die Schleimschichtzellen an dem
Halse des Follikels viel eylindrischer sind als anderswo, deutet viel-
leicht darauf hin, dass das Abwärtswachsen des Follikels von einer
Zellvermehrung der Schleimschichtin der Gegend seines Halses herrührt.
In ein oder zwei Fällen habe ich die Dunenpapillen noch rudi-
mentärer gesehen als die Fig. 29 darstellt, und in der That aus
nichts weiter bestehend, als einer Verdickung der oberen Epidermis-
lagen über dem in Entwicklung begriffenen definitiven Federfollikel.
Man kann sich desswegen leicht vorstellen, dass sie in einigen
Fällen vollständig verschwunden sind und dass die definitive Feder
ihren Ursprung in einer Einsenkung nimmt, an deren Stelle vorher
keine Dunenpapille war.
Wir können desshalb die Frage, ob alle definitiven Federn als
Nachkommen von Dunenfedern entstehen, mit Folgendem beant-
worten: Es ist augenscheinlich, dass alle größeren definitiven Federn
und die große Mehrzahl aller definitiven Federn als di-
rekte Nachkommen der Dunenfedern entstehen. Bei ge-
wissen Federn, welche erst beträchtliche Zeit nach dem Ausbrüten
auftreten, atrophirt die ihnen vorangehende Dune in größerem oder
geringerem Maße und es scheint wahrscheinlich, dass sie in einigen
Fällen vollständig atrophirt ist. Jedoch ist die Annahme berechtigt,
dass, wenn eine definitive Feder entsteht, ohne dass ihr eine Dunen-
feder voranging, dennoch eine Dune als Vorläufer bestanden habe.
So weit ich die Entwicklung der Fadenfedern beobachten
konnte, entstehen sie immer in Einsenkungen; auch gehen ihnen
nie Dunenpapillen voran; aber man scheint hier nicht bezweifeln zu
dürfen, dass auch ihnen einmal Dunenpapillen vorangingen, die nur
jetzt vollständig atrophirt sind. Wenn also die Dune auch nicht
immer der ontogenetische Vorläufer der Feder ist, so hat sie doch
als phylogenetischer Vorläufer zu gelten.
602 - H. R. Davies
Es dürfte hier angemessen sein, einige Worte zu sagen über
die Vertheilung der Dunenfedern auf der Hautoberfläche, da diese
Vertheilung eine unverkennbare Beziehung zeigt zu jener der defini-
tiven Federn. Gewöhnlich wird behauptet, dass die Dunenfedern
gleichmäßig über die Hautoberfläche vertheilt seien und somit eine
primitivere Anordnung zeigten, als sie bei dem definitiven Federkleid
gefunden wird. Aber das ist weder bei der Taube noch bei dem
Hühnchen der Fall.
Bei einem jungen Taubenembryo sind ungefähr am achten Tage
der Bebrütung alle Federfluren und Raine des ausgewachsenen Vo-
gels scharf angedeutet, sogar in ihren feineren Details. Wir sehen
eine gut ausgeprägte »Rückgratflur«, »Lendenflur«, »Schulterflur «,
»Schwanzflur«, »Flügelflur« und »Unterflur«, einen »Seitenhalsrain«
und einen »Rumpfseitenrain«. Auf der Ventralfläche sind die Pa-
pillen für einige Zeit kleiner als auf der Dorsalfläche, aber auch
hier sehen wir einen »Unterrain« längs der ventralen Mittellinie im-
mer gut ausgeprägt. Die gewöhnlichen Raine sind auch unter den
Flügeln und Schenkeln vorhanden. In der Flügelflur sind die Pa-
pillen gut ausgeprägt, zuerst längs des postero-dorsalen Randes des
oberen Vorderarmendes, dann breiten sie sich nach unten längs dieser
Fläche aus und erscheinen schließlich längs des entsprechenden
Randes der metacarpalen Region. Von dem Vorderarmrande aus
verbreiten sich die Papillen allmählieh über seine Dorsalfläche.
Aber diejenigen, welche später auf seiner Ventralfläche erscheinen
und die wir oben erwähnt haben, treten zuletzt von allen Dunen-
papillen auf.
So viel ich beobachten konnte, wird eine Dunenfeder immer nur
da entwickelt, wo später eine definitive Feder auftritt. Wo große
definitive Federn später erscheinen, sind die Dunenfedern immer
gut entwickelt, wo dagegen kleinere definitive Federn, welche erst
spät auftreten, gebildet werden, da sind die Dunenfedern im größe-
ren oder geringeren Maße atrophirt. Man darf aber nicht annehmen,
dass die Reihenfolge, in welcher die Dunenpapillen auftreten, der-
jenigen genau entspricht, in welcher die definitiven Federn erscheinen
oder dass die Dunenfedern ganz entsprechend :so weit entwickelt
sind!, wie die definitiven Federn. Die Schwungfedern zum Beispiel
scheinen immer in der Gegend des Metacarpus fortgeschrittener zu
! Die Dunenpapillen treten, wie es scheint, zuerst in den Gegenden auf,
wo die Dunentedern am besten entwickelt sind.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 603
sein als in der des Vorderarmes, was also das Gegentheil von dem
ist, was wir bei den Dunen fanden; und die Dunenfedern sind im-
mer besser entwickelt da, wo sie den Schulter- und Lendenfluren
entsprechen, als in der Schwanzflur- oder in der Metacarpalgegend,
was also wieder das Gegentheil von dem Befunde des definitiven
Federkleides bildet.
Wir schließen die Besprechung dieses Gegenstandes, indem wir
sagen, dass das Dunenfederkleid in Vergleichung mit dem definitiven
Federkleid von geringer Wichtigkeit zu sein scheint, und dass dess-
halb die Stärke der Federpapille — und folglich die Größe der
Dune — in irgend einem Körpertheil sich im Allgemeinen auf die
Größe, welche die definitive Feder in diesem Theil erreicht, bezieht.
Einige Eigenheiten aber hat das Dunenkleid bei der Taube noch,
wie wir gesehen haben.
4. Über die Homologien der sogenannten Laufschuppen.
In Bezug auf die auf dem Lauf befindlichen Schuppen sagt
KERBERT: »dass die Schuppen, Schilder oder Schienen am Laufe
und an den Zehen der Vögel homolog seien mit den Schuppen der
Reptilien, war a priori zu erwarten«, und weiter zeigt er dann,
dass diese Gebilde sich in derselben Weise entwickeln wie Reptilien-
schuppen. Dem Umstand, dass Federn oft auf diesen Laufschuppen
sitzen, schenkt er keine Aufmerksamkeit. Aber wahrscheinlich würde
ihm das gar keine Schwierigkeiten bereitet haben, selbst wenn er
darauf geachtet hätte. Denn obgleich er Haare auf den Hornschup-
pen von Dasypus beobachtete, schließt er doch, dass diese Horn-
schuppen aus den Papillen hervorgehen, welche bei den meisten
Säugethieren Haare hervorgehen lassen. Dass aber hierin eine
- Schwierigkeit liegt, braucht man kaum zu begründen. Wenn die
Laufschuppen aus Papillen hervorgehen, welche homolog mit den-
jenigen Papillen sind, welche an anderen Theilen des Körpers Fe-
dern hervorgehen lassen, wie sollte es dann kommen können, dass
zwei solche Papillen auf einander liegen? Eine Untersuchung der
verschiedenen Beziehungen von Federn und Laufschuppen wird uns
zeigen, dass wir diese letzteren nicht ohne Weiteres als homolog mit
Reptilienschuppen ansehen dürfen.
Bei einer Taube, welche Federn auf ihrem Laufe besaß, fand
ich folgende Verhältnisse vor. Die vordere Lauffläche war dünn
mit kleinen Federn, ungefähr von der Länge von 1 cm, bekleidet
Morpholog. Jahrbuch. 15. 39
604 H. R. Davies
(s. Fig. 31). Auf jeder Seite war eine Reihe viel kleinerer und
meistens ganz rudimentärer Federn vorhanden, und hinter jeder die-
ser Reihen waren noch einige zerstreute Federrudimente zu sehen.
Auf der hinteren Lauffläche. fehlten sie. Als ich die Haut unter
diesen Federn untersuchte, fand ich sie in dem obersten Theil des
Laufes dünn und gerunzelt; weiter abwärts aber zeigte sich in der
leicht erhobenen Haut und um die Ansatzstelle jeder Feder eine
leichte Verdickung. Diese Verdickungen sind an der oberen Seite
der Ansatzstelle am meisten ausgeprägt und liegen so über dem in
die Haut eingesenkten Theil der Spule. Zuerst sind diese Ver-
diekungen klein und von einander durch Stücke dünner Haut ge-
trennt; ein wenig weiter unten aber sind sie längs der vorderen
Fläche groß, erhaben und in zwei unregelmäßigen Reihen ange-
ordnet. Jede Verdickung ist von der ihr benachbarten durch eine
schwache Rinne getrennt. Die Federn durchbrechen diese Ver-
diekungen nahe ihrem unteren Rande. Auf den Zehen finden wir
eine regelmäßigere Anordnung. Das obere Drittel der Cirkumferenz
jeder Zehe ist von einer einzigen Reihe breiter Hautverdickungen
bedeckt, welche die Form von Halbringen haben. Bei ausgestreckter
Zehe ragt das unterste Ende jeder dieser Verdickungen über das obere
Ende der distal zu ihr gelegenen, und so sehen dann diese Gebilde
wie Schuppen aus. Viele dieser Halbringe tragen nahe ihrem un-
teren Rande Federrudimente. Einige von ihnen sind durch Längs-
rinnen in zwei laterale Hälften getheilt, und hier und da finden wir
über eine kurze Strecke hin die Halbringe fehlend und an ihrer
Stelle zwei unregelmäßige Reihen von Verdickungen, so wie wir sie
auf der Vorderfläche des Laufes fanden, und jede von ihnen trägt
ein Federrudiment. Letztere Befunde scheinen zu zeigen, dass jeder
Halbring der Verschmelzung zweier lateraler Verdickungen seinen
Ursprung verdankt. An den Seiten und der Hinterfläche des Laufes
ist die Haut mit eng angeordneten, mehr oder weniger rundlichen
Verdickungen bedeckt, welche viel kleiner sind als die auf der
Vorderfläche befindlichen. Alle kleinen Federn und Federrudimente
aber, welche hier gefunden werden, stehen in derselben Beziehung
zu diesen Verdickungen, wie jene auf der Vorderfläche befindlichen.
Bei einer ein paar Wochen alten Nestlingtaube fand ich nahezu
dieselben Verhältnisse, wie ich sie eben beschrieben. Aber hier
bestanden sogar an der hinteren Lauffläche auf einigen der Ver-
dickungen Federrudimente. Außerdem fanden sich noch ziemlich ©
kleine, in Entwicklung begriffene Federn auf den Zehen. Hier
r:
'
«
|
+
~
+
i
:
5
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 605
waren keine Halbringe, wie man sie auf Fig. 31 sieht, sondern die
obere Fläche der Zehen trug, wie die Vorderfliiche des Laufes im
letzten Falle, zwei unregelmäßige Reihen von Verdickungen, deren
jede entweder von einer in Entwicklung begriffenen Feder durch-
brochen war oder nahe ihrem unteren Rande ein Federrudiment trug.
Manchmal bestand sowohl in diesem wie in dem letzten Fall das
Rudiment nur aus einer kaum wahrnehmbaren Erhebung, und manch-
- mal sogar blieb nur eine kleine runde Aushöhlung zurück, aus der
wohl diese Erhebung herausgefallen war. Fig. 32 zeigt einen
Längsschnitt durch eine der Hautverdickungen auf der oberen Fläche
der Zehen. Der Schnitt geht durch eine kleine in Entwicklung be-
griffene definitive Feder. Zwischen den abgerundeten Höckerchen
auf der unteren Fläche der Zehen und den starken Verdickungen
oder Halbringen auf der oberen Fläche befanden sich in diesen bei-
den Fällen eine oder zwei Reihen von kleineren Verdiekungen, auf
denen sich Federrudimente entwickelten. Diese Verdickungen sind
gewöhnlich weniger abgerundet und hervorragend als die Höcker-
chen, und manchmal besteht zwischen beiden eine deutliche Demar-
kationslinie. Manchmal dagegen ist es schwer zu sagen, wo die
Höckerchen aufhören und diese Verdickungen anfangen.
Bei einer ausgewachsenen Taube, welche keine Federn auf ihrem
Fuße trug, befanden sich vollkommen regelmäßige Halbringe sowohl
auf den Zehen, als auch auf der Vorderfläche des Laufes. Auf dem
Lauf aber griffen diese Halbringe nicht über einander, wie die auf den
Zehen befindlichen, sondern waren nur durch Rinnen von einander ge-
trennt. Einige der Halbringe des Laufes waren durch Längsfurchen
in zwei laterale Hälften getheilt, wie es bei den Halbringen an den
Zehen des erst beschriebenen Falles war, aber weder auf den Zehen,
noch auf dem Lauf trugen sie irgend welche Federrudimente. Aber
gerade über dem letzten erkennbaren Halbring zeigten einige der
kleinen hier gelegenen Federn leichte Verdiekungen rund um ihre
Ansatzstellen und einige sehr rudimentäre Federn waren auf einigen
Verdickungen an dem allerobersten Theil der Seiten des Laufes
zu sehen.
Die natiirliche Erklirung dieser Thatsachen scheint folgende zu
sein: Der Besitz von kleinen Federn auf dem Lauf und auf der
oberen Fläche und den Seiten der Zehen ist der primitive Zustand.
Diese Federn wurden zuerst rudimentär und begannen längs der
Seiten der Zehen und der hinteren Fläche und schließlich längs der
Seiten des Laufes zu verschwinden, während sie besser entwickelt
39*
606 H. R. Davies
und längere Zeit auf der oberen Fläche der Zehen und der Vorderfläche
des Laufes sich erhielten. Die vorhandenen Laufschuppen und Schilder
nahmen ihren Ursprung als Verdickungen der Haut rings um die An-
satzstellen dieser Federn, und die Halbringe auf den Zehen und dem
Lauf entstanden jeder durch die Verschmelzung von mindestens zwei
soleher Hautverdickungen.
Beim Taubenembryo mit Federfüßen werden die Erstlingsdunen
auf dem Lauf und den Zehen sehr gut entwickelt getroffen. Die
Hautverdiekungen treten rund um die Basis der Dunenpapillen auf,
so weit ich es beurtheilen konnte ungefähr zu derselben Zeit, wo
die Einsenkung beginnt. Die kleineren Verdickungen auf der hin-
teren Fläche des Laufes, wo keine oder nur sehr rudimentäre Dunen-
federn entwickelt werden, treten früher auf als die auf der vorderen
Fläche und desshalb manchmal früher als die rudimentären Dunen-
papillen, welche sie später tragen. Bei den Taubenembryonen, mit
unbefiederten Füßen erscheinen die Halbringe als opake Stellen in
der halb durchsichtigen Haut. Sie treten in einem früheren Stadium
auf als die Verdickungen, welche sich rund um Dunenpapillen bei
federfüßigen Tauben entwickeln. Zur Zeit wo diese Halbringe und
kleineren Verdickungen sich zuerst entwickeln, sind am Lauf und
an den Zehen keine Federpapillen sichtbar, aber bei frisch ausge-
brüteten Erstlingen derselben nicht federfüßigen Art kann man zahl-
reiche, sehr rudimentäre Dunenfedern finden. Auf einem längs der
Seite des Laufes gehenden Schnitt fand ich bei einem solchen
Erstling, dass fast jede Verdickung eine kleine Papille trug (s. Fig. 33).
Die Mehrzahl dieser Papillen war auf der Hautoberfläche nicht er-
kennbar; nur hier und da war eine sichtbar. Auf den Halbringen
fanden sich auch rudimentäre Papillen oder hier und da eine rudi- —
mentäre Feder, die aus drei oder vier kaum erkennbaren Strahlen
bestand. Die Mehrzahl dieser Papillen muss wieder verschwinden,
ohne dass sie je eine Feder haben entstehen lassen, aber einige von
den auf den Seiten des oberen Theiles des Laufes befindlichen können
rudimentäre Federn hervorgehen lassen, wie man deren bei dem er-
wachsenen Thier in dieser Gegend findet.
Diese Thatsachen scheinen mir im Ganzen die oben über den
Ursprung der Schuppen und Schilder auf dem Lauf aufgestellte An-
sicht zu bestätigen. Wir müssen annehmen, dass im Verhältnis wie —
die Verdickungen an Bedeutung gewannen, ihre Entwicklung in ent-
sprechend früherer Zeit beginnen musste und wir haben schon be-
2
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 607
obachtet, dass in dem Maße wie eine Dunenfeder mehr und mehr
rudimentär wird, so die sie erzeugende Papille in immer späterer
Zeit entsteht. Man müsste also in unserem Falle bestimmt erwarten,
dass vor der totalen Atrophirung der Federpapille eine Zeit bestehen
musste, wo die Hautverdiekung sich zuerst entwickelte und dann die
Federpapille, wenn auch genau über dem Punkt, wo die Papille sich
entwickelt, wahrscheinlich keine Verdickung der Epidermislagen
stattfindet.
Ich habe bei dem Hühnchen wie bei der Taube zwischen Lauf-
‘schuppen und rudimentären Federn dieselben Beziehungen gefunden.
Bei einer frisch ausgebrüteten Ente fand ich an der Übergangsstelle
zum Lauf rudimentäre Federn auf den abgeplatteten Höckerchen,
mit welchen der Lauf hier bedeckt ist (s. Fig. 34). An einem kleinen
' Hautstück von Dromaeus fand ich am Übergangspunkt ein Paar ru-
dimentärer Federn, welche in derselben Beziehung zu den Schuppen
zu stehen schienen, wie bei den oben erwähnten Beispielen. Bei
Struthio aber scheint die Runzelung der Haut am Übergangspunkt
allmählich in ein bestimmtes Muster sich anzuordnen und die kleinen
dadurch begrenzten Hautstücke sich zu verdicken, woraus dann die
kleinen Höckerchen, welche sich hier nach oben zwischen die Basen
der zerstreuten Federn erstrecken, entstanden sein mögen.
Wenn also Federn von Schuppen abgeleitet werden — was wir
im letzten Theil dieser Arbeit folgerichtig zu zeigen versuchen wol-
len —, so müssen wir es für sehr wahrscheinlich halten, dass alle
Schuppen auf dem Lauf und auf den oberen Seiten der Zehen der
Reptilienvögel in kleine Federn verwandelt wurden, wobei nur die
Höckerchen auf der unteren Fläche der Zehen ihre ursprüngliche
Gestalt behielten, und ferner, dass die sich jetzt auf dem Lauf und
den Zehen findenden Schuppen und Schilder sekundäre Gebilde sind,
welche in einigen Fällen als Verdickungen der Haut rund um die
Ansatzstellen von Federn entstanden, in anderen wahrscheinlich als
Verdickungen der Haut unabhängig von Federn. Manchmal ver-
schmelzen die halbringähnlichen Schuppen oder Schilder, um lange
Schienen zu bilden.
Wenn die Laufschuppen genau die Gestalt von Reptilienschup-
pen haben, muss ihre Entwicklung der der Reptilienschuppen mehr
oder weniger ähnlich oder gleich sein. Dass ferner die sekundär
‚gebildeten Höckerchen auf den Seiten der Zehen kaum oder über-
haupt nicht unterscheidbar sind von den primären Schuppen, darf
608 H. R. Davies
uns nicht überraschen, wenn wir bedenken, dass beides kleine Er-
hebungen der Haut und beide genau denselben Verhältnissen unter-
worfen sind!.
5. Die Entwicklung des Stachels.
Die auffallende Ähnlichkeit zwischen der Entwicklung des Sta-
chels und der der Feder und das ganz besonders mit Bezug auf
die Bildung der Längsleisten auf den Wänden beider, veranlassten
mich auf Professor GEGENBAUR’s Anregung hin, die Entwicklungs-
arten der beiden Gebilde einer eingehenden Vergleichung zu unter-
ziehen.
In der folgenden kurzen, aber wie ich glaube, doch genauen
Darstellung der Stachelentwicklung finden sich einige Abweichungen
von früheren Beschreibungen der Haarentwicklung. Da meine Zeit es
mir nicht erlaubt, auf eine Diskussion aller dieser Punkte einzu-
sehen, will ich mich damit begnügen, dieselben nur kurz zu be-
rühren.
An einem Igelembryo von 13—14 mm Länge kann man auf
der Rückenhaut zahlreiche weiße Flecke wahrnehmen, die an Deut-
lichkeit und auch an Größe verschieden sind. Genau betrachtet
sehen sie aus wie kleine, abgerundete, trübe Hervorragungen auf
der Hautoberfliche. Die Fig. 35, 36, 37 zeigen Vertikalschnitte
durch drei solcher Flecken und stellen drei auf einander folgende
Entwicklungsstadien dar.
In dem ersten Stadium (Fig. 35) erkennen wir eine kleine An-
sammlung von Dermazellen unmittelbar unter einer leichten Erhe-
bung der Epidermis: letztere besteht zu dieser Zeit aus einer Cy-
linderzellenlage, ein Paar Lagen von Intermediärzellen und einer
manchmal sehr deutlich ausgeprägten Epitrichialschicht. Wir haben
dann nichts Anderes vor uns, als eine sehr wenig ausgeprägte Haut-
papille. Das stimmt überein mit den Beschreibungen von REISSNER,
GÖTTE und FEIERTAG.
In dem zweiten Stadium (Fig. 36) baucht sich die Cylinder-
zellenlage leicht nach unten aus und hier ist zwischen dieser Lage
3
3
a
j
7
Em
7
;
! Bereits JEFFRIES hat die Meinung geäußert, dass die Laufschuppen, da
sie Federn tragen können, den Reptilienschuppen nicht als homolog betrachtet
werden dürfen. Ich kann auch seine Angabe, die der KERBERT’s gegeniiber-
steht, bestätigen, wenn er sagt, dass die äußersten Lagen der Laufschuppen
periodisch abfallen.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 609
und den ursprünglichen Intermediärzellen der Erhebung eine Anzahl
von Zellen gebildet, deren Protoplasma von Boraxkarmin schwächer
tingirt wird als das Protoplasma der Intermediärzellen über ihnen _
oder das der Cylinderzellen. In Folge dessen sehen diese Zellen
über der Cylinderzellenlage ähnlich den Dermazellen unmittelbar
unter dieser Lage. Diese Ähnliehkeit zusammen mit einer gewissen
Undeutlichkeit der Begrenzung!, welche die Cylinderzellen gerade
in diesem Stadium zeigen, führte wahrscheinlich Görre zu der Ver-
muthung, dass ein Theil der Dermazellen von den Cylinderzellen
eingeschlossen werde. Das ist bei dem Stachel sicherlich nicht der
Fall. Dagegen stimmt meine Darstellung im Wesentlichen mit der
FEIERTAG’s überein.
In dem dritten Stadium (Fig. 37) ist die Ausbauchung der Cy-
linderzellenlage nach unten und die gleichzeitige Bildung von blasse-
ren Intermediärzellen durch jene Lage weiter vorgeschritten, bis ein
solides Einwachsen der Epidermis nach unten in das Derma statt-
gefunden hat. Über der Einsenkung können wir noch die Epitri-
chialschicht und die Intermediärzellen der ursprünglichen Erhebung
erkennen, und unter der Einwachsung die Ansammlung der Derma-
zellen.
Was wir als das vierte Stadium betrachten können, ist in Fig. 38
dargestellt. Wie wir sehen, ist die Einsenkung noch bedeutend
tiefer geworden und ihr unteres Ende hat sich leicht einwärts ge-
baucht. Sie besteht noch aus einer äußeren Cylinderzellenlage und
einer inneren Masse von schwach gefärbten Intermediärzellen; aber
unten, wo der Grund sich einwärts baucht, hat die Cylinderzellen-
lage vier oder fünf Reihen eng zusammengehäufter, tief gefärbter
Zellen entstehen lassen, deren oberste ein etwas abgeplattetes ge-
strecktes Aussehen gewonnen hat. Die Ansammlung der Derma-
zellen liegt in der Höhlung, welche am Grunde der Einsenkung ge-
bildet wird, und sie ist jetzt deutlich als die Dermapapille des in
Entwicklung begriffenen Stachels zu erkennen. Andere Dermazellen
haben angefangen, sich rings um die basale Hälfte der Einsenkung
! Sobald die Cylinderzellenlage sich nach abwärts zurückzieht in die Ein-
senkung am Grunde einer atrophirenden Dunenpapille, ist sie gleichfalls häufig
sehr undeutlich in ihrer Begrenzung. Sie wird dann deutlicher, wenn sie auf-
hört, sich nach unten zurückzuziehen und wenn sie den Federkeim der defini-
tiven Feder zu bilden anfängt. Diese zeitweilige Undeutlichkeit kann mit der
Zelldegeneration in Verbindung gebracht werden, welche bald darauf in beiden
Fällen eintritt.
610 H. R. Davies
anzuordnen und schließen die Pulpa unten ein. Das ist der Beginn
des Dermatheiles des zukünftigen Follikels. Der verdickte einwärts
gebauchte Boden ist die erste Andeutung des Haarkeimes, von dem
aus der Stachel entwickelt wird.
In dem nächsten, dem fünften Stadium (s. Fig. 39) sehen wir,
dass der Haarkeim sich bedeutend vergrößert hat und ein mehr
oder weniger ovales oder konisches Gebilde mit einer scharfen Spitze
darstellt. Die ganze Einwachsung ist breiter und tiefer geworden
als früher und ihre untere Hälfte, welche den in Entwicklung be-
griffenen Stachel enthält, ist viel dieker als ihre obere Hälfte, in
welche der Stachel nicht hineinreicht. An dieser oberen Hälfte
bemerken wir in den am meisten central geiegenen Intermediärzellen
vor sich gegangene Veränderungen., Dunkel gefärbte Flecke treten
im Protoplasma dieser Zellen auf und nehmen ungeheuer rasch an
Zahl und Größe zu. Bald sind die Umrisse dieser Zellen nicht mehr
deutlich unterscheidbar und die centrale Achse des oberen Theiles
der Einsenkung scheint aus einer Masse dunkel gefärbter Kérnchen
oder Kügelchen zu bestehen. Längs des centralen Theiles dieser
dunkel gefärbten Achse erscheint zunächst ein Raum, welcher sich
unmittelbar unter den äußeren zuerst gebildeten Epidermislagen nach
unten erstreckt, bis er die Spitze des in Entwicklung begriffenen
Haarkeimes umschließt. Wir haben es zwar hier zweifellos mit
degenerirenden Zellen zu thun; jedoch konnte ich beim Stachel die
großen Fettkiigelchen nicht beobachten, welehe GörtE bei den in
Entwicklung begriffenen Haaren des Schafembryo beschrieben hat.
Solche Gebilde können sich ja auch während der Behandlung der
Gewebe von dem oben beschriebenen centralen Raum losgelöst
haben. |
In dem oberen Theil der Einsenkung bilden die Cylinderzellen
noch eine deutlich ausgeprägte quere Lage. Ihre hohe cylindrische
Form scheint auf starken Druck zu deuten, mit dem sie sich eng auf
einander pressen, so, dass sie hier in einer seitlichen Vermehrung
innerhalb ihrer eigenen Lage begriffen scheinen. Auch die unregel-
mäßige Art und Weise, in welcher die Einsenkung sich krümmt und
biegt, scheint darauf hinzuweisen, dass in ihren oberen Theilen ein
Wachsthumsvorgang stattfindet. Gehen wir weiter abwärts, so finden
wir, dass die Intermediärzellen zwischen der Cylinderzellenschicht
und dem Haarkeim fortwährend an Zahl abnehmen, bis schließlich
die Cylinderzellenschicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem
basalen Theil des in Entwicklung begriffenen Stachels liegt.
en
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 611
Bei dem in Entwicklung begriffenen Stachel selbst finden wir zu-
nächst der Pulpa zuerst die Cylinderzellenlage und dann eine Anzahl
von Intermediärzellenlagen, deren Zahl an der Spitze größer ist als
an den Seiten. Die äußersten dieser Lagen bestehen aus einem Paar
von Reihen abgeplatteter Zellen, welehe schon in dem letzten Sta-
dium aufgetreten sind. Diese Zellen haben an Länge zugenommen,
sind in der Mittellinie gegen einander und in Folge dessen aufwärts
in den Raum gewachsen, der zwischen den degenerirenden Zellen
gebildet wurde; sie stellen jetzt die Spitzen des Haarkeimes dar.
Unter diesen abgeplatteten Zellen und scharf abgesetzt von ihnen
finden wir, besonders in der Gegend der Spitze eine zusammen-
hängende Reihe von enger angeordneten kubischen Zellen. Diese
bilden das Oberhäutchen des zukünftigen Stachels, und sind zu die-
ser Zeit leicht von den Intermediärzellenlagen zu unterscheiden,
welche zwischen ihnen und den Cylinderzellen des Haarkeimes liegen:
denn ihr Protoplasma lässt sich tiefer und gleichmäßiger färben als
das dieser letzteren. Diese letzteren Intermediärzellenlagen sind alle
einander ähnlich, sie liegen zwischen dem Oberhiutchen und der
Cylinderzellenlage und bilden die hornigen Wände des zukünftigen
Stachels. Die Lagen abgeplatteter Zellen, welche sich außerhalb
des Oberhäutchens befinden, nennen wir einstweilen Scheide.
Wenn wir die Scheide und das Oberhiiutchen weiter abwärts
verfolgen, so finden wir die sie zusammensetzenden Zellen allmählich
weniger deutlich unterscheidbar werden, bis an der Basis des Haarkeimes
der Raum zwischen der äußeren Cylinderzellenlage der Einsenkung
und der inneren Cylinderzellenlage des sich entwickelnden Stachels
von einer zusammenhängenden homogenen Masse von Intermediär-
zellen eingenommen wird. Wir haben hier thatsächlich eine Gegend, die
in allen Beziehungen derjenigen an der Basis der sich entwickelnden
Feder entspricht, welche wir die wachsende Krempe genannt haben.
Die Pulpazellen liegen jetzt vollständig innerhalb des Haarkeimes
und haben auch bedeutend an Zahl zugenommen, entsprechend der
Größenzunahme der Pulpahöhle. Der Dermatheil des Follikels hat
sich ebenfalls viel besser entwickelt als das im letzten Stadium
der Fall war!. Die Hauptrolle in der Entwicklung des Stachels
spielt von jetzt an ein Abwärtswachsen der Gegend der wachsenden
Krempe und die Differenzirung der Zellen in die verschiedenen oben
1 Eine homogene Grenzschicht habe ich bei dem sich entwickelnden Stachel
nicht beobachten können.
612 H. R. Davies
erwähnten Zelllagen, welche, während dieses Wachsthums produeirt
werden. Auf diese Weise nehmen der Stachelkeim, die Pulpa-
höhlung und jene äußeren Lagen der Einsenkung, welche Theile des
Follikels bilden, gleichzeitig an Länge zu, nach derselben Art, wie
wir sie bereits in frühen Stadien der Entwicklung der definitiven
Feder gefunden haben.
Zu derselben Zeit nehmen die Zellen, welche die oberen Theile
des Stachels zusammensetzen, an Länge zu, und beginnen zu ver-
hornen. Jedoch trotz des bedeutenden Längenwachsthums dieser
Zellen rückt die Spitze des Stachels, wenigstens für einige Zeit,
der Hautoberfläche nicht merklich näher. Das scheint ein weiterer
Beweis dafür zu sein, dass die Ausdehnung der Einsenkung nach ab-
wärts noch befördert wird durch eine Zellvermehrung in den oberen
Gegenden ihrer Seiten.
Die am meisten central gelegenen ursprünglichen Intermediär-
zellen der Einsenkung, welche nicht degenerirt sind — denn die De-
generation ist auf jene Zellen beschränkt, die ganz im Centrum der
Masse liegen —, beginnen in die Länge zu wachsen, und wenn wir
diese Zellen abwärts auf ihren Verlauf verfolgen, kommen wir schließ-
lich an einen Punkt, wo sie nicht mehr deutlich von denen der
Scheide zu unterscheiden sind!. Die Gestalt jedoch und das Aus-
sehen, welches die Zellen der Scheide sehr bald annehmen, lassen
sie leicht von allen anderen Zellen der Einsenkung unterscheiden.
Nachdem wir die Grundzüge des Weiterganges der Entwicklung
angegeben haben, gehen wir zu dem in Fig. 40 dargestellten sech-
sten Stadium. Die feine und scharfe Spitze des Stachels behält ihre
Lage, ungefähr in der Höhe der Talgdrüsen bei. Die Scheide, welche
1 Bei einigen größeren Igelhaaren erreicht die Einsenkung eine viel größere
Tiefe, bevor die Entwicklung des Haarkeimes beginnt. Ich habe hier weder
die Zelldegeneration noch die Bildung eines centralen Raumes, wie er oben
beschrieben wurde, beobachten Können; aber die Enge des Halses der Ein-
senkung lässt annehmen, dass möglicherweise dieser Raum, sobald er gebildet
ist, durch den gegenseitigen Druck an seinen Seiten wieder aufgehoben wird.
Manchmal finden wir im Centrum der Einsenkung eine Achse von längs ange-
ordneten lang ausgezogenen Zellen. Wenn wir diese weiter abwärts verfolgen,
so gehen sie augenscheinlich immer auf die Seite des sich entwickelnden Haar-
keimes über; sie entsprechen zweifellos den oben beim Stachel beschriebenen
Zellen, welche zunächst dem centralen Raum liegen. Es scheint möglich, dass
in einigen Fällen diese Zellen so langgestreckt werden, noch ehe der Haarkeim
auftritt. Das könnte einigermaßen zur Erklärung der Angaben KÖLLIKER’s
und FEIERTAG’s dienen (s. unten).
a rue ”
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 613
in ihren oberen Theilen aus zwei oder drei Lagen langer, glasartiger
Zellen besteht, die meistens einen deutlichen Kern besitzen, erreicht
eine etwas größere Höhe. Ihre Zellen sind aufwärts bis zu der Off-
nung der obersten und am weitesten entwickelten Talgdrüsen ver-
folgbar.
Oberhalb der Talgdriisen haben die am meisten central gelege-
nen Intermediärzellen hornige Lagen entstehen lassen, welche mit
den tieferen hornigen Lagen der Haut zusammenhängen; dagegen
stehen die übrigen Zellen dieser Region mit der Schleimschicht der
Haut in Zusammenhang. Die oberen, zuerst gebildeten hornigen Lagen
der Haut verlaufen noch ununterbrochen quer über die Mündung des
Follikels. Unterhalb der Talgdrüsen kommen keine einfachen hor-
nigen Lagen vor, die denen der Haut ähnlich wären. Außerhalb der
Scheide finden wir als Zusatz zu der Cylinderzellenlage ein Paar
Lagen aus mehr oder weniger abgeplatteten Intermediärzellen; aber
weiter abwärts verschwinden letztere und die aus abgeplatteten
Zellen bestehende Cylinderzellenlage kommt in unmittelbare Berüh-
rung mit der Scheide.
Am Stachel selbst finden wir den oberen Theil mit seinem feinen
Ende vollständig verhornt, ferner die Pulpa der Spitze nicht mehr so
nahe als früher, und endlich den früher von dem oberen Ende der Pulpa
eingenommenen Raum jetzt von Markzellen ausgefüllt. Auf die Bil-
dung der inneren Theile des Stachels später zuriickkommend, unter-
suchen wir jetzt die Bildung und den Bau der Scheide, sowie Be-
ziehung zu dem Stachel und den äußeren Lagen des Follikels.
Fig. 41 zeigt einen Längsschnitt durch die Gegend der wachsen-
den Krempe eines Stachels ungefähr in demselben Entwicklungs-
stadium, wie es Fig. 40 zeigt. Man muss sich, um die Entwicklung
und die Beziehungen der Scheide richtig verstehen zu können, klar
machen, dass die wachsende Krempe sich fortwährend nach abwärts
fortsetzt und dass sie dann eine homogene Masse von Intermediär-
zellen entstehen lässt. deren Mehrzahl sich bald darauf in die hor-
nigen Fasern des Stachels differenzirt, während die übrigen die
Zellen der Scheide entstehen lassen. Unter denjenigen, welche die
Wände des Stachels bilden, unterscheiden sich die das Oberhäutchen
zusammensetzenden Zellen bald von den übrigen durch ihre be-
deutendere Größe. Unmittelbar nach außen vom Oberhiutchen und
ihm eng anliegend, befindet sich eine einfache Lage von schmalen,
langgestreckten Zellen. Diese sind deutlicher auf Querschnitten zu
erkennen (s. Fig. 43) und scheinen vielmehr zu dem Stachel als zu
614 H. R. Davies
der Scheide zu gehören!. Diese Zellen habe ich nur in diesem Sta-
dium beobachtet.
Die Scheide entsteht aus den drei äußersten Schichten der Inter-
mediärzellen, die sich von der wachsenden Krempe ableiten. Wenn
wir Fig. 41 betrachten, so sehen wir, dass eine Strecke weit alle
an der Krempe produzirten Zellen ziemlich gleichmäßig an Länge
zunehmen. Die Cylinderzellen des Follikels aber werden bald zahlreich
in Vergleichung mit den Zellen der Scheide, was wir als Beweis da-
fiir ansehen, dass eine Vermehrung dieser Zellen auf den Seiten des
Follikels stattfindet, ein Umstand, den zu vermuthen wir bereits Grund
gehabt hatten?.
In größerer Höhe als sie Fig. 41 darstellt (s. Fig. 44), treten
Intermediärzellen zwischen der Cylinderzellenlage des Follikels und
den Zellen der Scheide auf. Sie werden offenbar durch die ersteren
gebildet. Die äußersten der Scheidenzellen bleiben in Verbindung
mit denjenigen Zellen der Cylinderzellenlage des Follikels, welche
gleichzeitig mit ihnen auf der wachsenden Krempe produeirt wurden,
oder in Verbindung mit den sekundär durch diese Cylinderzellen
produeirten Intermediärzellen. Dagegen werden die innersten, wenn
wir sie weiter aufwärts verfolgen, immer mehr und mehr scharf
von den Zellen des Oberhäutchens abgesetzt. Wenn sie an Länge
zunehmen, ordnen sich diese Scheidenzellen in unregelmäßig ver-
bundene, längs verlaufende Fasern (s. Fig. 45), oder besser gesagt,
in unregelmäßigen koncentrischen Lamellen rings um den Stachel,
welche auf Längsschnitten wie Fasern aussehen. Dabei wird ihre
Anordnung in drei Lagen durchaus nicht gestört. Die äußerste dieser
drei Lagen, die sogenannte HENLE’sche Schicht der inneren Wurzel-
scheide, unterscheidet sich immer, ausgenommen in der Gegend der
wachsenden Krempe, im Aussehen von den beiden inneren, welche
die sogenannte Huxtey'sche Schicht bilden. An den unteren Theilen
des in Entwicklung begriffenen Stachels sind die Zellen der Hux-
Ley’schen Schicht sehr granulirt (s. Fig. 43), aber wenn wir
aufwärts gegen die Region der Talgdrüsen gehen, werden sie klar
und glasig und ihr Kern wird deutlich. Die Zellen der HENLE-
schen Schicht färben sich im Allgemeinen — wenn auch nicht in
allen Höhen — dunkler als diejenigen der Huxrer’schen Schicht;
;
9
1 Sie entsprechen aber denjenigen Zellen, welche UNNA in seiner Fig. 10
als ye Mutterzellen der Wurzelscheidencuticula bezeichnet.
2 Eine solehe Vermehrung dient hier offenbar dem Zweck, zu verhindern,
dass die Spitze des starken Stachels vor der Geburt über die Haut hervorragt-
=
’
i
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 61 5
sie sind aber selten granulirt. Ihre Kerne sind, in der Nachbarschaft
der Talgdrüsen wenigstens, länger im Verhältnis zur Länge der
Zellen als die Kerne der Zellen der Huxtey'schen Schicht!. In allen
späteren Stadien als in den in Fig. 40 dargestellten hören die Zellen
der inneren Wurzelscheide plötzlich in der Höhe der untersten Talg-
drüsen auf.
Wenn die oberen Theile des Stachels yollständig verhornt sind,
verschmelzen die Zellen der Huxrey’schen Schicht in einen den
Stachel unmittelbar umgebenden hornigen Cylinder. Die Zellen der
Hente’schen Schicht aber behalten ihre Anordnung in mehr oder
weniger freien longitudinalen (oder vielleicht schwach spiralig ver-
laufenden) Fasern (s. Fig. 46). Im nächsten oder siebenten Stadium
(s. Fig. 48) hat der sich entwickelnde Stachel eine viel größere
Länge erreicht, und seine Spitze reicht jetzt bis zur Mündung des
Follikels. Sein feines, biegsames Ende durchbohrt aber gewöhnlich
nicht die hornigen Lagen, welche noch das obere Ende des Follikels
überdecken, sondern es rollt sich innerhalb des Halses desselben auf.
Die innere Wurzelscheide endigt jetzt in der Höhe der Talgdrüsen.
Über das Schicksal des oberen Theiles der Scheide, welcher die
Spitze des Stachels einschloss, kann ich nichts Bestimmtes sagen.
Da der Stachel ein kontinuirliches Ganze bildet und die Längenzunahme
jeder Zelle zum Längenwachsthum des Ganzen beiträgt, so scheint
es möglich, dass die Spitze des Stachels einfach die obere Portion
der Scheide durchbrach, welche dann im Halse des Follikels zerfiel.
Wir treffen aber in den tieferen Theilen der Scheide die innere Wurzel-
scheide des Follikels mit den beiden vorhin beschriebenen Schichten.
Unmittelbar unter den Talgdrüsen ist die äußere Wurzelscheide aus
zwei oder drei Lagen von Intermediärzellen und aus der Cylinder-
zellenlage zusammengesetzt. Weiter unten nimmt die Zahl der
Intermediärzellen ab und nahe der Basis besteht die äußere Wurzel-
scheide nur aus der Cylinderzellenlage. Über den Talgdrüsen wer-
den die Wände des Follikels nur von der äußeren Wurzelscheide
1 Es giebt Erscheinungen, welche darauf hindeuten, dass von der Schleim-
schicht des Follikels der HenLE’schen Schicht zugesetzt werden kann, und ich
war manchmal versucht zu glauben, dass die HENLE’sche Schicht vielmehr zu
dem Follikel gerechnet werden sollte als zu dem Haarkeim. Es ist gut, sich
an die Verbindung zu erinnern, welche wir zwischen den Zellen der Feder-
scheide und den Zellen. der Schleimschicht des Follikels beobachtet haben.
Alle Schnitte durch in Entwicklung begriffene Stacheln, von denen Zeich-
nungen gegeben sind, wurden mit Boraxkarmin gefärbt.
616 H. R. Davies
gebildet, aber die Zahl der Intermediärzellenlagen ist bedeutend
größer. An ihren oberen Enden gehen diese Wände kontinuirlich
in die Epidermislagen der Haut über.
Die oberen Theile des Stachels scheinen sich von jetzt an durch
den Horneylinder der Huxtey’schen Schicht durchzuschieben. Wenn
die Entwicklung dieser Theile in allen Haaren in der gleichen Weise
stattfindet, dann ist wahrscheinlich, dass bei denjenigen, welche
während einer langen Zeit von der Basis des Follikels fortwährend
aufwärts wachsen, neue Zellen nur an der Basis des Schaftes ge-
bildet werden, während der inneren oder äußeren Wurzelscheide
nichts zugesetzt wird. Die oberen Enden der über einander greifen-
den Oberhäutchenzellen sind abgerundet und jede ist je der nächst
oberen eng angeschlossen (s. Fig. 47). Diese Zellen würden daher
einer solehen Aufwärtsbewegung keinen Widerstand bieten. Auch
die Sekrete der Talgdrüsen können dazu dienen, die Oberflächen
der Scheide und des Stachels schlüpfrig zu machen.
Bei dem Stachel findet diese Aufwärtsbewegung durch den Horn-
cylinder nur in sehr beschränkter Ausdehnung statt. Die Ausdeh-
nung der wachsenden Krempe nach unten dauert fort, bis alle Zellen,
welche den Stachel zusammensetzen, gebildet sind. Wenn man
einen Igelembryo vor der Geburt beobachtet, so findet man die Haut
seines Rückens in eine Reihe von »Wülsten« aufgeworfen, deren
einige die feinen Spitzen der Stacheln, welche darunter liegen, ber-
vordringen lassen. Diese Stacheln sind schief rückwärts gerichtet,
an Größe denen gleich, welche ein junger, wenige Tage alter Igel
besitzt. Sie haben eine Länge von 11—12 mm.
Unmittelbar nach der Geburt werden diese Stacheln aus ihren
Follikeln nach oben gehoben!. Nur das verdickte untere Ende oder
die Zwiebel des Stachels bleibt jetzt unter der Haut zurück. Wahr-
scheinlich wird die hornige innere Wurzelscheide größtentheils aus
dem Follikel herausgepresst und geht zu Grunde. Doch habe ich
den Follikel in diesem Stadium nicht studirt, kann also nichts Be-
Stimmtes über seine Lage aussagen.
Die zuerst gebildeten Stacheln sind pigmentfrei und besitzen
dünnere Wände als die späteren. Diese späteren treten aber sehr
bald nach der Geburt auf und der junge Igel trägt dann eine Be-
! Nach Lworr wird dies durch die elastischen Fasern des Balges verur-
sacht. Die starken Musculi arrectores ‚sind dagegen zu dieser Zeit gut ent-
wickelt, und es scheint wahrscheinlich, dass sie bei diesem Process eine Rolle
spielen.
u Zi a ua a u
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 617
deckung von schwarzen und weißen Stacheln auf seinem Rücken,
während der untere Theil seines Körpers noch nackt ist. Die dunkel
gefärbten stärkeren Stacheln nehmen ungeheuer rasch an Zahl zu.
und noch bevor der Igel die Hälfte seiner vollen Größe erreicht hat,
sind die kleineren weißen Stacheln verloren gegangen.
Ehe ich zu der Betrachtung der inneren Theile des Stachels
übergehe, will ich kurz die Hauptpunkte bezeichnen, in denen die
obige Beschreibung von den Darstellungen der Haarentwicklung, wie
sie KÖLLIKER, GÖTTE und FEIERTAG gaben, abweicht. Ich habe
bereits erwähnt, dass meine Beobachtungen mit denen REISSNER’s,
GÖTTE’s und FEIERTAG’s in dem Punkt übereinstimmen, dass wenig-
stens bei einigen Haaren das erste Entwicklungsstadium in der Bil-
dung einer warzenartigen Erhebung auf der Hautoberfläche besteht.
Ich will hier besonders darauf aufmerksam machen, dass das nur
bei der ersten Haarbildung im Embryo beobachtet worden ist!.
Was die Art und Weise betrifft, in welcher die Einsenkung ‘unter
der warzenartigen Erhebung entsteht, so stimmen meine Beobach-
tungen in der Hauptsache mit denen FEIERTAG's überein, sie wider-
sprechen der GörrE’schen Angabe, dass von Anfang an eine Anzahl
Dermazellen innerhalb der Basis der Epidermiseinsenkung einge-
schlossen sei. Dagegen stimme ich mit KÖLLIKER und FEIERTAG
darin überein, dass eine solide und manchmal flaschenförmige Ein-
senkung der Epidermis in das Derma gebildet werde. FEIERTAG
beobachtete auch die Ansammlung von Dermazellen unter der Basis
der Einsenkung von den frühesten Stadien an, wie ich sie in meiner
Darstellung beschrieben habe.
Bezüglich der Haaranlage selbst stehen meine Beobachtungen
am Stachel denen KÖLLIKER's entgegen, welcher »die Entstehung
der Haare gleich in ihrer ganzen Länge mit Spitze, Schaft und
Zwiebeln« durch eine Differenzirung der am meisten central ge-
legenen Zellen der Epidermiseinsenkung erfolgen lässt. Auch FEIER-
TAG’s Darstellung stimmt in diesen Punkten nicht mit den von mir
gemachten Beobachtungen überein. Er sagt: »Im Haarkeim (das
ist die Epidermiseinsenkung meiner Beschreibung) tritt unter fort-
währender Vermehrung der Zellen allmählich eine Scheidung ein in
1 Nach FEIERTAG werden nur bei dem ersten Haarkeime bei sehr jungen
Embryonen Höckerchen gebildet. Er sagt, dass »die Zahl der auf Cutishöcker-
chen sich bildenden Haarkeime im Vergleich zu den ohne Cutishöckerchen ent-
stehenden sehr gering ist«. FEIERTAG untersuchte Schafs- und Schweinsem-
bryonen.
618 H. R. Davies
einen centralen und einen peripheren Abschnitt. Die Differenzirung
wird eingeleitet durch ein allmähliches Längerwerden der Zellen des
centralen Theiles und wird mit einer Verhornung der äußersten
Schicht des centralen Theiles beschlossen. Die verhornten Zellen
bilden einen Kegelmantel, welcher den centralen Theil des Haar-
keimes von dem peripherischen Theil scheidet. Die Zellen des pe-
ripherischen Theiles liefern das Material zur äußeren Haarscheide ;
die Zellen des centralen Theiles liefern das Material für den Haar-
schaft und für die innere Haarscheide.« FEIERTAG sagt ferner:
»niemals ist die Papille bei der ersten Anlage des Haarkeimes sicht-*
bar«. Die Darstellungen und Zeichnungen beider, KOLLIKER’s und
FEIERTAG’s, zeigen, dass sie zuerst in dem Centrum der Einsenkung
undeutliche Anzeichen des sich entwickelnden Schaftes und der
inneren Scheide fanden, und dass nur später diese Theile deutlich
ausgeprägt wurden. Das führt mich zur Annahme, dass sie die
degenerirenden centralen Zellen oder die ausgezogenen Intermediär-
zellen, welche später einen Theil der äußeren Scheide bilden, für
den Schaft hielten. Meine Beobachtungen zeigen deutlich, dass keine
der vor dem Einwärtsdrängen der Pulpa in der Einsenkung vorhan-
denen Intermediärzellen einen Theil des Stachels oder der inneren
Wurzelscheide bilden !.
FEIERTAG fand, dass die Zeit, zu welcher die Papille auftritt,
nach den Thiergattungen außerordentlich verschieden ist. Auch beim
Igel ist dieses bei Haaren von verschiedener Größe der Fall. Aber
niemals habe ich vor dem Auftreten der Papille auch nur eine Spur
von Haaren gefunden.
Die Art und Weise der Entstehung des Haares über der vorher
gebildeten Papille finde ich in vollkommener Übereinstimmung mit
GörrtE’s Angaben. Dieser unterscheidet: »1) die beiden ursprüng-
lichen Lagen des Fortsatzes als Anlage der äußeren Scheide; 2) in-
nerhalb dieser die kegelförmige, von der Papille stammende Anlage
des Haares und der inneren Scheide.« G6rre machte diese Beob-
achtungen an Schafsembryonen, und desshalb widerspricht seine
Darstellung direkt der Frrerrae’s. GörrTE beschrieb auch in der
Achse des oberen Dritttheils der Anlage eine eigenthümliche Bildung
von‘mehreren runden Körperchen, welche wie Fett aussehen und in
1 Es wäre aber übereilt, anzunehmen, dass die Entwicklung aller Haare
genau der des Stachels gleicht, so dass ich nur auf die Verschiedenheit hin-
weise.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 619
einer Reihe hinter einander liegen. Er spricht von dieser Bildung
als »einem Vorläufer des eigentlichen Haares«, während ich mit der
von mir in dieser Gegend beobachteten Zelldegeneration Überein-
stimmung finden möchte.
Bezüglich der inneren und äußeren Wurzelscheide scheinen alle
Beobachter in der Hauptsache einig zu sein.
Wir wenden uns jetzt zur Entwicklung der inneren Theile des
Stachels. Der Stachel wächst während seiner frühesten Stadien von
der Pulpa aus aufwärts als ein solides Gebilde. Bald jedoch lassen
diejenigen Cylinderzellen, welche unmittelbar über der Spitze der
Pulpa liegen, entweder langsamer als die gegen die Seiten gelegenen
Zellen Intermediärzellen hervorgehen, oder hören für eine Zeit lang
überhaupt auf, Intermediärzellen zu produciren. Somit entsteht jetzt
eine schmale Verlängerung der Papille nach aufwärts in der Achse
des wachsenden Stachels. Diese Verlängerung der Papille nach auf-
wärts bekommt allmählich einen größeren Durchmesser in dem Maße,
als die Intermediärzellenproduktion mehr und mehr auf die Seiten
der Papille beschränkt wird; und schließlich, wenn diese Intermediär-
zellenproduktion vollständig in der Gegend der wachsenden Krempe
stattfindet, wächst der Stachel aufwärts! als ein eylindrisches Ge-
bilde, welches für die Papille eine weite Höhlung umschließt.
Bald nach dem ersten Auftreten der Verlängerung der Papille
entsteht rings um dieselbe auf den epidermalen Wänden des Stachel-
keimes eine Reihe von Längsleisten (s. Fig. 43). In dem Maße,
als der Stachel wächst, als die Verlängerung der Papille nach oben
an Größe zunimmt, und die epidermalen Wände des Stachels an
Dicke abnehmen, werden die Fortsetzungen dieser Falten nach unten
immer bedeutender. Ihre Entstehungsweise gleicht ganz genau der-
jenigen der Leisten beim definitiven Federkeim. Wenn die Wände
des Stachelkeimes eine bestimmte Dicke erreicht haben, tritt längs
ihrer Innenfläche eine Reihe von longitudinalen Rinnen auf, und
diese nehmen an Tiefe zu, bis die innere Hälfte der Dicke dieser
Wände in eine Anzahl paralleler Leisten getheilt ist. Einen Durch-
schnitt nahe der Basis eines in Entwicklung begriffenen Stachels
(s. Fig. 42) gerade da, wo diese Leisten sich bilden, kann man
kaum unterscheiden von einem solchen durch die Basis eines Feder-
1 Ich spreche so der Kürze halber von dem Aufwärtswachsen des Stachels.
In Wirklichkeit wächst ja der Stachel nicht aufwärts, sondern seine Basis
wächst abwärts, wie schon früher aus einander gesetzt wurde.
Morphoiog. Jahrbuch. 15. 40
620 H. R. Davies
keimes. Die Ähnlichkeit verschwindet aber bald, indem diese Leisten
bei dem Stachel sehr rasch gegen die Papille einwärts wachsen, sie
in eine Anzahl tiefer longitudinaler Abschnitte theilen und nur eine
kleine centrale Partie ungetheilt lassen (s. Fig. 49).
Mit beginnender Verhornung entstehen innerhalb dieser Leisten
hornige Lamellen, die mit der Rindenschicht zusammenhängen. Aber
diese Lamellen reichen niemals bis an die inneren Kanten der Lei-
sten, die nach der Verhornung der Lamellen fortfahren, gegen die
Längsachse einwärts zu wachsen.
Nach einiger Zeit treffen sich die freien inneren Kanten der
Leisten und verschmelzen in der Mittellinie unter einander (s. Fig. 50):
und so finden wir denn in diesem Stadium eine centrale Masse von
Intermediärzellen, welche Masse durch radiär verlaufende Züge (wie
sie im Querschnitt aussehen) sich in die Lamellen peripherisch fort-
setzt. Zwischen den radiär verlaufenden Zügen erhalten sich noch
die seitlichen Fächer der Papillenreste, aber die Cylinderzellen, die
sie umgeben, produciren rasch Intermediärzellen und bald sind auch
jene verschwunden. Das Innere des Stachels ist jetzt von Intermediär-
zellen erfüllt, die in der Umwandlung zu Markzellen begriffen sind.
Diese Veränderungen gehen allmählich während des Wachsthums
des Stachels von oben nach unten vor sich, und Hand in Hand mit
ihnen geht eine Resorption der oberen Theile des Papillengewebes.
Die Lamellen der Rindenschicht, die einwärts in die beinahe homo-
gene Masse von Markzellen vorragen, sind Alles, was später als das
Resultat der Leistenbildung zuriickbleibt. Die Bedeutung dieser
Leistenbildung wollen wir in dem Schlusstheil dieser Arbeit be-
sprechen.
Die Art und Weise, auf welche die Markzellen beim Stachel
gebildet werden, ist derjenigen ähnlich, wie sie bei der Feder sieh
findet. Im Inneren der Intermediärzellen tritt eine Höhlung auf, un-
mittelbar um den Kern, und nimmt an Größe zu; bald darauf ver-
hornt das periphere Protoplasma der Zelle. Aber die Markzellen
des Stachels sind nie so groß, wie jene des Federschaftes; später
scheinen sie sich von einander zu trennen und zwar in Gruppen, die
eine Anzahl von mehr oder weniger quer verlaufenden Reihen bilden.
Diese Reihen sind schon in dem in Fig. 48 dargestellten Stadium
angedeutet; später jedoch trennen sie sich noch mehr von einander;
doch ist ein Grund für dieses Verhalten nicht ersichtlich. Die hohlen
Markzellen reichen nicht vollständig bis zur Spitze des Stachels. In
dieser lassen die Intermediärzellen augenscheinlich mehr solide Horn-
Die Entwick]. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 621
zellen und Fasern entstehen. Weiter abwärts sehen wir die Mark-
zellen in dem Centrum auftreten und finden sie zuerst durch hornige
Fasern mit der Rindenschicht in Verbindung. Noch weiter unten
bestehen die diese seitlichen Fasern zusammensetzenden Zellen eben-
falls aus Markzellen, und schließlich ist das ganze Innere des tieferen
Theiles des Stachels von einer Masse :von Markzellen erfüllt, die
sich jedoch bald, wie schon erwähnt, in quer verlaufende Reihen
auflöst.
Wenn der Stachel sich seiner Vollendung naht, nimmt sein
Durchmesser gegen die Basis zu ab, und zu derselben Zeit nimmt
die Rindenschicht im Verhältnis zur Marksubstanz an Dicke zu und
die Leisten verschwinden allmählich. Die Marksubstanz wird schließ-
lich auf einen kaum wahrnehmbaren Strang in der Achse der Rinden-
schicht redueirt. Das letzte Stadium in der Entwieklung ist die
Bildung einer Rindenschichtenvergrößerung, der sogenannten Zwiebel
oder des Kolbens, in dessen Centrum die Marksubstanz endigt. Wie
mir scheint, wird die Zwiebel folgendermaßen gebildet. Die Papille
zieht sich aus der Basis des Stachels zurück, und die Cylinderzellen-
lage des Stachels wird zu derselben Zeit ausgestülpt, bis sie nur
den basalen Theil der Cylinderzellenlage des Follikels bildet. Sie pro-
duzirt aber noch weiter Rindenzellen und lässt so die Verdiekung oder
die Zwiebel entstehen. So kommt es, dass die Zwiebel in organischer
Verbindung mit dem basalen Theil der Sehleimschicht des Follikels
bleibt, d. h. mit der äußeren Wurzelscheide, und dass in der Gegend
der Zwiebel keine innere Wurzelscheide gebildet wird. Man könnte
sogar sagen, dass die Zwiebel, theilweise wenigstens, von der
äußeren Wurzelscheide gebildet wird.
Lworr untersuchte die Stacheln nicht in den frühen Entwick-
lungsstadien, sondern nur in verschiedenen Wachsthumszuständen,
die er an einem jungen Igel nach der Geburt fand. Er fand in der
inneren Wurzelscheide drei Zelllagen, deren eine der äußeren HENLE-
schen Schicht, während die beiden anderen der inneren Huxrey'schen
Schicht angehörten. Er ist mit UNNA einverstanden, dass die HENLE-
sche und Huxtey'sche Schicht »genetisch durchaus zusammengehören «;
aber er ist der Meinung, dass diese später »vollkommen von einander
geschieden werden«. Meine Beobachtungen bestätigen diese letzte An-
1 Lworr behauptet, dass ein Theil der Pulpa innerhalb der Zwiebel ein-
geschlossen bleibe. Dies scheint mir nicht so zu sein, indessen habe ich die-
sem Stadium keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
40*
622 H. R. Davies
nahme nicht, sondern zeigen, dass beide Schichten nach der Verhornung
noch mit einander verbunden sind, wenn man sie auch künstlich
leicht von einander trennen kann. Wie ich, so fand auch Lworr
kein Oberhäutehen der Wurzelscheide; aber er meinte, dass der Ab-
druck des Haaroberhäutehens auf der innersten Lage der HuxLEy-
schen Schicht das äußere Ansehen hervorrufe, welches als jenes be-
schrieben wurde.
Schlussbetrachtungen.
Die frühen Entwicklungsstadien der Feder, während deren sie
den Bau einer einfachen Hautpapille besitzt, im Zusammenhalte mit
der Verwandtschaft der Vögel und der Reptilien, haben wiederholt
dazu veranlasst, die Feder von der Schuppe abzuleiten. KERBERT
stellt in seiner Abhandlung Ȇber die Haut der Reptilien und anderer
Wirbelthiere« die Sache folgendermaßen dar. »Die erste Anlage von
Schuppen, Federn und Haaren ist immer eine einfache Erhebung
der Cutis. Während bei der Haarpapille bald dadurch eine Ver-
änderung eintritt, dass sie durch die wuchernde Schleimschicht um-
wachsen und allmählich in die Tiefe gedrängt wird (GOETTE), ist
dies bei der Schuppen- und Federpapille nicht der Fall. Beide An-
lagen wachsen erst eine Zeit lang radiär-symmetrisch weiter, —
Bei der Schuppenpapille hört dieses radiär-symmetrische Wachsthum
auf, die Papille biegt sich etwas nach hinten um und wird mehr
oder weniger abgeplattet.« Dagegen bei der Federpapille dauert
das radiär-symmetrische Wachsthum fort. »Dies ist also,« sagt KER-
BERT, »der wichtige Unterschied zwischen Schuppen- und Feder-
papille« (l. e. pag. 235—236).
Im Bau der ausgewachsenen Pinguinfeder sah KERBERT ein
wichtiges Zwischenglied zwischen Feder und Schuppe. Er glaubte
zu finden, dass diese breiten, schuppenartigen Federn von anderen
Federn sich dadurch unterschieden, dass sie »bleibende Papillen« be-
säßen, dass aber durch diese Formen »der Unterschiedzwischen Schuppen
und Federn vollständig aufgehoben seic. »Ubrigens,« fährt er fort,
»giebt es auch weiter noch genug Übergänge zwischen Schuppen
und Federn, Federn nämlich, von welchen weiter nichts als die
Spulen ausgebildet sind (z. B. unter den Reihern) und die eine voll-
ständige Ähnlichkeit besitzen mit den kegelförmigen Schuppen bei
Moloch unter den Reptilien.«
KLEE versucht es nicht, Feder und Schuppe einander etwas
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 623
näher zu bringen. Auch ward es durch Stuper’s Beschreibungen,
nach denen die ganze Schleimschicht als ein Theil der Feder ver-
hornte, unmöglich Feder und Schuppe als ganz homologe Gebilde
anzusehen. KLEE betrachtet die Spule als den ursprünglichen
Bestandtheil der Feder und sagt: »Federn, die eine sehr starke
Rückbildung erfahren haben, zeigen in der That nur eine Spule,
deren oberer Rand ein wenig ausgefranst erscheint, wie das an den
Flügelfedern von Aptenodytes pat. deutlich zu sehen ist. Die Federn
treten dort den Schuppen ziemlich nahe.« Wie wir aber jetzt wissen,
besitzen alle definitiven Federn eine bleibende Papille, so dass die
Pinguinfedern in dieser Beziehung keine Ausnahme von anderen Federn
machen. Auch hat STUDER gezeigt, dass die Pinguinfedern aus
Spule, Schaft und Fahne bestehen, dass sie genau wie andere de-
finitive Federn sich entwickeln und dass ihnen eine Pinseldune
vorangeht. Desshalb ist kein Grund vorhanden, die Pinguinfeder als
etwas Anderes, denn eine sehr modificirte definitive Feder zu be-
trachten !.
Ich muss sagen, dass auch ich an der Existenz von Federn
zweifle, »von denen weiter nichts als die Spule ausgebildet ist«. Ich
habe absolut keine genauen Beschreibungen solcher Gebilde finden
können. Nirscu zeigte, dass die haarartigen Fadenfedern aus
Schaft und Spule beständen. Durch Hourann erfahren wir, dass
»die fahnenlosen Bartborsten an der Schnabelwurzel vieler Vögel,
eben so die Augenwimpern aus Spule und Schaft bestehen«, und
GADow sagt: »Die steifen, schwarzen Flügelsporen von Casuarius
sind die außerordentlich entwickelten, aber fahnenlosen Kiele ur-
sprünglicher Schwungfedern.« Wenn alle diese borstenähnlichen
Federn nur modifieirte definitive Federn sind — und das zu zeigen,
bezwecken alle bis jetzt veröffentlichten und mir bekannten Be-
schreibungen —, dann dürfen wir nicht erwarten, in ihnen die
Übergänge zwischen Schuppen und Federn zu finden.
Man könnte vielleicht mit Recht einwerfen, dass ja einige der
rudimentären Federn, die sich am Laufe finden, »nur eine Spule
! Hierzu sind noch folgende Thatsachen in Betracht zu nehmen: Erstens
ist der Pinguin ein blindgeborener Nesthocker, und zweitens hat der fossile
Pinguin, der im tertiären Sandstein von Neuseeland gefunden wurde, einen
verhältnismäßig größeren Humerus als die jetzt lebenden Pinguine (s. STUDER’S
Abhandlung). Die erste dieser Thatsachen zeigt, dass der Pinguin nicht als
ein sehr primitiver Typus betrachtet werden könnte und die zweite, dass er
wahrscheinlich von flugbegabten Vorfahren abstammt.
624 H. R. Davies
zeigen, deren oberer Rand ein wenig ausgefranst erscheint«; aber da
kann doch kein Zweifel darüber herrschen, dass dies rückgebildete
definitive Federn sind, und ich kann keinen Grund erkennen für die
Annahme, dass sie einen primitiven Zustand darstellen'!.
So dürfen wir, glaube ich, behaupten, dass bis jetzt noch keine
Gebilde bekannt geworden sind, welche mit Recht als Übergänge
zwischen der Schuppe und der Feder angesehen werden könnten, und
dass das einzige Beweismittel, auf das wir die Beziehungen der
Feder zu anderen Gebilden stützen können, in der Geschichte der
Entwicklung liegt. Die Thatsachen, die uns ihre Entwicklung dar-
bieten, können hier allein entscheiden. Wir gehen jetzt zur Be-
trachtung dieser Thatsachen über.
Das erste Anzeichen der Entwicklung der Feder besteht in
einer geringen Hautverdiekung, und obgleich KERBERT dieses Sta-
dium in der Entwicklung der Schuppen nicht beschreibt, so giebt er
! Ich muss hier eines Versuches Erwähnung thun, den Dr. GADOw in
seiner Bearbeitung der Vögel in Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thier-
reichs gemacht hat, nämlich den, Übergänge zwischen Schuppen und Federn
in der Laufbekleidung der Ratiten zu finden. »Die Reihenfolge ,« sagt er,
»ist diese: 1) Schuppe mit breiter Basis. 2) Ein Theil der Schuppe erhebt sich
über den Rest und bildet einen etwas nach hinten gerichteten Vorsprung oder
Rand. Der Hornüberzug ist an dieser Stelle verdickt. 3) Die Schuppe erhält
einen ausgezähnten Rand, indem der Basaltheil kleinere Papillen trägt. 4) Um
jede und auf jede dieser kleineren Cutispapillen wächst die Epidermis zu einer
geringen Anzahl kurzer verhornender Fortsätze aus, der Basaltheil verändert
seine flache Gestalt in eine mehr rundliche. Hieraus entsteht die Embryonal-
dune mit mehreren gleichwerthigen Schäften.«
Mein erster Einwand gegen diese Reihenfolge liegt in der Thatsache, dass
wir bei der Entwicklung der Embryonaldune niemals auch nur eine Spur oder
ein Anzeichen solcher kleiner, sekundärer Cutispapillen finden. Weit entfernt,
darauf hinzuweisen, dass jeder Strahl auf einer kleinen, aber freien Cutispa-
pille entstand, scheint vielmehr die Entwicklung in unzweideutiger Weise zu
zeigen, dass diese Strahlen durch das Aufspringen der Wände eines Gebildes
entstanden, welches selbst sich um eine einzelne centrale Pulpa oder Leder-
hautpapille entwickelte. Ein weiteres Bedenken bietet die Thatsache, dass es,
wie gezeigt, sehr wahrscheinlich ist, dass die Schuppen auf dem Lauf und auf
der dorsalen Fußfläche in allen Fällen sekundäre Gebilde sind, welche als Fal-
ten und Verdickungen der Haut um die Ansatzpunkte der Federn entstanden
sind oder bisweilen möglicherweise unabhängig von den Federn. Wenn wir
meine Beobachtungen über die Laufbekleidung in Betracht ziehen, so müssen
wir es als äußerst wahrscheinlich betrachten, dass die Gebilde, welche GADOW
als Schuppen mit ausgezähnten Rändern etc. angesehen hat, nichts weiter als
Schuppen sind, welche noch die Rudimente von atrophirten Federn an sich
tragen.
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 625
doch an, dass die Epidermis der Erhebung gleich von Anfang an
dicker sei als die der übrigen Haut, und er bildet sie auch als
solche ab. Wir dürfen daher mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit an-
nehmen, dass das erste Stadium in der Entwicklung dieser zwei
Gebilde in einer geringen lokalen Verdiekung der Haut bestanden
habe. —
Das nächste Stadium können wir uns in der Form eines radiär-
symmetrischen Höckerchens denken, so wie es das ganze Leben hin-
durch bei den jetzt lebenden Geckotiden und bei den Chamaeleonten
zu finden ist. Wir können annehmen, dass solche Höckerchen all-
mählich nach hinten sich umbiegen. Damit kommen wir zu dem
Punkte, bei welchem Schuppen und Feder, oder besser gesagt, das
Gebilde, welches später die Feder hervorgehen lässt, von einander
abzuweichen scheinen. Die Schuppe hat sich mehr und mehr aus-
gestreckt und lässt einen dicken oberen und einen dünnen unteren
Überzug unterscheiden, während das Gebilde, welches die Feder
hervorgehen ließ, nie seine cylindrische Form ganz verliert. Zu
diesen äußerlichen Verhältnissen kommen noch innere, welche wieder
in beiden Gebilden theils Ähnlichkeiten, theils Verschiedenheiten
begründen. Da wir wissen, dass die Cylinderzellenlage bei der
sich entwiekelnden Feder der Verhornung nicht unterliegt, ist hierin
ein Punkt der Übereinstimmung gegeben. Jedes besteht aus einer
dauernden Cutispapille (d. i. einer Papille, an der das Derma und
die Epidermis betheiligt ist) und einem zeitweiligen hornigen Über-
bau. Die Unterschiede zwischen beiden sind Unterschiede in der
Form dieses hornigen Überbaus und Unterschiede in der Art und
Weise der Entwieklung, welche durch diese Differenzen eben jener
Form bedingt sind.
Nehmen wir also vorläufig an, dass die Feder sich von der
Schuppe ableite, so wird unsere fernere Aufgabe sein, im Gange
der Entwicklung zu zeigen, wie die Differenzen zwischen den beiden
Gebilden entstanden, und wenn wir im Verlauf der Entwicklung eine
Reihe einfacher und im Einzelnen für den jeweiligen Organis-
mus vortheilhafter Differenzirungen an Schuppe und Feder sich dar-
stellen sehen, werden wir annehmen dürfen, in der Erkenntnis, dass
die Feder nur eine modifieirte Schuppe sei, die letzte Lücke aus-
gefüllt zu haben.
Versuchen wir einmal an den ausgebildeten Theilen Homologien
zu erkennen, nachdem wir solche in gewissen Stadien der Anlage
bereits erkannt haben. Die Unterfläche der untersten Scheidewand
626 H. R. Davies
der Federseele, welche sich während der ganzen Lebensdauer einer
jeden Feder in organischer Verbindung mit ihrer bleibenden Cutis-
papille erhält, entspricht der Unterfläche der Hornschuppe, welche
während des ganzen Lebens einer jeden Schuppe ebenfalls in Ver-
bindung mit ihrer bleibenden Cutispapille steht. Die Epitrichial-
schicht und die äußersten hornigen Lagen der Feder, welche der
Kpitrichialschicht und den äußersten hornigen Lagen der Schuppe ent-
sprechen, gehen, wie wir gesehen haben, während der Entwicklung
größtentheils verloren. Die ganze Feder entspricht dann in allen
ihren Theilen den einfachen hornigen Lagen der Schuppe und die
käume innerhalb der Spule müssen als Intercellularräume betrachtet
werden, welche zwischen einzelnen dieser Lagen aufgetreten sind.
Die Ausdehnung der Cutispapille nach oben innerhalb der sich ent-
wickelnden Feder könnte leicht zu der Annahme führen, dass die
inneren Seiten der Federstrahlen und die inneren Seiten der Spulen-
wände der inneren Seite der Hornschuppe entsprechen, welche in
diesem Falle dauernd mit der Cutispapille in Verbindung bleibt.
Aber schon eine oberflächliche Betrachtung zeigt uns, dass das nicht
der Fall ist, und dass kein Theil der Cutispapille der Schuppe dieser
Ausdehnung der Federcutispapille nach oben entspricht.
So lassen bei der sich entwickelnden Schuppe die Cylinder-
zellen fort und fort an allen Theilen der Cutispapille Epidermis-
“zellen hervorgehen, welche später verhornen, um einen Theil der
Hornschuppe zu bilden. Bei der sich entwickelnden Feder hingegen
ist das nur in den allerfrühesten Stadien der Fall. Später wird die
Produktion von Epidermiszellen, die dazu bestimmt sind, einen Theil
der Feder zu bilden, ganz auf die Seiten der Cutispapille beschränkt,
während die apicale Portion der Cutispapille sich nach oben in das
Innere des so zu Stande gekommenen Hohlgebildes erstreckt. Die
Cylinderzellen dieser nach oben gerichteten Fortsetzung bilden, wie
wir gesehen haben, eine bloße Membran, welche die wachsenden und
verhornenden Epidermiszellen von dem Pulpagewebe trennt. Wenn
schließlich die Bildung der Feder vollendet ist, so wird das Pulpa-
gewebe der nach oben gehenden Verlängerung resorbirt, und die
Cylinderzellen lassen eine Reihe von hornigen Gebilden hervorgehen.
Hingegen erhält sich die untere Portion der Cutispapille, auf deren
Seiten die eigentliche Produktion der Feder vor sich geht, als die
bleibende Papille der Feder und erzeugt zur Zeit der nächsten
Mauser wieder eine andere zeitweilige nach oben gerichtete Fort-
setzung innerhalb der neuen Feder. So erkennen wir, dass die außer-
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 627
ordentlich große Verlängerung der Cutispapille der sich entwickeln-
den Feder ein sekundäres und nur temporäres und embryonales Ge-
bilde ist, welches den Zweck hat, die wachsenden Epidermiszellen
mit Nahrung zu versorgen. Es giebt, wie schon bemerkt, keinen
Theil der Cutispapille der Schuppe, welcher ihr entspräche.
Wir müssen stets im Auge behalten, dass mit den Veränderungen
in der Form, welche die Feder von der Schuppe unterscheiden, die
eben angedeuteten Veränderungen in der Art und Weise der Ent-
wicklung aufgetreten sind, nämlich die Einschränkung der Produktion
von den die Feder zusammensetzenden Epidermiszellen, an der Seite
der Cutispapille, das Längenwachsthum der Epidermiszellen und die
zeitweilige Fortsetzung der Cutispapille nach oben.
Es ist der Mühe werth, hier nochmals auf die Art und Weise
einzugehen, in der die Ausdehnung der Cutispapille nach oben bei
dem sich entwickelnden Stachel beginnt. Hier dauert die gleiche
Produktion von Epidermiszellen auf allen Theilen der Cutispapille
eine viel längere Zeit fort als bei der Feder, und in Folge dessen
wächst der Stachel zuerst als ein solides, konisches Gebilde auf-
wärts. Bald aber lassen die mehr central gelegenen Cylinderzellen
entweder langsamer Epidermiszellen hervorgehen, als es die mehr
lateral gelegenen thun, oder sie hören sogar für eine Zeit lang
überhaupt auf, Epidermiszellen zu produciren. Jetzt aber beginnen .
sie sich innerhalb ihrer eigenen Lage zu vermehren, verbunden mit
einer Verlängerung der Cutispapille. Schließlich zieht sich wie bei
der Feder die Verlängerung zurück, und ihre Cylinderzellen lassen
hornige Marksubstanz hervorgehen. |
Es ist kein Beweis dafür da, dass die Schuppe, von welcher
die Feder sich herleitet, jemals in ein solides horniges Gebilde sich
umgewandelt hatte, nur die Thatsache, dass in einem früheren
Stadium die um die Spitze der Federpapille ziehende Epidermis
dicker ist als anderswo, könnte in jener Richtung verwerthet wer-
den. Zwar ist die Art und Weise des Wachsthums der Federpapille
genau dieselbe, wie sie sich bei einem ursprünglich soliden hor-
nigen Gebilde finden würde, indem die centralen hornigen Theile
durch eine Fortsetzung der Cutispapille nach oben verdrängt werden,
wie das ja auch beim Stachel der Fall zu sein scheint. Aber das
Auswachsen der Cutispapille nach oben, wie wir ja gesehen haben,
ist nur eine vorübergehende Erscheinung und das Innere der Feder
wird schließlich von hornigen Gebilden eingenommen.
Ich halte es nicht für ungerechtfertigt, anzunehmen, dass das
628 H. R. Davies
nächste Stadium in der Entstehung der Feder in einer Verdickung
der um die Spitze des nach hinten gebogenen Höckerchens gelegenen
Epidermislagen bestand, und dass auf diese Weise ein jedes dieser
Gebilde allmählich in einen kurzen, dieken, haarartigen Fortsatz
auslief. Diese Haarschuppen konnten, abgesehen davon, dass sie
die Haut vor Verletzungen schützten, auch zur Erhaltung der Körper-
wärme beitragen, denn die unteren, die Pulpa enthaltenden Theile
würden durch die oberen haarartigen Fortsätze überdeckt werden.
Das dürfen wir aber annehmen, dass es die Erhaltung der Körper-
wärme war, welche durch die Umwandlung der Schuppe in die
Feder gewonnen ward. Später wurden wohl die haarartigen Fort-
sätze durch einen Process, analog dem bei der Entwicklung des
Stachels beobachteten, in hohle cylindrische Gebilde umgewandelt;
diese bestanden aus einer äußeren Rindenschicht und einem inneren
lockereren, hornigen Gewebe und gewannen so an Leichtigkeit. Das
vorübergehende Auswachsen der Cutispapille nach oben und das
Längenwachsthum der Epidermiszellen konnten nach und nach zu
derselben Zeit auftreten. Weiter müssen wir annehmen, dass in
demselben Maße, wie diese Gebilde in die Länge wuchsen, die Epi-
dermis an ihrem Übergange in jene der Haut zuerst an Dicke zu-
nahm und dann eine epidermale Einsenkung nach unten bildete.
Endlich wird auch das Bindegewebe der Lederhaut an der Befesti-
gung jener Haarschuppen an der Haut betheiligt, indem es zur
Follikelbildung Verwendung findet. Auf diese Weise kam die Cutis-
papille allmählich unter die Haut zu liegen und so entstand eine
unvollständige Hauttasche.
Die natürlichste Auslegung der durch die Entwicklung gebotenen
Thatsachen leitet uns zu der Annahme, dass das Gebilde, welches
durch das Aufspringen seiner Wände die erste primitive Pinseldune
hervorgehen ließ, etwa ein solch mehr oder weniger hohles eylin-
drisches Gebilde war, wie wir es eben beschrieben haben. Als
nächste Stufe in der Entstehung der Feder müssen wir jenes Auf-
springen der hornigen Wände ansehen, wobei die Substanz des
vorspringenden oberen Theiles der Haarschuppe der Länge nach sich
in eine Anzahl von Strahlen spaltete, während der untere Theil der
Haarschuppe, welcher in die Haut eingewachsen war, sich ungetheilt
erhielt und so die Spule hervorgehen ließ '.
! Wie wir gesehen haben, entstanden die Leisten bei der Taube und bei dem
Hühnchen auf wenig verschiedene Weise. Wir können die Verhältnisse bei dem
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 629
Bezüglich der Ursache dieses Aufspringens können wir nur
vermuthen, dass die die Ablösung der äußersten Schicht einleiten-
den Vorgänge jenen konform sein werden, wie sie bei der Häutung
der Reptilien wirksam sind. Da aber die den Häutungsprocess resp.
den Bau der Schuppe untersuchenden Forscher, wie KERBERT, To-
DARO und BATELLI über die Lagen nicht einig sind, welche die Rep-
tilienschuppe zusammensetzen, und welche bei jeder Häutung ab-
geworfen werden, und auch nicht ganz über die Art und Weise,
in welcher die Häutung stattfindet, so müssen wir uns darauf be-
schränken, nur auf die Ähnlichkeit des Allgemeinen hinzuweisen.
Das Bild, welches uns die Entwicklung der Feder darbietet,
kann uns also Anleitung geben, die Kluft zwischen der Schuppe
und der Feder durch die Annahme einer Reihe von Modifikationen
zu überbrücken, von denen jede besser als ihre Vorgängerin dem
Zweck des Schutzes der Körperwärme angepasst war.
Die Stadien, welche wir in der Entstehung und Entwicklung
der Feder verfolgen können, wären also folgende: 1) Eine einfache
Verdickung der Haut. 2) Ein radiär-symmetrisches Höckerchen.
3) Ein rückwärts gerichtetes Höckerchen, dessen hornige Lagen rings
um die Spitze verdickt wurden. 4) Ein rückwärts gerichtetes Höcker-
chen, dessen Spitze in einen kurzen, dieken, haarartigen Fortsatz
auslief. 5) Ein längeres haarartiges Gebilde, das aus’einer festen
Rindenschicht und lockererem axialen Gewebe bestand, und dessen
Basis mit der Cutispapille unter die Haut eingesunken war. 6) Durch
das Aufspringen der Wände des freien hervorragenden Theiles dieses
letzteren Gebildes ward das umschlossene Gewebe frei, welches, sich
in einzelne Stränge sondernd, die primitive Pinseldune entstehen ließ.
Ein weiterer Unterschied zwischen der Feder und der Schuppe
besteht in dem Zusammenhang, welcher zwischen successiven Fe-
dern beobachtet wird. Zwischen nachwachsenden definitiven Fe-
dern ist der Zusammenhang gewöhnlich nur ein oberflächlicher und
oft kann man, wenn die alte Feder weggefallen ist, sehen, dass
die neue an ihrer Spitze ganz von der Federscheide eingeschlossen
ist. Der Zusammenhang ist am deutlichsten bei den Schwungfedern
und den ihnen vorangehenden Erstlingsdunen ausgeprägt, wo die
Hühnchen, wo die Papillenwände zuerst fast ihre ganze Dicke erreichen und
dann erst durch eine Reihe von Längsfurchen getheilt werden, für primitiver
halten als die bei der Taube, wo die Leisten direkt als eine Reihe von Ver-
diekungen entstehen, denn die Entwicklungsart der. letzteren erscheint kürzer
als die der ersteren.
630 H. R. Davies
Leistenbildung sich ohne Unterbrechung von den Wänden der Dunen-
papille in die Wände der definitiven Federpapille fortsetzt. Die un-
geheure Schnelligkeit, mit welcher hier die Entwicklung der defini-
tiven Feder jener der Dune folgt, scheint hauptsächlich diesen Zu-
sammenhang zu erklären. Jedenfalls können wir es als eine sekundäre
Erscheinung betrachten, die von der größeren oder geringeren Ein-
schränkung der Produktion der Epidermiszellen an den Seiten der
Cutispapille vom ersten Anfang der Entwicklung an herrührt.
Die Erstlingsdune der Taube, welche aus einer Anzahl gleich-
artiger mehr oder weniger abgeplatteter horniger Strahlen besteht,
die keine Nebenstrahlen und Marksubstanz besitzen, scheint der pri-
mitivste jetzt existirende Federtypus zu sein. Und nähere Prüfung
scheint die Annahme zu unterstützen und anzudeuten, dass die Neben-
strahlen zuerst an der Basis der Strahlen auftraten und allmählich sich
nach oben ausdehnten. Unter allen bis jetzt beschriebenen Formen
von Erstlingsdunen besetzen Nebenstrahlen nur manchmal mehr
als zwei Drittel der Länge der Strahlen, während das obere Drittel
gewöhnlich ganz frei davon ist. Dieses obere Drittel wird manch-
mal als borstenartig beschrieben wie bei den Lamellirostres, manch-
mal ist es in einen linearlanzettförmigen Fortsatz ausgezogen wie
bei Struthio und Dromaeus (nach Nrrscu); manchmal ist es breit,
fast bandartig wie bei Psittacus (s. GADow’s Verzeichnis); manch-
mal dagegen sind die Strahlen bis an die äußerste Spitze dicht mit
Nebenstrahlen besetzt. Wenn wir beachten, bis zu welchem Grade
die Erstlingsdunen bei der Taube entwickelt sind, so müssen wir sie
als in Funktion stehend betrachten; und es ist schwer zu begreifen,
dass, wenn Nebenstrahlen einmal erworben waren, sie wieder ver-
loren gegangen wären. Bei Vögeln, deren Erstlingsdunen sehr rudi-
mentär sind, ist dieses in der Anzahl und Größe der Federn aus-
gesprochen; die Nebenstrahlen erhalten sich bis zum Untergang der
Feder, wo sie fehlen, liegt wohl ein niederer Zustand der Dune,
nicht aber ein rückgebildeter vor.
Es ist also wahrscheinlich, dass die erste Feder (in der Dunen-
form) aus einer Anzahl einfacher horniger Strahlen bestand, und dass
die einzige Veränderung, wie sie bei den Erstlingsdunen der Taube
stattgefunden hat, in der Ausbreitung dieser Strahlen bestand, wo-
durch die Körperwärme wirksamer erhalten wurde. Bei anderen
Federn wurde ein Bündel horniger Fasern mit freien Enden ent-
wickelt, deren einzelne zuerst an der Basis verbunden blieben. Solche
breiteten sich an den Strahlen nach oben längs deren Seiten aus,
Die Entwick]. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 631
und so entstanden die Nebenstrahlen. Möglicherweise ging bei diesen
Federn, die mit ausgezogenen Spitzen versehen sind, die Abplattung
der Strahlen dem Erwerb von Nebenstrahlen voraus, die bandartigen
Spitzen eines Nesthockers wie des Psittacus sind kaum auf eine
andere Weise zu erklären!.
In dem von Gapow gegebenen Verzeichnis der bis jetzt be-
schriebenen Formen von Erstlingsdunen finden wir, dass die große
Majorität Pinseldunen sind und dass nur bei Rhea, Casuarius gal.,
Dromaeus, den Rasoren und Lamellirostren ein Schaft vorkommt.
Über die Entstehungsart des Schaftes giebt es hauptsächlich zwei
Meinungen. Die eine ist die von BURMEISTER, wonach der Schaft
»eine mit Verdickung verbundene Verlängerung des oberen Randes
der Spule ist«. Die zweite, von den meisten neueren Autoren fest-
gehaltene Ansicht ist die, dass ein Strahl an Größe zunimmt, einen
Hauptstrahl bildet und allmählich die übrigen Strahlen aufnimmt.
Indem wir uns auf die bei Dromaeus und bei der Ente gebotenen
Übergänge berufen, können wir die Entstehung des Schaftes auf
folgende Weise denken. Die erste, aus einer Anzahl gleichartiger
Strahlen bestandene Pinseldune, deren Strahlen alle in derselben
Höhe in die Spule übergingen, wurde verändert, indem die obersten
oder am meisten nach außen gelegenen Strahlen der Feder länger
wurden als die anderen. So ist es der Fall bei Struthio. Dann
vereinigten sich die zwei obersten und längsten Strahlen mit ein-
ander eine kurze Strecke, ehe sie in die gemeinsame Spule über-
gingen. Der gemeinsame basale Theil dieser beiden Federn nahm
dann an Länge zu, und die beiden nächsten Strahlen vereinigten
sich wiederum mit ihm. So entstand eine Feder, bei der die mei-
sten Strahlen in gleicher Höhe direkt in die Spule übergingen, wäh-
rend die vier obersten Strahlen von einem kurzen Schaft getragen
sind. Eine solche Feder kann man jetzt noch bei Dromaeus finden
(s. Fig. 51). Mit einem schwachen Längenwachsthum des Schaftes
und der Vereinigung zweier weiterer Strahlen mit ihm kommen wir
zu dem Stadium, welches ich bei der Ente konstatiren konnte. Es
ist klar, dass solch ein Schaft, wie wir ihn hier finden, nicht durch
! Bei Dromaeus und Struthio ist es mindestens ziemlich wahrscheinlich,
dass die Verdickung der Spitzen sekundär auftrat, als Schutz für die tieferen
Theile der Feder, welche die Nebenstrahlen tragen. GADoWw erwähnt die von
Nırsch beschriebenen verdickten Spitzen bei Dromaeus nicht, und auch an
dem mir von ihm freundlichst tibersandten Hautstück waren diese Spitzen bei
den Erstlingsdunen nicht verdickt.
632 H. R. Davies
Verwandlung eines der Strahlen in einen Hauptstrahl entstand; wenn
wir aber in Betracht ziehen, dass die Spule bloß die basale Portion
der Feder ist, wo alle Strahlen mit einander vereinigt sind, so ist
es vollkommen zulässig, jenen Schaft als eine schwache Verlänge-
rung des oberen Randes der Spule zu betrachten. Der durch die
Entstehung eines Schaftes gewonnene Vortbeil ist klar, indem da-
durch die Strahlen, anstatt unregelmäßig in Büscheln zu liegen,
regelmäßig über die Hautoberfliche ausgebreitet werden.
Mit jeder Zunahme der Strahlen wächst der Schaft in die Dicke,
aber nimmt nicht proportional der Zahl der ihn zusammensetzenden.
Strahlen an Breite zu, und desshalb kommen die an den Schaft be-
festigten Strahlen schief gegen die Längsachse der Feder zu liegen.
Auf diese Weise entsteht auch der schiefe, spiralige Verlauf der
Leisten des sich entwickelnden Federkeimes. Wenn die Mehrzahl
der ursprünglichen Strahlen an den Schaft befestigt ist, beginnen
sich neue Strahlen an dem Punkte zu bilden, wo der Schaft in die
Spule übergeht. Und wenn wir bedenken, dass, nachdem die Lei-
sten des Federkeimes diesen schrägen Verlauf erhielten, eine Län-
genzunahme des Federkeimes eine Zunahme nicht der Länge, son-
dern der Zahl der Leisten bedeutet, so werden wir leicht verstehen,
wie das geschieht. Die ursprünglich auf der unteren Seite der Feder
gelegenen Strahlen gehen stets direkt in die Spule über als sog.
Afterstrahlen, oder sie ordnen sich auf einen gewöhnlich schwachen
Afterschaft an, welcher auf dieselbe Weise wie der Hauptschaft
entsteht.
Durch den fortwährenden Zuwachs an neuen Strahlen nimmt
der Schaft allmählich an Breite zu und kommt an seinem unteren
Ende mit einem immer größeren Theil der Cirkumferenz der Spule
in Zusammenhang. Zu derselben Zeit wächst er in die Dicke, bis
er ganz oder fast ganz die Öffnung der Spule, den sogenannten
oberen Umbilicus, verschließt. Im Bau einer definitiven Feder finden
wir diese Anschauung vollkommen bestätigt, dass der Schaft nur
eine Verlängerung der Spule ist. Die äußersten und die Mehrzahl
der durchsichtigen hornigen Lagen, welche die Spule bilden, setzen
sich nach aufwärts über die äußere Schaftfläche als Spina calami
fort und gehen allenthalben auf die Basen der Strahlen über. Die —
innere Fläche der Spulenwände entspricht der unteren Fläche des
Schaftes und hängt mit ihr zusammen; und die große Masse des
Schaftes ist nichts Anderes als eine ungeheure Verdickung der inne-
ren Lagen der Verlängerung der Spule. Wenn wir die in Fig. 27
|
|
|
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 633
dargestellten Schnitte durch den Schaft und die Spule von oben
nach unten gehend verfolgen, sehen wir, dass mit jedem Zusatz von
neuen Strahlen die Spina calami sich fortwährend weiter und weiter
um die Federpapille herum ausbreitet; und zuletzt, wenn die untersten
Afterstrahlen mit ihr vereinigt sind, treffen sich ihre Ränder auf der
unteren Fläche der Federpapille und der Schaft wird hier zur Spule.
Der große Unterschied also zwischen der Pinseldune und der
definitiven vom Afterschaft freien Feder ist folgender: Während bei
der Pinseldune der obere Rand der Spule, an den die Strahlen be-
festigt sind, einen Kreis bildet, bildet er bei der definitiven Feder
in Folge der enormen Verlängerung einer seiner Seiten eine lang
ausgezogene, schräg stehende Ellipse, und durch die große Ver-
dickung dieser Verlängerung wird der obere Umbilicus fast ganz ver-
schlossen. Auf diese Weise entsteht bei der definitiven Feder ein
Gebilde, der Schaft, der zwar in Wirklichkeit nur ein Theil der
Spule ist, aber den Eindruck eines ganz neuen Gebildes macht.
Wir müssen die Art und Weise, auf die der Schaft zunächst
durch die Bildung von zwei Längsleisten, deren zwischenliegender
Raum später ausgefüllt wird, sich entwickelt, als eine sekundäre
Erscheinung betrachten, welche der besseren Beschaffung von Nahrung
für die sich vermehrenden Zellen dient. Dabei nehmen wir an, dass
die Entstehung der Markkanälchen des Schaftes eine Folge dieser
Entwicklungsart war, indem nämlich die zwei Längsleisten sich
ventral vereinigten, ehe der centrale Raum zwischen ihnen ausgefüllt
war; und so schlossen sie innerhalb des Schaftes einen Theil der
Pulpahöhlung ein, welcher später, nach der Zurückziehung der
Pulpa, sich als eine Fortsetzung der Spulenhöhlung erhielt. Das
Markkanälchen stellt nicht eine Höhlung vor, die sich innerhalb des
Gewebes des Schaites entwickelt hat, sondern es ist eine Höhlung,
welche durch das Einbauchen der unteren Wand des Schaftes ge-
bildet wurde. Sie wird durch dieselben Lagen begrenzt, wie die
Spulenhöhlung. So kommt es, dass die Verlängerung der Spule auch
eine Verlängerung der Höhlung der Spule enthält. Da die Mark-
kanälehen mit warmer Luft gefüllt sein müssen, so müssen sie be-
sonders in den Fällen, wo sie sich durch den größten Theil der
Länge des Schaftes erstrecken, erheblich zur Flugkraft des Vogels
beitragen.
Jede Feder besteht also aus Strahlen, welche auf einem Kiel
sitzen. Dieser Kiel kann eine einfache Spule sein, wie bei der
Pinseldune, oder sein oberer Theil kann in einen Schaft differenzirt
634 H. R. Davies
sein oder noch weiter in einen Schaft und einen Afterschaft. Aber
alle Theile, welche die Strahlen tragen, sind nur differenzirte oder
besonders entwickelte Theile der ursprünglichen Spule.
Widmen wir dem Vorkommen des Afterschaftes einige Worte.
NITscH zeigte (siehe auch GApow’s Verzeichnis), dass das Vorhanden-
sein des Afterschaftes eine selbst unter den Gattungen derselben
Familie sehr variable Erscheinung ist. Die einzige Regel, welche
er über sein Vorkommen aufstellen konnte, war folgende: wo das
Gefieder dicht und die Dunen (die definitiven) zahlreich waren, fehite
der Afterschaft, während da, wo das Gefieder dünn und die Dunen
nicht vorhanden waren, der Afterschaft gewöhnlich gut entwickelt
war (op. cit. pag. 204—205). Gapow theilt mir mit, dass er nach der
Veröffentlichung seines Artikels in » Bronn’s Klassen und Ordnungen
des Thierreichs« Folgendes fand: während, wie wohl bekannt, der
Afterschaft der späteren Federn des Dromaeus gleich groß mit dem
Schaft ist, ist er bei den Erstlingsdunen viel kleiner. Und an dem
Hautstück, welches ich von ihm erhielt, fand ich Federn, bei denen
keine Spur eines Afterschaftes vorhanden war. Wir können also
schließen, dass der Afterschaft bei manchen, wenn nicht bei
allen Gruppen, in denen er jetzt gefunden ist, sich sekundär ent-
wickelt hat.
Wo Gapow von der ersten Verwendung der Feder als Flugorgan
spricht, sagter: »Zuerst werden die Federn am oberen Hinterrande des
Vorderarmes etwas verlängert und verstärkt worden sein, woraus
sich ein Schutz der Körperseiten und die Möglichkeit einer Be-
nutzung als Fallschirm ergeben würde.« Es scheint mir viel wahr-
scheinlicher, dass mindestens die späteren Stadien in der Entstehungs-
geschichte der Feder erst bei einem Individuum auftraten, welches
schon mittels einer Flugmembran fliegen konnte. In diesem Fall
müssen wir uns ein Individuum vorstellen, dessen ganzer Leib und
die fleischigen Theile der Extremitäten mit definitiven Federn be-
kleidet waren. wie wir sie ja jetzt kennen, bei dem aber das Flug-
organ eine Flugmembran war; und müssen annehmen, dass einige
der die vordere Extremität bekleidenden definitiven Federn sich rück-
wärts über die Flugmembran ausbreiteten und allmählich für die-
selbe als Unterstützung dienten. Das würde für den Reptilienvogel
außerordentlich vortheilhaft sein, weil es ihn in den Stand setzt, die
Luft mit größerer Kraft zu schlagen, als es ihm möglich sein würde,
wenn er nur eine leicht nachgiebige Membran besitzen würde. Allmäh-
lich breiteten sich die Federn rückwärts über die ganze Flugmembran
Se
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 635
aus, und so kam es, dass sie nach und nach das ganze Körper-
gewicht während des Fluges zu tragen hatten, worauf dann erst die
Flugmembran sich rückzubilden begann.
Der Theil dieser Abhandlung, welcher sich mit der Folgereihe
und der Vertheilung der Federn beschäftigt, dürfte etwas mehr
Licht auf einen Punkt werfen, welcher von Gapow in seinem
neuen Artikel berührt wird. So findet er, dass, während bei den
ausgewachsenen Ratiten keine Lücken oder Raine im Gefieder vor-
kommen, bei einem 15 Tage alten Embryo von Struthio »einige
ziemlich große Stellen des Körpers ganz frei bleiben und erst später
von Federn bedeckt werden«. Er fährt fort: »Sollte dieses Ver-
halten auf einen phylogenetisch früheren Zustand hinweisen, so wäre
damit ein wichtiger Grund für die Ansicht gewonnen, dass das
lückenlose Gefieder der Ratiten ein erst nachträglich erworbener
Charakter ist. «
Diese Ansicht wird sehr durch die Thatsache unterstiitzt, dass
bei dem Hühnchen und der Taube an dem Erstlingsgefieder die
Fluren und Raine des späteren Gefieders vom ersten Anfang seiner
Entwicklung an sehr deutlich ausgeprägt sind. Aber es scheint
gestattet anzunehmen, dass bei Struthio Federpapillen, welehe zum
größeren oder kleineren Theil atrophirt waren, sekundär zur Thätig-
keit erweckt worden sind. Obwohl also kein direkter Beweis dafür
vorliegt, dass ein gleichmäßig über den ganzen Körper verbreitetes
Gefieder der primitive Typus war, darf doch nicht ausgeschlossen
werden, dass das der Fall sein konnte.
Als Schlussbemerkung über die Feder möchte ich also sagen,
dass der Hauptunterschied zwischen der Entwicklungsweise der Feder
und der des Haares beseitigt ist, indem gezeigt wurde, dass bei
Atrophiren der Dune die Entwicklung der Feder mit der Bildung
einer Einsenkung beginnt.
Untersuchen wir nun in wie fern uns die bis jetzt gewonnenen
Erkenntnisse auf die Entstehung des Stachels und des Haares be-
stimmte Schlüsse zu ziehen gestatten. Nach meinen Beobachtungen
über die Entwicklung des Stachels besteht kein Zweifel darüber, dass
das erste Stadium in der Entwicklung des eigentlichen Stachels in
der Bildung einer Cutispapille besteht, und dass alle Theile des
Stachels mit seiner inneren Wurzelscheide ihren Ursprung von dem
Cylinderzellenüberzuge dieser Cutispapille nehmen. In dieser Be-
ziehung werden GoETTE’s Beobachtungen über die Entwicklung des
Morpholog. Jahrbuch. 15. 41
636 H. R. Davies
Haares vollkommen durch meine Beobachtungen über den Stachel be-
stätigt. Es ist augenscheinlich, dass diese Cutispapille ursprünglich
auf der Hautoberfläche im Niveau anderer Papillen gelegen sein
muss, und dass ihre jetzige Bildung an der Basis einer epidermalen
Einwachsung sekundär ist.
Kurz zusammengefasst ergiebt die Entwicklung des Stachels
Folgendes. Eine leichte Erhebung der Cutis oder eine Cutispapille
wird auf der Hautoberfläche gebildet. (Mit Cutis bezeichne ich Epi-
dermis und Derma.) Die Cylinderzellen lassen rasch Intermediärzellen
hervorgehen und bilden diese Papille in eine lokale Verdickung
der äußersten Epidermislagen um. Indem die Cylinderzellenlage
noch weiter Intermediärzellen bildet, buchtet sie sich einwärts und
daraus entsteht dann eine Einsenkung der Epidermis nach unten
in das Derma. Die Basis dieser Einsenkung wächst nach oben
und hier entsteht dann wieder eine Cutispapille. Auf dieser Cutis-
papille wird der erste Stachel gebildet. Die axialen Zellen der
epidermalen Einsenkung unterliegen einer fettigen Degeneration,
woraus eine axiale Höhlung entsteht, längs deren der sich ent-
wickelnde Stachel sich allmählich nach außen erstreckt. Bei der
Ablösung der äußersten Epidermislagen reicht die Spitze des Stachels
über die Hautoberfläche oder kann sie, wie wir sahen, durchbohren.
Vergleichen wir mit dieser Entwicklung des Stachels jetzt die
Entwicklung jener Art definitiver Federn, welchen eine mehr oder
weniger vollständig atrophirte Dune vorangeht. Auch hier besteht eine
kleine Cutispapille auf der Hautoberfläche, und auch hier zieht sich
die Cylinderzellenlage bald zurück, wobei sie zu gleicher Zeit Inter-
mediärzellen hervorgehen lässt. Dadurch verwandelt sich die Papille
in eine bloße Verdickung der äußersten Epidermislagen. Auch hier
findet jetzt ein Einwachsen der Epidermis in das Derma statt. Von
dieser Cutispapille, welche so von der Basis einer epidermalen Ein-
sehkung getragen wird, entspringt die zuerst gebildete definitive
Feder. Auch hier kann man im Centrum der Einsenkung Spuren
von degenerirenden Zellen beobachten (s. Fig. 29), und wenn die
äußersten Epidermislagen mit der Verdickung, welche das letzte
Rudiment einer Dunenfeder vorstellt, abfallen, finden wir längs der
Achse der Einsenkung eine Höhlung, in welcher sich die sich ent-
wickelnde Federpapille nach aufwärts erstreckt, bis sie über die
Hautoberfläche hervorragt (s. Fig. 30).
Die auffällige Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Entwicklungs-
gängen zwingt uns zu dem Schluss, dass wir es hier mit zwei ana-
eV
4
»
%
f
\ J
Die Entwickl. der Feder u. ihre Wi. zu anderen Integumentgebilden. 637
logen Processen zu thun haben und dass die leichte Cutispapille
auf der Hautoberfläche, welche das erste Stadium in der Entwick-
lung des Stachels und anderer starker Haare bildet, das letzte Rudi-
ment eines primitiven embryonalen Haares ist, welches sich wie die
embryonale Dune auf einer auf der Hautoberfläche gebildeten Cutis-
papille entwickelte!. Der zuerst gebildete Stachel entspricht dann
der zuerst gebildeten definitiven Feder, und wir können für wahr-
scheinlich halten, dass die degenerirenden Zellen im einen Falle den
letzten atrophirenden Rudimenten des Kolbens oder der Zwiebel mit
ihrer Scheide entsprechen, hingegen im anderen Falle den letzten
atrophirenden Rudimenten der Dunenspule gleich kommen. Wenn
wir ferner erwägen, dass mit der Vollendung eines jeden Haares
die Cutispapille verschwindet, so dass zur Zeit des Haarwechsels
eine neue solide Einsenkung nach unten an der Basis der alten ge-
bildet wird, dass endlich an der Basis dieser neuen Einsenkung die
neue Cutispapille entsteht, welche das neue Haar hervorgehen lässt,
so sehen wir, dass die Unterschiede zwischen den beiden Processen
eben diejenigen sind, welche wir zu finden erwarten müssen, wenn
die gegebene Erklärung derselben der Wirklichkeit entspricht ?.
Eine der Erwägungen, welche mich zu dieser Arbeit leiteten,
war die Möglichkeit, dass die starke Entwicklung der Cutispapille
bei der Stachelanlage auf einen primitiven Haartypus hindeuten
könnte. Aber die Vergleichung einer größeren Anzahl verschiedener
Haare zeigte, dass einfache marklose Haare, wie sie unter Anderen
bei den Monotremen gefunden werden, als die primitivsten ange-
sehen werden müssen. Bei Echidna sind die feineren Haare abge-
! Die Beobachtung FEIERTAG’s, dass nur bei den ersten Haarkeimen sehr
junger Embryonen Höckerchen gebildet werden, spricht für die Annahme, dass
dies rudimentäre Gebilde sind. Selbst bei der Taube können die Dunen, welche
den spät gebildeten definitiven Federn vorangehen, fast gänzlich atrophirt sein.
2 Wenn die Beschreibung Unna’s richtig ist, und die Cutispapille nie
verschwindet, sondern vom Anfang an an der Basis der neuen Einsenkung, in
welcher das neue Haar gebildet wird, vorhanden ist, so macht dies wenig
Unterschied. Wir haben gesehen, dass die Ansammlung von Dermazellen,
welche später die Papille des erstgebildeten Stachels bildet, von Anfang an
an der Basis der Einsenkung, in welcher der erste Stachel entsteht, vorhanden
ist, und dass das Verschwinden der Cutispapille zu der Zeit, wo diese Ein-
senkung gebildet wird, nur daher kommt,. dass die Cylinderzellenschicht sich
vorübergehend nach unten ausstülpt. Man kann sich leicht denken, dass der
Grad, in welchem diese Ausstülpung der Cylinderzelienschicht und das Ver-
schwinden der Cutispapille vor sich geht, sehr verschieden sein kann. Jeden-
falls stellen sich die Elemente der Cutispapille als dauernd dar, wenn auch die
Papille selbst ihre charakteristische Form vorübergehend verlieren kann.
41*
638 H. R. Davies
flachte, fast plattenartige Gebilde, die in der Mitte am breitesten
sind und an beiden Enden spitz zulaufen. Sie sind von Marksub-
stanz vollständig frei, und an ihrer Basis befindet sich ein ver-
diekter Theil, der Kolben, durch welchen das Haar in seinem Fol-
likel festgehalten wird. Zwischenformen zwischen diesen Haaren
und den ungeheuer großen Stacheln von Echidna zeigen eine Reihe
größerer, mehr oder weniger abgerundeter Haare, in deren centralen,
dieksten Theilen allmählich eine von lockerem, fibrösen, hornigem
Gewebe spärlich erfüllte Höhle auftritt. Ein gleichfalls noch primi-
tiver Haartypus wird z. B. bei dem Rinde gefunden (s. Fig. 53).
Hier werden beide Enden des Haares nur von Rindenschicht gebildet,
während der diekere centrale Theil eine Achse von Marksubstanz
besitzt. An der Basis haben wir, wie oben, eine Verdiekung, den
Kolben, durch welchen das Haar im Follikel festgehalten wird.
Solche Haare, die nur eine beschränkte Größe erreichen und dann
durch ihren Kolben eine bestimmte Zeit lang in ihren Follikeln fest-
gehalten werden, müssen wir für primitiver halten als diejenigen,
welche längere Zeit fortwährend wachsen und bei denen der Kolben
nur als Vorläufer des Ausfalles gebildet zu werden scheint.
Unna erklärt die Bildung der basalen marklosen Portion und des Kol-
bens folgendermaßen: »Ein von einer Papille stammender, markhaltiger Haar-
schaft steigt im Haarbalge auf, wird aber alsbald in unmittelbarer Kontinuität
von einem verhornten Nachschube aus einer anderen Matrix her fortgesetzt,
nämlich von den Stachelzellen der äußeren Scheide aus. Ich werde in der
That die Beweise dafür bringen, dass das Papillenhaar nach Loslösung von der
Papille im Balge aufsteigt, aber nur bis zu einer mittleren Region desselben,
welche sich durch Produktivität der Zellen ihrer äußeren Scheide auszeichnet,
und dann dort sein Wachsthum fortsetzt. Sowie das Haar diese Stelle passirt
hat, erhält es einen marklosen Nachschub, indem die Stachelzellen nach Art
der Zellen der Nagelmatrix verhornen und in Form eines Haarschaftes in die
innere Scheide nachschießen.«
Dass die Bildung eines solchen marklosen Nachschubs nicht
nothwendig ist, um die Produktion eines markfreien Theiles des
Schaftes zu erklären, ist vollkommen klar. Die Spitzen der mei-
sten, wenn nicht aller Haare, sind markfrei, und KÖLLIKER zeigte
schon im Jahre 1850, dass eine homogene Masse von Zellen rings
um die Haarpapille eines wachsenden Haares entsteht, deren einige
als Rindenzellen verhornen, während andere weitere Veränderungen
eingehen und die Markzellen bilden. Die marklosen Spitzen, die
markhaltigen mittleren Theile und die marklosen basalen Por-
tionen können in gleicher Weise auf der Cutispapille entstehen.
Beim Stachel werden jedenfalls alle Theile auf der Cutispapille ge-
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 639
bildet und wir können annehmen, dass der Kolben zur Zeit des
Ausfalles sich von den Zellen der äußeren Wurzelscheide trennt,
mit der er bis jetzt in Verbindung war; dass ferner der Balg sich
lockert und eine neue epidermale, nach unten gerichtete Einsenkung
innerhalb des gelockerten Balges entsteht: und dass schließlich eine
neue Cutispapille entsteht, die einen neuen Stachel hervorgehen lässt.
Am natiirlichsten scheint es, den Stachel von einer Haarform
abzuleiten, die sich jener des Rindes ähnlich verhält, und anzu-
nehmen, dass es allmählich dieker und stärker wurde und sein Mark
immer mehr und mehr entwickelte. Dagegen ist es schwer, die
Entwicklungsvorgänge im Inneren des Stachels anders als streng nach
Analogie derjenigen aufzufassen, welche beim Federschaft sich dar-
stellen. In beiden Fällen verzögert sich die Bildung gewisser Theile,
damit andere und meistens wichtigere Theile in günstigere Ernäh-
rungsbedingungen treten. Aber es besteht zwischen diesen Theilen
keine Homologie, da sie sich nicht von einander ableiten. Es sind
vielmehr für die Feder wie für das Haar resp. den Stachel selb-
ständig erworbene Befunde. Der Stachel selbst bietet also in seinem
komplieirteren Bau keine primitivere Einrichtung... Seine Vorläufer
waren Haare, wie er denn nicht nur alle Übergänge zu solchen
zeigt, sondern auch in seiner ersten Anlage mit einem marklosen
Haare beginnt.
Daraus, sowie aus dem oben über marklose Haare Gesagten,
können wir folgern, dass alle Haare, Borsten und Stacheln aus einem
marklosen Haar entstanden. welches auf einer an der Hautoberfläche
gelegenen Cutispapille sich entwickelte, und dass die Basis dieses
Haares unter die Hautfläche einsank aus demselben Grunde und in
derselben Weise, wie wir es bei der Feder beschrieben.
Da wir ferner annehmen dürfen, dass in allen Fällen an der
Basis des Haarbalges die Elemente der Cutispapille dauernd zurück-
bleiben, welche alle in demselben Balg successiv producirte Haare
hervorgehen lässt, so können wir das Haar in dieselbe Kategorie
mit der Schuppe und der Feder stellen, mit denen es den Besitz
einer dauernden Cutispapille und eines vorübergehenden hornigen
Überbaues theilt.
Auch dass die äußersten Lagen der sich entwickelnden Haar-
‘papille sich eben so von dem fertigen Haare trennen, wie die äußer-
sten Lagen der Federpapille von der fertigen Feder, bietet eine
weitere Bestärkung der Annahme, dass beides, Haar und Feder,
aus einander ähnlichen schuppenartigen Gebilden sich entwickelt
640
H. R. Davies
haben und dass den in ihren Endpunkten so verschiedenartigen Ge-
bilden ein gemeinsamer Ausgangspunkt war.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XXITI—XXVI.
Für alle Figuren gültige Bezeichnungen.
Bg Blutgefäß, Int intermediäre Zellen,
Cys Cylinderzellenschicht, Li Längsleisten,
D Derma, P Pulpa der Papille,
D.F Spitze der definitiven Feder, S Hornkappe der Seele,
DS Dunenstrahl, Sp Spule,
Ep Epidermis, Ss Schleimschicht,
Eps Epitrichialschicht, Ss. Fl Schleimschicht des Follikels,
F.B Federbalg, Ss. Fr Schleimschicht des Federkeimes,
F.S Federscheide, St Strahl,
H.B Haarbalg, U Umbilieus,
Hs. Fl Hornschicht des Follikels, W.K wachsende Krempe.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Tafel XXIII.
Durchschnitt durch die Haut eines Taubenembryo vom fünften Tage
der Entwicklung. Das erste Stadium der Entwieklung der Embryonal-
dunen.
Längsschnitt durch eine Dunenpapille zur Zeit, wo die Rückwärts-
neigung ihren Höhepunkt erreicht hat.
Längsschnitt eines jungen Dunenfederkeimes.
Ein etwas schräg verlaufender Querschnitt eines jungen Dunenfeder-
keimes. Entspricht einem Schnitt in der Linie 4—2 der letzten Figur.
A.Int. äußere Intermediiirzellen. Z.Int innere Intermediärzellen.
Ein etwas schräg verlaufender Querschnitt eines jungen Dunenfeder-
keimes eines Hühnchens. Nahe der Basis des Federkeimes, am Ent-
stehungspunkt der Längsleisten. A.Int äußere Intermediärzellen. Int
innere Intermediirzellen. |
Liingsschnitt durch die einwachsende Basis eines Dunenfederkeimes.
C centrale Schicht bald verhornender Zellen. Int Intermediärzellen
einer Längsleiste. te
Querschnitt durch den oberen Theil eines Dunenfederkeimes, ungefähr
in demselben Entwicklungsstadium, wie es Fig. 6 darstellt.
Längsschnitt durch den oberen Theil eines Dunenfederkeimes in einem
wenig späteren Stadium als es Fig. 6 zeigt.
| Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 641
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
14.
16.
18.
19.
Längsschnitt durch einen fast fertigen Dunenstrahl.
Querschnitt durch die Spule eines Dunenfederkeimes zwei oder drei
Tage vor dem Ausschlüpfen. Die Trennungslinie zwischen Spule und
Follikel ist schon angedeutet.
Querschnitt durch den oberen Theil eines Dunenfederkeimes kurz vor
dem Ausschlüpfen.
Längsschnitt durch die Spule einer Erstlingsdune (vom Rücken ge-
nommen) bald nach dem Ausschliipfen. D.F Spitze der sich ent-
wickelnden definitiven Feder.
Längsschnitt durch eine in Entwicklung begriffene Schwungfeder bald
nach dem Ausschliipfen. F.S Spitze eines Strahles der Schwungfeder.
H.g.w Hornquerwand an der Basis der Spule der Dunenfeder. Auf
der rechten Seite der Figur geht der Schnitt zwischen zwei Strahlen
durch.
Theil eines ähnlichen Schnittes wie in Fig. 13, nur stärker vergrößert. '
D.S Basis eines Dunenstrahles. FS Spitze eines Strahles der Schwung-
feder. N Zellen, welche sich schräg anordnen, um die Nebenstrahlen
zu bilden. Z.q9.0 Hornquerwand.
Theil eines Querschnittes durch einen Schwungfederkeim. Einige laterale
Leisten, welche Strahlen bilden, sind schon zusammengeschmolzen, um
die beiden größeren centralen Leisten zu bilden, welche die Spitze des
Schaftes zusammensetzen. N Zellen, welche Nebenstrahlen bilden. Die
anscheinend kernlose Lage, welche der Pulpa zunächst liegt, und welche
die Furchen zwischen den Längsleisten größtentheils einnimmt, kann viel-
leicht die sogenannte »homogene Grenzschicht« sein. Allein in diesem
Stadium habe ich die Pulpa nicht in die Furchen sich erstrecken sehen.
Hier und da aber erstreckt sich die Pulpa nach außen zwischen zwei
Leisten und dann ist die Fortsetzung dieser oben erwähnten Lage
nach außen an den Seiten der Leisten kaum zu bemerken.
Querschnitt durch die Basis einer sich entwickelnden Schwungfeder
eines Kanarienvogels. Nicht weit von dem »Umbilicus«.
Tafel XXIV.
Querschnitt durch denselben Federkeim, ein wenig weiter oben ge-
führt. D dorsale Seite. V ventrale Seite. S Längsleisten, welche
die Strahlen bilden.
Querschnitt durch denselben Federkeim, noch weiter aufwärts. D dor.
sale Seite. V ventrale Seite. Sch Schaft. S in Entwicklung begrif-
fene Strahlen.
Theil des letzten Querschnittes, stärker vergrößert. Sch Schaft.
S centrale Masse der Intermediärzellen der Längsleisten, welche den
Strahl bildet. Die Verdiekung des äußersten Endes dieser centralen
Masse ist eine vorübergehende Erscheinung. F Längsfurche. N la-
terale Zellen der Längsleisten, welche die Nebenstrahlen bilden.
Theil eines Querschnittes durch denselben Federkeim, noch weiter
oben geführt, zwei Strahlen und die Hälfte des noch nicht vollkommen
entwickelten Schaftes darstellend. Ein dritter Strahl steht eben im
Begriff, sich an den Schaft anzuschließen. Sp Spina calami. R.Sch
Rindensubstanz des Schaftes. M.Sch Marksubstanz des Schaftes.
642
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
21.
22.
23.
24,
25.
Bir
28.
H. R. Davies
Z Zellen, welche die Hornscheidewände {Cloisons transversales CU-
VIER) zwischen je zwei benachbarten Strahlen bilden. R.S Rinden-
substanz des Strahles. M.S Marksubstanz des Strahles. N Neben-
strahlen.
Ein Querschnitt durch einen Strahl, nicht sehr weit von seiner Spitze.
Von der ventro-lateralen Seite desselben Querschnittes genommen,
welcher in der vorigen Figur theilweise dargestellt wurde. S Strahl.
N Nebenstrahlen. Z Zellen zwischen der Federscheide und dem Strahl,
welche in Zusammenhang mit den Cylinderzellen zu stehen scheinen
und welche möglicherweise die »Membrane striee externe« von CUVIER
bilden.
Längsschnitt durch einen Strahl einer in Entwicklung begriffenen de-
finitiven Feder eines Steatornisnestlings. N Nebenstrahlen.
Querschnitt durch einen Strahl einer in Entwicklung begriffenen de-
finitiven Feder eines Steatornisnestlings. H.A hornige Lagen, welche
die Wände der Hornkappen der Seele bilden werden. 4.8. W unvoll-
kommene Hornscheidewand zwischen benachbarten Strahlen. S Strahl.
N Nebenstrahlen.
Schematische Darstellung der Art und Weise, in welcher die Neben-
strahlen sich ausbreiten, sobald der Strahl frei wird. Diese Figur
sollte mit Fig. 20 verglichen werden, und es muss dabei daran er-
innert werden, dass die Seite des sich entwickelnden Strahles, welche
der Pulpa zunächst liegt, die untere Seite des fertigen Strahles bildet.
S Strahl. N Nebenstrahlen.
Ein Theil eines Strahles einer Kanarienvogelfeder, von unten ge-
sehen. S Strahl. N.V Nebenstrahlen der vorderen Reihe. N.H
Nebenstrahlen der hinteren Reihe. H Häkchen.
Schematisches Bild eines definitiven Federkeimes, welcher längs der
ventralen Fläche aufgeschnitten ist, dessen Wände zurückgelegt sind
und dessen Pulpa ‚entfernt ist, um seine innere Fläche zu zeigen.
U Ränder des Uwbilicus. V die Schnittflächen, welche der Mittel-
ventrallinie des Federkeimes entsprechen. Sch Seite des Schaftes.
S Längsleisten, welche die Strahlen bilden. Die Linie A deutet die
Höhe des in Fig. 16 dargestellten Schnittes an, die Linie B die des
in Fig. 17, die Linie C die des in Fig. 18 und die Linie D die des
in Fig. 20 dargestellten Schnittes.
dA, B, C, D schematische Darstellung der Entwicklung der unteren
dickeren Theile des Schaftes in verschiedenen Höhen, und der .Be-
ziehungen des Schaftes zur Spule. Sp.C Spina Calami. 1.2.3 drei
successive Stadien in der Entwicklung des Schaftes, bevor die beiden
Seiten sich in der Mittellinie treffen. P.Z Pulpahöhlung. P.II Theil
der Pulpahöhlung, welche-innerhalb des Schaftes eingeschlossen wird.
S Strahlen. C Calamus. Ms Markschenkel der Spule. & Hohlrinne.
Längsschnitt durch die Basis der Spule einer ausfallenden Feder und
durch den neuen Federkeim, welcher sich eben unter ihr entwickelt.
C Spule. H.g.w unterste Hornquerwand der Seele.
Tafel XXV und XXVI.
Längsschnitt durch eine atrophirende Dunenpapille kurze Zeit vor dem
/Entwiekl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 643
g. 32.
ug
vs
.
vs
ow
ot
. 36.
1 37.
139.
140.
. 33.
34.
Ausschliipfen, und durch die Einsenkung an ihrer Basis, in welcher
die erste definitive Feder sich bildet. R.P rudimentäre Dunenpapille.
Hs Hornschicht der Haut.
Längsschnitt durch eine ähnliche Einsenkung 8—10 Tage nach dem
Ausschliipfen. Die rudimentäre Papille ist abgeworfen worden. A.H
äußerste hornige Lagen der Haut. C centrale Höhlung, durch welche
nachher die sich entwickelnde definitive Feder aufwärts wächst.
Skizze der Vorderfliiche eines TaubenfuBes. Die kleinen Federn am
Lauf sind kurz abgeschnitten, um die verdickten Erhebungen der
Haut um ihre Ansatzstellen zu zeigen. An vielen der Halbringe der
Zehen sind Federrudimente als kleine Hervorragungen zu sehen.
Längsschnitt durch eine der verdickten Hauterhebungen auf der obe-
ren Fläche der Zehe eines Taubennestlings und durch eine kleine,
auf dieser Erhebung gelegene, in Entwicklung begriffene definitive
Feder. Z verdickte Epidermis. A Hornkappe.
Längsschnitt durch die Haut an der Seite des Laufes eines frisch aus-
gebriiteten Taubennestlings von der nichtfederfüßigen Art. Das Bild
zeigt vier Verdickungen, welche von einander durch Rinnen getrennt
sind. R.F rudimentärer Federkeim.
Liingsschnitt durch die Haut einer frisch ausgebriiteten Ente am Uber-
gangspunkt von Federn zum Lauf. Vier kleine Dunenfedern sind ge-
troffen.
Schnitt durch eine der flachen Hautpapillen, welche als erstes Sta-
dium der Stachelentwicklung sich finden. Hs Intermediärzellen der
erstgebildeten Hornschicht. P Ansammlung von Dermazellen.
Schnitt durch ein Stück Igelhaut, das zweite Stadium der Stachel-
entwicklung zeigend. Hs erstgebildete Iutermediirzellen der Horn-
schicht. $.I sekundär gebildete Intermediärzellen der Einsenkung.
P Ansammlung von Dermazellen.
Schnitt durch ein Stück Igelhaut, das dritte Stadium der Stachelent-
wicklung zeigend. Die Epitrichialschicht ist in diesem Schnitt, wie
auch im folgenden, nicht deutlich zu erkennen. H.S Hornschicht.
S.I Intermediärzellen der Einsenkung. P Ansammlung von Derma-
zellen.
Schnitt durch ein Stück Igelhaut, das vierte Stadium der Stachelent-
wicklung zeigend. Hs Hornschicht. S.Z Intermediärzellen der Ein-
senkung. Cys.H Cylinderzellenschicht des Haarkeimes. Sch oberste
Zellenlagen des Haarkeimes.
Schnitt durch ein Stück Igelhaut, das fünfte Stadium der Stachelent-
wicklung zeigend. Hs Hornschicht. D.Z degenerirende Intermediär-
zellen. R& im Centrum gebildeter Raum. 7a das erste Zeichen der
Talgdriisen. W.K wachsende Krempe. Cys.H Cylinderzellenschicht
des Haarkeimes. J.H Intermediärzellen des Haarkeimes. Ob Ober-
häutchen des Stachels. Sch oberste Haarkeimlagen von etwas abge-
platteten Zellen.
Längsschnitt durch einen in Entwicklung begriffenen Stachel und
seinen Follikel in dem sechsten Entwicklungsstadium. Hs erstge-
bildete Hornschicht. Ss. Fl Schleimschicht des Follikels. 7a Talg-
driisen. Sch Scheide. S Stachel. Sp Spitze des Stachels.
644
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig. 49.
41.
42.
43.
44,
45.
46.
47.
48.
H. R. Davies
Längsschnitt durch die Gegend der wachsenden Krempe eines in E “I
wicklung begriffenen Stachels im sechsten Entwicklungsstadium. 1A-
Intermediärzellen desselben. Ob Oberhiiutchen. Sch Scheide. Cys)
Cylinderzellenschicht des Follikels.
Etwas schräg verlaufender Querschnitt durch einen in Entwieklung
begriffenen Stachel, ungefähr in demselben Stadium, wie es Fig. 40
darstellt. -Der Schnitt soll gerade oberhalb der Gegend der wachsen-
den Krempe liegen und zeigt, wie die Längsleisten entstehen. Die
Seite 7 liegt tiefer als die ihr gegenüber liegende. Sch Scheide.
Ob Oberhiiutchen des Stachels.
Querschnitt durch denselben in Entwicklung begriffenen Stachel, in
größerer Höhe geführt. Cys.Fl Cylinderzellenschicht des Follikels.
Hen.S HENLE'sche Schicht. Huxr.$ Huxtrv'sche Schicht. Z Lage
kleiner abgeplatteter Zellen, unmittelbar außerhalb des Oberhäutchens.
I verhornende Intermediärzellen. .
Theil eines Längsschnittes in einem nur wenig späteren Stadium, als
es Fig. 40 darstellt. Zux.S HuxLeEyY’sche Schicht. Hen.S HENLE’sche
Schicht. J.a.W Intermediärzellen der äußeren Wurzelscheide. Cys
Cylinderzellenschicht der äußeren Wurzelscheide. 7a Talgdriisen.
Theil eines Längsschnittes, ungefähr in demselben Stadium, wie ¢s
die vorige Figur zeigt, aber in geringerer Höhe geführt. Der Stachel
ist weggebrochen und die Fasern der inneren Wurzelscheide sind
etwas aus einander gerissen. 4. W äußere Wurzelscheide. J.W innere
Wurzelscheide.
Theil eines Qnerschnittes durch Balg und innere und äußere Wurzel-
scheide in einem späten Entwicklungsstadium. Die Huxrey'sche
Schicht ist theilweise von der HEnLE’schen getrennt. A.W äußere
Wurzelscheide. Hen.S Hente’sche Schicht. Hux.S HuxLey'sche
Schicht.
Längsschnitt durch die eben in Verhornung begriffene Rindensubstahz
eines Stachels, um die über einander greifenden Oberhäutchenzellen fu
zeigen. Ob Oberhiutchen.
Untere Hälfte eines Längsschnittes durch einen in Entwicklung
sriffenen Stachel im siebenten Entwicklungsstadium. Die Basis
aus der geraden Linie gebogen und desshalb etwas schräg dur
schnitten. Dieser basale Theil darf nicht für die Zwiebel gehalien
werden. 4.W äußere Wurzelscheide. J.W innere Wurzelscheide.
Rs Rindenschicht des Stachels. Rs.Z Rindenschichtlamelle. Pd
leisten ausbreitet. X Punkt, wo die einwärts wachsenden Längslei
sich in der Mittellinie treffen. JZ Intermediiirzellen, welche im Begtiff
sind, sich in Markzellen umzuwandeln. J/ Markzellen.
Querschnitt durch einen in Entwicklung begriffenen Stachel.
spricht einem Schnitt in der Höhe der Linie 4—B der vorigen Fi
A.W äußere Wurzelscheide. Hen.S HEntE’sche Schicht. Z:@.
Huxtey’sche Schicht. ZR.s Rindenschicht des Stachels. Rs.ZL
denschichtlamelle. ZZ Längsleiste, aus Cylinderzellen und Interhe-
diärzellen bestehend. C.P centraler Abschnitt der Pulpahöhlung.
L.P einer der lateralen Abschnitte der Pulpahöhlung.
zen
/
Morpholog. Ja
Fig.1B.
Tith.Anstv.E.A Funke, Leipzig.
« N:
Morpholog. Jahrb. Bd. XV.
Verlag v Wilh. Engelmann in Leipzig
Iith Ansty E.A Funke leipzig,
ee. sn
a
Fig 278. u
py Me
ger
ail
mae
BU
ı
|
[4
Tthdnst EA Funke ‚Inpatg-
=
&'
“4
5
i
=
:
3
=
Taf XXV.
Morpholog. Jahré\
Lith Anst-v.5,A Funke Leipzig.
Cys
VASE x y
._ FR
EL
Cys Fl Hen
5.
7 Verlag Wilh Engelmann in Leipzig u
Lıth.Anst v B.A Funke, Leipzig,
Taf XXV/.
‘
LithAnst v.E.A.Funke,Leipzig.
Verlag v. Wilh. Engelmann in Leipzig.
’
“
‘ ’
5
es » 1
J :
- Nr . 1 i .
. 2 Pr
‘ - - rs -
a
5 fir
F \ =
re, x 2
be :
> .
5 4 .
are“
. R
,
r . . A 1 ie 1
~ — > ™
‘ u 2 EEE, 4
7 . “ —- =
v
‘ a a
. 4
. I ud, £ < N , ES
- 2
: e ir e
N ,
x - pr —
‘ ~ }
r 2 “ a a eee ee
: NE, BER
.
we >
Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 645
Fig.
50.
wol,
02,
. 53,
Querschnitt durch einen in Entwicklung begriffenen Stachel. Ent-
spricht einem Schnitt in der Höhe des Punktes X der Fig. 48. Rs
Rindenschicht des Stachels. Rs.Z Rindenschichtlamelle. Z.P oberster
Theil eines lateralen Abschnittes der Pulpahöhlung. JZ centrale Masse
der Intermediärzellen. /.M Intermediärzellen, welche im Begriff sind,
sich in Markzellen umzuwandeln. Die beiden letzten Querschnitte
wurden durch pigmentirte Stacheln geführt.
Kleine Erstlingsdune vom Schenkel (Dromaeus). Ein paar mal ver-
größert. Sch Schaft. Sp Spule.
Querschnitt eines der größeren Haare beim Igel. 2s Rindenschicht.
Ms Marksubstanz.
Haar eines Ochsen, 5—6mal vergrößert. Kd Kolben. Ms Achse von
Marksubstanz.
Kleinere Mittheilungen über Anthozoen.
Von
G. v. Koch.
Mit 1 Figur im Text.
Die Arbeiten über Korallen. besonders so weit sie Anatomie und
Entwicklungsgeschichte betreffen, sind wegen der Schwierigkeiten,
mit welchen die Erlangung von genügendem Material verbunden ist,
häufig vom Zufall abhängig. Eine einfache Untersuchung irgend
einer bisher nicht lebend oder nur dem Skelet nach bekannten Art
hat oft die weittragendsten Resultate geliefert, während zur Beant-
wortung einer scheinbar klar liegenden Frage jahrelange Arbeiten
nicht ausreichten.
Ich war nach Möglichkeit bestrebt, in meinen bisherigen Ver-
Offentlichungen nur solche Thatsachen und Schlüsse mitzutheilen,
welche sich in gewisser Weise zu einem Ganzen abrunden ließen
und so einen, wenn auch noch so kleinen Schritt vorwärts in der
Erkenntnis bedeuten. Neben den vielen Einzelbeobachtungen, die
zu genannten Arbeiten die Grundlage bilden, hat sich nun, wie aus
oben stehenden Zeilen sich schließen lässt, bei mir eine Menge von
Notizen und Zeichnungen angesammelt, die mit jedem Jahre zu-
nimmt und deren weitere Verarbeitung immer mehr in die Ferne
rückt.
Nach langem Überlegen habe ich mich entschlossen, eine Reihe
dieser Einzelheiten in Form kurzer Notizen unter oben stehendem
Titel zu publieiren, und hoffe ich, dass wenigstens einige davon an-
deren Korallenforschern als Rohmaterial willkommen sein werden.
Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. 647
1. Zwei Entwicklungsstadien von Pteroides spinulosus.
Von der Entwicklungsgeschichte der Pennatuliden ist außer der
gründlichen und ausführlichen Arbeit Wırson’s über Renilla, die
aber eine ziemlich abweichende Form darstellt, nur sehr Weniges
bekannt. Mir lagen von Pteroides zwei Stadien in konservirtem Zu-
stand vor, die ich durch Herrn SALVATORE Lo Branco in Neapel er-
halten habe und welche gleichzeitig, am 19. Oktober 1886, die Mutter-
kolonie verlassen hatten.
Das jüngere Stadium, von kugeliger oder nur wenig elliptischer
Gestalt, zeigte auf Querschnitten eine ganz ähnliche Struktur wie
die Gorgonienlarven (resp. Eier), welche ich in Taf. X Fig. 12
und 13 meiner Monographie abgebildet und auch beschrieben habe
und scheint mir wenig Interesse zu haben.
Das ältere Stadium besaß eine mehr eiförmige Gestalt und hatte,
wie aus einigen Querschnittserien hervorging, schon acht Paries, ein
deutliches Schlundrohr und eine ganz ähnliche Längsscheidewand,
wie die von Wırsox bei den Larven von Renilla beschriebene. Die
von mir in Querschnittserien zerlegten Exemplare stimmten so weit
mit einander überein, dass ich sie ganz gegen meine anfängliche
Erwartung oder besser Hoffnung unter einander für gleichalterig
halten muss und die Beschreibung der einen auf alle anderen passt.
— Die Schnitte, zunächst dem oralen Ende
(vel. Fig. I)!, zeigen das Ektoderm (e) etwas
diagonal geschnitten und daher viel breiter
als eigentlich seine Dicke beträgt. Nach in-
nen ist es ziemlich unregelmäßig begrenzt.
Der Innenraum ist ganz von Entodermzellen
ausgefüllt. Diese haben eine polyedrische Ge-
stalt, deutlichen Kern und sind von einander
durch sehr feine, aber doch scharfe Linien
geschieden. Parietes sind, wie bei allen Pen- querschnitte durch eine Larve
natuliden, acht vorhanden. Sie erscheinen ‚vor Ptercides. e Ektoderm, n
4373 4 Entoderm, o Schlund, % Höhlung,
als dünne, aber scharfe Linien, die manch- s Längsscheidewand, Die Zell-
mal winklige Abweichungen von der geraden ®"°"”° paler rics Pe
Richtung bemerken lassen und die direkt
! Die Abbildungen sind möglichst vereinfacht, nur die Kontouren der ein-
zelnen Schichten sind angedeutet, die Parietes sind im Verhältnis zur Größe
der Bilder noch etwas zu dick angegeben.
648 G. v. Koch
in die Mesodermlamelle an der Peripherie und nach innen hin (Öso-
phagus) übergehen. Sie machen den Eindruck, als seien sie dadurch
entstanden, dass in acht Doppelreihen von Entodermzellen sich die
trennenden Zellwände nahezu in einer Ebene angeordnet hätten.
Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man sieht, wie sich ein
Theil der übrigen Zellwände senkrecht zu den Parietes stellt. Der
Schlund ist auf diesen Schnitten nicht rund, sondern etwas in die
Länge gestreckt und sind die Parietes, wie Fig. I zeigt, symmetrisch
zu seiner Längsachse vertheilt. Weder eine Mundöffnung noch ein
Lumen des Schlundes ist vorhanden, nur einmal sah ich eine zarte
Linie, welche vielleicht die Stelle andeutete, wo später die den.
Schlund auskleidenden Zellen aus einander weichen, in allen übri-
gen Fällen fand ich im Centrum unregelmäßige, eine Art von Pa-
renchym darstellende, polyedrische Zellen, deren Kontouren erst nach
außen hin etwas regelmäßiger werden, so dass die dem Mesoderm
direkt aufliegende Schicht als ein deutliches Cylinderepithel erscheint.
Letzteres hebt sich auch durch etwas intensivere Färbung von den
übrigen Zellen ab.
Schnitte etwas weiter nach hinten (vgl. Fig. II) unterscheiden
sich von den vorhergehenden vor Allem durch ihren größeren Durch-
messer und das schmälere Ektoderm, dessen Zellen jetzt mit ihrer
Längsachse in die Schnittebene fallen und desshalb auch deutlich
ihrer Form nach zu erkennen sind. Sie bilden ein Prismenepithel
zwischen dem sich meistens basal, nicht selten aber auch etwas
nach der Peripherie hin gerückt, rundliche Elemente finden. Der
Ösophagus ist jetzt ziemlich regelmäßig achteckig gestaltet, wird
aber etwas weiter nach dem aboralen Ende zu meist sechseckig.
Die acht Parietes sind ursprünglich regelmäßig radial gestellt; um
ibre Veränderungen leichter beschreiben zu können, wollen wir die
vier auf jeder Seite von unten nach oben (Abb. II) mit 7, 2, 3 und 4
bezeichnen. / und / rücken mit jedem Schnitt aboralwärts weiter aus
\ einander (mittleres Stadium Fig. II), bis sie endlich in einer Geraden
zu liegen kommen. # und 4 werden undeutlich, so dass verhältnis-
mäßig bald nur noch: Spuren von ihrem peripherischen Theil vor-
handen sind, länger erhalten sich 2 und 3. Das Entoderm zeigt
wenig Veränderung, fast bei allen Exemplaren ist es in dem Inter-
parietalraum /—/ in der Mitte ausgehöhlt, oft regelmäßig, ‘wie bei
Fig. II, manchmal ist der Kontour der Höhlung auch lappig, einmal
sah ich in der Höhlung einen unregelmäßigen Zellhaufen.
Besonders interessant sind die Schnitte durch das Ende des
Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. 649
Schlundes. Hier werden zuerst die Parietes 2 und 3 undeutlich,
darauf auch die dünne Stützlamelle, so dass im Centrum nichts
übrig bleibt als ein gleichmäßiger Haufen von Entodermzellen, an
den von beiden Seiten die Paries /, / heranragen. Einige Schnitte
weiter sind letztere mit einander in der Mitte verschmolzen zu der
schon oben erwähnten Scheidewand. An einigen Larven traf ich ein
Stadium, bei dem der Schnitt durch diese Scheidewand noch als
einfache Linie erschien, der einzelne »Zellkerne« dicht anlagen,
erst an den folgenden Schnitten trat ein zweiter Kontour auf, bei
den meisten anderen Larven dagegen sah ich gleich den Kontour in
der Mitte doppelt (Fig. III) und zwischen den beiden Linien kleine
Zellen. Einen Schnitt etwas hinter dem Ösophagusende stellt
Fig. III dar. Die weiteren Schnitte von hier bis zum aboralen Ende
bieten wenig Erwähnenswerthes. Von den Paries (außer 7, /) treten
nirgends mehr Spuren auf. die Scheidewand S bleibt deutlich bis
zum Ende, die Entodermhöhlen % (eine zweite ist kurz nach Ende
des Schlundes dazu gekommen) setzen sich mit mancherlei Unregel-
mäßigkeiten noch ziemlich weit fort, bis endlich das ganze Entoderm
wieder solid wird (Fig. IV). Hier verschwinden auch die Zellen in
der Längsscheidewand und dieselbe erscheint auf dem Querschnitt
als einfache Linie.
Das Wichtigste in vorstehender Beschreibung lässt sich zusammen-
fassen wie folgt: Die Längsscheidewand S entsteht durch centrale
Verschmelzung der Paries /, /, die in ihr liegenden Zellen entstam-
men wahrscheinlich dem Entoderm, doch ist durch die Beziehungen
der Scheidewand zum Ösophagus auch die Möglichkeit einer Ent-
stehung aus dem Ektoderm gegeben. Der Hohlraum der Larve wird
durch die Scheidewand in zwei Theile getheilt, von denen der eine
dem einzigen Interparietalraum /—/, der andere den übrigen sieben
Interparietalräumen entspricht.
Te Fe!
ers iT Mihiv ws
er
Bia ee A ee:
ge tae? seh hi
‘ r
€ %
Mi A f
pee. 2 4? Mn
HK E
f f 44 Wey
Rede
ki
Inf ti or
ty P
‘i nl
mihi vers ‚N
Nut Hi
. Lu Dr RZ :
A Hite ah Aire
“4
AD) ‘
tte,
aids Dae j
-
wt
ix!
’
; *
A
vg fa
[
ie
. Fi A
a
'
eu
> EN
kr oe
hee f
Lah
pons
ur
om
vor
.
a ’
ne .
;
,
wart
Pi 7
tC» A
tin
‘ > \
.
3
4
z>
Be N
: ee,
c
“i
f Ps ue
is prt: J
Im 22
Pe
ss Pre
Ey
u u, }
§ ;
RER " }
: ati ies
} j
er
% af ‘ »
: « N
,
rs fed 4
Ao tute! i oo ee
sped ee
4 EN
eS i)
#
Ue
4
N
Pr
u
*.
}
PR 2. 3 122 -
5. Saaae
nr
i ah
}
“
y
' ‘
2 ‘
‘
.
al
'
Hh si
any.
i
w ’
ia
1 ß 7
.
ad -
r
u x
F
j -
i
“
a“ t
’ -
i,
at a
A
4
’
+
” '
‘
re “
* un 3
N s
anit | fi rg ie: >» Al
‘
“
.
,
‘
‘
+
N
’
A)
TEN
Vorph
Yorphologiseh
ologisches Jöhrbuch
100130347